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Weinbergblut (Elwenfels 6) Weinbergblut (Elwenfels 6) - eBook-Ausgabe

Britta Habekost
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Ein Elwenfels-Krimi

— Regionalkrimi aus der Pfalz
Taschenbuch (14,00 €) E-Book (9,99 €)
€ 14,00 inkl. MwSt. Erscheint am: 27.02.2025 In den Warenkorb
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Weinbergblut (Elwenfels 6) — Inhalt

Wer in Elwenfels hat eine Leiche im (Wein)Keller?

Chaos in Elwenfels: Touristen haben das Dorf in der Pfalz für sich entdeckt und strömen in Scharen in den Ort. Der ungewohnte Trubel sorgt für Unmut unter den Elwenfelsern, sodass Carlos Herb alle Hände voll zu tun hat. Und dann taucht auch noch eine Leiche auf! Der Tote war Influencer und wollte seine Follower zu einer nächtlichen Erkundung der Weinstube mitnehmen. Seine Zuschauer konnten live verfolgen, wie er die Kellertreppe hinabstieg, sich mächtig erschreckte, stürzte … Dann bricht das Video ab. Alle Spuren deuten darauf hin, dass es kein Unfall war. Carlos’ Ermittlergeist ist gefragt.

Zwischen Weinreben und Pfälzer Lebensart wartet eine tödliche Überraschung … und jede Menge rasanter Krimi-Spaß! 

In vino veritas – hier haben Täter keine Chance! Packen Sie Ihre Koffer und auf nach Elwenfels! Jeder Fall für Privatermittler Carlos Herb ist ein Weinfest für Krimi-Fans und kann unabhängig voneinander gelesen werden. 

Alle Bücher der Elwenfels-Reihe:
Band 1: Rebenopfer
Band 2: Winzerfluch
Band 3: Rieslingmord
Band 4: Weingartengrab
Band 5: Traubentod
Band 6: Weinbergblut

Alle Bände sind unabhängig voneinander lesbar.

€ 14,00 [D], € 14,40 [A]
Erscheint am 27.02.2025
352 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-32146-4
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€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erscheint am 27.02.2025
400 Seiten
EAN 978-3-492-60906-7
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Leseprobe zu „Weinbergblut (Elwenfels 6)“

Prolog

Es war so finster, dass er den Eindruck hatte, die Dinge um ihn herum wären unsichtbar. Kein Mond, keine Sterne, keine Straßenlaternen spendeten etwas Licht, nur das Plätschern des kleinen Bachs war zu hören. Diese undurchdringliche Dunkelheit passte gar nicht zu dem kleinen Puppenstubendorf. Er wusste nicht warum, aber er hatte irgendwie erwartet, dass ihn bei seiner nächtlichen Mission ein Schwarm Glühwürmchen an der alten Steinbrücke begrüßen und ihm freundliches Geleit durch den schlafenden Ort anbieten würden oder dass irgendwo eine [...]

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Prolog

Es war so finster, dass er den Eindruck hatte, die Dinge um ihn herum wären unsichtbar. Kein Mond, keine Sterne, keine Straßenlaternen spendeten etwas Licht, nur das Plätschern des kleinen Bachs war zu hören. Diese undurchdringliche Dunkelheit passte gar nicht zu dem kleinen Puppenstubendorf. Er wusste nicht warum, aber er hatte irgendwie erwartet, dass ihn bei seiner nächtlichen Mission ein Schwarm Glühwürmchen an der alten Steinbrücke begrüßen und ihm freundliches Geleit durch den schlafenden Ort anbieten würden oder dass irgendwo eine altmodische Laterne leuchtete. Er grinste, denn er brauchte nichts dergleichen. Denn für sein Vorhaben war die Dunkelheit eigentlich perfekt.

Langsam ging er die einzige Straße entlang, die in das Dorf hinein- und auch wieder hinausführte. Hinter keinem einzigen Fenster brannte Licht. Er sah noch einmal auf die Uhr. Es war kurz nach Mitternacht. Seine Rechte tastete nach dem Dietrich-Set in seiner Jacke. In der Linken spürte er das beruhigende Gewicht der Stirnlampe mit angeschlossener Kamera. Seine Augen hatten sich nun so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass er einzelne Gebäude ausmachen konnte. Er war so oft hier gewesen, dass er sein Ziel auch mit verbundenen Augen gefunden hätte.

Und dann stand er auf einmal direkt davor. Auf dem Dorfplatz lag etwas zurückversetzt in einem ummauerten Hof die Weinstube. Auch hier waren alle Fenster dunkel. Vorsichtig legte er das Stirnband mit der Kamera um und zog es am Hinterkopf fest. Er liebte dieses Gefühl, wenn sich der leichte Druck um seinen Schädel spannte. Sein Körper antwortete in einer routiniert eingespielten Abfolge von Reaktionen. Sein Herzschlag beschleunigte sich, eine erste Dosis von Adrenalin schoss durch seine Adern. Er nahm noch rasch einen Schluck Wasser und war für einen Moment seltsam verzaubert vom Anblick des Dorfplatzes. Ein silbriger Film schien über dem Kopfsteinpflaster zu liegen, als würden die Steine ganz schwach schimmern. Der Brunnen in der Mitte plätscherte schläfrig. Aus dem nahen Wald ertönte der Ruf eines Käuzchens, und wieder musste er lächeln. Diese Idylle hier konnte schon fast wehtun.

Vorsichtig wollte er weiterlaufen, um im nächsten Moment wie vom Schlag getroffen wieder stehen zu bleiben: Ein schriller, lang anhaltender Schrei zerriss die Nachtruhe.

Er zuckte zusammen. Es war der Schrei einer Frau gewesen, scheinbar in höchster Not, und schien vom anderen Ende des Dorfes zu kommen. Was war da nur los?

Doch bevor seine Gedanken allzu verrückte Kapriolen schlugen, machte er sich klar, dass es auch hier in dieser absurden kleinen Märchenidylle Leute gab, die nachts Albträume hatten, aus denen sie dann und wann schreiend hochschnellten. Er zuckte mit den Schultern und lief langsam weiter.

