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Botschafterin des Friedens (Bedeutende Frauen, die die Welt verändern 11)

Eva Grübl
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Bertha von Suttner – Ihr Kampf für die Liebe war ein Skandal, ihr Kampf gegen die Waffen veränderte die Welt

„Eva Grübl hat das Leben der ›Botschafterin des Friedens‹ in einem spannenden Roman zusammengefasst.“ - Odenwälder Lokalblick

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Botschafterin des Friedens (Bedeutende Frauen, die die Welt verändern 11) — Inhalt

Ein Leben für den Frieden

Wien, 1873: Mit 29 wird Bertha Gouvernante im Hause von Suttner und verliebt sich in Arthur, den jüngsten Sohn der Familie. Als die Baronin von der skandalösen Verbindung erfährt, wird Bertha gekündigt. 

Mit gebrochenem Herzen flieht sie nach Paris und wird die Sekretärin eines berühmten Chemikers, der an Dynamit forscht: Alfred Nobel. Es entsteht eine Freundschaft mit Sprengkraft, denn ihre Positionen könnten unterschiedlicher nicht sein. Bertha weiß: Sie wird gegen Waffen kämpfen und für den Frieden. Ihre Berufung hat sie nun gefunden, aber ihre Sehnsucht nach Arthur ist drängender denn je … 

Die österreichische Pazifistin, Friedensforscherin und Schriftstellerin Bertha von Suttner (1843–1914): wurde 1905 als erste Frau mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Ihr Leben lang führte Bertha von Suttner den scheinbar aussichtslosen Kampf für Abrüstung und Frieden. In Briefen ermutigte sie ihren Freund Alfred Nobel unermüdlich, eine Stiftung für den Frieden zu gründen, was er in seinem Testament tatsächlich festlegte. 

Bertha von Suttner allerdings wurde gegen Nobels Willen zunächst nicht ausgezeichnet. Erst 1905 erhielt sie den Friedensnobelpreis für ihr Werk „Die Waffen nieder!“. Vier Jahre hatte die Jury sich geweigert, eine Frau auszuzeichnen. 

€ 15,00 [D], € 15,50 [A]
Erschienen am 28.07.2022
400 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-06286-2
Download Cover
€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 28.07.2022
400 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60179-5
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Leseprobe zu „Botschafterin des Friedens (Bedeutende Frauen, die die Welt verändern 11)“

Schloss Harmannsdorf, 1896

Gespenstische Stille herrschte im niederösterreichischen Schloss Harmannsdorf, das einsam und herrschaftlich inmitten eines terrassenartig angelegten Parks lag. Die großflächigen Flügelfenster ließen viel Licht in den mit Bücherregalen und Stilmöbeln eingerichteten Arbeitsraum im ersten Stock. Bertha saß an ihrem Tisch und sah mit versteinerter Miene aus dem Fenster. In ihren Händen hielt sie eine Depesche, die ihr vor einigen Minuten von ihrem Diener überbracht worden war.

Sie fühlte eine schmerzliche Leere in sich aufsteigen. [...]

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Schloss Harmannsdorf, 1896

Gespenstische Stille herrschte im niederösterreichischen Schloss Harmannsdorf, das einsam und herrschaftlich inmitten eines terrassenartig angelegten Parks lag. Die großflächigen Flügelfenster ließen viel Licht in den mit Bücherregalen und Stilmöbeln eingerichteten Arbeitsraum im ersten Stock. Bertha saß an ihrem Tisch und sah mit versteinerter Miene aus dem Fenster. In ihren Händen hielt sie eine Depesche, die ihr vor einigen Minuten von ihrem Diener überbracht worden war.

Sie fühlte eine schmerzliche Leere in sich aufsteigen. Ihr Verstand weigerte sich, die Worte zu glauben, die sie soeben gelesen hatte. Sie nahm kaum wahr, dass jemand das Arbeitszimmer betrat, sondern sah mit unverändert starrem Blick auf die winterliche Gartenanlage des Anwesens.

„Bertha?“

Schweigend hob sie den Kopf und betrachtete ihren Ehemann, der mit fragendem Blick vor ihr stand.

„Was ist passiert?“, wollte er wissen. „Du siehst aus, als hättest du den Teufel persönlich gesehen.“

Wortlos hielt sie ihm das Schreiben entgegen. Ihr Mann rückte seine Brille zurecht, nahm den Brief und überflog die Zeilen.

„O Gott! Das ist ja furchtbar!“ Nach einigen Sekunden der Stille räusperte er sich. „Wusstest du von der Krankheit?“

Bertha schüttelte stumm den Kopf und tupfte sich mit einem Stofftaschentuch die Tränen aus dem Augenwinkel.

„Ich wäre gerne einen Moment allein“, murmelte sie dann mit monotoner Stimme.

„Bertha …“ Er stand auf, legte seine Hand auf ihren Arm, doch sie wandte sich ab.

„Jetzt nicht. Bitte.“

Ihr Mann nickte betroffen und verließ den Raum.

Sie öffnete die Schreibtischschublade, holte ihr ledergebundenes Tagebuch heraus, tauchte die Feder ins Tintenfass und brachte ihre Gedanken zu Papier. Für sie hatte es etwas Befreiendes, ihre Sorgen und Freuden schriftlich festzuhalten. Seit ihrer Kindheit pflegte sie die Gewohnheit, in ihrem Tagebuch alles niederzuschreiben, was ihr durch den Kopf ging. Das Gesicht ihres Freundes erschien vor ihr, sein nachdenkliches Lächeln, die gutmütigen Augen. Sie erinnerte sich an seine tiefe, ruhige Stimme, an den Tabakgeruch, der ihn immer umgeben hatte. Der Verlust und die schmerzliche Gewissheit, ihm in seinen letzten Stunden nicht beigestanden zu haben, brannten in ihrer Brust. Immer noch weigerte sich der Verstand zu akzeptieren, dass er gestorben war, ausgelöscht von dieser Welt.

Sie schrieb sich ihren Kummer von der Seele, trocknete dann die Tinte mit der Löschwiege und blätterte gedankenverloren einige Tagebuchseiten zurück. Jahrelang hatten sie sich nicht mehr gesehen, doch den Kontakt zu ihrem Seelenfreund, ihrer moralischen Stütze, ihrem Mentor hatte sie stets aufrechterhalten. Umso mehr schmerzte es sie, dass er während ihres regen Briefwechsels nichts von seinem gesundheitlichen Zustand erwähnt hatte. Gespannt hatte sie seine Briefe Monat für Monat erwartet und über die oftmals sarkastischen und selbstkritischen Worte geschmunzelt. Er hatte sie verstanden, besser sogar als ihr Ehemann, hatte jedes ihrer Bücher offen und ehrlich kommentiert, ihre Werke und ihre aufopfernde Arbeit gelobt, aber auch übertriebenen Ehrgeiz getadelt wie sonst niemand, den sie kannte.

Müde erhob sie sich von ihrem Schreibtischstuhl und klingelte nach ihrer Haushälterin Kati. Sie war seit vielen Jahren in ihren Diensten, und Bertha hatte zu ihr ein innigeres Verhältnis, als es zwischen Dienstbotin und Baronin üblich war.

„Ist alles in Ordnung, gnädige Frau?“, erkundigte sich Kati.

Bertha schüttelte den Kopf, zwang sich aber zu einem Lächeln. „Ich habe sehr schlechte Nachrichten erhalten. Ein guter Freund, mein bester sogar, ist verstorben. Ich wollte Sie daher bitten, der Köchin mitzuteilen, dass ich heute das Abendessen ausfallen lasse. Ich habe keinen Appetit.“

Kati nickte und verließ das Arbeitszimmer.

Bertha schloss das Tagebuch. Ihr Blick wanderte über die Bücherregale, die bis zur Decke mit Romanen und Abhandlungen bekannter Dichter, Freiheitskämpfer und Pazifisten gefüllt waren. Im untersten Fach stand je ein Exemplar ihrer veröffentlichten Werke. Sie fuhr melancholisch mit dem Finger über die Buchrücken und zog ein in dunkelgrüne Seide gebundenes Fotoalbum heraus. Dann setzte sie sich auf ihren gepolsterten Sessel, der vor dem Kachelofen stand, und öffnete das Buch.

Eine tiefe Wehmut überkam sie, als sie die alten Fotografien von sich betrachtete. Ihr jüngeres Ich strahlte ihr entgegen, aufgeputzt und aufwendig frisiert, in einem prächtigen, ausladenden weißen Kleid mit Volants und tiefem Ausschnitt. Ihr Blick war ernst und nachdenklich.

Sie erinnerte sich noch gut an diesen Moment, an die Vorbereitungen für ihr Debüt. Aufgeregt hatte sie, damals noch Komtesse Bertha von Kinsky, jenem Abend entgegengefiebert, der dann in einem Fiasko geendet hatte. Zu jener Zeit hatte sie noch vom Aufstieg in die Crème de la Crème geträumt, den hohen Adel. Ein verwöhntes Kind war sie gewesen. Doch an jenem Abend waren ihre Erwartungen bitter enttäuscht worden.

Bertha dachte an den prachtvollen Ballsaal zurück, die teuren Roben der Damen, die erlesenen Speisen und den Champagner. Sie hatte sich als erwachsen und schön empfunden, doch dieses Gefühl war nur von kurzer Dauer gewesen. Niemand hatte sie zum Tanz aufgefordert. Ihre geliebte Mutter, die zeit ihres Lebens darunter gelitten hatte, nicht standesgemäß zu sein, und die sich – glaubte man den Gerüchten – durch ihre Heirat mit Graf Kinsky nur in den Hochadel hatte einschleichen wollen, saß am Ballabend allein da, während die anderen Mütter ihre Köpfe zusammengesteckt und unendlich geschnattert hatten, ebenso wie ihre Töchter.

Wenig später hatte Bertha in ihrem jugendlichen Trotz die erste Verlobung mit einem weitaus älteren Herrn angenommen und bald wieder gelöst. Zwei weitere Verlobungen waren gefolgt, doch es war keine Heirat daraus geworden. Dafür war sie von da an in den Runden der adeligen Damen Wiens Tratschthema Nummer eins gewesen – und das war sie bis heute geblieben. Obwohl Bertha die alte Fotografie mit Melancholie betrachtete, war ihr die junge Frau inzwischen fremd. Das Leben hatte sie verändert, woran ihr verstorbener Freund maßgeblich beteiligt gewesen war. Doch damals hatte sie all das noch nicht gewusst.

