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Zeitgenössisch und episch: Die neue fesselnde High Fantasy-Reihe mit modernem Twist. Jetzt mitmachen & gewinnen!

 

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GodkillerGodkiller

Roman

Zeitgenössisch und episch: Die neue fesselnde High Fantasy-Reihe mit modernem Twist

Eine Frau, die Götter tötet, ein brotbackender Ritter, und ein adeliges Mädchen mit einem Gott im Gepäck.

Die unaufhaltsame Kyssen hat sich das Töten von Göttern zu ihrem Beruf gemacht. Doch eines Tages trifft sie auf einen Gott, den sie nicht töten kann: Skedi, der Gott der Notlügen. Er ist an das junge adelige Mädchen Inara gebunden, das ohne ihn sterben würde. Gemeinsam müssen sie nach Blenraden reisen – die letzte Stadt, in der es noch wilde Götter gibt. Der ehemalige Ritter Elogast hat dasselbe Ziel, aber auch ein großes Geheimnis: In seinen Händen liegt das Schicksal des Landes. Nichts ahnend, was im Herzen von Blenraden lauert, tritt die ungleiche Gruppe ihre Reise an …

#1 Sunday-Times-Bestseller und TikTok-Sensation

„Düster, gewaltig und unglaublich fesselnd.“ – The Fantasy Hive

„Kaners Debüt hat alles, was Fantasy Fans sich wünschen und noch mehr: Es ist voll von Blutbädern, Dämonen und Magie, während zeitgenössische Werte und Inklusion zelebriert werden.“ – Financial Times

“Ein wundervolles, gewaltiges und explodierendes Debüt, welches im Kern eine klassische Quest mit einem ungleichen Trio trägt.“ – Daily Mail

Band 1: Godkiller
Band 2: Sunbringer

KAPITEL 1

Kyssen


Es war schwer, einen Gott in seinem Element zu töten. Daran erinnerte sich Kyssen bei jedem verfluchten Schritt, den sie die steilen, hügeligen Hänge des mittelwestlichen Middren hinaufstapfte, Talicias einst mächtigerem Nachbarn. Bis es seine östliche Handelsstadt Blenraden und die Hälfte seiner Bewohner an zänkische Götter verloren hatte. Schrecklich für Middren, aber gut für die Geldbörsen von Godkillern wie Kyssen.

Die Luft war frisch und kühl am Morgen. Middren hatte gerade erst angefangen, den Griff des Winters abzuschütteln. Obwohl ihr rechtes Bein zum Wandern gebaut war und sie ihr Knie doppelt bandagiert hatte, spürte sie bereits, wie sich dort, wo ihre Prothese auf ihrem Fleisch saß, Blasen bildeten. Die würden ihr später eine Welt voller Schmerzen bereiten.

Der schmale Weg durch den Wald war von Schlamm und halb gefrorenem Eis überzogen, aber Kyssen erkannte hier die Form eines Fußes im Moos, einen umgedrehten Stein dort und an einigen Stellen sogar Blutstropfen, die ihr sagten, dass dies der richtige Weg war. Das war die Art von Pfad, auf dem die Menschen beteten.

Trotz ihrer Geschicklichkeit als Spurensucherin war die Sonne schon halb aufgegangen, als sie die Markierung endlich fand: eine Reihe weißer Steine am Rande des Pfades, wo der Boden sich zu einem nahen Bach senkte. Eine Schwelle. Sie lockerte die Schultern und holte tief Luft. Vielleicht hätte sie diesen Gott in einen kleineren Schrein locken können, doch das hätte Zeit und Geduld erfordert. Beides hatte sie nicht.

Sie überschritt die Grenze.

Die Geräusche veränderten sich. Verstummt war das Vogelgezwitscher des frühen Morgens und verschwunden der Duft von Blättern und Mulch. Stattdessen hörte sie Wasser rauschen, spürte Tiefe und kalten Stein und roch die schwachen Spuren von Weihrauch in der Luft – und Blut.

