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Jugendjahre

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Kinder durch die Pubertät begleiten

„In gut lesbarer Frage- Antwort- Form und mit anschaulichen Grafiken erklären Largo und Czernin, weshalb Jugendliche unter ihrer Pubertät leiden und wie sie ihren Weg in die Gesellschaft suchen.“ - Badische Zeitung

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Jugendjahre — Inhalt

Computersucht, Komasaufen, Schulmüdigkeit – selten gibt es positive Schlagzeilen über Jugendliche. Mit ihrem Buch wollen Remo H. Largo und Monika Czernin Verständnis für die Jugendlichen und ihre schwierigen Entwicklungsaufgaben wecken und den Blick dafür schärfen, dass in ihren Händen die Zukunft liegt. Ein Buch, das zum Umdenken auffordert.

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erschienen am 12.02.2013
400 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-30192-3
Download Cover
€ 13,99 [D], € 13,99 [A]
Erschienen am 27.03.2017
400 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-95298-9
Download Cover

Leseprobe zu „Jugendjahre“

Einleitung


Wenn der Hummer den Panzer wechselt, verliert er zunächst seinen alten Panzer und ist dann so lange, bis ihm ein neuer gewachsen ist, ganz und gar schutzlos. (Dolto 2005)


Neben der Geburt und den ersten Lebensjahren ist die Pubertät entwicklungsbiologisch gesehen die wichtigste Phase im Leben eines jeden Menschen. Hier kommt zum Abschluss, was mehr als 15 Jahre für seine Entfaltung gebraucht hat. Am Ende der Pubertät ist der Hummer dann ausgewachsen, er hat ein letztes Mal seinen Panzer gewechselt, um beim Bild der französischen [...]

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Einleitung


Wenn der Hummer den Panzer wechselt, verliert er zunächst seinen alten Panzer und ist dann so lange, bis ihm ein neuer gewachsen ist, ganz und gar schutzlos. (Dolto 2005)


