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Der große Traum - eBook-Ausgabe Der große Traum

Ronald Reng
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Drei Jungs wollen in die Bundesliga

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Der große Traum — Inhalt

Ungekannte Blicke hinter die Kulissen der großen Bundesliga-Vereine

 

Aufstieg, Erfolg und Scheitern dreier ganz normaler Fußballjungs

Nur eines unterscheidet Fotios, Marius und Niko von ihren Freunden in der nordbayrischen Provinz: Sie spielen alle drei unwiderstehlich gut Fußball. Noch bevor sie 14 werden, nehmen die Profiklubs 1. FC Nürnberg und Greuther Fürth sie in ihre Leistungszentren auf. Von da an führen ihre Leben in neue, unvermutete Richtungen. - Ein Buch über drei fantastische Jungs, die dribbeln wie Messi und von großen Karrieren träumen.

Ronald Reng hat die drei begleitet, hat neun Jahre lang Dramatik und Glück, Einsichten und schwere Entscheidungen miterlebt, das Scheitern und Gelingen eines großes Traums.

€ 15,99 [D], € 15,99 [A]
Erschienen am 29.07.2021
528 Seiten
EAN 978-3-492-99918-2
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€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erschienen am 28.07.2022
528 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-31906-5
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Leseprobe zu „Der große Traum“

Prolog: Der große Aufbruch

 

Das Klingelschild mit seinem Namen klebt Foti mit Honig an der Sprechanlage fest. Er hat keinen Klebstoff zur Hand. Er ist 16. Über Klingelschilder und wie man sie befestigt musste er bislang noch nicht nachdenken. Was zählt, was ihn irgendwie richtig mit Freude erfüllt, ist, dass da jetzt sein Name an der Haustür steht. Sie haben ihm, gemeinsam mit einem anderen Jungen aus der Fußballakademie, eine eigene Wohnung gegeben, wie einem Erwachsenen, direkt am Trainingsgelände, die Miete zum Großteil bezahlt vom Verein. So viel [...]

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Prolog: Der große Aufbruch

 

Das Klingelschild mit seinem Namen klebt Foti mit Honig an der Sprechanlage fest. Er hat keinen Klebstoff zur Hand. Er ist 16. Über Klingelschilder und wie man sie befestigt musste er bislang noch nicht nachdenken. Was zählt, was ihn irgendwie richtig mit Freude erfüllt, ist, dass da jetzt sein Name an der Haustür steht. Sie haben ihm, gemeinsam mit einem anderen Jungen aus der Fußballakademie, eine eigene Wohnung gegeben, wie einem Erwachsenen, direkt am Trainingsgelände, die Miete zum Großteil bezahlt vom Verein. So viel halten sie von ihm als Fußballer. Der Honig klebt übrigens richtig gut.

Die Wohnung liegt im Erdgeschoss eines achtstöckigen Hochhauses aus den Siebzigerjahren und hat drei Zimmer. Es hieß, sie würden zu dritt hier wohnen, aber so wie es aussieht, teilt sich Fotios Katidis sein neues Zuhause nur mit einem anderen Jungen aus dem Fußballinternat des TSV 1860 München, Sebastian. Sebastians Nachname auf dem vom Hausmeister in Auftrag gegebenen Klingelschild wurde falsch geschrieben, Liegl statt Wiegl. Fotis Name stimmt.

Essen dürfen sie gegenüber, im Jugendhaus des TSV 1860. Sie gehen hinüber und schauen, was es gibt, und manchmal kehren sie dann wieder um, zurück in die Wohnung, um selbst zu kochen, denn „Nudeln können wir besser“, findet Foti. Kochen ist irgendwie gar nicht so schlecht, in der eigenen Küche; dieses Gefühl, für sich selbst zu sorgen, etwas Erwachsenes zu machen. Außer Nudeln können sie Rührei.