Es war schwieriger, einen Gott zu töten, als einen zu erschaffen. Selbst eine frischgeborene Göttin wie diese hier, die nur ein paar Jahre alt war. Noch schwieriger war es, einen Gott mit einer Münze oder einer Perle zu locken, wenn er erst einmal Geschmack an Opferungen gefunden hatte.

Der Geruch von Weihrauch wurde stärker, als Kyssen sich vorsichtig am Ufer entlangbewegte. Der Gott wusste, dass sie hier war. Sie blieb auf den Steinen des Ufers stehen, gab sich den Schmerzen in ihren Beinen, der Kälte des Morgens und dem scharfen Zwicken der Blasen hin. Sie zückte ihr Schwert nicht, noch nicht. Der Fluss war seicht, aber die Strömung war stark, und auf dem Wasser trieb weißer Schaum von den nahe gelegenen Wasserfällen.

Die Luft wurde kühler.

Du bist hier nicht willkommen, Godkillerin. Die Gedankensprache der Götter war schlimmer, als eine Nadel in den Schädel zu bekommen. Es fühlte sich an, als würde ihr Geist zerrissen, wie eine Invasion.

„Du bist gierig gewesen, Ennerast“, erwiderte Kyssen. Die Luft zischte. Namen besitzen Macht, und die Götter spürten den Zug ihres Namens wie einen Haken in ihren Rippen, der sie ins Freie zog. Aber Ennerast ließ sich nicht allein durch ihren Namen herauslocken.

Es war nur ein bisschen Blut, sagte Ennerast, nur ein oder zwei Kälber. Keiner von der Brut der Menschen.

„Komm schon, du hast sie ausgehungert, bis sie sie dir gegeben haben“, sagte Kyssen, die ihren Blick umherschweifen ließ und ihre Umgebung prüfend musterte. „Du hast ihre Gewässer mit Krankheiten verseucht. Du hast ihre Kinder und ihre Ältesten an deine Ufer gezerrt und ihr Leben bedroht.“ Wo sie stand, hatte sie nur wenig Vorteile. Der Fluss plätscherte gegen ihre Stiefel.

Wirklich, die Siedlung hier hätte schon früher eine Veiga rufen sollen. Kein Anführer einer Stadt von der Größe Ennertons, der etwas auf sich hielt, hätte eine Gottheit so lange leben lassen sollen, dass sei so mächtig wurde. Obwohl Schreine verboten waren, tauchten immer wieder Götter auf. Wesen mit Macht, Geister, denen die Liebe und die Angst der Menschen Kraft und Willen verliehen, bis sie stark genug waren, um sie auszubeuten. Menschen waren törichte Geschöpfe, und Götter waren grausam.

„Du hast ihnen Schaden zugefügt“, sagte Kyssen. Das Wasser zu ihren Füßen strömte nicht mehr, sondern wirbelte stattdessen gegen das Ufer.

Das ist mein Recht. Ich bin eine Gottheit.

„Ha.“ Kyssen lachte humorlos. „Du zehrst von den Verängstigten, Ennerast. Du bist eine Ratte, und ich bin deine Fängerin.“

Kyssen griff in ihren Wachswollmantel und fuhr mit den Fingern über ihre Taschen mit Reliquien und Totems, Werkzeugen und Weihrauch, den Tricks ihres Handwerks. Sie erkannte an den kleinen geriffelten Markierungen auf dem Gefäß, was sie suchte, schob ihren Fingernagel unter den Korken und hob ihn ab. In dem Gefäß befand sich ein zusammengerolltes, beschriebenes Stück Leder.

Die Luft um sie herum war aufgeladen, als wäre sie nervös und aufgeregt. Das Wasser begann zu schäumen.

Was ist das?