Doch nur ein paar Sekunden später ging in einem Haus am Platz ein Licht an. Verdammt! Rasch schlüpfte er in den Hof und hastete zur Tür der Weinstube. Wenn es jetzt gleich einen Menschenauflauf gab wegen dieses Schreis, dann musste er abtauchen. Kurz erwog er, das Ganze abzubrechen und es ein anderes Mal zu versuchen. Aber das ging nicht. Er hatte ein Versprechen gegeben, es musste heute sein. Rein aus einem Reflex heraus drückte er die Klinke am Eingang, bevor er den Dietrich bemühte, und erschrak fast ein wenig, als die Tür nachgab. Wieder grinste er. Diese Eingeborenen hier waren ja wirklich der Knaller! Sie schlossen nicht einmal nachts ihre Türen ab und glaubten wohl immer noch, die echte Welt da draußen ginge sie nichts an.

Da! Wieder so ein Schrei, lang anhaltend und durchdringend.

Okay, dachte er, das klang jetzt eigentlich nicht mehr nur nach Albtraum. Was mochte da nur passiert sein? Plötzlich kam Bewegung in die Stille ringsum, als wäre auf einmal das ganze Dorf aufgewacht. Waren da nicht Schritte in der Nähe, das leise Knarren von Türen? Oder bildete er sich das ein?

Die Kamera an seiner Stirnlampe hatte eine Nachtsichtfunktion, sodass er auch filmen konnte, wenn das Licht ausgeschaltet war. Hatte ihn eine Stange Geld gekostet, aber für eine Aktion wie diese hier war das Ding Gold wert. Rasch schob er sich ins Innere der Weinstube und schloss die Tür. Er lauschte. Nichts. Nur sein Herzklopfen. Dann tastete er nach der Kamera neben der Lampe, schaltete sie ein und überprüfte die Verbindung auf seinem Handy. Er war live.

„Hey Leute“, wisperte er. „Ich bin jetzt fast am Ziel. Aber ich muss im Moment ganz leise sein, hier ist irgendwas los im Dorf. Da war ein krasser Schrei irgendwo. Also, für mich heißt es jetzt erst mal auf Stummfilm schalten, klar? Mann, ich bin heute echt aufgeregt.“

Er ging um einen großen Tisch mit vielen eng gestellten Stühlen herum und musste schon wieder einen Schreck unterdrücken. Rechts von ihm blitzten Augen in der Dunkelheit auf. „Jesus Christ on a motorbike …“, keuchte er leise. „Habt ihr das gesehen? Das ist dieses creepy Vieh, dieses ausgestopfte, so ’ne Art Wolpertinger von hier. Heißt Elfenwitschel oder so. Boah, ich hab voll die Schockstarre.“

Er ärgerte sich, dass er heute nicht so cool und konzentriert war wie sonst. Diese Schreie hatten ihn ganz durcheinandergebracht.

Er wandte sich nach links und deutete auf eine Tür, die neben der altmodischen Theke in der massiven Steinmauer eingefasst war und aussah wie der Zugang zu einem mittelalterlichen Verlies. Natürlich gab es in alten Häusern öfters solche Türen, aber nach allem, was er über dieses Dorf erfahren hatte, ahnte er, nein wusste er, dass dahinter nicht einfach bloß eine Abstellkammer oder ein Kartoffelkeller lag.

Ihm fiel wieder der Stress ein, den ihm die Wirtin der Weinstube gestern gemacht hatte, als er wissen wollte, wohin die Tür führte. Die Gute war wohl etwas überfordert, weil ihre Gaststube nicht länger der private Social Club dieses isolierten Dörfchens war, sondern ständig irgendwelche Touristen reinplatzten, um den letzten freien Tisch zu ergattern oder weil sie einfach nur die Toilette benutzen wollten.

Es war wirklich verrückt, was in dem kleinen Ort los war, seit auf Flixnet diese Gangsterserie lief, die letztes Jahr hier gedreht worden war. Village of the Wicked. Der Hype um das kleine Elwenfels hatte irgendwann auch ihn gepackt. Ein winziges, uraltes Dorf mitten im Wald, mit einem Sägewerk aus dem 19. Jahrhundert, einer romanischen Kirche mit schiefem Turm und halb verschütteter antiker Krypta, einem Keltenwall und angeblich einem weitverzweigten, unterirdischen Kellersystem. Wo es weder einen Bürgermeister noch eine richtige Verwaltung gab und in dem eine irgendwie kitschige, verklärte Atmosphäre wie aus den Dreißigern herrschte. Ein Ort, über den es auffallend wenige Onlineeinträge gab. Und die wenigen Berichte, die es gab, handelten von unheimlichen Vorkommnissen im Wald, verborgenen Gewölben und möglichen Schätzen in der Erde. Natürlich alles aufgeblasener Bullshit! Aber trotzdem hatten diese paar Einzelheiten genügt, ihn neugierig zu machen.

Warum zum Beispiel leisteten die weinseligen Dorfbewohner, die augenscheinlich nur ein Haufen weltfremder, eigenbrötlerischer Hinterwäldler waren, so auffällig Widerstand, wenn jemand sich allzu sehr für ihren Ort interessierte? Genau das hatte sein eigenes Interesse noch gesteigert. Einen Ort wie Elwenfels gab es heutzutage eigentlich gar nicht mehr. Das hier war der absolute Volltreffer. Hier würde er alles finden, was ihm wichtig war, und seinen Fans natürlich auch.

Also hatte er die Fühler ausgestreckt und sich hier umgesehen. Und an der widerborstigen Reaktion der alten Wirtin hatte er gemerkt, dass er auf der richtigen Spur war. Sie hatte ihn von der geheimnisvollen Tür weggezerrt, als er einen Blick dahinter werfen wollte, und sich mit ausgebreiteten Armen davorgestellt. Erst hatte er gelacht, denn die Frau war eigentlich eher der Typ gemütliche Oma, mit ihrem schneeweißen Dutt und den schwieligen Händen, die aussahen, als hätte sie in ihrem Leben eine Million Kartoffeln geschält und doppelt so viele Kuchen gebacken. Aber dann war sie richtig ausgerastet und hatte ihn in ihrem abartigen Pfälzer Dialekt angeschnauzt – von dem er nur die Hälfte verstand –, dass sie wegen Leuten wie ihm demnächst ihr Testament machen müsse. Das war irgendwie traurig, aber so what? Die Welt drehte sich weiter, und die paar Geheimnisse, die noch übrig waren, warteten nur darauf, viral zu gehen! Und genau aus diesem Grund war er hier, in Elwenfels.

