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Das Fremde MeerDas Fremde Meer

Das Fremde Meer - eBook-Ausgabe Das Fremde Meer

Katharina Hartwell
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Roman

„Dass Katharina Hartwell schreiben kann, lernt man schon auf den ersten Seiten ihres Debütromans ‚Das Fremde Meer‘ - was für eine kluge Dramatikerin sie ist, lernt man spätestens auf den letzten, traurigen Seiten ihres Romans. Und dazwischen - ja, dazwischen lernt man, wie viele Möglichkeiten die Literatur bereithält, um etwas zu sagen, und auf wie viele Arten man das gleiche Motiv erzählen kann: Eine junge Frau will einen jungen Mann retten […] Jede dieser Erzählungen könnte für sich stehen. Jede dieser Episoden hat ihren ganz eigenen Ton. Und Katharina Hartwell erzählt sie alle so gut, dass sie damit auf jeden Fall einen neuen Weltrekord im literarischen Zehnkampf aufgestellt haben dürfte.“ - Spiegel online

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Das Fremde Meer — Inhalt

Dieses Buch ist eine Reise: in die Salpȇtrière, die Pariser Psychiatrie, in der Sigmund Freud Schüler bei Charcot war; in den Winterwald, aus dem eine gelangweilte Prinzessin einen Prinzen retten will; in die Wechselstadt, in der ganze Häuser als „Mobilien“ durch die Stadt wandern; in die Geisterfabrik, wo Seelenfragmente zu Spiritografien verarbeitet werden… Zehn Kapitel, zehn mal die Geschichte von Marie und Jan. Marie gehört zu den Menschen, die glauben, dass Katastrophen immer nur die treffen, die nicht auf sie vorbereitet sind. Sie rechnet darum stets mit dem Schlimmsten - und behält recht: Sie ist eine Außenseiterin, ängstlich, verzweifelt, meist stumm und voller Sehnsüchte. Womit sie nicht rechnet? Gerettet zu werden, von Jan, der so anders als sie selbst scheint. Von ihm fühlt Marie sich gefunden. Doch ganz traut sie ihrem Glück nicht, denn sie weiß: „man kann alles trennen, teilen und spalten, sogar ein Atom“. Was haben Marie und ihre Geschichten dem Schicksal entgegen zu setzen? Kann die Literatur ein Leben retten? Kann sie erzählen, wofür es keine Worte gibt?

€ 10,99 [D], € 10,99 [A]
Erschienen am 16.07.2013
576 Seiten
EAN 978-3-8270-7674-8
Download Cover
€ 10,99 [D], € 11,30 [A]
Erschienen am 10.11.2014
576 Seiten, Broschur
EAN 978-3-8333-0990-8
Download Cover
„Hartwell beweist in ihrem Debütroman, dass nicht immer alles nüchtern und abgeklärt sein muss. Dass die großen Worte noch immer ein Recht darauf haben, ausgesprochen zu werden. Katharina Hartwell ist eine Erzählerin aus Überzeugung. In ihrer Generation gibt es nicht so viele davon.“
WELT online
"Wie die Liebesgeschichten in 'Das fremde Meer' ineinander fließen, wirkt märchenhaft und verstörend zugleich. Katharina Hartwells Debütroman macht mit seiner intensiven Erzählweise Lust auf Meer."
BILD am Sonntag
"Eines der kühnsten Debüts der Saison."
Die Welt
„Dass Katharina Hartwell schreiben kann, lernt man schon auf den ersten Seiten ihres Debütromans ‚Das Fremde Meer‘ - was für eine kluge Dramatikerin sie ist, lernt man spätestens auf den letzten, traurigen Seiten ihres Romans. Und dazwischen - ja, dazwischen lernt man, wie viele Möglichkeiten die Literatur bereithält, um etwas zu sagen, und auf wie viele Arten man das gleiche Motiv erzählen kann: Eine junge Frau will einen jungen Mann retten […] Jede dieser Erzählungen könnte für sich stehen. Jede dieser Episoden hat ihren ganz eigenen Ton. Und Katharina Hartwell erzählt sie alle so gut, dass sie damit auf jeden Fall einen neuen Weltrekord im literarischen Zehnkampf aufgestellt haben dürfte.“
Spiegel online
"Katharina Hartwell ist eine Erzählerin aus Überzeugung. In ihrer Generation gibt es nicht so viele davon."
DIE WELT kompakt
"Katharina Hartwell kann zaubern. Bei ihr spürt man den großen Rückenwind des Erzählens. „Das Fremde Meer“ geht dem ältesten Großprojekt der Literatur nach: die Rettung - wenn nicht des, so doch eines Menschen."
Clemens J. Setz
"Der Roman 'Das fremde Meer' treibt einem den Wunsch, zu Hause zu bleiben, gründlich aus. Heimat bedeutet hier nicht viel mehr, als stillhalten zu müssen. Hartwells Figuren aber sind getrieben, von Ungeduld, von Angst, von der Suche nach einem Menschen, der sie vom nagenden Gefühl erlöst, nicht zugehörig zu sein. In der Rahmenerzählung finden sich Jan und Marie, eine in zarten Tönen erzählte Geschichte, deren zentrale Motive die Autorin in neun Märchen wieder aufnimmt. In diesen Binnenerzählungen zerstören die Figuren ihr Ich und erschaffen sich in magischen Ritualen und Kämpfen neu. Das ist spannend, oft tragisch und nicht zuletzt herrlich konsequent."
ZEIT online