Bertha blätterte weiter. Auf der nächsten Fotografie war ihr kastanienbraunes, gelocktes Haar nach der damaligen Mode hochgesteckt und unter einem weit in die Stirn gezogenen Hütchen verborgen. Sie trug ein Kostüm, eine hochgeschlossene Bluse, das Jäckchen stark in der Taille geschnürt, die in den Siebzigerjahren – wie sie mit Wehmut feststellte – noch wesentlich schlanker gewesen war als heute. Diese Fotografie hatte ihr Leben verändert, alles auf den Kopf gestellt und die Prioritäten in ihrem seinerzeit doch recht naiven Köpfchen verrückt. Es war die Fotografie, mit der sie sich im Jahre 1873 bei der Familie Suttner als Gouvernante beworben hatte. Was für ein naives, dummes Ding sie doch gewesen war. Mit ihren fast dreißig Jahren hatte sie noch nichts Aufsehenerregendes erlebt oder bewirkt. Große Bälle, Abendveranstaltungen, Urlaube, Kuraufenthalte mit ihrer geliebten Mutter, Abende im Casino – das war alles, was auf ihrem ausgefüllten Tagesplan gestanden hatte. Wie wenig hatte sie damals vom wahren Leben gewusst.


Wien, 1873

Bertha drehte ihr Stofftaschentuch nervös zwischen den Fingern, während die Kutsche über die Wiener Ringstraße rollte. Mit dreizehn Jahren war sie zusammen mit ihrer Mutter in die Reichshauptstadt gezogen und hatte sich noch lange nach Brünn zurückgesehnt, der Stadt, wo sie ihre Kindheit verbracht hatte. Mittlerweile war sie längst Wienerin mit Herz und Seele, auch wenn die Finanzen ihre Mutter vor einiger Zeit gezwungen hatten, ins ferne Görz zu übersiedeln. Sie liebte die Ringstraße, die sich seit ihrer Jugend zu einem immer prachtvolleren Boulevard entwickelt hatte, die edlen Kaffeehäuser, aus denen es nach frisch gebackenen Kipferln und Melange duftete, die Theater und Museen.

Heute allerdings war sie so tief in Gedanken versunken, dass selbst das Parlamentsgebäude oder die Staatsoper sie mit ihrer beeindruckenden Pracht nicht von ihrer Nervosität ablenken konnten. Sie blickte nachdenklich auf ihre zitternden Hände, schloss die Augen und ging noch einmal im Geiste die Namen der Familienmitglieder Suttner durch.

Bertha hatte einen unkonventionellen Schritt gewagt. Mit einer Anstellung würde sie ihr Leben in neue Bahnen lenken und endlich Abschied nehmen von ihren Hoffnungen auf die große Liebe, eine Ehe mit einem angesehenen Mann, ein Leben in Wohlstand. Ihre Mutter schämte sich für die Entscheidung ihrer Tochter und träumte noch immer von deren Heirat, doch welche Wahl war Bertha geblieben? Mit fast dreißig Jahren galt sie als alte Jungfer. Wer würde sie, eine mittellose, längst nicht mehr junge Frau, noch nehmen? In Liebesdingen hatte sie bislang Pech gehabt, und so gab es nur die Möglichkeiten, bei ihrer Mutter zu bleiben und mit ihr von der Witwenapanage zu leben – oder sich eine Anstellung zu suchen. Bertha hatte sich wochenlang gequält, bevor sie eine Entscheidung getroffen hatte, doch sie wusste, dass es endgültig zu spät war für die Gründung einer Familie. Sie konnte sich aber beim besten Willen nicht vorstellen, weiterhin bei ihrer Mutter zu leben, sondern strebte nach etwas mehr Abstand von ihr.

Ihre überspannte Mama, die sie dennoch über alles liebte, konnte mit Geld nicht umgehen. Die hochfliegenden Träume und ihr ausufernder Lebenswandel, der ihr nur Schulden beschert hatte, waren für Bertha unerträglich geworden. Ihr restliches Leben hätte aus Lesen, Klavierspielen und Handarbeiten bestanden. Ein grauenvoller Gedanke. Die Gesellschaft verlangte, dass eine unverheiratete Frau ihres Standes in der Obhut der Mutter oder einer anderen Verwandten blieb, um nicht ihren Ruf gänzlich zu ruinieren. So hatte Bertha nur die Alternative, sich eine Anstellung zu suchen. Natürlich hatte sie keinen Beruf erlernt. Sie empfand es als große Ungerechtigkeit, dass sie als Frau die Universität nicht besuchen durfte. Dank ihres lieben Vormunds Friedrich Landgraf zu Fürstenberg hatte sie allerdings eine hervorragende Bildung erfahren, sie hatte gelesen, was ihr gefiel, spielte ausgezeichnet Klavier und beherrschte drei Fremdsprachen. Die Stelle als Gouvernante war für sie also wie geschaffen.

Die Kutsche hielt vor dem Palais Suttner in der Canovagasse, die im Herzen der Stadt lag, nur ein paar Schritte von der Ringstraße entfernt. Bertha lugte aus dem Fenster und betrachtete das herrschaftliche Gebäude. Sie wartete, bis der Kutscher die Tür öffnete, und stieg langsam die drei Stufen hinab. Dann atmete sie tief durch und sprach sich Mut zu.

Der Portier, ein groß gewachsener, dunkelhaariger Mann mit ernstem Blick und etwas hochnäsigem Gehabe, trat aus dem Palais und verbeugte sich höflich vor Bertha. „Gräfin von Kinsky, es ist mir eine Ehre, Sie im Palais Suttner begrüßen zu dürfen. Bitte, treten Sie ein!“

Bertha nickte freundlich und betrat den großen Vorsaal, der mit zahlreichen Gobelins geschmückt war. Eine angenehme Kühle strömte von den hellen Steinböden aus. Baronin von Suttner erschien im bodenlangen, dunkelblauen Kleid, im Schlepptau ihre vier Töchter. Sie musterte den Neuankömmling mit einem wohlwollenden Blick und kam lächelnd auf Bertha zu.

„Liebste Gräfin von Kinsky, es ist zu schön, Sie hier willkommen zu heißen.“

Bertha erwiderte ihr Lächeln. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Baronin.“

Die Hausherrin war trotz ihrer geschätzten fünfzig Jahre immer noch eine sehr schöne Frau mit ebenmäßigem Teint, kunstvoll hochgestecktem, dunkelblondem Haar, wertvollem Tagesschmuck und erlesener Garderobe. Bertha selbst stand als Gräfin im Rang sogar über den Suttners, doch die einfache Herkunft ihrer Mutter hatte ein Leben, wie die Baronin es führte, seit jeher verhindert.

„Ich darf Ihnen meine Töchter und die Dienerschaft vorstellen!“ Die vier Töchter reihten sich der Größe nach vor Bertha auf. „Lotti, meine Älteste, ist bereits zwanzig Jahre alt, Marianne, neunzehn, Luise ist siebzehn, und Mathilde, unsere Jüngste, hat vor Kurzem ihren fünfzehnten Geburtstag gefeiert.“ Die Mädchen knicksten der Reihe nach.

Bertha war entzückt von den hübschen Gesichtern, den zauberhaften Kleidern und dem unschuldigen Lächeln, das sie an ihre eigene Jugend erinnerte. Die Jüngste, ein zartes Geschöpf mit engelsgleichem blondem Haar, das in Wellen gelegt war, hielt eine kleine weiße Pudeldame im Arm.

„Und wer ist das?“, fragte Bertha lächelnd und kraulte den Hund hinter den Ohren.

„Das ist Amie, Madame!“, erwiderte Mathilde mit sichtbarem Stolz.

„Wir haben noch einen Hund, den Pinscher meines Gatten“, erzählte die Baronin. „Das Tier hört auf den Namen Schnapsei.“

Belustigt verzog Bertha die Lippen. „Sie haben vier ganz reizende Töchter, Baronin“, versicherte sie dann.

„Und drei erwachsene Söhne, doch die bedürfen keiner Aufsicht mehr!“ Die Dame des Hauses lachte auf, amüsiert von der Vorstellung, die jungen Männer würden von einer Gouvernante betreut.

„Drei Söhne – das ist beachtlich!“, erwiderte Bertha, um der Baronin zu schmeicheln. Sie wusste natürlich längst, dass die Familie sieben Kinder hatte. Namen, Alter und den Rang der Männer hatte sie sich vorher extra eingeprägt.

„Carl und Arthur werden Sie beim Diner kennenlernen. Richard lebt mit seiner Frau auf der Herrschaft Stöckern“, erklärte die Baronin von Suttner.

Bertha nickte. Sie wurde durch die Reihen der Bediensteten geleitet, die sie alle mit einem freundlichen Knicks oder Diener begrüßten und sich vorstellten: zwei Kammerdiener, ein Jäger, drei Kammerjungfern, zwei Stubenmädchen, eine mollige, rotbackige Köchin, das Küchenmädchen, der Kutscher und der Portier. Bertha war zu gleichen Teilen beeindruckt und eingeschüchtert, denn die Anzahl der Hausangestellten ließ den unglaublichen Reichtum der Familie erahnen.

„Kommen Sie, Gräfin Kinsky! Ich zeige Ihnen das Haus“, meinte die Baronin.

Bertha nickte und folgte ihr in den ersten Stock durch den Grünen, den Gelben und den Blauen Salon, vorbei am Schlafgemach der Baronin bis zum holzgetäfelten Arbeits- und Raucherzimmer ihres Mannes, in dem immer noch ein zarter Geruch nach Zigarren hing.

„Den ersten Stock bewohnen mein Gatte und ich, meine Töchter und ab heute auch Sie. Im Zwischengeschoss wohnen zwei meiner Söhne: Carl mit seiner jungen Ehefrau Gräfin Firmian und Arthur, mein Jüngster.“

Die Baronin führte Bertha durch die zwei Mädchenzimmer bis zu dem Raum, der ihr zugedacht war.

