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Die Toten am Sund

Die Toten am Sund

Ariane Grundies
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Ein Ostsee-Krimi

„Leicht und locker geschrieben, mit zwei Heldinnen, die ein bisschen an eine jüngere Miss Marple erinnern und guter Kenntnis der Schauplätze. Außerdem mit einer Prise Ironie in Sachen Tourismus gewürzt. Ein Urlaubskrimi, der wirklich Spaß macht.“ - Ruhr Nachrichten

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Die Toten am Sund — Inhalt

Nach vielen Jahren trifft die Stralsunderin Gisela zufällig ihre ehemalige Nachbarin Rosi wieder. Die beiden stellen fest, dass sie das gleiche Schicksal ereilt hat: Arbeitslosigkeit und Langeweile. Kurz entschlossen und todesmutig beschließen sie, ein Unternehmen zu gründen, das zu Stadtführungen der besonderen Art einlädt – und zwar mit Erfolg: Sowohl das Rollmopswettrollen als auch das Bungeespringen von der Rügenbrücke finden Anklang. Doch die Freude der beiden trübt sich, als in Stralsund mehrere Touristen ermordet werden. Während die Polizei im Dunkeln tappt, ahnen Gisela und Rosi, was die Opfer verbindet: Sie alle haben an ihrer ersten Führung teilgenommen …

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 02.05.2017
256 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-96559-0
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Leseprobe zu „Die Toten am Sund“

I love Touris

In ihren I love Touris-Sweatshirts stehen sie vor dem Stralsunder Rathaus auf dem Alten Markt und warten auf Ingolf Wichmann aus dem sächsischen Merseburg. Neben sechs weiteren Touristen hat sich Herr Wichmann für einen Fischräucherkurs angemeldet. Verbindlich. Gisela schätzt Verbindlichkeit. Und Pünktlichkeit. Aber Touristen machen ja nicht zum Spaß Urlaub, sondern um aller Verbindlichkeit zu trotzen. Darum haben sich Gisela Klawitter und ihre Firmenpartnerin Rosi Hafenmeister darauf geeinigt, den Teilnehmern zehn Minuten Verspätung [...]