Sie haben auch schon einmal gegrillt, in dem Stückchen Garten, das zur Wohnung gehört. Den Grill kaufte Foti an der Tankstelle, vorne bei der Zufahrt zum Trainingsgelände, einen Einweggrill. Die Tankstelle ist das nächste Geschäft von ihrer Wohnung aus, falls Geschäft das richtige Wort dafür ist.

Morgens muss er noch zur Schule, er wiederholt die zehnte Klasse am Adolf-Weber-Gymnasium an der Kapschstraße, er will sich dort auch richtig anstrengen, aber eigentlich ist er wegen des Fußballs in München.

Morgens um sechs, vor der Schule, geht Foti laufen. Es gibt eine herrliche Laufstrecke, direkt vom Hochhaus weg, unter dicht belaubten Bäumen an der Isar entlang. Aber Foti ist neu in der Stadt, keiner hat ihm von der Strecke erzählt. Er läuft auf dem Rasenplatz des TSV 1860, morgens um sechs, 40 Minuten, circa 30 Runden. Der Trainer fand, Foti wiege zu viel, 73 Kilo bei 1,75 Meter. „Am besten gehst du frühmorgens auf nüchternen Magen laufen, da verbrennst du am meisten Kalorien“, sagte der Trainer. Sebi, sein Mitbewohner, geht manchmal mit Foti laufen, aus reiner Solidarität, morgens um sechs. Nach drei, vier Wochen sieht der Trainer Foti beim Umziehen zufällig mit nacktem Oberkörper in der Umkleidekabine. Er kneift ihm in die Rippen. „Da ist ja nichts, du bist ja gar nicht dick.“ Allein Fotis kräftige Muskulatur ist es, die sein verhältnismäßig hohes Gewicht ausmacht. Foti hatte es schon beim Wiegen gewusst, sich aber nichts zu sagen getraut. „Dann musst du natürlich nicht mehr laufen“, sagt der Trainer.

Sechs Uhr am Morgen ist nicht gerade Fotis Lieblingszeit, doch er regt sich nicht auf, dass er sich einen Monat lang grundlos in aller Früh zum Laufen geschleppt hat. Er will die Sachen beim TSV 1860 gut machen.

Zwar hat er auch schon zu Hause im Nachwuchsleistungszentrum eines Profivereins gespielt, beim 1. FC Nürnberg. Aber das hier ist noch einmal eine andere Dimension. Von einem Klub nur für den Fußball in eine ferne Stadt geholt zu werden, eine Wohnung und einen richtigen Vertrag zu erhalten, ist ein Zeichen. Jetzt wird es ernst mit seinem Versuch, Fußballprofi zu werden. Jetzt geht es richtig los.

 

Er schreibt Marius eine Whatsapp-Nachricht. „Willst du mit uns Nudeln essen?“

Marius wohnt schon seit einem Jahr im Hochhaus, Grünwalder Straße 108, in einer Ein-Zimmer-Wohnung in einem der oberen Stockwerke. Er ist 18. Sein Weg ähnelt dem von Foti, auch er kam aus dem Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Nürnberg zu 1860 München, auch er bekam eine eigene Wohnung, nur eben alles ein Jahr früher. Das macht ihn zum Kenner des Münchener Lebens.

Er kennt zum Beispiel die Verkäuferin an der Tankstelle mit Namen, Christiane. „Da gibt es fünf Semmeln für einen Euro“, sagt Marius. Im ersten Moment klingt das nicht besonders gut, Brötchen von der Tankstelle. Muss er am Essen sparen, reichen die 400 Euro im Monat nicht, die er als Spesen von 1860 bekommt? „Nein, nein“, beeilt sich Marius zu sagen, „die Semmeln an der Tankstelle sind einfach super.“ Er kauft auch belegte Brötchen dort.

In seiner Wohnung hat er mithilfe des Vaters ein großes London-Bild aufgehängt, es zeigt einen der berühmten roten Doppeldeckerbusse, den 38er nach Victoria, im belebten Straßenverkehr.

Als Marius das erste Mal Fotis Wohnung betrat, staunte er. Da hing dasselbe Bild. Ihre Eltern hatten es für sie jeweils bei IKEA gekauft.

