Wohnwahnsinn — Inhalt
Das Geschäft mit dem Wohnungsmarkt
Wie konnten deutsche Wohnungen zum Spielball globaler Investoren werden, und wer sind die Profiteure? Utta Seidenspinner kommt der Kostenexplosion der vergangenen Jahre systematisch auf die Spur.
Dieses Buch handelt von ihrer Recherche im Dschungel versteckter Milliarden-Transaktionen, die komplett am Finanzamt vorbeigehen. Sie entdeckt ein Geldwäschesystem namens „Russischer Waschsalon“, die italienische 'Ndrangheta in Thüringen und trifft auf ägyptische Makler, die Berliner Wohnungen in Shopping Malls in Dubai verkaufen. Und sie findet Mieter, die in ehemals kommunalen Wohnsiedlungen in ständiger Angst vor der nächsten Mieterhöhung leben. Dort lag der Beginn des heutigen Immobilienfiebers, der Urknall, ausgelöst ausgerechnet durch ein Gesetz der rot-grünen Bundesregierung.
Seit sich der Staat als Moderator zurückgezogen und allein Kapitalanlegern und Aktienmärkten das Feld überlassen hat, gilt nur noch deren Logik von Rendite und Gewinn.
Ein Aufruf, Wohnraum endlich wieder als Grundbedürfnis zu behandeln.
Leseprobe zu „Wohnwahnsinn“
Ein Home zum Preis von einem Castle – was ist hier eigentlich los?
Schon immer lebe ich in der teuersten Stadt Deutschlands. Als Teenager, als Studentin und als berufstätige Mutter, mit Geld und ohne Geld. Die Frage „Wie komme ich an eine Wohnung?“ ist quasi Teil meiner DNA, von frühester Jugend an.
Der erste Umzug gestaltete sich noch einfach. Meine Eltern hatten einen sogenannten Anbau an ihrem bescheidenen Häuschen im Münchner Norden, eine winzige Einliegerwohnung ohne Küche. Das war natürlich egal, denn ein gebrauchter Herd im Flur reichte auch, [...]
Ein Home zum Preis von einem Castle – was ist hier eigentlich los?
Schon immer lebe ich in der teuersten Stadt Deutschlands. Als Teenager, als Studentin und als berufstätige Mutter, mit Geld und ohne Geld. Die Frage „Wie komme ich an eine Wohnung?“ ist quasi Teil meiner DNA, von frühester Jugend an.
Der erste Umzug gestaltete sich noch einfach. Meine Eltern hatten einen sogenannten Anbau an ihrem bescheidenen Häuschen im Münchner Norden, eine winzige Einliegerwohnung ohne Küche. Das war natürlich egal, denn ein gebrauchter Herd im Flur reichte auch, Hauptsache, weg aus der elterlichen Umarmung. Mit 15 Jahren war es das absolute Paradies, auch wenn die Außenmauern schimmelten und der Fußboden nicht isoliert war.
Im Studium ereilte mich dann die Münchner Realität mit voller Wucht: Es gibt in dieser Stadt keine bezahlbaren Wohnungen, schon gar nicht für Studenten, die will nämlich niemand haben, auch damals nicht. Jeden Mittwoch- und Freitagabend standen Menschen wie ich am Marienplatz im Zentrum und warteten auf die druckfrischen Immobilienseiten der Süddeutschen Zeitung, möglichst zu zweit. Einer kaufte die Zeitung, der andere besetzte eine nahe gelegene Telefonzelle, und dann begann der Wettlauf gegen die Zeit. Nur wer als Erster zu den günstigen, maklerfreien Wohnungen durchdrang, bekam überhaupt eine Chance; am nächsten Morgen hatten die meisten Vermieter ihr Telefon wegen des Andrangs bereits ausgehängt.
Ich habe es nie geschafft, auf diesem Wege eine Bleibe zu finden. Stattdessen zog ich nach New York, die Stadt, in der jeder, aber wirklich jeder, dauernd über Immobilien spricht. Sei es, weil er keine Wohnung findet, gerade rausgeworfen wurde, seine Bleibe mit zu vielen Mitbewohnern und Kakerlaken teilen muss oder die Miete horrend gestiegen ist. Wer auch nur ein bisschen Eigenkapital besitzt, jammert über verpasste Chancen zum günstigen Einstieg (damals in den Siebzigerjahren! Neunzigerjahren! Nach der Finanzkrise!) oder träumt von sagenhaften Gewinnen in der Zukunft, und jeder kennt jemanden, der seinen Einsatz mit einer Eigentumswohnung mindestens verdreifacht hat. Es ist eine Krankheit, deren Fieber mich schon sehr bald erfasste. Zum einen, weil ebenso wie in München für Studenten kaum Wohnraum zu finden war und ich mich also zwangsläufig mit allen Tricks auf dem Weg dorthin befassen musste. Zum anderen aber auch, weil Real Estate in den USA ein normales Konsumgut ist.