Leseprobe zu „Das Fremde Meer“

I
Durch Städte, durch Hallen, durch Wälder


Du musst dich gut festhalten. Das ist alles.

Marie
Ich gehöre zu den Menschen, die glauben, dass sie sich schützen
können, wenn sie mit dem Schlimmsten rechnen, dass die Katastrophen
immer nur die treffen, die nicht auf sie vorbereitet sind.
Dass man ihnen entkommen kann, wenn man sie erwartet.

Zuerst muss ich von mir erzählen.
Und ich fange ganz am Anfang an.


Die Geschichte der Kindheit
Als Kind hatte ich viele Freunde. Fast ausschließlich Jungen. Die
Mädchen konnten wenig mit mir anfangen. Ich war zu laut, zu
grob, zu [...]

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I
Durch Städte, durch Hallen, durch Wälder


Du musst dich gut festhalten. Das ist alles.

Marie
Ich gehöre zu den Menschen, die glauben, dass sie sich schützen
können, wenn sie mit dem Schlimmsten rechnen, dass die Katastrophen
immer nur die treffen, die nicht auf sie vorbereitet sind.
Dass man ihnen entkommen kann, wenn man sie erwartet.

Zuerst muss ich von mir erzählen.
Und ich fange ganz am Anfang an.


Die Geschichte der Kindheit
Als Kind hatte ich viele Freunde. Fast ausschließlich Jungen. Die
Mädchen konnten wenig mit mir anfangen. Ich war zu laut, zu
grob, zu schnell, meist war ich schmutzig, die Arme voller blutiger
Kratzer, die Beine voller blauer Flecken.
Ich war ein wildes Kind.
Im Garten meiner Großeltern gehorchte mir alles. Der Bach
hinter dem Haus, die Insekten und die Pflanzen, die Nüsse und
die Beeren, die Eichhörnchen und die Fische, der Teich und die
Frösche darin, alles unterstand mir. Nur die Krähen hatten ihren
eigenen Kopf, und ich fürchtete mich vor ihnen.
In den Ferien verbrachten wir oft ganze Tage im Garten, aber
auch während der Schulzeit kamen die Jungen nachmittags vorbei.
Niemand sonst hatte einen Garten wie meine Großeltern,
weitläufig und verwinkelt, und darin gab es alles, Schilf um den
Teich, hohe Bäume, ein kleines Gartenhaus voller Spinnweben
und einen steinigen, schmalen Weg, der hinunter zum Bach führte.
Dort, am Ufer und auch im Bach selbst, spielten wir vor allem
im Sommer. Wir häuften Geröll und Äste zu Inseln an, auf denen
wir standen und einander zuwinkten.
Unsere Vorhaben waren stets ehrgeizig und aussichtslos. Ein
Boot wollten wir bauen, eine Brücke, einen Damm. Im Herbst verlegten
wir unsere Spiele wieder zurück in den Garten. Unter dem
Kastanienbaum errichteten wir aus Ästen, aus Laub, aus Ziegeln,
die wir im Keller gefunden hatten, Burgen für die Ewigkeit. Wir
spielten zu jeder Jahreszeit draußen. Auch im Winter, auch, wenn
es schon früh dunkel wurde und meine Großmutter sich um uns
fürchtete. Nur mein Onkel Paul konnte uns überreden, ins Haus
zu kommen. Dann durften wir in sein Zimmer, wo alles besonders
und anders war: Seine Steinsammlung zeigte er uns, und seine
elektrische Schreibmaschine. Paul wollte uns beibringen, Schach
zu spielen, aber uns wurde schnell langweilig. Mir wurde schnell
langweilig, und ich gab den Ton an. Mir war nicht danach, still zu
sitzen und kleine Holzfiguren vor- und zurückzuschieben. Mir
war nach großen Expeditionen. Meine Pläne trug ich mit Bestimmtheit
vor. Jeden Nachmittag entwarf ich einen neuen Kosmos,
legte den Handlungsverlauf unserer Spiele fest, bis in jedes
Detail, bis in die Unterhaltungen: Du würdest zum Haus des Jägers
kommen, und ich wäre bereits dort. Du würdest fragen, und ich
würde sagen.