In der Dunkelheit der Weinstube näherte er sich der Tür und drückte langsam die Klinke nach unten. Das würde zu der verrückten Oma passen, dass sie die Eingangstür offen ließ und den Keller abschloss. Aber sie öffnete sich mit einem leisen Quietschen. Er schaltete die Stirnlampe ein. Ein greller Strahl glitt die krumm getretenen Steinstufen vor ihm hinab in die Tiefe des Untergrunds.

„Yes!“, zischte er und reckte seinen Daumen ins Bildfeld der Kamera. Er lauschte, aber alles blieb still. Schnell zog er die Tür hinter sich zu und machte sich an den Abstieg. Sein Herz schlug ihm jetzt bis zum Hals, wie immer als „The Intruder“, wie sein Onlineprojekt hieß, wenn er in verlassene Gebäude einstieg, Ruinen erkundete, in vergessene Gefilde vordrang. Dieser Rausch der Ungewissheit! Er war süchtig danach. Das Wissen, irgendwo zu sein, wo sich seit Jahren kein Mensch mehr hin verirrt hatte. Das war sein ultimativer Kick. Oder einen Ort aufzusuchen, den zu betreten strengstens verboten war. So wie dieser rätselhafte Keller.

„Also, Leute, jetzt gehts runter. Deep down into the Underground of Elwenfels!“, wisperte er in das kleine Mikro an seiner Jacke, während er langsam Stufe für Stufe hinabstieg. Die Luft war kühl und roch nach feuchten Steinen.

„Es heißt ja, dass es hier unten kilometerlange Gänge gibt und Gewölbe, die noch nie jemand richtig untersucht hat. Die Leute von Elwenfels sind total abgetörnt, dass sie jetzt jeden Tag von Busladungen voller Touris überfallen werden. Die können einem wirklich ein bisschen leidtun. Obwohl die Touris wahrscheinlich aktuell ihr kleinstes Problem sind. Sie wissen nämlich nicht, dass ich gerade hier bin und euch …“

Plötzlich spürte er einen eisigen Hauch auf seinem Gesicht. Er blieb stehen.

„Puuh, Leute, das ist ein Feeling, als würde ich jetzt gerade eine riesige Gruft entern. Die Luft hier ist … kälter, und es geht noch tiefer … keinen Schimmer, wie weit noch.“

Die Treppe schien kein Ende zu nehmen. Er bewegte seinen Kopf und ließ den Strahl der Lampe über die Wände gleiten. Salpeter glitzerte zwischen den Steinen. Einige Baulampen waren dort angebracht, für deren Licht er jetzt sehr dankbar gewesen wäre.

Und dann passierte etwas Eigenartiges.

Er hatte solche Momente schon öfters erlebt, wenn er in besonders geschichtsträchtige Gebäude eingestiegen war. Sein Kopfkino lief an. Eine Ahnung all der Ereignisse, die sich hier abgespielt hatten, galoppierte seiner Fantasie voraus und erschuf ein Gefühl, das im krassen Kontrast zu seiner sonstigen Coolness stand. Ein seltsames Was-wäre-wenn-Gefühl, wie eine Gänsehaut im Innern seines Körpers.

Was wäre, wenn es in diesem alten Gemäuer Geheimnisse gäbe, die sich nicht so einfach entdecken ließen, weil es hier etwas gab, das nicht entdeckt werden wollte? War dieser eisige Hauch, den er verspürte, eine Art Barriere, die er lieber nicht durchbrechen sollte?

Er zögerte. Das Gefühl war nie zuvor so stark gewesen.


Normalerweise drängte er es entschlossen zurück, und weiter ging’s. Aber auf einmal hatte er den Eindruck, als würde sich wenige Meter vor ihm in der Dunkelheit etwas bewegen. Ganz leise nur. Oder spielten ihm seine Sinne einen Streich?

„Verdammt, Leute, das ist alles ein bisschen sehr strange hier. Voll gruselig“, wisperte er. „Dieser Schrei vorhin … mein Panic Button ist gerade im Dauerbetrieb.“

Er stellte sich vor, wie seine Fans tausendfach überall in Europa jetzt an ihren Displays klebten, und fühlte sich schlagartig besser. Er war nicht allein. Wenn er den Atem anhielt, hielten auch sie den Atem an. Er teilte sein Adrenalin mit ihnen, sein Herzklopfen, seinen Stress. Er durfte sie nicht enttäuschen. Entschlossen nahm er die nächsten Stufen.

„Ist da jemand?!“ Da passiert es.

Die Stimme. Sie war ganz nah, direkt an seinem Ohr und gleichzeitig wie aus weiter Ferne. Und sie sagte etwas … etwas, das ihn erstarren ließ.

Als würde Eiswasser durch seine Adern schießen. Plötzlich schlug irgendwo eine Tür zu, die Erschütterung spürte er bis in seine Fußsohlen. Erschrocken wirbelte er herum. Seine Augen weiteten sich.

Etwas stand über ihm auf der Treppe. Der Lichtkegel seiner Stirnlampe konnte die Gestalt aber nicht erfassen.

Dann wieder die Stimme. Etwas streifte seinen Nacken. Etwas, das sich anfühlte wie eine eiskalte Hand. Er presste die Hand auf den Mund, er konnte doch jetzt unmöglich losschreien. Das hatte er noch nie getan, schon gar nicht während eines Livevideos.

