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Die Weiße Flamme (Die Götterkriege 2)Die Weiße Flamme (Die Götterkriege 2)

Die Weiße Flamme (Die Götterkriege 2)

Richard Schwartz
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Die Götterkriege 2

„Richard Schwartz erschafft eine erstaunlich komplexe Welt mit dreidimensionalen Figuren und einer unheimlich verstrickten, vielfältigen Handlung. (...) Schwartz hat auch mit diesem Roman wieder eine wunderbare Geschichte erschaffen, die sich zu lesen lohnt.“ - Onlinezeitung

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Die Weiße Flamme (Die Götterkriege 2) — Inhalt

Der zweite Band der „Götterkriege“ steht im Zeichen einer uralten Verschwörung: Nach einer abenteuerlichen Reise erreicht die Halbelfe Leandra in Begleitung von Schwertmajor Blix die Kronstadt von Illian. Dort soll sie den Thron über die drei Reiche besteigen und den Menschen der seit Monaten belagerten Stadt neue Hoffnung geben. Doch Kriegsfürst Corvulus hat das Heer des Feindes vor Illian versammelt und ein schreckliches Ultimatum ausgesprochen. Schon lodern in der Kronstadt die Scheiterhaufen der Weißen Flamme, und auch Schurke Wiesel gerät zwischen die Fronten der religiösen Fanatiker. Leandra bleibt nur wenig Zeit, um das Schicksal Illians zu wenden, bevor sie der Ketzerei überführt und hingerichtet werden soll …

€ 10,99 [D], € 11,30 [A]
Erschienen am 01.01.2012
560 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-26829-5
Download Cover
€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 09.12.2011
464 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-95239-2
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Leseprobe zu „Die Weiße Flamme (Die Götterkriege 2)“

In der Fremde



1  „Ich habe mal gedacht, ich wäre reich“, sagte Wiesel und schnitt den verschrumpelten Winterapfel in zwei Hälften. Die eine reichte er an Marla weiter. „Dieser Apfel hat mich zwei Silberstücke gekostet. Und auf dem Markt sah ich einen Jungen, der frische Ratten feilbot. Fünf Stück, gut durchgebraten und säuberlich enthaart, für eine halbe Krone.“ Die Ratte auf Marlas Schulter fiepte und legte den Kopf schief, um sich dann zu schütteln, als hätten Wiesels Worte sie erschreckt. „Man hat mich mehr als einmal einen dürren Hecht geschimpft“, [...]

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In der Fremde



1  „Ich habe mal gedacht, ich wäre reich“, sagte Wiesel und schnitt den verschrumpelten Winterapfel in zwei Hälften. Die eine reichte er an Marla weiter. „Dieser Apfel hat mich zwei Silberstücke gekostet. Und auf dem Markt sah ich einen Jungen, der frische Ratten feilbot. Fünf Stück, gut durchgebraten und säuberlich enthaart, für eine halbe Krone.“ Die Ratte auf Marlas Schulter fiepte und legte den Kopf schief, um sich dann zu schütteln, als hätten Wiesels Worte sie erschreckt. „Man hat mich mehr als einmal einen dürren Hecht geschimpft“, fuhr Wiesel fort und wies mit dem Stück seines Apfels verstohlen auf die anderen Gäste, die an diesem Morgen den Schankraum der Elfenmaid bevölkerten. „Aber wenn ich mich hier so umsehe, fühle ich mich fast schon fett. Und schuldig.“
„Die Stadt wird seit drei Monaten belagert“, nickte Marla und brach ein Stück von ihrem Apfel ab, um es ihrer Ratte zu geben. Die dunkelhaarige Schönheit und Priesterin des namenlosen Gottes sah sich verstohlen um, doch niemand schien ihnen beiden größere Beachtung zu schenken. „Dies ist erst der Anfang. Es wird noch schlimmer kommen.“ Sie blickte ihn fragend an. „Warst du wieder auf den Wällen?“
„Ja“, bestätigte er und biss genüsslich in den Apfel. „Ich habe mir einen Stock ans Knie gebunden und mir einen Lappen um den Kopf gewickelt, dass es aussah, als ob ich schon auf einem Auge geblendet wäre, ein rechter Krüppel halt, und doch hat man mich beinahe noch eingezogen, um Bolzen zu den Wällen hinaufzutragen.“
„Aber du hast dich herausreden können?“, fragte sie und lächelte dabei.
„Natürlich“, antwortete Wiesel scheinbar gekränkt. „Wie soll es denn auch anders sein?“
„Und, wie ist die Lage?“
„Unverändert. Sie sitzen dort, wir hier.“
Vom Wall aus hatte er die Ruinen der Unterstadt sehen können, die Rauchsäulen der unzähligen Lagerfeuer und ­ sogar, in der Ferne, Truppen des Feindes, die die breite ehemalige Prachtstraße entlangmarschierten. Und die großen Breschen in den äußeren Wällen, die von hier aus gerade noch zu erkennen waren.
„Sieht nicht so aus, als hätten die Mauern lange gehalten“, hatte Wiesel wie nebenbei festgestellt. Der alte Sergeant, der, auf eine Hellebarde gestützt, dort am linken Torturm Wache hielt, hatte ihm nur einen Blick zugeworfen und dann verächtlich über die Mauer gespuckt. So verwittert sein Gesicht war, hätte man meinen können, dass er schon immer hier ­gestanden hatte, aber unter den buschigen, grauen Augenbrauen war sein Ausdruck klar und aufmerksam. Von hier oben besaß man einen guten Blick, und Wiesel hatte seine Zweifel, ob dem Sergeanten auch nur eine Bewegung des Feinds entging.
„Ja“, meinte der Mann dann bitter. „Wir hatten mal einen König, der wollte, dass seine Stadt Kelar an Größe und Glanz überragt. Er ließ die Unterstadt anlegen, mit breiten, prachtvollen Alleen, großen Plätzen und Wällen, die elegant geschwungen waren. Sah hübsch aus“, gab er grimmig zu. „Doch seine hübschen Wälle fielen unter dem ersten Ansturm ... und dann diese schöne, breite Straße ... sie führte von hier zum neuen Osttor. Als die Wälle fielen, floh jeder, der konnte, in die alte Stadt, doch dank dieser schönen, breiten Straße konnte der Feind fast allen leicht den Weg abschneiden. Die meisten haben es nicht geschafft und wurden aufgespießt ... und die Pfähle dazu hat der Feind aus den Platanen geschlagen, die diese Straße säumten.“ Wieder spuckte er aus. »Hab gehört, es hätte nicht viel gefehlt und er hätte alle Zinnen ­sogar noch vergolden lassen, aber bevor er den Staatssäckel vollends ruinierte, hat ihn wohl der Schlag getroffen.«
Wiesel hatte nur genickt und nichts weiter dazu gesagt. Die Straße war breit genug für vier Ochsenkarren gewesen und auch für die verkohlten Reste eines Tribocks, der dort mitten zwischen den Ruinen stand. Weiter hinten standen zwei weitere; diese waren nicht abgefackelt, aber offenbar auch nicht fertig gebaut.
„Was ist mit den Belagerungsmaschinen dort hinten?“
Der Sergeant lachte bitter. „Sie dachten wohl, diese Mauern würden genauso leicht fallen. Aber da haben sie sich getäuscht. Askannon selbst hat diese Mauern hier errichtet ... und sie werden auch nicht fallen !“


