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Der Griff nach den Sternen (Schicksalsmomente der Geschichte 6)

Michael Wallner
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Roman

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Der Griff nach den Sternen (Schicksalsmomente der Geschichte 6) — Inhalt

Dramatisch, bewegend, unvergesslich – die Landung auf dem Mond ist einer der großen historischen Momente, eingebrannt in das kollektive Gedächtnis der Menschheit. In „Der Griff nach den Sternen“ lässt Michael Wallner dieses einmalige geschichtliche Ereignis in einem ebenso emotionalen wie packenden Roman lebendig werden. 

Erfüllung eines Menschheitstraums, Triumph für die Wissenschaft, symbolischer Sieg im kalten Krieg – die Eroberung des Mondes war ein Schicksalsmoment für die ganze Welt. Aber sie prägte und veränderte auch das Leben ganz normaler Menschen – von ihren wahren Geschichten ist „Der Griff nach den Sternen“ inspiriert. Nicht zuletzt von den Lebensgeschichten der Pilotinnen des Mercury 13-Programms und den Mathematikerinnen und „menschlichen Computern“, die auch den Roman „Hidden Figures“ inspirierten.

Gehört der Mond nur den Männern? 

16. Juli 1969: Als der Countdown für den Flug zum Mond beginnt, ist Pilotin und Wissenschaftlerin Katy Bellheim die einzige Frau im Kontrollzentrum der NASA. Schon als Kind träumte sie vom Fliegen und als erwachsene Frau gar davon, selbst das All zu erobern. Doch die Vorurteile ihrer Zeit, die Frauen eher in der Küche sieht als im Weltraum, bremsten ihre Karriere immer wieder aus. Bis sie in John F. Kennedy einen wichtigen Förderer fand. Auf einmal schien der Griff nach den Sternen möglich …

„Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein riesiger Sprung für die Menschheit.“ Neil Armstrong

In seinem exzellent recherchierten historischen Roman erzählt Michael Wallner nicht nur von einem Schicksalsmoment der großen Geschichte, sondern auch von den persönlichen Schicksalsschlägen seiner starken weiblichen Heldin. So ist „Der Griff nach den Sternen“ auch die fesselnde Geschichte einer Frau mit großen Träumen in einer Zeit, in der Frauen nicht träumen durften .

Der Wettlauf zum Mond wird für eine Frau zum Kampf um Gleichberechtigung und ihren persönlichen Traum! 

€ 17,00 [D], € 17,50 [A]
Erscheint am 31.05.2024
256 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-06456-9
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€ 5,99 [D], € 5,99 [A]
Erscheint am 31.05.2024
256 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60799-5
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Leseprobe zu „Der Griff nach den Sternen (Schicksalsmomente der Geschichte 6)“

Prolog

Alle Herrlichkeit

Virginia, USA, Juli 1941


Katy trug die Lederjacke ihres Vaters, auch seine Fliegerkappe. Begeistert blickte sie zu der neuen Maschine hoch. „Sie sieht aus wie ein Kampfflugzeug.“

„Das war sie auch einmal. Es ist eine Flaco T3“, antwortete ihr Vater vor dem Start. „Es wurden allerdings nur achtzig Stück davon gebaut, bis man herausfand, dass sie ihre Tücken hat.“

Katy beobachtete, wie er auf die Tragfläche kletterte. „Tücken?“

„Sie besitzt kein Querruder. Bei neun Metern Spannweite ist das riskant. Sie schmiert leicht ab!“, rief er [...]

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Prolog

Alle Herrlichkeit

Virginia, USA, Juli 1941


Katy trug die Lederjacke ihres Vaters, auch seine Fliegerkappe. Begeistert blickte sie zu der neuen Maschine hoch. „Sie sieht aus wie ein Kampfflugzeug.“

„Das war sie auch einmal. Es ist eine Flaco T3“, antwortete ihr Vater vor dem Start. „Es wurden allerdings nur achtzig Stück davon gebaut, bis man herausfand, dass sie ihre Tücken hat.“

Katy beobachtete, wie er auf die Tragfläche kletterte. „Tücken?“

„Sie besitzt kein Querruder. Bei neun Metern Spannweite ist das riskant. Sie schmiert leicht ab!“, rief er über die Schulter. „Beim Landen kann das heikel werden.“

„Du machst das schon, Daddy.“ Katy trat vor die Maschine.