Aber der Wunsch, augenblicklich abzubrechen, die Kellertreppe hochzuhechten und von hier zu verschwinden, wurde übermächtig. Er wusste nicht, was ihn mehr beunruhigte – diese Stimme in der Dunkelheit unter ihm oder diese undefinierbare Gestalt einige Stufen über ihm. Wahrscheinlich ein Dorfbewohner, der ihn hier stellen wollte, weil er sich unbefugt Zutritt verschafft hatte. Dann wäre das eben das unrühmliche Ende seiner Erkundungstour. Was solls, dachte er. Sollten sie ihn ruhig hier wieder rausschleifen und mit Schimpf und Schande auf die Straße setzen. Es wäre ja nicht das erste Mal, und hier hätte er sowieso nur die Hälfte der Verwünschungen verstanden. Und das wäre ihm allemal lieber, als hier festzustecken und dieser unheimlichen Atmosphäre um ihn herum noch weiter ausgesetzt zu sein.

Verdammt, hier stimmte doch etwas nicht!

Auf einmal begann er unkontrolliert zu zittern, und der Schweiß brach ihm aus. Warum sagte die Gestalt denn nichts? Warum kam sie nicht näher? Warum schrie sie ihn nicht an und wollte wissen, was zum Teufel er hier machte? Die Stille um ihn herum bekam etwas Dröhnendes, als wäre er zu lange unter Wasser gewesen.

Und dann riss ihn irgendetwas mit unglaublicher Kraft von den Beinen, und er stürzte. Stürzte der furchtbaren Dunkelheit entgegen und dachte noch, dass seine Fans da draußen bestimmt glaubten, das Ganze wäre inszeniert, um die Klicks in die Höhe zu treiben.

Alles passierte unglaublich schnell. Doch in dem Bruchteil der Sekunden blitzte eine letzte Frage durch seinen Kopf. Warum hatte er nur geglaubt, dass es eine gute Idee war, den uralten Keller einer pfälzischen Weinstube erkunden zu müssen, obwohl doch jeder ahnte, dass es in diesem Dorf nicht mit rechten Dingen zuging?

Dann der Aufprall. Und nichts mehr.

 

Kapitel 1

Ein kleines, verstecktes, inzwischen berühmt gewordenes pfälzisches Dorf ist nicht wiederzuerkennen

Missmutig stocherte Carlos Herb in seinem Winzerteller herum. Bratwurst und Sauerkraut wollten ihm heute irgendwie gar nicht schmecken, und auch die perfekt temperierte Rieslingschorle, die in dem Dubbeglas neben ihm sprudelte, hatte ihre Magie als „Champagner der kleinen Leute“ gänzlich verloren.

Er saß im Hof der Weinstube und kam sich vor wie im falschen Film. Das Undenkbare war geschehen und längst zur Normalität geworden, aber er weigerte sich immer noch, es zu begreifen: Elwenfels war zu einer Touristenattraktion mutiert.

Busse, Fremdenführer und überall Menschen mit gezückten Smartphones. Das Ironische daran war, dass dieser „falsche Film“ nur wegen einem richtigen Film zustande gekommen war. Nachdem die Flixnet-Produktion Village of the Wicked, die im letzten Jahr hier gedreht worden war, monatelang auf Platz eins der Streaming-Charts gestanden hatte, war das Dorf erst zur cineastischen und dann zur touristischen Pilgerstätte geworden. Täglich drängten sich Hunderte Besucher durch die Gassen, Schaulustige jeden Alters, Jäger auf der Suche nach den Originalschauplätzen. Und nachdem sie die Steinbrücke über den Bach, den Waldweg und die Reihe kleiner Sandsteinhäuschen zigfach mit ihren Handys eingesaugt hatten, um dann noch ein lustiges Abschlussfoto mit dem Elwetritsch-Brunnen am Dorfplatz zu machen, landeten sie alle hier im Hof der Weinstube.

Und stellten kluge Fragen, wie zum Beispiel jener Gast aus Westfalen, ein Mann im grau-beigen Trekking-Anorak: „Sagen Se ma’, ham Sie auch Fälzer Leberwurst?“

Elsbeth, die alte Wirtin, hatte trotz der permanenten Überforderung ihre charmante Schlagfertigkeit noch nicht ganz verloren und damals geantwortet: „Fälzer gabs bei uns noch nie. Nur Pälzer! Lewwerworscht, aus de Palz. Mit P. Palz! Net Falz … Ihr wisst, wie isch mään?“

Irritierte Gesichter der Touristengruppe aus Westfalen reckten sich ihr entgegen. Eine Frau kicherte, weil sie wohl witterte, dass da ein Witz versteckt war, den sie nur nicht verstanden hatte.

„Ah ja, na dann Pälzer Leberwurst, wenn Ihnen das lieber ist.“ Der Mann nickte eilfertig.

„Is all.“ Elsbeth schüttelte bedauernd den Kopf.

Der Mann runzelte kurz die Stirn, weil diese beiden dialektalen Silben so schnell herausgeschossen kamen. Dann nickte er erneut. „Ja genau. Für alle. Also fünfmal Fälzer Leberwurst mit P, bitte.“

Gelächter am Tisch.

Elsbeth zuckte mit den Schultern. „Is all. Un all is halt leider all. Oder übersetzt: Alles alle! Leer g’fresse! Also all, all! Auf der Speisekart stehn aber noch andere schöne Sache. Bloß, wenn ihr euch net beeilt, sin die b’stimmt auch bald all.“

Und damit drehte sie ab und steuerte auf den Eingang der Weinstube zu, während hinter ihr am Tisch die Kiefer nach unten klappten.

Carlos hätte am liebsten laut losgelacht, wenn ihm nicht der Humor schon längst vergangen wäre. Wehmütig dachte er an die Zeiten zurück, als der Hof der Weinstube das vibrierende Herz des Ortes gewesen war. Auf dem moosbewachsenen Kopfsteinpflaster hatten nur ein paar Holzbänke und ausrangierte Weinfässer als Mobiliar gestanden. Für die Dorfbewohner war dieser Platz das kollektive Wohnzimmer ihres kleinen Dorfes. Versteckt zwischen den dunklen Tiefen des Pfälzerwaldes und der lichten Weite des Rebenmeers an der Deutschen Weinstraße, lebte und feierte das Dorf unbehelligt im Schatten der Weltgeschichte vor sich hin, als wäre es irgendein unentdecktes Inselparadies weit draußen im Pazifik.