Eigentlich ist es richtig cool, eine Wohnung ganz für sich zu haben, und Marius zeigt sie den Freunden auch gerne vor. Bloß hasst er es, allein zu sein. Wenn er alleine in der Wohnung Fernsehen schaut, fängt er irgendwann immer an, daran zu denken, dass er allein ist.

Letztes Jahr, in Marius’ erstem in München, ist ein Mitspieler bei ihm eingezogen, der Leuges. Also nicht offiziell eingezogen, der Leuges kam einfach irgendwann vorbei, zum Zocken, und weil es spät wurde, blieb der Leuges auf dem Sofa über Nacht. Daraus wurde, ohne dass sie groß darüber redeten, eine Gewohnheit. Der Leuges lebt weit draußen bei seinen Eltern, in Bergkirchen, hinter Dachau, da war es sowieso angenehmer, wenn er bei Marius übernachtete, nur fünf Minuten von der Sportschule entfernt und direkt am Trainingsplatz. An den Wochenenden fuhr der Leuges dann heim, Wäsche wechseln. Diese Saison allerdings spielt der Leuges nicht mehr bei 1860, sondern beim FC Augsburg, Jungs aus den Nachwuchsleistungszentren wechseln die Vereine neuerdings, als ob sie schon Profis wären. Oft kommt der Leuges aber trotzdem noch vorbei, oder Marvin kommt, Passi, Julian. Wenn er unter vielen Freunden ist, geht es Marius gut. Er ist beliebt bei den Jungs. Der Marius ist saulustig, sagen sie, der meldet sich verlässlich, der ist auch großzügig. Er ist „der Vollbruder“. Das Wort hat Daniel Leugner erfunden, also der Leuges. „Bruder“ zueinander zu sagen ist das neue Ding, es kommt aus Amerika. Vollbruder, dachte sich der Leuges, wäre die ultimative Steigerung; ein würdiger Ausdruck für den besten Bruder.

Marius schaut jetzt auch ein bisschen nach Foti. In den ersten zwei, drei Wochen in München hatte sich Foti einsam gefühlt. Die Jungs in der U19-Mannschaft beim TSV 1860 taten cool. Sie redeten darüber, „wie geil Snus wirkt, es macht dich richtig aggressiv, wenn du es vor dem Spiel nimmst“. Mit Foti redeten sie kaum. Fotis Eltern sagten ihm, „es dauert ein bisschen, bis man sich an einem neuen Ort einlebt“, und vielleicht hatten sie einfach recht. Nach ein paar Wochen bezog der erste aus der Mannschaft Foti mit ein, Felix Bachschmid war’s, die Bachstelze. Nun ruft Marius öfters an, ob Foti mitwolle, wenn die Jungs mal in die Stadt gehen, also an den trainingsfreien Tagen um 17 Uhr zum Marienplatz fahren, um zu sehen und hoffentlich auch gesehen zu werden.

Foti und Marius sehen beide, auf ganz unterschiedliche Art, verdammt cool aus.

Foti, dichtes, glänzend schwarzes Haar, freundliche Mandelaugen und offener Blick, trägt mit Vorliebe schwarze T-Shirts mit extrem weitem Ausschnitt, was den muskulösen Oberkörper betont. Yezuz steht in glitzernden silbernen Buchstaben auf dem Rücken eines Shirts. Marius, blond, hoch aufgeschossen, ein junger Meister des festen Blicks, trägt falsche Brillanten in den Ohrläppchen, einen weiten schwarzen Kapuzenpullover und eine Plastikfolie über dem Unterarm. Sie soll ein frisches Tattoo schützen. Auf seinem Kapuzenpullover ist ein Bild des toten Jesus aufgedruckt, der von einem Jünger getragen wird.

Manchmal, wenn sie Geld haben, gehen sie am trainingsfreien Nachmittag nicht nur durch die Fußgängerzone, sondern auch ins Hugo’s. Da gehen angeblich die Profis des FC Bayern hin.