Neben der Geburt und den ersten Lebensjahren ist die Pubertät entwicklungsbiologisch gesehen die wichtigste Phase im Leben eines jeden Menschen. Hier kommt zum Abschluss, was mehr als 15 Jahre für seine Entfaltung gebraucht hat. Am Ende der Pubertät ist der Hummer dann ausgewachsen, er hat ein letztes Mal seinen Panzer gewechselt, um beim Bild der französischen Kinderpsychiaterin Françoise Dolto zu bleiben. Die Jugendjahre sind ein großer Einschnitt, für manche sogar die größte Herausforderung ihres Lebens. Aber auch die Erwachsenen, die Väter, Mütter und Lehrer tun sich mit dieser Lebensphase oft schwer. „Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet Autorität, hat keinen Respekt vor älteren Menschen und schwatzt, wo sie arbeiten soll. Kinder widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen und tyrannisieren ihre Lehrer.“ So klagte vor 2400 Jahren schon der Philosoph Sokrates, zumindest wird ihm das Zitat zugeschrieben.
In unserer Gesellschaft sind Kinder zu einem kostbaren Gut geworden, wer sich für Kinder entscheidet, investiert viel in ihre Entwicklung. Und dann, so plötzlich wie unabdingbar, machen sie sich innerlich wie äußerlich davon, grüßen kaum noch und wünschen sich ein Leben weit weg vom familiären Heim. Kein Wunder, dass Eltern nicht verstehen, was da eigentlich vor sich geht. Haben sie etwas falsch gemacht? Sind es die Hormone? Das Gehirn? Was kann man dagegen tun, und geht diese Phase einfach wieder vorbei, so plötzlich wie sie, einem Alptraum gleich, über die Familie gekommen ist? Auch sind die Erwachsenen verunsichert. Angesichts von Zukunftsängsten und realen Bedrohungen etwa durch eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, wachsen die Sorgen einer Elterngeneration, die sich fragen muss, ob sie die Welt, die sie ihren Kindern übergibt, gut genug bestellt hat.
Dieses Buch hat eine besondere Form. Wir, die Autoren, führen stellvertretend für die Leser und Leserinnen einen Dialog, Fragen und Antworten sollen die unterschiedlichen Positionen – vom besorgten Elternteil bis zum Experten – widerspiegeln. Ich, Monika Czernin, bin Mutter einer Teenagerin. Als meine Tochter in die Pubertät kam, erinnerte ich mich daran, wie meine Eltern unter meinen rebellischen Distanzierungsversuchen litten und bekam doch denselben Dackelblick, klagte und seufzte: „Ach, was warst du nur für ein süßes Mädchen, als du noch klein warst.“ Meine Tochter brach zu Recht in Schreikrämpfe aus. „Und jetzt? Du magst mich wohl gar nicht mehr.“ Gott sei Dank begannen Remo Largo und ich dann bald an diesem Buch zu schreiben. Die Gespräche, Debatten und Recherchen haben mir, der Mutter, Journalistin und Pädagogin neue Denkräume geöffnet und viele Irrwege erspart. Vor allem haben sie meine Ängste bekämpft und mir die Freude über das Großwerden meiner Tochter zurückgegeben. Ich habe durch das Schreiben gelernt, anerkennender und großzügiger auf ihre Welt zu schauen, hinter der Kratzbürstigkeit die Verletzlichkeit und Sensibilität wahrzunehmen, trotz aller Launen ihre Kreativität nicht aus den Augen zu verlieren, und bei aller nötigen und dennoch schmerzhaften Loslösung ihre Loyalität, Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit zu würdigen. Die Pubertät der Kinder ist immer auch eine Chance, noch einmal über Ge- und Misslingen des eigenen Starts ins erwachsene Leben nachzudenken. Ich möchte diese Konfrontation sowie den kritischen Blick meiner Tochter auf meinen Lebensentwurf nicht missen.
Ich, Remo Largo, habe drei erwachsene Töchter und vier Enkelkinder, zwei davon sind bereits wieder in der Pubertät. Mich beschäftigt die Pubertät als Vater und Wissenschaftler seit vielen Jahren. Die Erinnerungen an meine eigene Pubertät sind sehr verschwommen. An die Pubertät meiner Töchter erinnere ich mich noch sehr genau. Es gab gute Zeiten, geblieben sind mir jedoch vor allem die Episoden, die mit dem Gefühl einer umfassenden Ohnmacht und einer beängstigenden Einsicht verbunden waren: Als Eltern können wir unsere Kinder nicht mehr beschützen, sondern nur noch hoffen, dass wir ihnen das Rüstzeug mitgeben konnten, um sich „draußen in der Welt“ zu bewähren. In meiner wissenschaftlichen Arbeit wurde