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Alles ist gutAlles ist gut

Alles ist gut

Helmut Krausser
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Roman

„Eine satirische Grätsche in das Genre der Künstlergeschichte: In "Alles ist gut" porträtiert Helmut Krausser einen arbeitslosen Komponisten, dem eines Tages ein vielversprechendes Manuskript zugesteckt wird - vom Teufel persönlich.“ - spiegel.de

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Alles ist gut — Inhalt

Marius Brandt versucht im Musikbetrieb Fuß zu fassen, doch kein Intendant eines Opernhauses zeigt Interesse an seinen neotonalen Werken, die der Gattung neue gesellschaftliche Relevanz verleihen sollen. Zunehmend frustriert, von Mordphantasien geplagt, gerät Brandt an jahrhundertealte, verschlüsselte Musikaufzeichnungen, die er nach und nach enträtselt. Teile davon baut er in eine Auftragskomposition ein, die er „Alles ist gut“ nennt. Bei der Uraufführung kommt es zu rätselhaften Schwächeanfällen im Publikum. Einer der Zuhörer stirbt sogar. Er bleibt nicht der einzige Tote. Doch niemand kommt auf den Gedanken, Brandts Musik könnte dafür verantwortlich sein. Der Komponist selbst begreift zwar, dass etwas Absonderliches in seine Welt gefunden hat, das er für seine Zwecke nutzen möchte, die Konsequenzen aber überblickt er nicht. Er wird zum Spielball dubioser Figuren, deren Absichten im Dunkel liegen. Mit „Alles ist gut“ spinnt Helmut Krausser ein Grundmotiv seines Erfolgsromans „Melodien“ weiter - zu einem ebenso faszinierenden wie überraschenden Ende.