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I love Touris

In ihren I love Touris-Sweatshirts stehen sie vor dem Stralsunder Rathaus auf dem Alten Markt und warten auf Ingolf Wichmann aus dem sächsischen Merseburg. Neben sechs weiteren Touristen hat sich Herr Wichmann für einen Fischräucherkurs angemeldet. Verbindlich. Gisela schätzt Verbindlichkeit. Und Pünktlichkeit. Aber Touristen machen ja nicht zum Spaß Urlaub, sondern um aller Verbindlichkeit zu trotzen. Darum haben sich Gisela Klawitter und ihre Firmenpartnerin Rosi Hafenmeister darauf geeinigt, den Teilnehmern zehn Minuten Verspätung kommentar- und folgenlos zuzugestehen. Außerdem darf man nicht vergessen, dass es in Stralsund Altstadtgassen gibt, die extra so gebaut worden sind, dass Angreifer leicht die Orientierung verlieren können. Vielleicht hat sich Herr Wichmann also bloß verlaufen. Rosi hüpft ein wenig auf und ab. Für ohne-Jacke ist es heute eigentlich einen Tick zu frisch. Wahrscheinlich wird es sogar bald anfangen zu regnen. Der Himmel ist grau, grau und nochmal grau. Ein Allerweltshimmel für Einheimische. Für die Touristen hätte man den Himmel manchmal gern etwas freundlicher. Aber man kann nicht alles haben, und für die Touristen gibt es in Stralsund schon eine ganze Menge. Als Herr Wichmann aus Merseburg um 15:12 Uhr noch immer nicht am Treffpunkt erschienen ist, stimmt Gisela in ihrer unbeschwerten Art einen Wolfgang-Petry-Schlagerhit an, den sie umdichtet in: „Aaalsoo kommt er oder kommt er nicht, ganz egal, wir warten nicht!“ Die sechsköpfige Touristengruppe kichert. „Hölle! Hölle! Hölle!“, sagt der kleine Dicke, während er sich fröhlichen Gemütes eine Banane schält. Auch das hat Gisela als Neu-Unternehmerin in der Tourismusbranche gelernt. Touristen sind ein dankbares Publikum, sehr leicht zu erheitern und nie um einen Draufsetzer verlegen. „Geht lohos!“, ruft Rosi und reibt sich die kalten Hände, als hätte sie etwas ausgeheckt. Gisela schaut noch mal auf die Uhr. Wieso kommt der Wichmann nicht? Der hat schon bezahlt. Und wer etwas bezahlt hat, der holt sich das auch ab. Gefälligst! Gibt doch sonst später nur Ärger; mühselige Diskussionen über Stornogebühren, Arztatteste oder verstorbene Schwiegermütter irgendwo in Sachsen. Über Vertragsbrüche haben sich Gisela und Rosi noch keine Gedanken gemacht. Das hier ist erst ihre dritte Stadtführung. Bisher lief alles reibungslos. „Na ja, ein bisschen Schwund ist immer.“ Gisela hebt ratlos die Schultern, was für Rosi der endgültige Startschuss ist. Etwas militärisch dreht sie sich auf den Absätzen ihrer Stiefeletten um 45 Grad nach links und marschiert los. Der Trupp folgt. Rosi macht Tempo. Gisela hat sie bereits zweimal darauf hingewiesen, dass sie viel zu schnell läuft. Als gebürtige Stralsunderin hat Rosi das Kopfsteinpflaster auch auf Absätzen gut im Griff, während die Touristen hinter ihr mit den Unebenheiten kämpfen und versuchen Schritt zu halten, ohne umzuknicken. „Hast noch ’nen wichtigen Termin heute?“, versucht Gisela ihre Kollegin erneut dezent auf das Problem hinzuweisen. „Wieso?“ Rosi kapiert es leider nicht. „Entschuldigung?!“, ruft eine Frauenstimme. „Haaaalt!“, brüllt der kleine Dicke, in dessen Hand die Bananenschale baumelt wie ein Wahrsagependel. Die Gruppe stoppt. Rosi und Gisela gucken den kleinen Dicken fragend an. Er deutet mit dem Daumen über seine Schulter auf die junge Frau in Jack-Wolfskin-Montur. Die wiederum zeigt auf ein herrschaftliches Gebäude. „Und was ist das?“ „Was? Ach das!“ Rosi winkt ab. „Nichts Aufregendes!“ Gisela wirft ihr einen vorwurfsvollen Blick zu und erklärt etwas gestelzt: „In diesem wunderschönen Palais befindet sich seit 1920 unsere Stadtbibliothek. 