Kyssen vermochte nicht zu spüren, was Götter wahrnehmen konnten: Angst, Hoffnung, Verzweiflung; Gefühle, mit denen sie gerne spielten, die ihnen aber gleichgültig waren. Sie wusste jedoch, was Götter antrieb, wonach sie sich sehnten. „Es ist ein Gebet“, sagte sie, ohne es loszulassen.

Ich will es haben.

„Das Gebet eines jungen Mannes aus einem fernen Dorf.“ Kyssen drückte den Daumen auf den Korken. „Er möchte vor der Dürre und den Bränden in seinen Wäldern gerettet werden, um seine Ernte und seine Tiere zu retten. Er sehnt sich verzweifelt nach Wasser.“

Gib es mir.

„Er verspricht alles, Ennerast.“ Kyssen lächelte. „Alles.“

Meins.

Das Wasser schoss in die Höhe und verwandelte sich in einen grünen Sturzbach, mit einem Kopf so glatt wie Stein und von Unkraut überwucherten Armen. In der Mitte, in einem Torso aus fließendem Wasser, befand sich eine dunkle Masse: ein Herz aus Blut. Sie griff nach Kyssen, die ihren Stand sicherte und mit einer einzigen fließenden Bewegung ihre Klinge zog und Ennerasts Finger abtrennte. Die Gottheit schrie auf, zog sich zurück, und Wasser bildete sich dort neu, wo ihr Flussfleisch zerfetzt worden war.

„Es brennt“, sagte sie laut, mehr überrascht als verletzt. Ihre Augen waren flach und grau wie Kieselsteine. Das Schwert war leicht und härter als Stahl, strapazierfähig, geschmiedet aus einer Mischung aus Eisen und Bridhid-Erz, wie Kyssens Bein. Es konnte die Materie eines Gottes ebenso zuverlässig zerschneiden wie die eines Menschen, von der kleinsten Gottheit der Verlorenen Dinge bis zum großen Gott des Krieges. Eine Gottheit wie Ennerast, die sich erst kürzlich in diesem Gebirgsfluss manifestiert hatte, war noch nie von einer Briddite-Klinge verletzt worden.

Die Gottheit fletschte ihre Fischgrätenzähne und schlug gegen das Ufer unter Kyssens Füßen. Es gab nach, und Kyssen stürzte in den Fluss. Sie versuchte aufzustehen, aber das Unkraut schlang sich um ihre Handgelenke und zog sie tiefer hinab. Das Wasser drang in ihren Mund und ihre Nase und weiter in ihre Lunge.

Kyssen schob ihr Schwert vorwärts, gegen das Unkraut, und rammte die Klinge in das Flussbett. Sie traf auf einen Stein und hielt stand. Ihr rechtes Bein rammte sie hart nach unten und gewann etwas mehr Stabilität. Mit aller Kraft riss sie ihre Klinge aus dem Wasser und durchtrennte mit der Schneide Strömung und Unkraut. Dann bäumte sie sich auf und schlitzte Ennerasts Arm auf, als die Gottheit versuchte, sie unter Wasser zu drücken.

Ennerasts Fleisch fiel in einer Kaskade von Wasser in den Fluss. Sie kreischte, die Strömung wurde schwächer, und Kyssen sah, wonach sie suchte. Hinter dem Wasserfall blitzten ein Knochen, ein farbiges Band und ein Stein auf: der Schrein des Flussgottes. Ennerast war keine alte Gottheit mit vielen Schreinen, vielen Gebeten. Die konnten nach Lust und Laune die Welt bereisen. Sie war eine neue Gottheit, und obwohl sie in der Wildnis geboren war, brauchte sie ihren Schrein zum Leben.

Kyssen ließ Ennerast keine Zeit, sich neu aufzustellen. Sie sprang vor und hob ihre Klinge zum Schlag.

Ennerast tappte in die Falle. Sie tauchte ab, um ihr Heiligtum zu schützen, und Kyssen drehte sich im letzten Moment um, drehte sich im Kniegelenk und riss das Schwert mit aller Kraft hoch.

