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Shakespeares Welt

Ian Mortimer
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So lebten, liebten und litten die Menschen im 16. Jahrhundert

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Shakespeares Welt — Inhalt

Die Vergangenheit ist eine Reise wert!

Die Zeit von Shakespeare und Königin Elisabeth I. gilt als „goldenes Zeitalter“.
Aber wie war es eigentlich wirklich, im England des 16. Jahrhunderts zu leben? Wir reisen mit Ian Mortimer zurück und spazieren durch die Straßen Londons.

Ein Prediger brüllt seine Botschaft in die Menge aus Kaufleuten und Bettlern, als vor uns zwei Volltrunkene aus der Taverne stolpern und sich beinahe zu Tode prügeln. Denn die damalige Zeit war nicht bloß geprägt durch meisterhafte Lyrik und höfischen Überfluss, auch Krankheiten, Hungersnöte, Gewalt und Sexismus bestimmten den Alltag.

So haben wir die Welt Shakespeares noch nie gesehen

In diesem Buch entschlüsselt Ian Mortimer auf seine gewohnt unterhaltsame Art ein Land im Widerspruch zwischen Glanz und Grauen und zeigt uns den Geburtsort der modernen Welt.

„Ein amüsanter und verständlicher Reiseführer durch vergangene Zeiten.“Sunday Times

€ 14,00 [D], € 14,40 [A]
Erschienen am 01.09.2022
Übersetzt von: Karin Schuler
496 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-31903-4
Download Cover
€ 13,99 [D], € 13,99 [A]
Erschienen am 03.08.2020
Übersetzt von: Karin Schuler
496 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99649-5
Download Cover

Leseprobe zu „Shakespeares Welt“

EINLEITUNG

Willkommen im elisabethanischen England


Wir schreiben Freitag, den 16. Juli 1591 – es ist ein ganz normaler Morgen in London. Auf der breiten Cheapside gehen die Menschen zwischen den Marktständen ihren Geschäften nach. Händler bemühen sich lautstark, die Aufmerksamkeit der Kaufmannsfrauen auf sich zu lenken. Reisende und feine Herren flanieren auf dem frisch reparierten Straßenpflaster, gehen bei den Goldschmieden und Geldverleihern ein und aus. Dienstleute und Hausfrauen schieben sich durch die Menschenmenge zum Little Conduit in der Nähe [...]