„Nun sind wir also am Schluss meiner Hausführung angelangt. Dieser Raum ist Ihr Schlafgemach. Ich hoffe sehr, Sie fühlen sich hier wohl. Machen Sie sich ein wenig frisch, ich schicke die Kammerjungfer, um Ihnen beim Auspacken und Umkleiden zu helfen. Bitte, finden Sie sich in einer Stunde im Blauen Salon ein. Da werden wir eine Tasse Tee zu uns nehmen und alles Weitere klären. Um fünf Uhr dinieren wir. Dann werden Sie die Herren des Hauses kennenlernen.“

Bertha nickte. „Haben Sie vielen Dank, Baronin.“

Die Hausherrin scheuchte ihre Töchter mit einer dezenten Handbewegung hinaus und zog die große, schwere Tür hinter sich zu. Bertha atmete tief durch. Sie sah sich unsicher in dem prunkvoll eingerichteten Zimmer um. Inmitten des Raumes stand ein Bett aus dunklem Mahagoniholz mit einem Himmel aus roséfarbenem, glänzendem Stoff. Vor den großen Fenstern, die viel Licht in den Raum ließen, stand ein gemütlicher gepolsterter Ohrensessel. Bertha lächelte zufrieden. Sie sank auf den Fauteuil und genoss den herrlichen Blick auf die barocke Karlskirche mit dem grünen Kuppeldach und den zwei imposanten Reliefsäulen. Dabei verdrängte sie die leisen Zweifel, die langsam in ihr hochkrochen. Bestimmt war es die richtige Entscheidung gewesen, die Stellung als Gouvernante in dieser Familie anzutreten.

Bertha wählte für den Nachmittagstee und das Diner ein weißes Kleid mit kleinen schwarzen Tupfen, einem hochgeschlossenen Kragen und einer ausladenden Schleife, die ihr Hinterteil betonte. Die Kammerjungfer half ihr in ihre Robe und befestigte das Haar mit silbernen Steckkämmen. Dann verließ sie den Raum, und Bertha betrachtete sich zufrieden im Spiegel. Ein Blick auf die Wanduhr verriet, dass gleich der Nachmittagstee serviert wurde. Etwas nervös begab sie sich zum Salon, klopfte an und öffnete die Tür.

„Ach, Gräfin Kinsky, da sind Sie ja!“, rief die Baronin erfreut. „Gesellen Sie sich zu uns! Ich hoffe, Sie haben sich gut eingefunden?“

Bertha nickte, setzte sich neben die Mädchen und lächelte. „Ja, vielen Dank.“

Eine weitere Tasse Tee wurde gebracht, die Bertha dankend entgegennahm.

Kaum hatte sie von dem heißen Getränk probiert, öffnete sich die Tür erneut, und ein junger Mann mit nach oben gezwirbeltem Schnauzbart gesellte sich zu ihnen. Er war überaus elegant und hübsch.

„Meine Damen, einen wunderschönen guten Abend!“, rief er und verteilte Luftküsschen an seine Schwestern. Dabei strahlte er eine gute Laune aus, die ansteckend wirkte.

„Arthur, was für eine Freude, dass du schon bei unserem Nachmittagstee vorbeischaust“, entgegnete die Baronin.

Der junge Mann wandte sich an Bertha. „Und Sie sind also Gräfin von Kinsky, unsere neue Gouvernante?“

Bertha erhob sich, um ihn zu begrüßen.

„Aber bitte behalten Sie doch Platz“, sagte er lächelnd.

„Sehr erfreut, Herr Baron“, erwiderte Bertha und knickste unsicher.

Arthur bedachte sie mit einem Blick, der freundlich und forschend zugleich war, bevor er sich näherte und ihre Hand hob, um einen Kuss anzudeuten.

„Meine lieben Schwestern werden sich über den Gesangsunterricht freuen. Ich hörte, Sie seien eine hervorragende Sängerin.“

Bertha senkte verlegen den Blick. „Nun ja, für eine Karriere als Opernsängerin hat es leider nicht gereicht.“

Arthur lachte. „Opernsängerin? Das haben Sie tatsächlich erwogen?“

Bertha nickte stumm. Es war ihr geheimer Traum gewesen, ihre Leidenschaft. Sie hatte etliche Jahre Gesang studiert, in Paris und auch in Mailand, doch ihren Schwärmereien von einer Karriere als Opernsängerin war ein jähes Ende gesetzt worden, als die renommierte Gesangslehrerin Madame Pauline Viardot-Garcia ihr nach einem Vorsingen schnell und schonungslos klargemacht hatte, dass ihr Talent für eine solche Laufbahn nicht ausreichen würde.

„Nun, eine Karriere als Opernsängerin ist doch recht außergewöhnlich in der höheren Gesellschaft, nicht wahr?“ Arthur lächelte durchaus anerkennend, setzte sich und wandte seine Aufmerksamkeit der Familie zu.

Während Bertha an ihrer Tasse nippte, beobachtete sie, wie Arthur seine Schwestern liebevoll neckte. Sie umgarnten ihn und schienen geradezu um seine Aufmerksamkeit zu buhlen. Bertha lächelte über die Scherze, mit denen er seine Schwestern unterhielt. Ein seltsamer Zauber umgibt ihn, dachte sie entzückt, bemühte sich aber, sich nichts anmerken zu lassen.

„Ist Papa schon zu Hause?“, erkundigte sich Arthur schließlich. An seiner Miene konnte Bertha ablesen, dass der alte Baron ihm Respekt einflößte.

„Er kommt zum Diner, ebenso wie deine beiden Brüder.“ Die Baronin wandte sich an Bertha. „Mein Sohn Arthur, liebe Gräfin, studiert Rechtswissenschaften, und wir alle fiebern seinem baldigen Abschluss entgegen.“

Arthurs Miene verfinsterte sich, und er musterte mit einem langsamen Nicken seine Mutter. „Denn der alte Herr hätte mich wohl lieber früher als später aus dem Hause!“

„Arthur!“, mahnte die Baronin, hielt sich jedoch mit weiteren Äußerungen zurück.

Arthur hob mit einem ergebenen Lächeln die Schultern.

„Wenden wir uns doch lieber unserem Gast zu, nicht wahr?“, schlug er vor. „Liebe Gräfin von Kinsky, wie sah denn Ihr Leben bislang aus?“

„Nun, ich bin in Brünn und Wien aufgewachsen und habe eine gute Ausbildung genossen“, antwortete sie verlegen.

„In einer Klosterschule, nehme ich an, wie es für Töchter aus gutem Hause üblich ist?“

„Nein, mein Vormund Landgraf von Fürstenberg zog es vor, mich von Privatlehrern unterrichten zu lassen.“

Arthur nickte anerkennend. „Oh, ebenfalls außergewöhnlich. Ein Glück, könnte man sagen.“

„Arthur“, tadelte die Baronin erneut.

„Ich bin überzeugt, meine Schwestern werden von Ihrer guten Bildung profitieren.“

„Das hoffe ich“, erwiderte Bertha etwas gelöster.

Nach etlichen Erzählungen der Mädchen und einer ersten Einführung in den strengen Tagesplan für ihre Arbeit erhob sich die Gesellschaft und folgte der Baronin in den Speisesaal. Der alte Baron von Suttner und sein ältester Sohn Carl mit Ehefrau Luise von Firmian waren bereits anwesend und begrüßten die neue Gouvernante höflich, aber mit einer gewissen Distanz.

Bertha stellte schon bald fest, dass Carl sich mit seinen konservativen Ansichten und seiner ernsten Art wesentlich vom jüngeren Arthur unterschied. Der Vater entsprach dem typischen Bild eines adeligen Hausherrn. Bertha hatte sich gewissenhaft vorbereitet und wusste, dass er ein hoch angesehener Mann war. Er hatte sich mit seiner konservativen politischen Einstellung während der Revolution 1848 einen Namen in den höchsten Kreisen gemacht, indem er, während in Wien die Kämpfe wüteten, die verängstigte Kaiserfamilie in seinem Gut Zogelsdorf aufgenommen und bewirtet hatte. Elf Jahre später hatte er sogar einen Hilfsverein für Kriegsopfer gegründet.

Während des Essens sah Arthur immer wieder verstohlen zu Bertha, zwinkerte oder lächelte ihr verschwörerisch zu. Er machte keinen Hehl daraus, dass sich seine Ansichten gänzlich von denen seines Vaters und Bruders unterschieden. Doch offensichtlich nahm ihm das niemand übel, im Gegenteil, auch die Familie ließ sich gerne von seiner guten Laune anstecken.

Als Bertha gegen elf Uhr erschöpft in ihr Zimmer zurückkehrte, machte sie sich bettfertig und ließ dabei den Abend Revue passieren. Inzwischen war sie überzeugt, dass sie sich im Hause Suttner wohlfühlen würde. Sie dachte ein wenig wehmütig an ihre Mutter, die nun alleine war und für die ihr Auszug mit Sicherheit eine ebenso große Umstellung war wie für sie selbst.

„Gute Nacht, liebe Mama“, flüsterte sie und sandte einen Kuss durch die Luft. Wenig später fiel sie in einen tiefen Schlaf.

Bertha genoss die Rolle der Lehrerin. Sie weckte die Neugierde in den Töchtern des Hauses, provozierte mit Literatur und zeigte den Mädchen Gemälde bekannter Künstler, die nicht realistisch malten, sondern in ihr Werk auch ihre Gefühle einfließen ließen. Eine neue Kunstrichtung, der Bertha viel abgewinnen konnte. Lotti, Mathilde, Marianne und Luise liebten ihre abwechslungsreichen Unterrichtsstunden und hingen an ihren Lippen. Bertha vermittelte nicht einfach Wissen, sondern verpackte den Lehrstoff in spannende Geschichten. Sie kam mit den Töchtern der Familie hervorragend zurecht und erkannte bald, dass viel Ehrgeiz und Intelligenz in ihnen steckten. Die Mädchen schätzten und respektierten sie, wie es sich gehörte, scherzten aber auch mit ihr herum wie mit einer gleichaltrigen Kameradin.

Bertha liebte vor allem die Gesangsstunden mit den Mädchen und die morgendlichen Spaziergänge im Stadtpark. Die Tage waren genau eingeteilt und wurden manchmal durch Ausflüge und Opernbesuche versüßt. Auf den Parkspaziergang folgte der obligatorische Kaffee im Arbeitszimmer des Vaters. Diese Pause nutzte dieser allerdings in erster Linie dazu, Bertha an die Verhaltensregeln und den zu vermittelnden Lernstoff zu erinnern.

Nach zwei weiteren Lernstunden gab es Mittagessen im Speisesaal und anschließend bis etwa vier Uhr Lektionen. Neben Literatur, Französisch und Englisch unterrichtete Bertha fast täglich Gesang und Musik.