Doch so wie es aussah, waren diese Zeiten endgültig vorbei.

Die alten Holzstühle und Tische waren gegen Leichtmetallmöbel und Sonnenschirme getauscht worden, die auch noch den letzten verfügbaren Quadratmeter des Hofes besetzten. Sogar draußen auf der Straße hatte man Sitzgelegenheiten aufgestellt, um dem Ansturm der neuen Gäste gewappnet zu sein. An jedem Tisch war eine Nummer angebracht, um den Überblick zu behalten. Und daneben stand als Dekoration ein Dubbeglas, in dem ein Strohblumenstrauß steckte. Von außen gesehen hätte man meinen können, dass einfach nur ein frischer Wind die leicht muffige Nostalgie der vergangenen Jahrzehnte davongeblasen hatte. Doch es war nicht diese Modernisierung, die Carlos den Appetit verdarb. Es waren die atmosphärischen Störungen und die Geräuschkulisse um ihn herum, die ihn daran erinnerten, dass sich die Zeiten in Elwenfels endgültig geändert hatten.

Früher hatte man hier nur das Klirren von Gläsern gehört, das behagliche Seufzen nach dem ersten Schluck Rieslingschorle und das wilde Gebabbel der „Eingeborenen“. Und die vielstimmigen Lobeshymnen, wenn die alte Wirtin der Weinstube, Elsbeth, breit grinsend ihre berühmten Bratkartoffeln auftrug, die selbst gemachten Dampfnudeln und den perfekt zubereiteten Saumagen.

„Elsbeth, also dei Gebrätelte sin wieder mol e Gedicht.

Des hätt de Goethe auch net besser hiekriegt.“

„Hear Elsbeth, kannscht dir die Spülmaschin spare, isch konnt net anders wie de Teller sauber schlecke.“

Ganz gewiss wäre niemand auf die Idee gekommen, das Sakrileg zu begehen, ein Dubbeglas mit etwas anderem zu füllen als mit Wein und Wasser verschiedener Mischungsverhältnisse.

„Was annerschdwo e Blumevas, des is bei uns e Schoppeglas“ – dieses Motto war eine von Carlos’ ersten Lektionen in pfälzischer Heimatkunde gewesen, als er vor Jahren hier gestrandet war. Aber die Touristen machten dann jeden Tag die immer gleichen schalen Witze über Größe und Funktion des Halbliterglases mit den runden Einkerbungen, das für die Pfälzer gleichermaßen Gebrauchsgegenstand und Symbol ihrer Kultur und Lebensart war. Also hatte Elsbeth beschlossen, das Ganze schön ironisch zu präsentieren – oder wie sie sich ausdrückte „druff un dewedder“, um der Sprücheklopferei den Stecker zu ziehen.

Als Carlos vor Jahren bei seinem ersten, eher zufälligen Besuch in dieser Weinstube gelandet war, hatte er sich irritiert gezeigt von der Abwesenheit einer Speisekarte und dem Motto der Wirtin, das da lautete: „Gegesse wird, was uff de Tisch kummt!“ Und er hatte bedauert, dass es kein Bier gab, das er als geborener Hamburger damals so gerne getrunken hatte. Und geradezu verwirrt hatten ihn die gutmütigen Sticheleien der anderen Gäste; diese seltsame Art sich auszudrücken mit diesen kurzen, zischenden Lauten war ihm wie die reinste babylonische Sprachverwirrung erschienen.

Wenn Carlos an diesen Kulturschock zurückdachte, musste er schmunzeln. Er war damals ein ganz anderer Mensch gewesen.

Suspendiert vom Hamburger LKA, war er gerade dabei gewesen, erste Erfahrungen als Privatdetektiv zu sammeln; hier an der Weinstraße sollte er einen verschwundenen Millionär aufspüren. Traumatisiert von einem schrecklichen Erlebnis, frustriert über das Ende seiner Karriere und voller Selbstzweifel war er nach Elwenfels gestolpert wie ein schlecht gelaunter Teenie in seine neue Klasse und hatte erst mal alles doof gefunden. Aber damals hatte er noch nichts von der geheimen Macht geahnt, die in Elwenfels existierte und die sein Wesen von Grund auf erneuert hatte.

Diese Magie, die hier allgegenwärtig war, gepaart mit dem Wein als Lebenselixier, machte aus manchem Dorfbewohner einen Philosophen, aus manchem Schoppentrinker einen Life-Coach und aus einfachen Provinzlern weltoffene Kosmopoliten. Und egal wie sie es ausdrückten, mit dem Klopfen alter Sprüche („Wer gut hockt, rückt net gern!“) oder langen atemlosen Reden, die mit „alla hopp“ begannen und „weeschwieschmään?“ endeten, die Botschaft war immer dieselbe: Es gab nur eine einzige Sache, die wirklich zählte, und die war, das Leben zu feiern.

Und weil in Elwenfels die Uhren anders tickten und die Einwohner viel Zeit für die wesentlichen Dinge übrig hatten, waren seine Besuche hier, bei denen er in seiner Eigenschaft als Privatdetektiv immer in irgendeinem Kriminalfall ermitteln musste, letztendlich zu einer Liebesgeschichte geworden. Da war die Liebe zum Wein, die Carlos hier erfahren hatte, die Liebe zu einem Leben jenseits von Mord und Totschlag, abseits der Großstadt und ihren Abgründen. Und die Liebe zu Charlotte.

Carlos schüttelte den Kopf. Beim Gedanken an Charlotte wurde er nervös, wollte er ihr doch heute endlich sagen, über was er seit Monaten grübelte.

„Nein, nein, nein!“, rief es plötzlich zwei Tische weiter.

„Espresso! Ham Sie denn keinen Espresso?“

„Äh … nö“, stammelte die junge Studentin aus Landau, die Elsbeth als Aushilfe angestellt hatte. „Nur Kaffee, sorry.“

„Und wie ist der gemacht?“

„Ha, mit de Maschin halt.“

Der Mann im karierten Hemd blies demonstrativ einen Schwall Luft aus. „Siebträgermaschine?“

„Kaffeemaschine.“ Die Kellnerin lächelte.