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EINLEITUNG

Willkommen im elisabethanischen England


Wir schreiben Freitag, den 16. Juli 1591 – es ist ein ganz normaler Morgen in London. Auf der breiten Cheapside gehen die Menschen zwischen den Marktständen ihren Geschäften nach. Händler bemühen sich lautstark, die Aufmerksamkeit der Kaufmannsfrauen auf sich zu lenken. Reisende und feine Herren flanieren auf dem frisch reparierten Straßenpflaster, gehen bei den Goldschmieden und Geldverleihern ein und aus. Dienstleute und Hausfrauen schieben sich durch die Menschenmenge zum Little Conduit in der Nähe der St. Paul’s Cathedral, um Wasser zu holen, manche mit Ledereimern, andere mit Fässern, die an einem Joch auf ihren Schultern hängen. Die Morgensonne spiegelt sich in den Glasfenstern der reichen Kaufmannshäuser. Eine Magd, die gerade das Schafzimmer ihres Herrn putzt, schaut auf das Gedränge auf der Straße hinunter.
Plötzlich bricht am Rand des Markts ein Tumult aus. „Tu Buße, England! Tu Buße!“, brüllt ein Mann aus vollem Hals. Er ist ganz in Schwarz gekleidet und verteilt auf seinem Weg gedruckte Handzettel. „Tu Buße!“, ruft er wieder und wieder, „Jesus Christus ist gekommen, um die Spreu vom Weizen zu trennen und über die Erde zu richten!“ Dieser Mann ist kein armer Irrer; er ist ein wohlhabender Londoner Bürger, Mr Edmund Coppinger. Ein anderer Gentleman, Mr Henry Arthington, ebenfalls ganz in Schwarz, folgt ihm auf dem Weg von der Gasse Old Change auf die Cheapside. Auch er verkündet lauthals, dass „der Tag des Jüngsten Gerichts über uns alle gekommen ist! Die Menschen werden sich erheben und einander töten, wie Metzger Schweine schlachten, denn der Herr Jesus ist auferstanden.“ Die von ihnen verteilten Zettel geben kund, dass sie eine vollständige Reformation der Kirche in England planen. Für die vielen Menschen, die nicht lesen können, rufen sie ihre Botschaft aus: „Die Bischöfe müssen abgesetzt werden! Alle Geistlichen sollten gleich sein! Königin Elizabeth hat ihre Krone verwirkt und verdient es, ihr Königreich zu verlieren. Jesus Christus ist zurückgekommen. Der wiedergeborene Messias ist gerade jetzt in London, in Gestalt von William Hacket. Jeder Mann, jede Frau soll ihn als göttliches Wesen und Herrn der ganzen Christenheit anerkennen.“
William Hacket selbst liegt noch im Bett, in einem Haus in der Pfarrei St. Mary Somerset. Als neuzeitlicher Messias gibt er eine eher seltsame Figur ab. Sein Gedächtnis ist hervorragend – er kann ganze Predigten memorieren und sie dann in den Tavernen vortragen und mit amüsanten Witzen ausschmücken. Er hat eine Frau wegen ihrer Mitgift geheiratet, das Geld ausgegeben und sie dann verlassen. Er gilt als Frauenheld, ist jedoch noch bekannter für seinen unkontrollierbaren und gewalttätigen Jähzorn. Jeder, der sein Verhalten im Dienst von Mr Gilbert Hussey beobachten konnte, wird das bestätigen. Als ein Schulmeister Mr Hussey beleidigt hatte, traf sich Hacket mit diesem in einer Schankwirtschaft und gab vor, die Meinungsverschiedenheit aus der Welt schaffen zu wollen. Nachdem er das Vertrauen des Schulmeisters gewonnen hatte, legte er ihm in aller Freundschaft einen Arm um die Schultern. Dann plötzlich ergriff er den Mann, schubste ihn zu Boden, warf sich auf ihn und biss ihm die Nase ab. Als er das Stück Fleisch hochhielt, flehten ihn die verblüfften Zuschauer an, er solle dem blutenden Schulmeister doch erlauben, damit zu einem Wundarzt zu eilen, um es möglicherweise wieder anzunähen und so eine schreckliche Entstellung zu verhindern. Hacket lachte nur, steckte sich die Nase in den Mund und schluckte sie hinunter.
Hacket, der da gemütlich im Bett liegt, weiß, was die Messrs Coppinger und Arthington vorhaben: Er selbst hat ihnen frühmorgens die Anweisung dazu gegeben. Seiner so überzeugenden Persönlichkeit und seines glühenden Eifers wegen halten sie ihn für den wiedergeborenen Christus, und gemeinsam haben sie in den letzten sechs Monaten ein Komplott geschmiedet, um die Bischöfe zu vernichten und die Herrschaft der Königin zu untergraben. Sie haben mit Hunderten Menschen gesprochen und Tausende Flugblätter verteilt. Allerdings weiß Hacket nicht, dass gerade eine riesige Menschenmenge seine beiden Engel der Verheißung umschwirrt. Einige sind neugierig, einige lachen über ihre Verkündigungen; andere wollen sich ihnen anschließen. Die meisten möchten Hacket persönlich sehen. Eine so große Menschenmenge drängt heran, dass Mr Arthington und Mr Coppinger bald in der Falle sitzen. Sie suchen Zuflucht in einer nahen Wirtschaft, The Mermaid, und können durch die Hintertür fliehen, um wieder in die Pfarrei St. Mary Somerset und zu ihrem Langschläfer-Messias zurückzukehren.
