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Warum schwedische Eltern gute Laune haben und äthiopische Kinder hilfsbereit sind

Warum schwedische Eltern gute Laune haben und äthiopische Kinder hilfsbereit sind

Nathalie Weidenfeld
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Die 99 besten Erziehungstipps aus aller Welt

„Eine Art universeller Charakter der Elternschaft“ - Neue Züricher Zeitung

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Warum schwedische Eltern gute Laune haben und äthiopische Kinder hilfsbereit sind — Inhalt

Sie waren im Büro, haben eingekauft, die Tochter zum Gitarrenunterricht gefahren, Vokabeln abgefragt und gekocht, aber Ihre Kinder starren aufs Handy, behaupten, dass sie Hühnchen hassen, und weigern sich, mit dem Hund Gassi zu gehen? Sie fragen sich, was Sie falsch machen, wo doch französische Kinder sich sogar im Restaurant benehmen und chinesische Kinder freiwillig Klavier üben? 
Nathalie Weidenfeld wollte wissen, was deutsche Eltern von anderen lernen können, und hat 99 Erziehungstipps aus 33 Ländern gesammelt, vom japanischen Geheimnis ausgeschlafener Kinder bis zum buddhistischen Umgang mit muffigen Teenagern. Alle für gut befunden von erfahrenen Müttern – und aufgeschrieben, um Ihr Leben besser und ein wenig entspannter zu machen.

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 05.08.2019
240 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99356-2
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Leseprobe zu „Warum schwedische Eltern gute Laune haben und äthiopische Kinder hilfsbereit sind“

Vorwort
Sie kommen nach Hause. Es war ein langer Tag. Sie haben eingekauft, die Tochter zum Kieferorthopäden und den Sohn zum Fußballtraining gefahren, die Englischvokabeln abgefragt und zusätzlich zum biodynamischen Salat und der Öko-Hähnchenbrust auch noch Tiefkühl-Pommes gemacht, obwohl dies gegen all Ihre ernährungstechnischen Überzeugungen verstößt – aber was soll man tun, wenn sich das jüngste Kind zurzeit weigert, irgendetwas anderes als Fast Food zu essen? Ach so, und im Büro waren Sie heute Morgen auch noch. Vielleicht haben Sie aber auch auf [...]

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Vorwort
Sie kommen nach Hause. Es war ein langer Tag. Sie haben eingekauft, die Tochter zum Kieferorthopäden und den Sohn zum Fußballtraining gefahren, die Englischvokabeln abgefragt und zusätzlich zum biodynamischen Salat und der Öko-Hähnchenbrust auch noch Tiefkühl-Pommes gemacht, obwohl dies gegen all Ihre ernährungstechnischen Überzeugungen verstößt – aber was soll man tun, wenn sich das jüngste Kind zurzeit weigert, irgendetwas anderes als Fast Food zu essen? Ach so, und im Büro waren Sie heute Morgen auch noch. Vielleicht haben Sie aber auch auf halbtags umgestellt oder für eine Zeit lang ganz aufgehört, in Ihrem Beruf zu arbeiten (nicht, dass Sie das Gefühl hätten, jetzt weniger zu tun zu haben). Am liebsten würden Sie sich einfach auf die Couch legen und sich ein bisschen ausruhen, aber das geht nicht, weil jetzt Zeit fürs Abendessen ist. Also rufen Sie nach den Kindern. Aber keiner kommt. Nachdem Sie zum hundertsten Mal geschrien haben, es gäbe jetzt Essen und dass alle auf der Stelle herkommen sollen, schleppt sich schließlich Ihre pubertierende Tochter an den Tisch. Missmutig lässt sie sich in ihren Stuhl fallen, schaut kurz auf ihren Teller und nimmt ihr Handy zur Hand. Dann erscheint die jüngste Tochter. Es dauert keine zwei Minuten, da fängt sie an zu weinen: Die Pommes seien nicht knusprig genug! Als dann Ihr Sohn in der Küche einen Tobsuchtsanfall bekommt, weil er weder Bio-Huhn noch Tiefkühl-Pommes essen, sondern stattdessen Thomas, die kleine Lokomotive sehen will, ist das Chaos perfekt.
Spätestens jetzt fragen Sie sich:
WAS UM HIMMELS WILLEN HABE ICH NUR FALSCH GEMACHT?
Sie beginnen zu träumen. Von einem Abendessen, bei dem sich die gesamte Familie gleichzeitig an einem schön gedeckten Tisch eingefunden hat. Die Kinder sitzen ordentlich auf den Stühlen und fragen höflich nach, ob sie noch etwas vom Brokkoli haben können. Sie wischen sich den Mund mit Servietten ab, erzählen gut gelaunt von ihren heutigen Erlebnissen und bedanken sich am Ende für das gelungene Essen. Ach, ja … denken Sie seufzend, so müsste es sein.
In Situationen wie diesen denke ich automatisch an meine Freundinnen, also die, die auch Kinder haben. Wetten, dass die solche Probleme nicht haben und das mit der Erziehung hundertmal besser machen als ich? Aber wenn ich diese Freundinnen vor meinem geistigen Auge vorbeiziehen lasse, muss ich ernüchtert feststellen, dass es bei ihnen auch nicht viel besser läuft. Hatte Julia nicht vor Kurzem gejammert, ihre Tochter würde, seitdem sie in der Pubertät ist, kaum noch mit ihr sprechen? Und hatte Franziska nicht erzählt, dass ihr Sohn seit Wochen sein Zimmer nicht mehr aufräumen und beim Abendessen nur noch auf sein Handy starren würde? Die Freundinnen sind also auch kein Vorbild. Aber kann man in Deutschland überhaupt irgendwo ein Vorbild finden? Sind deutsche Mütter und Väter nicht alle etwas ratlos, was die Erziehung betrifft? Immerhin hat Deutschland seit seiner radikalen Wende in den 60er-Jahren von der autoritären hin zur antiautoritären Erziehung für eine bis heute andauernde Unsicherheit in puncto Erziehung gesorgt. Insbesondere bei der Frage, wie denn jetzt nun die richtige Mischung aus Strenge und Laissez-faire aussehen soll. Aber was ist mit Müttern aus anderen Ländern? Bestimmt wissen die, wie es geht.
In Frankreich zum Beispiel. Da sollen die Kinder in Restaurants doch so wunderbar aufrecht sitzen und sich perfekt benehmen. Und in Japan. Da schreien sich die Mütter bestimmt auch nicht die Kehle aus dem Hals, wenn es Sushi zum Abendessen gibt. Da sitzen die Kinder bestimmt brav und gehorsam da – nachdem sie natürlich erst drei Stunden lang Klavier, dann Geige geübt und anschließend ihre Hausaufgaben ohne Murren erledigt haben. Oder war das China? Egal. Und was ist mit Schweden? Strahlen da nicht alle pausbäckigen, blonden und blauäugigen Kinder den ganzen Tag gesund vor sich hin? Kein Wunder, wer sich den ganzen Tag draußen aufhält und mit Pippi Langstrumpf spielt, muss am Abend glücklich und ausgeglichen sein. Ach ja … Schwedin müsste man sein …
Bin ich aber nicht.
Andererseits verbietet mir ja niemand, mir ein bisschen Schweden ins Haus zu holen. Was also, wenn ich mich jenseits der Klischees und Stereotype darüber informieren würde, wie die Mütter in anderen Ländern das so machen?
Dies war der Moment, in dem die Idee zu diesem Buch geboren wurde. Ich würde mit Müttern aus aller Welt sprechen und sie nach ihren Erziehungstipps fragen. Ich wollte herausfinden, was diesen Müttern besonders gut gelingt, um aus ihren Erfahrungen und ihrer Sichtweise zu lernen.
Ich trommelte also sämtliche ausländische Bekannte zusammen und bat all meine Freundinnen, mich an ausländische Mütter zu vermitteln, die sie aus dem Kindergarten oder der Schule kannten.
Erstaunlicherweise kam ich rasch an viele wunderbare Frauen, die noch dazu alle willens waren, sich mit mir über das Thema Kindererziehung zu unterhalten. Ich traf sie bei sich zu Hause, in Cafés, manchmal auch bei mir, je nachdem, was für sie am einfachsten war. Ich fragte sie nach ihrer eigenen Kindheit und danach, was sie von ihren Müttern übernommen haben, wie sie mit Konflikten umgehen und was sie in ihrer Zeit als Mutter gelernt haben.
Und?, wollen Sie jetzt bestimmt wissen. Machen es denn ausländische Mütter wirklich besser? Nun, ich würde sagen: Sie machen es nicht besser, sondern anders. Das Fazit lautet: Keine Mutter ist perfekt. Und jede Kultur hat ihre eigenen Sonnen- und Schattenseiten. Das Buch enthält daher nicht das eine perfekte Rezept, das auf alle Kinder jederzeit übertragbar ist, stattdessen gibt es viele wunderbare Tipps, die ganz individuell angewandt werden können.
Warum ich nur Frauen interviewt habe? Ganz einfach: Weil es vor allem Frauen waren, denen ich bei meiner Suche nach Interviewpartnern begegnet bin. Es waren Frauen, die ich beim Abholen meines eigenen Sohnes aus dem Kindergarten getroffen habe, und es waren Frauen, die mir andere Frauen empfohlen haben. Ich habe nicht versucht, mit aller Macht Väter als Interviewpartner zu bekommen – was mich aber ehrlicherweise auch deshalb nicht weiter gestört hat, weil ich als Mutter vor allem an der Erfahrung anderer Mütter interessiert bin. Nur zweimal kommen Väter trotzdem vor: Einmal war das Herr Singh, der kam, weil seine Frau verhindert war, mir aber sogleich versicherte, gleichermaßen für die Kinder zu sorgen und gleichermaßen über Erziehung zu denken wie seine Frau. Und einmal war das Daniel, der Lebensgefährte von Csilla, der als ihr Partner und Übersetzer mitgekommen war. Mit den anderen habe ich meist auf Deutsch oder Englisch kommuniziert. Wichtig war mir, dass meine Interviewpartnerinnen zwar in Deutschland leben, aber in anderen Ländern geboren und aufgewachsen sind. Manche waren erst seit kurzer Zeit hier, manche schon seit Längerem. Doch bei jeder meiner Gesprächspartnerinnen war der kulturelle Hintergrund ihrer Herkunft spürbar. Manchmal als eine Art Bürde, von der sie sich befreien wollten, oft aber auch als etwas, das sie wertschätzen und vermissen. Aus diesem Kaleidoskop vieler verschiedener Kulturen ergibt sich ein Bild universeller Mutterschaft. Denn wie mir eine Mutter einmal sagte: „Wir alle wollen das Gleiche, wir wollen glückliche, erfolgreiche, liebe Kinder – nur wie wir das erreichen wollen, ist unterschiedlich.“
In den Monaten, in denen ich diese Gespräche führte, wurde ich mit vielen berührenden und inspirierenden Begegnungen beschenkt. Die Geschichten, die mir die Frauen erzählten, haben mich um viele Erfahrungen reicher gemacht. Ich habe viel in den Gesprächen gelernt und viel für mein eigenes Leben mitgenommen. Manche Tricks habe ich gleich anwenden können, manche werde ich mir für spätere Situationen merken. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Frauen bedanken, die mir ihre Zeit geschenkt und ihren Erfahrungsschatz mit mir geteilt haben. Ihre Stimmen sind das Herzstück dieses Buches.
Vielleicht geht es Ihnen bei Ratgeberbüchern so ähnlich wie mir: Es gibt in ihnen manchmal diesen einen besonderen Satz. Der Satz, der einem im Kopf bleibt und einem ans Herz geht, weil er etwas in einem aufwühlt, weil er genau das ist, was man in diesem Augenblick gebraucht hat. Manche Bücher werde ich für immer nur wegen dieses einen Satzes lieben.
Mögen auch Sie hier in diesem Buch diesen einen magischen Satz für sich finden.


