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Vogelkoje (Mamma Carlotta 11)Vogelkoje (Mamma Carlotta 11)

Vogelkoje (Mamma Carlotta 11)

Gisa Pauly
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Ein Sylt-Krimi

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Vogelkoje (Mamma Carlotta 11) — Inhalt

Jetzt wird es rasant: Mamma Carlottas elfter Fall!

Schon lange ist Mamma Carlotta der Meinung, dass ihr Schwiegersohn, Kriminalhauptkommissar Erik Wolf, viel zu langsam Auto fährt. Sie selbst ist eher von der schnellen Sorte. Aber illegale Rennen auf Sylt? Das geht der resoluten Italienerin dann doch zu weit. Erst recht, als bei einem dieser Rennen ein Leichenwagen verunglückt. Und ein Sarg herausfällt, dessen Inhalt sogar für Eriks an sich gute Nerven zu viel ist. Natürlich ist die Neugier seiner Schwiegermutter prompt geweckt. Mamma Carlotta beginnt sogleich Erkundigungen einzuholen – ohne zu ahnen, dass sich hinter diesem Sarg ein gefährliches Geheimnis verbirgt ...

Perfekte Cozy Crime für Ihre Strandlektüre – machen Sie Urlaub mit Mama Carlotta! 

Bücher für den Urlaub gibt es viele. Hervorragende Regionalkrimis ebenso. Doch kaum ein anderer Nordsee-Krimi bringt das Lebensgefühl auf Sylt mit so viel Charme und Situationskomik auf den Punkt wie die Mamma Carlotta-Reihe. Lassen Sie die Seele baumeln und schmökern Sie nach Herzenslust –  die Romane von Gisa Pauly sind ein pures Vergnügen und ein perfekter Tipp für Ihre Urlaubslektüre. 

„Man muss sie einfach mögen, die italienische Miss Marple von Sylt.“ Brigitte

€ 9,99 [D], € 10,30 [A]
Erschienen am 02.05.2017
496 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-30876-2
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€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 02.05.2017
480 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-97684-8
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Leseprobe zu „Vogelkoje (Mamma Carlotta 11)“

Carlotta Capella kannte sich aus. Die Anordnung der Stewardess „Bitte bleiben Sie so lange sitzen, bis die Anschnallzeichen über Ihnen erloschen sind“ musste man nicht unbedingt befolgen. Das war so wie Geschwindigkeitsbeschränkungen und Parkverbote in bella Italia: Sie dienten nur dazu, im Falle einer Gerichtsverhandlung zu einem schnellen Schuldspruch zu kommen. Früher hätte sie sich das niemals getraut, aber mittlerweile, nachdem sie mehr als zehnmal von Rom nach Hamburg geflogen war, löste sie trotz der Warnung der Flugbegleiterin genauso [...]

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Carlotta Capella kannte sich aus. Die Anordnung der Stewardess „Bitte bleiben Sie so lange sitzen, bis die Anschnallzeichen über Ihnen erloschen sind“ musste man nicht unbedingt befolgen. Das war so wie Geschwindigkeitsbeschränkungen und Parkverbote in bella Italia: Sie dienten nur dazu, im Falle einer Gerichtsverhandlung zu einem schnellen Schuldspruch zu kommen. Früher hätte sie sich das niemals getraut, aber mittlerweile, nachdem sie mehr als zehnmal von Rom nach Hamburg geflogen war, löste sie trotz der Warnung der Flugbegleiterin genauso gleichmütig den Gurt wie die meisten anderen. Sie wusste nun auch, wie man zum richtigen Gepäckband kam, ohne zu fragen, und schaffte es sogar, niemanden an ihrer Sorge teilhaben zu lassen, das Gepäck könne in ein falsches Flugzeug geraten sein. Sogar den Ausgang fand sie, ohne zu zögern, und war nicht mehr darauf angewiesen, einem Mitpassagier unauffällig zu folgen, den sie für flugerfahren befunden hatte. Auf diese Weise war sie einmal vor der Tür der Herrentoilette gelandet und daraufhin zu der Ansicht gekommen, dass es Zeit wurde, sich unabhängig von fremder Hilfe zu machen. So unterschied sie sich mittlerweile, jedenfalls auf den ersten Blick, nicht mehr von den erfahrenen Geschäftsreisenden, die auf alles so abgebrüht reagierten, als wären sie nur zwei Stationen mit der Straßenbahn gefahren.