Er öffnete die Treibstoffzufuhr und hob den Daumen. „Zündung!“

Vor dem Flugzeug sprang Katy zum Propeller hoch und brachte ihn mit ihrem Körpergewicht zur Drehung. Das stählerne Ding rotierte zweimal, dreimal, ohne Ergebnis.

Ihr Vater verstellte ein Ventil und rief: „Zündung!“

Katy wiederholte den Vorgang. Der Propeller erwachte zum Leben, kreiste und sauste, bis das Auge ihn nur noch als helle Scheibe wahrnahm, begleitet vom Dröhnen der dreihundert Pferdestärken. Der Vater winkte Katy. Flink kletterte sie auf die Tragfläche und ins Cockpit, wo sie sich auf den Rücksitz sinken ließ. Die Flaco setzte sich in Bewegung.

Die Fahrt über die Wiese fühlte sich holprig an; es schien unvorstellbar, sich aus so einem Geruckel und Geschaukel in die Luft zu erheben. Die Flaco wurde schneller, sprang über Unebenheiten hinweg und setzte wieder auf, bis John den Steuerknüppel nach hinten zog.

Und plötzlich war da die Schwerelosigkeit, der gewölbte Horizont, darüber das milchige Blau der Luftschichten, Land und Wasser, alle Herrlichkeit der Welt. In diesem Augenblick fühlte Katy die Verwandlung von einem Erdenwesen in ein Geschöpf, das seine Schwere abschüttelte. Vor Glück riss sie die Arme in die Luft.

„Sitzt du bequem?“ Daddy drehte sich um.

Bequem saß Katy nicht, und doch thronte sie, thronte in den Himmeln, flog über die sanfte Landschaft hinweg und sah das Meer. Das Motordröhnen war ihre Begleitmusik, der Flugwind kühlte ihre Wangen. Daddy zog die Flaco höher und höher, bis man in der Ferne schon die Ausläufer von Delaware sah. Von dort war Washington nicht mehr weit.

Katy legte den Kopf zurück, über ihr gab es nur noch luftige Leere. Sie betrachtete ihren Vater, dessen Schal im Luftstrom flatterte, beugte sich vor und beobachtete seine Handgriffe. Es schien kinderleicht zu sein, fast, als mache die Maschine alles von selbst. Er drehte eine Schleife über dem Meer. Dort unten zogen die Schiffe ihre Routen über die Chesapeake Bay bis nach Richmond. Dann kehrten sie zum Festland zurück.

Aus der Luft erschien die Wiese als Landebahn viel zu kurz. Beim ersten Anflug brachte eine Bö das Flugzeug aus dem Gleichgewicht, die Tragflächen torkelten auf und ab.

Beim zweiten Mal flog Daddy von der Meeresseite an. Am Ende des Grünstreifens erhoben sich massive Felsen.

Er drehte sich um. „Jetzt kommt’s darauf an!“ Weiß blitzten seine Zähne in dem lachenden Gesicht. Er ließ das Flugzeug steil absacken, bevor er es in die Waagrechte zog und die Klappen drosselte. Der Ruck des Aufsetzens war härter als erwartet.

Doch die Flaco wollte sich mit dem festen Grund noch nicht anfreunden, sprang wieder empor, schwebte ein kurzes Stück, setzte auf und raste über die Wiese. Vor ihnen konnte Katy schon die Einzelheiten der Felsen erkennen. Stachelige Sträucher wuchsen aus ihren Ritzen.

„Du schaffst das“, murmelte sie.

Kurz vor dem Ende der Piste zog ihr Vater die Flaco nach links. Durch den Schwung hob das rechte Rad vom Boden ab, die linke Tragfläche streifte die Büsche. Ein letzter Ruck, Katy schlug mit dem Kopf gegen den Bordrahmen.

Das Flugzeug stand still.



Countdown


1

Wir sind auf „Go“

Houston, Texas, 16. Juli 1969


Gene Kranz rauchte die zehnte Zigarette seit Dienstbeginn. Er nahm einen Zug, legte sie in seinen rot karierten Aschenbecher, blies den Rauch aus und trank einen Schluck Kaffee aus der NASA-Tasse. Er zog das Mikrofon näher.