Das Kaufen von Immobilien gehört zum guten Ton, es ist ein Zeichen des Erwachsenwerdens und – ähnlich wie in Deutschland das Auto – keine einmalige Anschaffung. Man kauft erst etwas Kleines, tauscht das gegen die erste Familienwohnung, dann gegen das Haus, das größere Haus und schließlich vielleicht wieder gegen die Seniorenbleibe. Das Gleiche taten mein Mann und ich. Wir kauften uns eine Wohnung in einem unspektakulären, von Fabrikgebäuden aus Backstein gekennzeichneten Stadtteil von Queens, direkt an einer Bundesstraße, aber mit fabelhaftem Blick auf das Empire State Building. Unsere monatliche Belastung war ab jetzt geringer als die Miete, obwohl wir nur wenig anzahlen konnten. Wir mussten uns nie wieder dem demütigenden Prozess der Mieterauswahl unterziehen, die Nachbarn waren nett, und das Viertel wurde immer beliebter. Als wir nach acht Jahren nach Deutschland umzogen, weil wir ein Kind erwarteten, hatte sich der Wert unserer ersten Immobilie verdoppelt.
Zurück in München begann die Suche nach einem ähnlichen Objekt, nach etwas, dessen Preis in einem vernünftigen Verhältnis zur Rendite stand, alias Mieten minus Finanzierungskosten. Aber egal, wie ich rechnete, in München schien es immer günstiger zu mieten und dann nie wieder auszuziehen. Unser Geld war auf dem Sparkonto offenbar besser angelegt, denn eine Eigentumswohnung in der Größenordnung, die uns vorschwebte, konnten wir uns nicht leisten. Trotzdem gab ich die Suche nie wirklich auf.
Seit 2003 beobachte ich den Markt nun mit Argusaugen. Ich gehe regelmäßig auf Wohnungsbesichtigungen zum Kauf, begleite Freunde und Bekannte auf Wohnungsbesichtigungen zur Miete, lese jede Statistik zu dem Thema und wälze Immobilienseiten. Zu meinem Erstaunen steigen die Preise unaufhörlich, obwohl die Menschen, die das alles bezahlen müssen, nicht so viel mehr verdienen als früher, was jeder Logik widerspricht. Und fast, ja fast schon fühlt sich München an wie New York, denn mittlerweile redet auch hier jeder und immer über Mieten und Wohnungsnot und überhaupt den ganzen „Wahnsinn mit den Immobilien“. Wer kann das denn bitte schön bezahlen? Was ist da los?
Mein Eigeninteresse verwandelte sich in eine generelle Obsession, als ich aus anderen Städten ähnliche Geschichten hörte. Warum entstanden plötzlich überall Luxusbauten? Wohnte man überhaupt noch irgendwo günstig? Gab es weniger Wohnungen oder mehr Menschen als früher? Ich wollte den Markt verstehen, den Zusammenhang zwischen Kaufpreisen und Mieten erkunden, die Auswirkung von Zinsen vorhersehen, wissen, wer eigentlich warum kauft und dann was damit macht. Egal, wohin mich meine Arbeit als Journalistin verschlägt, sehe ich mir seither die Schaukästen der Maklerbüros an und verwickle jeden in ein Gespräch über seine Wohnung – sei es auf dem platten Land in Niedersachsen, in traurigen Fußgängerzonen im Ruhrpott, herausgeputzten Nordseebädern, verwaisten Geisterorten in Sachsen-Anhalt, bayerischen Luftkurorten oder glitzernden Großstädten. Und fast überall, so scheint es, steigen die Preise, ob zum Kauf oder zur Miete.
Laut aktuellem Frühjahrsgutachten der Immobilienwirtschaft zogen die Wohnungsmieten in den vergangenen acht Jahren bundesweit um 26 Prozent an. Die Kaufpreise in manchen Ballungsräumen und sogenannten Schwarmstädten, die überproportional hohen Zulauf haben, haben sich innerhalb weniger Jahre verdoppelt. Eigentlich lautet aber eine eiserne Regel: Immobilienmärkte sind lokale Märkte, daher auch die Binse „Lage, Lage, Lage“. Eine Immobilie ist nur so viel wert, wie die Menschen vor Ort bereit sind, für sie zu bezahlen, sei es zur Miete oder zum Kauf. Wie viel das ist, hängt logischerweise von der örtlichen Kaufkraft ab. Wer viel verdient, kann viel Miete bezahlen, teuer essen gehen und von früh bis spät shoppen – und umgekehrt eben nicht. Entsprechend gestalten sich die Preise von Gewerbeimmobilien und Wohnungen. Eigentlich. Doch dieser Zusammenhang gilt in Deutschland nicht mehr.
In der Zeit von 2012 bis 2017 stieg der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst um 11 Prozent. Die Preise für Neubau-Eigentumswohnungen in großen Städten zogen im gleichen Zeitraum um 49 Prozent an, heute liegen sie in München bei 7500 Euro pro Quadratmeter (+ 40 Prozent), Stuttgart 6000 Euro (+ 75 Prozent), Frankfurt 5530 Euro (+ 55 Prozent), Berlin 5050 Euro (+ 54 Prozent), Hamburg 4700 Euro (+ 24 Prozent), Köln 4560 Euro (+ 44 Prozent) und Düsseldorf 4 830 Euro (+ 50 Prozent).[i]
Die Mieten in den Stadtregionen – und drei Viertel aller Deutschen leben dort – stiegen bis zu 30 Prozent in fünf Jahren. Schon ein Blick auf die eigene Gehaltsabrechnung genügt, um zu wissen: Das stimmt leider nicht mit den Verdienststeigerungen überein. Kaufpreise und Mieten entkoppeln sich also zunehmend von den Einkommen vor Ort.