Das Diner fand abends im Kreis der gesamten Familie statt. Bertha, die bislang meist nur im Beisein ihrer Mutter gegessen hatte, genoss die Gesellschaft bei Tisch. Arthur nahm zwar am Diner teil, zog sich aber häufig schon gleich nach dem Essen zurück, weil er für seine Staatsprüfung lernen musste. Allerdings kam es Bertha so vor, als seien ihm andere Dinge eigentlich wichtiger. Manchmal ertappte sie ihn beim Lauschen während ihres Musikunterrichts.

Überraschend platzte Arthur eines Abends mit einem Vorschlag heraus: „Wollen Sie nach dem Essen etwas für uns singen, Fräulein Kinsky?“ Er sah sie auffordernd an.

„Singen? Ich weiß nicht …“ Sie warf Baron Suttner einen fragenden Blick zu. Üblicherweise sangen und musizierten nur die Töchter des Hauses. Bertha begleitete sie allenfalls am Klavier. Außerdem hatte sie seit ihrer Niederlage beim Vorsingen damals nicht wieder vor Publikum gesungen.

„Aber gerne. Bitte, Gräfin Kinsky!“ Der Baron stand auf, ging in den Grünen Salon, wo ein Pianino stand, und nahm auf dem Sofa Platz. Der Rest der Familie folgte. Arthur setzte sich auf den Klavierhocker. „Die Forelle von Schubert?“

„Die Forelle … einverstanden.“

Arthur blätterte in den Noten und suchte das Lied von Franz Schubert heraus. Er hatte es offenbar unzählige Male gespielt, denn er konnte es beinahe auswendig. Bertha setzte mit kraftvoller Stimme ein. Als sie das Lied beendet hatten, klatschten die Zuhörer begeistert.

„Wunderschön, Arthur!“, schwärmte die Baronin. „Und Ihre Stimme, Gräfin Kinsky, ist es wahrlich wert, gehört zu werden.“

„Vielen Dank.“ Bertha lächelte und knickste. Als sie den Kopf hob, merkte sie, dass Arthur sie anerkennend anblickte.

„Das war sehr schön“, sagte er. „Das sollten wir öfter wagen!“

Sie erwiderte sein Lächeln, ihr Herz klopfte vor Aufregung, und ihre Wangen brannten. „Vielen Dank!“, murmelte sie und wandte sich verlegen ab.

Der unverhohlen kritische Blick von Arthurs Schwägerin Luise von Firmian ruhte auf Bertha. Die vornehme Dame, das hatte sie in der kurzen Zeit ihrer Anwesenheit bereits erkannt, umgab sich offenbar nur mit ihresgleichen. Vermutlich war ihr einiges über Berthas Vergangenheit zu Ohren gekommen, denn ihre kurzen Bemerkungen ihr gegenüber waren spitz und ablehnend. Die meiste Zeit ließ sie sich überhaupt nicht dazu herab, mit ihr zu sprechen, sondern strafte sie mit Ignoranz.

In Berthas Augen waren es vor allem Missgunst und Neid, die Luise zu ihrem abweisenden Verhalten trieben. Bereits jetzt hatte sie in ihr ihre schärfste Gegnerin im Hause erkannt und bemühte sich, ihr keine Angriffsflächen zu bieten.

Die heißen Sommertage waren in der Großstadt eine Qual, und so war Bertha erfreut, als die Baronin eines Tages einen Ausflug in die Prateralleen vorschlug. Die Mädchen reagierten eher verhalten. Es war für sie wohl nicht besonders unterhaltsam, in den Alleen mit der Kutsche auf und ab zu fahren. Als jedoch Arthur ankündigte, die jungen Damen zu begleiten, war die Begeisterung groß. Männliche Begleitung hieß, sie dürften sich frei bewegen, aussteigen, umherlaufen. Nun wurden Picknickdecken, Sonnenschirme und Spielgeräte eingepackt. Die Begleitung des Bruders versprach einen lustigen, entspannten Nachmittag.

Bertha zog sich auf ihr Zimmer zurück, um sich für das Picknick umzukleiden. Sie betrachtete sich im Spiegel, wählte einen sommerlichen Hut und setzte ihn auf ihre hochgesteckten dunklen Locken. Ihre Gedanken wanderten zu Arthur. Dann schüttelte sie den Kopf. Reiß dich zusammen, Bertha!, schalt sie sich selbst. Was hatte dieser junge Mann nur an sich, dass er es immer wieder schaffte, ihre Gedanken zu beherrschen? Sie fühlte sich in seinen Bann gezogen, zwang sich aber immer wieder, Abstand zu halten und sich nicht anmerken zu lassen, wie gut er ihr gefiel. Noch nie hatte sie so tiefe Sympathie für einen Mann empfunden. Sie verstanden sich manchmal wortlos, lachten zu den gleichen Anekdoten, liebten die gleiche Musik, teilten die große Leidenschaft für Literatur. Bertha hatte das Gefühl, als herrschte zwischen ihnen ein unausgesprochenes gegenseitiges Einverständnis. Sie hatte allerdings noch nicht herausgefunden, ob er auch in ihr eine Gleichgesinnte sah oder ob sein Verhalten nur seinem charmanten Wesen und der gebotenen Höflichkeit Frauen gegenüber geschuldet war.

Bertha seufzte, denn die Antwort war unerheblich. Es waren Hirngespinste, denn Arthur von Suttner war unerreichbar, ganz gleichgültig, ob er irgendetwas für sie empfand. Außerdem war er mehrere Jahre jünger als sie. Was sollte er schon von einer alten Jungfer wie ihr wollen? Sie griff nach ihrem Sonnenschirm, schüttelte noch einmal den Kopf, um sich von ihren Schwärmereien frei zu machen, und ging hinunter vor das Palais, wo die Kutsche bereits wartete.

Beim Ausflug setzte sie sich allein auf die Picknickdecke, statt der Baronin und ihren Töchtern zu dem kleinen, mit Schilf umwucherten Weiher zu folgen, wo Arthur mit seinen Schwestern Unsinn trieb. Sie war in einen Roman vertieft, als sie plötzlich seine Stimme hörte.

„Gräfin Kinsky, warum sitzen Sie hier so ganz allein? Haben Sie keine Lust, mit den Mädchen die Beine ins Wasser zu hängen?“

„Ach, ich bleibe lieber im Schatten“, erwiderte sie.

„Ach, kommen Sie, begleiten Sie mich ein Stück!“

„Begleiten? Wohin?“ Die Baronin erschien hinter Arthur. „Gräfin Kinsky, bitte sehen Sie nach meinen Töchtern. Ich würde gern hier im Schatten sitzen. Die Sonne tut mir nicht gut!“

Bertha sprang auf und nickte. „Natürlich, Frau Baronin. Entschuldigen Sie!“

Arthur zwinkerte ihr zu. Bertha spannte den Sonnenschirm auf und lief neben Arthur her. Er bot ihr den Arm, doch sie lehnte dankend ab.

„Meiden Sie mich?“, platzte er nach einigen Minuten vollkommen überraschend heraus.

Bertha hielt inne und sah ihn an. „Meiden? Nein, ich … warum?“

„Ich hatte so ein Gefühl“, murmelte er.

Bertha schüttelte etwas belustigt den Kopf. „Nein, aber ich denke, es wäre doch etwas unpassend, würde ich mich oft in Ihrer Nähe aufhalten, nicht wahr?“

„Ach, das denken Sie also?“ Er sah sie mit seinen hellen Augen an, lächelte verschmitzt und schob seinen Strohhut etwas tiefer in die Stirn. „Ich für meinen Teil finde Ihre Gesellschaft sehr angenehm.“

Berthas Wangen brannten, und sie senkte den Kopf noch ein wenig mehr, um ihre Verlegenheit vor Arthur zu verbergen. Schweigend ging sie neben ihm her und ignorierte ihr klopfendes Herz. Als sie zum Wasser kamen, winkten die vier Mädchen den beiden fröhlich zu, und in Bertha stieg ein Gefühl der Erleichterung auf.

„Sie haben so nette Schwestern“, sagte sie und winkte zurück. Die vier jungen Damen kicherten und tauschten geschwätzig ihre Geheimnisse aus.

„Manchmal benehmen sie sich wie kleine Kinder“, meinte Arthur lächelnd.

„Ach, lassen Sie sie nur! Die unbeschwerte Zeit ist ohnehin so kurz.“

„Ach ja?“ Er musterte sie eingehend. „Wie kommt es eigentlich, dass Sie nicht verheiratet sind, Bertha? Ich darf Sie doch Bertha nennen?“

Sie stieß einen Seufzer aus und nickte. Es hatte nicht lange geklappt mit dem Themenwechsel. Bertha räusperte sich. „Nun ja …“

„Ich meine“, fuhr er fort, nachdem sie nicht weitersprach, „ein hübsches Fräulein wie Sie, darüber hinaus klug und musikalisch …“

Bertha winkte kopfschüttelnd ab. „Sie haben meinen wunden Punkt erwischt!“, erwiderte sie und sah ihm geradewegs in die Augen.

„Das tut mir leid. Ich wollte nicht indiskret sein.“

„Aber neugierig?“

„Ja, wahrscheinlich bin ich zu neugierig.“

Sie nickte und lächelte amüsiert.

„Nun, ich denke, ich bin den Männern zu forsch, außerdem wahrscheinlich zu … belesen und zu kritisch.“

Arthur hielt inne und sah sie nachdenklich an. „Zu belesen? Was für ein Unsinn!“

„Aber nein, lieber Baron. Männer von Stand lieben Damen, die ihnen den Himmel zu Füßen legen, ohne Kritik, ohne eigene Meinung. Mangelnde Bildung und Dummheit wird Damen nicht übel genommen, nein, damit gelten sie erst recht als reizvoll, tugendhaft und keusch.“

Er schmunzelte, amüsiert von ihrem scharfen Unterton, dem es an Sarkasmus nicht mangelte. „Also, liebe Bertha, zum einen bestehe ich darauf, dass Sie mich Arthur nennen, und zum anderen: Ich gehöre nicht zu diesen Männern, die sich mit hübschen Dummchen schmücken. Ihr Wissen und Ihr Temperament sind ausgesprochen erfrischend, finde ich! Und bei Ihnen bekommt man ein hübsches Äußeres ja noch obendrein.“

Berthas Herz klopfte schneller. Mit einem zufriedenen Lächeln nahm sie zur Kenntnis, dass sie ihren Gefühlen trauen konnte und der junge Baron tatsächlich auch an ihr Gefallen fand.

„Wie gesagt, Klugheit ist eine Eigenschaft, die die meisten Männer bei einer Frau nicht schätzen. Sie wirkt eher abschreckend. Aber vielleicht sind Sie ja eine Ausnahme“, gab sie zurück.