Wiesel stellte fest, dass sich sein Haar gelöst hatte, zog den Lederriemen ab und band sich achtlos einen neuen Pferdeschwanz. »Es ist bedrückend: Man sieht die Ruinen der ­ Unterstadt, dann überall die Feuer des Feindes, die Flaggen und Zelte ... und die Pfähle.« Er schüttelte sich. „Heute waren es nur vier, die sie aufgespießt haben, es scheint, als gingen ihnen langsam die Opfer aus.“
Nur vier. Es gab auf der anderen Seite des Wehrgrabens hundert dieser Pfähle, und jeder einzelne war besetzt. Mittlerweile wussten sie beide, dass die feindlichen Truppen am Anfang der Belagerung jeden Tag einhundert Frauen und Kinder dort aufgespießt hatten ... Wiesel war dankbar dafür, dass es an diesem Morgen nur vier gewesen waren, dennoch würde er ihre Schreie so schnell nicht vergessen können. „Sie werfen ihre Toten in den Fluss“, fuhr er gedämpft fort. »Jetzt, wo es langsam wärmer wird, ist der Gestank fast unerträglich. Jeder, der auf den Wällen steht, trägt zumindest ein Gebetsband und atmet durch Tücher, die in geweihtem Wasser ­ getränkt sind ... und ein jeder hat Angst davor, dass die Pest ausbrechen wird. Ich hörte von einem alten Sergeanten, dass der Feind am Anfang sogar versucht hat, Tote über die Wälle zu werfen, aber sie kommen mit ihren Kriegsmaschinen nicht nahe genug heran, die Wälle sind zu hoch.«
„Ja“, nickte Marla, während ihre dunklen Augen einem korpulenten, gut gekleideten Mann folgten, der zusammen mit zwei jungen Frauen gerade die Schenke betreten hatte. Wichtig wandte er sich an den Wirt und verlangte mit lauter Stimme ein Zimmer mit einem großen Bett, während sich die beiden Frauen verschämt duckten und gar nicht wussten, wohin sie sehen sollten. „Die Wälle erinnern mich an die von Askir ... so hoch wie vier Häuser und fast doppelt so breit. Ich wusste gar nicht, dass es außer in Aldar noch andere solcher Wallanlagen gab. Und warum sie so breit sind.“
»Jetzt wissen wir es. Der Feind hat Belagerungsmaschinen gebaut, Triböcke, die wie Türme in den Himmel ragen, aber sie haben es aufgegeben. Sie stehen immer noch herum, doch niemand kümmert sich um sie. Ich hörte, ihre Geschosse ­wären einfach abgeprallt. Man hat wohl auch versucht, sie näher aufzustellen, ich habe drei gesehen, die mit Brand­pfeilen abgefackelt wurden, noch bevor sie fertig waren.« ­ Wiesel nahm einen Schluck von dem dünnen Bier, das ihn ebenfalls ein Vermögen gekostet hatte, und seufzte. „Die Mauern werden halten. Das ist nicht das Problem.“ Er folgte ihrem Blick zu dem korpulenten Mann, der die beiden Mädchen vor sich die Treppe zu den Zimmern hochschob, dann sah er auf ihre Hand hinab, die dunkle Muster über den Tisch zog, und hielt sie fest. Und fluchte leise, als die Spur aus ­Dunkelheit und Rauch, die sie eben noch in die Luft gezeichnet hatte, mit beißender Kälte nach ihm griff. „Lass das“, zischte er. „Oder willst du, dass sie dich hängen? Was hast du vorgehabt? Wolltest du ihm die Pest an den Hals wünschen? Damit löschst du die halbe Stadt aus.“
„Nichts dergleichen“, widersprach Marla beleidigt und zog ihre Hand aus seinem Griff, um sich ihr Handgelenk zu ­ reiben. „Nur, dass er ihm nicht steht.“
„Und dann?“, fragte Wiesel ungehalten. „Er wird es doch an ihnen auslassen!“ Er schüttelte den Kopf. „Du weißt doch, wie es ist.“
„Ja“, zischte sie. „Ich weiß, wie es ist, wenn sie einen begrabschen, auf einem herumreiten, einem mit ihrem stinkenden Atem ins Gesicht stöhnen und dann noch glauben, man hätte einen Spaß daran gehabt!“
„Dann solltest du eher hoffen, dass er schneller fertig ist“, flüsterte Wiesel und sah sich verstohlen um. Scheinbar hatte niemand etwas gesehen, und er atmete erleichtert auf. „Du kannst doch nicht einfach jeden verfluchen, der etwas tut, das dir nicht gefällt!“
„Und warum nicht?“, fragte sie verärgert. »Wäre dieses Schwein rechtschaffen und würde vor den Augen der Drei­einigkeit Gefallen finden, könnte ich ihm nichts anhaben. Es wirkt doch nur, wenn er sich schon meinem Gott verschrieben hat!«
„Ist das so?“ Er verspürte eine gewisse Erleichterung, als sie nickte.
„Natürlich“, empörte sie sich. „Es ergäbe wenig Sinn, wäre es anders! Ich sagte dir doch schon, die Götter haben nur Macht über die, die an sie glauben.“
„Nun ...“ Wiesel entspannte sich ein wenig. „Ich hörte noch nie davon, dass ein Priester des Boron jemanden verfluchte.“
„Sie können und sie tun es“, widersprach sie, darauf achtend, dass ihre Stimme nicht zu weit trug. „Sie nennen es die Strafe Borons, und doch ist es nichts anderes. Hast du schon einmal versucht, jemanden in der Nähe eines Tempels des Boron zu bestehlen?“
„Einmal. Nicht absichtlich“, gestand er und sah verlegen zur Seite. „Es ist einfach so geschehen, obwohl ich gar nicht wollte.“
„Und?“
„Sie hätten mich beinahe erwischt ... ich hab’s gerade noch rechtzeitig bemerkt, um dem fetten Kerl seinen Beutel wieder zuzustecken. Im nächsten Moment hat mich die Wache dann auch schon ergriffen.“ Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Sie waren mächtig sauer, dachten, ich hätte mir einen Scherz mit ihnen erlaubt ... von ein paar blauen Flecken abgesehen, ging es gerade so glimpflich für mich aus.“