Obwohl die Deutschen in Umfragen immer wieder den Wunsch nach einer Immobilie an oberste Stelle setzen, leben nur 45 Prozent in den eigenen vier Wänden, europaweit sind es 70 Prozent – was dazu führt, dass Deutsche bei internationalen Vermögensvergleichen regelmäßig weit abgeschlagen hinter den armen Italienern und den noch ärmeren Spaniern liegen. Und unsere Eigentumsquote ist in den vergangenen zehn Jahren sogar gesunken. Normalerweise kaufen Menschen ihre erste Immobilie, wenn sie im Beruf angekommen sind und vielleicht eine Familie gründen. Doch die Ausbildungszeiten haben sich verlängert, und viele Arbeitsverträge sind befristet. Das ermutigt weder Kreditnehmer noch Kreditgeber zu hohen Immobilienhypotheken. Erbschaften und Schenkungen können das nicht kompensieren, entgegen der allgemeinen Wahrnehmung, es handele sich hier um die Generation Erben. Vor allem in Regionen mit angespanntem Wohnungsmarkt wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen leisten sich immer weniger Menschen ein Eigenheim, in Großstädten schon gar nicht. Dort wird traditionell gemietet, in Berlin zum Beispiel zu 85 Prozent, in Hamburg zu 80 Prozent und in München zu 75 Prozent.
Wenn aber der jüngste Immobilienboom an den Normalverdienern vorbeigeht, wer kauft dann den Markt leer und sorgt für bundesweite Mietsteigerungen weit über der Inflationsrate? Wem gehören eigentlich unsere Wohnungen und Häuser? Wer oder was treibt den Immobilienmarkt?
Der Anfangsverdacht
Das erste Aha-Erlebnis verschaffte mir eine Münchner Maklerin im Jahre 2010. Nachdem ich wieder einmal ausgiebig die – meines Erachtens völlig überzogenen – Preise der Angebote im Fenster eines kleinen Büros der LBS studiert hatte, marschierte ich empört hinein und stellte meine Gretchenfrage: „Was ist hier eigentlich los, drehen die jetzt alle durch?“ Die Maklerin stimmte mir unumwunden zu, und bald überboten wir uns mit Anekdoten über ungeheuerliche Wohnungspreise. Und dann sagte sie den bemerkenswerten Satz: „Also, seit diese Steuer-CDs aufgetaucht sind, kommen wir mit den Mehrfamilienhäusern gar nicht mehr nach.“
Damals war es bei den deutschen Finanzämtern gerade in Mode gekommen, illegal beschaffte Datensätze von Schweizer und Liechtensteiner Bankkonten aufzukaufen. Das prominenteste Opfer der ersten gekauften Daten-CD wurde im Februar 2008 der ehemalige Deutsche-Post-Chef Klaus Zumwinkel. Die Steuerfahndung verhaftete ihn am Valentinstag in den frühen Morgenstunden, publikumswirksam vor laufenden Kameras. Zumwinkel hatte, wie offenbar Tausende andere Deutsche auch, seine Millionen in Liechtenstein investiert und die Erträge nicht versteuert. Wie wir inzwischen wissen, lagerten in Europas Steueroasen Milliarden von deutschem Schwarzgeld. Die Schlagzeilen über immer neue CDs taten ihre Wirkung, und der Fiskus konnte sich viele Jahre kaum retten vor Selbstanzeigen. Und die Milliarden?
Milliarden von hinterzogenen Steuern kommen nur zustande, wenn noch viel, viel mehr Milliarden angelegt wurden. Die hatten nach der Enttarnung keinen Grund mehr, sich auf schwer zugänglichen und unter Generalverdacht stehenden Auslandskonten zu verstecken.
Und damit kommen wir zurück in das kleine LBS-Büro in München, in dem ich mich mit der Maklerin über die astronomisch gestiegenen Immobilienpreise wunderte. „Das sind Leute, die früher gar nicht im Markt waren“, erzählte sie erstaunt. „Privatpersonen, die von Immobilien keine Ahnung haben und sich für die Rendite kaum interessieren. Die kaufen blind und in bar ganze Mehrfamilienhäuser und fragen gleich nach dem zweiten.“
Flossen die Milliarden aus den Steueroasen also in Immobilien? Waren es genug Milliarden, um den ganzen Münchner Markt zu bewegen und die unheimliche Preissteigerung zu erklären? Immerhin hat die Stadt über 832 000 Haushalte. Grob überschlagen hätten also schon für fünf Prozent Preisanstieg alle deutschen Steuerhinterzieher gleichzeitig entscheiden müssen: „Ein Wohnhaus in München, das ist es!“ Unwahrscheinlich. Aber immerhin die erste mögliche Quelle für das viele lockere Geld.