Das Schweigen dieser Vielflieger allerdings war nichts, was ihr imponierte. Schweigende Menschen mochte sie nicht, basta! Und die, die mit einem unsichtbaren Gesprächspartner redeten, dessen Stimme über Ohrstöpsel zu ihnen drang, ebenso wenig. Die Blasiertheit, mit der sich manche Fluggäste Distanz zu ihren Mitreisenden verschafften, war nicht ihr Ding. Nebeneinander am Gepäckband stehen und schweigend warten? Nein, nicht Carlotta Capella! Noch bevor der erste Koffer erschien, wusste die Frau, die neben ihr wartete, dass Carlottas Enkeltochter an diesem Tag achtzehn wurde. „Madonna, wie die Zeit vergeht!“ Auch dass sie keinen frühzeitigeren Flug gefunden hatte, der von ihrer schmalen Witwenrente zu bezahlen war, tat sie unüberhörbar kund. Und damit, dass sie eigentlich gern die Einkäufe für die kleine familiäre Feier am Abend selbst erledigt hätte und am liebsten so viel kochen würde, dass die ganze Nachbarschaft auch noch satt werden konnte, hielt sie ebenfalls nicht hinterm Berg. „Aber la famiglia auf Sylt ist ja klein. Nur mein Schwiegersohn und die beiden ragazzi. Zu Hause, in meinem Dorf, hätte es für mindestens zwanzig Familienangehörige reichen müssen.“

Als die Frau höflich nickte, ihr Gepäck vom Band nahm und sich Richtung Ausgang begab, nahm sie sich den Nächsten vor. Der erfuhr, ob er wollte oder nicht, dass Carlotta Capella aus dem kleinen umbrischen Dorf Panidomino stammte und ihre Tochter einen Deutschen geheiratet hatte, der Kriminalhauptkommissar auf Sylt war.

„Madonna, diese Friesen! Wie meine Lucia die Einsilbigkeit ertragen hat, weiß ich wirklich nicht.“

Dass Lucia nicht mehr lebte, weil sie einem Autounfall zum Opfer gefallen war, konnte sie gerade noch anbringen, doch als sie erzählen wollte, dass sie selbst schon mit sechzehn geheiratet und sieben Kinder zur Welt gebracht hatte, wankte mit einem Mal ihr eigener Koffer an ihr vorbei, und sie musste feststellen, dass sie vor lauter Reden gar nicht mehr aufs Gepäck geachtet hatte. Schnell griff sie zu, strich sich so energisch ihr Blümchenkleid glatt wie Geschäftsreisende ihre Krawatten und richtete sich kerzengerade auf, wie es viele Männer taten, die auf einen Geschäftsfreund stoßen würden, der mit Würde beeindruckt werden sollte. Dann marschierte sie so energisch Richtung Ausgang, als werde sie bei einem Vorstandsmeeting erwartet. Ihre dunklen Locken wippten erwartungsvoll, ihre Augen sprühten.

Die Türen öffneten sich automatisch, wie ein schwerer Vorhang, und Carlotta Capella hatte ihren Auftritt auf der Bühne der Ankunftshalle, den sie wie immer genoss. Sie hatte ihre Enkelin noch gar nicht in der Menge ausgemacht, als sich jemand in ihre Arme warf. „Nonna!“ Carolins komplizierte Frisur, die nur minimale Gefühlsaufwallungen vertrug, schien ihr ausnahmsweise egal zu sein.

Carlotta war fassungslos. Dies war einer der ersten emotionalen Ausbrüche, die sie bei ihrer Enkelin erlebte, die sie sonst mit einem Händedruck und einem lapidaren „Moin!“ zu begrüßen pflegte. Hatte Carolins achtzehnter Geburtstag etwa bewirkt, dass auch ihr Temperament volljährig und damit stark und selbstbewusst geworden war?

„Congratulazioni, Amore!“, rief Mamma Carlotta so laut, dass sich Carolin prompt von ihr löste und verlegen umsah. Ihre Befürchtung hatte sich bewahrheitet. Einige Umstehende waren auf sie aufmerksam geworden und sahen aus, als wollten sie in die Hochrufe ihrer Oma einstimmen oder „Happy Birthday“ singen.

