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Gebrauchsanweisung für Schweden

Antje Rávik Strubel
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Gebrauchsanweisung für Schweden — Inhalt

Sehnsuchts-Reiseziel Schweden, von einer literarischen Insiderin vorgestellt

Reiseführer mal anders: Entdecken Sie Schweden von seiner ganz persönlichen Seite mit dieser vergnüglichen und informativen  „Gebrauchsanweisung“  

Sehnsuchts-Reiseziel Schweden, von einer literarischen Insiderin vorgestellt 

Die Reihe „Gebrauchsanweisung für …“ zeigt die Gepflogenheiten verschiedener Länder über Klischees hinaus. In der Schweden-Ausgabe erzählt Antje Rávik Strubel, die Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2021, von Wodka, blinden Elchen und fehlenden Gartenzäunen.  

Wussten Sie, dass man im Kreisverkehr in Schweden grundsätzlich nur links blinkt? Oder dass Schweden meistens ohne Möbel umziehen? 

Als Kind starrte die preisgekrönte Autorin Antje Rávik Strubel stets sehnsüchtig auf die Fähren in Sassnitz, die nach Norden fuhren, jenseits der DDR. Inzwischen hat die Autorin ihr Sehnsuchtsland Schweden längst von innen kennengelernt.  

„Ihrem Urteil kann man trauen; und vergnüglich zu lesen ist der Band ohnehin.“ Süddeutsche Zeitung   

Ausgehend von ihrer eigenen Geschichte erzählt Strubel von den Besonderheiten und Eigenarten des Landes, an die auch sie sich gewöhnen musste. Gleichzeitig bettet sie ihre Einblicke in einen größeren historischen Kontext ein und entwirft so ein Bild des heutigen Schwedens, das ebenso greifbar wie lebendig ist.  

Skurrile Fakten, witzige Erlebnisse und hilfreiche Tipps: All das macht „Gebrauchsanweisung für Schweden“ zur absoluten Pflichtlektüre für alle Schweden-Liebhaber. 

In Schweden gibt es nicht nur Krimis, Köttbullar und Karlsson vom Dach 

Denken Sie bei Schweden auch zuerst an ein bekanntes Möbelhaus? Dann sind Sie sicher nicht allein. Doch wer das Land mit all seinen Facetten kennenlernen will, sollte unbedingt die „Gebrauchsanweisung für Schweden“ lesen: Auf humorvolle und eindrückliche Art nimmt Antje Rávik Strubel Sie mit in den Alltag der Schweden von Stockholm bis nach Lappland.  

Von Stockholm bis nach Lappland  - eine witzige und großartig erzählte Liebeserklärung an das skandinavische Land  

Seit Paul Watzlawicks „Gebrauchsanweisung für Amerika“ im Jahr 1978 den Startschuss gab, erfreut sich die Reihe „Gebrauchsanweisung für …“ ungebrochener Beliebtheit. Jedes Jahr erscheinen neue Titel von bekannten Autoren wie Peter Wohlleben, Juli Zeh, Ilija Trojanow oder Kai Strittmatter. Der erfolgreiche Schweden-Band von Antje Rávik Strubel ist nun in einer aktualisierten Neuausgabe erhältlich. 

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erschienen am 24.02.2022
256 Seiten, Flexcover mit Klappen
EAN 978-3-492-27761-7
Download Cover
€ 13,99 [D], € 13,99 [A]
Erschienen am 24.02.2022
256 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60170-2
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Leseprobe zu „Gebrauchsanweisung für Schweden“

Sehnsucht

Noch immer sehe ich sie stehen. Am Kai. Auf der Mole. Am Leuchtturm in Sassnitz. Am Strand.
Menschen in bunten Hemden, mit flatternden Hosenbeinen, schief gewehten Hüten, Menschen in DDR-Niethosen, die Hosenbeine bis zum Knie aufgerollt. Ich sehe sie stehen, ich sehe sie mit einer Hand die Augen abschirmen und den Fähren nachschauen. Fähren, die über die Ostsee fuhren, nach Trelleborg und weiter. Ich sehe sie aufs Meer hinausschauen, der Schwedenfähre nach, die aus dem Sassnitzer Hafen auslief. Die Fähre fuhr in greifbarer Nähe vorbei, Reling, [...]