„Apollo 11 – an alle Flugkontrollen.“

Er wartete, bis auf den Kanälen absolute Stille eingetreten war. „Ich brauche ein Go oder No go für den Start. Antrieb?“

„Go.“

„Flugbahn?“

„Flugbahn ist bereit.“

„Leitsystem?“

„Go.“

„Gesundheitskontrolle?“

„Go.“

„Energie?“

„Go.“

„GNC?“

„Computersteuerung go.“

„Landemodul?“

„Go, Gene.“

Das Mission Control Center in Houston, Texas, war ein Raum ohne Fenster mit dreihundert Arbeitsplätzen und ebenso vielen Computern. Die Stühle waren unbequem und führten bei langen Arbeitszeiten zu Rückenproblemen. Die Tastaturpositionen waren zu hoch, weshalb die meisten über Gelenkschmerzen klagten. Die Beleuchtung kam von oben; dieses Licht spiegelte sich teilweise in den Computerbildschirmen und belastete die Augen. Die Pulte der Monitore waren in freundlichem Lindgrün gehalten, vielleicht um Beschwerden über die Missstände vorzubeugen. Wenn es trotzdem dazu kam, hatte Flugdirektor Kranz für seine Crew eine einfache Antwort: „Wir haben bei dieser Beleuchtung den Weltraum erobert. Wir werden bei dieser Beleuchtung auch zum Mond fliegen. Also haltet die Klappe, und macht eure Arbeit!“

Das Control Center war ein Palast ohne Fenster. Die Hitze stieg in Texas manchmal auf fünfundvierzig Grad Celsius; ohne Sonneneinstrahlung war es leichter, die Computer kühl zu halten. Die künstliche Beleuchtung mochte unangenehm sein, erleichterte es den Technikern aber, zu Zeiten zu schlafen, wenn sie normalerweise nicht ins Bett gingen.

Katy Bellheim war die einzige Frau in einem Raum voller Männer. Sie gehörte zum Team für die Vektorberechnung. Ihre Abteilung war für die mathematische Justierung von Erdaustritt und Mondeintritt verantwortlich.

Jeder der dreihundert Männer trug ein weißes Kurzarmhemd mit dunkler Krawatte. Katy trug Blau. Kein leuchtendes Blau, und doch wirkte ihr Kostüm innerhalb der nüchternen Gemeinschaft wie ein Signal des Aufbruchs.

Für den heutigen Anlass hatte Flugdirektor Kranz eine weiße Weste mit aufgesticktem NASA-Emblem gewählt. Dass die Kollegen ihn für diese Verkleidung aufzogen, war ihm egal. Seine Frau hatte diese Weste genäht, und er gedachte sie zu tragen, bis die Astronauten wieder sicher auf der Erde gelandet waren.

„Koordination und Kommunikation?“, setzte er die Checkliste fort.

„Go.“

„Netzwerk?“

„Bereit.“

„Bergung?“

„Go.“

„Sprachkontrolle Capcom?“

„Wir haben ein Go“, sagte der Kollege mit der sonoren Stimme. Er hatte früher einmal Werbung eingesprochen. Sein beruhigendes Organ sollte den Astronauten in jeder Lage Zuversicht vermitteln.

Gene Kranz zog an der Zigarette und beugte sich über das Mikrofon. „Launch Control, Florida, hier spricht Houston. Wir sind bereit für den Start.“

Seine Durchsage wurde in tausend Meilen Entfernung gehört und mit Genugtuung aufgenommen. Das Launch Control Center lag in Cape Kennedy, Florida, auf der anderen Seite des Golfs von Mexiko, auf der anderen Seite der USA. Dort stand die einhundertzehn Meter hohe Saturn-V-Rakete und würde sich von dort aus in den Himmel erheben.

„Startrampe, wie ist euer Status?“, fragte Kranz.

„Wir sind auf Go! Sechzig Sekunden bis zum Start!“

Das war nicht nur aus den internen Lautsprechern zu hören, sondern auch draußen auf der Besuchertribüne, wo man die Durchsage mit Applaus begrüßte. Die Zuschauer waren handverlesen und befanden sich in sicherer Entfernung, abgeschirmt durch einen grünen Hügel. Gebannt folgten sie den Startvorbereitungen, beeindruckt durch die Größe der Trägerrakete mit der Apollo-Kapsel und der eingeschlossenen Mondlandefähre.

 

In Texas zündete sich Gene Kranz die nächste Zigarette an und vergewisserte sich, dass er noch fünf Päckchen mitgebracht hatte.

„Wir empfangen ein Geräusch von den Treibstoffpumpen“, sagte der Controler aus der zweiten Reihe.