Die Nachricht macht in der Stadt die Runde. Mittags marschieren die Stadtwachen von Haus zu Haus. Um ein Uhr sind alle drei Männer von den Behörden gestellt und verhaftet worden. Nicht einmal zwei Wochen später sind zwei von ihnen tot. Hacket wird wegen Hochverrats vor Gericht gestellt, schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt. Am 28. Juli wird er aufgehängt – nicht ohne den Henker vorher mit wüsten Beschimpfungen überschüttet zu haben –, dann vom Galgen abgeschnitten und geköpft. Sein kopfloser Körper wird wie üblich in vier Teile zerteilt, an denen je ein Körperglied hängt. Mr Coppinger stirbt im Gefängnis: Die Obrigkeit behauptet, er habe sich zu Tode gehungert. Mr Arthington hat mächtige Freunde im Kronrat und rettet so sein Leben. Als Teil seiner Buße veröffentlicht er einen Widerruf all der Dinge, die er gesagt hat.
Diese Episode mutet seltsam an, aber sie bietet einen guten Einstieg, um Shakespeares England zu beschreiben. Sie führt uns die Unsicherheit des Lebens in der Hauptstadt genau in dem Moment vor Augen, in dem Shakespeare sich dort allmählich einen Namen macht. Die Ernsthaftigkeit, mit der die Behörden Hacket verfolgen, und die gnadenlose Effizienz, mit der sie den Aufruhr unterdrücken, sind typisch für diese Zeit. Es ist zwar nicht alltäglich, dass ein Mann öffentlich zum auferstandenen Christus ausgerufen wird und angesehene Gentlemen in einem gewalttätigen, flegelhaften, ungebildeten Schürzenjäger den Messias sehen; ganz und gar nicht ungewöhnlich ist aber, dass die Bürger extreme religiöse Standpunkte vertreten und die Absetzung der Monarchin fürchten. In den letzten Jahrzehnten hat sich so viel geändert, dass die Leute einfach nicht mehr wissen, was sie glauben oder denken sollen. Sie haben sich daran gewöhnt, mit schwelenden Krisen zu leben, die jederzeit lebensbedrohlich auflodern können.
Dieses Bild Englands zur Zeit Shakespeares wird manche Leser überraschen. Im 21. Jahrhundert hören wir gewöhnlich Positiveres über die Gesellschaft, die das goldene Zeitalter des englischen Theaters hervorbrachte. Wir schätzen Shakespeare als einen der größten Schriftsteller, den die Welt je gesehen hat – und stellen ihn damit auf eine Stufe mit den großen Wortführern anderer „großer“ Zeitalter – Homer für das alte Griechenland, Vergil für das kaiserzeitliche Rom oder Dante und Petrarca für die italienische Renaissance. Die Königin ist für uns die Gloriana. Wir denken an die Niederlage der spanischen Armada und an Sir Francis Drakes Weltumseglung mit der Golden Hind. Wir denken an andere Autoren wie Francis Bacon und Sir Walter Raleigh, die Dichter Edmund Spenser und Sir Philip Sidney und die Dramatiker Christopher Marlowe und Ben Jonson. Kann man eine Gesellschaft, die solche architektonischen Meisterwerke wie Hardwick Hall, Burghley, Longleat und Wollaton Hall geschaffen hat, anders als triumphal nennen? Einem kleinen Königreich, das seine Marine vor der Küste Mittelamerikas in die Schlacht schickt, kann man doch sicher keine Selbstzweifel unterstellen? Und kann man von der Gesellschaft, die uns William Shakespeare schenkte, wirklich sagen, sie sei von Furcht durchdrungen?
Doch unsere Sicht auf die Geschichte schränkt die Realität der Vergangenheit ein. Wir konzentrieren uns auf das historische Ereignis und sehen nicht den Moment, in dem es geschieht. Wenn wir zum Beispiel das Wort „Armada“ hören, denken wir an den englischen Sieg in der Schlacht von Gravelines, bei dem die bedrohlichen spanischen Schiffe vernichtet und Sir Francis Drake als Held gefeiert wurde. Doch im Augenblick des Angriffs war alles möglich. Als Drake in Plymouth an Bord ging, bestand die reale Möglichkeit, dass sein eigenes Schiff versenkt werden und die Armada in England landen würde. Er wusste bestimmt, dass ein Wechsel der Windrichtung alles ändern konnte – falls sich der Wind drehte, war seine Kriegstaktik in Gefahr und seine Flotte somit der Vernichtung preisgegeben. Wir Heutigen können uns eine Landung der Armada in England gar nicht mehr vorstellen. Unsere Sicht auf das Ereignis als etwas Vergangenes beschränkt unser Verständnis der Zweifel, Hoffnungen und Realitäten der Zeit.