„Es gab also bisher keinen Mann an Ihrer Seite?“

Bertha wand sich, versuchte eine ehrliche Antwort zu umgehen, doch Arthurs durchdringender Blick machte es unmöglich. „Ich war verlobt, dreimal sogar!“

„Dreimal? Sieh an!“

„Aber es hat nicht geklappt. Der erste Verlobte war schon zweiundfünfzig und ich damals erst achtzehn!“

„Ach, du liebe Güte. Da können Sie sich glücklich schätzen, meine Liebe.“

„Es wäre eine reine Geldheirat gewesen. Anfangs dachte ich, es würde mich nicht stören. Er hat mich mit Schmuck und Geschenken überhäuft. Mama wäre glücklich gewesen, aber ich … ich konnte das einfach nicht, obwohl er sehr bemüht und höflich war. Ich löste also die Verlobung und bescherte Mama einen furchtbaren Skandal. Aber mir graute vor ihm. Er war so … so alt und hatte mit mir so gar nichts gemein. Kurz gesagt: Es war einfach nicht mit meinem Gewissen vereinbar, jemanden zu heiraten, den ich nicht liebte.“

„Das spricht für Sie.“

Sie zuckte mit den Schultern. „Der zweite war ein Reinfall“, fuhr sie fort. „Er verschwand mitsamt seinem Vater von einem Tag auf den anderen. Das war natürlich wieder ein Skandal. Offensichtlich war er nur an Geld interessiert. Als er herausfand, dass wir nichts hatten, war er verschwunden.“

„Das tut mir leid“, entgegnete Arthur.

„Das muss es nicht. Ich habe diesen Mann auch gar nicht geliebt.“

Überrascht hob Arthur die Augenbrauen. „Und der dritte Verlobte?“

Bertha schwieg einen Moment. Ihr Blick wanderte in die Ferne. „Den habe ich geliebt. Zumindest habe ich das gedacht, bevor …“ Im gleichen Moment errötete sie. Diese Äußerung war zu unüberlegt und plötzlich über ihre Lippen gehuscht. Bertha erinnerte sich an die quälenden Stunden der Sehnsucht.

„Aber …?“, fragte Arthur vorsichtig.

„Er ist verstorben, auf einer Überfahrt nach Amerika.“

„Oh … wie bedauerlich.“

„Wahrscheinlich hätte die Beziehung ohnehin nicht geklappt, denn sein Vater war strikt gegen eine Heirat.“

„Sie hatten also nicht viel Glück mit den Männern, bislang, liebe Bertha.“

„Nein.“

Er lächelte aufmunternd. „Sie sind noch jung, und was nicht ist, kann ja noch werden.“

Bertha nickte, enthielt sich aber jeden Kommentars. Sie wusste, dass sie nicht mehr jung war und dass ihre Chancen, in ihrer Position als Gouvernante einen Mann kennenzulernen, nicht sonderlich groß waren. Jeden Tag verbrachte sie bei den Suttners. Für privates Vergnügen war kein Platz. Dennoch hatte Arthur die Worte mit tiefer Überzeugung ausgesprochen, keineswegs spöttisch oder überfürsorglich.

Arthur war ein besonderer Mensch, bei dem die Sonne aufging, wenn er den Raum betrat, ohne dass er auch nur ein einziges Wort gesagt hätte. Darüber hinaus war er charismatisch, klug und musikalisch – doch leider für Bertha unerreichbar.

Am nächsten Abend fand Bertha eine weiße Rose auf ihrem Kopfkissen. Sie suchte neugierig nach einer Nachricht, doch es gab keinen Hinweis, kein Wort, was es damit auf sich hatte. Bertha hielt die Blume an ihre Nase und sog den Duft ein. Sie ahnte natürlich längst, dass der Gruß von Arthur stammte. Bei dem Gedanken an ihn errötete sie. Seufzend steckte sie die Rose in eine kleine Blumenvase und betrachtete sie nachdenklich. Sie musste ihn konfrontieren und ihm klarmachen, dass jede Anstrengung um sie keinen Erfolg haben würde. Bertha würde mit einer Affäre oder gar einer Liebesbeziehung nicht nur ihren Ruf, sondern auch ihre Stelle gefährden, denn mit Sicherheit würde die Baronin sie niemals an der Seite ihres Sohnes akzeptieren. Diesen Skandal konnte sie auch ihrer Mutter nicht zumuten.

Sie machte sich frisch und ging mit dem festen Vorsatz, Arthur reinen Wein einzuschenken, hinunter. Als sie den Speisesaal betrat, klopfte ihr Herz schneller als sonst. Sie rieb ihre feuchten Hände aneinander und hielt den Blick gesenkt, weil sie befürchtete, ihre Gefühle wären so lesbar wie ein offenes Buch.

„Sie sind etwas spät, Gräfin Kinsky“, stellte die Baronin mit leichter Verärgerung in der Stimme fest.

„Vielleicht wäre es ohnehin angebracht, dass das Personal nicht mit uns am Tisch diniert“, warf plötzlich Arthurs Bruder Carl ein.

Bertha stockte und blickte unsicher von ihm zu seiner jungen Frau, die sie mit gespitzten Lippen und überheblichem Blick musterte. Sie wirkte zufrieden, so als hätte ihr Mann ihre Gedanken vorgetragen.

„Carl, ich bitte dich!“ Die Baronin schüttelte den Kopf. „Schließlich ist unsere Gouvernante eine Gräfin. Ich werde sie nicht mit dem Personal im Keller dinieren lassen. So weit kommt es noch. Bitte, entschuldigen Sie meinen Sohn, er meint es nicht so. Und nun setzen Sie sich, damit wir endlich mit dem Diner beginnen können.“

Carl schwieg und blickte Bertha finster an. Hilfe suchend sah sie sich im Raum nach Arthur um, doch sein Stuhl war leer. Sie wagte nicht, nach seinem Verbleib zu fragen, und setzte sich. Das Abendessen nahm die Familie schweigend zu sich. Es war wie eine Erlösung, als Lotti beim Dessert endlich die Stille durchbrach. „Wann kommt denn Arthur wieder?“

„Arthur ist in Salzburg, um sich seinen Studien zu widmen“, entgegnete Carl scharf.

„Dein großer Bruder kommt in ein paar Wochen wieder. Er hat einige schwierige Examina zu schreiben, meine Liebe, und braucht Ruhe, um sich vorzubereiten. Er lernt mit seinem Studienkollegen, der in Salzburg ein Palais bewohnt. Da hat er mehr Ruhe“, ergänzte die Baronin in sanftem Ton.

Bertha erhob sich und wünschte eine angenehme Nachtruhe. Beim Hinaufgehen hörte sie eine lautstarke Diskussion zwischen den Eltern und Carl. Es ging um Arthur, der in Carls Augen ein Tunichtgut war und das Familiengeld verschwendete. Sie widerstand der Versuchung zu lauschen und ging in ihr Zimmer. Die Rose war also ein Abschiedsgruß, stellte sie traurig fest. Warum hatte er ihr nicht persönlich Lebewohl gesagt?

Die drei Töchter des Hauses lachten ausgelassen, Lotti sprang auf den Sessel, einen Zeigestab in den Händen, den sie als Degen verwendete.

„Zieht, wenn ihr Männer seid! Gregorio, das war eine Ohrfeige, die du nicht einstecken musst!“ Sie trug ihre Rolle mit Überzeugung und Inbrunst vor und erntete von den Schwestern lauten Applaus.

„Wie? Du ziehst deinen Degen gegen diese verzagten Hasen? Kehre dich um, Benvolio, und sieh deinen Tod an!“, konterte Mathilde, die Jüngste, mit ebenso viel Begeisterung.

„Bravo, Mathilde, bravo!“, rief Bertha und klatschte.

„Was ist hier los?“ Luise stand in der Tür und betrachtete das Treiben mit aufgerissenen Augen.

„Shakespeare!“, antwortete Lotti mit Stolz in der Stimme und sprang vom Sessel.

„Lotti, um Gottes willen! Dieses Benehmen ziemt sich wirklich nicht für eine Dame.“

„Aber liebe Schwägerin, wir nehmen Weltliteratur durch!“, antwortete sie überzeugt.

„Was soll das sein? Literatur? Eher ein billiges Schmierentheater.“

„Aber nein, geschätzte Gräfin, wir üben Shakespeare“, entgegnete Bertha.

„Shakespeare?“

„Romeo und Julia ist ein tragisches Theaterstück, für das sich Tausende Menschen begeistern“, fuhr Bertha fort.

„Dann lesen Sie das Stück um Himmels willen, und bringen Sie den Schwestern meines Mannes nicht solches Betragen bei!“

„Ich finde Shakespeare wunderbar“, verteidigte Mathilde ihre Lehrerin.

„Wisch dir die Schminke aus dem Gesicht. Du bist eine Dame!“, entgegnete Luise streng und reichte ihrer Schwägerin ein Stofftaschentuch, damit sie sich den aufgemalten Schnauzbart abwischen konnte.

Bertha senkte betreten den Kopf. Luise von Firmian wandte sich brüsk um und verließ den Raum. Die Mädchen kicherten, doch Bertha fühlte sich angegriffen. Was sie auch unternahm, um die Liebe zur Literatur bei den Mädchen zu wecken – Carls Ehefrau fand an ihren Unterrichtsmethoden immer etwas auszusetzen.

Nach diesem Zwischenfall erwartete Bertha eine Rüge der Baronin, und in der Tat wurde sie noch am selben Abend alleine in den Salon gebeten.

„Liebe Gräfin, Luise hat ihre Sorge über Ihren Unterricht geäußert. Sie meinte, Sie würden meine Töchter zu einem unmöglichen, undamenhaften Betragen verleiten.“

„Das tut mir sehr leid, Frau Baronin. Das war bestimmt nicht meine Absicht. Sehen Sie, wir haben ein kleines Theaterstück aufgeführt. In meiner Jugend hatte ich sehr viel Spaß an kleinen Rollenspielen. So wecke ich bei Ihren Töchtern die Begeisterung für Weltliteratur.“

„Hm.“ Die Baronin schürzte nachdenklich die Lippen. „Nun, dann bitte ich Sie, nicht zu übertreiben. Wir wollen doch am Boden bleiben.“

Bertha nickte erleichtert. Innerlich tobte sie und hätte sich am liebsten mit Luise persönlich auseinandergesetzt, für die sich Bildung offenbar auf das Lesen der Heiligen Schrift beschränkte.