mir in den Zürcher Längsschnittstudien die enorme Vielfalt in der Pubertätsentwicklung nachhaltig vor Augen geführt. DIE Pubertät gibt es nicht, sondern nur individuelle Schicksale. Mein bestimmter Eindruck ist, dass Jugendliche – auch Dank ihrer Eltern – in den vergangenen 40 Jahren erfreuliche Fortschritte gemacht haben. Sie sind selbstbewusster, verantwortungsvoller und initiativer geworden – auch wenn das manche Erwachsene anders sehen. Größere Problembereiche orte ich weniger bei den Jugendlichen, als bei den Eltern, den Lehrern, den Politikern und der Gesellschaft als Ganzes. Vorurteile in der Erziehung, Altlasten in den Schulen und offensichtliche gesellschaftliche Benachteiligung der jungen Menschen gilt es abzubauen.
Mit diesem Buch wollen wir darum Verständnis für die Jugendlichen wecken, für ihre Bedürfnisse, Wünsche und Probleme. Indem wir immer wieder durch die Brille der Heranwachsenden auf die Welt blicken, hoffen wir eine Brücke zu schaffen für Eltern, Lehrer und andere Erwachsene. Die Pubertät ist nicht umsonst eine prekäre Lebensphase, in der sich psychische Störungen häufen und die Selbstmordrate massiv ansteigt. Dem oft gegebenen Rat an die Eltern, die Sache doch einfach mal locker zu nehmen, können wir darum nicht zustimmen, müssen aber dennoch immer wieder betonen, dass es mit der herkömmlichen Erziehung in der Pubertät ein für alle mal vorbei ist. Dafür war in den Jahren davor genug Zeit.
Wir werden uns weniger mit Gefahren wie Alkohol, Gewaltvideos, Komasaufen und Cybermobbing auseinandersetzen und werden schon gar nicht Ratschläge erteilen, wie sie zu vermeiden und zu bekämpfen sind. Wir glauben nicht an ein weiteres Zehn-Punkte-was-soll-ich-mit-den-Jugendlichen-tun-Programm für Eltern und Lehrer, sondern wollen eine Veränderung des Denkens und Verstehens bewirken, aus der sich dann hoffentlich neue Verhaltensweisen – weniger für die Jugendlichen als vielmehr für die Erwachsenen – ergeben.
Unser Anliegen ist es, Eltern und anderen Erwachsenen zu zeigen, wie sie die Jugendlichen stärken können. Denn Jugendliche müssen möglichst stark sein, damit sie die Herausforderungen erfolgreich bestehen können, die ihnen in der Pubertät abverlangt werden. Kinder, aus denen allmählich Erwachsene werden, haben eine Vielfalt von Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Noch einmal läuft das Wachstumskraftwerk auf Hochtouren – körperlich, geistig und emotional –, um dann die Entwicklung zu beenden. Die Darstellung der jugendlichen Entwicklungsaufgaben in diesem Buch basiert auf dem Fit-Konzept, so wie es im Buch „Kinderjahre“ (Largo 1999) entwickelt wurde. Danach müssen Jugendliche im Wesentlichen drei wichtige Herausforderungen meistern:
Geborgenheit: Jeder Jugendliche will sich geborgen fühlen. In der Kindheit befriedigen die Eltern seine körperlichen Grundbedürfnisse. Eine bedingungslose Bindung zwischen Kind, Eltern und anderen Bezugspersonen gewährleistet emotionale Sicherheit. Wenn sich der Jugendliche von den Eltern ablöst und die Familie verlässt, muss er die emotionale Sicherheit anderswo finden, was ein schwieriges Unterfangen ist und mit emotionalen Höhen und Tiefen einhergeht.
Soziale Anerkennung: Jeder Jugendliche braucht soziale Anerkennung und eine gesicherte Stellung in der Lebensgemeinschaft. Soziale Sicherheit gewährleistete bisher die Familie und die Schule. Nun muss der Jugendliche aus eigener Kraft seinen Platz in der Gesellschaft finden und sich soziale Anerkennung verschaffen.
Entwicklung und Leistung: Jeder Jugendliche will seine Fähigkeiten möglichst gut ausbilden. Als Kind hatte er zu einem wichtigen Teil für Eltern und Lehrer gelernt, jetzt muss er, ob in der Schule, der Berufsausbildung oder in der Universität für sich selbst lernen. Er muss seine Stärken entwickeln, um dann im konkreten Tun und Handeln in Gesellschaft und Wirtschaft erfolgreich zu sein.