Es bohrte sich durch Ennerasts dunklen Torso und direkt in die blutige Masse ihres Herzens. Die Gottheit brüllte wie ein Damm, der tosend brach. Sie schnappte nach Kyssens Schwerthand und packte sie so fest, dass sie ihr fast die Knochen zermalmte.

„Bitte“, flehte Ennerast. „Lass mich leben, Veiga, vielleicht hast du noch Verwendung für mich.“

„Ich brauche keine Götter“, erwiderte Kyssen.

„Das sagt eine, die das Versprechen von Osidisen noch im Herzen trägt.“

Das Wasser war ein Verräter von Geheimnissen; Geschichten wurden vom Tropfen bis zum Wolkenbruch weitergegeben, vom Rinnsal bis zum Meer. Nichts konnte das Geschwätz einer Wassergottheit aufhalten.

„Ich kann dich davon befreien, weißt du“, sagte Ennerast, beugte sich über die Klinge und schob ihr Gesicht dicht an das von Kyssen. „Von dem Versprechen, den Narben, den Erinnerungen.“ Sie strich Kyssen über die Wange.

„Mächtigere Götter als du haben mir Angebote gemacht, Ennerast“, sagte Kyssen, „und ich habe sie trotzdem getötet.“

Ennerast zischte. „Dann verfluche ich dich!“, schrie sie. „Ich …“

Kyssen riss ihr Schwert in einem Schwall aus Blut und stinkendem feuchtem Wasser aus der Seite der Gottheit, und der Schrein hinter dem Wasserfall zerbarst. Ennerast gab keinen Laut von sich, als ihr Fleisch in die Strömung zurückfiel und im Fluss Ennerun versank. Sie gab ihn frei, für die Stadt und die Dörfer, die er speiste, zum Gedeihen oder Untergang. Aber es gelang ihr, Kyssen einen letzten Stich ins Herz zu versetzen.

Wenn Middren an die Götter fällt, wird eure Art die erste sein, die stirbt.

Die Geräusche des Flusses verstummten, und der süßliche Duft von Weihrauch wurde wieder von dem nach Lehm und Feuchtigkeit überlagert. Der Gesang der Vögel kehrte zurück.

Kyssen zitterte. Sie war bis auf die Knochen durchnässt, doch ihre Arbeit war noch nicht getan. Die Gottheit war tot, aber Götter konnten zurückkommen. Der Schrein war ihre Erinnerungen, ihre Opfer, ihr Anker in der Welt.

Kyssen näherte sich dem Schrein. Er war beschädigt, doch nicht völlig zerbrochen. Zwei Tierschädel waren zersplittert. Die meisten Gottheiten verlangten eher Tieropfer als Menschenopfer. Kyssen raffte die Trümmer zusammen und warf sie zum Verrotten in den Wald. Der Weihrauch war zerbröckelt, aber die Asche war übrig geblieben. Sie schüttete etwas davon in eine kleine Glasphiole und warf den Rest in das Wasser. Viele der anderen Gaben an Ennerast waren noch intakt. Genug, um sie wieder zum Leben zu erwecken, wenn sie verschont würden. Kyssen behielt einen gewebten Seidenstreifen, handgefertigt, mit einem Gebet in der Weberei und Blut, das mit den Fäden vermischt war. Ein Liebesgesuch, wie es aussah. Sehr verlockend für eine Gottheit. Von den anderen Gebeten lohnte sich kaum eines, aufbewahrt zu werden. Kyssen schichtete die Überreste des Schreins auf und zündete sie an, weit weg vom Wasser und in einem Ring aus Steinen. Sorgfältig beobachtete sie, wie der behelfsmäßige Scheiterhaufen zu Asche verbrannte.