Bertha fühlte sich durch Gräfin Firmians Kritik eher beflügelt und beschloss, unbeirrt, wenn auch etwas vorsichtiger, ihre Unterrichtsmethoden fortzuführen. Für die nächste Stunde wählte sie das „Heideröslein“ von Goethe aus und freute sich bereits auf die dramatische Liebesgeschichte des Dichters zu der Pfarrerstochter, an die das Gedicht gerichtet war. Mädchen in jugendlichem Alter brannten für Liebesgeschichten und tragische Romanzen. Als sie inmitten der Vorbereitungen war, klopfte es an die Tür.

„Herein!“, rief sie.

Arthur trat ein. Bertha hatte ihn seit Wochen nicht mehr gesehen, und die Zeit hatte eine gewisse Distanz zwischen ihnen geschaffen.

„Ich habe mich so auf Sie gefreut, liebe Bertha“, sagte Arthur zur Begrüßung.

Sie schwieg verlegen.

„Dieser trockene Lernstoff ist nichts für mich, Ihre Gesellschaft ist da viel unterhaltsamer“, fuhr er fort.

Bertha beschloss, lieber nicht auf sein Kompliment zu reagieren. „Ähm … Wie liefen denn Ihre Examina?“

Er wandte sich ab und stieß einen Seufzer aus, der alles sagte. „Mein Vater wird toben, und Carl wird sich bestätigt fühlen. Ich habe immer gesagt, dass ich nicht zum Rechtsanwalt tauge.“

„Aber Sie sind klug und können es doch noch einmal versuchen.“

Er lächelte gerührt. „Ich liebe die Kunst, die Musik, die Literatur! Wissen, Sie, Carl ist ein Dummkopf. Mit ihm kann man nur über den Kaiser und den Krieg sprechen, für andere Themen hat er nichts übrig.“

„Es scheint, als hätte er auch für mich nichts übrig.“

„Was kümmert Sie das, Bertha? Carl hofft, dass man beim Abendessen weder über Malerei noch über Schriftstellerei spricht und dass das Thema Frauenrechte erst gar nicht aufs Tapet gebracht wird. Wenn Sie mich fragen, ist er ein starrköpfiger Banause, der es nicht erträgt, dass mich meine Mutter trotz meiner abweichenden Ansichten schätzt.“

Bertha schwieg beeindruckt. Es war das erste Mal, dass sie einen Mann über Frauenrechte sprechen hörte. In gehobenen Kreisen war das Wort an sich bereits aufrührerisch. Sie fühlte sich durch seine Worte bestätigt, auch wenn sie sich niemals offen so hart über den Sohn der Baronin geäußert hätte.

„Wollen wir morgen einen Spaziergang unternehmen – vielleicht durch die Praterauen und danach zum Lusthäuschen? Es soll dort ganz hervorragenden Tafelspitz geben“, schlug er vor.

„Ich weiß nicht, ob … ob sich das gehört. Ich bin eine Angestellte des Hauses.“

Er nickte, trat einen Schritt auf sie zu und sah sie auffordernd an. „Davon mal abgesehen: Hätten Sie dazu Lust?“

Bertha hob ihren Blick und sah in seine leuchtenden Augen. Obwohl alles in ihr rief, es nicht zu tun, nickte sie und vereinbarte ein geheimes Treffen am darauffolgenden Tag.

Bertha hatte das Haus diskret und unbeobachtet verlassen und stieg nun in die Kutsche. „Zum Wiener Lusthaus, bitte!“

„Gewiss, Frau Gräfin!“, antwortete der Kutscher höflich. Sollte er verwundert sein, so ließ er sich zumindest nichts anmerken.

Der hübsche Pavillon, der einem winzigen Schlösschen ähnelte, befand sich am Ende der fast fünf Kilometer langen Wiener Hauptallee, die am Volksprater vorbeiführte, der von den Wienern allerdings immer noch liebevoll „Wurstlprater“ genannt wurde. Während die Kutsche über den von Kastanien gesäumten breiten Weg fuhr, richtete Bertha ihren Blick nach draußen. Ihr Herz klopfte vor Aufregung. Sie passierten die große Rotunde, das riesige, kreisrunde Ausstellungsgebäude, das vor zwei Jahren im Rahmen der Weltausstellung im Prater erbaut worden war. Je weiter die Kutsche auf der Allee vorankam, umso grüner wurde die Umgebung. Die saftigen, weiten Wiesen und die angrenzenden Wäldchen, durchzogen von schmalen Bächen, zauberten eine wunderbare Oase inmitten der Stadt. Bertha liebte die Praterauen, und sie wusste auch, dass besonders das Wäldchen hinter dem Lusthaus, das Arthur für ihr Rendezvous vorgeschlagen hatte, ein beliebter Treffpunkt für Liebespaare war. Umso nervöser machte sie der Gedanke an ihre bevorstehende Begegnung.

Am Lusthäuschen hielt die Kutsche an. Bertha stieg aus, spannte ihren Sonnenschirm auf und spazierte allein in das angrenzende Waldstück. Die tief stehende Septembersonne leuchtete durch die herbstlich gefärbten Blätter. Es roch nach Moos und feuchtem Holz. Sie lehnte sich an eine mächtige Eiche, blickte in die gelb leuchtende Krone und schloss die Augen.

„Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten, mein Fräulein?“

Sie hatte ihn gar nicht kommen hören. Arthur trug einen hellen Sommeranzug und dazu seinen Strohhut. Und er sah unverschämt gut aus. Mit einer raschen Handbewegung zauberte er eine kleine Packung Konfekt hervor. „Etwas Süßes aus Salzburg.“

„Oh, Arthur! Sie wollen wohl, dass ich meinem Spitznamen gerecht werde?“

Er sah sie fragend an. „Ich verstehe nicht? Welcher Spitzname?“

Sie errötete. „Boulotte, das ist Französisch und bedeutet ›Pummelchen‹. Diesen Namen haben sich Ihre Schwestern ausgedacht.“

Er hob die Augenbrauen und riss sich kurz zusammen, bevor er in Gelächter ausbrach.

„Das ist nicht sehr nett, Arthur.“

Vorsichtig hob er die Hand, um ihr eine lose Strähne hinters Ohr zu stecken. „Dieser Spitzname ist ebenso entzückend wie Sie selbst, Bertha.“

Er neigte den Kopf und seufzte. „Sie müssen wissen, dass ich Sie nicht mehr aus meinen Gedanken bekomme. Sie sind einfach hinreißend.“

Bertha versuchte seinem Blick auszuweichen. „Aber Arthur …“

„Sie sind die erste Frau, die mir Paroli bietet, gebildet und zugleich wunderschön ist. Ich kann mit diesen hübschen, geistlosen Geschöpfen, die mir meine Mutter laufend vorstellt, einfach nichts anfangen.“ Er wartete einige Sekunden und legte schließlich die Hand auf ihre Wange.

Sie schob ihn sanft von sich.

Gekränkt ließ er von ihr ab. „Verzeihung! Ich dachte, Ihnen ginge es möglicherweise genauso. Wie dumm von mir.“ Er machte einige Schritte rückwärts. Auf seinem Gesicht stand tiefe Enttäuschung.

Beherzt nahm Bertha ihren Mut zusammen und sah ihn an. „Mir geht es doch genauso wie Ihnen, Arthur. Aber ich habe Angst um meine Anstellung und meinen Ruf. Sie wissen doch, dass eine Beziehung keine Zukunft hätte.“

Seine Augen leuchteten vor Zuneigung, als er ihre Worte hörte. Er näherte sich ihr wieder und nahm zärtlich ihre Hand. „Für den Anfang muss es keiner mitbekommen, und dann finden wir eine Lösung. Die Gesellschaft wird lernen, es zu akzeptieren.“

Sie lächelte vorsichtig. Ganz langsam näherte er sich ihrem Gesicht, küsste erst ihre Wange, ihre Augen und berührte schließlich ganz zart ihre Lippen.

„Arthur, was tust du?“, murmelte sie verwirrt.

Seine Augen musterten sie intensiv, als versuchte er, in ihnen zu lesen. Es fühlte sich so schön an, aber durfte sie es wirklich zulassen? Wie sollte das alles enden?

„Ich glaube, ich bin dir verfallen!“, flüsterte Arthur und legte seine Hände um ihre Taille.

Bertha überkam ein heftiges Verlangen. Seufzend gab sie ihren Widerstand auf, zog ihn noch enger an sich und hauchte mit einem Lächeln auf den Lippen: „Dann küssen Sie mich noch einmal, Herr Baron!“

Mit geröteten Wangen und unsicherem Blick nahm Bertha an dem edel gedeckten Tisch im Wiener Lusthaus Platz. Sie tauschte vertrauensvolle Blicke mit Arthur und bemühte sich, ihre aufgewühlten Gedanken zu verbergen.

„Den herrlichen Tafelspitz müssen Sie probieren, liebe Gräfin!“, lächelte Arthur mit einem Zwinkern. Hier in Gesellschaft waren die beiden wieder auf das formelle „Sie“ umgestiegen, doch Bertha fürchtete, dass ihre gegenseitige Zuneigung so offen wie ein Buch vor den Blicken der gehobenen Gesellschaft lag. Das Sonnenlicht fiel auf die grün tapezierten Wände, funkelte in den üppigen Kronleuchtern und brachte Arthurs Augen noch mehr zum Leuchten. Bertha war so aufgeregt, dass sie keinen Appetit verspürte und verlegen in dem wenig später servierten Rindfleisch herumstocherte.

„Sei nicht aufgeregt! Alles wird gut gehen“, flüsterte Arthur mit einem Lächeln auf den Lippen.

Er bestellte nach dem Tafelspitz noch einen warmen Apfelstrudel und eine Melange und verzog bei jedem Bissen schwärmerisch den Mund. „Köstlich! Wollen Sie nicht doch ein Stückchen kosten?“

Bertha winkte lächelnd ab. In ihr tobten das schlechte Gewissen und die Befürchtung, alles zu verderben, ihre Zukunft zu gefährden. Was tat sie hier nur? Doch als sie in sein Gesicht sah und sein zuversichtliches Lächeln bemerkte, schob sie jeden Zweifel beiseite. Vielleicht war dieser Mann die Liebe, auf die sie so lange gewartet hatte. Er war es auf jeden Fall wert, ein Risiko einzugehen.