Hastig griff sie nach Mamma Carlottas Arm. „Schon gut, Nonna! Komm! Lass uns gehen!“

Aber so leicht kam sie ihrer Großmutter nicht davon. „Achtzehn Jahre! Dio mio! Dabei kommt es mir vor wie gestern, als deine Mama zum ersten Mal mit dir nach Italien kam. Drei Monate warst du alt. Und so niedlich! Eine Nase wie ein Druckknopf und so helle Haare, wie sie in Panidomino niemand hat.“

„Ruhig, Nonna! Lass uns gehen!“ Carolin griff fester zu und versuchte, ihre Oma aus der Masse der Wartenden herauszudirigieren. Mit der anderen Hand bemühte sie sich, die aufwendig gedrehten Haarspiralen zu richten, die bei der Begrüßung ihrer Großmutter ihr Gesicht freigelegt hatten. Schon bald hingen sie wieder vor ihren Augen, sodass die dick getuschten Wimpern regelmäßig mit ihnen kollidierten.

„Ma no! Nicht so eilig.“ Carlotta löste sich aus Carolins Griff, stellte den Koffer ab und zupfte an ihrem Kleid herum, bis es nicht mehr an ihren Schenkeln klebte. „Wo ist dein Vater? Und Felice? Ah, naturalmente! Felice muss zur Schule. Aber Enrico?“

Nun fiel der Wunsch, sich unauffällig zu verdrücken, von Carolin ab. Sie schien schlagartig vergessen zu haben, wie unangenehm es ihr war, wenn die Nonna mit ihrer lauten Stimme und ihren überschäumenden Gesten für Aufsehen sorgte. Ihr blasses Gesicht rötete sich, in ihre Augen trat ein verschmitzter Ausdruck. Mamma Carlotta sah die Aufregung in der Miene ihrer Enkelin, ein Zustand, in dem sich eine Italienerin wie ein Kreisel gedreht, mit beiden Armen gestikuliert und so viele Worte herausgesprudelt hätte, dass man sie unmöglich verstehen konnte. All das kam für Carolin, die so friesisch wie ihr Vater war, natürlich nicht infrage. Aber ihr Mund und ihre Augen lächelten, sie schob die Unterlippe vor, pustete ihr Blickfeld frei und griff sich mit so theatralischer Geste in die hochtoupierten Haare, dass Mamma Carlotta alarmiert war.

Carolin schob das kunstvolle Gebilde, das sie sich jeden Morgen auf den Kopf türmte, ein paar weitere Millimeter höher, sodass eindeutig das Maximale sowohl ihrer Frisur als auch ihrer Gefühlsaufwallung erreicht war. „Ich bin allein nach Hamburg gekommen.“ Nun zitterte ihre Stimme sogar, als könne sie es nicht abwarten, ihrer Nonna eine Neuigkeit zu verkünden, die aus Felix längst herausgeplatzt wäre.

„Mit dem Zug?“ Mamma Carlotta starrte ihre Enkelin an, und mit einem Mal begriff sie. Aber um nichts auf der Welt hätte sie die Pointe verdorben, mit der ihre Enkelin so lange hinterm Berg hielt. „Wie lange dauert die Zugfahrt? Dio mio! Hatte Enrico keine Zeit? Ein neuer Fall? Schon wieder ein Mord? Madonna! Wie kommen wir überhaupt zum Bahnhof?“

Carolin machte keinen Versuch, den Redeschwall ihrer Großmutter zu unterbrechen. Sie wartete geduldig, bis die Worte weniger wurden, und sagte dann mit ihrer leisen Stimme: „Ich zeige dir, wie.“ Dann nahm sie den Koffer ihrer Großmutter und ging ihr voran . . .

 

Erik sah zum hundertsten Mal auf die Uhr und dann zum Telefon, als wollte er es zum Klingeln zwingen. Seufzend lehnte er sich zurück, streckte die Beine von sich, dehnte sich und stellte verärgert fest, dass sein Bauch dadurch nicht flacher wurde. Seufzend starrte er zur Decke seines Büros. Er konnte sich einfach nicht auf die Arbeit konzentrieren, solange er nicht wusste, ob Carolin und seine Schwiegermutter gut auf Sylt angekommen waren. Wann riefen sie endlich an?

Er stand auf, ging zum Fenster und blickte auf die Keitumer Landstraße. Die Hochsaison hatte noch nicht begonnen, aber die Autos stauten sich bereits vor der Ampel, die den Verkehrsstrom zum Bahnhof regelte. Während Erik sich nachdenklich den Schnauzer glattstrich, sah er in den Himmel und folgte dem Flug einer Möwe. Ärgerlich runzelte er die Stirn, als ein ungeduldiger Autofahrer hupte.

Sylt war im Mai besonders schön. Das fanden auch die Touristen, die bereits in Scharen auf die Insel kamen, so früh im Jahr oft nur für einen Kurzurlaub, von dem sie aber keine Stunde verschwenden, jede Minute ausnutzen wollten und deswegen auch kurze Wege mit einem schweren Wagen fuhren, sodass sich regelmäßig eine Fahrzeugschlange träge und stockend durch Westerland wand.