Marius, der sich kümmert, bot Foti sogar an, ihm vor dem Training etwas von seinem schwedischen Kautabak abzugeben, falls er es einmal probieren wolle. „Mit Snus bist du echt bissiger in den Zweikämpfen.“ Das war echt nett vom Marius, aber Foti lehnte dankend ab. Er will die Sachen gut machen.

Einmal ist er trotzdem mit den Jungs in einen Klub gegangen, es war noch die Zeit vor den Meisterschaftsspielen, der nächste Tag war trainingsfrei und er neugierig. Wobei, was heißt Klub, sie gingen ins Crash. Ein Bauernladen, sagt Foti. Es sieht dort teilweise aus wie in einem Westernsaloon, die Sitzecken aus massivem Holz. Es ist halt einer der wenigen Klubs in München, in die man auch unter 18 reinkommt. Jeder über 18 erhält ein Bändchen, um zu kennzeichnen, dass er Alkohol trinken darf. Foti lieh sich heimlich das Bändchen von Marius, damit er sich auch eine Jacky Cola holen konnte. Bloß sah dann einer der Sicherheitstypen wenig später, dass vor Marius, Foti und Felix Weber drei Jacky Cola standen, aber nur zwei der Jungs ein Bändchen trugen. Foti flog aus dem Laden.

Er stand vor der Tür in der Ainmillerstraße und wartete, was nun passieren würde. Offenbar gar nichts. Er rief Marius auf dem Handy an. „Ey, komm mal raus!“

Gemeinsam berieten sie, was zu tun sei. Dann kam ihnen eine Idee, so eine von der Art wie mit dem Honig und dem Klingelschild. Foti tauschte mit Marius die Kleidung. Das ging schon, auch wenn Marius 13 Zentimeter größer war als er, eins achtundachtzig. In Marius’ Jeanshemd und mit dessen Baseballmütze sah Foti aus wie ein anderer Mensch, und tatsächlich, der Sicherheitstyp erkannte in ihm nicht den Rausgeschmissenen wieder, als Foti wieder reinwollte.

 

Wenn die Eltern anrufen, wie es ihnen in München gehe, sagen Marius und Foti „alles bestens“. Es ist September 2013, der TSV 1860 München ist nach fünf Spieltagen Tabellenführer der U19-Jugend-Bundesliga Gruppe Süd/Südwest. Foti hat als Jüngster in der Mannschaft gleich im ersten Spiel ein Tor geschossen, gegen den FC Augsburg. Wie Marius spielt, „ist ja geisteskrank“, sagt der Leuges, zwei Tore und sagenhafte sechs Torvorlagen in fünf Partien, wie geht der ab, Bruder?

Den Eltern fällt bei ihren Besuchen allerdings auch auf, dass in Marius’ Wohnung jetzt nicht unbedingt jeden Tag das Geschirr aufgeräumt ist und Foti erst einmal „Berlin bei Tag und Nacht“ schaut, wenn er Mathe lernen sollte. Doch das sind so Erwachsenenthemen.

Irgendwann wollen sie das ja auch besser machen, nehmen sich Marius und Foti vor.

Das sind genau ihre Themen, findet Petra Steinhöfer: Marius dazu bewegen, nicht nur Semmeln von der Tankstelle zu frühstücken, einen Zahnarzt für Foti in München finden; den Jungs helfen, ihren Alltag so zu bewältigen, dass sie optimal Fußball spielen können. Petra Steinhöfer ist 55, sie trägt Bluse und Damenmantel, aber die Jungs sagen „die Petra“ zu ihr. Sie ist ihre Beraterin. Spielerberater ist die offizielle Berufsbezeichnung, wobei sie den Begriff Begleiterin für ihre Arbeit passender fände. Sie will Jugendlichen und deren Familien auf dem Weg durch die Fußballakademien der Bundesligaclubs helfen und dann natürlich, falls sie tatsächlich Profi werden, auch an der Vermittlung von gut dotierten Verträgen verdienen.