Bei anderen Spielen ging es genau darum, nichts zu planen,
nichts zu wissen. Es ging darum, sich im Wald zu verlieren und
aufspüren zu müssen. Es ging darum, schneller als der andere zu
sein, weniger Angst zu haben. Eines unserer wilderen Spiele bestand
darin, dass wir hoch in die Bäume kletterten und uns in die
flachen Baumkronen fallen ließen. Wenn uns das Netz der Zweige
nicht hielt, krachten wir hinunter auf den Waldboden. Ich zog mir
unzählige Kratzer und blaue Flecken zu, aber anders als meine
Großmutter es mir voraussagte, brach ich mir nie einen Arm oder
ein Bein.
Meine Großeltern waren immerzu in Sorge um mich. Sie fürchteten,
ich würde im Bach ertrinken, ich würde beim Überqueren
der Landstraße überfahren, dass mich ein namenloser, schwarz
gekleideter Mann, der in den Städten und in den Dörfern die Kinder
verschwinden ließ, mitnähme.
Vergeblich versuchten sie, meine Mutter davon zu überzeugen,
dass es gefährlich sei, uns den halben Vormittag unbeaufsichtigt
im Wald oder am Bach spielen zu lassen. Meine Mutter aber glaubte
nicht an Verbote und nicht an Beaufsichtigung.
„Es ist gut für Nina und Marie, wenn sie sich allein zurechtfinden“, sagte meine Mutter bei jeder Gelegenheit, und ich nickte
stolz, denn aus ihren Worten schloss ich, dass wir uns allein zurechtfanden.
Ich habe erst viel später verstanden, dass die Überzeugungen
meiner Mutter, was für meine Schwester und mich gut sei, im
Wesentlichen davon abhingen, was für meine Mutter gut war.
Etwa zwei Jahre nach Ninas Geburt hatte meine Mutter erkannt,
dass es nicht gut für ihre Töchter sei, in der Stadt aufzuwachsen,
und war zurück nach Erlburg gezogen, ein kleines Dorf, in dem
auch sie selbst großgeworden war. Es sei gut für uns, erkannte sie
weiter, im Kreis der Familie aufzuwachsen. Dass wir hierfür unseren
Vater zurückließen, war nicht weiter wichtig, und so zogen
wir ohne ihn in das Haus meiner Großeltern, in dem auch mein
Onkel Paul lebte.
Gut zehn Jahre später hatte meine Mutter genug vom Dorfleben.
„Es ist viel zu ruhig für uns“, erklärte sie meiner Schwester
und mir eines Abends. „Die Stadt wird uns guttun. Später werdet
ihr mir noch dankbar sein, und neue Freunde findet ihr sicher
auch schnell.“
Hier irrte meine Mutter.
Ich war ihr nicht dankbar, und ich fand auch keine neuen
Freunde.
Auch meine Schwester murrte zunächst, aber anders als ich
lebte sie sich schnell ein und gehörte an unserer Schule schon bald
zu den beliebteren Mädchen. Ich hingegen machte alles falsch,
die einfachsten Dinge machte ich falsch. Sprach zu laut und zu
ernst, verstand die Witze auf dem Schulhof nicht. Ich korrigierte
und berichtigte und fiel ins Wort und eckte an. In den Pausen saß
ich allein auf einer Bank und las. Sportlich war ich damals nicht,
bewegte mich ungelenk und langsam, stand betreten am Rand
des Spielfelds und wartete, wie ich überhaupt immer wartete. Ich
ahnte bereits, ohne dass ich es so genau hätte benennen können,
dass ich mit diesem Abschnitt meines Lebens nicht viel mehr tun
konnte, als ihn auszusitzen.
Als meine Mutter mit uns fort aus Erlburg und in die Stadt zog,
war es, als habe sie meine Schwester und mich in ein anderes Land
verfrachtet, an einen Ort mit fremden Gesetzen und Gepflogenheiten,
sogar eine andere Sprache gab es, und andere Moden:
klobige, schwere Schuhe und unförmige Hosen. Der Umzug war
nicht nur die Abkehr von einem vertrauten Ort, sondern auch von
einer vertrauten Zeit. In der Heimat war ich ein Kind gewesen,