1 Astrid aus Schweden, oder: Erziehung zur Selbstständigkeit
Astrid ist meine erste Interviewpartnerin. Wir haben uns in einem kleinen Café in der Nähe ihrer Firma verabredet, in der sie manchmal ihre Mittagspause macht. Ich bin als Erste da und bestelle einen Tee. In diesem Moment fällt mir ein, dass ich ja gar nicht weiß, wie sie aussieht. Plötzlich sehe ich eine blonde Frau in Jeans und einer Sportjacke draußen vor der Tür stehen. Da sofort die klischeehafte Vorstellung bei mir aufkommt, dass Schweden meistens blond sind, spreche ich sie an.
„Astrid?“
„Ja, die bin ich“, sagt Astrid.
Als ich ihr erzähle, dass ich automatisch nach einer blonden Frau gesucht habe, muss sie lachen. Nicht alle Schweden seien blond, wie man immer meint, sagt sie. Ich solle nur mal an die schwedische Königsfamilie denken, da seien fast alle dunkelhaarig.
Wir setzen uns an einen kleinen Tisch. Astrid ist eine dynamische junge Frau, mit einem Vollzeitjob als IT-Expertin. Sie hat zwei Söhne, die elf und vierzehn Jahre alt sind. Ihr Mann arbeitet ebenso Vollzeit. Sie wohnt mit ihrer Familie am Stadtrand von München. Jeden Morgen muss sie in die Stadt pendeln. Doch das macht ihr nichts aus. Astrid lebt gerne ein wenig außerhalb, wo die Kinder viele ihrer Aktivitäten mit dem Fahrrad erreichen können und das Leben insgesamt nicht ganz so schnell und stressig ist. Sie und ihr Mann waren sich von Anfang an darüber einig, dass sie auf dem Land leben wollten, um ihre Kinder dort gemeinsam großzuziehen.
„Wir führen eine sehr schwedische Ehe“, sagt Astrid. „Was bedeutet, dass wir uns die Arbeit mit dem Haushalt und den Kindern teilen. Anders“, lacht sie, „wäre es wohl auch nicht gegangen.“
In der Tat rangieren schwedische Männer im europäischen Vergleich auf Platz eins der Liste des Engagements im Haushalt und in der Kindererziehung. Ob ich wüsste, dass Männer, die sich aktiv an der Haushaltsarbeit beteiligen, eine höhere Lebenserwartung haben? Nein, das wusste ich nicht. Was sich wie ein Witz anhört, ist aber keiner. Aus einer Studie des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung in Bremen aus dem Jahre 2018 geht nämlich in der Tat hervor, dass Männer, die sich Hausarbeit leisten, gesünder sind und länger leben als Haushaltsmuffel.
Ich frage Astrid, worauf sie bei ihrer Erziehung am meisten Wert legt. Sie muss nicht lange nachdenken: „Ich denke, das Wichtigste ist es, die Kinder dazu zu erziehen, selbstständig zu sein.“
Ich bitte sie, mir ein Beispiel zu geben.
„Sie können zum Beispiel selbst Frühstück vorbereiten. Oder ihre Zimmer selbst sauber machen. Ich denke, diese Dinge sind wichtig.“
„Ihre Kinder machen selbst ihre Zimmer sauber?“, frage ich nach.
„Ja“, lacht Astrid. „Sogar mit dem Staubsauger!“
„Auch die Betten?“, hake ich ungläubig nach.
„Ja, auch die Betten.“
Großartig, denke ich. „Wahrscheinlich muss ich nicht fragen, ob sie auch den Tisch decken, oder?“
„Klar decken sie den Tisch“, lautet Astrids Antwort. „Und räumen hinterher sogar die Spülmaschine ein.“
Ich gebe zu, spätestens jetzt bin ich neidisch. „Wie haben Sie das geschafft?“, will ich wissen.
Astrid denkt kurz nach. „Wahrscheinlich, weil ich mich einfach geweigert habe, diese Rolle zu übernehmen. Ich sehe mich einfach nicht in der Rolle der Putzfrau.“
Klingt einleuchtend. Ich sehe mich eigentlich auch nicht in dieser Rolle. Und trotzdem bin ich es, die zu Hause das meiste erledigt. Ich frage Astrid nach ihrem Trick, nicht ohne Hoffnung, gleich einen Zauberspruch oder etwas in der Art verraten zu bekommen, womit man Kinder in kooperative Haushaltshelfer verwandeln kann. Aber Astrid hat keinen Spruch für mich.
„Ich weiß nicht“, sagt sie. „Ich mache es jedenfalls einfach nicht. Dann sehen sie schon, dass sie es selbst machen müssen. Und wenn sie ihr Zimmer nicht aufräumen, dann bleibt es eben im Chaos.“
In Schweden, erzählt mir Astrid, wird schon in den Grundschulen von den Kindern verlangt, dass sie zu Hause das Frühstück für die gesamte Familie vorbereiten und anschließend darüber schreiben. Dass Hausarbeit Frauenarbeit ist, denkt in Schweden niemand.
„Ich bin berufstätig. Da müssen sich meine Kinder nun mal selbst organisieren. Das klappt sehr gut. Mein ältester Sohn macht zum Beispiel all seine Kiefernorthopädietermine selbst aus. Und der Jüngere geht allein zu seinem Handballtraining.“
Ich seufze wieder und denke heimlich an meinen persönlichen Fahrdienst. Am Dienstag zum Taekwondo, am Montag und Mittwoch in die Ballschule für den Kleinen und am Donnerstag zum Ballett. Wenn meine Mutter nicht einen Teil der Fahrdienste übernehmen würde, würde ich wohl zusammenbrechen. Liegt es vielleicht daran, dass Astrid nur Glück gehabt hat mit ihrer Auswahl an Sportarten?
„Nein“, sagt sie. „Das liegt daran, dass ich für die Kinder das ausgesucht habe, was in der Nähe ist. Was vom Weg für sie nicht machbar ist, geht eben nicht.“
Sehr pragmatisch. Ich denke an mich selbst. Muss ich denn wirklich meine Tochter zum entfernten Handballtraining fahren? Hätte es nicht einen anderen Sport gegeben, der hier in der Nähe angeboten wird und zu dem sie alleine mit dem Fahrrad fahren könnte?
In Schweden würde sich das Problem sowieso nicht stellen, da der Staat dafür sorgt, dass an den Schulen immer genügend Sportarten angeboten werden. Gesundes Essen und Sport stehen an schwedischen Schulen ganz oben. Da gehen auch die Lehrer mit den Kindern mal zum Büfett und sorgen dafür, dass sie sich aus dem reichhaltigen Salat- und Gemüsebüfett genügend Vitaminreiches holen.
Überhaupt unterstützt der Staat Mütter und Familien enorm. Man erwartet nicht von den Eltern, dass sie alles in der Erziehung selbst übernehmen. Die Schulen und Kindergärten haben bis spätnachmittags oder bis zum frühen Abend auf, die Mütter können flexibel in ihren Buchungszeiten sein.
„Die Mütter wissen, dass sie eine super Betreuung in den Kitas und Schulen haben. Niemand macht ihnen ein schlechtes Gewissen, wenn sie selbst auch ihr Leben leben“, sagt Astrid.
Ich frage Astrid, wie es bei ihnen zu Hause mit dem Handykonsum aussieht. Ein Thema, das mich als Mutter einer pubertierenden Tochter besonders umtreibt. Astrid zögert keine Sekunde.
„Wir sind in Schweden nicht so panisch mit digitalen Medien. Wir setzen Computer schon im Kindergarten ein, und Kinder lernen früh selbst programmieren. Ich persönlich habe zu Hause kein Problem mit dem Handy. Der Ältere ist selbst so vernünftig, dass er weiß, dass man nicht andauernd mit dem Handy rummachen sollte. Und beim Jüngeren ist es so, dass er einfach so viel Sport macht, dass er gar keine Zeit fürs Handy hat.“
Ich nicke. Was für eine gute Idee, Handykonsum mit Sport zu bekämpfen!
Ich frage Astrid, wie ihre konkreten Erziehungsmethoden aussehen. Gibt es Belohnungen? Strafen? Astrid sieht mich an.
„Nein, Strafen gibt es nicht“, sagt sie. „Ich setze ganz auf Vertrauen. Wenn ich sehe, dass etwas nicht funktioniert, reden wir darüber.“
„Ist das typisch schwedisch?“, frage ich.
Astrid denkt kurz nach. „Ja, das mag sein. Wir Schweden vertrauen unseren Kindern. Dass sie sich schon richtig entwickeln werden und dass sie schon alles schaffen werden. Mein Motto lautet einfach: ›Keine Panik, alles wird sich schon lösen.‹“