„Siehst du“, sagte sie zufrieden. „Es ist das Gleiche.“
„Ach ja?“, meinte er skeptisch. „Es gibt doch wohl einen Unterschied zwischen Boron und dem Namenlosen!“
„Und welcher wäre das?“
„Abgesehen davon, dass man Boron keine Blutopfer bringt?“, bemerkte er spitz und nahm noch einen Schluck von dem Bier. Wenn man die dünne Brühe noch als Bier ­ bezeichnen konnte.
„Es bleibt das gleiche Prinzip“, beharrte sie. „Ob Blut, Obst oder Gold oder auch Gebete. Egal, was du ihnen opferst, es gibt ihnen Macht über dich.“ Sie legte den Kopf zur Seite und sah mit dunklen Augen nach oben. Selbst über die Geräusche und Gespräche aus dem Schankraum hinweg konnte auch Wiesel den spitzen Schrei hören. Sie ballte ihre Hände. „Es hätte nicht den Falschen getroffen“, sagte sie rau. „Glaube mir das, ich erkenne, wenn jemand ihm mehr dient als der Dreieinigkeit. Ihm zu wünschen, dass sein Hahn ihm nicht mehr kräht, ist weniger, als er verdient.“
„Das mag sein“, gab Wiesel zu und versuchte die Schreie zu überhören; er war nicht allein damit, niemand sonst hier im Gastraum schien sich darum zu kümmern. „Aber das ist nicht der Grund, warum wir hier sind.“ Er griff nach ihren geballten Händen und hielt sie, bis sie sich entspannte. „Dein Gott wird sich um ihn kümmern“, sagte er dann leise. „In der einen oder anderen Form. Doch da wir schon darüber sprechen ... hast du mittlerweile herausgefunden, warum er uns hier haben wollte?“
Sie schüttelte langsam den Kopf. „Ich habe gestern Nacht lange gebetet. Aber er hat mir keine Vision geschickt. Noch nicht“, beeilte sie sich zu sagen. „Ich bin sicher, dass er uns den Grund noch offenbaren wird.“
„Na dann“, sagte Wiesel und dachte mit Schaudern daran zurück, wie Marla neben dem Bett gekniet hatte und sich mehr und mehr in dunkle Schatten gehüllt hatte, bis sie scheinbar gänzlich in undurchdringlicher Dunkelheit aufgegangen war. Wenigstens hatte sie niemanden geopfert, dachte er und musterte sie verstohlen. Seitdem er sie zum ersten Mal gesehen hatte, damals in Istvans Gasthof, als sie kaum mehr als Kinder gewesen waren, hatte sie es verstanden, ihn tiefer zu berühren als jede andere, von Desina einmal abgesehen. Dass er ihr zutraute, auch ein Leben ihrem dunklen Gott zu opfern, und er dennoch hier mit ihr an einem Tisch saß, sprach Bände. Nur was in diesen stand, wusste er selbst noch nicht genau. Der namenlose Gott stand für alles, was schlecht an einem Menschen war, für Neid, Niedertracht und dunkle Gelüste ... und vor allem war er es gewesen, der den Fluch der Nekromantie über die Menschen gebracht hatte. Für alle Gläubigen der Dreieinigkeit galt, dass sie ein gottgefälliges Werk verrichteten, wenn sie einen der dunklen Priester erschlugen. Sie müsste auf einem Scheiterhaufen brennen, dachte Wiesel ... und doch sitze ich hier und unterhalte mich mit ihr, als wäre nichts dabei.
„Immerhin wissen wir jetzt, wo wir uns befinden. Das ist doch schon etwas.“
„Ja“, sagte er ungehalten. „In der Kronstadt von Illian. In einer Stadt, das möchte ich erwähnen, die von den Truppen des Nekromantenkaisers belagert wird.“ Wiesel hob seinen Becher an, sah, dass er leer war, und seufzte. So wie die Brühe schmeckte, hatte er wenig Lust, sich einen neuen Becher zu bestellen. Er sah sich in dem Gastraum um. Gut besucht war er nicht, außer ihnen gab es vielleicht ein gutes Dutzend Gäste. Man sprach in leisen Worten, und im Allgemeinen schien ein jeder niedergeschlagen und gedrückt zu sein. Das war das Problem, nicht die Mauern. Die würden länger halten.
Seit gestern hatte er sich vorsichtig umgehört, was ihm schwerer gefallen war als üblich. Die Leute hier sprachen ­Imperial, die kaiserliche Handelssprache, doch in den letzten siebenhundert Jahren hatte sie sich genug verändert, dass er Mühe hatte, sie zu verstehen, oder, schlimmer noch, nicht aufzufallen. Dass ein Appel ein Apfel war, konnte er sich denken, aber was, bei Borons Sandalen, war ein Decker oder auch ein Karrenstück?
„Immerhin wissen wir, dass Desina die Absicht hat, ein Tor hierher zu öffnen“, fügte Wiesel hinzu. „Wenn es ihr gelingt, kann die Stadt von Askir aus versorgt werden.“ Er sah auf seinen Becher hinab und schob ihn verächtlich zur Seite. „Vielleicht gibt es dann auch wieder anständiges Bier.“ Er sah sich um und schüttelte den Kopf. „Was ich nicht verstehe, ist, dass es schon so weit ist. Drei Monate ... für eine Belagerung ist das noch nicht so lang. Und dennoch wird schon alles knapp. Ich hörte von einer Stadt, die zwanzig Jahre lang belagert wurde ... so lange hält man hier nicht durch. Ich verstehe nur nicht, warum die Speicher schon derart leer sind.“