Er drehte sich um, als die Tür seines Büros geöffnet wurde. Sören Kretschmer trat ein, ein junger Kommissar von Ende zwanzig, mit einem runden Gesicht, roten Wangen und schütteren blonden Haaren. Er grinste, als er die besorgte Miene seines Chefs sah. „Es wird schon alles gut gehen“, tröstete er.

„Ich weiß.“ Erik verkniff sich nur knapp die Frage, was Sören eigentlich meinte. Das wäre dann wohl der Heuchelei zu viel gewesen. „Natürlich wird alles gut gehen. Im Übrigen habe ich gar nicht an Carolin gedacht.“ Er blickte über das Grinsen seines Assistenten hinweg, der die Lüge offenbar durchschaut hatte. „Ich habe nur gerade überlegt, wie wir mit dem Anruf umgehen, der in den frühen Morgenstunden kam.“

Sören hielt ein Blatt in die Höhe. „Darüber wollte ich auch gerade mit Ihnen reden. Es sind noch zwei weitere Anzeigen eingegangen. An der Sache scheint was dran zu sein.“

Erik steckte die Hände in die Hosentaschen und dehnte sie, bis die Nähte knirschten. „Illegale Autorennen auf Sylt? Was wird eigentlich noch alles kommen?“

Sören zuckte mit den Schultern. „Erst dachte ich ja auch, da hätten nur ein paar Verrückte mal tüchtig aufs Gas gedrückt, aber was der eine Anrufer Rudi erzählt hat, hörte sich wirklich nach einem Straßenrennen an. Kein spontanes, sondern ein genau geplantes. Gut organisiert. Da versammelt sich eine Gruppe mit ihren Autos auf dem Parkplatz von Buhne 16, immer erst weit nach Mitternacht, wenn auf den Straßen nur noch wenig los ist. Wer den besten Start hat, kommt als Erster durch die Ausfahrt auf die Straße. Und dann geht’s richtig los! Auf beiden Fahrspuren! Wenn denen mal ein Fahrzeug entgegenkommt . . .“

„Was sind das für Idioten?“, schimpfte Erik. „Hoffentlich bringen sie sich wenigstens selbst damit um und keine unbeteiligten Autofahrer.“

„Bevor das passiert, müssen wir sie uns schnappen.“ Sören setzte sich auf Eriks Schreibtisch und stellte die Füße auf den Bürostuhl.

Erik verzichtete darauf, ihn zu maßregeln. Er lehnte sich an die Fensterbank und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie meinen, wir sollen uns auf die Lauer legen und sie beobachten?“

Sören nickte. „Vielleicht haben wir Glück, und sie machen es in der kommenden Nacht wieder. Wenn nicht, müssen wir eben so lange die Nächte dort verbringen, bis wir sie erwischen.“

Erik seufzte. Diese Aussicht behagte ihm ganz und gar nicht. „Eigentlich gehe ich gern gegen elf schlafen. Rudi Engdahl und Enno Mierendorf müssen mitmachen. Noch besser, wir holen uns ein paar Leute von der Bereitschaft.“

„Okay, machen wir. Aber erst mal gucken wir selbst, wie das läuft.“ Sören schien von Abenteuerlust gepackt zu werden. „Heute wird das natürlich nichts. Ich weiß ja, Carolins achtzehnter Geburtstag, aber . . .“

„Die Party findet erst am Wochenende statt. Heute feiern wir nur im Kreis der Familie.“ Ein Lächeln flog über Eriks Gesicht, das aus einer seltsamen Mischung aus Vorfreude und Unlust entstanden war. „Meine Schwiegermutter hat Carolin am Telefon eine lange Einkaufsliste diktiert. Heute Nachmittag wird bei uns gekocht und gebraten.“

Sören nahm die Füße vom Stuhl und stand auf. „Dann werde ich versuchen, mich wach zu halten. Und Sie rufen mich an, wenn alles aufgegessen ist und die Wein- und Grappaflaschen leer sind. Was halten Sie davon, Chef? Wir sollten sowieso mit dem Fahrrad zum Parkplatz fahren. Ein Auto würde auffallen. Sie können also beim Rotwein zuschlagen wie gewohnt. Einverstanden?“

Erik stieß sich von der Fensterbank ab und ging zu seinem Schreibtisch. „Ich soll Sie anrufen? Sie sind natürlich ebenfalls eingeladen, Sören. Für meine Schwiegermutter gehören Sie zur Familie. Sie wäre tödlich beleidigt, wenn Sie ausgerechnet heute am Tisch fehlten.“ Er stutzte und runzelte die Stirn. „Oder haben Sie schon was vor?“