In der Tat scheint Astrid so etwas wie die fleischgewordene Erziehungsphilosophie des dänischen Psychologen Jesper Juul zu sein. Dieser rät Eltern, darauf zu vertrauen, dass ihr Kind die meisten Dinge in seinem Leben schon selbst und richtig entscheiden und tun wird. Er wendet sich gegen das veraltete und in seinen Augen falsche Konzept eines Familiensystems, in dem es um Macht und nicht um Kooperation geht.
Wenn eines wichtig sei, so schreibt Juul, dann sei es die gute Atmosphäre, die zwischen den Familienmitgliedern herrsche. Noch wichtiger als eine (demokratische) Auseinandersetzung sei, so Juul, dass alle sich an die demokratischen Spielregeln halten würden.
Nicht alle Schweden aber glauben an dieses partnerschaftliche Erziehungsmodell. So ist der schwedische Psychiater David Eberhard davon überzeugt, das schwedische (partnerschaftliche) Erziehungsmodell sei zum Scheitern verurteilt, und zwar deshalb, weil es dazu führe, aus Kindern „Rotzlöffel“ zu machen, die zu wenig Respekt vor Erwachsenen hätten. Was Eberhard ebenso kritisiert, ist, dass sich in Schweden der Staat vehement in erzieherische Belange einmischt. Wie etwa dann, wenn er Kinder ermutige, Eltern wegen Missbrauchs und Gewalt anzuzeigen. So sinnvoll das natürlich in jenen Fällen ist, in denen es tatsächlich Missbrauch gibt – das Ganze hat auch eine große Schattenseite, und das ist das Misstrauen, das damit zwischen Kindern und Eltern gesät wird. So haben sich etwa Anzeigen von Kindern gegen Eltern seit dem Jahr 2000 dramatisch erhöht – und das, obwohl Experten davon ausgehen, dass sich die Gewalt gegen Kinder de facto nicht erhöht hat, was bedeutet, dass viele Anzeigen ungerechtfertigt sind. Dass der Staat Gefahr läuft, einen Keil zwischen Kinder und Eltern zu treiben, ist für Eberhard eine desaströse Entwicklung.
Wie sehr körperliche Gewalt in Schweden im Vergleich zu anderen Ländern zu einem Tabu geworden ist, kann man gut anhand des Falls eines italienischen Vaters sehen, der vor einigen Jahren in Schweden für viel Aufsehen gesorgt hat. Dort hatte er mit seinem Kind über die Straße gehen wollen. Als das Kind loslief, ohne nach rechts oder links zu sehen, riss es der Vater an der Schulter zurück und gab ihm einen Klaps. Der Mann kam vor ein schwedisches Gericht, musste Bußgeld zahlen und wanderte ins Gefängnis. Während dieser gar nicht wusste, wie ihm geschah, erregte sich ganz Schweden über den Vorfall und war fassungslos darüber, dass dem Mann jedes Unrechtsbewusstsein fehlte.
„Wenn mir die Hand ausrutschen würde, wäre das das Schlimmste für mich“, sagt Astrid. „Ich würde es mir nicht verzeihen.“
„Worin, glaubst du“, frage ich, „liegt der größte Unterschied zwischen deutscher und schwedischer Erziehung?“
Astrid überlegt kurz. »Deutsche Familien sind stärker auf die Mutter fokussiert. Sie ist das Zentrum der Familie. Jedenfalls der meisten, die ich hier kennengelernt habe. Sie ist die erste Anlaufstelle. Sie entscheidet über die wichtigen Dinge der Familie, was einen enormen Stress für sie bedeutet. Möglicherweise liegt das auch daran, dass in Schweden die Frauen viel häufiger berufstätig sind. Da kann eine Mutter gar nicht so viel übernehmen, wie das hier in Deutschland geschieht.
Über das – zumindest aus feministischer Sicht – vorbildliche Geschlechterverhältnis in Schweden ist viel geschrieben worden. Die Frauenerwerbsquote ist in Schweden höher als in jedem anderen europäischen Land, und dass Männer sich freinehmen, um auf den Nachwuchs aufzupassen, ist in Schweden weitaus normaler als hierzulande. Um die Gleichberechtigung der Geschlechter zu gewährleisten, greift Schweden schon bei Kindergartenkindern ein. 2015 wurde das geschlechtsneutrale Wort „hen“ offiziell als Pronomen eingeführt. Jungen wie Mädchen werden dabei nicht als „er“ oder „sie“ bezeichnet, sondern eben als „hen“, als geschlechterneutrale Person also. Die Idee dahinter ist, dass man den Kindern damit genügend Freiraum gibt, sich jenseits von geschlechterspezifischen Erwartungen zu entfalten und Respekt vor dem jeweils anderen Geschlecht zu haben. Denn Kinder sollen nicht nur selbst entscheiden, ob sie mit Puppen oder Traktoren spielen wollen, sie sollen auch lernen, dass Puppen und Traktoren gleichwertig sind. Vorreiter war der Kindergarten „Egalia“, der 2010 in Stockholm aufmachte. Konsequent setzt dieser die Idee einer geschlechtsneutralen Erziehung um, bietet den Kindern sowohl männliche als auch weibliche Puppen an sowie Puppen verschiedener Hautfarbe. Märchen werden gründlich im Hinblick auf ihre Aussagen zu stereotypen Geschlechteridentitäten untersucht und beim Vorlesen notfalls weggelassen. Mädchen werden ermutigt, wilder zu sein, und Jungs emotional expressiver.
Auch wenn viele Eltern in Stockholm von dem Konzept begeistert sind und die Warteliste für „Egalia“ sehr lang ist, gibt es auch kritische Stimmen in Schweden. So kritisierte die Soziologin Elise Claeson, dass die Einführung eines dritten Geschlechts verwirrend auf die Entwicklung der Geschlechtsidentität wirke. Auch der deutsche Entwicklungspsychologe Peter Zimmermann fragt, ob durch die Entfernung einer vermeintlich sexistischen Sprache nicht eine andere Ideologie etabliert würde. Eine, die sich allzu stark auf Geschlechterunterschiede fokussiert und damit erst ein Problembewusstsein für etwas schafft, das eigentlich gar kein Problem ist.
Irritierend in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass im alten Rom Sklaven ebenso mit einem geschlechtsneutralen Wort bezeichnet wurden, nämlich als „mancipium“. Die Tatsache, dass einem Individuum seine Geschlechtsidentität aberkannt wird, kann also auch einen entwürdigenden Effekt haben.
Ich frage Astrid, ob sie ein Erziehungsbuch empfehlen kann oder ob es einen Pädagogen gibt, dessen Philosophie sie schätzt.
„Ich hole mir selten Anregung aus Büchern. Nur als mein Sohn in die Pubertät kam, dachte ich, vielleicht sollte ich mal etwas lesen, um besser vorbereitet zu sein. Das Buch heißt Pubertät: Wenn Erziehen nicht mehr geht: Gelassen durch stürmische Zeiten, und es ist von Jesper Juul . Ehrlich gesagt bin nie dazu gekommen, es ganz durchzulesen. Aber von ihm stammt die Idee, dass Erziehung realistisch gesehen mit zwölf beendet ist. Ab da, sagt er, kann und muss man sich nur noch um eines kümmern, und das ist eine gute Beziehung zu den Kindern. Ich denke, das ist ein wirklich guter Ratschlag, und genauso empfinde ich es auch.“
Zum Schluss frage ich Astrid, was sie ihren Söhnen, wenn sie eines Tages Eltern werden sollten, mit auf den Weg geben würde. Astrid hält kurz inne.
„Habt nicht so viel Angst und macht euch nicht so viele Sorgen. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan. Man ist ja mittendrin in dem ganzen Trubel, die Arbeit, das Haus, die Kinder und so weiter … trotzdem ist es wahr: Man macht sich immer zu viele Gedanken. Dass man alles richtig macht, dass man keine Fehler macht. Und doch regelt sich so vieles einfach von selbst!“
Als wir uns verabschieden, regnet es draußen. Astrid hat keinen Schirm dabei, aber sie sagt, das mache ihr nichts aus, obwohl sie noch ein ganzes Stückchen zu laufen hat. Ich sehe ihr nach, wie sie gut gelaunt durch den Regen über die Straße läuft. Hier ist eine Frau, denke ich, die keine Angst hat, nass zu werden. Eine Frau, die dem Leben genauso vertraut wie ihren Söhnen, von denen sie erwartet, dass sie schon alles richtig machen werden. Wie schön!