Dieses Buch ist ein Versuch, die Schichten der Verklärung, Vereinfachung und des aufgeblasenen historischen Urteils, die die Vergangenheit auf Distanz zu uns halten, so weit wie möglich abzutragen. Dadurch will ich Shakespeares England nicht als etwas Behagliches und Vertrautes zeigen, aber auch nicht als etwas völlig anderes, das große Unbekannte. Vielmehr geht es darum, es aus der Nähe zu betrachten, als ob man wirklich in Shakespeares England mit den Menschen dort leben würde. Wo werden Sie unterkommen? Wie werden Sie sich kleiden? Was werden Sie essen? Da so viel über diese Zeit bekannt ist, ist zu erwarten, dass ein Historiker auf solche Fragen eine Antwort weiß. Doch es gibt natürlich Grenzen: Historiker können die Vergangenheit nicht tatsächlich wiederherstellen, zumal es bei einigen Einzelheiten wirklich schwierig ist, sich einen persönlichen Besuch vorzustellen. Man weiß vielleicht, warum Shakespeare unbedingt ein eigenes Wappen wollte – aber wie putzte er sich die Zähne? Trug er Unterwäsche? Was verwendete er als Toilettenpapier? Diese Dinge sind nicht so gut belegt. Wir müssen jeden kleinen Informationsschnipsel heranziehen, um unsere kollektive wissenschaftliche Neugier wenigstens teilweise zufriedenzustellen.
Was fällt uns wohl zuerst auf, wenn wir das England Shakespeares besuchen? Ich glaube, es werden die Gerüche in den Städten sein. Nach ein paar Tagen allerdings ist es wohl eher die Unsicherheit des Lebens. Zu Ihrem Entsetzen werden Sie bei einer Grippe- oder Pestepidemie Leichen in den Straßen liegen sehen, daneben halb verhungerte Bettler in ihren schmutzigen Lumpen. Auch die Spitze der Gesellschaft ist verletzlich – die Königin ist selbst Ziel mehrerer Attentatsversuche und Aufstände, von einer Rebellion des Landadels bis hin zu ihrem Leibarzt, der sie angeblich zu vergiften versucht. Die Unsicherheit durchzieht jeden Aspekt des Lebens. Die Menschen wissen nicht, ob sich die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne dreht; die Lehren der Kirche stehen im Widerspruch zu Kopernikus’ Erkenntnissen. Die reichen Kaufleute von London wissen nicht, ob ihre Schiffe womöglich in einem nordafrikanischen Hafen stranden, die Mannschaften von Piraten massakriert und die geladenen Waren gestohlen werden. Um zu ermessen, wie man in dieser Zeit lebt, müssen wir den entsetzten Männern und Frauen in die Augen schauen, die hören, dass die Pest im Nachbardorf angekommen ist. Wir müssen uns die Bauern im Jahr 1595 vorstellen, die nun schon das zweite Mal hintereinander zur Erntezeit auf verregnetes, schwarzschimmliges Getreide starren. Das nämlich ist die Realität für viele Menschen zu dieser Zeit: die Angst, dass sie ihre kranken und weinenden Kinder nicht ernähren können. Wir müssen verstehen, dass solche Menschen, egal ob Protestanten oder Katholiken, ihren Hunger damit in Verbindung bringen, dass die Regierung sich in religiöse Überzeugungen und Traditionen einmischt. Sie suchen nach etwas Stabilem in ihrem Leben und halten sich an die Königin als ein Hoffnungszeichen. Und haben Sie jetzt nicht die stolze Gestalt von Königin Elizabeth, aufrecht und unerschütterlich in ihrem prächtigen, juwelengeschmückten Kleid auf dem Deck eines schönen Schiffs auf ruhigem, von der Sonne beschienenem Wasser vor Augen. Stellen Sie sich lieber vor, dass sie darum ringt, ihre Position auf dem Staatsschiff in schwerer See zu behaupten, sich an den Mast bindet und Kommandos in den Sturm hinausbrüllt. Das ist die wahre Gloriana – Elizabeth, von Gottes Gnaden Königin von England, Stütze des Glaubens und der gesellschaftlichen Sicherheit in den schwindelerregenden Umbrüchen des 16. Jahrhunderts.
Wie alle Gesellschaften steckt auch Shakespeares England voller Widersprüche. Manche Gebräuche werden Ihnen überaus fortschrittlich und kultiviert erscheinen, andere werden Sie mit Abscheu erfüllen. Noch immer werden Menschen für bestimmte Formen der Häresie bei lebendigem Leibe verbrannt, und Frauen landen auf dem Scheiterhaufen, wenn sie ihre Ehemänner getötet haben. Die langsam verwesenden Köpfe von Verrätern werden über den Stadttoren Londons zur Schau gestellt und sollen Nachahmer abschrecken. Bei Verschwörungen zum Landesverrat ist die Anwendung von Folter erlaubt, um an Informationen zu gelangen. Die Kluft zwischen den Reichen und den Armen ist so groß wie eh und je, die Gesellschaft streng hierarchisch gegliedert. Bescheidene Häuser – manchmal ganze Dörfer – werden niedergerissen, um Platz für die Parks des Adels zu schaffen. Noch immer verhungern Menschen auf den Straßen. Und was die politische Situation angeht – nun, diese kurze Notiz eines Regierungsbeamten beschreibt die Lage der Nation zu Beginn der Herrschaft ganz treffend:

Die Königin arm, das Reich erschöpft, der Adel arm und heruntergekommen. Mangel an guten Feldherren und Soldaten. Die Menschen im Chaos. Recht nicht durchgesetzt. Alles teuer. Maßlosigkeit bei Fleisch, Trank und Kleidung. Spaltungen unter uns. Kriege mit Frankreich und Schottland. Der französische König das Reich umfassend, mit einem Fuß in Calais und dem anderen in Schottland. Unwandelbare Feindschaft, aber keine Freundschaften im Ausland.

Diese Beschreibung klingt nicht gerade nach einem „Goldenen Zeitalter“, aber es gibt mindestens ebenso viele positive wie negative zeitgenössische Urteile. 1577 veröffentlicht Raphael Holinshed eine Chronik, in der er die Thronbesteigung Elizabeths mit folgenden Worten beschreibt:

Nachdem all das stürmische, tosende und lärmende windige Wetter der Königin Mary weggeblasen war, die dunklen Wolken des Unbehagens zerstreut, der mit Händen zu greifende Nebel und Dunst des unerträglichsten Elends vergangen und die zerschmetternden Schauer der Verfolgung überwunden, gefiel es Gott, England windstilles und ruhiges Wetter zu schenken, einen klaren und angenehmen Sonnenschein, ein quietus est nach den früheren Tumulten eines aufgewühlten Landes und eine Welt der Segnungen durch die gute Königin Elizabeth.