und in der Welt der Kinder hatte ich mich gut zurechtgefunden,
aber an der neuen Schule waren die Kinder keine Kinder, sondern
noch nicht voll ausgebildete Erwachsene. Sie wollten keine Spiele
spielen, in denen ich Identitäten vorgab und festlegte, wer was
zu sagen hatte. Sie wollten überhaupt keine Spiele spielen, oder
wenn doch, dann solche, die so kompliziert waren, dass ich sie
nicht verstand.
Mit einem Mal war es, als trüge ich mein eigenes Gravitationsfeld
mit mir umher. Sobald ich unsere Wohnung verließ, entfaltete
es sich wie ein Raum um mich. Ich machte alles schwer und ernst,
meine Mutter sagte in dieser Zeit oft, beinahe täglich, so kommt
es mir heute vor: „Nimm es dir nicht so zu Herzen.“ Aber ich
nahm mir alles zu Herzen – dass die anderen Kinder mein Haar
lustig fanden, meine Pullover, meine Haltung, meine Art zu gehen,
meine Art zu sprechen, meine Stimme, meine Größe, meine
Bücher. Dass sie Bilder von ausgemergelten, in sich verknoteten
Strichmännchen malten und meinen Namen darunter schrieben.
Dass sie mich nachäfften, wie ich x-beinig neben dem Kiosk stand.
Dass sie mich wegen meiner tiefen Stimme Froschmädchen nannten.
Ich nahm mir auch zu Herzen, dass Nina beliebt war und ich
nicht, dass meine Mutter erst spätabends nach Hause kam und ich
meist alleine aß (Nina ging zu Freunden). Ich nahm mir jeden Tadel
jeden Lehrers zu Herzen. Ich nahm mir das Leben zu Herzen.
Und in meinem Gravitationsfeld zog ich Menschen und Momente
und manchmal ganze Tage zu Boden. Ich hatte mich schon immer
vor Krankheiten, vor Katastrophen, vor dem Tod gefürchtet, auch
schon im Haus meiner Großeltern, aber in der Stadt fürchtete ich
mich vor allem vor dem Leben.
Die beiden einzigen guten Freunde meiner Jugend hießen Merwin
und Corwin. Etwa fünf Jahre sahen wir uns beinahe täglich, dann
verloren wir uns aus den Augen.
Merwin und Corwin waren Zwillinge mit einem auffälligen Erscheinungsbild:
Ich habe sie immer bloß im Anzug gesehen, und
sie hatten beide kein einziges Haar auf dem Kopf, ihre polierten
Schädel glänzten im Licht meiner Schreibtischlampe. Die beiden
wohnten auf dem Dach des Hauses, gleich über unserer Wohnung,
und eine Zeitlang fürchtete ich mich, wenn sie nachts an mein
Fenster klopften. Bald schon aber waren sie meine einzigen Verbündeten,
und ich erzählte ihnen alles. Im Nachhinein betrachtet
waren sie mir weniger Freunde, denn zwei weise, wenn auch weltfremde
Väter. Sie sprachen stets sanft, aber bestimmt; sie hatten
klare Standpunkte, auch wenn sie nicht immer dieselbe Position
vertraten. Sie hörten sich meine Sorgen an, meinen Kummer,
sie bedauerten mich und gaben mir ungewöhnliche Ratschläge.
„Schneide ihr doch den Zopf ab!“, empfahl Corwin, als ich von
der blonden Sabine erzählte, die sich über mein krauses Haar
lustig machte.
Merwin und Corwin hatten alle Bücher gelesen, die ich auch
gelesen hatte, und dieselben Filme gesehen, und meist unterhielten
wir uns in Andeutungen und Zitaten. Abends las ich ihnen
vor. Man kann nicht sagen, dass wir Abenteuer erlebten, so wie ich
sie früher mit den Freunden im Garten meiner Großeltern erlebt
hatte, aber ich war nie allein.
Meine Mutter und Nina wussten nichts von meinen besten
Freunden, und das war besser so, denn obwohl meine Mutter gern
betonte, dass sie das exzentrische Leben einer Künstlerin führe,
hätte der Spaß bei den imaginären Freunden ihrer Tochter sicher
aufgehört.