Sie behielt nur noch einen weiteren Gegenstand: ein Totem aus Kalkstein, geschnitzt mit einem Kopf, hohen Wangenknochen und flachen Augen. Etwa so groß wie ihre eigene Handfläche. Es war in der Mitte geborsten, als Ennerast starb, aber die Gottheit hatte das als Vorbild für ihre Gestalt genommen.

Kyssen stank nach Dampf, Schlamm und Teerrauch, als sie schließlich ihr Pferd vom Fuß des Bergpfades holte und den langen Weg zurück in die Stadt Ennerton und zu dem Vogt ritt, der sie gerufen hatte. Vogte waren aufgeblasene Verwalter, die in Städten und Gegenden eingesetzt wurden, um sich um die Geschäfte des Adligen zu kümmern, dem das Land gehörte. In diesem Fall war es das Haus Craier. Kyssen kümmerte sich nicht darum, wem welcher Flecken Schlamm gehörte, solange das Silber rein war.

Kyssen klopfte an die Tür des Amtssitzes. Die ältere Frau, die ihr öffnete, begrüßte sie mit einem finsteren Blick und rieb sich Tuscheflecken von ihrer dunkelolivfarbenen Haut.

„Ihr Veiga solltet die Hintertür benutzen“, sagte sie.

Kyssen lächelte und zeigte ihren Goldzahn. Vor dem Krieg um Blenraden galten die Godkiller kaum mehr als Attentäter oder Kammerjäger. Kyssen und die Veiga, die sie ausgebildet hatte, waren unter der Hand bezahlt worden. „Heutzutage haben wir den Segen des Königs“, gab Kyssen zurück. „Oder wollt ihr es mit den Toten von Blenraden aufnehmen?“

Die Frau errötete und ließ sie durch die Tür, und Kyssen warf ihr einen spöttischen Kuss zu. Heutzutage musste sie nicht mehr so tun, als sei ihre Berufung eine Sünde.

Der Vogt kontrollierte gerade die Kassenbücher in seinem Büro. Er saß an einem großen Eichenschreibtisch, der stolz vor einem bunten, gerahmten Bild von König Arren stand. Er blickte mürrisch auf, als sie eintrat, und die klappernden Kupferohrringe in seinem linken Ohr glitzerten im Lampenlicht. Sie hatten bläuliche Spuren auf seinem blassen Ohrläppchen hinterlassen.

„Ist es getan?“, wollte er wissen.

„Ich grüße dich auch, Vogt Tessys“, antwortete Kyssen. „Ich dachte, die Craier-Länder wären gastfreundlich.“

Tessys machte ein säuerliches Gesicht, als hätte man schon zu oft auf ihm herumgetrampelt. „Ich brauche einen Beweis.“ Er wirkte ein wenig spitzbübisch bei diesen Worten. Der Beweis war der Rauch, der an diesem feuchten Tag immer noch am Berg aufstieg, genau dort, wo Ennerasts Schrein gestanden hatte. Der Beweis war das Odeur von Wut, das an Kyssen haftete wie das statische Knistern eines abklingenden Sturms. Sei es drum – kleine Männer hielten gerne große Dinge in Händen.

Kyssen legte Ennerasts zerbrochenes Kalkstein-Totem auf den Schreibtisch. Tessys wusste, so etwas konnte nur aus einem Schrein genommen worden sein. Der Vogt starrte das Totem ängstlich an.

„Vernichte es!“, befahl Kyssen, zog ihre in Leder eingewickelten Veiga-Dokumente aus ihrer Manteltasche und schob sie über den Tisch. „Und wasch dir die Sorgen aus dem Herzen, sonst ist sie noch vor dem Winter wieder da.“

Er blickte sie irritiert an, dann auf die Papiere und befühlte seine Feder. „Du sagtest, du hättest sie getötet.“

„Götter sind Parasiten. Sie werden wiederkommen, wenn es Angst gibt, von der sie sich nähren können.“ Eine wiedergeborene Ennerast würde irgendwann denselben Weg einschlagen, auch ohne Erinnerungen an ihr Heiligtum. Götter wurden alle vom gleichen Verlangen getrieben: dem nach Liebe, nach Opfern, nach Blut.