Der Mann winkte ab. „Na, dann vergessen Sie’s! War ja klar. Wenn sich die ganze Welt hier nur um Alkohol dreht.“

Neben Carlos regte sich etwas. Willi hatte begonnen, unruhig auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen. Dabei drangen aus dem Resonanzkasten seines massigen Brustkorbs immer wieder Geräusche, die die gesamte Skala von Missfallen, Ungläubigkeit und wohl nur mühsam unterdrückten Gewaltfantasien abdeckten.

Ihnen gegenüber, mit dem Rücken zum Geschehen, schien Pfarrer Karl reglos, mit weiten Augen und verkniffenem Mund die berühmte Salzsäule aus dem Alten Testament seines Lieblingsbuches imitieren zu wollen.

„Ruhig bleiben, Freunde!“, mahnte Carlos seine Freunde. „Ganz ruhig!“

Es war ein hilfloser Versuch, die beiden Pfälzer dazu zubringen, die Rhythmusstörungen ihres Herzens, das sie stets auf der Zunge trugen, zu ignorieren.

Natürlich hatte Elsbeth weder Kaffeevollautomat noch Espressomaschine vorzuweisen. Es war ja schon schlimm genug, dass es neuerdings eine Speisekarte gab, in der das Pfälzer Nationalgericht „Grumbeere un weiße Käs“ zu

„Zarten Pellkartöffelchen mit Speisequark“ mutiert war und daneben in Klammern noch ein kleines „V“ für vegetarisch stand, wie um dem letzten woken Großstadttouristen zu versichern, dass auch der pfälzische Eingeborene keinen Saumagen in den Quark mischte.

Wenigstens der alte Zettel war noch da, der seit Jahrzehnten im leeren Speisekartenkasten hing: Wann’s Licht brennt is uff! Es hätte ein letztes schönes Relikt vergangener Zeiten sein können, aber vor zwei Tagen war darunter ein handschriftlicher Zusatz aufgetaucht, auf dem stand: Öffnungszeiten flexibel. Carlos wusste nicht, wer diese seelenlose Übersetzung der pfälzischen Antithese zur Sperrstunde dort hingeschrieben hatte, wahrscheinlich die von den ganzen Fragen genervte Aushilfe; und die arme Elsbeth hatte es wohl noch nicht einmal bemerkt.

Carlos seufzte, packte sein Dubbeglas und nahm einen Schluck. Eigentlich war es so ein schöner Tag. Die alten Sandsteinhäuser des Dorfes strahlten wie riesige Backöfen die ganze Wärme des Sommers aus, und über den Himmel sausten Dutzende Schwalben. Es war Anfang September, aber in der Luft lag nicht die geringste Ahnung vom nahen Herbst, alles atmete noch die wohlige Weite scheinbar unendlich langer Tage.

Noch im letzten Jahr hätte er nichts Schöneres finden können, als sein Mittagessen im Hof der Weinstube zu genießen, im Ohr das heimelige Stimmengewirr der Elwenfelser. Doch für die Einheimischen gab es kaum noch einen Platz in ihrem einstmals so urigen Outdoor-Wohnzimmer.

„Dieser Winzerteller, ist das eine sehr große Portion?“, wollte gerade eine schlanke junge Frau in Wanderkluft von Elsbeth wissen.

Elsbeth, die Carlos immer wie das Idealbild der schwungvollen Rentnerin erschienen war, bewegte sich dieser Tage mit sichtbarer Mühe zwischen den Tischen hin und her. Trotzdem breitete sich auf ihrem Gesicht ein gutmütiges Schmunzeln aus, als sie der drahtigen Wandersfrau antwortete: „So, dass ma satt wird, halt.“

Die Frau verzog das Gesicht. „Was soll das denn jetzt heißen?“

Elsbeth lächelte. „De Winzerteller is uff jeden Fall e größere Portion wie Sie, wenn Sie wissen, wie ich mein.“ Dabei legte sie liebevoll ihre schwielige Hand auf deren Unterarm.

Die Frau schüttelte die Hand ab und starrte die Wirtin irritiert an. „Ich kann mich nicht erinnern, dass ich Ihnen die Erlaubnis erteilt habe, meinen Körper zu kommentieren, oder?“

Elsbeth machte große Augen. „Isch mään jo bloß.“

„Gibts diesen Winzerteller vielleicht dann einfach als kleinere Portion? Wie nennt man das gleich noch: als Seniorenteller oder so?“

Elsbeth runzelte kurz die Stirn, dann knipste sie wieder ihr Lächeln an. „Jo, Senioreteller gibts. Aber erst ab hundert un in Begleitung von de Großeltern!“

Die Frau schüttelte den Kopf. „Pfälzer Humor, ja?“

„Nee, Pälzer Humor.“ Damit wandte sich Elsbeth vom Tisch ab und deutete ein ungläubiges Kopfschütteln an. Carlos zwinkerte ihr aufmunternd zu.

Willi stieß ein unwilliges Grunzen hervor. „Wenn des so weitergeht, dann braucht die Elsbeth bald e Kur an der Ostsee.“

„Jo, es is e Kreuz“, kam der passende Kommentar von Pfarrer Karl.

Die alte Wirtin war es eigentlich gewohnt, zwischen Küche und Theke immer mal wieder einen Schwatz zu halten, doch seit die Besucher in Scharen nach Elwenfels strömten, hatte sie dafür keine Zeit mehr. Mit einer Mischung aus Wehmut und Besorgnis sah Carlos ihr hinterher. Schon wieder schaffte sie es nicht auf direktem Weg zurück in die Küche, weil sie an einem anderen Tisch angehalten wurde.

„Hey sorry!“, rief ihr ein Mann mit verspiegelter Pilotensonnenbrille und Rolex zu. „Gibts denn hier gar keine Tapas?“

Elsbeth blieb stehen. „Ta-was?“

„Na, Tapas!“, erwiderte seine blondiert gesträhnte Begleiterin ein wenig ungeduldig. „Wie unten in Deidesheim. Da gibts überall Pfälzer Tapas.“

„Carlos, wenn du dei Sauerkraut nimmer esse willscht …“, zischte Willi. „Ich tät’s der Dummorschel gern in die Handtasch schmeiße.“

Elsbeth reagierte mit altgewohntem Charme. „Ach, Tapas meine Sie. So kleine Versucherle, wo ma net satt wird. So Häppsche aus Spanien. Soll ich dann vielleicht auch noch en Flamingo für euch tanze, hä?“

„Was?“ Der Mann sah die Wirtin ungläubig an.