Alles ändert sich. Das Gute und das Schlechte. Gerade als ich
denke, dass es für immer so weitergehen wird, dass ich für den
Rest meines unendlichen Lebens morgens um sieben aufstehen
und mit dem Bus zur Schule fahren muss, mich für immer auf der
Eckbank neben der Cafeteria und hinter den Büschen verstecken
werde, gerade als ich das denke, ist alles schon wieder vorbei.
Ich kehre Merwin und Corwin den Rücken, kehre meinem alten
Zimmer den Rücken und ziehe aus. Ich schreibe mich für Kulturwissenschaften
ein, ich komme an. Und in den ersten Monaten
meine ich, nicht mehr zu gehen, sondern zu schweben, durch die
Gänge, die Vorlesungssäle, die Bibliothek und den Flur vor dem
Lesesaal, in dem nur geflüstert werden darf. Es dauert eine Weile,
bestimmt zwei, drei Monate, bis mich die Zweifel, die Sorgen wiederfinden,
so wie sie mich immer finden, bis heute. Immerhin ist
es mir nun ein Leichtes, unsichtbar zu bleiben. Wir sind zu viele,
als dass es eine strikte Hierarchie gäbe, ein feinmaschiges Netz
aus vorgegebenen Positionen – die Außenseiter, die Wilden, die
Beliebten –, in dem jeder gezwungen ist, seine Rolle einzunehmen
und sie zu behalten. Trotzdem fühle ich mich fremd, auf dem
großen Rasen sitzend, auf dem Sommerfest, auf den Partys. Da
ist die alte Angst, man werde mir auf die Schliche kommen, etwas
herausfinden über mich. Ohne dass ich sagen könnte, was mein
Geheimnis ist, der Fehler, der Makel, um den es geht, sehe ich seiner
Enthüllung angespannt und voll böser Vorahnung entgegen.
Die Welt scheint mir aus Detektiven zu bestehen, alle beauftragt
mit der Ermittlung meiner Person und dunkler Geheimnisse, die
ich selbst bloß erahne. Ich fürchte mich vor der Friseurin, die über
mein stumpfes Haar streicht, vor dem Zahnarzt, der durch die Löcher
und bis in die Abgründe im Kopfinneren zu blicken scheint,
vor der Mutter, die sich beiläufig erkundigt, ob noch immer kein
Mann, keine Frau, ja nicht einmal eine Katze meine Wohnung mit
mir teile.
Ich fürchte mich.