Während der Arbeit an einer Fernsehdokumentation begegnete mir kurz darauf ein Luxus-Makler. Er hatte sich spezialisiert auf das, was im Mietspiegel als „Beste Lage“ gekennzeichnet ist, obwohl es dort eigentlich gar keine Mietwohnungen gibt. Er trug einen Lodenmantel und einen Lodenhut, wir fuhren in seinem BMW durch Bogenhausen und Herzogpark, und er deutete kenntnisreich hier auf die ehemalige Villa von Boris Becker und dort auf den Bunker des verstorbenen Multimilliardärs Friedrich Karl Flick mit 2100 Quadratmetern Wohnfläche, aufgeteilt auf 150 Räume mit bombensicheren Decken (Flick galt als Ziel für Terroristen und Entführer jeder Couleur). „Die Preise werden immer weiter steigen, solche Tendenzen verstärken sich. Je mehr Leute nach München ziehen, umso bessere Jobchancen gibt es und desto mehr Leute ziehen nach München. Die Orte außerhalb verwaisen, die Infrastruktur stirbt, noch mehr Leute ziehen in die Stadt. Ganz einfach.“ Deshalb sei München eben eine sichere Bank, schon immer gewesen. Und schön sowieso. „Das wissen auch die Araber und die Russen. Die lieben uns, die Berge, Neuschwanstein und eben bombensicher.“
Gemeinsam besichtigten wir eine seiner Luxus-Immobilien in der Maria-Theresia-Straße, nach seiner Aussage die nobelste Straße im noblen Bogenhausen. Der Neubau war fast fertig und erfüllte jedes Klischee: Marmorbäder und Küchen, goldfarbene Wasserhähne, Kristalllüster. „Das ist wurscht, Bäder und Küchen werden von den Käufern sowieso gleich wieder rausgerissen. Die wollen da nur ihr eigenes Zeug.“ Wer macht denn so was? „Das haben alles Araber und Russen gekauft.“ Aha, war mir noch gar nicht aufgefallen, dass jetzt so viele Araber und Russen hier leben. Aber ich wohne wahrscheinlich im falschen Stadtteil? „Na, das steht eigentlich die meiste Zeit leer, die kommen nur manchmal zum Shopping. Oder sie gehen zum Arzt.“
Noch eine Geldquelle also, ausländische Investoren, Öl-Milliarden und Oligarchen-Milliarden. Trieben sie vielleicht die Preise, oder waren das nur vereinzelte Irrläufer? Würden auch wir bald sogenannte ghost houses bekommen, Häuser, die einzig und allein von einer Zeitschaltuhr belebt werden, so wie in London? Jedenfalls hatte ich jetzt zwei Indizien dafür, dass unser Immobilienmarkt vielleicht nicht ganz so lokal ist, wie ich bis dahin glaubte; dass er vielleicht nicht nur von der Kaufkraft der Bewohner abhängt, sondern auch Kräfte von außen wirken, mächtige Kräfte; dass mein Konkurrent nicht nur mein Nachbar ist, sondern jemand in Hongkong; und dass die Mieten vielleicht nicht nur den Erhalt des Hauses finanzieren, sondern ein Portfolio. War es also möglich, dass die Dächer über unseren Köpfen unbemerkt Teil eines globalen Geschacheres geworden waren?
Follow the money
Was wir definitiv wissen, ist, dass Immobilien in den Fokus globaler Investoren geraten sind. Seit die internationalen Notenbanken 2008 die Schleusen öffneten und die Zinsen stetig senkten, sucht billiges Geld nach Renditen – weltweit. Und stieß auf den bis dahin im Abseits schlummernden deutschen Immobilienmarkt. Der bietet vergleichsweise günstige Preise und eine hohe Sicherheit in einem Land, das als Wachstumsmotor Europas gilt. Deutschland ist laut einer Studie des Marktforschungsinstituts GfK nicht nur das angesehenste Land der Welt, sondern seit Neuestem auch noch „Cool Germany“[ii]. Zusammen mit den historisch geringen Finanzierungskosten ergibt das eine unwiderstehliche Mischung. Niedrige Zinsen bedeuten billiges Geld, man kann sich also ein Objekt sichern und dann nahezu kostenfrei abwarten, bis es im Preis steigt. Den Anfang machen in so einem Zyklus die Profis, die das Risiko nicht scheuen, gefolgt von immer mehr Investoren, die auf den Zug aufspringen. Deutsche Immobilien sind eine globale Anlageklasse geworden. Diese Anlageklasse liegt irgendwo zwischen Aktien und Anleihen und wird von internationalen Portfolio-Managern auch so behandelt.
Gleichzeitig vernichten die niedrigen Zinsen die Lieblingsanlageform der Deutschen, das Sparkonto. Wer es sich leisten kann, investiert jetzt lieber in Betongold. Der Mittelstand zum Beispiel, der auf ein paar Hunderttausend ererbten Euro sitzt und jetzt nicht weiß, wohin mit dem Geld (Deutsche hegen eine unüberwindbare Aversion gegen Aktien). Banken sind verzweifelt auf der Suche nach Geschäften und reichen Kredite am Fließband heraus. Versicherungen benötigen höhere Renditen, als Staatsanleihen sie derzeit bieten, und erweitern ihre Investitionen in Mietobjekte. Außerdem kann man sich über Immobilien mit „deutschen Euro“ eindecken, nur für den Fall, dass die Gemeinschaftswährung doch noch scheitert und man dann lieber D-Mark als Drachmen oder Lira hätte.