Die Idee reifte über Jahre in ihr, als sie zu Hause in Weißenburg, in Mittelfranken, von Eltern wegen der Fußballkarriere ihrer Söhne ständig um Rat gefragt wurde. Denn Petra Steinhöfer ist in Weißenburg „die Mutter des Fußballers“.

Dabei hat sie zwei Söhne und eine Tochter. Aber Markus Steinhöfer ist Bundesligaprofi. Der Einzige in den Jahren um 2010 aus dem Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen, wo die Dörfer kleine Flecken bilden zwischen golden glänzenden Feldern auf rollenden Hügeln, im Süden das Altmühltal, Richtung Nürnberg die fränkischen Seen.

Nicht nur die Freunde, auch ganz entfernte Bekannte fragten Petra Steinhöfer im Supermarkt oder in der Buchhandlung nach Autogrammkarten, nach Neuigkeiten von Markus, und nicht selten wollten sie einen Tipp. Wie schaffe ihr Sohn es in das Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Nürnberg? Sollte ihr Sohn in die Jugendelf der Spielvereinigung Ansbach wechseln, käme er dort vielleicht weiter?

Manchmal dachte Petra Steinhöfer, die sollen mich alle in Ruhe lassen mit ihrem Fußball. Immer öfter dachte sie: Vielleicht ist das meine Berufung? Eine Begleiterin für Fußballkinder in Nachwuchsleistungszentren zu sein. Vielleicht ließe sich daraus sogar ein Beruf machen?

 

Als mich Petra Steinhöfer 2013 nach einer meiner Lesungen anspricht, führt sie bereits seit zwei Jahren eine Agentur namens Tutor zur Beratung von Fußballspielern. Sie betreue gut zehn Jugendspieler. „Könnte man auch mal ein Buch drüber schreiben“, sagt sie, so wie das Dutzende Leute nach meinen Lesungen sagen, weil sie 18-jährig mal mit den Profis von Darmstadt 98 trainieren durften, den Ersatz-Torwart des FC Augsburg zum Nachbarn haben oder einen angeblich niemals stinkenden Fußballschuh erfunden haben.

„Ja, interessante Idee“, antworte ich Frau Steinhöfer, so wie ich das Dutzenden Leuten höflich sage.

Aber diesmal meine ich es.

 

So ein Projekt hatte es noch nie gegeben: eine Frau, die aus ihrer Erfahrung als Fußballmutter heraus beschließt, Spielerberaterin zu werden und speziell Jungs und ihre Familien auf deren langem Weg durch die Nachwuchszentren zu begleiten. So viele Fragen kommen mir sofort in den Sinn: Wie ist das Leben eines Jungen, der sechs von sieben Nachmittagen in der Woche dem Fußball widmet, der mit völliger Hingabe von klein auf alles einem äußerst vagen Ziel unterordnet? Wie ist es für die Familie, die Geschwister, wenn sich so viel um die Hoffnungen eines Jungen dreht? Wird einer der Jungs es wirklich zum Profi schaffen?

Die Nachwuchsleistungszentren (NLZ) der Proficlubs sind in Deutschland eine junge Institution, in den Jahren nach 2000 eingeführt, um die Ausbildung von Fußballprofis zu intensivieren. Die deutsche Weltmeistergeneration von 2014 wurde in den NLZ groß, Toni Kroos, Mario Götze, Manuel Neuer. In den Nachwuchsakademien trainieren die Jugendlichen, was den Zeitaufwand und die Qualität der Übungen betrifft, wie die Profis. Bloß dass sie nebenher noch die Schule bewältigen sollen. Realistisch betrachtet ist es heute der einzige Weg, um Fußballprofi zu werden. Und davon träumen in Deutschland 2013 offenbar sehr viele, die Kinder wie deren Eltern.

Jede Gesellschaft, jede Zeit hat ihre eigenen Sehnsuchtsfiguren. Im alten Rom waren es die Feldherren, in den Sechzigerjahren die ersten Rockstars, irgendwann, vor vielen Jahrhunderten, galten angeblich sogar einmal Schriftsteller als die tollsten Typen. Ungefähr zwischen 2002 und 2018 gibt es in Deutschland anscheinend nichts Größeres, als Fußballprofi zu werden.