Die Geschichte von Paul
Als ich die Bibliothek gegen sieben Uhr verlasse, habe ich drei Anrufe
in Abwesenheit auf meinem Handy. Seitdem ich an meiner
Magisterarbeit schreibe, nehme ich das Handy nicht mehr mit in
den Saal. Schon in den Tiefen der Tasche sehe ich es blau leuchten.
Und als ich auf dem Display lese, dass ich drei Anrufe verpasst
habe, weiß ich, dass etwas Schreckliches passiert ist. Jemand muss
gestorben sein.
Ich werde nicht behaupten, ich hätte eine Vorahnung gehabt.
Es würde auch nicht stimmen. Ich habe mit meinen Befürchtungen
bloß einmal richtiggelegen. Zumindest fast. Denn als ich die
Nummer meiner Schwester sehe, bin ich überzeugt, dass meine
Mutter gestorben ist. Meine Schwester würde mich nicht ohne
Grund anrufen, wir haben uns ja nichts zu sagen.
Obwohl man auf dem Gang vor dem Lesesaal nicht telefonieren
darf, rufe ich sie gleich zurück.
Meine Schwester nimmt ab und fängt an, umständlich von
ihrer zu hohen Nebenkostenabrechnung zu erzählen und von
einem Mann, den sie kennengelernt hat. Ich halte es für immer
weniger wahrscheinlich, dass meine Mutter gestorben ist. Dann
räuspert Nina sich, und in dem Räuspern erkenne ich, was ich
gleich hätte verstehen müssen: dass sie wahllos und ein wenig
gehetzt über Banalitäten spricht, weil sie hinausschiebt, mir zu
erzählen, weswegen sie mich eigentlich angerufen hat. Ich habe
den Bruchteil einer Sekunde Zeit, um das zu begreifen, da sagt
sie es bereits, „Paul ist tot“, sagt sie, und ich sacke zusammen; die
Bücher in meinem Arm sind so schwer, dass ich sie nicht länger
halten kann. Statt sie fallen zu lassen, setze ich mich mitten in den
Gang und lege sie ab.
„Aber wie … wie ist er denn gestorben?“
„Sie wissen es nicht genau.“
„Und ungefähr?“
„Er hat wohl viele Schmerztabletten genommen. Und getrunken
hat er ja sowieso.“
„Aha“, sage ich.
Ich sitze auf dem Boden vor den Schließfächern und würde gerne
würgen. Stattdessen schlucke ich sehr konzentriert mehrmals
hintereinander. Irgendwann höre ich meine Schwester am anderen
Ende der Leitung quäken, und ihre Stimme scheint mir unangemessen,
aufdringlich in ihrer Lautstärke und ihrem Ton.
„Marie, Marie bist du noch da?“, fragt sie.
Es fühlt sich nicht so an, als ob ich noch da wäre, aber ich antworte:
„Ja.“
„Wir müssen jedenfalls nach Erlburg“, sagt Nina dann. „Ich
kann dich morgen früh abholen. Mama fährt am Mittwoch, und
ich denke, es wäre besser, wenn wir vorher schon da sind.“