Von diesem Tag an fühlte sich Bertha so beflügelt, als schwebte sie hundert Meter über dem Boden. Ein Versteckspiel begann, das für sie beide ebenso wunderbar wie quälend war. Sie küssten sich in den seltenen Augenblicken, in denen sie sich unbeobachtet glaubten, heimlich, in Nebenzimmern. Dabei empfanden sie ein unbeschreibliches Glück, das nur ihnen gehörte. Zugleich mussten sie ständig darauf achten, in der Öffentlichkeit keine verdächtigen Blicke zu wechseln oder mehr Zeit miteinander zu verbringen, als es sich ziemte.

Die Sonntage zählten zu den wenigen freien Tagen, die Bertha während ihrer Anstellung im Palais Suttner hatte. Ab und zu reiste ihre Mutter aus dem fernen Görz an. Gemeinsam schlenderten sie über den belebten Ringstraßenkorso, eine Flaniermeile im Zentrum der Stadt, wo betuchte Herrschaften den Sonntagvormittag verbrachten. Bertha liebte die prachtvollen Palais, die sich hier aneinanderreihten, die Kaffeesieder, aus deren Läden es nach gerösteten Bohnen duftete, die blühenden Kastanienbäume, die an heißen Tagen Schatten spendeten. Mit ihrer Mutter schwelgte Bertha in Erinnerungen, sie warfen bewundernde Blicke in die Fenster der neuen Modesalons und Kunstateliers und beendeten den Spaziergang regelmäßig mit einer Tasse Melange und einem Stück Torte im Kaffeehaus Demel.

„Du wirkst heute so abwesend, ja, beinahe traurig, mein liebes Kind“, fragte die Mutter eines Sonntags. „Geht es dir nicht gut?“

Bertha schob seufzend ein Stück Malakofftorte in den Mund. Sie konnte ihre Gefühle und Sorgen nur schlecht vor den Augen ihrer Mutter verbergen. „Ich … kann darüber nicht sprechen, Mama.“

„Du kannst mir doch alles sagen, Bertha. Das weißt du.“

Bertha senkte den Blick und rührte gedankenverloren in ihrer Tasse.

„Ach, du liebe Güte! Wie heißt er?“

Entsetzt starrte Bertha ihre Mutter an. „Was meinst du, Mama?“

„Ich kenne diesen Blick, liebes Kind. Du bist verliebt.“

Schamesröte schoss Bertha ins Gesicht, während sie versuchte, dem forschenden Blick ihrer Mutter auszuweichen. „Es ist kompliziert.“

„Wer ist es?“

„Mama, du musst mir versprechen, mit niemandem darüber zu reden. Mit niemandem!“

„Versprochen.“

„Es ist Arthur von Suttner, der Sohn der Baronin.“

„Ach, du liebe Güte! Das wird die Baronin nicht zulassen, so sehr sie deine Arbeit auch schätzt. Du kennst die hohe Gesellschaft.“

„Ja, ich weiß. Aber er ist so … so anders als alle anderen Männer, die ich bisher kennengelernt habe. Er interessiert sich für Literatur und Musik, er spielt Klavier, er liebt die Natur …“

„Liebt er dich denn ebenso wie du ihn?“, wollte Berthas Mutter wissen.

„Ich weiß es nicht, aber ich glaube schon.“

„Du lagst schon häufig falsch, Bertha.“

„Mama, bitte erspar mir die Vorwürfe. Ich weiß ohnehin nicht, was ich tun soll.“

„Ach, Bertha! Du bist eine so kluge, hübsche Frau. Ich war von Anfang an gegen deine Entscheidung, bei den Suttners zu arbeiten. Wärst du nur bei mir geblieben.“

Bertha lächelte liebevoll. „Auch dann wäre ich nicht glücklich, Mama. Vielleicht haben wir ja eine Chance … irgendwann.“

Bertha war durch Arthurs Zuspruch motiviert, den Töchtern mehr Werke der Kunst und Literatur nahezubringen und sie auch kritisch zu betrachten. Als der Herbst nahte, begann sie mit den Mädchen den Roman Der scharlachrote Buchstabe zu lesen. Mit Rührung und Begeisterung bemerkte sie, wie tief Arthurs Schwestern in die Geschichte eintauchten und mitlitten. Das ging so weit, dass Mathilde an einem Nachmittag bittere Tränen weinte, als sie las, wie die Ehebrecherin Hester Prynne von dem Dorf dazu verurteilt wurde, ein scharlachrotes A auf der Brust zu tragen, um ihre Schande offen zur Schau zu stellen.

„Meine Schwägerin hat weinend das Studierzimmer verlassen, Gräfin Kinsky. Was haben Sie dazu zu sagen?“ Luise von Firmian hatte vor Berthas Zimmertür gewartet und sie abgepasst, bevor sie zum Essen hinuntergehen und sich eventuelle Unterstützung durch den Rest der Familie holen konnte.

Bertha stöhnte verärgert. „Mathilde nimmt sich einiges eben sehr zu Herzen. Sie ist sensibel.“

„Sensibel? Aha! Worum ging es?“

„Ich weiß nicht, ob ich verpflichtet bin, meinen Unterricht mit Ihnen zu besprechen, Frau Gräfin.“ Bertha atmete tief durch. Endlich hatte sie offen ausgesprochen, was sie seit Monaten störte.

„Worum ging es?“, wiederholte Luise streng.

„Unsere derzeitige Lektüre ist Der scharlachrote Buchstabe von Nathaniel Hawthorne“, antwortete Bertha gelassen.

„Aha!“ Luise nickte, als sähe sie ihre ärgsten Befürchtungen bestätigt. „Sie finden es also richtig, den Schwestern meines Mannes die Geschichte einer Ehebrecherin nahezubringen und diese Person wahrscheinlich auch noch zu verteidigen?“

„Verehrte Gräfin, die Botschaft des Romans lautet, dass wir Menschen häufig zu schnell verurteilen, ohne den wahren Hintergrund zu kennen.“

„Ich habe den Roman zwar nicht gelesen, weiß aber sehr wohl, worum es darin geht. Daher kann ich mir nur zu gut vorstellen, dass Sie das Verhalten der Protagonistin verteidigen – was bei Ihrer Vergangenheit ja auch kein Wunder wäre.“

„Wie bitte?“ Bertha stützte empört die Hände in die Hüften.

„Wie ich hörte, sind Sie den Männern nicht abgeneigt. Für mehr als kurze Affären hat es dann aber offenbar nicht gereicht. Woran das wohl liegen mag?“

Entsetzt starrte Bertha Arthurs Schwägerin an. Wusste sie etwas? Hatte sie womöglich beobachtet, wie sie ihren Liebsten geküsst hatte? Rasch ließ sie die letzten Tage Revue passieren. Am Wochenende hatten sie sich wieder in den Praterauen getroffen, da war aber ganz sicher niemand in der Nähe gewesen, und am Vortag hatte Arthur sie in ihrem Zimmer besucht, aber nur ganz kurz …

„Ich denke, Sie sind falsch unterrichtet, abgesehen davon, geht Sie das nun wirklich nichts an!“ Bertha rauschte, ohne eine Erwiderung abzuwarten, an Luise vorbei. Sie kochte vor Wut. Noch am selben Abend berichtete sie Arthur unter Tränen von den anmaßenden Anschuldigungen seiner Schwägerin.

„Nun nimm dir das doch nicht zu Herzen. Das ist reine Eifersucht. Luise wird von meinen Schwestern kaum zur Kenntnis genommen, dich hingegen verehren sie. Vielleicht wäre sie selbst gern so wie du.“

„Ach, Arthur!“

„Manchmal ist es nicht einfach, zu seinen Ansichten zu stehen. Aber wenn das jemand kann, dann bist du das.“ Er sah sich um und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Du bist genau so, wie ich mir eine Frau erträume, und nun schlaf gut!“, flüsterte er und verschwand.

Arthur war ihr Retter in der Not, ihr Freund, ihr liebster Gesprächspartner. Manchmal lachten sie ausgelassen, an anderen Tagen diskutierten sie voller Ernst über Literatur wie Harriet Beecher Stowes Roman Onkel Toms Hütte oder Victor Hugos Werk Die Elenden. Dabei entdeckte sie mit Freude, dass sich ihre Ansichten mit seinen deckten. Er gab ihr das Gefühl, gleichberechtigt neben ihm zu stehen. Seine Sanftheit und seine Klugheit waren alles, was sie sich von einem treuen Freund und einem Geliebten je erträumt hatte. Arthur war beides in einer Person.

Die Leidenschaft brannte in ihr, und sie nutzte jede Gelegenheit, ihn zu berühren. In den kurzen Momenten ihrer Zweisamkeit umarmten und küssten sie sich, doch an manchen Nachmittagen gingen sie weiter, er streichelte sie behutsam an Stellen ihres Körpers, die nie ein Mann vor ihm berührt hatte. Mehr wagten sie aber nicht.

Die Herbstsonne schien warm auf die sanften Hügel der niederösterreichischen Landschaft und brachte die Blätter und Trauben der Weinreben zum Leuchten, die in regelmäßigen Abständen neben der Straße gepflanzt waren. Bertha quälte das schlechte Gewissen. Sie hatte vorgegeben, zu Bekannten zu fahren, während Arthur behauptet hatte, er wolle seinen Freund in Salzburg besuchen. Tatsächlich saßen sie eng aneinandergeschmiegt in einer Kutsche und entflohen den wachsamen Blicken der Familie. Ein ganzer Tag zu zweit, ohne die Angst davor, entdeckt zu werden. Seit zwei Jahren gehörten das tägliche Versteckspiel, die heimlichen Küsse und die vielsagenden Blicke nun schon zu ihrem Leben.

„Ich habe Wein und Kuchen mitgebracht!“ Arthur wies auf einen Picknickkorb.

Bertha seufzte. „Wie lange werden wir noch so weitermachen?“

„Ich bin jederzeit bereit, zu unserer Liebe zu stehen, meine Liebste! Zweifelst du etwa daran?“

„Nein, ich …“ Sie stöhnte. „Mir fehlt einfach der Mut. Deine Mutter wäre entsetzt.“

„Lass uns nicht über meine Mutter sprechen. Wir haben nur diesen einen Tag, und er gehört uns allein.“

Sie lächelte bitter. Die Kutsche brachte sie in einen beschaulichen Ort an der Donau, etwa eine Stunde von Wien entfernt. Arthur wies auf einen Hügel, auf dem eine Ruine stand. „Auf der Burg Dürnstein wurde Richard Löwenherz einst gefangen gehalten. Es ist wunderschön da oben. Ein herrlicher Blick auf die Donau und kein Mensch weit und breit.“ Er zwinkerte ihr zu.