Wer glaubt, dies alles könne ihm als Mieter egal sein, der täuscht sich. Auch die Mieten werden weiter steigen. Die Investoren sind nicht an sozialem Frieden oder gesellschaftlichen Konsequenzen interessiert. Sie brauchen Rendite für ihr Geld, jetzt. Und da gibt es nur zwei Möglichkeiten: die Miete erhöhen und/oder die Instandhaltung minimieren. Wegen des billigen Geldes setzen die meisten derzeit auf Modernisierungen. Die dürfen sie anteilig umlegen und damit die Miete dauerhaft erhöhen. Aber selbst ohne Modernisierungen wird alles versucht, und nur in manchen Städten wirken die Mietspiegel als letzter Puffer. Ist es ein Zufall, dass sie in den vergangenen Jahren immer häufiger von großen Unternehmen juristisch angegriffen werden? Bei Neuvermietungen schlagen die Preissteigerungen sowieso voll durch, Mietpreisbremse hin oder her. Und diese Preise finden, mit ein wenig Zeitversatz, wieder ihren Niederschlag in der Berechnung der Mietspiegel.
Gleichzeitig stehen kaum noch Wohnungen leer. Bundesweit liegt die Quote zwar bei den drei Prozent, die sich die Immobilienwirtschaft für einen funktionierenden Wohnungsmarkt wünscht. Aber in den begehrtesten sieben Großstädten liegt der Leerstand darunter, in München zum Beispiel bei 0,2 Prozent. Mit anderen Worten, nichts geht mehr. Wie bei der Reise nach Jerusalem, wenn die Musik aufgehört hat zu spielen: Keiner zieht mehr um. Die Stadt erstarrt. Besonders die teuren Viertel sind hoffnungslos überaltert, zum einen, weil nur Gutsituierte sie sich leisten können, zum anderen aber auch, weil alte Menschen alte Mietverträge haben und deshalb keinen Umzug wagen. Junge Familien ziehen längst raus aus der Stadt, nicht, weil sie wollen, sondern weil sie müssen.
Britische Wissenschaftler haben die negativen Auswirkungen solcher Extreme nachgewiesen. Je ungleicher eine Gesellschaft, desto mehr Probleme hat sie beispielsweise mit Kriminalität, körperlichem Übergewicht oder psychischen Erkrankungen.[iii] Und kein anderes Land der Eurozone ist stärker polarisiert als Deutschland, die Einkommen sind in Deutschland schneller und weiter auseinandergegangen als in den meisten anderen OECD-Staaten.
Die Expo Real in München ist die größte Fachmesse für Immobilien und Investitionen in Europa. Über 2000 Unternehmer aus 35 Ländern stellen dort im Oktober 2017 aus, es ist ein neuer Rekord, nur einer von vielen in dieser Branche. Man spürt und sieht, dass sie nicht nur brummt, sondern heiß läuft. Nahezu jeder Stand in den sechs Hallen kredenzt Essen und Getränke gratis, nicht etwa Käse-Igel und Leberwurstbrote, sondern vom Lachs-Kanapee über die komplette Entenbrust mit Blaukraut und Knödel bis hin zu Tiramisu mit Physalis, gefolgt vom Latte macchiato. Die Prospekte sind teuer gebundene Hochglanzbücher, und flächendeckend liegen Kugelschreiber und Gummibärchen aus.
Am Abend drängen sich Dutzende von Männern am Stand des internationalen Immobilieninvestmentmanagers Savills, wo Freibier, Wein und Mojitos in Strömen fließen. Die Stimmung erinnert an die Bars der Londoner City oder der New Yorker Wall Street, wenn die Börse mal wieder Rekorde eingefahren hat und Gewinne und Boni in Millionenhöhe winken. Man sieht es ihnen an, den jungen Alpha-Haien in den dunklen Anzügen, es ist Blut im Wasser und die Party noch lange nicht vorbei.
Nur denen, die schon länger dabei sind und die Erfahrung mit Zyklen haben, wird die Sache langsam unheimlich. Wie lange kann das noch gut gehen, fragen sie sich schon seit Jahren und versuchen mit Sprüchen wie „drei ist die neue Fünf“ (Prozent) zu relativieren, dass die Rendite im Verhältnis zum Kaufpreis gefährlich geschrumpft ist. Aber noch lässt sich mit Immobilien viel Geld verdienen, 2016 wurden damit in Deutschland über 237 Milliarden Euro umgesetzt, und bei den institutionellen Investoren kamen schätzungsweise 40 Prozent aus dem Ausland.
Silly money, dummes Geld, nennt das Professor Harald Simons vom Immobilienforschungs- und Beratungsinstitut Empirica in Berlin, zumindest was die Wohnimmobilien betrifft. Er prognostiziert sinkende Preise, weil ausländische Investoren genauso schnell verschwinden werden, wie sie gekommen sind, wenn sich irgendwo auf der Welt eine bessere Anlage auftut. Und das passiert spätestens dann, wenn die Zinsen steigen, der Dollar steigt oder die Zuwanderung versiegt – globale Ereignisse, die man weder vorhersehen noch beeinflussen kann. Für seine Kassandrarufe musste er aus der Branche schon viel Häme einstecken.