Katharina  Hartwell

Über Katharina Hartwell

Biografie

Katharina Hartwell, 1984 geboren, studierte Anglistik und Amerikanistik sowie am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Sie war u.a. Gewinnerin des MDR-Literaturpreises und Stipendiatin des Landes Hessen und des Freistaates Sachsen. 2013 war sie die Sylter Inselschreiberin. Ihr erster Roman »Das...

Pressestimmen
WELT online

„Hartwell beweist in ihrem Debütroman, dass nicht immer alles nüchtern und abgeklärt sein muss. Dass die großen Worte noch immer ein Recht darauf haben, ausgesprochen zu werden. Katharina Hartwell ist eine Erzählerin aus Überzeugung. In ihrer Generation gibt es nicht so viele davon.“

BILD am Sonntag

"Wie die Liebesgeschichten in 'Das fremde Meer' ineinander fließen, wirkt märchenhaft und verstörend zugleich. Katharina Hartwells Debütroman macht mit seiner intensiven Erzählweise Lust auf Meer."

Die Welt

"Eines der kühnsten Debüts der Saison."

Spiegel online

„Dass Katharina Hartwell schreiben kann, lernt man schon auf den ersten Seiten ihres Debütromans ‚Das Fremde Meer‘ - was für eine kluge Dramatikerin sie ist, lernt man spätestens auf den letzten, traurigen Seiten ihres Romans. Und dazwischen - ja, dazwischen lernt man, wie viele Möglichkeiten die Literatur bereithält, um etwas zu sagen, und auf wie viele Arten man das gleiche Motiv erzählen kann: Eine junge Frau will einen jungen Mann retten […] Jede dieser Erzählungen könnte für sich stehen. Jede dieser Episoden hat ihren ganz eigenen Ton. Und Katharina Hartwell erzählt sie alle so gut, dass sie damit auf jeden Fall einen neuen Weltrekord im literarischen Zehnkampf aufgestellt haben dürfte.“

DIE WELT kompakt

"Katharina Hartwell ist eine Erzählerin aus Überzeugung. In ihrer Generation gibt es nicht so viele davon."

Clemens J. Setz

"Katharina Hartwell kann zaubern. Bei ihr spürt man den großen Rückenwind des Erzählens. „Das Fremde Meer“ geht dem ältesten Großprojekt der Literatur nach: die Rettung - wenn nicht des, so doch eines Menschen."

ZEIT online

"Der Roman 'Das fremde Meer' treibt einem den Wunsch, zu Hause zu bleiben, gründlich aus. Heimat bedeutet hier nicht viel mehr, als stillhalten zu müssen. Hartwells Figuren aber sind getrieben, von Ungeduld, von Angst, von der Suche nach einem Menschen, der sie vom nagenden Gefühl erlöst, nicht zugehörig zu sein. In der Rahmenerzählung finden sich Jan und Marie, eine in zarten Tönen erzählte Geschichte, deren zentrale Motive die Autorin in neun Märchen wieder aufnimmt. In diesen Binnenerzählungen zerstören die Figuren ihr Ich und erschaffen sich in magischen Ritualen und Kämpfen neu. Das ist spannend, oft tragisch und nicht zuletzt herrlich konsequent."

ORF fm4

„Ein Debüt, das einen lange nicht mehr loslässt.“

Deutschlandradio Kultur

„Katharina Hartwell räumt auf mit dem Vorurteil, dass die am Deutschen Literaturinstitut Leipzig ausgebildeten Autoren zwar das Handwerk beherrschen, erzählerisch aber nichts wagen. Die Autorin fabuliert, komponiert und variiert. Sie liefert ein gewagtes, aber überzeugendes Debüt. […] Auf fast 600 Seiten fährt Katharina Hartwell nahezu alle Geschütze auf, wechselt gekonnt die Genres und Töne und liefert den […] furiosen Beleg für die heilende Kraft des Erzählens.“

NEON

"Zauberhaft!"