In den Zeitungen ist in Bezug auf die neuartigen Nachwuchsleistungszentren entweder das Lob überschwänglich, wie viel besser die Kinder dort gefördert würden als früher – oder es ist von „verlorener Jugend“ und „Kinderhandel“ die Rede. Wie sieht die Wirklichkeit aus? Und wie wird es Petra Steinhöfer ergehen, wo das auch heute noch eine Kuriosität ist: eine Frau im Männerfußball.

Das alles könnte man ja in einem Buch herausfinden.

 

2013 treffe ich drei Jungen aus Petra Steinhöfers Agentur zum ersten Mal, Fotios Katidis, Marius Wolf und Niko Reislöhner, zwischen 16 und 18 Jahre alt. Ich will sie so lange begleiten, bis abzusehen ist, was aus ihnen wird, selbst wenn es Jahre dauert. Ich lerne gleich einmal, was black fashion ist. „Das ist, wenn Sie sich ganz in Schwarz kleiden und dazu als Kontrast weiße oder rote Turnschuhe tragen“, erklärt mir Foti, und ich weiß schon: Es wird super mit den dreien. Nur ob ihre Geschichte tatsächlich ein Buch hergeben wird, kann ich nicht wissen. Ihr Fußballtraum könnte schon in einem Jahr vorbei sein. Jeden Juni wieder, wenn die Fußballsaison endet, werden Kinder und Jugendliche aus den Nachwuchsleistungszentren weggeschickt, weil ihr Potenzial nicht mehr genüge. Für einige ist der Traum schon mit 13 wieder passé, für manche mit 19. Andere nehmen ihren Platz ein, bis auch die allermeisten von ihnen wieder verabschiedet werden. Von den rund 26 000 Talenten, den Auserwählten, die zwischen 2010 und 2020 in den Nachwuchsakademien der deutschen Proficlubs lernten, wurden wohl allenfalls fünf Prozent Profis. Da ist kein Junge gescheitert, niemand hat versagt, es entspricht einfach der statistischen Logik: In Deutschland gibt es nur rund 2000 Stellen für Profifußballer, um die sich Spieler aus der ganzen Welt bewerben.

Um die allerbesten zu finden, wird systematisch eine große Zahl an Talenten aufwendig ausgebildet, für die kein Bedarf vorhanden ist.

Das wissen mehr oder weniger alle, die in eines der 57 deutschen Nachwuchsleistungszentren eintreten. Bloß alle verdrängen es.

 

Sonntags bei Familie Reislöhner in Stopfenheim gibt es Braten mit Klößen, zum Nachtisch Erdbeeren, und für Niko legt die Mutter ein Tütchen auflösbares Magnesium hinzu. Sie hat gelernt, an den Fußball mitzudenken. Magnesium ist wichtig, damit er keine Muskelkrämpfe bekommt.

Niko überragt seine Eltern und den zwei Jahre älteren Bruder Timo um gewiss eine Kopflänge, über eins achtzig, mit 16, „keine Ahnung, wo er es herhat“, sagt die Mutter, „alle in der Familie sind klein und lebhaft, nur Niko ist groß und ruhig.“ Niko hört es sich ruhig an.

Der Vater macht den Tisch für das Essen frei von seinem Papierkram. Rechnungen und Kostenvoranschläge schreibt er oft sonntags. Während der Woche kommt er nicht dazu. „Marmor, Fliesen, Naturstein, alles verlegen“ steht auf dem roten Kastenwagen vor der Haustür. Die Aufträge führen ihn weit über den Weißenburger Raum hinaus, bis rauf nach Nürnberg, 70 Kilometer entfernt. Eigentlich hat er zu viel Arbeit. Albert Reislöhner lehnt trotzdem keinen Auftrag ab. „Kann ich nicht“, glaubt er, „denn dann spricht’s sich rum: Der Reislöhner hat es nicht mehr nötig.“

Über Fußball reden sie sonntags eigentlich nicht so viel, über Fußball reden sie im Auto, samstags auf der Heimfahrt von Nikos Spielen, und bestenfalls ist das Thema dann abgeschlossen für die Woche. Heute jedoch hat der Vater einen Tipp: „Du musst auch mal einen ausschwanzeln!“ Ausschwanzeln bedeutet im fränkischen Dialekt offenbar ausdribbeln.