Dennoch beherrscht die Podiumsdiskussionen auf der Expo Real ein leicht mulmiges Gefühl, und selbst hochkarätige Experten sind sich keineswegs einig, ob und wie lange das noch so weitergeht. Christian Ulbrich ist CEO von Jones Lang LaSalle (JLL), einem weltweit agierenden Immobilienunternehmen mit einem Umsatz von 6,8 Milliarden Dollar, 80 000 Angestellten und 300 Büros in 80 Ländern. Auch wenn er in Deutschland mehr nicht-institutionelle Kapitalanleger sieht als je zuvor, so gibt er Privatleuten doch einen erstaunlichen Tipp: „Ich persönlich würde derzeit keine Eigentumswohnung kaufen, ich wäre da sehr vorsichtig. Die Leute lügen sich die Rendite auch gerne schön: Sie rechnen nur mit den Einnahmen, nicht aber mit den Kosten, die mit einer Immobilie verbunden sind.“
Und Rolf Buch, CEO vom größten deutschen Wohnungsunternehmen und Dax-Mitglied Vonovia, wird noch deutlicher: „Besitzer von weniger als fünf Eigentumswohnungen sind Amateure. Die Kosten stehen in keiner Relation zur Rendite, dem Risiko und den hohen Anschaffungskosten. Immobilien sollte der Privatmann nur aus emotionalen Gründen kaufen. Sie sind Konsum, das muss einem bewusst sein. Eine Immobilie zu kaufen in der Hoffnung, den Erben etwas zu hinterlassen, ist Fiktion. Das einzig Gute daran ist: Man wird es nicht mehr erfahren.“
Jedenfalls wird mir auf der Fachmesse klar, dass der Privatmensch in dieser Branche eine untergeordnete Rolle spielt. Sein „Konsum“ treibt offenbar nicht den fieberhaften Rausch auf dem Immobilienmarkt, er kann nur staunend zusehen, wie ihm die Preise davonlaufen. Es geht zwar eigentlich um sein Zuhause, aber irgendwie hat er die Kontrolle verloren. Wann und wie ist das passiert?
Spurensuche
Den Ursachen der Preisexplosion systematisch auf die Spur zu kommen, ist mühsam. Hunderte von Statistiken und Fachartikeln erzählen die Geschichte unserer Häuser und Wohnungen immer nur aus einer Perspektive: Was kostet wie viel und mit welcher Rendite? Nur das sind die Fragen, die die Geschäftsleute interessieren. Es ist eine riesige Industrie mit einer ganz eigenen Logik, und mein Bohren nach „wer kauft eigentlich warum?“ stieß auf großes Unverständnis. „Für die Preise spielt das doch gar keine Rolle“, war das häufigste Argument.
Wirklich? Ist es egal, ob ein Käufer langfristig denkt oder hier nur ein paar Jahre spekuliert? Ob er Geld investiert oder es vor den Behörden versteckt? Steigen die Mieten wegen der höheren Nachfrage oder weil jedes juristische Schlupfloch ausgenutzt wird und ein Portfolio bedient werden muss? Ich wollte diese Antworten und ich wollte sie aus Sicht der Verbraucher, die nicht in einer Immobilie, sondern in einem Zuhause leben.
Anderen scheint es ähnlich zu gehen. Nach Jahren wütender Demonstrationen und empörter Berichterstattung über lange Schlangen bei Massenbesichtigungen, unverschämte Makler, gleichgültige Hausverwalter, verzweifelte Familien, Rentner und Studenten regt sich Widerstand. Das gemeinnützige Recherchezentrum CORRECTIV startete im Februar 2018 die Webseite „Wem gehört Hamburg?“. Ihre Ansage: „Wir wollen mit Ihnen herausfinden, wem Ihre Wohnung gehört. Wer Ihre Miete erhöht oder sich nicht um Reparaturen kümmert. Und wir können aufdecken, wer von der Intransparenz im Immobilienmarkt profitiert.“
Zahlreiche Mieter sind ihrem Aufruf gefolgt und erzählten von Erfahrungen mit Vermietern. Darunter befinden sich dänische Immobilienfonds, die ihre Häuser verkommen lassen, aber auch viele Genossenschaften, die als Reaktion auf die Recherchen erstmals ihre Bestände veröffentlichen. Und jeden Tag tauchen in Hamburger Hinterhöfen kaufwillige Investoren auf, die versuchen, die Mieter auszufragen.