€ 20,00 [D], € 20,60 [A]
Erschienen am 10.08.2015
240 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
EAN 978-3-8270-1202-9
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€ 10,99 [D], € 10,99 [A]
Erschienen am 10.08.2015
240 Seiten, WMePub
EAN 978-3-8270-7839-1
Download Cover
„'Alles ist gut' ist ein grandioser literarischer Zerrspiegel, der das Groteske, Karnevelaske, Dämonische, Geniale, Mitreißende und Anmaßende von Kunst und Kunstbetrieb reflektiert. Souverän spielt Helmut Krausser mit der Tradition, souverän selbstironisch auch mit seinem eigenen Werk. Wer meint, zum Verhältnis von Autor und Erzähler sei schon alles gesagt, wird hier eines besseren belehrt.“
Süddeutsche Zeitung
„Es ist der aktuelle Roman von Helmut Krausser – ein Künstlerroman, ein Schelmenstück, eine gelungene Satire. […]. Wie in 'Melodien' (1993) geht es wieder um die große Kunst, die Suche nach Unsterblichkeit und die Macht der Melodie. Am Ende ein furioses Finale. Auf einmal taucht Krausser selber auf. Nicht als Retter, nicht als Erklärer, sondern als unsympathischer und narzisstischer Taktstockschwinger. Ein famos geschriebenes Buch, ein toller Sound. Lesen!“
chilli - das freiburger stadtmagazin
„Einmal mehr beeindruckt in 'Alles ist gut' das ambitionierte Spiel mit kulturphilosophischen Stoffen. Und wie sein Vorgänger hinterlässt der neue Roman den Eindruck von Überfrachtung. Einschließlich des Epilogs, in dem der Autor sich selbst ins Geschehen einführt. Ungewöhnlich ist seine Prosa allemal.“
Fränkische Nachrichten
„Krausser blendet Slapstick neben Brutalität ein, historische Religionstoleranzgespräche neben Gegenwartsklamauk, führt ins Warschauer Ghetto, zu päpstlichen Nuntien, Rabbinern, SS-Schergen, an die Hamburger Herbertstraße, nach Berlin-Hoppegarten, in Opernhäuser und zu dortigen Dramaturgen, die das Hören verlernt haben.“
Nürnberger Nachrichten
„Zwischen Krimi und Künstlerroman - ein höchst unterhaltsames Lesevergnügen.“
literaturkurier Newsletter
„Man muss kein Opernfan sein, um den Roman zu mögen. Der ist gut und unterhaltsam geschrieben. Durch eine ironische Grundhaltung wird das Lamento über den Opernbetrieb abgemildert. Skurriler Künstlerroman.“
Stadtblatt Osnabrück
„Der Berliner Autor verknüpft in seinem neuen Roman Krimihandlung und Musikerleben auf spannende und kenntnisreiche Art – unnachahmlich!“
Die Rheinpfalz
„Dieses so amüsante wie angenehm rätselhafte Buch ist zudem Eigenwerbung für Helmut Krausser selbst - für seine Musik.“
Thurgauer Zeitung
„Helmut Krausser schreibt mehr als politisch inkorrekt, er übertreibt, er nimmt sich überaus wichtig, ist größenwahnsinnig und taucht schließlich selbst im Roman auf. Und alles ist gut! Sicherlich keine Empfehlung für jedermann, aber für den geneigten speziellen Leser eine höchst amüsante Lesekost!“
Buchbesprechungen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels
„Ein sprachwitzig fabulierter, herrlich verwirrender Riesenspaß.“
Neue Westfälische
„'Alles ist gut' ist vieles: Künstlerroman, Schelmenroman, satirische Selbstbespiegelung und Abrechnung mit einem Kunstbetrieb, in dem das Schwimmen gegen den Strom existenz-, ja lebensgefährlich sein kann. Vor allem aber ist es zunächst ein herrlich geschriebenes Buch, bei dem man gar nicht mehr aufhören will zu lesen.“
Badische Zeitung
„Wer hier erzählt, ist ein Komponist, aber auch ein Meister der Erzählkunst. Einer, der die Klaviatur des Erzählens vollkommen beherrscht. Einer, der weiß, wie man sich den Leser zum Verbündeten macht.“
Bayerisches Fernsehen "LeseZeichen"
„Mit 'Alles ist gut' legt Helmut Krausser einen äußerst originellen, eigenwilligen und phantasievollen Künstler-, Beziehungs- und Gesellschaftsroman vor.“
dennisschuetze.de
„Überzeugungstäter Marius Brandt ist ein Mann genau nach dem Geschmack von Helmut Krausser. Einst hatte der in seinem grandiosen Roman 'Melodien' die Macht der Musik herauspräpariert. Nun sendet er einen Nachklapp hinterher, der sich mal schnoddrig, mal satirisch liest, immer wortgewaltig bleibt und von einer Mission beseelt.“
Westfalenpost Städte Arnsber und Su
„Das alles ist ein großes Spiel, ist witzig, intelligent und so weiter. Krausser kann’s, er weiß, dass er’s kann, und wir dürfen ruhig wissen, dass er’s weiß. […]. Die Opern von Helmut Krausser wurden bisher noch nicht aufgeführt. […]. Mal sehen, welche Fortsetzung auf diese Geschichte folgt.“
Frankfurter Rundschau
„Das alles ist ein großes Spiel, ist witzig, intelligent und so weiter. Krausser kann’s, er weiß, dass er’s kann, und wir dürfen ruhig wissen, dass er’s weiß. […]. Die Opern von Helmut Krausser wurden bisher noch nicht aufgeführt. […]. Mal sehen, welche Fortsetzung auf diese Geschichte folgt.“
Fuldaer Zeitung
„Und die saftige Satire auf den Kulturbetrieb ist nur die eine Seite dieses funkelnden Prachtstücks. Eine andere ist das überwältigende Bekenntnis zur Wirklichkeit verwandelnden, ja Wirklichkeit erst konstituierenden Macht der Kunst. 'Sie sind im Grunde unsterblicher als ich', sagt der Roman-Krausser zu seinem Brandt. Darauf einen Tusch!, möchte man Krausser, dem Autor, zurufen.“
Kölner Stadt-Anzeiger
„Ein grandioses, doppelbödiges Vergnügen auf hohem sprachlichen Niveau.“
Playboy
„'Alles ist gut' ist eine äußerst komische, wunderbar leichte Metafiktion, in der der Autor Krausser am Ende sogar selbst auftaucht.“
Rolling Stone
„Dank seines überbordenden, fabulierfreudigen Stils kann die Geschichte auch als Hommage an die Zeit des Barock gelesen werden. Dass es ihm bei all der Ironie gelingt, auch tragische Themen einzuspinnen und den Roman mit einem Finale furioso zu beschließen, hebt das Buch aus der reinen Unterhaltungsliteratur hinaus.“
Film, Sound & Media
„Eine wortgewaltige Satire über den zeitgenössischen Musikbetrieb, der jede political correctness lustvoll ignoriert und bewusst mit Klichees spielt.“
sueddeutsche.de
„Autor Helmut Krausser webt aus der prekären Lage des Komponisten und den verschlungenen Wegen, die die Notensammlung über die Jahrhunderte genommen hat, einen spannenden Roman, an dessen Ende er sich selbst zum Teil der Handlung macht und mit seiner Hauptfigur ein groteskes Spiel um Realität und Fiktion spielt.“
Ubi Bene
„Für das Finale, das keine Reprise, vielmehr eine Transformation der Krimi-Exposition ist und etwas in der Form zerfasert, hält Krausser einen überraschenden Knalleffekt bereit. Spätestens dann wird deutlich, mit welchen Themen der Autor in diesem Roman auch noch satirisch und selbstironisch spielt: mit den Absurditäten des modernen Musik- und Literaturbetriebs im Allgemeinen und den Eitelkeiten und Allmachtsfantasien des Künstlers im Speziellen.“
Das Magazin der Berliner Philharmoniker
„Wer das Spielerische der Kunst und das Ausleben ironischer Fabulierlust liebt, wird feststellen, dass der Titel hält, was er verspricht: Unterhaltung auf höchstem Niveau.“
KREUZER
„Die Macht der Musik, die auch in 'Melodien' zentrales Thema war, wird hier jedoch nicht bloß thematisch erneut aufgegriffen, sondern tiefer analysiert, dient als intellektuelle Basis für Kraussers Kritik am Kulturbetrieb und führt letztlich gar dazu, dass der Autor sich höchstselbst in die Geschichte schreibt, um die Herzensangelegenheit der musikalischen Allmachtphantasie den Protagonisten zu entreißen. Und damit sei der Ausgang der Geschichte keineswegs offenbart. Vielmehr demonstriert dies die verschmitzte Fingerfertigkeit, mit der Krausser sich erneut und wortgewaltig auch über Genregrenzen, Konventionen und etablierte Spannungsbögen der Literatur hinwegschreibt und nebenbei einen weiteren höchst lesenswerten Roman vorlegt.“
Schnüss
„Überzeugungstäter Marius Brandt ist ein Mann genau nach dem Geschmack von Helmut Krausser. Einst hatte der in seinem grandiosen Roman 'Melodien' die Macht der Musik herauspräpariert. Nun sendet er einen Nachklapp hinterher, der sich mal schnoddrig, mal satirisch liest, immer wortgewaltig bleibt und von einer Mission beseelt.“
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
„Mit all seinen Anspielungen verblüfft, amüsiert und brüskiert Krausser seine Leser. Und wer sich bis zum Ende vorgearbeitet hat, dem offenbart der Autor plötzlich ein Bild, das dem des eitlen Intellektuellen vollkommen widerspricht. Mehr als das Wörtchen ‚selbstironisch‘, das den Roman schon im Klappentext antippt, sei an dieser Stelle nicht verraten.“
Oberbayerisches Volksblatt
„Mit all seinen Anspielungen verblüfft, amüsiert und brüskiert Krausser seine Leser. Und wer sich bis zum Ende vorgearbeitet hat, dem offenbart der Autor plötzlich ein Bild, das dem des eitlen Intellektuellen vollkommen widerspricht. Mehr als das Wörtchen ‚selbstironisch‘, das den Roman schon im Klappentext antippt, sei an dieser Stelle nicht verraten.“
Münchner Merkur
„Endlich mal wieder ein packende Geschichte von Helmut Krausser. Die prekäre Welt eines erfolglosen Komponisten.“
Deutschlandradio Kultur "Frühkritik"
„'Alles ist gut', der Titel zitiert Dostojewskis Dämonen, ist ein furioses Meisterwerk, pittoresk, melodiös, skurril, phantastisch und immer grundgut gebildet. Entspannend gar nicht politisch korrekt, die Neutöner müssen hier mit eingedrücktem Brustkorb sterben, die Melodien stehen aus den Gräbern auf, auf dass jeder Fan der italienischen Oper jubiliert. Auf den Knien seines musikalischen Herzens hat Krausser hier eine literarische Hommage an den Rausch der Melodien verfasst. Ein Lieblingsbuch dieses Spätsommers, das in die nächsten Jahreszeiten hinein klingt.“
MDR Klassik
„Eine satirische Grätsche in das Genre der Künstlergeschichte: In "Alles ist gut" porträtiert Helmut Krausser einen arbeitslosen Komponisten, dem eines Tages ein vielversprechendes Manuskript zugesteckt wird - vom Teufel persönlich.“
spiegel.de
„Selbstverständlich ist dieser Roman mehr als ein Thriller. 'Alles ist gut' ist ein Werk über die Macht von Kunst - am Beispiel der Musik - und begeistert auf jeder einzelnen Seite.“
WDR 5 "Lesefrüchte"
„Sie ist also wieder da, Kraussers Sehnsucht nach einer 'Fetten Welt'. Dieser neue Roman hat die Sprachmacht seines 'Melodien'-Opus von 1993, einem Buch das thematisch ähnlich angelegt ist. 'Alles ist gut' begeistert auf jeder einzelnen Seite.“
WDR 5 "Bücher"