Die Kutsche hielt unten im Ort, und sie stiegen aus. Bertha folgte Arthur auf einen schmalen Pfad, der den Hügel hinaufführte. Oben angekommen, ließ sie sich mit geröteten Wangen und schmerzenden Füßen auf der Picknickdecke nieder, die Arthur ausgebreitet hatte.

„Was für ein Marsch! Meine Füße fühlen sich an, als wäre ich den ganzen Tag gelaufen.“ Sie fächelte sich mit beiden Händen kühle Luft zu.

Arthur strich ihr eine Locke hinters Ohr. „Ein Paradies – und es gehört nur uns.“ Liebevoll sah er sie an und zog sie dann in seine Arme.

Er war behutsam, zärtlich und stürmisch zugleich, und er ging weiter, als er es je gewagt hatte.

Berthas Wangen waren gerötet, ihr Haar zerwühlt. Sie war verunsichert, doch zugleich begehrte sie ihn wie nie zuvor. „Liebe mich!“, flüsterte sie.

Er lächelte und öffnete langsam Knopf für Knopf ihrer Bluse. Ein Seufzer entfuhr ihrer Brust. Sie schloss die Augen und genoss jede Sekunde. In diesem Moment wusste sie, dass sie nie einen anderen Mann so lieben würde wie ihn.

„Ich muss zurück!“, seufzte sie später und strich ihm über die Brust.

„Wie fühlst du dich?“, fragte Arthur.

„Ich wusste nicht, dass es so … so …“

Er lächelte. „Was?“

Sie errötete. „Nun, dass es so sein kann zwischen Mann und Frau.“ Im selben Moment kam sie sich albern vor. Sie setzte sich auf und kleidete sich an.

Er ließ sich auf den Bauch rollen und stöhnte laut. „Nein, noch nicht!“

„Aber Arthur, ich muss am Abend wieder in Wien sein.“

„Bertha, du bringst mich um den Verstand! Wie soll ich nur einen Tag meines Lebens ohne dich sein!“

Sie zog einen kleinen Spiegel aus ihrer Tasche und steckte ihr Haar zurecht. „Mein Gott, ich sehe aus wie ein zerrupftes Huhn.“

„Du siehst wunderschön aus, Bertha.“

Sie sah ihn liebevoll an. „Nun beeil dich schon, Arthur! Deine Mutter darf nichts merken.“

„Wir sagen es ihr einfach. Warum nicht? Sie mag dich.“

„Arthur, sie schätzt mich als Angestellte des Hauses, doch eine Verbindung zwischen uns würde sie niemals akzeptieren.“

„Wer weiß, einen Versuch ist es wert.“

Bertha schüttelte den Kopf über seine Naivität. In den zwei Jahren, die sie nun schon bei der Familie Suttner lebte, hatte sie die Baronin gut genug kennengelernt, um sie in diesem Punkt einschätzen zu können. Doch sie schwieg, um Arthurs gute Laune nicht zu trüben. Obwohl sie diesen Moment der vollkommenen Intimität seit Monaten herbeigesehnt und genossen hatte, wusste sie, dass ab dem heutigen Tag alles nur noch schwieriger werden würde.

Eva Grübl

Über Eva Grübl

Biografie

Eva Grübl-Widmann wurde 1971 in Wien geboren. Sie studierte Grundschullehramt und Gehörlosenpädagogik. Nach langjährigem Auslandsaufenthalt in Stockholm und Mailand, lebt sie heute mit ihrer Familie wieder in Österreich und unterrichtet an einem Kompetenzzentrum für hörbeeinträchtigte Kinder. Ihre...

Die historischen Hintergründe zu Berta von Suttner

Bertha von Suttner, die österreichische Pazifistin, Friedensforscherin und Schriftstellerin wurde 1905 als erste Frau mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Ihr Leben lang führte Bertha von Suttner den scheinbar aussichtslosen Kampf für Abrüstung und Frieden. In Briefen ermutigte sie ihren Freund Alfred Nobel unermüdlich, eine Stiftung für den Frieden zu gründen, was er in seinem Testament tatsächlich festlegte.

Bertha von Suttner allerdings wurde gegen Nobels Willen zunächst nicht ausgezeichnet. Erst 1905 erhielt sie den Friedensnobelpreis für ihr Werk „Die Waffen nieder“. Vier Jahre hatte die Jury sich geweigert, eine Frau auszuzeichnen.

Bertha von Suttner reiste im Jahr 1876 wegen ihres skandalträchtigen Verhältnisses mit Arthur von Suttner nach Paris, um dort eine Stellung als Sekretärin bei Alfred Nobel anzunehmen. Bertha von Suttners lange Freundschaft zu Alfred Nobel ist durch eine erhalten gebliebene Briefsammlung belegt und dokumentiert. Die Beziehung der beiden war von tiefer Zuneigung, intellektuellen Gesprächen und Diskussionen über Krieg und Frieden geprägt.

Obwohl Alfred Nobel als Erfinder des Dynamits weltberühmt wurde, inspirierte ihn Bertha von Suttner mit ihrem lebenslangen Kampf für den Frieden dazu, einen Preis zu stiften, der neben herausragenden Leistungen auch die internationale Friedensarbeit belohnt – den Nobelpreis. Nachdem Bertha von Suttner bei der Verleihung des Friedensnobelpreises mehrere Jahre leer ausgegangen war, wurde sie erst 1905 für ihr Lebenswerk mit der langersehnten Auszeichnung bedacht.

Eine weitere sehr prägende Phase in Bertha von Suttners Leben waren die Jahre nach Paris, die sie in eher bescheidenen Verhältnissen mit ihrem Mann im Kaukasus verbrachte. In dem orientalischen Land machte sie erste Bekanntschaft mit dem Krieg, genauer dem Russisch-Osmanischen Krieg, und seinen furchtbaren Folgen für die Menschen. Hier entdeckte sie auch ihre Liebe für den Frieden und ihre Begeisterung für das Schreiben. Die Waffen nieder! war nur einer von über zwanzig Romanen der Autorin. Lediglich ein Verlag erklärte sich nach langer Suche bereit, den Roman, der mit für damalige Verhältnisse ausgesprochener Härte und Kritik gegen den Krieg, die Aristokratie und die damals vorherrschende Gesellschaftsordnung anging, zu veröffentlichen.

Das Buch wurde ein herausragender Erfolg und gilt heute neben Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues zu den wichtigsten Werken der Antikriegsliteratur. Mit der Organisation der Friedensvereine wurde Bertha von Suttner zu einer weltbekannten Persönlichkeit, die nicht nur verehrt, sondern ebenso verhöhnt wurde. Besonders die konservative Aristokratie machte sich über die „dicke Friedensbertha“ lustig und belächelte sie als naives Frauenzimmer. Doch Bertha schrieb unbeirrt weiter, hielt Vorträge und versuchte, bedeutende Menschen von ihrer Sache zu überzeugen. Bertha von Suttner war 1899 an den Vorbereitungen zur Ersten Haager Friedenskonferenz beteiligt. Die Einrichtung von internationalen Schiedsgerichten konnte sich allerdings noch nicht durchsetzen. Sie wurde zu einer begnadeten Rednerin und unerbittlichen Kämpferin für den Frieden. Zu ihren Bekannten zählten berühmte Schriftsteller wie Leo Tolstoi, Peter Rosegger oder Émile Zola, zahlreiche Aristokraten und Politiker aus aller Welt.

Alfred Hermann Fried wurde durch Berthas von Suttners Roman Die Waffen nieder! auf sie aufmerksam und nahm Kontakt zu ihr auf. Gemeinsam gründeten sie eine Zeitschrift für die Österreichische Friedensgesellschaft. Alfred Hermann Fried war Jude und bekam den Antisemitismus der damaligen Zeit am eigenen Leib zu spüren. Er wurde bedroht und bedrängt, die Zeitschrift aufzugeben. Nicht nur Wiens Bürgermeister Karl Lueger, sondern auch zahlreiche Abgeordneten der Christlichsozialen Partei befeuerten den Antisemitismus im Land mit grotesken Behauptungen und hetzerischen Reden. Bertha von Suttner stellte sich dem aufkeimenden Antisemitismus mit Vehemenz entgegen. Sie unterstützte ihren Mitarbeiter öffentlich und brachte ihn letztlich von der Idee ab, die Zeitschrift aufzugeben.

Auch in der Frauenfrage war Bertha von Suttner aktiv. Sie beklagte in ihren Schriften und Zeitungskolumnen wiederholt die konservative Bildung der Jugend, besonders aber die begrenzten Möglichkeiten von jungen Frauen. In dieser Hinsicht sah sie die amerikanische Gesellschaft als großes Vorbild. Im Jahre 1904 reiste sie in die USA, wo sie geschätzt und gefeiert wurde. Sie erkannte, dass die USA in Friedensdingen fortgeschrittener waren als Europa. Als Höhepunkt der Reise wurde sie ins Weiße Haus zu Präsident Roosevelt geladen. Bertha von Suttner warnte vehement vor einem herannahenden Krieg, der alle bisherigen an Grausamkeit übertreffen werde. 1914 erlag Bertha von Suttner ihrem Krebsleiden - nur acht Tage vor den verhängnisvollen Schüssen auf den österreichischen Thronfolger. Ihr Traum von einem friedlichen Europa, einer Wirtschaftsgemeinschaft, einem internationalen Schiedsgericht und einem Kriegstribunal, für den sie Zeit ihres Lebens belächelt wurde, ist heute Realität, Eva Grübl

Weitere Titel der Serie „Bedeutende Frauen, die die Welt verändern“

Tauchen Sie ein in das Leben inspirierender und außergewöhnlicher Persönlichkeiten!

Pressestimmen
Odenwälder Lokalblick

„Eva Grübl hat das Leben der ›Botschafterin des Friedens‹ in einem spannenden Roman zusammengefasst.“

Mainhattan Kurier

„Eine interessante Biografie der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner, die 1905 als erste Frau diesen Preis erhielt, hervorragend erzählt.“

weltbild.de

„Wer etwas lernen möchte über die Begründerin des Pazifismus, aber dabei nicht nur trockene Fakten, sondern auch Lebens- und Liebesgeschichte lesen will, ist bei ›Botschafterin des Friedens‹ genau richtig. Dieser autobiografische Roman unterhält, vermittelt Wissen und zeigt uns einmal mehr, dass Engagement für Großes und Wichtiges auch unter schweren Bedingungen entstehen kann.“

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