Ähnlich wie beim Dieselskandal sind die Hinweise auf die Schattenseiten des deutschen Immobilienmarktes längst öffentlich. Manchmal ist es ein anekdotenhafter Bericht über die Exzesse von Vermietern in einer Großstadt, manchmal ein kleines Detail in den Paradise Papers oder in einem Strafprozess. Wenn man die Arbeiten investigativer Journalisten, die Berichte von Ermittlungsbehörden oder die Studien von Schwarzgeldexperten auswertet, findet man plötzlich Hinweise auf Millionendeals. Wer sich fragt, wer diese Immobilienpreise eigentlich noch bezahlen kann, dem liefern Steueraktivisten ungeheuerliche Zahlen über das Ausmaß der Hinterziehung. Internationale Experten warnen in kleinen EU-Anhörungen vor der Mafia in Deutschland. Und auch ein Blick ins Ausland kann die Augen öffnen für Dinge, die sich bei uns hinter dem Datenschutz verbergen.
Es geht um beträchtliche Summen. Über die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ist zum Beispiel ersichtlich, wo Steuerflucht-Gelder aus Entwicklungsländern hauptsächlich angelegt werden. Entgegen landläufiger Meinung stehen nicht die typischen Steueroasen an vorderster Stelle, sondern große Industriestaaten. Deren Banken absorbieren zwischen 56 und 76 Prozent solcher Ströme.[iv]
Außerdem können Banken aus notorischen Steueroasen für ihre Kunden sogenannte Korrespondenzkonten bei deutschen Banken eröffnen. So gelangt das Geld von Offshore-Konten auf deutsche Konten und von da in unseren Zahlungsverkehr und unsere Immobilien. Die berüchtigte panamaische Anwaltskanzlei Mossak Fonseca nutzte diese Methode zur Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Dem gegenüber stehen auf deutscher Seite bis heute nur rund 150 Beamte, die sich hauptberuflich mit dem Thema befassen.
Vor allem aber genügt ein Schritt zurück, um zu sehen, dass die Politik völlig versagt hat. Die Regierungen Helmut Kohl und Gerhard Schröder haben sich sukzessive aus der Wohnungspolitik verabschiedet und den Markt komplett sich selbst überlassen. Unter Merkel wurden entscheidende Entwicklungen wie die Folgen der Finanzkrise, die Landflucht und die Zuwanderung jahrelang konsequent ignoriert oder nicht verstanden. Jetzt leben Millionen von Menschen in einem diffusen Gefühl der Angst um ihr Zuhause.
Unsere Regierung ist ursächlich für die Wohnungsmisere verantwortlich und tut zu wenig zu spät, um sie zu lindern. Nicht sie steuert heute den deutschen Immobilienmarkt, sondern Aktiengesellschaften, Großkonzerne, Geldwäscher, Steuerhinterzieher, saudische Prinzen und chinesische Neureiche. Die kaufen per WhatsApp und öffnen ihre Schatullen, ohne hinzuschauen, denn deutsches Betongold ist international hochbegehrt. Die beispiellose Preisspirale ist die Folge einer unheiligen Allianz aus Globalisierungsprofiteuren, verschwiegenen Steuerberatern und einer Politik des gefährlichen Laissez-faire.
Lieber Düsseldorf als Dubai – ausländische Investoren
Wenn man herausfinden will, wie der Markt funktioniert, dann sollte man mit einer Zwangsversteigerung beginnen. Sie bietet eine Art Grundkurs in Angebot und Nachfrage, Preisbildung und Pleite, sie zeigt Anfang und Ende einer großen Investition. Alle Schritte eines Immobilienkaufs finden hier fast gleichzeitig statt, und deshalb sind nur hier sämtliche Beteiligte wie bei einem Theaterstück in einem Raum versammelt: der kühl kalkulierende Banker, der unbeteiligte Beamte, undurchschaubare Geschäftsleute und aufgeregte Träumer – und manchmal auch ein bedrückter Schuldner.
Die dort aufgerufenen Preise klingen sagenhaft günstig, verglichen mit dem Markt. Das liegt daran, dass man die Katze im Sack kauft. Die Unterlagen sind nicht vollständig, Besichtigungen von innen unmöglich, und für Altlasten übernimmt niemand die Haftung. Zwar lassen die Amtsgerichte vor den Versteigerungen immer Gutachten über den Verkehrswert erstellen, doch diese arbeiten häufig auch nur mit Annahmen und Näherungswerten. Der größte Reiz liegt darin, dass man die Immobilie theoretisch bis zu 50 Prozent unter diesem Verkehrswert erwerben kann. Das lockt die Schnäppchenjäger, und naturgemäß trifft man bei Zwangsversteigerungen auf ein wahres Sammelsurium von Interessenten – übrigens aus aller Welt. Hier kann man sich ein Bild darüber verschaffen, wer bereit ist, sein Geld in Immobilien zu investieren, wie viel tatsächlich bezahlt wird – und warum. Zwangsversteigerungen sind sozusagen ein Fieberthermometer des Marktes.
An einem Dienstagvormittag kurz vor Weihnachten steht in Leipzig ein teilsaniertes, viergeschossiges Mehrfamilienhaus mit ca. 620 Quadratmeter Wohnfläche auf dem Gerichtskalender: Baujahr um 1900, Sanierungsarbeiten ab 1992; vermutlich als Wohnraum genutzt; AUßENBEWERTUNG, weil dem Gutachter der Zugang zum Grundstück verwehrt wurde. So liest es sich im offiziellen Gutachten des Amtsgerichts. „Im Wege der Zwangsvollstreckung“ sollen nun die Schulden bei der Bank und der Stadt beglichen werden.