An diesen drei Aufgaben wächst der Jugendliche zum Erwachsenen heran und entwickelt seine Identität. Es erstaunt wohl kaum, dass dieser vielschichtige Prozess des Suchens, Findens und sich Bewährens nicht pannenfrei verlaufen kann, weder für die Jugendlichen, noch für die Eltern und die Schule. Das Fit-Konzept strebt eine möglichst gute Übereinstimmung zwischen den individuellen Bedürfnissen und Entwicklungseigenheiten des Jugendlichen und seinem Umfeld an. Wenn in diesen drei Bereichen eine gute Übereinstimmung zwischen dem Jugendlichen und seinem Umfeld besteht, fühlt er sich wohl, ist aktiv und kann ein gutes Selbstwertgefühl entwickeln. Ist die Übereinstimmung ungenügend oder fehlt sie gar, werden Wohlbefinden und Selbstwertgefühl des Jugendlichen beeinträchtigt. Daraus können psychosomatische Störungen und Verhaltensauffälligkeiten entstehen. Fehlt beispielsweise die Anerkennung von den Gleichaltrigen, kann ein Mädchen magersüchtig werden oder ein Junge besonders große Risiken eingehen.
Unser Buch ist folgendermaßen aufgebaut. In Teil I geht es darum, ein Verständnis für die Gesetzmäßigkeiten zu wecken, welche die Entwicklung in der Pubertät bestimmen. Jugendlichen wird beispielsweise häufig von ihren Eltern vorgeworfen, sie würden zu spät zu Bett gehen und daher notorisch übermüdet sein. Nun hat sich herausgestellt, dass Jugendliche aus biologischen Gründen gar nicht früher einschlafen können. Das soziale Umfeld muss sich also anpassen, nicht die Jugendlichen. Besonderer Nachdruck wird in Teil I auf die Vielfalt gelegt, die unter Jugendlichen herrscht. Diese Vielfalt ist so groß, dass nur ein individueller Umgang dem einzelnen Jugendlichen gerecht werden kann. Denn eine erzieherische Haltung, die bei dem einen Jugendlichen auf fruchtbaren Boden fällt, kann bei einem anderen verfehlt sein. Je genauer es Eltern und Lehrern gelingt, sich auf die individuellen Bedürfnisse und Eigenheiten der Jugendlichen einzustellen, desto besser werden sich die Jugendlichen entwickeln und desto geringer wird der erzieherische Aufwand sein.
In Teil II wollen wir aufzeigen, weshalb die Pubertät für Jugendliche eine so schwierige Zeit ist. Auch wenn es Eltern und Lehrern unbegreiflich erscheint: Ein Konflikt in der Clique kann einen Jugendlichen so umtreiben, dass er die Schule total vernachlässigt. Je besser sich Eltern und Lehrer in die Nöte der Jugendlichen einfühlen und hineindenken können, desto tatkräftiger können sie ihnen beistehen.
In Teil III schließlich geht es um die Frage, wie Eltern, Schule und Gesellschaft Jugendliche besser unterstützen können, um ihre soziale und berufliche Integration sicherzustellen. Tun sie das nicht, werden die jungen Erwachsenen zu einer Belastung für die ganze Gesellschaft. Wir Erwachsene dürfen uns nicht mit Kritik und Ansprüchen an die Jugendlichen zufrieden geben, sondern müssen unsere eigenen Ängste und Vorurteile hinterfragen. Wenn die junge Generation die Pubertät gut bestehen soll, wird diese Zeit eine Herausforderung und Entwicklungschance auch für uns Erwachsene. Denn auch wir müssen uns weiterentwickeln.
Abschließend eine Anmerkung zu den Literaturhinweisen. Wo es notwendig ist, haben wir auf Originalarbeiten und Bücher verwiesen. Oft zitieren wir auch Studien, die schon einige Jahre alt sind – aus gutem Grund. Nicht immer sind nämlich die aktuellsten Untersuchungen auch die besten. Für weiterführende Informationen, beispielsweise über Begriffe wie Sexualhormone oder Transsexualität, empfehlen wir den Lesern und Leserinnen Wikipedia. Dieses Internetportal ist einschlägigen Enzyklopädien qualitativ mindestens ebenbürtig, meist sogar ausführlicher, reichhaltiger an Quellenangaben und immer am aktuellen Stand. Bleibt noch zu erwähnen, dass wir aus Gründen der besseren Lesbarkeit im Text darauf verzichtet haben, beispielsweise von Schülern und Schülerinnen zu sprechen, und uns jeweils für eine Form entschieden haben.
Monika Czernin und ich sind überzeugt: Die wirksamste Medizin gegen die Angst bei den Erwachsenen und die beste Unterstützung für das jugendliche Kind ist, darauf zu vertrauen, dass es sein Bestes geben wird, um zu dem Menschen zu werden, der in ihm angelegt ist. Dies zu ermöglichen ist unsere Aufgabe. Wir Erwachsene müssen die Jugend tatkräftig bei der Bewältigung ihrer schwierigen Entwicklungsaufgaben unterstützen. Aus diesem Anliegen heraus entstanden dieser Dialog zwischen uns Autoren und dieses Buch für alle, die sich für die jungen Menschen einsetzen wollen.