Leseprobe zu „Alles ist gut“

Es gibt Steine wie Seelen, die sind hingeworfen auf den Straßen. Aber wenn einst die neuen Häuser gebaut werden, dann fügt man ihnen die heiligen Steine ein.
(Nachman von Bratslav)

1. Teil

I Der polnische Hausmeister

Jerzy, der polnische Hausmeister in unsrem Block, ist einundachtzig Jahre alt.
Ein Hutzelhomunkel, nicht eben zwangsjackenhacke, doch eigenstartig bis skurrilst. Jedes Weibswesen, welchen Alters einerlei, spricht er mit „Gneidiges Froilein, wie scheen Sie sein!“ an und bezirzt/beschleimt es, als stünde sein Mittelleib noch in vollem Saft und [...]

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Es gibt Steine wie Seelen, die sind hingeworfen auf den Straßen. Aber wenn einst die neuen Häuser gebaut werden, dann fügt man ihnen die heiligen Steine ein.
(Nachman von Bratslav)

1. Teil

I Der polnische Hausmeister

Jerzy, der polnische Hausmeister in unsrem Block, ist einundachtzig Jahre alt.
Ein Hutzelhomunkel, nicht eben zwangsjackenhacke, doch eigenstartig bis skurrilst. Jedes Weibswesen, welchen Alters einerlei, spricht er mit „Gneidiges Froilein, wie scheen Sie sein!“ an und bezirzt/beschleimt es, als stünde sein Mittelleib noch in vollem Saft und Wuchs. Manchmal holt er aus der Hose etwas hervor, das, denn Jerzy weiß um präzise Grenzen, in seiner Faust versteckt bleibt. Es ist mehr als Witz gemeint denn als Bedrohung oder Angebot. Wenn er über den Hof schlurft und seine fleckigen Hände zittern, könnte man Mitleid bekommen – oder in Verstimmtheit geraten über die hier deplazierte Lethargie des Todes, die einen wie ihn nicht erlösen will. Indes – der Flinkflug seiner Zunge erstaunt, er zäumt sie auf ihren verwegenen Ausritten mit Komplimenten und erotischen Avancen, die an sich peinlich wirken mögen. Von einem reiferen, gnädigeren Standpunkt aus betrachtet, der die Welt und ihre Insassen gründlicher kennengelernt hat und um die Vergänglichkeit allen eitlen Treibens weiß, kann man ihm etwas Drolliges abgewinnen. Und wie als überraschende Pointe, die einen schlechten Witz in eine formidable Anekdote verwandelt, führte er dem Block eines Tages seine Freundin vor. Sie sah ungefähr zwanzig Jahre jünger aus als er, war blond, leicht fettig, in einem preußischblauen Jogginganzug, doch insgesamt – für seine Verhältnisse – durchaus vorzeigbar. Sie küßten einander im Hinterhof, sie schmusten unter der Kastanie. Daß Jerzy dabei jodelte und seltsam eselshafte Brunftlaute ausstieß, solch maskulines Overstatement verwässerte ein wenig seinen Triumph, der still genossen um einiges mehr beeindruckt hätte. Vorgestern dann wurde Jerzy angezeigt, von einer jungen neuseeländischen Touristin, die im Hinterhaus, erster Aufgang zweiter Stock, eine Wohnung (eine heimlich betriebene, nicht als solche deklarierte Ferienwohnung) gemietet hat. Sie fühlte sich „sexually offended“ vom Inhalt seiner Faust, den sie als „not completely erected penis“ beschrieb, welchen sie jedoch deutlich auf sich gerichtet empfand. Jerzy wurde keine Stunde später abgeholt und in die Psychiatrie verfrachtet. Er war damit zuerst nicht einverstanden, seine Schreie hallten über den Hof, aber die Polizisten setzten eine provisorische Unterschrift auf eine Einverständniserklärung, drohten mit der Alternative des Untersuchungsgefängnisses, warben mit einer kostenlosen ärztlichen Untersuchung und priesen das warme Essen, das er dort zweimal täglich erhalten würde. Die optische Problematik der Festnahme eines Überachtzigjährigen schien selbst den Staatsbeamten recht wohl bewußt, auf der anderen Hand lagen mögliche Schicksale von Frauen, denen von Jerzys Gemächtle Traumata drohten. Die Situation erforderte Fein-, ja Fingerspitzengefühl, zumal Jerzy den ihm gemachten Vorwurf strikt bestritt. Seine Faust sei weder offensiv gemeint noch genital gefüllt gewesen. Ein leeres Versprechen also. Wie auch immer. Die Vollzugskräfte der Staatsgewalt nahmen ihn in Gewahrsam, und im Karree, ganz ehrlich gesagt, begrenzte sich der Proteststurm auf ein paar höfliche Widerworte. Zu oft waren in jüngster Vergangenheit aus dem Hinterhof Fahrräder verschwunden, sogar teure und schwer angekettete – und irgendwer mußte ja nächtens dem Diebsgesindel die Pforte geöffnet haben. Jerzy war durch seine Herkunft in der Pole-position der üblichen Verdächtigen. Entschuldigen Sie das Wortspiel, aber ich bin etwas betrunken, und so schlecht ist es gar nicht. Ich bemühe auch kein Klischee, ich habe mich erkundigt. Es gibt polnische Diebe. Viele im Block atmeten insgeheim durch, nachdem Jerzy unsrer Mitte entrissen war.
Es ist jetzt drei Uhr morgens. Ich ersinne soeben für meine neueste Oper eine Passacaglia, nichts, was man eben mal so hinspritzen kann. Vom Hof her stört mich Gebrüll. Es hört und hört nicht auf. Es ist weibliches, spitzes Gebrüll. Und hört und hört nicht auf. Ich gehe zum Fenster, das erschrickt, weil ich es öffne. Nach so langer Zeit wieder einmal. Frischluft dringt in mein Zimmer. Im Hof steht die preußischblaue Blonde. Und hört und hört nicht auf. Sie hält eine Taschenlampe in der linken Hand, mit der rechten vollführt sie Attacken wider den eigenen Kopf, greifvogelgleich, reißt sich Haare aus und zetert. Ihr Zorn richtet sich auf den zweiten Stock, auf die Wohnung mit Neuseeländerin. Der hat sie aber mordswas zu sagen. Runterkommen soll sie, die Lügnerin, die Verleumderin, die Feministin, runterkommen und von Frau zu Frau reden, die Feiglingin, Lügenbaroneß, Schweinebackenkackbratze.