1725 errichtet, wurde sie in den letzten Jahren aufwendig saniert und ganz modern ausgestattet.“ Nach einer kurzen Kunstpause fragt Rosi: „Ist das nicht aufregend?“ Die Touristen lachen und wenden den Blick erwartungsvoll zurück zu Gisela. „Also, ich mag Bücher“, sagt sie und ärgert sich, dass ihr nichts Peppigeres eingefallen ist. Aber die Touristen grinsen. Für den Anfang, haben sich die beiden Stadtführerinnen gedacht, machen sie ihre Touren zu zweit. Man kann von den Fehlern der Anderen lernen, zum Beispiel langsamer zu gehen oder Nachfragen zu geschichtsträchtigen Gebäuden nicht leichtfertig abzubügeln. Gemeinsam wollen sie sehen, ob ihr Konzept der außergewöhnlichen Stadtführungen aufgeht. Apropos Konzept. Gisela will zur Einstimmung auf das anstehende Event noch ihre Räucheranekdote loswerden. Die hat sie sich gestern Abend vor dem Schlafengehen überlegt und heute früh immer noch für gut befunden. Nachdem sich der Tross wieder in Bewegung gesetzt hat, legt sie los. Einmal habe ihr Mann Rainer ja auch versucht zu räuchern, aber am Ende des Versuchs habe die Feuerwehr anrücken müssen. In Wirklichkeit hat zwar bloß jemand eine Hundedecke über den stark qualmenden Räucherofen geworfen, aber das macht nichts. Die Touristen glucksen vor Freude. Und das ist die Hauptsache. „Kein Mensch will die Wahrheit wissen, Mutti“, hat Kati prophezeit. „Die Leute wollen nur entertaint werden.“ Diesen Ratschlag ihrer Tochter will Gisela beherzigen. Kati hat Werbepsychologie studiert. Für irgendwas muss das ja gut gewesen sein. „Schnucki, ich versuch’s noch mal!“, ruft Rosi, die ihr Tempo nun so gedrosselt hat, dass sie ganz am Ende der Gruppe angelangt ist. Sie soll doch vor den anderen nicht Schnucki sagen! Das ist so unprofessionell. Gisela dreht sich um und nickt. Diese kurze Schrittverzögerung nimmt die Dame in der roten Windjacke gleich zum Anlass, um Gisela aus Versehen in die Hacken zu treten. „Uuups“, lautet die Entschuldigung. Schuldbewusst schiebt sie ihren Fotoapparat zurück in die Jackentasche. Ein Graus ist das mit den Fotoapparaten. Sind denn nicht mittlerweile genug Kirchtürme und Möwen fotografiert worden? Trotzdem, lieber hat Gisela am Ende des Tages ein paar blutige Hacken als verdrehte Däumchen, so wie in den letzten 22 Monaten der Arbeitslosigkeit. Rosi nimmt ihr Handy vom Ohr und verzieht den Mund zu einer vielsagenden Schnute. Wichmanns Telefon ist offenbar noch immer ausgeschaltet. Dabei hat er so getan, als könne ihn nichts von dem heutigen Räucherkurs abhalten. Ganz begeistert, geradezu aufdringlich, hat er sich im Anschluss der Premierenstadtführung vor sechs Tagen nach weiteren Terminen erkundigt. Die Aussicht auf den heutigen Räucherkurs schien unfassbare Glücksgefühle in ihm auszulösen. „Woahnsinn!“, hat er sich gefreut. „Dass isch nochämo räuschorn würrde. Hab doch das Roochn vor siebn Joahrn erfolgreisch uffgegähm!“ „Warum?“, hat die ständig rauchende Rosi keck gefragt. „Räucherware hält sich doch viel länger!“ In Vorkasse ist Wichmann übrigens auch getreten, mit immerhin 40 Euro. Plötzlich geht ein Raunen durch die Gruppe. Fast gleichzeitig schießen Knirpse zu Regenschirmen auf. „Keine Sorge!“, ruft Gisela und zieht nun ihrerseits das Tempo an. „Fietes Kutter hat ’ne Plane. Da kuscheln wir uns gleich drunter. Dat is’ nur ’n büschen Niesel jetzt!“ „Nur ’n bisschen Niesel!