Astrids Erziehungstipps
1.Vertraue deinem Kind und ermutige es, sein Leben selbst zu organisieren und Verantwortung für euer gemeinsames Leben zu übernehmen.
2.Achte bei der Auswahl der Hobbys der Kinder darauf, dass die ausgewählten Aktivitäten für die Kinder leicht erreichbar sind – am besten von ihnen selbst!
3.Hab nicht so viel Angst und mach dir nicht zu große Sorgen. Denk daran: Die meisten Probleme regeln sich von selbst.


2 Kaiwen aus China, oder: Bändigung der inneren Tigermutter
Eine knappe Woche später fahre ich zu Kaiwen. Die gebürtige Chinesin wohnt in einem ruhigen und gepflegten bayrischen Vorort. Auch Kaiwens Haus ist auffällig gepflegt. Wir setzen uns an einen großen Holztisch im Wohnzimmer. Kaiwen ist in Peking aufgewachsen, mit zwanzig kam sie zum Studium nach Deutschland. Danach hat sie hier Fuß gefasst. Nach fünf Jahren in einem Sechzigstundenjob in einer renommierten Wirtschaftsprüfergesellschaft hat sie jetzt „nur noch“ eine Dreißigstundenstelle bei einer Versicherungsfirma. Kaiwen hat zwei Söhne, einen im Alter von elf und einen kleinen Jungen im Alter von zwei Jahren.
„Während meines Studiums wurde ich schwanger. Wenn meine Mutter mir in der ersten Zeit mit dem Baby nicht geholfen hätte, hätte ich das wohl alles nicht geschafft“, sagt sie. Und damit sind wir auch schon mittendrin im Thema.
»Großmütter helfen in China viel mit. Ich glaube, das liegt daran, dass die Mütter in China nur vier Monate Mutterschutz bekommen. Danach müssen sie wieder Vollzeit arbeiten. Teilzeit gibt es in China nicht. Ohne Großmütter würde es einfach nicht funktionieren. Natürlich war es früher auch einfacher, als man noch häufiger in Großfamilien zusammenlebte. Heute hat sich das geändert.
„Als ich meinen Sohn bekam, haben meine Eltern mich bis zur Selbstaufgabe unterstützt. Da man als chinesischer Staatsbürger nur ein dreimonatiges Visum bekommt, haben sich mein Vater und meine Mutter sogar eine Zeit lang abgewechselt, um mir zu helfen. Irgendwann habe ich aber ein schlechtes Gewissen bekommen, und wir haben eine andere Lösung gefunden.“
„Woran liegt es, dass Großeltern in China so aufopfernd sind?“, frage ich.
„Kinder sind in China wie Hoffnungsträger, was durch die Ein-Kind-Politik natürlich noch verstärkt wurde. Kinder stehen im Zentrum. Sie sind das Ein und Alles der Erwachsenen.“
An diese Hoffnung sind aber auch große Erwartungen geknüpft. Vor allem die, es auf die Universität zu schaffen – das sei das große Ziel, fügt Kaiwen hinzu. „Am besten eine Uni im Ausland. In Deutschland zum Beispiel.“
Kaiwen ist dafür quasi ein Paradebeispiel. Mit exzellenten Noten und einem erfolgreich abgeschlossenen Studium in Deutschland muss sie ihre Eltern sehr stolz gemacht haben.
„Haben deine Eltern dich gelobt oder belohnt?“, frage ich.
„Nein. Meine Eltern haben einfach zu mir gesagt: ›Wir sind immer davon ausgegangen, dass du es schaffst.‹ Was irgendwie ein Lob war und mich gefreut hat.“
Kaiwen lacht und fügt dann hinzu: „In anderen Familien ist es aber anders. Dort schenken Eltern ihren Kindern, die es auf die Universität schaffen, Geld.“
In China ist der Einfluss des Philosophen Konfuzius aus dem 5. Jahrhundert vor Christus immer noch maßgeblich. Der konfuzianischen Lehre zufolge steht nicht das Überirdische, sondern das Irdische im Mittelpunkt des Lebens. Immer wieder betonte er, wie wichtig das eigene Handeln sei und das, was man aus eigener Kraft erreichen kann. Von ihm stammt der Satz: Wer besser lernt, kann besser aufsteigen. In der Tat existiert in China eine lange Tradition, die Staatselite (vor allem Beamte) aus der akademischen Elite zu rekrutieren. Kein Wunder also, dass der Wunsch fast aller chinesischen Eltern nach dem schulischen Erfolg ihrer Kinder so dominant ist.
Kaiwens Sohn stürmt mit einem Freund ins Wohnzimmer. Ein freundlicher, aufgeweckter Junge. Er sagt kurz „Hallo“, dann rennt er nach draußen.
„Ich glaube nicht daran, dass Kinder für Leistung in der Schule oder auch sonst wo, wie zum Beispiel im Haushalt, belohnt werden sollten. Sie sollten es für die Leistung an sich tun. Außerdem: Was ist, wenn sie für eine andere Leistung mehr Geld bekommen? Dann lohnt sich ja die Arbeit in der Schule oder im Haushalt nicht mehr für sie. Und außerdem nehme ich ja auch kein Geld fürs Kochen oder Putzen.“
Ich muss lachen, stelle mir vor, wie ich nach jedem Abendessen einen Beutel rumgehen oder besser noch eine Rechnung auf dem Tisch liegen lasse.
„Vor allem“, sagt Kaiwen, „versuche ich meinen Kindern, insbesondere dem Großen, zu vermitteln, dass sie alles, was sie für die Schule machen, nicht für mich, sondern für sich selbst machen. Bei mir war das anders. Ich hatte immer das Gefühl, ich mache es nur für die Eltern. Sogar als ich in der Uni war, war das noch so.“
Kaiwen versucht mir klarzumachen, welchem Druck Kinder in China ausgesetzt sind, was oft schon im Kindergarten beginnt. Um in einen besonders guten Kindergarten aufgenommen zu werden, so erzählt mir Kaiwen, müssen die Eltern ein Vorstellungsgespräch führen. Bei diesem Gespräch versuchen sie sich selbst und die gesamte Familie in einem besonders guten Licht dastehen zu lassen. Sie rühmen die Begabungen ihres Kindes und versuchen sich um jeden Preis mit der Leitung und den Angestellten des Kindergartens gut zu stellen. Auf eine einzige Erzieherin im Kindergarten kommen mindestens 25 Kinder in China. Da die Eltern wollen, dass das eigene Kind eine besondere Aufmerksamkeit von der Erzieherin erfährt, machen sie gerne Geschenke an Erzieherinnen, erzählt mir Kaiwen. Da das Erziehungssystem nicht in staatlicher Hand liegt, ist hier fast alles erlaubt. Besonders die Besuche, die die Erzieherinnen den Eltern der Kinder zu Beginn abstatten, werden dazu benutzt, diese reichlich zu beschenken.