„Das kann ich dir sagen“, meinte Marla und winkte den Wirt heran, um sich einen neuen Tee zu bestellen. Vielleicht sollte er es damit versuchen, dachte Wiesel und schüttelte ­ zugleich den Kopf. Besser nicht, das Zeug ist so bitter, dass es mir die Zunge rollt. „Ich hörte, wie vorhin jemand darüber sprach. Sie sind es nicht. Nur gibt man das Korn nur spärlich aus, man spart schon jetzt, damit es länger hält. Der Speicher, in dem wir angekommen sind, gehörte zu denen, die man als Erstes leerte, weil im Winter das Dach undicht geworden ist und man vermeiden wollte, dass es schlecht wird.“
„Es mag sein, dass es noch Korn gibt“, gab Wiesel widerwillig zu. „Und dennoch gibt es schon genug, die hungern.“ Er wies mit seinem Blick zur Treppe hin. „Die beiden Mädchen gehören dazu.“
„Ja“, sagte sie leise. „Aber das hat mit vollen Speichern nichts zu tun. Solange ich lebe, waren die Speicher in Askir immer wohlgefüllt ... und doch habe ich oft genug gehungert.“
Götter, dachte Wiesel, daran konnte er sich auch nur zu gut erinnern. Deshalb hatten Desina und er sich auch aufs Stehlen verlegt, schneller konnte man sich den Bauch nicht füllen. Wenn man nicht erwischt wurde. Wenn man drei Tage mit einem Ohr an einen Pfosten genagelt wurde, half es einem auch nicht, satt zu werden.
„Was ich nicht verstehe, ist“, fuhr sie fort, „warum der Feind die Stadt schon im Winter belagern musste.“
„Richtig“, bestätigte Wiesel. „Sie sind gestorben wie die Fliegen, etwas, das man immer wieder hört, wenn man mit den Männern auf den Wällen spricht. Es gibt ihnen eine Art grimmiger Genugtuung.“
„Aber der Angriff war erfolgreich. Der Feind hat mit der Unterstadt vier von fünf Teilen der Stadt gleich am ersten Tag genommen.“ Sie tat eine Handbewegung, die nicht nur die Schenke, sondern die ganze Kronstadt einschloss. „Nur wenige konnten sich noch in die Kronstadt retten ... und wie es dem Rest ergangen ist, wissen wir ja auch.“ Sie dankte dem Mädchen, das ihr den Tee brachte. „Wir kennen so etwas nicht mehr“, ergänzte sie leise. „Wenn ich von den Kämpfen in der Ostmark hörte, ging es nie um Belagerungen.“
„Nur sind es hier keine Barbaren“, erinnerte er sie. „Wie ich hörte, hat der Feind im Winter gut die Hälfte seiner Leute verloren. Aber jetzt werden es weniger, die sterben, und ich hörte davon, dass man ab und zu schwere Wagen sieht, die den Feind versorgen. Und an Soldaten mangelt es ihnen wahrlich nicht.“ Er sah sie an. „Und nun? Warum hat dein Gott uns hergebracht? Was sollen ein Dieb und seine Priesterin hier für ihn tun?“
Marla trank ihren Tee in einem Zug aus. „Nicht gut, aber heiß“, murmelte sie wie zu sich selbst und zog ihren Beutel unter ihrem Umhang heraus, um ein paar Münzen auf den Tisch fallen zu lassen. „Vielleicht will er, dass wir es selbst herausfinden“, meinte sie. „Ich schlage vor, dass wir genau das tun. Es sollte nicht so schwer sein, herauszufinden, was hier im Argen liegt.“
„Das ist leicht zu finden“, stimmte Wiesel ihr zu und hängte sich sein Rapier an den Gürtel ein, um sich dann seinen neuen Mantel umzuwerfen. »Es fehlt jemand, der den Menschen Mut und Zuversicht zuspricht. Bevor Königin ­ Eleonora sich geopfert hat, ist es wohl anders gewesen. Doch seitdem sie nicht mehr ist ...« Er zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, dass die Menschen hier einfach nur der Mut verlassen hat.“
„Es hilft auch nicht, dass sie wissen, dass der Rest der drei Reiche schon lange gefallen ist. Sie sind die Einzigen, die noch ausharren, und sie können von niemandem Hilfe erwarten.“ Marla zog ihren Umhang enger zusammen, als Wiesel ihr die Tür aufhielt.
In den Südreichen war es im Allgemeinen wärmer als in Askir, doch an diesem Tag trug ein kalter Wind den Geruch von Schnee von dem nahen Gebirge heran. Die Stadt verdankte ihre Größe und ihren Einfluss weniger fruchtbaren Feldern als den Kupfer- und Eisenminen, die es hier reichlich gab. Und der Illa, dem Fluss, der ab hier schiffbar war und so Erze und anderes Handelsgut bis zur Lasse trug, die dann weiter südwestlich ins Meer floss. Nur dass der Flusshafen mit dem großen Marktplatz schon lange in die Hände des Feindes gefallen war. „Warum nur hat man jede zweite große Stadt nach dem Fluss benannt, an dem sie liegt?“
Sie warf ihm einen seltsamen Blick zu. „Warum denn nicht? So weiß man wenigstens, wo sie liegt und wie man sie findet.“
Auch wahr, dachte Wiesel.
Wie Askir auch, war die Stadt von Ringwällen und Wehrmauern durchzogen, nur wirkte hier alles enger und gedrängter. Bedrückend, fand Wiesel und folgte Marla durch die enge Gasse.
„Wohin?“, fragte er sie.
„Zum Markt. Händler sind geschwätzig. Und es gibt Tempel dort und die meisten Tavernen. Heute soll Markttag sein“, erinnerte sie ihn. „Wenn wir etwas herausfinden können, dann dort.“ Sie drehte sich um und wies mit ihrer behandschuhten Hand die Straße hinauf, die in einiger Entfernung vor einem Wehrtor endete. Ein vergoldetes Wappen mit einem Greifen darauf prangte über dem Tor.
„Oder in der Kronburg“, meinte sie. „Ich habe noch von keinem Adelshaus gehört, das keine Ränke schmiedet. Aber bevor wir es dort versuchen, hören wir uns lieber an, was man sich am Markt erzählt.“