Remo H. Largo und Monika Czernin


Teil I
Die Entwicklung beim Jugendlichen


Entwicklung in der Pubertät


„Seit einiger Zeit finde ich, dass alles immer komplizierter wird, alles ist kompliziert, ich bin auch kompliziert.“ (Nathalie, 14)


Schlussspurt zur Vollendung


Hirnforscher haben Teenager mit bildgebenden Verfahren untersucht und dabei festgestellt, dass ihr Gehirn in der Pubertät einen letzten großen Umbau erfährt (Crone 2011). Wir Eltern und alle, die sich mit Jugendlichen beschäftigen, können also beruhigt sein: Das heillose Durcheinander in der Pubertät hat System und eine klare Ursache.
Die Hirnforschung bestimmt zunehmend unsere Vorstellungen über menschliches Verhalten. So ist beispielsweise die erhöhte Risikobereitschaft von Jugendlichen neurobiologisch erklärt worden. Sie werde nämlich dadurch verursacht, dass die Frontalhirnrinde, die Schaltstelle für besonnenes Handeln, als letztes umgebaut wird. Wer sich als Jugendlicher also außen an einen Zug hängt, Bungeejumping betreibt und sein erstes Auto als Rennsportgerät missversteht, dessen Frontalhirnrinde ist einfach noch unreif. Die Frage ist nur, ob solche Erkenntnisse auch hilfreich sind. Sollen wir als Eltern und Lehrer die Hände in den Schoß legen und das Risikoverhalten von Jugendlichen schicksalhaft erdulden? Wir schaffen es nicht, weil wir uns verantwortlich fühlen. Wir müssen handeln und entscheiden. Und dazu brauchen wir möglichst adäquate und hilfreiche Vorstellungen darüber, was bei Jugendlichen entwicklungsmäßig geschieht. Je besser wir ihre biologische Entwicklung und ihr Verhalten verstehen – und die Hirnforschung leistet dazu eben nur einen kleinen Beitrag –, desto kompetenter können wir mit ihnen umgehen und desto besser geht es den Jugendlichen und nicht zuletzt auch uns selbst. Befassen wir uns also zuerst mit den Entwicklungsprozessen, die in der Pubertät ablaufen und abgeschlossen werden, und dann mit der Vielfalt, die in der Pubertät besonders groß ist.