„Chinesische Eltern wollen einfach alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um ihren Kindern die bestmögliche Ausbildung zu ermöglichen“, erklärt Kaiwen. „Und die – davon sind viele überzeugt – beginnt nun mal schon im Kindergarten. Dass die eigenen Kinder später Spitzenleistungen in der Schule und im Studium erbringen, ist für viele chinesische Eltern das zentrale Lebensziel.“
Auch für Kaiwens eigene Eltern war es so, die seit ihrem zehnten Lebensjahr jeden Yuan zur Seite gelegt haben, um für ihr späteres Uni-Studium zu sparen.
Statistiken zufolge sind Kinder in China im Schnitt dreizehn Stunden pro Woche länger mit Hausaufgaben beschäftigt als in Deutschland, sie erhalten circa siebzehn Wochenstunden privat bezahlter Nachhilfe und bekommen im Schnitt nur sechs Stunden Schlaf pro Nacht. Ein hoher Preis dafür, dass die Schüler Schanghais in der PISA-Studie von 2012 den ersten Platz innehatten.
Der Erfolgsdruck sei enorm, sagt Kaiwen. Chinesische Eltern würden ihre Kinder ständig zu noch mehr Leistung anstacheln und dabei auch immer wieder Dinge sagen wie: „Schau mal, das Kind vom XY macht das ganz toll. Der hat super Noten. Und jetzt schau dich mal an.“
Kaiwen ist entschlossen, es in dieser Hinsicht anders zu machen als ihre Eltern. So habe sie sich auch fest vorgenommen, ihr Kind nicht ständig mit anderen zu vergleichen. Ihre Söhne sollen das Leben genießen und sich ausprobieren, zum Beispiel mit Hobbys – etwas, was sie selbst nie haben durfte. „Schließlich musste ich ja jede freie Minuten nutzen, um zu lernen.“
Belustigt erzählt mir Kaiwen vom neuesten Hobby ihres Sohnes, der nach Handball, Tennis und Klavier jetzt auch noch dem Schützenverein beigetreten ist.
„Schützenverein?“, frage ich ungläubig, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass ein elfjähriges Kind mit Pistolen hantieren darf.
„Ja. Ein richtiger bayrischer Schützenverein“, sagt Kaiwen, die es selbst nicht so recht glauben kann, was für ein Hobby sich ihr Sohn da ausgesucht hat.
Ich frage Kaiwen, welche Unterschiede es ihrer Meinung nach zwischen den Kindern ihrer Freundinnen in Schanghai und den Kindern hier in Deutschland gibt.
„Die Kinder meiner chinesischen Freundinnen sind reifer als die Kinder hier. Dafür sind die Kinder hier in Deutschland auffallend offen. Auch im Umgang mit Erwachsenen. In China gilt Gehorsam als eine Tugend. Das erklärt vielleicht, warum die Kinder in China keinen freundschaftlichen Kontakt mit Erwachsenen pflegen. Als ich neulich bei einer deutschen Freundin zu Gast war, setzte sich die älteste Tochter zu uns. Sie fragte mich über China aus und unterhielt sich mit mir. Sie war ehrlich interessiert an der Unterhaltung. Das hat mich verblüfft.“
Dass Respekt und Gehorsamkeit so wertgeschätzt werden, lässt sich ebenfalls auf den chinesischen Philosophen Konfuzius zurückführen, für den eine geordnete Familienstruktur von elementarer Wichtigkeit war. So stammt von ihm folgendes Zitat: „Die Schwierigkeit bei der Erfüllung der Pflichten in der Familie besteht in einem fortdauernd rücksichtsvollen und freundlichen Betragen, dass man es vermeidet, sich im Laufe der Jahre in seinen Manieren den Eltern gegenüber gehen zu lassen. Was man sonst unter der Erfüllung der Pflichten versteht, dass die Kinder die Mühen der Arbeit für ihre Eltern auf sich nehmen, dass sie ihnen ihren Besitz zur Verfügung stellen und für ihren Lebensunterhalt sorgen, das alles sind nur die selbstverständlichen Voraussetzungen.“
Kaiwen ist davon überzeugt, dass die Kinder hier in Deutschland glücklicher sind als in China. Und doch ist es für sie nicht immer ganz leicht zu sehen, wie anders ihre eigenen Kinder im Vergleich zu ihr selbst sind. Auch wenn sie stolz darauf ist, dass ihr ältester Sohn ohne den großen Leistungsdruck aufwächst, mit dem sie als Kind leben musste, fällt es ihr schwer, in dieser Beziehung loszulassen.
„Ich kann nicht umhin zu denken, dass er in meinen Augen nicht genug für die Schule macht. Trotzdem halte ich mich zurück.“
Zum Glück, sagt Kaiwen, sei ihr Sohn ziemlich schlau und habe sich in der Schule immer leichtgetan. Meistens bringe er Zweier nach Hause. Was sie machen würde, wenn es nicht so wäre, weiß sie nicht. Ihre eigene Mutter habe zu Beginn gar nicht verstehen können, wie frei ihr Enkel aufwachse.
„Unterdessen“, sagt Kaiwen, »hat sie sich aber daran gewöhnt. „So sehr, dass sie es ist, die mir jetzt manchmal sagt: ›Lass ihn einfach machen.‹“
Kaiwen findet es lustig, dass, während sie versucht, von der chinesischen Erziehungsidee etwas Abstand zu nehmen, die deutschen Mütter zunehmend chinesisch werden.
„Wenn die Kinder hier in die vierte Klasse der Grundschule kommen, werden alle panisch“, sagt sie. „Die Mütter üben dann einen irren Druck auf die Kinder aus, nur damit sie alle aufs Gymnasium kommen und später studieren können. Das erinnert mich sehr an China und die Tigermütter dort.“
„Tigermutter“ ist ein Begriff, der seit dem Buch der chinesisch-amerikanischen Jura-Professorin Amy Chua in aller Munde war. In diesem Buch beschreibt die zweifache Mutter, wie sie mit eiserner Disziplin von ihren Töchtern stets Hochleistungen gefordert und diese schließlich auch von ihnen bekommen hat. Hierzulande wurde die „Tigermutter“ mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen gelesen. Auch Kaiwen musste sich von anderen deutschen Müttern oft fragen lassen, ob sie auch so eine „Tigermutter“ sei.
Kaiwen kann da nur lachen.
„Bei mir läuft gar nichts mit Autorität und Gehorsam. Ich setze darauf, den Kindern immer zu erklären, warum sie etwas machen müssen. Auch bei meinem Zweijährigen ist das so. Ich erkläre ihm, warum er baden muss, warum er seine Haare waschen muss … Auch wenn das manchmal zu echt langen Diskussionen führt. Ich denke aber, es lohnt sich.“
Zum Schluss frage ich Kaiwen, was sie ihren Söhnen mitgeben würde, wenn sie mal Eltern werden sollten. Sie lacht: „Mein Sohn würde mich garantiert nicht fragen, was ich denke. Er hat seinen eigenen Kopf.“
Amy Chua wäre mit Kaiwen wohl nicht einverstanden, aber damit kann Kaiwen gut leben.