Sörens Wangen färbten sich noch dunkler, sein Gesicht sah aus wie ein überreifer Apfel. Erik kam prompt der Verdacht, dass er sich den Abend freigehalten, seinen Sportsfreunden abgesagt oder eine andere Einladung abgelehnt hatte. Er lächelte, als Sören stotterte: „Nein, das nicht, aber ich dachte . . .“

Erik ließ ihn nicht zu Ende sprechen. „Sie wissen doch, meiner Schwiegermutter macht das Kochen noch mehr Spaß, wenn viele Gäste am Tisch sitzen.“

„Wird Ihre . . . wird Frau Gysbrecht auch da sein?“ Sören fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, ohne zu merken, dass sie nun über den Ohren abstanden wie der Flaum bei einem Gänseküken. Anscheinend fiel es ihm schwer, Svea Gysbrecht als die neue Freundin seines Chefs zu bezeichnen.

Erik half ihm. „Klar, meine Freundin wird auch da sein. Und ihre Tochter natürlich ebenfalls.“

Nun war es endlich einmal ausgesprochen worden. Seine neue Freundin! Sören kannte sie kaum, wohl aber Ida, ihre Tochter, die im März bei Erik gewohnt hatte, weil ihre Mutter beruflich in New York zu tun gehabt hatte. „Weiß Ihre Schwiegermutter davon?“

Erik wiegte den Kopf, was ein Nicken bedeuten, aber auch das Abwägen zwischen zwei Unannehmlichkeiten ausdrücken konnte. „Sie hat sich noch nicht damit abgefunden, dass es aus ist zwischen Wiebke und mir. Sie hat ja bis zum Schluss versucht, uns wieder zusammenzubringen.“

Auch Sören wirkte mit einem Mal so, als würde er von Angst und Sorge bedrängt. „Weiß sie auch, was es mit . . . mit Frau Gysbrecht . . . ich meine, kennt sie schon deren . . .“

Erik unterbrach sein Stottern. „Nein, davon hat sie keine Ahnung. Ich wusste nicht, wie ich es ihr beibringen sollte.“

Beide schwiegen sie nun, Erik starrte auf seine Schreibtischplatte, Sören auf den Wandkalender, der jeden Monat eine andere der großen Sturmfluten des letzten Jahrhunderts zeigte.

Schließlich sagte Erik leise: „Schlimm genug, dass sie sich mit einer neuen Frau an meiner Seite abfinden muss. Wenn sie dann auch noch erfährt . . .“ Nun gab er sich einen Ruck und stellte sich seiner Feigherzigkeit. „Ich dachte, es ist am besten, sie mit der Tatsache zu überrumpeln. Höflichkeit geht ihr über alles. Sie wird sich nichts anmerken lassen.“ Und nach einem weiteren langen Augenblick des Schweigens ergänzte er: „Hoffentlich . . .“

Wie immer, wenn er sich Sorgen machte, wurde sein kantiges Gesicht grimmig, seine Augenbrauen schienen dichter zu werden, und sein Schnauzer wirkte streng. Sogar sein Körperbau wurde dann noch breiter, als er sowieso war, noch derber und unbeweglicher. Erst wenn er lächelte, wurden seine Augen wieder groß und hell, die Brauen hoben sich, der Schnauzer wurde zu einer harmlosen Linie. Wenn er aber lachte, wirkte er manchmal wie ein Fremder sogar auf diejenigen, denen er vertraut war. Doch Erik Wolf lachte selten laut heraus. Wenn es geschah, kam er sich selbst fremd vor.

 

Dass Enrico das erlaubt hat!« Mamma Carlotta hatte es mindestens schon ein Dutzend Mal herausgestöhnt.

„Hör auf, Nonna! Sonst werde ich ganz nervös.“ Mit konzentrierter Miene drehte Carolin den Schlüssel und atmete auf, als der Motor ansprang. Sie strich sogar die Haarspiralen hinter die Ohren, damit sie ihr Gesichtsfeld nicht einschränkten. Carlotta war erstaunt: Sie versuchte das vor jedem Schulbesuch, um ihrer Enkelin ausreichend Durchblick zu verschaffen, was ihr jedoch jedes Mal sehr übel genommen wurde. „Ich habe gestern die Prüfung bestanden und gleich heute Morgen den Führerschein abgeholt. Ich kann fahren. Sonst hätte ich nicht bestanden.“

Ihre Großmutter biss sich auf die Lippen und zwang sich, alle Sorgen und Ängste, die sie überfielen, ungesagt zu lassen. Sie schaffte es sogar, zu dem Schutzheiligen ihres Dorfes zu beten, ohne ein einziges Wort von sich zu geben.