In der Pubertät kommen die Entwicklungsprozesse zum Abschluss. Das klingt endgültig. So, als ob danach keine Entwicklung mehr stattfinden würde.
Auch Erwachsene können sich noch entwickeln, aber nicht mehr so wie Kinder. Um zu verstehen, was mit Abschluss der Entwicklung gemeint ist, müssen wir uns klar machen, worin die kindliche Entwicklung eigentlich besteht. Sie lässt sich im Wesentlichen durch drei Prozesse charakterisieren: Wachstum, Differenzierung und Spezifizierung.
Wachstum: Jedes Kind wächst. Das Wachstum ist wohl das augenscheinlichste Merkmal der kindlichen Entwicklung. Zahlreiche Aspekte der Entwicklung wie etwa die Körpergröße nehmen im Verlauf der Kindheit zu und finden in der Pubertät ihren Abschluss. Natürlich gibt es gewisse Merkmale wie beispielsweise der Bart, der auch nach der Pubertät noch weiter wächst, oder die Weisheitszähne, die überhaupt erst im Alter von 30 Jahren zum Vorschein kommen. Aber im Wesentlichen ist das kindliche Wachstum am Ende der Pubertät abgeschlossen.
Differenzierung: Bei der Entfaltung von geistigen Fähigkeiten ist der Abschluss der Entwicklung weniger offensichtlich als beim Wachstum. Fähigkeiten wie die gesprochene Sprache, das Zahlenverständnis oder das zwischenmenschliche Verhalten nehmen während der ganzen Kindheit nicht nur quantitativ zu, sondern differenzieren sich auch qualitativ aus. So entwickelt das Kind seine kommunikativen Fähigkeiten, indem sein Sprachverständnis und sein sprachlicher Ausdruck, aber auch seine Körpersprache immer nuancierter werden. Dieser Prozess wird in der Pubertät ebenfalls weitgehend abgeschlossen.
Spezifizierung: Bei der Spezifizierung werden bestimmte Fähigkeiten in der Pubertät festgelegt. Je nach Umfeld, in dem das Kind aufwächst, werden Fähigkeiten wie etwa die Sprache unterschiedlich ausgebildet und schließlich auch festgeschrieben. Ein Erwachsener kann immer noch eine Fremdsprache lernen, aber nie mehr in der Weise und in der Perfektion wie als Kind die Muttersprache.
Die Entwicklung ist also ein Prozess, bei dem der kindliche Organismus und im Besonderen das Gehirn in einer ständigen Interaktion mit seinem Umfeld wächst, sich ausdifferenziert und in seinen Fähigkeiten festgelegt wird.


Use it or lose it – lautet eine weitere Erkenntnis der Hirnforscher. Zellen, die in der Kindheit nicht gebraucht oder angeregt wurden, werden in der Pubertät entsorgt. Heißt das, wir können nach der Pubertät nichts mehr dazulernen, unser Gehirn ist fertig verdrahtet?
In einer gewissen Weise stimmt das. Und dennoch ist Dazulernen bis ins Rentenalter möglich. Das klingt nach einem Widerspruch, ist es aber nicht. Es geht also um die Frage: Was können Erwachsene noch lernen und was nicht mehr? Der beste, wenn auch etwas unschöne Vergleich, der mir dazu einfällt, ist der Computer. Was der Jugendliche am Ende der Pubertät mitbekommt, ist ein Gehirn, vergleichbar einer Festplatte mit fertig entwickeltem Betriebssystem und zahlreichen Programmen. Genauso wenig wie wir als Normaluser das Betriebssystem oder das Word-Programm auf unserem PC verändern können, kann der junge Erwachsene Einfluss auf seine Hirnstrukturen nehmen. Was uns als PC-Benutzer jedoch möglich ist, ist, die Programme verschieden zu nutzen. Wir können Word, Excel, Power Point, Photoshop und alle anderen Programme, mit denen wir uns auskennen, auf ganz unterschiedliche Weise verwenden. Genauso kann der Erwachsene sein analytisches Denken, seine Motorik, seine Sprache oder seine sozialen Kompetenzen auf unterschiedlichste Weise einsetzen und durch neue Erfahrungen mit Wissen und spezifischen Fertigkeiten erweitern. Herauszufinden wie er seine Fähigkeiten – also die Festplatte samt aller Programme – möglichst wirkungsvoll und sinnvoll einsetzen kann, ist eine der großen Herausforderungen für jeden Jugendlichen in der Pubertät.