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Sehnsucht

Noch immer sehe ich sie stehen. Am Kai. Auf der Mole. Am Leuchtturm in Sassnitz. Am Strand.
Menschen in bunten Hemden, mit flatternden Hosenbeinen, schief gewehten Hüten, Menschen in DDR-Niethosen, die Hosenbeine bis zum Knie aufgerollt. Ich sehe sie stehen, ich sehe sie mit einer Hand die Augen abschirmen und den Fähren nachschauen. Fähren, die über die Ostsee fuhren, nach Trelleborg und weiter. Ich sehe sie aufs Meer hinausschauen, der Schwedenfähre nach, die aus dem Sassnitzer Hafen auslief. Die Fähre fuhr in greifbarer Nähe vorbei, Reling, Rettungsboote, Rauch und Bullaugen waren für das bloße Auge sichtbar. Die Blicke aber waren auf Unsichtbares gerichtet : auf schwimmende Paläste, die das schnöde Hier mit einem Traum verbanden, mit der anderen, unbekannten Seite der Welt, mit dem Westen. Die Fähren waren real und irreal zugleich und entzündeten Wahnvorstellungen. Die Menschen winkten ihnen nach und malten sich aus, wie es wäre, in einem Werkzeugkasten in den Maschinenraum geschmuggelt zu werden, als Matrose verkleidet an Bord zu gehen oder sich, an den Unterboden eines Lkws gekettet, als Frachtgut verladen zu lassen. Manche übten sich im Weitspucken. Einmal, das wussten sie, würde die Spucke die Bordwand treffen und dort hängen bleiben, und dann würde das Ungeheuerliche geschehen : Die Spucke würde in weniger als fünf Stunden das ersehnte Ufer erreichen; ihre Spucke. Ein Teil ihrer selbst. Sie aber mussten jede dieser Fähren davonziehen lassen.
Die Fähren zogen schmerzhaft langsam dahin. Sie wurden zu weißen Punkten, sie standen noch lange am Horizont, bevor sie verschwanden. Mit ihnen verschwanden teurer Sekt und glitzernde Pools auf dem Oberdeck, coole Musik, glänzende Zeitschriften und Düfte, die schwindlig machten und in der salzig-öligen Ostseeluft beinahe schon zu wittern waren. Es verschwanden lässige Kellner, lässige Eltern, rosenlippige Mädchen und schmalbrüstige Jungs und vor allem eines : echte Jeans. Stonewashed.