Der Vogt schniefte. Konnte Kyssen ihn melden, weil er es versäumt hatte, den Schrein von Ennerast früher zu entfernen? Er würde eine saftige Geldstrafe bekommen, wenn nicht sogar einen Finger verlieren. Vielleicht sollte sie das tun, aber es würde sein Wesen nicht ändern. Gottheiten wurden aus menschlichen Gebeten geboren, und niemand wollte es sich mit ihnen verderben. Wenn sie jedes Mal, wenn jemand eine Veiga brauchte, dem nächstbesten Ritter davon erzählte, würde sie bald keine Arbeit mehr haben.

Der Vogt holte einen Stempel aus seiner Schublade und dazu einen Beutel mit Silber. Sein Tuschestein war bereits nass, also drückte er den Stempel darauf, dann auf ihre Dokumente, mitten in das dreizackige Symbol der Veiga. Kyssen nahm das Silber zuerst und wog es in ihrer Hand. Sie würde ihn vielleicht nicht melden, aber sie berechnete ihm trotzdem einen Aufschlag.

„Und jetzt verschwinde!“ Er schob ihre Papiere über den Schreibtisch und scheuchte sie mit einer Handbewegung weg. Doch er konnte ihr nicht in die Augen sehen.

„Du hast sonst keinen weiteren Auftrag für mich?“, fragte Kyssen. „Warum nicht?“

„Hier gibt es keine weiteren Götterprobleme“, erwiderte der Vogt mit einem säuerlichen Lächeln. „Ich schicke dich bei Bedarf zu deinem örtlichen Vogt in Lesscia.“

Kyssen zuckte mit den Schultern und steckte das Silber ein.

„Du wirst das nicht klären, richtig?“, sagte sie und zeigte auf Ennerasts Totem. Es war keine Frage. Er hatte nicht nur vor der toten Gottheit Angst, sondern auch vor ihren Anhängern. Sie würden einen Schuldigen suchen, und der Vogt war derjenige, der eine Godkillerin gerufen hatte. Vielleicht würde er die Reliquie aufbewahren, vielleicht würde er sich von ihnen bestechen lassen, um sie wieder herauszurücken.

Die letzten Worte von Ennerast kamen Kyssen wieder in den Sinn. Wenn Middren an die Götter fällt …

Kyssen zog ihr Schwert, und mit einer kurzen Drehung des Handgelenks zerschmetterte sie das Totem mit der flachen Seite der Klinge. Der Vogt sprang zurück, als das Antlitz von Ennerast auf den Schreibtisch zerbröselte und eine große Delle und einen Haufen weißer Krümel hinterließ.

„Wie kannst du es wagen …!“, begann er, stockte allerdings, als Kyssen ihm ein goldblinkendes Grinsen schenkte und ihren Blick auf das Porträt des Königs richtete, das hinter seinem Schreibtisch hing. Der Fuß des Königs ruhte auf dem Schädel eines Hirschs, die Sonne ging hinter ihm über der brennenden Stadt auf. Es war sein Dekret, dem er gehorchen musste, egal was die Stadtbewohner dachten. Der Vogt unterdrückte seinen Zorn.

„Danke“, presste er zwischen den Zähnen hervor.

Kyssen verließ den Amtssitz und versuchte, sich diese Worte aus dem Kopf zu schlagen. Die großen Götter waren in alle Winde zerstreut, ihre Jagdgründe aufgelöst, ihr Krieg in Middren lange vorbei. Ennerasts Worte bedeuteten nichts, waren nur der letzte verzweifelte Atemzug einer sterbenden Gottheit.

Kyssen legte eine Hand auf ihre Brust, wo das Versprechen Osidisens, das Opfer ihres Vaters, noch immer auf ihrem Herzen lastete.

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