Kaiwens Erziehungstipps
1.Halte deine innere Tigermutter, die die Kinder am liebsten ständig antreiben würde, im Zaum.
2.Ermögliche deinem Kind, sich auszuprobieren und seine eigenen Hobbys zu wählen.
3.Freue dich darüber, dass dein Kind einen eigenen Kopf hat, und fürchte dich nicht davor, lange Diskussionen führen zu müssen, in denen du deinem Kind erklärst, warum es etwas machen soll.


3 Naiko aus Japan, oder: Erziehung durch wertfreie Ermahnung
Ich treffe Naiko in einem kleinen Café, das an einen Blumenladen angeschlossen ist. Unsere Söhne gehen in den gleichen Kindergarten, und so kennen wir uns schon vom Sehen, auch wenn wir noch nicht viel miteinander gesprochen haben. Das liegt wohl daran, dass ihr Sohn nicht jeden Tag in den Kindergarten geht und meistens auch nicht bis sechzehn Uhr bleibt, sondern früher von seiner Mutter abgeholt wird. Für Naiko ist es wichtig, viel Zeit mit ihren beiden Söhnen zu verbringen, mit denen sie zu Hause viel spielt und sie beim Geigeüben begleitet.
Naiko führt eine klassische japanische Ehe. Nach ihrem Studium wurde sie schwanger und blieb zu Hause. Ihr Mann, der in Deutschland in einer japanischen Firma arbeitet, kommt meist spät nach Hause. Um die Kindererziehung kümmert er sich – schon allein aus Zeitgründen – nicht.
„Das geht vielen Männern in Japan so“, sagt Naiko. „Heutzutage kann es zwar schon mal vorkommen, dass man in Tokio einen Vater sieht, der sein Kind in den Kindergarten bringt, das ist aber eher selten.“
Ich frage Naiko, ob sie das stört.
„Nein“, sagt sie. Sie ist mit ihrer Rolle zufrieden. Anders als viele japanische Freundinnen entscheide sie auch vieles allein.
„Mein Mann vertraut mir“, sagt Naiko. „Und außerdem komme ich hier gut zurecht.“
In der Tat macht Naiko einen sehr kompetenten Eindruck. Sie spricht nicht nur gut Englisch, sondern auch sehr gut Deutsch. Und das, obwohl sie erst seit drei Jahren hier ist. Auch wenn es in ihrem ersten Jahr in Deutschland nicht ganz einfach war, möchte sie die Zeit hier nicht missen, sagt sie etwas wehmütig, denn Ende dieses Jahres geht es mit ihrer Familie zurück nach Japan.
„So viele Japaner kommen nie aus ihrem Land heraus und sind nicht neugierig auf andere Kulturen. Einmal nicht zur Mehrheit zu gehören, sondern zu einer Minderheit, das ist eine ungeheuer wichtige Lektion für mich gewesen“, sagt sie. „Zu den Ausländern, mit denen ich früher in Japan in meiner Schulzeit zu tun hatte, gab es immer eine gewisse Distanz. Ich glaube, das liegt daran, dass die Japaner das Fremde nicht so gewohnt sind. In dieser Hinsicht bin ich sehr dankbar, dass ich und auch meine Söhne diese Erfahrung machen dürfen. Wenn wir wieder in Japan sind, möchte ich, dass sie sich an dieses Gefühl erinnern.“
Naikos Söhne sind fünf und zwei Jahre alt. Zwei fröhliche Kinder, die nach dem Kindergarten ausgelassen toben. Ich frage Naiko danach, was ihr in Deutschland an den Müttern und Kindern aufgefallen ist. Naiko muss keine Sekunde lang nachdenken.
„Regeln!“, sagt sie. „Deutsche Mütter haben so viele Regeln für die Kinder. Und die Kinder können sich so gut in Restaurants benehmen.“
Ich muss schmunzeln. Dass mir eine Japanerin sagen würde, dass wir Deutschen so streng sind, hätte ich nicht gedacht. Ich hatte immer geglaubt, dass Japaner besonders streng zu ihren Kindern wären.
„Habt ihr denn keine Regeln?“, frage ich.
„Nicht so viele“, sagt Naiko. Es wundert sie bis heute, dass Mütter in Deutschland so streng sind. Dass sie etwa ihren Kindern keinen Fruchtsaft zu trinken geben wollen, weil da so viel Zucker drin ist. Oder immer darauf achten, dass Kinder nicht zwischen den Mahlzeiten essen.
„Und dann natürlich das mit dem Ins-Bett-Gehen. Deutsche Mütter scheinen mir manchmal wie besessen davon, dass ihre Kinder vor acht Uhr schlafen sollen. Japanische Mütter sind da viel flexibler“, sagt sie und lacht.
Dass wir uns oft damit verrückt machen, dass wir die Kinder früh ins Bett bringen wollen, kann ich nur bestätigen. Gerade gestern hatte ich mir in den Kopf gesetzt, dass mein Jüngster um zwanzig Uhr schlafen sollte. Tatsächlich eingeschlafen ist er dann nicht um acht, sondern halb zehn, natürlich sehr zu meinem Missvergnügen. Andererseits bin ich wohl selbst schuld. Schließlich lag es nur daran, dass ich mir diese Uhrzeit fest vorgenommen hatte und entsprechend enttäuscht war, als es nicht klappte.
Naiko ist auch aufgefallen, dass deutsche Mütter einen großen Wert auf die Individualität ihrer Kinder legen. Das sei in Japan nicht so. Wenn ein Kind zum Beispiel hierzulande ein Spielzeug haben möchte, nur weil es das gleiche Spielzeug bei einem Freund gesehen hat, dann ist das für deutsche Mütter kein Argument. In Japan hingegen sei es ganz normal, dass sich ein Kind an anderen orientiere und dazugehören wollen würde. Sie habe das mit der Individualität schätzen gelernt und werde sich – zurück in Japan – wahrscheinlich wieder umgewöhnen müssen.
„Dann werde ich bestimmt mehr Spielzeug anschaffen müssen“, sagt sie und lacht.
Naiko ist eine zierliche junge Frau mit einer zarten Stimme. Ich frage sie, ob sie ihre Stimme manchmal gegen ihre Kinder erhebt. Sie sieht mich an und schüttelt den Kopf.