Ich sehe aus dem Fenster und luge schräg nach oben, in den zweiten Stock. Es brennt dort Licht, aber die Fenster sind geschlossen, die Jalousien heruntergelassen. Die junge Frau vom anderen Weltende ist anscheinend nicht willens, der Einladung zu folgen, sie hat bestimmt Angst, verständliche Angst, denn die Preußischblaue schlägt ihr eine Mastdarmspiegelung ohne medizinisches Gerät vor und allerlei, was in eine ähnliche Richtung weist.
Was bedeutet, es muß nun wer die Polizei anrufen, und wer ruft schon gern die Polizei an, aber sonst hört und hört das nicht auf, also wird jemand die Polizei anrufen, es ist nicht mehr wie früher, als niemand in diesem Viertel die Polizei angerufen hätte, solange nicht mindestens eine Blutpfütze – und ich, ich hocke im ersten Stock zwischen Preußischblau und Lügenbaroneß und möchte eine Passacaglia schreiben, und ich hätte ja ein Luftgewehr, aber vielleicht muß es nicht zum Äußersten kommen, es würde vollauf genügen, die paar Schritte nach unten zu laufen und die Heulboje bewußtlos zu schlagen mit einem einzigen Kinnhaken, oder mit dem Feuerhaken, das wäre noch versprecherischer. Oder doch die Polizei? Sonst hört und hört das nicht auf. Vielleicht wirft man die Preußischblaue zu ihrem Jerzy in die Zelle. In die überall gepolsterte Zelle.
Plötzlich rattert eine Jalousie nach oben, in der Tonleiter etwa vom eingestrichenen g rauf zum fis ‘‘, ein Fenster öffnet sich, ein Eimer ist zu sehen, ein voller Eimer, dann Wasser, oder wenigstens etwas Flüssiges im freien Flug, dann ein leerer Eimer, dann eine triefendnasse, wild mit den Armen wedelnde Preußischblaue, all das ist zu sehen in weniger als vier Sekunden. Phantastisch. So geht’s auch.
Die hinterhöfischen Beifallskundgebungen, das Klatschen, die Woo-Hoo!-Rufe, die Bravi und Da-Capos – müßte man erfinden, denn natürlich unterstützt hier niemand eine Touristin. Alle haben ihr Schnäuzelchen gestrichen voll von dem Rollkofferpack. Bis auf den Hundsfott, der die Wohnung schräg über mir illegal an Touris vermietet und am Tag achtzig schwarze Euro kassiert. Dem geht bestimmt die Düse, so aufgeflogen wie er ist. Es klingelt.
Draußen steht die Preußischblaue. Sie sei naß, ansonsten April. Ob sie mein Bad benutzen dürfe, meine Dusche, das heiße Wasser meiner Dusche, ob ich vielleicht leihweise ein paar Gegenstände für sie hätte, Kleidungsgegenstände wie Jogginghose und ein paar T-Shirts, die bringe sie mir dann am nächsten Tag gewaschen zurück, sonst müsse sie jetzt hinaus in die kühle, frostvolle Nacht, ach, sie würde so gern dem Aas aus Neuseeland die Tür eintreten und dann die Bauchdecke und dann die Nase und dann, aber, Problem sei ja die Justiz, und ob ich nicht zugunsten Jerzys aussagen möchte, daß er sich nie exi, exibitzi, also aufgedrängt hat mit Minimäxchen in der Hand. Ja, sage ich, hier ist das Bad, und gern gebe ich zu Protokoll, der alte Jerzy habe mir nie, also nicht so genau, seinen Restbestand gezeigt, alles, auch heißes Wasser, aber im Gegenzug solle, wie sie eigentlich heiße? Tamara. Im Gegenzug solle Tamara ehrlich zu mir sein und zugeben, daß Jer-zy die Fahrräder geklaut hat. Ja, das schon.
Ich wechsle wieder die Erzählzeit, von nun an Präteritum, denn seit dieser Nacht, die eben noch so gegenwärtig erschien, auch mir selbst, sind fast acht Monate vergangen. Ich hätte mir eine andere Genesis ausdenken können, keine Frage, eine noblere und plausiblere Geschichte, in der Personen des gesellschaftlichen Unterbaus, wie Jerzy oder Tamara, keinen Platz gehabt hätten. Doch das Leben ist verrückt, und ich möchte der Letzte sein, der alldem nachträglich einen Plan, einen tieferen Sinn überstülpt. Das tun schon andere. Man überstülpt uns tagtäglich. Wir sind am Ende immer die Überstülpten. Das ist keine Paranoia. Wie wahrscheinlich war es denn, daß Tamara ausgerechnet jemanden wie mich traf? Manchmal gerät selbst das rationalste Denken ins Wanken, und man erwägt die Vorstellung, daß der Himmel sich allerlei derbe Späße mit uns Irdischen erlaubt. Vielleicht wissen wir eines Tages mehr.
Verzeihen Sie mir übrigens, wenn ich trinke. Das gehört sich eigentlich nicht, wenn man realistisch und objektiv Bericht erstatten will. Leider muß ich ein wenig betrunken sein, um das hier niederzuschreiben. Damit es dem Geschehen angemessener gerät. Manchmal wird es wirken, als wäre ich grade sehr betrunken, aber das ist nicht wahr. Ich halte mich im Zaum, um nichts zu übertreiben. Als das, was ich erzählen will, geschah, ja, zugegeben, da war ich manchmal sturzbetrunken. Anders hätt ich es nicht durchgestanden.
Ich bin gerne hier. Hier war alles noch erträglich.
Tamara ließ die Tür zum Bad zwei, drei Spaltbreit offen und praßte mit Lob für meine Liebenswürdigkeit.
In dieses Niveau wollte ich mich nicht hineinlassen. Meine Nacht war versaut genug.
Ein wenig ins Plaudern kamen wir doch, so von Diele zu Wanne. Was eine Passacaglia sei, wollte sie wissen, ihr Jerzy habe als junger Mann auch ein Instrument gespielt, sie habe den Namen vergessen, er könne es auch nicht mehr spielen, da seine Finger zu sehr zittern, das namenlose Instrument sei verpfändet worden, es tue ihr leid wegen der Fahrräder, das Instrument sei eine Art Blasinstrument gewesen, sie selber ganz unmusikalisch. Leider.