“, mault der Typ, der für seinen klassischen Schnauzer eigentlich viel zu jung ist. Schnurrbart ist in großen Städten wahrscheinlich gerade angesagt. Gisela und Rosi müssen sich als Gästeführerinnen noch daran gewöhnen, dass sie vom Wettergott abhängig sind. Und auch das schlechte Gewissen in Augenblicken wie diesem müssen sie ertragen lernen. Noch fühlen sie sich, als würden sie persönlich Wasser über den Köpfen ihrer zahlenden Gäste ausschütten. Dabei hat Gisela ihren Schirm zur Sicherheit extra zu Hause gelassen. Jeder Mensch weiß ja, dass man in der Wohnung keinen Schirm aufspannen sollte, wenn man Zank und Streit vermeiden will. Aber Gisela geht da noch einen Schritt weiter. Sie findet es mehr als logisch, dass das Öffnen eines Regenschirms, egal ob drinnen oder draußen, Regen überhaupt erst heraufbeschwört. Wenn sie eine höhere Macht wäre und hier unten auf Erden etwas zu sagen hätte, dann würde sie die Menschen, die mit Regenschirmen das Haus verlassen, nicht enttäuschen wollen und einen kleinen Guss hinunterschicken. Gisela ist passionierte Anhängerin einer weitverbreiteten Glaubensform im Nordosten: dem Aberglauben. Sie dreht sich um, wenn sich von links eine schwarze Katze nähert, und wenn sie sich die Fingernägel schneidet, dann starrt sie danach eine Weile auf ihre Füße. Händegucken bringt Unglück, aber anschließendes Füßegucken vermag das Unheil noch abzuwenden. Es ist wirklich nicht so schwer, Unheil zu vermeiden. Man muss nur wissen, worauf man achten muss. Wenn es dann aber tatsächlich regnet, so wie jetzt, hat Gisela natürlich nichts gegen Schirme. Sie duckt sich unter Rosis und hakt sich bei ihrer Freundin unter. „Sag mal, müssen wir uns Sorgen machen?“, flüstert sie. „Mit Sorgen bleib mir weg!“, sagt Rosi. „Bin gerade gut versorgt.“ „Ich meine wegen dem Sachsen. Der hat doch schon bezahlt.“ „Was willst du dir denn da für Sorgen machen?“ „Müssen wir im Krankenhaus anrufen oder die Polizei verständigen? Das ist doch komisch, dass der bezahlt und nicht kommt. Findste nicht?“ „Nö.“ Am Hafen hört man die Seile gegen die Segelmasten schlagen. Himmel und Sund haben beinahe die gleiche Farbe, Grau. Hat man, wie Gisela, reichlich Niesel auf der Brille, ist es schwer zu sagen, wo der Himmel in diesem Grau beginnt und der Sund aufhört. Auf der Mole stehen nur noch wenige Heringsangler, gleichmäßig bewegen sie ihre Ruten auf und ab. Die Heringssaison ist vor Kurzem zu Ende gegangen. „Tach auch!“ Gisela dreht sich um. Sie sieht Karlchen auf seinem Fahrrad nur noch von hinten. Er hält grüßend die Hand hoch. Unter seinem dicken Hintern federt das klapprige Rad so langsam über das feuchte Kopfsteinpflaster, dass man sich wundern muss, warum es nicht den physikalischen Gesetzen folgt und samt Karlchen einfach zur Seite kippt. „Tach!“, ruft Gisela ihm hinterher. „Hier kommen unsere Freiwilligen!“, kündigt Rosi ihr Grüppchen an und trippelt ein paar Schritte nach vorne in Richtung des Kutters. Fiete Marquart streckt den Kopf aus der Kajüte und wischt sich mit einem alten Lappen die Hände sauber. „Die Freiwilligen der besonderen Art!“, sagt er, ohne dabei durchblicken zu lassen, ob er das albern findet oder ob es einfach nur eine Feststellung ist. Den Touristen ist alles egal. Sie interessieren sich jetzt weder für Ironie noch für den prämierten Museumsbau des Ozeaneums hinter ihnen, der einige Stralsunder an gigantische Klorollen erinnert. Es will auch niemand wissen, ob das die echte Gorch Fock ist, die hier einen Liegeplatz im Stralsunder Hafen hat. Die Touris haben nur noch eine Mission: Raus aus dem Regen! Noch bevor Fiete sie dazu einlädt, entern sie seinen Räucherkutter und schauen von dort aus ihre Führerinnen erwartungsvoll an. Eingeschüchtert starrt Gisela zurück. Angesichts all der auf sie gerichteten Regenschirme fühlt sie sich ein wenig bedroht. „Wenn ihr die Schirme schließt“, sagt sie, „passen wir auch noch drauf!“ „Uuups“, macht die Frau in der roten Windjacke. Vielleicht wegen ihres Schirms. Vielleicht aber auch, weil sie gerade neben sich den großen Eimer mit Aalen entdeckt hat.