Niko lässt nicht erkennen, was er von der Empfehlung hält. Er weiß natürlich, was der Vater meint. Er solle sich manchmal etwas Verwegenes zutrauen, dem Gegner einfach davonlaufen, als Außenverteidiger ganz nach vorne. Niko ist doch so schnell, unter vier Sekunden im 30-Meter-Test, mit 16. In der Männer-Bundesliga sind einige langsamer.

Wie soll er dem Vater erklären, dass er das nicht mag, den Draufgänger markieren. Was, wenn er beim Ausschwanzeln den Ball verliert? Er fühlt sich wohl, wenn er die Vorgaben des Trainers gewissenhaft erfüllt. In bestimmten Momenten des Spiels bestimmte Positionen besetzen und bestimmte Pässe spielen.

Niko trägt ein klassisch elegantes Poloshirt zur kurzen Jeans, ohne Aufdrucke vom toten Jesus oder sonst wem.

Nun aber, Anfang August 2013, wird er mit der U17-Mannschaft der Spielvereinigung Greuther Fürth erstmals in der Jugend-Bundesliga spielen, da geht es richtig los. „Da muss ich doch mal sagen, den schwanzel ich jetzt!“, rät der Vater, also er habe früher immer wild und furchtlos gespielt, bei ihnen auf dem Dorf, bei der DJK Stopfenheim. Aus der Zeit stammt der Spitzname des Vaters, Hackl. Hackln heißt in der fränkischen Fußballsprache Foulen. Selbst seine eigene Mutter nennt Albert Reislöhner bis heute Hackl.

Nach dem Sonntagsessen geht Niko gerne auf sein Zimmer, ein eigenes Reich im Dachgeschoss. Er hat sich eine Bettdecke auf das Sofa gelegt. Falls er beim Fernsehen einschläft. Neben der Couch steht eine Elektrogitarre in ihrem Ständer. Das Gitarrenspielen hat er sich selbst beigebracht, ein paar Rocksongs, je härter desto besser, die Noten gibt es im Internet. Er hat die Gitarre seit einem Jahr nicht mehr angerührt.

Irgendwie verschwand das Musizieren einfach so aus seinem Alltag. Keine Zeit mehr, wäre wohl die einfachste Erklärung.

Um 15.31 Uhr nimmt er unter der Woche den Zug von Weißenburg. In der Regel läuft Niko direkt von der Schule zum Bahnhof. Seine Mutter hält sich zu Hause bereit, den Tank des Autos zumindest halbwegs gefüllt, darauf achtet sie. Falls der Zug mal wieder Verspätung hat oder ausfällt, springt sie ein und fährt Niko zum Training nach Fürth. Im Schnitt kommt das einmal im Monat vor. Mit dem Zug um 20.42 Uhr ist Niko zurück. Seine Freunde sieht er mittwochs und sonntags. Da ist fußballfrei.

Sie treffen sich in der Hütte beim Buckel. Überall in Stopfenheim stehen kleine Hütten, in den Gärten, am Weiher, am Sportplatz. Niko kann nicht sagen, ob das in anderen Dörfern ähnlich ist, in Stopfenheim jedenfalls baut sich jede Clique unter den Jugendlichen ihre eigene Hütte. Das sind nicht irgendwelche windschief zusammengekloppte Unterstände, sondern da werden richtige Miniatur-Häusle gebaut, mit akkurat verlegtem Holzboden, eingebauter Eckbank und Bar, das Flachdach mit Schweißband abgedichtet. Niko gehörte erst zur Hütte am Sportplatz, dann ist er zu der beim Buckel gewechselt. Da hören sie Frei.Wild. Feinde deiner Feinde ist so ein geiles Lied, „für uns gab es nur einen Weg/den wir zusammen gehen“.