Erst als auch die letzte Fähre hinter dem Horizont verschwunden, als sie abgetaucht war hinter der unsichtbaren Grenze, die irgendwo zwischen den Kreidefelsen, der Mole und dem fernen gelobten Land verlief, war man nicht mehr so sicher, dass es alles das auch tatsächlich dort gab. Man hatte es zwar vor dem inneren Auge gesehen, in vagen Bildern, flüchtig und wie aus der Erinnerung. Aber die Erinnerung wurde durch nichts gestützt. Schließlich war niemand je dort gewesen. Und wenn es einem doch gelungen sein sollte, mit einem Segler, einem Schlauchboot oder auf der Luftmatratze lebend die Grenze zu überqueren, dann war er nie zurückgekehrt, um davon zu berichten.
Der Himmel reichte nicht weiter als der Blick. Was dann kam, glich so sehr dem Nichts, dass man sich sagte, die Sehnsucht lohne vielleicht nicht. Vielleicht waren auch die Fähren nur Gaukelei, Hitzebilder der Ostseeluft. Dieser Gedanke war tröstlich. Allerdings hielt er nicht lange, weil er so durchschaubar war. Sogar der Trost schmeckte schal.
Ich sehe sie stehen.
Ich selbst stand auch da. Aber ich war zu jung, als dass alle diese Erinnerungen meine eigenen sein könnten. Erinnerungen an ein Schweden im Kopf, das in einem gleißenden Licht erschien.
Ein Licht, in dem es leuchtend rote Häuser, gepflegte Straßen, wohlhabende, ausgeglichene Menschen gab, riesige, gesunde Wälder, ABBA und Lachs; ein Luxus, der meine Vorstellungskraft gänzlich überstieg.
Ich war zu jung. Aber jedes Mal, wenn heute die Fähre in Sassnitz ablegt und ich auf dem Weg nach Schweden bin, sehe ich sie da stehen und winken.
Wenn über diesem Buch eine silberne Melancholie hängt, wenn sich ein tief stehendes, blendendes Licht wie ein Weichzeichner über die Landschaft der Sätze legt, wenn der Holzgeruch des Sommers zu intensiv aus den Zeilen strömt und der Himmel größer wird, als er es in Wirklichkeit je sein könnte, dann vergeben Sie mir.
Noch immer entzündet jede Fähre die Sehnsucht in mir erneut, und seit die Grenzen offen sind, bin ich häufig an Bord gegangen. Ich habe die eisklaren Dalsland-Seen mit dem Kanu befahren, das Klirren der Segelstangen in den Stockholmer Schären gehört, ich habe im Schatten der Stadtmauer von Visby auf Gotland gesessen und schlaflos im unermüdlichen Junilicht in Lapplands Nächten gelegen.
Die Sehnsucht hat sich nach der Wende verändert und wurde zunächst zu einer Kindersehnsucht, zu einer Sehnsucht nach Abenteuer und am Lagerfeuer gebratenem Fisch, was ich mir unter dem rauen Leben draußen so vorstellte, das auf den mittlerweile geordneten Campingplätzen an der Müritz nicht mehr zu haben war.
Später hatte ich genug Westen im Kopf, im Blut und im Portemonnaie, um mich wieder nach einer besseren Welt zu sehnen.
Was ich hier fand, war eine Ahnung davon. Was ich hier fand, war eine Gesellschaft, die einer real existierenden Utopie am nächsten kam.
Ich weiß : Die Sehnsucht bildet immer Übertreibungen aus. Aber erst die Übertreibung lässt die Gegenstände der Sehnsucht am Ende Wirklichkeit werden.
„ Nähme ich Flügel der Morgenröte und machte mir eine Wohnung zuäußerst am Meer “, ließ Astrid Lindgren in „ Ferien auf Saltkrokan “ ihre Hauptfigur im Rausch der Begeisterung rufen; ein Bibelvers übrigens, der in der DDR in ein Protestlied einging.
Und Olof Palme sagte : „ Wir sind mutig genug, Veränderungen zu wollen, weil Veränderungen Utopien wirklich machen können. “
Was ich hier fand, waren Menschen, die mich manchmal an meine Kindheit erinnerten. Ihre Rücksicht und ihre Eckigkeit waren mir vertraut. Die Selbstverständlichkeit, mit der Frauen Berufe ausübten und Kinder in Kindergärten gingen, hatte ich im vergleichsweise rückschrittlichen Gesamtdeutschland beinahe vergessen, bevor ich sie hier wiederfand. Hier fiel mir auch wieder ein, dass ich Small Talk früher nicht hatte ertragen können : In Schweden wird nicht herumgelabert. Manche mögen die Schweden deshalb für schwer zugänglich halten, für wortkarg und unfreundlich. Es gibt Witze, in denen Schweden vorkommen, die nur dann mit ihren Nachbarn reden, wenn sie sich aus ihrem eigenen Haus ausgesperrt haben und den Nachbarn um den hinterlegten Ersatzschlüssel bitten müssen. Peter Berlin schreibt in seinem „ Xenophobe’s Guide to the Swedes “ ironisch : „ Das Image, das die Schweden weltweit haben, ein bisschen eckig zu sein, täuscht; sie sind definitiv quadratisch. Der Autor Herman Lindquist fasst das folgendermaßen zusammen : Die Schweden betrachten die Welt durch einen Rahmen, der zusammengenagelt wurde von Martin Luther, Gustav Vasa, der Abstinenz-Bewegung und hundert Jahren Sozialismus. Luther steuerte die schwedische Vorliebe für Einfachheit bei, Vasa das Nationalgefühl, die Abstinenz-Bewegung die Frömmelei und der Sozialismus die arbeitsame Bescheidenheit. “