„Nein“, sagt sie. „Moderne japanische Mütter glauben nicht daran, dass man die Kinder ermahnen und schimpfen soll.“
„Wie machst du es dann?“, frage ich. „Was ist dein Trick?“
Naiko lächelt. „Ich wiederhole einfach, was sie sagen.“
„Wie bitte?“, frage ich.
„Wenn Toto etwas Schlechtes sagt, dann wiederhole ich es. Zum Beispiel wollte Toto gestern etwas Wasser haben. Ich habe es ihm gegeben. Dann wollte sein älterer Bruder Yota auch Wasser. Da hat Toto gesagt: ›Yota soll kein Wasser haben.‹ Ich habe mich zu ihm umgedreht und einfach gesagt: ›Du willst, dass Yota kein Wasser bekommt.‹ Einfach so. Ohne es zu bewerten.“
„Und?“, frage ich. „Wirkt das?“
Naiko lacht. „Meistens, ja. Aber es gibt meinem Kind das Gefühl, dass ich verstehe, was es will. Ich muss nicht damit einverstanden sein, aber ich möchte ihm das Gefühl geben, verstanden und gehört zu werden.“
Hm, interessant, denke ich.
„Meine eigene Erziehung war wesentlich strenger“, sagt Naiko. „Doch seit ein paar Jahren gibt es in Japan eine große Diskussion darüber, wie Kinder besser erzogen werden können. Dabei spielt der Psychologe Alfred Adler für uns junge Japaner eine wichtige Rolle.“
„Alfred Adler?“, frage ich nach. In der Tat ist der bekannte österreichische Psychologe Alfred Adler, der vor allem in den 30er-Jahren viel publizierte, in unserem Kulturkreis etwas in Vergessenheit geraten. Der Psychologe hatte sich unter anderem auch mit der Frage befasst, was eine gute Erziehung ausmacht, und kam zu dem Schluss, dass das Ziel aller Erziehung darin bestehen sollte, Kinder zu sozialen und kooperativen Mitmenschen zu erziehen. Damit dies geschieht, sei es wichtig, Kinder nicht zu demütigen und sie in ihrem Selbstvertrauen und ihrem Mut nicht zu erschüttern.
Naiko sagt, sie versuche ihre Kinder in der Hinsicht wie Erwachsene zu behandeln, dass sie ihnen nicht einfach vorschreibt, was sie tun sollen, sondern ihnen erklärt, warum es gut wäre, etwas zu tun.
„Als ich siebzehn Jahre alt war, hatte ich einen Freund, der ein Motorrad hatte. Ich wäre so gerne einmal mit ihm gefahren, aber meine Mutter hat es mir einfach verboten. Heute verstehe ich sie natürlich. Auch ich würde meinem Kind das Motorradfahren verbieten, aber im Gegensatz zu meiner Mutter würde ich meinem Kind erklären, warum ich das tue.“
Ich muss schmunzeln. Jetzt verstehe ich, warum ich Naiko vor oder nach dem Kindergarten oft kniend vor ihrem Sohn gesehen habe. Bestimmt war sie da gerade dabei, ihm etwas zu erklären.
An Belohnungen oder erpresserische Erziehungsmethoden glaubt Naiko nicht. Wenn man will, dass das Kind etwas tut, dann darf man kein großes Aufhebens darum machen, sondern einfach ganz ruhig die zeitliche Abfolge erklären, in der etwas geschehen soll.
Anstatt ihrem Sohn also zu drohen oder ihn mit Belohnungen dazu zu bringen, dass er Geige übt, sagt sie ihm einfach ganz ruhig: „Du übst Geige, dann essen wir was und dann gehen wir spazieren.“
Ich verspreche mir selbst, diesen Trick unbedingt auch einmal auszuprobieren.
Yota, so erzählt mir Naiko, habe sich selbst die Geige als Instrument ausgesucht. Daran erinnere sie ihn immer wieder. Auch legt sie Wert darauf, dass er den Unterricht schätzen lernt. So müsse er zum Beispiel der Lehrerin immer selbst das Geld geben. Am Ende des Monats, so habe Naiko ihrem Sohn erklärt, bekäme der Geigenlehrer Geld im Wert eines Lego-Spiels.
„Es ist mir wichtig“, sagt Naiko, „dass er versteht, dass er Geigenunterricht bekommt, weil er es wollte, nicht weil ich es so wollte.“
Ich – als Mutter von zwei Mädchen, die sich ständig streiten – möchte wissen, wie Naiko mit Streit zwischen ihren Söhnen umgeht. Gibt es den überhaupt?
„Natürlich gibt es den. Der Jüngere will dem Älteren oft Spielsachen wegnehmen und gönnt ihm vieles nicht.“
„Was machst du dann?“
„Ich versuche, die gleiche Methode anzuwenden. Ich frage: ›Was ist passiert?‹ Dann versuche ich mir – so unparteiisch wie möglich – einfach anzuhören, was zwischen den beiden geschehen ist. Beide können mir ihre Version erzählen. Ich versuche, nicht zu bewerten, aber beiden das Gefühl zu geben, dass ich ihnen zuhöre.“
„Klappt das?“
Naiko lacht.
„Nein. Nicht immer. Wenn es gar nicht geht, dann sage ich ihnen, dass sie in getrennten Zimmern spielen müssen. Aber meistens wollen sie das auch nicht.“
„Was möchtest du deinem Sohn mitgeben? Was, denkst du, ist wichtig?“, frage ich Naiko.
„Er soll lernen, dass es wichtig ist, Gewohnheiten zu haben und die Gewohnheiten lieben zu lernen. Und ich möchte ihm beibringen, dass man fast alles im Leben erreichen kann, wenn man übt. Ich glaube, das ist sehr wichtig.“
Dann stelle ich Naiko meine letzte Frage.
„Was würdest du deinem Sohn gerne mitgeben, wenn er mal Kinder hat?“
Naiko überlegt.
„Ich glaube, ich würde ihm sagen: ›Weißt du, auch wenn es einmal schwierige Moment gibt, denk daran, dass auch diese vorübergehen werden.‹ Meine Söhne haben zum Beispiel als Babys sehr schlecht geschlafen. Ich habe daher ungefähr zwei Jahre meines Lebens ebenso schlecht schlafen können. Erst dachte ich, das geht ja nie vorbei, aber das stimmt nicht. Jetzt schlafen sie wunderbar, und alles ist gut. Wenn ich öfter daran gedacht hätte, dass das ja nur eine Phase ist, wäre ich bestimmt beruhigter gewesen.“