„Die Pumpen pumpen Treibstoff“, gab Kranz zurück. „Noch ein paar Pumpenstöße, und wir sind bereit, die Post für den Mond auszuliefern.“

Das Gelächter war kurz und männlich.

„T minus fünfzehn“, kam es aus Cape Kennedy. „Vierzehn, dreizehn, zwölf …“

Im gleichen Moment richtete in Houston jeder den Blick auf seinen Computer und gab sich den Anschein, als sei dies nur ein Job und weiter nichts. Das Scharren der Füße, das hektische Ziehen an Hunderten Zigaretten und der wahrnehmbare Schweißgeruch entlarvten die zur Schau gestellte Ruhe als getarnte Nervosität.

Bob Gilliam, oberster Direktor der NASA, noch von Präsident Kennedy persönlich eingesetzt, betrat erst in diesen Sekunden das Mission Control Center. Gilliam war ein freundlicher, unauffälliger Mann mit Brille und Kurzhaarschnitt. Dem Protokoll nach hätte der NASA-Chef zuerst den Flugdirektor begrüßen müssen, doch Gilliam winkte Gene Kranz nur zu, lief in die Ecke mit den Mathematikern und beugte sich über Katy Bellheim.

„Alles gut bei dir?“

„Die Berechnungen stimmen.“

Für einen Moment legte er seine Hand auf ihre Schulter.

„Elf … zehn … neun … Zündung“, kam es aus den Lautsprechern.

Katy hielt den Atem an.



Heidelberg, Westdeutschland, 16. Juli 1969


Marlies Bellheim hatte tagelang alte Brötchen gesammelt. Milch wurde mit Zucker und ausgekratzten Vanilleschoten vermischt und aufgekocht. Marlies schnitt die Brötchen in Scheiben und legte sie in die Milch, bis das Brot die Flüssigkeit aufgesaugt hatte. Sie verrührte Zucker mit Butter, Salz, Zimt und Eigelb und vermengte die Masse mit den Brötchen. Eine Hälfte kam in die Auflaufform und wurde mit abgetropften Kirschen belegt. Juli war keine Kirschenzeit, Marlies verwendete Früchte, die sie letztes Jahr eingeweckt hatte. Sie bedeckte das Ganze mit der restlichen Brötchenmasse und streute Mandelsplitter obendrauf.

Marlies Bellheim brauchte nicht auf die Uhr zu sehen, um zu wissen, dass der Kirschenmichel jetzt in den Backofen musste, damit er in fünfundzwanzig Minuten mit Puderzucker bestreut werden konnte, bevor er exakt zum Start von Apollo 11 serviert werden würde.

Kirschenmichel war keine Heidelberger Spezialität, trotzdem aber der unangefochtene Favorit der Bellheims, wenn sie zu Familienereignissen zusammenkamen.

Obwohl einer Schätzung zufolge rund fünfhundert Millionen Menschen weltweit den Mondflug an den Fernsehgeräten verfolgten, hielten die Bellheims die Sache für eine Familienangelegenheit. Katy war ihr kleines Mädchen, das die Welt erobert hatte und nun in den Weltraum aufbrach.

Als in Cape Kennedy der Countdown mit T minus 60 angesagt wurde, riefen die Neffen und Großnichten bereits nervös nach Tante Marlies. Sie durfte das Ereignis, das mit ihrer Familie schicksalhaft verknüpft war, auf keinen Fall verpassen.

„Nur die Ruhe, wir haben alle Zeit der Welt.“ Mit zwei Topflappen trug Marlies die dampfende Auflaufform ins Wohnzimmer. Ohne ihren Kirschenmichel gab es keinen Flug zum Mond.

Das Sofa und die Sessel hatten die Farbe von Curry, die Schrankwand bestand aus Nussholz-Imitat und erstreckte sich über die gesamte Längsseite. Die Bilder zeigten Blumenmotive. Auf dem Schrank standen Vasen, dazwischen saß ein altersschwacher Teddybär, dem ein Auge fehlte. Vor vielen Jahren hatte dieser Teddy Horst Bellheim gehört. Horst war Marlies’ Bruder. Nachdem er in die Vereinigten Staaten ausgewandert war, hatte seine Tochter Katy in Virginia das Licht der Welt erblickt.

Bei T minus 40 verteilte Marlies den Kirschenmichel auf die Teller, nahm Platz und probierte die erste Gabel ihrer Spezialität. Ein Neffe füllte die Sektgläser auf.