In Jerzys kleinem Hausmeisterkabüffchen lägen noch Noten herum, ob ich Verwendung dafür hätte? Jerzy nämlich habe keine mehr, und sie, Tamara, wolle sich unbedingt für mein Entgegenkommen mit einem Gegenentgegenkommen revanchieren. Sie trug inzwischen eine meiner ausrangierten Cordhosen und ein paar XL-T-Shirts. Auf ihre Bitte hin hatte ich eine Flasche Kochwein entkronkorkt. An Arbeit war ohnehin nicht mehr zu denken.
Sie erzählte, wo sie Jerzy zuerst begegnet war, in einem Supermarkt, wo er ihr die schwere Einkaufs-tasche tragen half, und was sie so reizend an ihm fand: Sein Ge-ständ-nis, er habe ihr die Einkaufstasche stehlen wollen, habe sich nun jedoch in deren Eigentümerin eigentümlich verliebt und bitte um Begnadigung für die geplante Missetat – mit diesen mutigen Worten habe er ihr Herz berührt. Ein eifriger Küsser und Streichler sei Jerzy, ein Knuffling, ein Gentleman – und Erektionen habe er höchstens noch zweimal im Jahr. Sie sah mich dabei an, als erwähne sie eine freie Stelle, für die ich in Frage käme. Mit einem leisen Seufzen, begleitet von einem großen Bedauern, offenbarte ich ihr, schwul zu sein.
Mehr passierte kaum. Sie ging heim, wo immer das war, und gut. Ich, etwas betrunken, schrieb noch ein, zwei Noten in meine Datei, doch sie waren nicht die richtigen, nicht diejenigen, die nötig gewesen wären, den Abend zu retten.
Den nächsten Tag verbrachte ich größtenteils im Tonstudio, wo meine Glitzernde Finsternis aufgenommen werden sollte, ein Zyklus aus fünf neoimpressionistischen Kunstliedern.
Der Tenor war hervorragend, ein junger Finne, der bald seinen internationalen und hochverdienten Durchbruch erleben würde. Am Klavier saß ich selbst, was sich als anstößige Idee entpuppte, denn ich bin ein beschissener Pianist und komponiere Sachen, die ich selber nicht adäquat zu spielen vermag. Es ging wie immer ums Geld, ich hatte die zweite Gage sparen wollen, in der Annahme, die Tricks der Technik, die ein modernes Studio zu bieten hat, würden über meine Unsicherheiten und Patzer hinweghören helfen. Natürlich war das im Prinzip auch möglich, beinahe alles ist möglich, aber die Nachbearbeitung würde eine Flickschusterei sein, würde in ein elendes Gefummel und Gepfriemel ausarten, und die dafür benötigte Studiozeit würde mich letztlich genauso teuer kommen wie ein Profipia-nist. Ich schämte mich vor der Crew und dem Finnen. Bertram, telefonisch um Hilfe gebeten, rettete mich. Bertram ist einer der Korrepetitoren an der Staatsoper, ein Hexenmeister, der praktisch alles, was menschenmöglich ist, vom Blatt spielen kann. Wir sind seit Jahren befreundet, und er schuldete mir keinen Gefallen, deshalb gab ich ihm für zwei Stunden Arbeit 500 Euro. Er hätte es auch für weniger gemacht, aber das wäre stillos gewesen, und man muß Wert darauf legen, daß Freunde, die man um Hilfe bittet, den Anlaß in guter Erinnerung behalten. Mein Kontostand war beklemmend. Sollte es mit dem Auftrag für Hamburg nichts werden, ich hatte da etwas in Aussicht, weder ganz vage noch konkret – ein furchtbarer Aggregatzustand, der einen zum Esel mit Möhre vorm Maul degradiert –, dann, ja dann … Was dann? Immer öfter suchte ich Antwort im Wein, der einem nur seine ganz eigene Wahrheit erzählt. Er gab mir Mut und Zuversicht und die Chuzpe, nachts lange Mails an Dramaturgen und Intendanten zu versenden, des ungefähren Inhalts, daß ich – und nur ich –, der Retter der Gattung zeitgenössische Oper sein werde, der Messias, der die zu Museen verkommenen Opernhäuser mit ihrem immergleichen Repertoire aus hundert abgenudelten Standardwerken in Stätten neuer gesellschaftlicher Relevanz zurückverwandeln wird, der ein junges Publikum in Bann schlägt, mit spannenden Stoffen und betörender Musik, ohne all den neutönerischen Schnickschnack, der im Grunde nicht viel anderes erreicht hat, als den Jahrtausende gültigen Vertrag zwischen Künstler und Publikum, sich gegenseitig zu unterhalten, auszuhebeln. Obwohl man das Beste im Sinn hat und die Alternative nur die völlige Marginalisierung der Oper und die Schließung vieler Häuser wäre, wird man, solches verkündend, schnell schief angesehen und als Populist beziehungsweise gar als Reaktionär eingestuft und befeindet. Wobei – soweit war ich noch gar nicht. Ich wurde weder befeindet noch sonstwie beachtet. Meist erhielt ich auf meine Mails gar keine Antwort, und wenn doch, dann eine vorsichtige, hinhaltende. Mein Gemüt war ausgefranst und müde, mein Nervenko-stüm zerfurchte Fassade. Hier und da hatte ich kleinere Arbeiten untergebracht, ein Streichquartett, zwei sechsstimmige Chorsätze, eine Suite für kleines Orchester, für ein Negligé von Honorar. Geduld war noch nie meine Stärke. Und der Liedzyklus, die Glitzernde Finsternis, bestand aus sinnlos vor die Säue hingeworfenen Perlen. Kein Schwein interessiert sich für Lieder.