Naikos Erziehungstipps
1.Wenn dein Kind etwas sagt, mit dem du nicht einverstanden bist, wiederhole seine Worte. Gib ihm das Gefühl, gehört zu werden, und die Chance, über das Gesagte nachzudenken.
2.Wenn du willst, dass dein Kind etwas Bestimmtes macht, dann mach kein großes Aufheben davon, sage ruhig und bestimmt, was wann geschehen soll, und geh einfach davon aus, dass es geschehen wird.
3.Wenn du dein Leben erleichtern willst, dann versteif dich weder darauf, dass dein Kind um jeden Preis früh ins Bett gehen muss, noch darauf, dass es immer um jeden Preis gesund essen muss.


4 Magali aus Frankreich, oder: Erziehung und Zauberei
Ich treffe Magali in ihrer Wohnung im fünften Stock. Dummerweise bin ich die Treppen gelaufen, anstatt den Aufzug zu nehmen. Nun komme ich außer Puste oben an. Im Wohnzimmer hängt ein riesiges Poster von Paris, das eine ganze Wand bedeckt.
Magali vermisst ihre Heimat sehr und fährt regelmäßig nach Frankreich. „Was mich aber nicht daran hindert, mich hier in Deutschland sehr wohlzufühlen“, sagt sie im gleichen Atemzug. Die ausgebildete Schauspielerin, die selbst Schauspielunterricht gibt und eine Improvisationstruppe leitet, verliebte sich vor sieben Jahren im Rahmen eines internationalen Theaterprojekts in einen Deutschen. Mittlerweile sind die beiden verheiratet und haben zwei Söhne im Alter von zweieinhalb und vier Jahren. „Sportlich“ nennt sie diese Herausforderung, zwei Kinder zu haben, die altersmäßig so nahe beieinander sind.
Ich frage Magali, was sie als den größten kulturellen Unterschied in puncto Kindererziehung ansieht. Das Erste, was ihr einfällt, ist der unterschiedliche Umgang mit Fremdbetreuung.
„Ich habe meine beiden Söhne mit zehn Monaten zum ersten Mal in die Krippe gebracht, und das auch nur am Nachmittag. Hätte ich dies in Frankreich gemacht, wäre ich ganz schön komisch angesehen worden. Dort ist es ganz normal, das Kind mit vier Monaten in die Krippe zu bringen – und nicht nur nachmittags, sondern den ganzen Tag, also von acht bis siebzehn Uhr.“
Hier in Deutschland würde man sie manchmal schief ansehen, wenn sie erzählt, dass ihre Kinder in der Krippe sind.
„Zum Beispiel die Frau aus der Bäckerei an der Ecke“, erzählt mir Magali. „Die hat mich voller Mitleid angesehen, als sie erfahren hat, dass ich wieder arbeite und meinen Sohn in die Krippe bringe. Als ich ihr daraufhin gesagt habe, dass ich gerne arbeite, und auch, dass Krippen für Kinder unheimlich wichtig seien, weil sie dort soziale Kontakte haben können, fand sie das ziemlich irritierend.“
Magali ist überzeugt davon, dass es gut ist, wenn eine Frau auch als Mutter weiterhin berufstätig bleibt und nicht ausschließlich für die Kinder da ist.
„Zumindest habe ich feststellen können, dass die Mütter, die ganztags für ihre Kinder da sind, nicht gerade die entspanntesten sind“, sagt Magali und lacht. „Oft beklagen sie sich und haben es ganz schön satt, immer nur für die Kinder da zu sein. Und das verstehe ich völlig. Meine Kinder sind mir das Wichtigste überhaupt, trotzdem möchte ich nicht die ganze Zeit bei ihnen sein. Ich bin eine Mutter, ja, aber ich habe auch andere Rollen, die ich erfüllen möchte: Ich bin Ehefrau, Freundin und Schauspielerin. All diese Rollen gehören zu mir, und ich möchte sie ausleben, sonst wäre ich nicht ausgeglichen.“
Eine andere Sache, die Magali hier aufgefallen ist, sei, dass sie nur wenige Mütter erlebe, die in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten mit ihren Kindern austauschen. Sie würde ihre Söhne ständig knuddeln – auch in der Öffentlichkeit.
Unwillkürlich muss ich daran denken, dass zwar Franzosen zärtlicher mit ihren Kindern in der Öffentlichkeit sein mögen, dafür aber körperliche Strafen wie etwa ein Klaps auf den Po oder eine Ohrfeige als Erziehungsmaßnahme nicht nur toleriert, sondern – glaubt man den Umfragen – von der Mehrzahl der Franzosen auch befürwortet werden. Im Gegensatz zu Ländern wie Schweden und Deutschland sind körperliche Strafen in Frankreich als disziplinarische Maßnahme nach wie vor erlaubt.
„Und worüber wunderst du dich noch?“, will ich wissen.
Magali denkt kurz nach.
„Die deutschen Kinder und ihr Gemüse!“, sagt sie. „Die deutschen Mütter geben ihren Kindern ständig Gurkenscheiben und Apfelstücke in ihre Brotboxen mit. Schokolade ist in den meisten Kindergärten verboten. So etwas würde in Frankreich niemals funktionieren. Süße Sachen, wie ein Dessert oder Schokolade, gehören nun mal zu jeder Mahlzeit. Auch beim ›gouté‹ – der traditionellen Nachmittagspause gegen vier Uhr – gibt es immer etwas Süßes.“
Dabei sind französische Kinder bestimmt nicht dicker oder leben ungesünder als deutsche Kinder. Wahrscheinlich weil französische Kinder schon von klein auf lernen, gutes Essen zu genießen und eher auf Qualität als auf Quantität zu setzen.
Magali glaubt, dass es sehr wichtig ist, Kinder schon im Kleinkindalter kulinarisch nicht zu unterfordern.
„Meine Kinder essen fast alles. Vielleicht liegt das daran dass wir ihnen immer eine große Auswahl an unterschiedlichen Speisen anbieten. Dabei koche ich nicht nur traditionelle Gerichte wie ein Pot-au-feu oder eine Bouillabaisse, sondern auch mal etwas Asiatisches oder Italienisches. Ich finde es wichtig, offen zu bleiben, auch in kulinarischer Hinsicht.“
Gemeinsam Mahlzeiten einzunehmen sei in Frankreich eine ganz wichtige Angelegenheit. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Kinder schon früh lernen, Tischmanieren zu haben und bestimmte Tischregeln zu respektieren, wie etwa die, immer erst höflich zu fragen, ob sie den Tisch verlassen dürfen.
Ich erzähle Magali, dass viele deutsche Mütter – spätestens seit dem Buch der US-Amerikanerin Pamela Druckerman Warum französische Kinder keine Nervensägen sind – glauben, dass französische Kinder weitaus besser erzogen seien als deutsche.
Magali muss lachen. Das Gegenstück zu diesem Vorurteil hätte man auch in Frankreich. Als sie ihren Freundinnen in Frankreich erzählt habe, dass sie nach Deutschland zieht, sei sie von diesen gewarnt worden. Deutsche Kinder würden regelmäßig die Wohnzimmerwände vollmalen, weil die Mütter ihren Kindern alles durchgehen lassen würden.
Kinder, die Wände anmalen, habe sie hier noch nicht getroffen, sagt Magali und lacht. Dafür erlebe sie manchmal schon Dinge, die sie in Frankreich so nicht kenne: Mütter, die sich von ihren Kindern schlagen lassen zum Beispiel, oder Kinder, die ihren Eltern einfach nicht gehorchen. Das würde sie ihren Kindern auf keinen Fall erlauben.
Ich frage Magali nach ihren ganz persönlichen Erziehungstipps. Was tut sie, wenn eins ihrer Kinder einen Tobsuchtsanfall bekommt oder etwas nicht tun will? Magali sieht mich an und lächelt.
„Dann zaubere ich!“
„Du zauberst?“
„Ja. Was bedeutet, dass ich in der Früh meine Taschen immer mit lauter kleinen Dingen vollstopfe. Bonbons, kleine Puppen, … Wenn mein Sohn dann irgendwie quengelt oder es sonst irgendein Problem gibt, dann setze ich auf den Überraschungseffekt und die Ablenkung. ›Wenn du jetzt brav bist, dann zaubert dir die Mama etwas Tolles hervor, willst du?‹ Und ja, er will fast immer.“
Magali zaubert mir zur Demonstration ein Bonbon hinter meinem rechten Ohr hervor. Großartig, denke ich. „Was bedeutet, dass man aber auch zaubern können muss!“, sage ich.
„Na ja, es sind einfache Tricks, die leicht zu erlernen sind“, sagt Magali. „Aber ich denke, man muss auch der Typ dafür sein. Ich bin ein Mensch, der Freude am Spiel und Kreativität hat. Und das versuche ich auch in meine Erziehung einzubringen.“

Magalis Erziehungstipps
1.Es ist in Ordnung, nicht ständig mit den eigenen Kindern zusammen zu sein!
2.Lege Wert darauf, dass dein Kind schon früh Tischmanieren lernt und offen für neue Speisen ist, dann könnt ihr die gemeinsamen Mahlzeiten umso mehr genießen.
3.Wenn dein Kind quengelt oder etwas nicht will, dann setze auf Ablenkung und Überraschung! Mit ein bisschen Zauberei geht vieles!

Nathalie Weidenfeld

Über Nathalie Weidenfeld

Biografie

Nathalie Weidenfeld studierte amerikanische Kulturwissenschaft und promovierte an der FU Berlin. Sie verfasste Romane und Sachbücher und arbeitete als Lektorin und Filmwissenschaftlerin.

Pressestimmen
Neue Züricher Zeitung

„Eine Art universeller Charakter der Elternschaft“

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