Eigentlich machen die Schweden nur nicht gern viel Aufhebens um sich. Niemand scheint mit aufgepumptem Ego herumlaufen zu müssen. Was nicht heißt, dass sie schüchtern wären oder voller Selbstzweifel. Im Gegenteil. Die meisten scheinen so zufrieden zu sein, dass sie es in den letzten zweihundert Jahren nicht nötig hatten, auch nur ein einziges anderes Land zu überfallen und auszurauben; und diese Unterlassung scheint mir, wenn ich mir die geopolitische Weltkarte so ansehe, nicht gerade die einfachste Übung einer Nation zu sein … Das wiederum macht den schwedischen Nationalstolz so ungewöhnlich und erklärt vielleicht, warum sich die Schweden – natürlich nur insgeheim und ohne es an die große Glocke zu hängen – sogar für überlegen halten : Sie sind immerhin weltweit die Ersten, die es sich leisten können, gerade auf das Nichtkriegerische ihrer Geschichte stolz zu sein.
Ihre still vorausgesetzte Überlegenheit mag auch darin begründet liegen, dass sie es in hundert von diesen zweihundert Jahren geschafft haben, die Balance zu halten zwischen Kapitalismus und Sozialismus, zwischen Fortschritt und Menschlichkeit, dass es ihnen irgendwie immer noch gelingt, zwischen extremem privaten Reichtum und Armut auszugleichen und ein ausgeprägtes Gemeinschaftsbewusstsein mit einem ebenso ausgeprägten Freiheitswillen in Einklang zu bringen. Olof Palme, der, um gesellschaftliche Hierarchien zu durchbrechen, das Duzen gesellschaftsfähig machte, sagte dazu : „ Gemeinsam Verantwortung zu tragen und das Gefühl, eine Gemeinschaft zu sein, stellen wir über Egoismus und einen rauen Individualismus. “
Zyniker gibt es immer. Zyniker sagen, jeder Schwede würde zwar frei geboren, aber dann zu Tode besteuert. Zyniker sagen, Schweigen sei in Schweden nicht nur Gold, sondern würde jede Diskussion auch unter dem Gewicht dieses Edelmetalls begraben. Die Beobachtung ist richtig. Man könnte das Ganze aber auch folgendermaßen betrachten : Geredet wird nur, wenn es etwas Sinnvolles zu sagen gibt. Alles andere ist kallprat, kaltes Gerede, oder auch dödprat, totes Gerede. Zyniker werfen natürlich sofort ein, das diene alles nur der Kaschierung des Ketchupeffekts : Erst komme tatsächlich lange nichts, aber dann die volle Ladung.
Zyniker sagen, schlimmer, als in Schweden reich zu sein, sei nur noch eines : berühmt zu sein. Berühmtheit ist nur gestattet, wenn der Glanz auf jeden Einzelnen im Land ein bisschen abfärbt; Sieger im Biathlon zu sein ist okay, solange sich dadurch ganz Schweden über das Skifahren international ins Gespräch bringen kann. Ingmar Bergman und Lukas Moodysson ( Fucking Åmål ) sind okay, weil ihre Filme die schwedische Psyche mit ihrer svårmod, der dunklen Melancholie, außerhalb Schwedens berühmt gemacht haben. Wer sich allerdings als Star behaupten will, lebt gefährlich. Rapper werden ihr Glück lieber in Hollywood suchen als in Malmö, der Fußballer Zlatan Ibrahimović hat Probleme, sein Ego auf der Bank zu lassen, und auch Ingrid Bergman hat sich ihre Eskapaden leider nicht gut genug überlegt; um ihre Landsleute nicht zu verprellen, hätte sie wenigstens auf jedem amerikanischen roten Teppich vehement auf ihre schwedischen Wurzeln hinweisen müssen …
Zyniker führen auch gern die Leichen im schwedischen Nationalkeller an. Die Neutralität Schwedens während des Zweiten Weltkriegs beispielsweise, als man Soldaten der deutschen Truppen, die Norwegen besetzt hielten und auf Heimaturlaub gingen, durchs Land reisen ließ, trübt das schwedische Nationalbewusstsein noch immer. Auch die Neutralität der schwedischen Regierung Stalin gegenüber, die dazu führte, die Flüchtlinge aus dem Baltikum, die in Schweden Schutz gesucht hatten, dem Diktator wieder in die Arme zu treiben, stört die nationale Gelassenheit.