Als ich aus dem Studio heim nach Kreuzberg fuhr, dachte ich über diverse Möglichkeiten eines möglichst schmerzreduzierten Selbstmords nach. Auf der Fußmatte vor meiner Wohnung lag ein Paket. Jeder Vo-r-überkommende hätte es aufheben und mitnehmen können. Es enthielt zwei T-Shirts, gewaschen und gebügelt, eine Cordhose und einen braunen Umschlag, DIN-A5. Darin eine Postkarte mit Grüßen von Tamara und einem nochmaligen Dank für meine Hilfsbereitschaft. Der Rest waren gilbfleckige, von Hand geschriebene Noten, insgesamt an die fünfzehn Seiten, auf sehr dünnem, sehr altem Papier. Die Noten wirkten wie von einem Kind – mehr gemalt als geschrieben. Offensichtlich er-ste Notizen eines Schülers, ganz simple einstimmige Tonfolgen, wahrscheinlich für ein Blasinstrument geschrieben, ohne Triolen, Ornamente, Triller oder schwierige Sprünge. Vom Tonumfang her vielleicht für eine Es-Klarinette bestimmt. Nichts In-ter-es-san-tes. Kein wundersam wiederaufgetauchtes Werk von Mozart oder Bach. Ich legte die Blätter neben den Fernseher, auf den Stapel mit den Rechnungen, und öffnete eine Flasche Amarone, auf die ich mich schon den ganzen Tag gevorfreut hatte. Aus der Stereoanlage machte sich die Glitzernde Finsternis breit. Tolle Lieder. Aber es ist das grausame Los eines jeden Komponisten, daß er nach einiger Zeit die eigene Musik nicht mehr hören kann.
Später am Abend kam überraschend Sonja, meine Freundin, zu Besuch und machte mit mir Schluß, weil sie im Netz einen neuen Mann kennengelernt hatte. Mein ständiges Gejammer darüber, nicht aufgeführt zu werden, sei ihr in den letzten Monaten auf den Keks gegangen.
Gejammer? Ich will über Sonja kein weiteres Wort verlieren, da sie es weder wert wäre noch irgendeine Rolle spielte bei dem, was nach ihr kam. Ihr Auftritt und Abgang hatte meine ohnehin poröse Befindlichkeit allerdings noch eine Spur desaströser gestaltet. Selbst den erbetenen finalen Trennungssex hat die Bestie mir verweigert.
Mein Nikotinkonsum stieg sprunghaft an. Rauchen, ohne dabei zu trinken, ist eine Medaille mit nur einer Seite – geht nicht. Kein Sex mehr. Bedeutet: Es gab auch keinen Grund mehr, mich täglich zu rasieren, zu duschen, meine Wäsche zu wechseln. Und mit der Verwahrlosung kam die Antriebslosigkeit.
Ich war erfahren genug, um zu wissen, daß ich mich nicht ins Schwert, sondern in die Arbeit hätte stürzen müssen. Oder sollte ich mit der Suche nach Sonjas Nachfolgerin beginnen? Vielleicht eher das. Doch für erotische Ablenkungen der gewerbsmäßigen Art war kein Geld vorhanden, und bei der Vorstellung, mich mit Frauen zu treffen, denen ich stundenlang Schwänke aus meinem Leben erzählen und ein positives Selbstbild vorgaukeln müsste, nur um am Ende in ihnen ein paar Milliliter destillierten Trennungsschmerz loszuwerden, beim Gedanken daran erfror ich von innen.
Kalendarisch gesehen begann – irgendwo da draußen – der Mai, während mein geistiger Gefrierbrand beängstigende Ausmaße annahm. Freunde, die mir Kredit geben konnten, gab es ein paar, doch derlei hätte nur aufschiebende Wirkung gehabt. Und darum ging es auch nicht. Es sind romantische Begriffe, die man nicht beliebig oft verwenden sollte, aber es gibt in der „Seele“ eines Künstlers eine Art „heiliges Feuer“, das mindestens noch glimmen muß, damit daraus mal wieder eine Flamme wächst. Sonja hat gepißt auf – ach, ich wollte ihren Namen nicht mehr erwähnen. Im Hof, auf dem Wipfel der Kastanie, saß eine Elster, das ist auch so ein widerliches Vieh. Ihre Schreie weckten mich regelmäßig am frühen Morgen, dagegen mußte ich antrinken.
Eine Woche verging, mit Nichtstun, Tiefkühlpizza und tollen amerikanischen TV-Serien, denen ich nicht genug Dank dafür sagen kann, daß ihre Bilder mich betäubten. Danke, danke, danke! Es ist eine alte Geschichte, und doch wird sie von jeder Generation immer wie etwas unfaßbar Neues erzählt. Wo man doch spätestens mit Mitte dreißig genau weiß, was kommt. Irgendwann ist es nicht mehr ganz so schlimm. Es wird besser. Und dann kam der Anruf. Der Orchestermanager der Hamburger Kammersinfonie fragte an, ob ich noch Interesse an einem Auftrag hätte, es sei überraschend ein Programmplatz vakant geworden, für das Konzert im September. Natürlich sei das sehr kurzfri-stig, aber das Stück solle auch nur kurz sein, sieben, höchstens zehn Minuten, gesetzt für einundzwanzig Instrumente, das müsse zu schaffen sein.
„Sie“, sagte der Manager, „haben uns doch mal angeboten, eine Tondichtung zu schreiben, und wir haben ja alle erst mal gelacht und gedacht – wer ist der? Richard Strauss? Aber dann fanden wir es plötzlich reizvoll, mal ein Konzert mit zeitgenössischer Neotonalität zu machen, die anderen Programmpunkte sind Martynov und Pärt – also, das ist Ihre Chance, sind Sie dabei?“
„Und was ist mit Honorar?“
„Honorar?“
Ein irritierender Moment der Stille.
„Ich meine“, sagte ich, „gibt es Geld?“
Ein tiefes nasales Luftholen am anderen Ende der Leitung. Dann eine kurze Ansprache, halb entgeistert, halb angewidert.
„Wir zahlen Ihnen Bahnfahrt zweiter Klasse, Unterbringung in einem Dreisternehotel mit Frühstück. Wir führen Ihr Stück auf, und von mir aus dürfen Sie die Aufnahme ins Netz stellen. Am Ende gibt es einen Blumenstrauß. Was wollen Sie noch?“
Ich zögerte. Im Grunde hatte der Mann recht.
„Na, die Frage ist, zahlt ihr mir das Stimmenmaterial? Ich habe doch keinen Verlag, ich muß die Stimmen einzeln ziehen, heften und binden, dafür ist eine Leihgebühr üblich.“
„Ach so. Na ja. Gut. Was haben Sie sich denn da vorgestellt?“
„Zweitausend Euro.“
„Verehrter Herr Brandt, das kriegen Sie vielleicht bei den Philharmonikern. Wir sind ein kleines, von der Politik kaputtgespartes Ensemble, uns steht das Wasser bis Unterkante Oberlippe, Mensch!“