Wenn man sich in einer 7. Klasse umschaut, dann glaubt man oft nicht, dass es sich dabei um mehr oder weniger Gleichaltrige handelt. Manche Mädchen haben schon einen Busen und schminken sich, andere hingegen sehen wie deren jüngere Schwestern aus. Genauso ist es bei den Jungen. Während manche in die Höhe schießen und kräftige Schultern entwickeln, scheinen andere immer noch im Grundschulalter zu stecken. Wie groß sind die Unterschiede in der Pubertät?
Die Unterschiede zwischen den Kindern, die sogenannte interindividuelle Variabilität ist nie größer als in der Pubertät. Die Gründe dafür sind vielfältig. Erstens variiert das Alter, in dem Mädchen und Jungen in die Pubertät kommen, das heißt die Reifung verläuft von Jugendlichem zu Jugendlichem unterschiedlich rasch. Zweitens sind auch die individuellen Pubertätsverläufe verschieden. Die Pubertät kann ganz unterschiedlich lange dauern. Drittens gibt es Gruppenunterschiede zwischen den Geschlechtern. Mädchen sind im Mittel in jedem Alter reifer als Jungen. Und viertens gibt es auch noch die sogenannte intraindividuelle Variabilität. Jeder Jugendliche entwickelt sein eigenes Profil an unterschiedlichen Kompetenzen und Begabungen.




Pablo 13, 15 und 17 Jahre


Woher kommt diese Vielfalt. Was ist deren biologischer Sinn? Und wie groß ist sie tatsächlich?
Es ist ein grundlegendes Prinzip der Biologie, dass jedes Merkmal und jede Eigenschaft bei der Amöbe genauso wie beim Menschen unterschiedlich ausgeprägt ist. Mir ist keine Eigenschaft und kein Merkmal bekannt, das bei allen Menschen gleich ausgeprägt wäre. Die Vielfalt bei Pflanzen, Tieren und auch beim Menschen garantiert, dass es immer Mitglieder innerhalb einer Art gibt, die sich auf Grund ihrer individuellen Eigenschaften an veränderte Umweltbedingungen besonders gut anpassen können. Die Vielfalt besteht bereits bei der Geburt und nimmt im Laufe der Kindheit immer mehr zu. In der 1. Klasse unterscheiden sich die Kinder in ihrem Entwicklungsalter um mindestens 3 Jahre. Es gibt Kinder, die mit 6 Jahren ein Entwicklungsalter von 7 bis 8 Jahren aufweisen und bereits lesen können. Andere mit einem Entwicklungsalter von 4 bis 5 Jahren sind noch weit davon entfernt. Bis zur Oberstufe nehmen die Unterschiede zwischen den Kindern noch einmal deutlich zu. Mit 13 Jahren variiert das Entwicklungsalter um mindestens 6 Jahre zwischen den am weitesten entwickelten Jugendlichen und jenen, die sich am langsamsten entwickeln (Abbildung 1). Hinzu kommt, dass Mädchen, wie schon erwähnt, den Jungen im Mittel um eineinhalb Jahre voraus sind. Diese Vielfalt muss Jugendliche und Erwachsene verwirren, die von Normvorstellungen ausgehen.


Eltern und auch Lehrer wundern sich immer wieder, wie unterschiedlich die Begabungen bei ein und demselben Kind ausgeprägt sein können. Selbst innerhalb der Familie kann es vorkommen, dass das eine Kind gut in Sprache, aber schwach in Mathematik ist; bei einem Geschwister ist es genau umgekehrt.
Jeder Jugendliche und auch jeder Erwachsene weist ein ihm eigenes Profil von Begabungen auf. Zwei solche Kompetenzprofile von 14-jährigen Jugendlichen sind in den Abbildungen 2 und 3 dargestellt. Bei Daniel und Sarah sind die Begabungen sehr unterschiedlich verteilt. Daniel hat seine Stärken im logisch-mathematischen Denken und in der Motorik, seine Schwächen liegen im sprachlichen Bereich. Bei Sarah ist es genau umgekehrt. Sie ist sprachlich besonders begabt, dafür weniger kompetent in logischem Denken und Rechnen. Die Stärken und Schwächen können unter Jugendlichen in unterschiedlichen Variationen vorkommen. Beim einzelnen Jugendlichen können ausgeprägte Unterschiede zwischen beispielsweise den körperlichen und den sozio-emotionalen Entwicklungsbereichen bestehen.Es kann zu schwierigen Situationen für den Jugendlichen, aber auch für seine Umgebung kommen, wenn er körperlich voll entwickelt ist, aber wegen seiner niedrigen sozialen Kompetenz rasch die Kontrolle über sich verliert. Weil Jugendliche in den verschiedenen Entwicklungsbereichen unterschiedlich weit entwickelt sein können, erstaunt es nicht, dass sie häufig ein Verhalten zeigen, das für Erwachsene schwer verständlich ist und von ihnen als chaotisch bezeichnet wird.