Statt einer Antwort warf Elsbeth sich mit imaginären Kastagnetten in eine dramatische Carmen-Pose und trippelte vor dem Tisch auf und ab. Carlos streckte beide Handflächen neben sich aus, und Willi und Karl schlugen begeistert ein. Solange Elsbeth ihren Humor nicht verlor, war noch nicht alles hoffnungslos.

Doch die vier Besucher fanden die ironische Geste alles andere als komisch.

„Wollen Sie uns auf den Arm nehmen?“

Elsbeth winkte ab. „Nää bitte, des net auch noch. Ich hab so schon genug zu schaffe. Das versteht ihr doch, oder?“

Die Besucher waren nicht amüsiert. „Also, wir sind nicht den ganzen Weg von Rastatt hierhergekommen, um uns hier dermaßen frech behandeln zu lassen.“

„Das gibt auf jeden Fall ’ne unterirdische Bewertung bei Google“, hochnäselte seine Begleiterin.

Elsbeth blinzelte fragend. „Was für e Gurgel?“

Carlos blieb das Lachen im Hals stecken. Elsbeth war auf einmal sehr blass, und ein Ausdruck von schlagartiger Erschöpfung hatte ihren Schalk vertrieben. Für einen Moment sah es aus, als müsste sich die alte Wirtin am nächsten Stuhl abstützen.

Willi hatte genug gesehen, es hielt ihn nicht mehr auf seinem Sitz. Er schoss wie ein Springteufel nach oben und trat an den Tisch der hedonistischen Blendgranaten.

„Sonst noch ebbes?“, fauchte er. „Solle wir euch vielleicht vor de Tür noch en Parkplatz bauen, damit ihr beim Riesling-Schlotze euern Porsche anglotze könnt?!“

Als hätte er nur auf sein Stichwort gewartet, drehte sich Pfarrer Karl um und blaffte: „Das hier is Elwenfels un ke Handykulisse für Touris, wo bloß herkumme, um mol kurz ihr Bein zu hebe und sich dann wieder zu verpi… zu verabschiede!“

Carlos fühlte das unbändige Bedürfnis, auch seinen Senf dazuzugeben, obwohl er sich bei derartigen Konfrontationen immer zurückhielt, weil er es mit dem blitzschnellen Schlagabtausch pfälzischer Pingpong-Rhetorik einfach nicht aufnehmen konnte. Aber jetzt hörte er sich sagen: „In Elwenfels Tapas zu verlangen, ist so, als würde man in einem Sushi-Restaurant fragen, ob es Maki auch als Schnitzel gibt.“

Karl ließ ein prustendes Geräusch los und schlug mit der Hand auf den Tisch, dass die übrig gebliebene angebissene Bratwurst vom Teller hüpfte.

Jetzt stand der Typ mit der Rolex auf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was ist denn hier los? Ich dachte immer, eine Gaststätte ist für Gäste da.“

„Jo, awwer net so iwwerkandidelte Iwwerzwerche wie ihr“, schnaubte Willi.

„Lumbechores!“, schoss Karl hinterher und schien sich überhaupt nicht daran zu stören, dass alle anderen Tische ihr Besteck sinken ließen und die Szene verfolgten.

„Na, dann können wir ja gehen, oder?“

Willi trat einen Schritt zurück, zeigte zum Ausgang und nickte heftig.

„Am besten alle zusammen“, rief der Mann jetzt, und sein ausgestreckter Zeigefinger machte eine Runde durch den ganzen Hof. „Sonst stecken uns die Eingeborenen hier noch in ihren Kochtopf, gell!“

„Minus fünf Sterne bei Google“, schrillte die Blondine neben ihm.

„Ja, bitte gern“, rief Pfarrer Karl über die Schulter hinweg. „Wir brauche jede schlechte Bewertung, die wir kriege könne. Dass endlich wieder Ruh einkehrt.“

Carlos hätte seinen Freund gerne daran erinnert, dass ja gerade das das Problem mit Tagestouristen an populären Destinationen war. Selbst die am miesesten bewertete Pizzeria in Venedig hatte jeden Tag volles Haus, weil es dieser Art von Besuchern wichtiger war, einfach nur einen Haken hinter die Lagunenstadt zu machen, als in einem gut bewerteten Restaurant zu speisen. Und genau diese Art von Touristen fiel nun auch tagtäglich über Elwenfels her.

„Rassismus!“, schrie die andere Frau neben dem Rolex-Träger auf einmal. „Das ist nix anderes wie Rassismus! Gegen uns Badener!“

„Genau“, schaltete sich jetzt ein Mann vom Nebentisch ein. „Ich hab ein T-Shirt gesehen mit diesem Spruch: Ich Fälzer du nix.“

„Ha, das sagt doch alles, oder? Aber unser Geld nehmen sie gern.“

Jetzt wurde es unruhig im Hof. Die Leute begannen durcheinander zu rufen, und an einigen Tischen standen schon die ersten Gäste auf.

„Dann könnt ihr eure Fälzer Leberwurst allein essen!“

„Dauert sowieso zu lang hier alles.“

„Und viel zu fettig isses auch noch!“

Doch plötzlich ertönte ein lautes Dröhnen und durchdringendes Hupen, und im Hof der Weinstube wurde es schlagartig still. Alle Blicke richteten sich nun auf die Hofeinfahrt, wo sich ein großer, rotglänzender Chevrolet ins Blickfeld geschoben hatte und nun abrupt anhielt, um wie in Zeitlupe noch etwas nachzuwippen. Ein kirschrotes, auf Hochglanz poliertes Cabrio, mit chromblitzenden Felgen und Kühlergrill, ein Retro-Gefährt, das so aussah, als wäre Havanna die neue Partnerstadt von Elwenfels.