Helmut  Krausser

Über Helmut Krausser

Biografie

Helmut Krausser, geboren 1964 in Esslingen, schreibt Romane, Erzählungen, Lyrik, Tagebücher, Hörspiele, Theaterstücke, Drehbücher und komponiert Musik. Von ihm erschienen u.a. „Fette Welt“ (1992), „Melodien oder Nachträge zum quecksilbernen Zeitalter“ (1993), „Thanatos“ (1996), „Der große Bagarozy“...

Pressestimmen
Süddeutsche Zeitung

„'Alles ist gut' ist ein grandioser literarischer Zerrspiegel, der das Groteske, Karnevelaske, Dämonische, Geniale, Mitreißende und Anmaßende von Kunst und Kunstbetrieb reflektiert. Souverän spielt Helmut Krausser mit der Tradition, souverän selbstironisch auch mit seinem eigenen Werk. Wer meint, zum Verhältnis von Autor und Erzähler sei schon alles gesagt, wird hier eines besseren belehrt.“

chilli - das freiburger stadtmagazin

„Es ist der aktuelle Roman von Helmut Krausser – ein Künstlerroman, ein Schelmenstück, eine gelungene Satire. […]. Wie in 'Melodien' (1993) geht es wieder um die große Kunst, die Suche nach Unsterblichkeit und die Macht der Melodie. Am Ende ein furioses Finale. Auf einmal taucht Krausser selber auf. Nicht als Retter, nicht als Erklärer, sondern als unsympathischer und narzisstischer Taktstockschwinger. Ein famos geschriebenes Buch, ein toller Sound. Lesen!“

Fränkische Nachrichten

„Einmal mehr beeindruckt in 'Alles ist gut' das ambitionierte Spiel mit kulturphilosophischen Stoffen. Und wie sein Vorgänger hinterlässt der neue Roman den Eindruck von Überfrachtung. Einschließlich des Epilogs, in dem der Autor sich selbst ins Geschehen einführt. Ungewöhnlich ist seine Prosa allemal.“

Nürnberger Nachrichten

„Krausser blendet Slapstick neben Brutalität ein, historische Religionstoleranzgespräche neben Gegenwartsklamauk, führt ins Warschauer Ghetto, zu päpstlichen Nuntien, Rabbinern, SS-Schergen, an die Hamburger Herbertstraße, nach Berlin-Hoppegarten, in Opernhäuser und zu dortigen Dramaturgen, die das Hören verlernt haben.“

literaturkurier Newsletter

„Zwischen Krimi und Künstlerroman - ein höchst unterhaltsames Lesevergnügen.“

Stadtblatt Osnabrück

„Man muss kein Opernfan sein, um den Roman zu mögen. Der ist gut und unterhaltsam geschrieben. Durch eine ironische Grundhaltung wird das Lamento über den Opernbetrieb abgemildert. Skurriler Künstlerroman.“

Die Rheinpfalz

„Der Berliner Autor verknüpft in seinem neuen Roman Krimihandlung und Musikerleben auf spannende und kenntnisreiche Art – unnachahmlich!“

Thurgauer Zeitung

„Dieses so amüsante wie angenehm rätselhafte Buch ist zudem Eigenwerbung für Helmut Krausser selbst - für seine Musik.“

Buchbesprechungen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels

„Helmut Krausser schreibt mehr als politisch inkorrekt, er übertreibt, er nimmt sich überaus wichtig, ist größenwahnsinnig und taucht schließlich selbst im Roman auf. Und alles ist gut! Sicherlich keine Empfehlung für jedermann, aber für den geneigten speziellen Leser eine höchst amüsante Lesekost!“

Neue Westfälische

„Ein sprachwitzig fabulierter, herrlich verwirrender Riesenspaß.“

Badische Zeitung

„'Alles ist gut' ist vieles: Künstlerroman, Schelmenroman, satirische Selbstbespiegelung und Abrechnung mit einem Kunstbetrieb, in dem das Schwimmen gegen den Strom existenz-, ja lebensgefährlich sein kann. Vor allem aber ist es zunächst ein herrlich geschriebenes Buch, bei dem man gar nicht mehr aufhören will zu lesen.“

Bayerisches Fernsehen "LeseZeichen"

„Wer hier erzählt, ist ein Komponist, aber auch ein Meister der Erzählkunst. Einer, der die Klaviatur des Erzählens vollkommen beherrscht. Einer, der weiß, wie man sich den Leser zum Verbündeten macht.“

dennisschuetze.de

„Mit 'Alles ist gut' legt Helmut Krausser einen äußerst originellen, eigenwilligen und phantasievollen Künstler-, Beziehungs- und Gesellschaftsroman vor.“

Westfalenpost Städte Arnsber und Su

„Überzeugungstäter Marius Brandt ist ein Mann genau nach dem Geschmack von Helmut Krausser. Einst hatte der in seinem grandiosen Roman 'Melodien' die Macht der Musik herauspräpariert. Nun sendet er einen Nachklapp hinterher, der sich mal schnoddrig, mal satirisch liest, immer wortgewaltig bleibt und von einer Mission beseelt.“

Frankfurter Rundschau

„Das alles ist ein großes Spiel, ist witzig, intelligent und so weiter. Krausser kann’s, er weiß, dass er’s kann, und wir dürfen ruhig wissen, dass er’s weiß. […]. Die Opern von Helmut Krausser wurden bisher noch nicht aufgeführt. […]. Mal sehen, welche Fortsetzung auf diese Geschichte folgt.“

Fuldaer Zeitung

„Das alles ist ein großes Spiel, ist witzig, intelligent und so weiter. Krausser kann’s, er weiß, dass er’s kann, und wir dürfen ruhig wissen, dass er’s weiß. […]. Die Opern von Helmut Krausser wurden bisher noch nicht aufgeführt. […]. Mal sehen, welche Fortsetzung auf diese Geschichte folgt.“