Wenn ein Kind früh in die Pubertät kommt, gilt dies dann nicht nur für seine körperliche Entwicklung, sondern für alle Entwicklungsbereiche wie die Sprache oder die Kognition?
Es gibt Hinweise, dass dies tatsächlich der Fall ist. Das bedeutet, wenn die Pubertät früh einsetzt, schließt auch das Gehirn seine Entwicklung früh ab. Damit werden alle Entwicklungsprozesse, nicht nur die körperlichen, frühzeitig beendet. Tanner (1962) hat eine signifikante Beziehung zwischen dem Intelligenzquotienten und dem Knochenalter als Indikator für die Entwicklungsreife nachgewiesen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein früher Abschluss der Entwicklung zwangsläufig mit einem niedrigen IQ einhergeht. Zur besseren Verständlichkeit möchte ich folgenden Vergleich machen: Es gibt große und kleine Kinder, die rasch oder langsam reifen. Reift ein großes Kind rasch, wird es vorübergehend sehr groß sein. Reift ein kleines Kind langsam, wird es vorübergehend sehr klein sein. Die Ausprägung der Körpergröße und die Reifungsgeschwindigkeit sind also voneinander unabhängig. Genauso verhält es auch mit den kognitiven Fähigkeiten. So können sich kluge Kinder rasch oder langsam entwickeln. Entwickeln sie sich rasch, sind sie in der Schule den anderen Kindern besonders weit voraus.

Monika Czernin

Über Monika Czernin

Biografie

Monika Czernin, 1965 in Klagenfurt geboren, studierte Politikwissenschaften, Philosophie und Pädagogik in Wien. Die international renommierte Filmemacherin und Autorin (u. a. „Gebrauchsanweisung für Wien“, „Gebrauchsanweisung für Tansania“ und zuletzt „Remo Largo – Ein Leben für die Kinder“)...

Remo H. Largo

Über Remo H. Largo

Biografie

Remo H. Largo, geboren 1943 in Winterthur, gestorben 2020, war bis zu seiner Emeritierung 2005 Professor für Kinderheilkunde und leitete fast drei Jahrzehnte die Abteilung Wachstum und Entwicklung des Kinderspitals Zürich. Selbst Vater von drei Töchtern und neun Enkeln, war er Autor zahlreicher...

Medien zu „Jugendjahre“
Pressestimmen
Wiener Journal

„Remo H. Largo ist eine Ausnahmeerscheinung unter den Autoren von ›Erziehungsbüchern‹. Er erklärt die Welt in einem bestimmten Alter mit Fakten, fundierten Beobachtungen und viel Verständnis. (...) Leseempfehlung!“

Badische Zeitung

„In gut lesbarer Frage- Antwort- Form und mit anschaulichen Grafiken erklären Largo und Czernin, weshalb Jugendliche unter ihrer Pubertät leiden und wie sie ihren Weg in die Gesellschaft suchen.“

Tages-Anzeiger (CH)

»Die Generationskonflikte zu versachlichen und zu entspannen: Das ist das eine Anliegen von Largos Buch. Dazu will er „eine Veränderung des Denkens und Verstehens bewirken, aus der sich dann hoffentlich neue Verhaltensweisen – weniger für die Jugendlichen als für die Erwachsenen – ergeben.“

familie & co

„Der Schweizer Kinderarzt hilft Eltern ihre Kinder besser zu verstehen.“

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