Marla hatte recht, stellte Wiesel fest. Auch auf dem Markt herrschte gedrückte Stimmung, und auch die Händler taten, als täte es ihnen in der Seele weh, das wenige, das sie noch hatten, gegen horrende Summen zu verkaufen, tatsächlich aber strichen sie die Münzen so schnell ein, dass manche Händler nicht nur zwei, sondern gleich drei schwere, eisenverstärkte Geldkisten unter ihren Theken versteckten.
Aber solange es noch alles gab, jede leere Lade alsbald ­gegen eine volle ausgetauscht wurde, war die Lage nicht so schlimm.
Für die, die es sich leisten konnten.
„Die Preise sind zu hoch“, stellte Marla fest, während sie zusah, wie eine ältere Frau zwei Kartoffeln zurücklegte, nachdem der Händler ihr den Preis abgewogen hatte. Sie protestierte nicht, sie reichte ihm nur stumm ihre Kupferstücke und ging mit drei Kartoffeln davon. Sie hielt die Knollen mit beiden Händen an ihren Busen gedrückt, als handele es sich bei dem Erdgewächs um ihren größten Schatz. »Sie schröpfen ­jeden, wie sie nur können. Die Armen trifft es zuerst und am härtesten.«
„Ist es denn nicht immer so?“, fragte Wiesel leise und griff sie am Arm, um sie aus dem Weg eines Ochsenkarrens zu ziehen. Der Ochse stand nicht gerade gut im Fleisch, doch im Vergleich zu einigen der Marktbesucher war er noch gar prächtig genährt. „Dennoch, ich verstehe es nicht.“ Fast wie nebenbei streckte er die Hand aus und griff einen ausgemergelten Jungen an seinem dürren Hals, der sich gerade unter einem der Stände hindurchducken wollte.
„Lass mich los, du Eitergesicht!“, fluchte der in Lumpen gekleidete Junge und versuchte, sich aus Wiesels Händen zu winden.
„Aber gerne, da du so freundlich fragst“, lachte Wiesel. „Schau, ich helf dir noch, dass du schneller wegkommst!“ Damit gab er dem Jungen einen Tritt, der ihn nach vorne warf, was den Burschen nicht daran hinderte, sich wie eine Katze abzurollen, um dann loszurennen ... um einige Schritte später stehen zu bleiben, seine Lumpen abzutasten und dann ungläubig Wiesel anzustarren.
„Bei Borons krausen Haaren“, fluchte der Junge erbost. „Du Hundsfott hast mir meinen Raub gestohlen!“
„Ja“, nickte Wiesel und gab sich wenig Mühe, seine Erheiterung zu verbergen. „Schließlich ist es ja mein Beutel. Aber... warum rufst du es nicht noch lauter? Die Wache dort hat dich bestimmt noch nicht gehört.“
„Die schale Jungfer an dein Gemächt!“, schimpfte der Kerl und hob drohend die dürre Faust. „Das sollst du bereuen!“
Woraufhin Wiesel seinen Mantel aufschlug und dem Kerl den Griff seines Rapiers zeigte ... was den jungen Dieb dazu veranlasste, mit einem weiteren Fluch zwischen den Buden zu verschwinden.
Wiesel hörte Marla kichern und hob fragend eine Augenbraue, als er zu ihr hinübersah. Sie hielt eine Hand vor ihr Gesicht, das von ihrer Kapuze verborgen war, und hatte Tränen in den Augen.
„Borons krauses Haar“, prustete sie und schüttelte den Kopf. „Bei den Göttern, ich habe fast erwartet, dass ihn ein Blitz erschlägt.“ Sie wischte sich die Augen. „So jung und schon so begabt im Fluchen!“
Er schüttelte den Kopf und lachte auch. „Du hättest mal Desina hören sollen“, schmunzelte er. „Sie konnte es weitaus besser als dieser Kerl und in drei verschiedenen Sprachen, obgleich sie jünger war als er.“
„Ich weiß“, sagte Marla schwer atmend und hielt sich eine Hand an ihre Brust, um sich wieder zu beruhigen. „Rate mal, von wem sie lernte.“ Sie sah zu ihm hin und holte tief Luft, um sich zugleich erneut zu verschlucken. „Warum hast du ihm den Beutel nicht gelassen?“, fragte sie, als sie wieder zu Atem gekommen war. „Es war doch dein Köderbeutel, oder nicht? Du hast bestimmt nicht mehr als ein paar Kupfer darin.“
„Schon, aber er war ungeschickt“, erklärte Wiesel und klang fast schon beleidigt. Er schaute dorthin, wo der Junge verschwunden war. „Das muss man nicht noch unterstützen!“
„Du bist doch selbst ein Dieb gewesen, hast du nicht Mitleid mit ihm?“, fragte sie unschuldig, doch in ihren dunklen Augen stand der Schalk.
„Ebendeshalb“, knurrte Wiesel. „Dafür, dass er so verhungert scheint, ist er schnell genug zu Fuß. Die Lumpen, der Dreck, sogar das Fluchen dient nur dem Zweck, Mitleid zu erregen. Ich weiß es, denn so haben wir es auch getan ... nur haben wir mehr geübt, bevor wir unsere Finger riskierten.“ Er sah sich um. „Ich frage mich nur, wo sich der zweite Dieb verborgen hält.“
„Vielleicht war er allein“, meinte Marla.
Wiesel schüttelte den Kopf. „Dann ist er dumm. Alleine wird man zu schnell geschnappt.“
„Ich war auch allein, Wiesel“, erinnerte sie ihn. „Nicht jede hat das Glück, jemanden zu finden, dem sie vertrauen kann. Darum habe ich euch beide immer beneidet“, fuhr sie gedämpft fort. „Ihr habt alles geteilt, und es gab niemals den geringsten Zweifel, dass ihr füreinander einstehen würdet. Jeder Partner, mit dem ich es jemals versuchte, wollte früher oder später mehr von mir ... oder versuchte, einen Dolch in meinen Rippen zu versenken.“
Wiesel sah sie betroffen an. „Es tut mir leid ...“, begann er, doch sie wehrte ab.
„Dafür kannst du nichts. Das war, bevor Istvan mich erwischte ... wie dich dann später auch. Außerdem, als ich von Istvan fortging, folgte ich bereits einem anderen Weg.“
Wiesel wollte noch etwas sagen, doch sie zupfte ihn an ­ einem Ärmel und wies zur Seite hin. Nur ein Teil des Marktplatzes war von den Buden ausgefüllt, der größere Teil diente Schaustellern dazu, dem, der noch solche besaß, die Kupferstücke aus den Taschen zu ziehen. Allerlei Kunststücke wurden dort aufgeführt, auch wenn das Lächeln der Schausteller Wiesel etwas zu gepresst erschien. Allzu reich belohnt würden sie hier kaum werden.
Doch Marla wies auf eine Menschenmenge, die sich im hinteren Teil des Markts vor einem großen Tempel versammelt hatte. Über die Köpfe der Menge ragte ein einsamer, in Pech getränkter Pfahl in die Höhe, nach Osten hin hatte man zudem noch eine Plattform errichtet, auf der sich bereits ­einige gut gekleidete Sers und Seras eingefunden hatten. Selbst Stühle und Tische hatte man ihnen hingestellt, damit sie es auch ja bequem genug hatten.