Kauend sinnierte Marlies: „Stellt euch vor: Unser Mädel sitzt jetzt unter all den Technikern und Raumfahrtspezialisten.“ Sie hätte noch hinzufügen können: „Ich habe es immer gewusst.“ Doch alle im Zimmer wussten, dass Marlies es immer gewusst hatte.

 

„Raumfahrt zum Mond heißt die Sondersendung, die wir aus unserem Apollo-Studio für Sie, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, übertragen.“

Mit diesen Worten hatte Günter Siefahrt, das vertraute Fernsehgesicht, die Berichterstattung vor Stunden begonnen. Siefahrt trug eine bordeauxrote Krawatte zum hellgrauen Anzug. Wer bereits einen Farbempfänger besaß, sah ihn vor einer gelblich schimmernden Projektion der Mondoberfläche.

„Hans Heyse und ich werden die Bilder, die uns über Satelliten erreichen, kommentieren. Ein Kollegium von Experten wird den fachlichen Kommentar übernehmen und die Fragen beantworten, die Sie, meine Damen und Herren vor den Fernsehgeräten, zum Thema Mondflug stellen.“ Siefahrt wurde ein Kommentar zugespielt. „Wie ich höre, überträgt die NASA gerade eine Originalnachricht des Kommandanten Neil Armstrong aus der Apollo-Kapsel. Wir sind jetzt live, wie es im Englischen heißt, dazugeschaltet.“

Der Bildschirm der Bellheims sendete noch in Schwarz-Weiß. Man sah aus der Apollo-Kapsel nur die Bewegung einer Hand, den Schemen eines Kopfes, der unter einem Astronautenhelm praktisch unkenntlich war. Man hörte ein Knattern, ein Zischen und die kaum verständliche Stimme eines Mannes. „Roger, Houston … we’re standby for your commen…“ Ein Satz über den halben Erdball hinweg, Worte aus dem Inneren einer Rakete.

Mit gerunzelter Stirn, die Brille in der Hand, lauschte Günter Siefahrt, ob da noch etwas kommen würde. Es blieb beim Rauschen.

„Wenn ich es richtig interpretiere, teilt uns Kommandant Armstrong mit, dass die Vorbereitungen für den Start reibungslos verlaufen … Wie würden Sie das interpretieren, Hans Heyse?“

Der Co-Kommentator hatte genauso wenig Ahnung, was vor sich ging, verstand es aber als seine Aufgabe, die kommenden Stunden zu füllen. „Bisher wurde der Terminplan der NASA präzise eingehalten, und genau das scheint der Kommentar von Neil Armstrong zu bestätigen.“

„Unsere Katy kennt Neil Armstrong persönlich“, erklärte Tante Marlies über den Fernsehton hinweg.

„Schschsch!“, machten die technikinteressierten Neffen.

„Lasst mich in Ruhe mit eurem Schschsch! Die sagen schon seit Stunden das Gleiche, weil einfach noch nichts passiert. Bis zum Start erzähle ich euch lieber, wie unsere Katy Neil Armstrong kennengelernt hat.“

„Wir kennen die Geschichte“, meinte die Familie seufzend. „Du hast sie uns hundert Mal erzählt.“

„Mir nicht!“, rief Großnichte Elisabeth. „Ich kenne die Geschichte noch nicht.“

„Willst du sie hören?“

„Ja!“, rief das Mädchen in der Latzhose.

Die Übrigen verdrehten die Augen, aber es half nichts: Sie saßen in Marlies’ Wohnzimmer, das war ihr Fernsehgerät, und alle freuten sich auf ihren Kirschenmichel. Widerwillig drehte ein Neffe den TV-Ton herunter, pflanzte sich dann aber so dicht vor den Lautsprecher, dass er trotzdem noch etwas hörte.

Marlies erlaubte Elisabeth, sich neben sie auf das curryfarbene Sofa zu setzen. „Das Fliegen war immer schon der Traum unserer Katy. Aber es war ein steiniger Weg, bis sie endlich fliegen durfte wie ein Mann.“

Michael Wallner

Über Michael Wallner

Biografie

Michael Wallner spielte nach seiner Ausbildung am Wiener Max Reinhardt-Seminar am Burgtheater und am Berliner Schillertheater. 1982 erhielt er den Schauspielerpreis beim Norddeutschen Theatertreffen. Seit 1987 arbeitet er als freischaffender Theater- und Opernregisseur und inszenierte unter anderem...

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