Berliner Zeitung

„‘Das fremde Meer‘ verbindet überzeugend Magie mit der Realität, blickt in die Vergangenheit und ahnt eine Zukunft. Je länger man ‚Das fremde Meer‘ verfolgt, je tiefer man eintaucht, desto mehr fängt es seinen Leser ein […] ein kunst- und kraftvoll gebauter Roman. […] Katharina Hartwell erweist sich als begabte Erzählerin.“

NDR Kultur "Neue Bücher"

"Wie eine gefährliche Strömung zieht uns die Erzählerin in dieses - zum Teil sehr fremde - Meer hinein. In behutsam poetischen, manchmal fast kryptischen Worten. [...] Ein grandioses Debüt. Märchenhaft und verstörend."

FOCUS online (dpa)

„Ein komplexes, kraftvolles Buch […] Ernsthaft und fantasievoll schreibt sie über eine im wahrsten Sinne des Wortes übersinnliche Verbindung – unerklärlich und höchst spirituell.“

Wienerin

"ganz fantastisch."

Neue Zürcher Zeitung

„Schon in ihrem vor zwei Jahren erschienenen Erzählungsband "Im Eisluftballon" hat die 1984 in Köln geborene Katharina Hartwell gezeigt, wie gut sie die Dinge zum Flirren bringen kann. Auch in ihrem Debütroman weicht sie nun die Umrisse auf. Unter der Oberfläche der Sätze indes entspinnt sich ein Netz von Andeutungen und Motiven, die allesamt etwas mit dem Verschwinden zu tun haben, mit dem Fremdsein und der Angst, die Liebe könnte plötzlich vergehen. Die Fäden verschlingen sich immer weiter und werden erst auf den letzten Seiten verknotet. Es gehört zur Kunstfertigkeit dieses Romans, dass er seine Erzählidee trotzdem nicht ganz auflöst. Denn wie heisst es über die Stimmen, an die wir uns erinnern: "Wir sind der Spuk in den Köpfen der Gespenster. Aber wer wir einmal waren, ist nicht weiter wichtig, es geht immer bloss um das Jetzt und um das, was sein wird."“

Kölner Stadt-Anzeiger "Bücher Magazin"

"Es heißt: Ein gutes Buch erkennt man auf den ersten 20 Seiten. Dieses hier wird ab Seite 50 attraktiv, auf Seite 120 spannend und auf Seite 568, im allerletzten Satz entwickelt es sich zu einem ganz großen Werk. Selten sind zehn Erzählstränge, Rahmenhandlung (Marie und Jan) und neun Novellen, so kunstvoll verwoben worden. Selten sind Erzählmotive - Meer, Fische, Krankheit, der große, dunkle angsterregende Schattenmann - in verschiedenen Geschichten so dezent variiert worden, dass es für Verwirrung und Spannung gleichzeitig sorgt. Selten waren Sätze und Worte so einfach-alltäglich und doch so aussagekräftig."

annabelle

"Ein verwirbeltes Kaleidoskop von einem Buch, ein Ritt durch die Genres, ein Sprungtanz zwischen den Orten: vom Winterwald in die Psychatrie, von der Wechselstadt, wo Häuser und Stadtviertel teleportiert werden, in die Geisterfabrik. Und immer geht es um Jan und Marie, um die Liebe, die Sehnsucht und die Angst vor Verlust. Sprühendes und tiefschichtiges Debüt der jungen Autorin Katharina Hartwell."

Kreuzer

"Hartwells Sprache ist dicht und sensibel. Ohne in Esoterik oder Kitsch abzugleiten, überzeugt die Autorin den Leser davon, dass nur die Liebe das Individuum aus seiner es ständig bedrohenden Verlorenheit retten kann. Dabei schielt sie keineswegs auf ein Happy End. Die Kraft der Liebe erweist sich in ihrem Vollzug - unabhängig vom Ergebnis. Das ist romantisch und realistisch zugleich."

Freundin Donna

"Ein poetisches Debüt."

Bolero

"Hartwells Sprache ist reduziert, ihre Fantasie überbordend. Ein im wahrsten Sinne des Wortes fantastischer Erstling!"

bücher

"Hier wird ein tragisches Schicksal äußerst zärtlich und experimentell erzählt. Ein tiefgsinniges, sehr eindringliches Debüt."

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