Carolin hatte es abgelehnt, sich von ihr aus der Parklücke dirigieren zu lassen, von ihr verlangt, auf dem Beifahrersitz hocken zu bleiben und sich ruhig zu verhalten. „Du verwechselst immer rechts und links, schon vergessen? Und wenn du schreist, denke ich, mir ist ein Kind unter die Räder geraten. Weißt du noch, wie du Papa einmal in Panidomino beim Einparken geholfen hast? Am Ende gab es zwei zerkratzte Autos, und wir hatten die Polizei am Hals.“

Mamma Carlotta machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das war ja nur Leopoldo. Mit dem bin ich zur Schule gegangen. Der hat den beiden anderen erklärt, dass sie selbst schuld seien, wenn sie ihre Autos so schief abstellen. Leopoldo kann reden, bis man ihm alles glaubt. Das hat damals auch geklappt.“ Sie zupfte mit fahrigen Fingern am Ausschnitt ihres Blümchenkleides herum, das sie sich vor einigen Jahren für ihre erste Reise nach Sylt gekauft hatte. „Aber wir sind nicht in Italien, sondern in Hamburg. Wir kennen hier niemanden, den wir mit einer Flasche Grappa bestechen können.“

Carolin bat ihre Großmutter noch einmal, den Mund zu halten, umklammerte das Lenkrad und bewegte den Wagen zentimeterweise rückwärts. Ihr Blick hetzte zwischen den beiden Außenspiegeln und dem Rückspiegel hin und her. Sie schien die Luft anzuhalten und atmete erst aus, als die Gefahr gebannt war, der alte Ford könne sich mit einem der beiden Neuwagen anlegen, zwischen denen er geparkt worden war. Und als kurz darauf die Motorhaube in die richtige Richtung zeigte, wagte Mamma Carlotta ein Lob, wenn auch mit zitternder Stimme: „Grande, Carolina! Du bist eine großartige Autofahrerin. Bravissima!“

Carolin entspannte sich prompt und bewegte den Wagen ohne Zwischenfälle zur Ausfahrt, so langsam, wie ihr Vater auch heute noch fuhr, und sie reagierte mit demselben stoischen Gleichmut, als jemand sie mit aggressiven Handzeichen und dichtem Auffahren zu einer zügigeren Fahrweise nötigen wollte. Vor der Schranke gab es einen kleinen Disput, wer das Ticket an sich genommen hatte, warum Carlotta es in Händen hielt und warum sie es derart zerknüllt hatte, dass es kaum noch in den Schlitz passte. Aber die Schranke öffnete sich schließlich, und Carolin gab Gas, weil sie Angst hatte, sie könne sich schließen, bevor das Auto ihrem Wirkungskreis entkommen war.

Danach war es mit dem Optimismus vorbei. Jammernd und klagend begab sie sich in das Gewirr von Ein- und Ausfahrten, Abzweigungen, Über- und Unterführungen, an Hinweisschildern vorbei oder ihnen nach, von ihrer Großmutter angefeuert, die Nerven zu bewahren und auf keinen Fall zu verzweifeln oder gar zu bremsen und umzukehren.

„Ich weiß nicht, in welche Richtung wir müssen! Auf dem Hinweg sah alles ganz anders aus!“

„Fahr den anderen hinterher, das wird schon richtig sein.“

Dieser Rat erwies sich als vernünftig. Carolin folgte dem Verkehrsstrom, wenn auch so zaghaft, dass sie immer wieder durch aggressives Hupen verunsichert wurde. Ihre Großmutter legte sich dann jedes Mal mit dem Verkehrsgegner an und zeigte ihm durch unmissverständliche Gesten, was sie von seiner rüden Fahrweise hielt, doch es erfüllte nicht den Zweck, den Mamma Carlotta verfolgte. Carolin gewann keineswegs an Sicherheit, wenn ihre Nonna die Seitenscheibe herunterdrehte und „Pirata della strada!“ oder „Teppista!“ hinausschimpfte, sondern wurde noch unsicherer, drosselte das Tempo weiter, blieb aber bei dem Vorsatz, den Weg zu nehmen, den die meisten anderen ebenfalls einschlugen. So gelangten sie tatsächlich auf eine Straße, die gen Norden wies, und als Carolin die Nummer 433 auf einem Verkehrsschild entdeckte, entspannte sie sich merklich. Die Haare fielen ihr wieder über die Augen, sie krümmte sich nicht mehr über das Lenkrad, als wolle sie der Gefahr besonders nahe sein, ihr fiel wieder ein, dass auch der Fahrersitz eine Rückenlehne besaß. Der Hinweis zur A7 entlockte ihr sogar ein kleines Lächeln. „Alles richtig, Nonna!“