„Oh, fein“, meinte Wiesel bitter, als er den Scheiterhaufen sah. „Wir kommen gerade recht zur Unterhaltung.“ Er kniff die Augen zusammen, um die Inschrift auf dem Tempelfirst besser lesen zu können. „Das ist ein Tempel Borons“, stellte er erstaunt fest. „Seit wann errichtet man Scheiterhaufen vor seinem Tempel?“
»Frag lieber, seit wann seine Priester solche Scheiter­haufen anzünden«, antwortete Marla leise und wies mit ihrer behandschuhten Hand auf eine schlanke, nachgerade dürre Gestalt in der Robe eines Borondieners, die auf einer Plattform nahe des Scheiterhaufens stand und sich mit einer reich gekleideten Sera unterhielt. Ihr zur Seite standen zwei Tempelwachen mit Armbrüsten, die mit mürrischen Gesichtern die Menschenmenge im Auge hielten.
Wiesel griff sich einen der Passanten, der auch auf dem Weg zur Hinrichtung war.
„Sagt, guter Mann, was geschieht hier?“, fragte Wiesel, sehr darauf bedacht, den hiesigen Sprachklang nachzuahmen. Die Stadt wurde belagert, und wenn man als zu fremd erschien, konnte das jemanden auf Gedanken bringen. Der Mann erschien Wiesel nicht wie jemand, der einer ehrlichen Arbeit nachging, dennoch trug er einen Korb mit Tomaten bei sich. Faulen Tomaten, stellte Wiesel fest. Wenn er die noch jemandem andrehen konnte, dann war er wahrlich ein Meister.
„Sie haben eine Nekromantin ertappt ... wo seid ihr denn gewesen, dass ihr das nicht gehört habt?“, fragte der Mann und musterte sie beide misstrauisch.
„Ich habe mir den Fuß gebrochen, und mein Bruder hat mich gepflegt“, erklärte Marla mit einem verlegenen Lächeln und spielte mit einem Finger an ihrem Haar. „Er hat sich um mich gekümmert und kaum das Haus verlassen.“
„Und woher weiß man, dass sie eine Nekromantin ist?“, hakte Wiesel nach.
»Man hat sie beobachtet, wie sie mit einem Dämon ge­legen hat, und außerdem ist sie geständig.« Der Mann riss seinen Ärmel aus Wiesels Hand. „Und jetzt haltet mich nicht länger auf, ich will es nicht verpassen, sie brennen zu sehen.“ Mit einem letzten misstrauischen Blick eilte der Mann davon.
„Was für ein mürrischer Kerl“, beschwerte sich Wiesel, während sein Blick dem davoneilenden Mann folgte, um sich dann wieder auf den Scheiterhaufen und den Priester zu richten.
„Ein Lichtbrand“, stellte er mit belegter Stimme fest. „Ein geweihtes Feuer Borons, das die Unschuldigen unberührt lässt.“ Er sah Marla fragend an. „Glaubst du, dass das möglich ist?“
„Wenn die Götter wollen, ist alles möglich“, meinte sie, doch die feine Falte auf ihrer Stirn verriet Wiesel, dass sie auch nicht glücklich über den Anblick war.
„Ich habe da meine Zweifel“, widersprach Wiesel. „In Aldane gibt es einen Kult, der das auch behauptet hat. Nur hat es meines Wissens niemals Unschuldige gegeben. Tatsächlich war es nur ein Vorwand für Nekromanten gewesen, sich der Talente der Getöteten zu bedienen.“
„Ich hörte davon“, nickte Marla. „Aber auch, dass es in Wahrheit keine gottgeweihten Feuer waren. Doch der Mann dort trägt die Roben Borons, das ist etwas anderes.“
Langsam kamen sie näher. Wiesel hatte es nicht besonders eilig. Er hielt nicht viel von öffentlichen Hinrichtungen. In seinem Beruf hatte stets die Gefahr bestanden, dass er auf ­einer Richtplattform enden würde, um selbst einer johlenden Meute die Hauptattraktion zu geben. Doch selbst wenn ein Dieb seine Hand auf einem Richtblock verlor, konnte man ­sicher sein, dass sich derweil andere in der dicht gedrängten Masse an den Geldbeuteln der Gaffer bedienten.
Gericht und Strafe, das sah auch Wiesel ein, waren notwendig, um allem einen Rahmen zu geben, aber ein Scheiter­haufen? Einmal, in seiner Kindheit, war Wiesel nur knapp dem Feuer entronnen, und Desinas Mutter war mit einem gelegten Brand ermordet worden. Er hatte gesehen, was die gierigen Flammen anrichten konnten ... und das wünschte er nicht seinem ärgsten Feind.
„Sie sterben nicht am Feuer“, sagte Marla leise, als hätte sie seine Gedanken erraten.
„Es ist der Rauch, der sie vorher schon umbringt. Wenn kein Wind weht, der den Rauch vertreibt.“ Er folgte ihrem Blick hin zu einem großen Haus, das am Rand des Marktplatzes stand. Die Kornbörse wahrscheinlich, dachte Wiesel, als er das Schild mit den Säcken darauf sah. Dort am Dachfirst befand sich ein Fahnenmast, auf dem eine Fahne sich nur träge bewegte.
„Also kann man ihr wünschen, dass der Wind nicht auffrischt“, stellte Wiesel betreten fest.
Vor ihrem kleinen Ausritt in die Albträume anderer Menschen hatten sich sowohl Wiesel als auch Marla heraus­geputzt, vor allem Marla war eine Freude für die Augen. ­Obwohl ihr Kleid und Mantel es an Verzierungen und ­ Stickereien missen ließen, musste man, Wiesels Erfahrung nach, für solchen Stoff und solche feinen Nähte stets das Gold durch die Nase bluten. Allein ihr Schleier, so fein gewebt, dass das Gespinst einer Spinne grob dagegen wirkte, musste ein Vermögen gekostet haben.
Wiesel selbst, mit seinem neuen Mantel, Wams, den neuen Hosen und dem Hut, der sogar seinen Kampf gegen den Kriegsfürsten schadlos überstanden hatte, wirkte wohlhabend und elegant, sogar die kecke Feder an seinem Hut wippte noch bei jedem seiner Schritte, auch wenn sie jetzt kürzer war als am Anfang seiner Reise; bei dem Kampf gegen den Nekromanten war Wiesel selbst auf seinen Hut getreten und hatte sie nahe dem Schaft geknickt.
Abgesehen von einem Riss und einem Schnitt an seinem linken Ärmel und Marlas verstauchtem Fuß hatten sie das Abenteuer bisher ohne größeren Schaden überstanden. Vielleicht war das der Grund, warum eine Stadtwache, die sie kommen sah, sie zur Seite winkte. Alleine die Geste reichte schon, um Wiesel das Herz im Halse schlagen zu lassen, nur mit Mühe gelang ihm ein unverbindliches Lächeln, als Marla und er dem Wink mit der gepanzerten Hand folgten. Während er noch überlegte, wo er auffällig gewesen sein konnte oder was man ihm hier in dieser fremden Stadt bereits schon jetzt vorwerfen konnte, war es Marla, die als Erste verstand und leise lachte.