Die Tür öffnete sich, und ein massiger Mann im hellbeigen Leinenanzug machte sich in der Sommerluft breit: Otto, der Elwenfelser Automechaniker. Grinsend ließ er seinen Blick über den Hof schweifen, tippte sich kurz an seinen weißen Panamahut, unter dem ein geflochtener grauer Haarzopf hervorlugte, und rief: „Uffbasse!“ Dann stapfte er mit ausgebreiteten Armen zwischen die voll besetzten Tische und strahlte die Gäste an. „Also, des wär doch jammer-hammer-schad, wenn ihr all schon gehe täte wolltet, gell? Wo’s doch so viel zu sehe un erlebe gibt bei uns“, verkündete er.

Die Leute verfolgten mit großen Augen jede Bewegung des Mannes, der daherkam wie ein schwergewichtiger, pfälzischer Gatsby.

Willi verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust und warf Otto einen Blick zu, als wolle er die nächste Eiszeit einleiten.

Carlos saß da wie versteinert und versuchte, das Geschehen irgendwie einzuordnen. Willi und Otto – die beiden bildeten eigentlich das perfekte Elwenfelser Duo. Je nachdem, was die Situation erforderte, mal grob-herzlich und schlagfertig, mal deftig polternd und einschüchternd. Zwei im besten und wörtlichen Sinne dicke Freunde. Eigentlich. Denn auch das gehörte der Vergangenheit an. Jetzt waren sie auf einmal Angehörige zweier Lager, in die die Elwenfelser sich getrennt hatten: diejenigen, die die Touristen am liebsten sofort wieder loswerden wollten. Und die anderen, die sich mit den neuen Gegebenheiten abgefunden hatten, auch weil sich mit den vielen Besuchern neue, interessante Möglichkeiten ergaben.

Und Otto war einer der Ersten gewesen, der eine Geschäftsidee entwickelt hatte.

„Macht euch nix draus, ihr liebe Leut“, trompetete er in die Runde. „Mein Freund Willi hier meint’s net so bös, wie er aussieht. Er is halt e bissel emotional, gell?“

Er nickte Willi zu, der sichtbar Mühe hatte, ruhig zu bleiben. Mit zusammengekniffenen Augen begann er, seine Hände zu kneten.

„In Wirklichkeit lieben wir Pälzer alle Mensche. Auch Außergewärtige. Es gibt doch nix Schöneres wie Leut, wo extra do herkumme, um des gelobte Land zu erlebe, die Palz! Wie heißt’s doch so schää: Je mehr, desto besserer, un je vieler, desto super, gell?“ Otto lachte schallend.

Willi bebte. „Ich hab uff emol Tinnitus in de Auge. Ich seh bloß noch Pfeife.“

„Könntscht naus, wo ke Loch is“, ergänzte Karl fassungslos.

Doch Otto war nicht zu bremsen. „Guckt mol, do steht mei schönstes Pferd im Stall. E rot-romantische Pälzer Benzinkutsch, wo nur druff wartet, euch die schönste Flecke un Winkel un Sache zu zeige, wo die Palz zu biete hat.“ Mit schwungvoller Geste holte er einen Stapel Flyer aus seiner Sakkotasche und verteilte sie auf den Tischen.

„Da! Ottos Palatino Tours. In meiner Garage warten noch andere fahrbare Schätze uff euch. Wer sich jetzert spontan entscheidet, kriegt zwanzisch Prozent Rabatt. Hopp, worauf wartet ihr noch?“

Carlos wechselte einen schnellen Blick mit seinen Tischnachbarn, und als wäre das ihr Stichwort, standen alle drei in einer synchronen Bewegung auf und gingen ohne Verabschiedung auf das Hoftor zu. Als sie das rote Cabrio passierten, schaute Carlos noch einmal zurück.

Elsbeth stand auf der Treppe vor dem Eingang der Weinstube und sah aus, als wolle sie jeden Moment das große Tablett mit Dubbegläsern, das sie trug, mit voller Wucht in die Menge werfen.

Dann schaute Otto auf einmal zu Carlos herüber. Für einen Moment verhakten sich ihre Blicke. Was war es, was er da von Otto empfing? Unverständnis? Traurigkeit? Oder sogar eine Art Aufforderung?

Mach was, Carlos! Hilf uns aus diesem Dilemma!

Schnell wandte sich Carlos wieder um und ging mit Willi und Karl am plätschernden Elwetritsche-Brunnen vorbei, wo ein junges Pärchen mit Selfiestick und albernen Verrenkungen die pfälzischen Fabelwesen imitierte. Schweigend schritten sie über den Platz. Im Gehen legte Pfarrer Karl seine Hände auf die Schultern von Carlos und Willi und sagte mit betont salbungsvoller Stimme: „Männer, ich bin stolz uff uns. Wie sagt das chinesische Sprichwort: Bist du geduldig im Augenblick des Zorns, so wirst du dir hundert Tage Kummer ersparen.“

Willi schnaubte. „Ich hab aber noch e besseres Sprichwort für die Bagage: Bleib mir gsund un werde zäh, doch bittschön net in unsrer Näh!“

Carlos sagte nichts. Die lockeren Sprüche zündeten schon lange nicht mehr so richtig, bildeten sie doch nur eine traurige Tünche über der darunter liegenden Hilflosigkeit.

Britta Habekost

Über Britta Habekost

Biografie

Britta Habekost, geboren 1982 in Heilbronn, studierte Geisteswissenschaften und stillte ihre Neugier aufs Leben u.a. als Museumsführerin. Von ihr sind bereits die beiden historischen Krimis „Das Sterben der Bilder“ und „Bilder des Bösen“ unter ihrem Mädchennamen Britta Hasler erschienen, ebenso wie...

Christian Habekost

Über Christian Habekost

Biografie

Christian „Chako“ Habekost, geboren und aufgewachsen in Mannheim, ist Comedian, Kabarettist und Calypso-Sänger. Er studierte in Mannheim, London und Kingston/Jamaika und steht mit Solo-Programmen auf der Bühne, in denen er sich u.a. intensiv mit der Pfälzer Sprache befasst. Fernsehauftritte (u.a. in...

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