Der Verkehr wurde schwächer, und Mamma Carlotta schaffte es, den Blick von all den Gefahren zu nehmen, die einer Fahranfängerin drohten – von Lastwagen, die die Sicht versperrten, überholenden Fahrzeugen, die in den toten Winkel geraten, und Hinweisschildern, die Carolin entgehen konnten.

„Carolina, du machst das ganz wunderbar! Meraviglioso!“

Diesen Satz konnte Carolin nicht oft genug hören und kam anscheinend gar nicht auf die Idee, dass sich ihre Nonna damit vor allem selbst Mut zusprach. Sie fuhr auf der Autobahn sogar einigermaßen zügig und schaffte es auch manchmal, der Landschaft zuzulächeln, den Schafen, den Windrädern, den weiten Wiesen, dem Horizont. Und sie brachte es fertig, der Erzählung zu lauschen, die sie an jedem Geburtstag von ihrer Großmutter zu hören bekam.

„Dein Nonno war ja damals schon so krank. Ich musste bei ihm bleiben und konnte nicht nach Sylt kommen, um deiner Mama vor und nach deiner Geburt beizustehen. Madonna, das war nicht leicht für mich! Aber dann haben Lucia und Enrico dich endlich nach Italien gebracht. Was war das für eine Freude!“

Das unbeschwerte Gefühl, das sich während Mamma Carlottas Plauderei eingestellt hatte, verschwand allerdings wieder, als sie der Verladestation näher kamen. Nun galt es, besonders genau auf die Verkehrsschilder zu achten und den Kreisverkehr genau dort zu verlassen, wo es zum Autozug Richtung Sylt ging. Mamma Carlotta fand das nicht leicht, aber Carolin erwischte auf Anhieb den richtigen Weg. Und die Schranke bewältigte sie ebenfalls ohne Schwierigkeiten, sie hatte eben oft genug auf dem Beifahrersitz gesessen. Nur das Auffahren auf den Autozug versetzte offenbar nicht nur Mamma Carlotta einen Adrenalinstoß. Carolin wollte partout nicht so weit auf ihren Vordermann auffahren, wie es der Ordner verlangte, der von Wagen zu Wagen ging und dafür sorgte, dass kein Platz vergeudet wurde. Nur nach gutem Zureden und schließlich einer Drohung – „Wenn Sie nicht sofort zehn Zentimeter vorfahren, mache ich Ihnen Beine!“ – riskierte sie es. Und während der Fahrt über den Hindenburgdamm saß sie da, als hätte sie soeben einen Sieg errungen. Sie richtete den Blick aufs Watt wie die Queen auf ihre Untertanen und legte den linken Arm mit einer Grandezza aufs Lenkrad, als posierte sie für ein Foto, das eine versierte Porschefahrerin zeigen sollte. Keine Frage, sie war stolz auf ihre Leistung, und ihre Nonna bestärkte sie darin, indem sie unermüdlich versicherte, dass sie selbst niemals eine solche Meisterleistung vollbracht hätte.

Als der Zug in den Bahnhof einfuhr, entstand noch einmal Nervosität, als Carolin beim ersten Versuch zu starten den Motor abwürgte. „Mist! Das ist mir auf dem Hinweg auch schon passiert!“ Aber schließlich fuhren sie durch Westerland, als sei das Automobil gerade neu erfunden worden, ließen die Seitenscheiben herunter und die Ellbogen hinausschauen. Carolin drehte das Radio auf, sodass Justin Bibers Frage „What do you mean?“ von allen Fußgängern vernommen werden konnte.