Ganz offenbar schreibt Holinshed für eine protestantische Minderheit, gebildet und reich genug, um sein teures, zweibändiges Werk zu kaufen. Aber wir müssen nicht unbedingt durch seine rosafarbene Brille schauen, um viele nationale Erfolge und positive Entwicklungen zu sehen. Elizabeths Regentschaft ist geprägt von der Entstehung gewaltiger Vermögen und von intensivem künstlerischem Streben. Englische Entdecker dringen, von Profitgier getrieben, bis in die kalten Gewässer vor Nordkanada und zum Polarkreis im Norden Russlands vor. Trotz Kriegen mit Frankreich und Spanien wird auf englischem Boden nicht gekämpft, sodass für die meisten Engländer die ganze Herrschaft friedlich verläuft. Neben den berühmten Gedichten und Theaterstücken gibt es auch viele Innovationen in Wissenschaft, Gartenbau, Verlagswesen, Theologie, Geschichtsschreibung, Musik und Architektur. Zwei englische Kapitäne umsegeln die Welt – und beweisen den Menschen des 16. Jahrhunderts, dass sie endlich über das Wissen der alten Griechen und Römer hinausgewachsen sind. Die Denker behaupten nicht mehr, dass sie weiter als die Alten sehen könnten, weil sie „Zwerge auf den Schultern von Riesen“ seien. Sie sind jetzt selbst Riesen.
Dies ist das zweite Handbuch für Zeitreisende, das ich geschrieben habe. Das erste, Im Mittelalter, konzentrierte sich auf das 14. Jahrhundert. Ich wollte darin vor allem zeigen, dass wir die Vergangenheit nicht unbedingt objektiv beschreiben müssen; eine objektive Sicht auf die Vergangenheit ist vielmehr oft akademisch und distanziert und damit nicht unbedingt hilfreich. In diesem ersten Buch habe ich versucht, meinen Lesern die Zeit des Mittelalters näherzubringen, und beschrieben, was man vorfinden würde, könnte man das England des 14. Jahrhunderts besuchen. Mein Interesse an der Frühmoderne brachte mich natürlich dazu, über eine elisabethanische Fortsetzung nachzudenken; schließlich gelten die Prinzipien des ersten Zeitreiseführers auch für alle anderen Zeiten und Orte. Also schrieb ich dieses Buch, das im englischen Original den Titel Handbuch für Zeitreisende ins elisabethanische England trägt. Nun entspricht die Lebenszeit Shakespeares (1564 – 1616) nicht genau der Regierungszeit Elizabeths I. (1558 bis 1603); dennoch soll der Text aus drei Gründen unverändert bleiben: Erstens scheint es kontraproduktiv, zwei Fassungen eines Buches zu haben, das fast, aber nicht ganz dasselbe ist. Zweitens wurde Shakespeare in das elisabethanische England hineingeboren, und es hat ihn stark geformt – er war fast vierzig Jahre alt, als Elizabeth starb, und sein schriftstellerisches Werk endete acht oder neun Jahre nach ihrem Tod. Und drittens vermeiden wir es mit einem Text, der ursprünglich Elizabeths Reich und ihre Untertanen beschreiben sollte, eine Sozialgeschichte zu liefern, die allzu eng mit Shakespeare selbst verknüpft ist und seine Zeitgenossen nur unzureichend in den Blick nimmt. Wir sind nun einmal nicht Shakespeare, und wenn wir seine Welt verstehen wollen, lenkt es uns nur vom Wesentlichen ab, wenn wir so tun, als wären wir er, uns nur mit den Orten beschäftigen, an denen er lebte, und mit den wenigen Ereignissen in seinem Leben, von denen wir sicher wissen. Dies verweist auf einen vierten guten Grund dafür, den Text nicht zu ändern: Es geht in diesem Buch vor allem darum, dass wir uns vorstellen, wie es wohl ist, sein Heimatland zu besuchen, nicht aber darum, ihm selbst zu begegnen. Und die Erfahrungen, die wir dabei machen, formen unsere Beziehung zur Vergangenheit. Das geht weit über den Kontext hinaus, in dem Shakespeare lebte und seine Theaterstücke und Gedichte schrieb, es bezieht sich auf unserer gesamtes Verständnis der Menschheit im Laufe der Zeit – und folglich der menschlichen Natur.
Der Historiker ist immer ein Vermittler: Er erleichtert dem Leser das Verständnis der Vergangenheit. Das ist bei mir nicht anders, auch wenn dieses Buch im Präsens geschrieben ist und auf der Voraussetzung beruht, dass die eigene Anschauung der direkteste Weg ist, etwas zu lernen. Allerdings ist mein Umgang mit den Quellen in einem Buch wie diesem eher ungewöhnlich. Natürlich sind literarische Texte (Dramen, Dichtung, Reiseberichte, Tagebücher, Ortsbeschreibungen aus der Zeit) ebenso wichtig wie ein breites Spektrum gedruckter Akten. Doch um all diesen Quellen Informationen zum Alltagsverhalten abzugewinnen, muss der Historiker auf persönliche Erfahrungen zurückgreifen. Wie schon in meinem Zeitreiseführer Im Mittelalter gesagt: „Der Schlüssel, um etwas über die Vergangenheit zu erfahren, mag ein verfallenes Gebäude oder ein Archiv sein, doch das Instrument, mit dem wir sie zu erschließen suchen, sind wir selbst – und das wird immer so bleiben.“