„Hast du Räucheraal mitgebracht?“ Rainer schließt die Tür hinter Gisela. Sie zieht den Aal aus der Tüte und drückt ihn ihrem Mann wortlos in die Hand. Etwas unschlüssig steht er da in seinen Römerlatschen aus den Achtzigern. Sein Pullover hängt an ihm, wie unsorgfältig auf einen Bügel gehängt. Er hat zwei, drei Kilo abgenommen. Dürr ist er eigentlich nicht, dick natürlich auch nicht. So, wie er weder groß noch klein ist, weder eine besonders laute, noch eine auffällig leise Stimme hat. Er ist nicht sehr humorvoll, aber auch nicht unbedingt humorlos, durchschaubar in manchen Dingen, in anderen rätselhaft. Er ist wie er ist, Rainer Klawitter, grundsolide, zuverlässig und, wenn er gute Laune hat, ein klitzekleines bisschen übermütig. Leider bekommt ihm die Arbeitslosigkeit nicht besonders gut, und so hat er nicht sehr oft gute Laune. Meistens hat er gar keine Laune, bewegt sich durch den Tag wie eine träge Stubenfliege, lässt sich mal hier nieder, mal da. Irgendwo fehlt vielleicht eine Schraube, und wenn er sie ersetzt hat, dann ist es auch schon Zeit für den täglichen Spaziergang um den Ententeich. Gisela hat ihren Mann nicht für einen Ententeichspaziergänger gehalten. Und das ist er in Wirklichkeit bestimmt auch nicht. Sie glaubt an ein Missverständnis. Aus unerfindlichen Gründen scheint er die Kündigung nicht nur auf seine Arbeit, sondern auch auf alle seine Interessen bezogen zu haben. Eines Tages wird ihm das wie Schuppen von den Augen fallen, und dann wird alles wieder ganz normal, so wie früher. Das wird schon wieder! „Und lieb, dass Du fragst“, sagt sie. „War zwar blöd mit dem Nieselregen, aber hat trotzdem allen gut gefallen. Traut man Fiete gar nicht zu, ist aber ein echter Entertainer.“ „Na, das ist doch gut“, antwortet Rainer und trägt den Aal schlurfenden Schritts in die Küche. „Ja, das ist echt gut“, murmelt Gisela. „Sehr gut!“ Sie ist mächtig stolz auf ihren Neuanfang. Rainers Gleichgültigkeit macht ihr bald die ganze Freude kaputt. Als sie in die Küche kommt, hat er dem Aal bereits den Kopf abgeschnitten und leckt sich die Finger. „Schmeckt?“, fragt sie. Er nickt. „Hab ich selber geräuchert.“ „Schmeckt!“ Rainer nickt noch mal. Giselas Blick fällt auf die Zeitung, die neben dem kopflosen Aal auf dem Küchentisch liegt. Wer hat Christiane Lohmeier gesehen? Die Frage steht über dem Foto einer etwas mürrisch dreinblickenden Frau; kinnlanges Haar, randlose Brille, Ende vierzig. „Ich!?“, sagt Gisela erschrocken und greift nach der Zeitung. „Was?“, fragt Rainer. „Scht!“, zischt Gisela und macht die dazugehörige Handbewegung.