„Du kannst dich wieder beruhigen“, teilte sie ihm mit einem feinen Lächeln mit und nickte einer weiteren Wache zu, die für die beiden ein schweres Seil anhob. Dahinter fand sich ein mit einem weiteren Seil abgesperrter Bereich, ein langer Gang, der durch die Menschenmenge führte und an einer Treppe mündete. Eine Treppe, die zu der Plattform führte, auf der auch der Priester und die Sera standen ... und im Hintergrund Platz für den Adel und die bessere Gesellschaft Illians bot, die sich ein solches Schauspiel nicht entgehen lassen wollte. „Er hält uns für von Adel. Oder zumindest für wichtig.“ Sie grinste breit. „Die besten Diebe sind stets gut gekleidet, denk nur an die Zinsverleiher!“
„Dann werden wir ihm besser nicht widersprechen“, meinte Wiesel und bot ihr seinen Arm, als sie gemeinsam die hölzernen Stufen erklommen. Er sah, wie sie ihr Gesicht verzog, als sie den gestauchten Fuß aufsetzte. „Wir sollten uns um deinen Knöchel kümmern“, meinte er.
„Ja. Aber später. Jetzt ist nicht die Zeit dafür.“
Eine junge Frau im Gewand eines Pagen, dessen eng anliegende Stoffhosen ihre Beine fast schon unschicklich betonten, führte sie zu einem Platz, wo sich neben einem niedrigen Tisch noch freie Sitzplätze befanden.
„Mein Name ist Serene, Ser, Sera“, teilte sie Marla und Wiesel mit. „Wenn ihr Wünsche habt, dann ruft mich herbei. Meister Ludwig trägt mir auf, euch zu berichten, dass es ihm eine Ehre ist, euch heute als seine Gäste zu bewirten. Er lässt heute den Sperberacher empfehlen, einen kräftigen roten Wein von erlesener Entwicklung, dazu bietet er auch einen Braten an, in schwerer Soße und mit Pilzen.“ Sie beugte sich etwas vor. »Wenn Ihr die Münze dazu habt, dann ist er
auch bereit, seinen privaten Vorrat an Kafje mit euch zu ­ teilen.«
„Danke“, antwortete Marla freundlich. „Mein Bruder und ich wissen das Angebot zu schätzen.“ Sie legte ihre Stirn in Falten. „Wenn Ihr nun noch erwähnen wollt, wer Meister Ludwig ist?“
„Er führt den ›Goldenen Kessel‹ gleich hier am Markt, wenn es Euch beliebt, Sera. Wenn Ihr ihn nicht kennt, wird er glücklich sein, euch in Zukunft als seine Gäste dort willkommen zu heißen.“
„Danke, Serene“, meinte Marla hoheitsvoll. „Eine Karaffe von dem gepriesenen Wein und zwei Kelche für mich und meinen Bruder.“ Eine Silbermünze erschien zwischen Marlas Fingerspitzen. „Habt Dank für Eure Freundlichkeit.“
„So, einen Braten bietet der Meister Ludwig uns hier an. Wie passend“, meinte Wiesel bitter, als die junge Sera außer Hörweite war. Sein Blick fiel auf den Scheiterhaufen und den Pfahl, der dort in die Höhe ragte. Schwere Ketten waren mit Bolzen an dem dicken Balken aus Eichenholz festgemacht. Dann sah er zurück zu der Pagin, die nun zu einer älteren Sera eilte, die in Spitze und Seide angetan mit einer herrischen Handbewegung Aufmerksamkeit verlangte. „So macht man also ein Geschäft“, stellte er dann voller Abscheu fest. Er wies mit seinem Blick zum Pfahl. „Schau, wie die Halsschelle angebracht ist. Nicht nur, dass man sie verbrennt, so wie man sie anketten wird, ist sie gezwungen, uns beim vornehmen Speisen zuzusehen ... wie muss das sein, zu wissen, dass man sterben wird und dies Schauspiel den hohen Sers als Unterhaltung zwischen Vorspeise und Hauptgang dient ... einem Braten!“
„Sprich leiser“, mahnte ihn Marla verstohlen, während sie ein Lächeln auf ihre Lippen zauberte, um mit einer eleganten Neigung ihres Haupts einer Matrone zuzunicken, die nicht weit von ihnen saß und sie mit gerunzelter Stirn betrachtete. „Und, vor allem, mach ein freundliches Gesicht und tue so, als sei all dies selbstverständlich!“
„Verstehst du dich denn darauf, dich in die feinere Gesellschaft einzuschmeicheln?“, fragte Wiesel missmutig, doch als eine andere Pagin ihnen auf einem silbernen Tablett die Karaffe und den Wein servierte, folgte er Marlas Rat und ­ lächelte. Freundlich.
„Ja“, antwortete Marla, ohne die Lippen zu bewegen, die noch immer einen huldvollen Ausdruck aufrechterhielten. „Sei nicht zu freundlich zu den Mädchen, sie ... oh, vergiss es“, fügte sie hinzu, als sie sah, wie einer der anderen Gäste Serene an den Hintern griff ... woraufhin diese sich nur ­ lächelnd mit einer eleganten Drehung aus den Fingern löste, ein Kunststück, in dem sie sichtlich einiges an Übung besaß. „Offenbar verkauft dieser Meister Ludwig mehr als nur Wein und Braten. Und sieh mal, wer da kommt“, fügte sie verärgert hinzu. „Unser Freund aus der Taverne ... frisch in seiner Manneskraft bestätigt und wohlgemut bei der Aussicht auf das Schauspiel, das nun folgen soll.“ Sie sah vorwurfsvoll zu Wiesel hin. „Ich wollte, du hättest mich vorhin nicht gehindert, ich hätte ihm zu gern den Tag verdorben.“
Wiesel antwortete nichts darauf, sonst hätte er zugeben müssen, mit ihr nun doch einer Meinung zu sein.
Langsam füllte sich die Plattform mit den Schönen, Reichen und Mächtigen der Stadt. Eine Gelegenheit, den Pfau zu geben, dachte Wiesel bitter, während er versuchte einzuordnen, wer diese Leute waren.
Adelige, zum größten Teil, gut erkennbar an den Schwertern, die sie an ihrer Seite trugen, und den kostbaren Stickereien. Sie lachten und scherzten am lautesten, schienen vollends unbekümmert und unberührt. Hier, von der Plattform aus, hatte Wiesel zwischen zwei Dächern hindurch einen Blick auf die Stadtmauer, auf der sich ferne Gestalten bewegten. Dass die Stadt belagert wurde, kümmerte diese hohen Sers und Seras wohl wenig. Andere waren ganz offensichtlich erfolgreiche Handelsherren und Kaufleute, sie ahmten in der Mode den Adel nach, auch wenn sie auf silberne und goldene Stickereien verzichteten. Für manche von ihnen war die Belagerung ganz gewiss ein Geschenk der Götter, sie konnten nun ihre Waren teuer verkaufen. Aber es gab auch andere, die weniger glücklich schienen, hier zu sein. Dann gab es noch den Teil, der zur Aufgabe hatte, unsichtbar zu sein, die Dienstboten, Zofen und Schreiber, die geflissentlich darauf achteten, dass ihre Mienen nichts von dem zeigten, was sie denken mochten.