Dieses Buch folgt in seiner Form mehr oder weniger dem Mittelalter-Zeitreiseführer – aber es stellt nicht sklavisch dieselben Fragen. Es wäre mühsam, noch einmal all dieselben Beobachtungen zu Aspekten des Alltagslebens anzustellen, die sich vom Leben in unserer Gesellschaft unterscheiden. Zudem wäre es unangemessen, in einem Buch über das England des späten 16. Jahrhunderts haarklein einer Formel zu folgen, die doch entwickelt wurde, um das Land im 14. Jahrhundert zu beschreiben. So ist es zum Beispiel unmöglich, die Religion auf ein Unterkapitel in diesem Buch zurückzustufen: Sie braucht ein eigenes Kapitel, weil sie im Leben der Elisabethaner eine so große Rolle spielt. Das England des Jahres 1558 hat viel mit dem des Jahres 1358 gemein, aber es hat sich auch viel geändert. Deshalb beschäftigt sich dieses Buch nicht nur mit dem Vergleich zwischen dem elisabethanischen England und heute; es untersucht auch die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu seinen mittelalterlichen Wurzeln.
Weil die ursprüngliche Fassung dieses Buches sich ausschließlich mit dem England unter Elizabeth I. beschäftigte, habe ich nur sehr selten Details aus der Zeit nach 1603 aufgenommen. Hin und wieder führe ich spätere Belege an, aber nur, um eine Vorgehensweise oder einen Brauch zu illustrieren, die es sicher schon vor 1603 gab. Öfter berufe ich mich auf Quellen aus der Zeit vor 1558: Das elisabethanische England besteht in vielem aus Überbleibseln des Mittelalters und der früheren Tudor-Zeit. Das gilt natürlich für die Burgen, Stadtmauern, Straßen und Kirchen, aber auch für Bücher, die immer noch gelesen und oft in elisabethanischer Zeit wiederaufgelegt wurden. Und vor allem gilt es für die Gesetzgebung: Die Gesetze beruhen zu einem großen Teil auf mittelalterlichen Vorgängern. Und jedes Haus, jedes Bauwerk, das im Mittelalter oder der früheren Tudor-Zeit gebaut wurde und noch steht, ist natürlich auch elisabethanisch. Gleiches gilt für viele Ausdrücke und Bräuche aus der Zeit vor 1558. Unter Beachtung all dieser Vorbehalte habe ich mein Bestes getan, um das England zwischen Elizabeths Thronbesteigung am 17. November 1558 und ihrem Tod am 24. März 1603 möglichst korrekt darzustellen.
Willkommen also im England Shakespeares und Elizabeths – mit all seinen Zweifeln, Gewissheiten, Veränderungen, Traditionen und Widersprüchen. Es ist ein mit Edelsteinen besetztes, vor Schlamm strotzendes Reich, funkelnd und hungernd, gleichermaßen hoffnungsvoll und angsterfüllt – immer am Rande wunderbarer Entdeckungen und brutaler Rebellionen und immer sorgsam bedacht auf die Schönheit, Macht und Gefahr, die Worte in sich bergen.

Ian Mortimer

Über Ian Mortimer

Biografie

Ian Mortimer, geboren 1967 in Petts Wood (Kent), studierte Geschichte und Literatur in Exeter und London. Mittlerweile ist er einer der erfolgreichsten britischen Autoren über das Mittelalter, schreibt Sachbücher genauso wie historische Romane, und gilt in diesem Genre als einer der innovativsten...

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