Kölner Stadt-Anzeiger

„Und die saftige Satire auf den Kulturbetrieb ist nur die eine Seite dieses funkelnden Prachtstücks. Eine andere ist das überwältigende Bekenntnis zur Wirklichkeit verwandelnden, ja Wirklichkeit erst konstituierenden Macht der Kunst. 'Sie sind im Grunde unsterblicher als ich', sagt der Roman-Krausser zu seinem Brandt. Darauf einen Tusch!, möchte man Krausser, dem Autor, zurufen.“

Playboy

„Ein grandioses, doppelbödiges Vergnügen auf hohem sprachlichen Niveau.“

Rolling Stone

„'Alles ist gut' ist eine äußerst komische, wunderbar leichte Metafiktion, in der der Autor Krausser am Ende sogar selbst auftaucht.“

Film, Sound & Media

„Dank seines überbordenden, fabulierfreudigen Stils kann die Geschichte auch als Hommage an die Zeit des Barock gelesen werden. Dass es ihm bei all der Ironie gelingt, auch tragische Themen einzuspinnen und den Roman mit einem Finale furioso zu beschließen, hebt das Buch aus der reinen Unterhaltungsliteratur hinaus.“

sueddeutsche.de

„Eine wortgewaltige Satire über den zeitgenössischen Musikbetrieb, der jede political correctness lustvoll ignoriert und bewusst mit Klichees spielt.“

Ubi Bene

„Autor Helmut Krausser webt aus der prekären Lage des Komponisten und den verschlungenen Wegen, die die Notensammlung über die Jahrhunderte genommen hat, einen spannenden Roman, an dessen Ende er sich selbst zum Teil der Handlung macht und mit seiner Hauptfigur ein groteskes Spiel um Realität und Fiktion spielt.“

Das Magazin der Berliner Philharmoniker

„Für das Finale, das keine Reprise, vielmehr eine Transformation der Krimi-Exposition ist und etwas in der Form zerfasert, hält Krausser einen überraschenden Knalleffekt bereit. Spätestens dann wird deutlich, mit welchen Themen der Autor in diesem Roman auch noch satirisch und selbstironisch spielt: mit den Absurditäten des modernen Musik- und Literaturbetriebs im Allgemeinen und den Eitelkeiten und Allmachtsfantasien des Künstlers im Speziellen.“

KREUZER

„Wer das Spielerische der Kunst und das Ausleben ironischer Fabulierlust liebt, wird feststellen, dass der Titel hält, was er verspricht: Unterhaltung auf höchstem Niveau.“

Schnüss

„Die Macht der Musik, die auch in 'Melodien' zentrales Thema war, wird hier jedoch nicht bloß thematisch erneut aufgegriffen, sondern tiefer analysiert, dient als intellektuelle Basis für Kraussers Kritik am Kulturbetrieb und führt letztlich gar dazu, dass der Autor sich höchstselbst in die Geschichte schreibt, um die Herzensangelegenheit der musikalischen Allmachtphantasie den Protagonisten zu entreißen. Und damit sei der Ausgang der Geschichte keineswegs offenbart. Vielmehr demonstriert dies die verschmitzte Fingerfertigkeit, mit der Krausser sich erneut und wortgewaltig auch über Genregrenzen, Konventionen und etablierte Spannungsbögen der Literatur hinwegschreibt und nebenbei einen weiteren höchst lesenswerten Roman vorlegt.“

Westdeutsche Allgemeine Zeitung

„Überzeugungstäter Marius Brandt ist ein Mann genau nach dem Geschmack von Helmut Krausser. Einst hatte der in seinem grandiosen Roman 'Melodien' die Macht der Musik herauspräpariert. Nun sendet er einen Nachklapp hinterher, der sich mal schnoddrig, mal satirisch liest, immer wortgewaltig bleibt und von einer Mission beseelt.“

Oberbayerisches Volksblatt

„Mit all seinen Anspielungen verblüfft, amüsiert und brüskiert Krausser seine Leser. Und wer sich bis zum Ende vorgearbeitet hat, dem offenbart der Autor plötzlich ein Bild, das dem des eitlen Intellektuellen vollkommen widerspricht. Mehr als das Wörtchen ‚selbstironisch‘, das den Roman schon im Klappentext antippt, sei an dieser Stelle nicht verraten.“

Münchner Merkur

„Mit all seinen Anspielungen verblüfft, amüsiert und brüskiert Krausser seine Leser. Und wer sich bis zum Ende vorgearbeitet hat, dem offenbart der Autor plötzlich ein Bild, das dem des eitlen Intellektuellen vollkommen widerspricht. Mehr als das Wörtchen ‚selbstironisch‘, das den Roman schon im Klappentext antippt, sei an dieser Stelle nicht verraten.“

Deutschlandradio Kultur "Frühkritik"

„Endlich mal wieder ein packende Geschichte von Helmut Krausser. Die prekäre Welt eines erfolglosen Komponisten.“

MDR Klassik

„'Alles ist gut', der Titel zitiert Dostojewskis Dämonen, ist ein furioses Meisterwerk, pittoresk, melodiös, skurril, phantastisch und immer grundgut gebildet. Entspannend gar nicht politisch korrekt, die Neutöner müssen hier mit eingedrücktem Brustkorb sterben, die Melodien stehen aus den Gräbern auf, auf dass jeder Fan der italienischen Oper jubiliert. Auf den Knien seines musikalischen Herzens hat Krausser hier eine literarische Hommage an den Rausch der Melodien verfasst. Ein Lieblingsbuch dieses Spätsommers, das in die nächsten Jahreszeiten hinein klingt.“

spiegel.de

„Eine satirische Grätsche in das Genre der Künstlergeschichte: In "Alles ist gut" porträtiert Helmut Krausser einen arbeitslosen Komponisten, dem eines Tages ein vielversprechendes Manuskript zugesteckt wird - vom Teufel persönlich.“

WDR 5 "Lesefrüchte"

„Selbstverständlich ist dieser Roman mehr als ein Thriller. 'Alles ist gut' ist ein Werk über die Macht von Kunst - am Beispiel der Musik - und begeistert auf jeder einzelnen Seite.“

WDR 5 "Bücher"

„Sie ist also wieder da, Kraussers Sehnsucht nach einer 'Fetten Welt'. Dieser neue Roman hat die Sprachmacht seines 'Melodien'-Opus von 1993, einem Buch das thematisch ähnlich angelegt ist. 'Alles ist gut' begeistert auf jeder einzelnen Seite.“

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