Eine erlesene Gesellschaft, dachte Wiesel voller Abscheu. In Askir hatte der Adel wenig Einfluss, es war eine Stadt der Händler, die mit einem Federstrich auf ihren Verträgen oftmals mehr Macht ausübten als ein Adeliger mit seinen ­Rittern. Manche von ihnen waren rechtschaffen und göttergefällig und gingen gewissenhaft ihrer Arbeit nach, andere wussten, wie sie sich an Schwächeren bereichern konnten; gerade solche hatte Wiesel früher oft des Nachts besucht. An Selbstgefälligkeit wurden sie nur vom Adel übertroffen.
Doch es gab auch beim Adel solche, die Wiesel respek­tieren konnte. Baronet Tarkan von Freise zum Beispiel, der seine Gesundheit und beinahe sein Leben dafür gegeben hatte, Askir gegen den Angriff des Nekromantenkaisers zu verteidigen, doch im Allgemeinen hatte Wiesel vor dem Adel weniger Achtung als vor dem Dieb mit dem losen Mundwerk von vorhin.
»Das Werk der eigenen Hand ernährt den Menschen ­redlich«, hatte Istvan, Desinas und Wiesels Ziehvater, oft ­ genug gesagt. „Schaffen so viele andere Hände für einen, dass die eigenen nur Müßiggang erfahren, verdirbt es den Charakter.“
Als jemand, der von der eigenen Hände Werk und anderer Leute Geld gut hatte leben können, sah Wiesel das trotzdem nicht viel anders. Denn was Istvan damit anprangern wollte, war zum größten Teil die Gier; diese fehlte Wiesel fast gänzlich, er war zufrieden, wenn er hatte, was er brauchte.
Marla stieß ihn sachte mit dem Fuß und nickte in Richtung des Priesters, der dort noch immer stand und sich mit der kostbar gekleideten Sera besprach. Jetzt, da sie näher waren und besser sehen konnten, blieben drei Dinge nicht verborgen: Die goldgewirkten Zeichen auf der Robe des Priesters wiesen ihn als den obersten Diener seines Glaubens aus, und er war viel zu jung dafür, mehr als dreißig Jahre alt konnte er kaum sein.
Die Sera hingegen, die aus der Entfernung mit ihrer schlanken und gefälligen Figur so jugendlich gewirkt hatte, war hochbetagt. Sie trug ihre Falten wie Banner, und anders als die meisten Seras hier hatte sie auf Puder und Schminke verzichtet. Was vorher aus der Ferne wie eine freundliche Unterhaltung erschienen war, war keine; die Art, wie sie die Augenbrauen zusammenzog und den faltigen Mund zu ­einem schmalen Strich presste, verriet überdeutlich, wie unzufrieden sie mit dem Priester war.
Immer wieder wies sie mit ihrer linken Hand zum Scheiterhaufen hin, einmal schien es Wiesel sogar, als ob sie kurz ­davor wäre, wütend mit dem Fuße aufzustampfen, doch der junge Priester ließ sich nicht beeindrucken, immer wieder schüttelte er leicht den Kopf. Was auch immer die ältere Sera an Argumenten ihm vorlegte, immer wieder war es das Gleiche, er lächelte, als wolle er zeigen, dass er es ihr nicht übel nahm, anderer Meinung zu sein, und schüttelte den Kopf.
„Ich frage mich, wer sie ist“, hörte Wiesel Marla flüstern. „Ihr Wort muss Gewicht besitzen, wenn sie so mit ihm streiten kann. Auch wenn er nicht hören will, was sie ihm sagt. Dieser Priester ... seine Meinung ist wie Stein, vorgefasst und unverrückbar. Ich weiß nicht, was es an ihm ist“, fügte sie so leise hinzu, dass er sie kaum hören konnte. »Aber ­ allein sein Anblick lässt mich schaudern.«
Und dazu, dachte Wiesel, gehörte einiges. Schließlich war es Marla, die das sagte. Vor den Priestern Borons hatte Wiesel gemeinhin einen großen Respekt. Auf dem Hartmarkt in Askir gab es einen kleinen Schrein, der Bruder dort schien ein jedes Mal ohne Mühe in den Grund von Wiesels Seele zu sehen ... und das eine oder andere Mal hatte der Priester Wiesel schon die Irrungen seines Weges vor Augen führen können. Zuletzt hatte er dem blonden Dieb sogar einen ­ Segen erteilt.
Ein Segen, der, wie sich Wiesel im Geheimen eingestand, ihm damals Mut gegeben hatte, als er sich gegen die Seelenreiter hatte stellen müssen.
Eines war der Priesterschaft Borons eigen: ein unerschütterlicher Glauben an ihren Gott und die Gerechtigkeit. Für Letzteres jedoch brauchte es eines ganz besonders, die Fähigkeit, beide Seiten zu sehen und ihren Argumenten zu lauschen. Dass jemand vor den Gott selbst trat, um vor seinen Augen Zeugnis abzulegen, war eher selten, meist lösten die Priester des Gottes die Dispute nur mit ihrem scharfen Verstand.
Doch eine Selbstgefälligkeit, wie sie dieser Priester zeigte, war Wiesel bei den Dienern dieses Gottes unbekannt.

Richard Schwartz

Über Richard Schwartz

Biografie

Richard Schwartz, geboren 1958 in Frankfurt, hat eine Ausbildung als Flugzeugmechaniker und ein Studium der Elektrotechnik und Informatik absolviert. Er arbeitete als Tankwart, Postfahrer und Systemprogrammierer und restauriert Autos und Motorräder. Am liebsten widmet er sich jedoch phantastischen...

Weitere Titel der Serie „Die Götterkriege“

Nach einem tragischen Verlust begibt sich die Magierin und Halbelfe Leandra auf eine epische Reise: Sie folgt den Spuren eines Mörders. Gleichzeitig bahnt sich zwischen den Göttern ein furchtbarer Krieg an … „Die Götterkriege“ ist nach „Das Geheimnis von Askir“ die neue High-Fantasy-Saga von Richard Schwartz – und ebenso grandios.

Pressestimmen
Onlinezeitung

„Richard Schwartz erschafft eine erstaunlich komplexe Welt mit dreidimensionalen Figuren und einer unheimlich verstrickten, vielfältigen Handlung. (...) Schwartz hat auch mit diesem Roman wieder eine wunderbare Geschichte erschaffen, die sich zu lesen lohnt.“

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