Die Wikinger waren ebenfalls nicht unbedingt nur Unschuldsknaben. Ironischerweise ist jedoch gerade auf sie einiges von dem zurückzuführen, was die schwedische Gesellschaft heute so ausgeglichen macht. „ Lagom “ beispielsweise ist eine der magischen Formeln, die die Wikinger erfunden und ins kollektive schwedische Unterbewusstsein eingeschrieben haben. Wenn sie, vom Kämpfen und Rauben durstig, ums Lagerfeuer saßen und das Trinkhorn kreisen ließen, trank jeder nur so viel Met, dass das Horn erst geleert war, nachdem alle getrunken hatten : eben laget om, reihum, gegangen war.
Lagom bedeutet „ maßvoll, angemessen, im richtigen Verhältnis “ und sorgt als eines der gesellschaftlichen Grundprinzipien bis heute für die berühmte Zurückhaltung der Schweden. Es sorgt allerdings auch für eine inzwischen kritisch betrachtete Vereinheitlichung der Gesellschaft. Im Zuge der sozialen Reformen in den 1970er-Jahren nahm der Gleichheitsgedanke extreme Formen an. Beispielsweise waren Zensuren an Schulen verpönt. Schüler wurden erst ab der neunten Klasse überhaupt benotet. Jeder sollte eben gerade so gut sein wie der andere; nicht mehr und nicht weniger. Talente wurden auf diese Weise allerdings eher behindert als gefördert.
Obwohl die Gesellschaft relativ konform wirkt, wird doch ein erstaunlich radikaler Individualismus gelebt. Dem großen Gemeinschaftsbewusstsein steht ein ebenso großes Bedürfnis nach Unabhängigkeit entgegen. Um beides unter einen Hut zu bekommen, gilt es als höchstes Gebot der offenen schwedischen Gesellschaft, den Freiraum des anderen zu achten. Ein eindrückliches Beispiel dafür liefert die Universität Uppsala. Während andere Länder ihre Leute mit Verbotsschildern und Strafandrohung gängeln, um zu verhindern, dass Zigarettenqualm in die passiven Lungen der Nichtraucher dringt, oder Raucher gleich zum Sündenbock aller gesellschaftlichen Probleme stigmatisieren, sind schwedische Raucher offenbar von allein so zurückhaltend, dass man sie vor dem Aussterben retten muss. An der Universität Uppsala wurden zu diesem Zweck Schilder aufgestellt, auf denen es ausdrücklich heißt : Rauchen erlaubt !
Einen ruppigen Umgangston, die Ellenbogenmentalität deutscher Großstädte und lautes Geschimpfe über hohe Preise oder die Verspätung der Bahn sollte man sich vor Antritt der Reise abgewöhnen, um nicht sofort als Fremdling geoutet zu werden. Aber schon mischen sich wieder die Zyniker ein und behaupten, das Bedürfnis nach Unabhängigkeit könne mitunter so groß sein, dass die Bereitschaft zur Geselligkeit an überraschende Grenzen stoße : Eine Person mögen Schweden noch als Begleitung betrachten, zwei dagegen gelten schon als Menschenauflauf.
In Deutschland würde man diesen scheinbar unüberwindbaren Widerspruch zwischen Kollektiv und Individuum mit Verordnungen und Gesetzen zum Allgemeinwohl lösen, die das persönliche Besitzstreben hier und da stutzen. In Schweden scheint es sich von allein herumgesprochen zu haben, dass man den Ast, auf dem man sitzt, besser nicht absägt.
Begeistert eröffnete ich in diesem utopischen Land ein Konto und kaufte mir 2003 ein Haus.
Begeistert entdeckte ich, dass ein Gericht, das während meiner Kindheit unter dem abfälligen Namen Hoppelpoppel dadurch entstand, dass man Essensreste in eine Pfanne warf und mit Ei vermischte, hier pytt i panna heißt und als ernst zu nehmende Speise sogar in Restaurants erhältlich ist.
Begeistert ging ich davon aus, Land und Leute wären mir so ähnlich wie die deutsche Sprache dem Schwedischen. Noch hatte ich keine Ahnung, dass sich besonders im stümperhaften Sprachenvergleich die blutige Anfängerin zeigt.
Mittlerweile weiß ich, dass dort, wo sich die Sprachen scheinbar besonders ähneln, die tiefsten Fallgruben sind.