Nach einem Jahr haben sie die Eckbank und Bar aus ihrer Hütte rausgeworfen, um wieder etwas zum Bauen und Basteln zu haben. Viele Jugendliche in Stopfenheim wie Nikos Bruder Timo brauchen nur ein Holz oder ein Moped sehen und müssen sofort daran herumschrauben. Niko interessiert das nicht so. Aber selbstverständlich hat er mitangepackt, bei der Hütte vom Buckel, auch wenn er nicht so oft dabei war wegen des Fußballs. Ihn stört es nicht, dass er die Freunde nur sporadisch sieht. Letztes Jahr hatte er auch eine Freundin, aus Pleinfeld, ehrlich gesagt nur, um mal eine zu haben. Eingeschränkt fühlt er sich jedenfalls nicht. Er findet eher, dass er etwas Besonderes hat mit dem Fußball. Gegen Teams wie Bayern München zu spielen und zu spüren, alle geben alles, das ist wie einen Frei.Wild-Song zu leben, „wir haben uns durchgeschlagen/durch die Straßen, durch Asphalt/und es war die beste Schule/innen warm und außen kalt“.

Im 15.31er-Zug von Weißenburg kann er Hausaufgaben machen, theoretisch. Ein gelegentlicher Mitfahrer, mit dem er dann doch lieber geplaudert hat statt gelernt, fehlt neuerdings. Foti Katidis fuhr zum Training in die Akademie des 1. FC Nürnberg, während Niko in das Nachwuchsleistungszentrum von Greuther Fürth fuhr. Wie es Foti wohl in München geht? Muss cool sein, direkt am Trainingsplatz zu wohnen, nicht mehr ewig pendeln zu müssen, sagt Niko, und vielleicht vergisst er, während er das sagt, für einen Moment tatsächlich, dass er das nicht machen möchte. Von zu Hause weggehen.

 

Bei Foti, im Hochhaus direkt am Trainingsplatz, gibt es ein Problem. Die Klingel funktioniert nicht. Die Jungs drücken auf das coole Klingelschild und denken, warum macht der Blödmann nicht auf. Dabei hört Foti gar nicht, dass jemand klingelt. Er sagt den Jungs, sie müssten ihm eine Whatsapp-Nachricht schicken, wenn sie vor der Haustür stünden, aber natürlich vergisst es der eine oder andere und drückt ewig auf die Klingel.

Foti und sein Mitbewohner beschließen, das Klingelschild wieder abzunehmen, bis die Klingel repariert ist. Dann wären Besucher gezwungen, sich per Whatsapp zu melden. Im Alltag, zwischen Training und Schule, vergessen Foti und Sebi die kaputte Klingel allerdings wieder, bis Fotis Mutter bei einem Wochenendbesuch sagt, „sollen wir das Schild nicht endlich mal abmontieren?“ Weil sie sowieso so wenig für ihren Foti machen kann, seit er in der Ferne lebt, greift Olga Katidis selbst zu einem Messer, um das Klingelschild zu entfernen. Sie fährt damit hinter das Schild, sie drückt dagegen, aber was ist denn da los, sie muss richtig Kraft aufwenden. „Das ging ja kaum ab“, sagt sie, wieder in der Wohnung, zu Foti. „Mit was habt ihr das denn festgeklebt?“

Ronald Reng

Über Ronald Reng

Biografie

Ronald Reng, geboren 1970 in Frankfurt, lebte viele Jahre als Sportreporter und Schriftsteller in Barcelona. Seine Biografie über Robert Enke stand zehn Wochen unter den Top 5 der Spiegel-Bestsellerliste, sein Buch „Spieltage. Die andere Geschichte der Bundesliga“ erhielt den »NDR Kultur...

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