Seit dem 12. Mai wird Christiane Lohmeier aus Baden-Baden vermisst. Familie Lohmeier bittet um Hinweise zum Aufenthalt von Christiane L. Sie war auf dem Pilgerweg der Hanse-Route unterwegs, in Stralsund verliert sich ihre Spur. Christiane Lohmeier gilt als sehr zuverlässig, daher hält ihre Familie ein freiwilliges Verschwinden für ausgeschlossen. Sachdienliche Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle entgegen.

Gisela schaut auf den Wandkalender, ein Werbegeschenk von Mitsubishi. Am 12. Mai hat Christiane Lohmeier definitiv noch gelebt, jedenfalls so gegen 14.30 Uhr. Gisela steigt das Blut in den Kopf, wie ein 20 cl Fläschchen halbtrockner Rotkäppchensekt auf Ex. Ihr wird heiß und düsig. Wen zuerst anrufen? Rosi? Jede Polizeidienststelle? Familie Lohmeier aus Baden-Baden? Gisela kann es nicht fassen. Gerade erst letztes Jahr konnte sie einen entscheidenden Hinweis zur Auflösung eines Verbrechens liefern. In der ZDF-Sendung Aktenzeichen XY ungelöst hatte man sich an die Bevölkerung gewandt: Wer hat einen grünen Ford mit auffälliger roter Beifahrertür und polnischem Kennzeichen nach dem 23. August 2008 gesehen? Gisela hat sich in jenem Moment gefühlt, als hätte sie im Lotto gewonnen. Aufgeregt hat sie zum Hörer gegriffen und dem ZDF erzählt, dass sie sich immer über diese Art von Fragen lustig gemacht habe, aber tatsächlich könne ausgerechnet sie nun mit sehr großer Sicherheit sagen, dass sie diesen Ford Anfang September 2008, also nach dem 23. August, auf Usedom gesehen habe, auch wenn das ein paar Jahre zurück liege. Weil ihr Sohn Christoph für seine Diplomprüfung in Wirtschaftsinformatik habe lernen müssen, sei sie nämlich das erste Mal alleine mit ihrem damals knapp zweijährigen Enkel nach Zinnowitz unterwegs gewesen. Zur Ablenkung des quengelnden Enkels habe sie Geschichten erzählt. In diesem Moment sei sie von einem grünen Ford mit roter Tür überholt worden, der sie zu einer Geschichte um ein verzaubertes Feuerwehrauto inspiriert habe. Ganz bestimmt sei das im September gewesen, nicht im August, weil Christophs Prüfung eben Mitte September stattgefunden habe. Auf Nachfrage war sich Gisela dann mit dem polnischen Kennzeichen doch nicht mehr ganz sicher, und ob das Auto tatsächlich ein Ford war, hätte sie nicht unter Eid schwören wollen. Aber grün sei es ganz sicher gewesen, mit einer roten Tür und eigentlich auch mit einem polnischen Nummernschild. „Polizeidienststelle Stralsund, Krüger?“ „Guten Tag, Klawitter, ich habe Hinweise!“ „Tach. Was für Hinweise haben Sie denn?“ „Wegen der Vermissten.“ Gisela wischt sich ihre schweißnassen Hände am I love Touris-Sweatshirt trocken. „Vermisste?“ „Christiane Lohmeier aus Baden-Baden.“ „Da müssten Sie sich an meinen Kollegen wenden“, antwortet die nette Polizistin. „Ach so“, sagt Gisela. „Ja“, heißt es am anderen Ende der Leitung. Nach einer kurzen Pause wagt Gisela einen weiteren Vorstoß: „Verbinden Sie mich?“ „Nee, geht nicht.“ „Und können Sie nicht einfach meine Hinweise weiterleiten?“ „Nee, das geht auch nicht.“ „Warum nicht?“ „Bin nicht zuständig.“ „Okay.“ „Ja.“ Pause. „Ähm, können Sie mir dann die Nummer geben?“ „Sicher. 5466554.“

Ariane Grundies

Über Ariane Grundies

Biografie

Ariane Grundies, 1979 in Stralsund geboren, studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig; 2002 gewann sie beim Open Mike mit einer ihrer Erzählungen. Neben einem Roman, Kurzgeschichten und Sachbüchern veröffentlichte sie auch Hörbücher und Artikel in verschiedenen Magazinen. Außerdem scheibt...

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