Kurz darauf fiel ihr ein, dass sie am Vormittag zwar alles eingekauft hatte, womit sie telefonisch von ihrer Oma beauftragt worden war, frisches Brot allerdings hatte sie noch nicht besorgt. „Wir fahren bei Feinkost Meyer vorbei.“

Mamma Carlotta gab zu bedenken, dass der Parkplatz davor immer sehr voll war, dass sich die Autos drängten und die Kunden sich zwischen ihnen hindurchschoben, aber Carolin hatte an diesem denkwürdigen Tag schon so viele Kilometer zurückgelegt und Schwierigkeiten gemeistert, dass sie nichts mehr schreckte. „Notfalls stelle ich den Wagen hinter dem Geschäft ab, da ist immer Platz. Vielleicht parke ich sogar rückwärts ein.“

Dieser heroische Entschluss fiel in sich zusammen, als Carolin auf den Parkplatz eingebogen war. Eine große, dicke Frau mit kinnlangen schwarzen Haaren, in einem hellen Mantel und mit einer Einkaufstasche am Arm drängte sich durch die parkenden Autos. Carolin, die sich auf ein anderes Fahrzeug konzentrierte, fuhr an, als es endlich eingeparkt hatte . . . und übersah dabei die große, dicke Frau. Mamma Carlotta stieß einen Schrei aus, Carolin trat auf die Bremse, die Frau fuhr herum, erstarrte vor Angst und war unfähig, einen Schritt zur Seite zu machen, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie blieb wie angewurzelt stehen und kippte dann langsam, wie in Zeitlupe, zur Seite, als der linke Kotflügel von Eriks altem Ford sie berührte. Es war nur ein leichter Stoß, aber zusammen mit dem Schreck reichte er, die Frau zu Fall zu bringen.

Carolin würgte den Motor erneut ab, riss die Fahrertür auf und eilte zu der Frau, die sich gerade mithilfe von zwei Passanten erhob. Mamma Carlotta stand im selben Augenblick neben ihr und griff nach ihrem Arm. „Sind Sie verletzt?“

Die Frau schüttelte benommen den Kopf und wischte sich den hellen Mantel ab. Mit einer barschen Bewegung wehrte sie die Hände der beiden Passanten ab, die ihr geholfen hatten. „Schon gut. Ist ja nichts passiert.“

„Es tut mir so leid“, begann Carolin zu schluchzen. „Ich habe Sie zu spät gesehen.“

Der Ärger verschwand aus dem Gesicht der Frau. „Das war meine Schuld. Ich habe nicht aufgepasst.“ Sie rieb noch immer an einem Fleck herum, den ihr heller Mantel abbekommen hatte.

„Mein Fahrlehrer hat gesagt . . .“, begann Carolin.

Aber die Frau ließ sie nicht zu Ende reden. „Sie haben gerade erst Ihren Führerschein gemacht? Oje. Aber wie gesagt . . . es ist wirklich nicht schlimm.“

„Lassen Sie uns wenigstens für die Kosten der Reinigung aufkommen“, bat Mamma Carlotta. „Das ist das Mindeste.“

„Und wir sollten Namen und Adressen austauschen“, fuhr Carolin fort. „Falls es Spätfolgen gibt. Man kann nie wissen . . .“

„Hat das auch Ihr Fahrlehrer gesagt?“

Carolin nickte. „Ich will nichts falsch machen.“

Die Frau lächelte. „Der Mantel muss sowieso in die Reinigung, der hat schon gestern was abbekommen. Und mir ist nichts passiert. Also keine überflüssigen Formalitäten, so was ist nur lästig.“ Sie lächelte Carolin und Mamma Carlotta freundlich an und schritt dann zügig auf den Eingang von Feinkost Meyer zu.

Carolin starrte der Frau hinterher, als hätte ihr eine Fee drei freie Wünsche offeriert. „Die ist aber nett!“

Trotz dieser positiven Erfahrung war sie jedoch nicht mehr bereit, einen Parkplatz zu suchen, vom Rückwärtseinparken ganz zu schweigen. Sie beschloss, nach Hause zu fahren und dort den Wagen sicher vor der Haustür zu parken. „Ich gehe dann zu Fuß zu Feinkost Meyer.“

Und Mamma Carlotta lobte sie für ihre Vernunft.

Gisa Pauly

Über Gisa Pauly

Biografie

Gisa Pauly hängte nach zwanzig Jahren den Lehrerberuf an den Nagel und veröffentlichte 1994 das Buch „Mir langt’s – eine Lehrerin steigt aus“. Seitdem lebt sie als freie Schriftstellerin, Journalistin und Drehbuchautorin in Münster, ihre Ferien verbringt sie am liebsten auf Sylt oder in Italien....

Weitere Titel der Serie „Mamma Carlotta“

In den turbulenten Sylt-Krimis von Gisa Pauly prallt das Temperament Mamma Carlottas auf die Mentalität der Inselbewohner, vor allem aber mischt sich die Italienerin immer wieder in die polizeilichen Ermittlungen ihres friesisch-wortkargen Schwiegersohns ein.

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