Mittlerweile weiß ich, dass ich das Kino ganz sicher nicht finden werde, solange ich das Gebäude mit der Aufschrift „ Bio “ für ein Gewächshaus halte, in dem Ökotomaten gezogen werden. Mittlerweile weiß ich auch, dass man schwedisches öl nicht ins Auto, sondern ins Bierglas füllt, dass man schwedisches glas essen kann, jedenfalls wenn die Vanille- oder Schokokugel mit einem zweiten „ s “ garniert wird, ich weiß, dass blodpudding keine Nachspeise ist, sondern Blutwurstgrütze, die mit Preiselbeeren serviert wird, und dass Wegweiser zur gamla stan nicht auf einen vergammelten Stadtteil schließen lassen, sondern den Weg in die gut erhaltene Altstadt weisen. Zu einer Verabredung zum middag werde ich zukünftig nicht mehr mittags um zwölf erscheinen, sondern abends zum Dinner. Und wenn man mir sagt, dass ich mycket bra aussehe, werde ich nicht erröten. Ich werde dahinter keine Anspielung auf meinen „ bra “ vermuten, weil das Wort nicht Büstenhalter, sondern gut bedeutet. Ich weiß aber auch, dass es meine schwedische Verabredung kaum in Verlegenheit stürzen würde, sollte aus Versehen doch meine Unterbekleidung aus irgend­einem Spalt der oberen Textilschicht hervorlugen. Immerhin wurde in Schweden der Reißverschluss erfunden. Die Entdecker dieser Vorrichtung zur beschleunigten Entblößung werden sich durch den Anblick eines bysthållare wohl kaum aus der Fassung bringen lassen. Und ich werde nicht aus der Fassung geraten, wenn ich gefragt werde : „ Vill du fika ? “, weil das kein unverschämter Antrag, sondern eine Einladung zum Kaffee ist, was wiederum bedeutet, in den engeren Freundeskreis vorgedrungen zu sein. Einmal dort, wird man von nun an zu Weihnachtsfeiern, zum Krebs­essen und zum smörgåsbord eingeladen, als gehörte man schon immer dazu. Bei smörgås handelt es sich glücklicherweise heute nicht mehr um die weißen Fettklümpchen, die beim Buttern im Fass oben schwimmen, wie die wörtliche Übersetzung nahelegt; aus der „ Buttergans “ ist ein Büfett mit regionalen Delikatessen geworden.
Meine ersten Versuche in der Fremdsprache waren jedenfalls die reinsten Blindflüge. Als man mir sagte, ich sei vacker, hielt ich das für reine Mitleidsbekundung. Erst später begriff ich, dass hier nicht das gönnerhafte Klopfen auf die Schulter der Ausländerin gemeint war, die sich im hüpfenden, korkigen Schwedisch wacker geschlagen hatte. Vacker heißt hübsch, auch wenn das Wort für meine Ohren immer noch so klingt, als sei es im Steinbruch abgebaut worden.
Ein wenig beruhigte mich, dass auch ein anderer und zudem äußerst eloquenter Schwedennarr es nicht auf Anhieb geschafft hatte. Kurt Tucholsky scheint ebenso zielstrebig und kopflos ins fremde Sprachgehege hineingerannt zu sein wie ich. Durch Karlchen, die Hauptfigur seines 1931 erschienenen Romans „ Schloß Gripsholm “, lässt er auf die Frage, ob er denn gut Schwedisch spreche, verlauten : „ Ich mache das so. Erst spreche ich Deutsch, und wenn sie das nicht verstehn, Englisch, und wenn sie das nicht verstehn, Platt – und wenn das alles nichts hilft, dann hänge ich an die deutschen Wörter die Endung as an, und dieses Sprechas verstehas sie ganz gut. “
Aber noch ein weiterer Irrglaube musste ausgeräumt werden, bevor ich sehenden Auges das fremde Land erkunden konnte : Der berühmte Schwedeneisbecher hat nicht das Geringste mit Schweden zu tun. Es stellte sich heraus, dass diese Eiskreation eine geschickte Erfindung von Betriebsleitern stumpfer HO-Gaststätten der DDR war. Sie brachten darin ihr Fernweh zum Ausdruck. Gleichzeitig tröstete so ein Schwedeneisbecher über den Südfrüchtemangel hinweg; je mehr Eierlikör auf der Schlagsahne war, umso nachhaltiger wirkte der Trost. Dem Schwedeneisbecher mit seinem ums Vanilleeis arrangierten Apfelmus verschaffte allein der Name jenen Hauch von Luxus, dem man sonst in Ermangelung von Pfirsich Melba und Bananensplit ganz hätte entsagen müssen. Einen Schweden nach dem Schwedeneisbecher zu fragen kann also nur dann sinnvoll sein, wenn man sich ihm gegenüber als Ostdeutsche zu erkennen geben will.

Über Antje Rávik Strubel

Biografie

Antje Rávik Strubel, 1974 in Potsdam geboren, aufgewachsen in Ludwigsfelde, arbeitet nach Ausbildung zur Buchhändlerin und Studium als Übersetzerin und Schriftstellerin. Sie lebt in Potsdam und veröffentlichte u.a. die Romane „Tupolew 134“, „Kältere Schichten der Luft“, „Sturz der Tage in die Nacht“...

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