Von außen betrachtet befindet sich das Haus in einem beklagenswerten Zustand, niemand kann mit Sicherheit sagen, was renoviert werden muss; nur dass es viel ist, das sieht selbst der Laie. Eine lange Rußfahne erstreckt sich über zwei Stockwerke, offensichtlich die Spuren eines Brandes; auf dem Dach liegen verrutschte Ziegel, die Kellerfenster fehlen, der ganze Hof steht voll mit Sperrmüll, und das Hinterhaus strotzt vor feuchten Flecken, von denen der Putz abplatzt. Dort wohnen Jelena und Frank zur Miete, in zwei Wohnungen übereinander, die sie nach eigener Aussage durch den Einbau von Durchlauferhitzern erst bewohnbar gemacht haben.
Jelena stammt aus Russland und Frank aus Berlin. Er wurde in den Neunzigerjahren zunächst aus Kreuzberg „wegsaniert“, zog um nach Prenzlauer Berg, später Friedrichshain, bis es auch dort zu teuer wurde und er hierher in das alte Leipziger Industrieviertel Plagwitz flüchtete. Jetzt steht der Mittfünfziger mit einer ganzen Reihe falscher Zähne und knallrotem Schal fröstelnd vor dem Haus, ringsum wird gebaut und gehämmert. „Det is hier überall so, da drüben, det war ne Fabrik, wird alles umjebaut in schicke Wohnungen. Und det hier nebenan jehört nem italienischen Pizzabäcker. Gastronom müsste man sein“, sagt er und zwinkert vielsagend.
Eine junge, groß gewachsene Studentin gesellt sich dazu, Laura. Sie lebt seit 2012 im Dachgeschoss auf 30 Quadratmetern, heizt mit Kohle und erzählt amüsiert von ihrer ersten und einzigen Begegnung mit einem Elektriker: „Der wollte neue Steckdosen legen, aber das ist so ein Durcheinander von alten und neuen Leitungen, dass er nach ein paar Stunden einfach aufgegeben hat.“ Mit anderen Worten: Niemand, der noch ganz bei Trost ist, sollte diese Immobilie mit der Pinzette anfassen. Sie ist ein sanierungsbedürftiges Fass ohne Boden, das noch dazu unter Denkmalschutz steht und rund 3 Euro Miete pro Quadratmeter abwirft. Ihr Verkehrswert wurde gemäß § 74 a Abs. 5 ZVG festgesetzt auf 400 000 Euro. Ein sehr stolzer Preis, wenn man noch die mindestens 2000 Euro pro Quadratmeter für eine Sanierung einrechnet.
Laura, Frank und Jelena haben sich hier verabredet, um gemeinsam die Zwangsversteigerung ihres Hauses zu besuchen. Sie würden zu gern wissen, wem sie in Zukunft gehören werden. Die Eigentumsverhältnisse waren immer schon verworren, die Rede ist von einem Hausverwalter, der mit einer chinesischen Investorin verbandelt ist, gleichzeitig aber auch irgendwie mit dem insolventen Eigentümer unter einer Decke steckt. Mindestens zweimal wurde der Versteigerungstermin abgesagt. Das passiert immer dann, wenn sich Gläubiger und Schuldner doch noch einigen oder neue Fristen einräumen. Doch heute ist es so weit, viele Menschen strömen zusammen mit den drei Mietern in das Amtsgericht Leipzig.
Passenderweise befindet es sich in einem Gebäude, das der berühmte Immobilienpleitier Jürgen Schneider nach der Wiedervereinigung ergattert hatte, und zwar aus dem Bestand des Volkseigenen Betriebs „Bau- und Montagekombinat Süd“. Als Schneider dann Mitte der Neunzigerjahre spektakulär in den Konkurs schlitterte, gelangte die Immobilie via Zwangsversteigerung und Tauschgeschäften wieder in die Hände des Freistaats Sachsen. Wo sonst wären Zwangsversteigerungen also besser aufgehoben?
Vor dem Sitzungssaal 101 warten bereits kleine Grüppchen, die sich alle neugierig beäugen. Ein asiatisches Pärchen sitzt schüchtern auf der Kante einer Bank, drei blonde Hipster tigern auf dem Flur gegenüber auf und ab und diskutieren angeregt. Einige Herren mittleren Alters mit Aktentaschen und iPads scheinen sich zu kennen und nicken sich mit starrem Pokerface zu. Die wohlriechende blonde Dame in gefährlich hohen, schwarzen Wildlederstiefeln und Cape mit Pelzbesatz sagt mit osteuropäischem Akzent, sie wolle gern etwas kaufen und sei hier, um zu sehen, wie es funktioniert. Etwas abseits sitzt ein auffällig gepflegter Herr mit weißem Bürstenhaarschnitt und asiatischen Gesichtszügen mit seinem Architekten, und eine weitere Asiatin entpuppt sich später als Russin, die ganz offensichtlich im Auftrag ihres finster dreinblickenden männlichen Begleiters arbeitet. Als die Rechtspflegerin schließlich um Punkt zehn Uhr die schwere Eichentür aufsperrt, drängen sich 52 Menschen in den kleinen Saal.
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