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Im Rausch des Vergnügens

Ian Mortimer
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Eine Reise in das England von Jane Austen und Lord Byron

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Im Rausch des Vergnügens — Inhalt

„Ian Mortimer hat diese Art von fantasievollen Zeitreisen zu seiner Spezialität gemacht.“Daily Mail

Willkommen im Regency, dem Übergang vom 18. ins 19. Jahrhundert! Ian Mortimer nimmt uns mit in diese kuriose Zeit, die für viele schlichtweg für Übermaß steht. Zwischen der leicht langweilig anmutenden Eleganz des 18. Jahrhunderts und der prüden moralischen Überlegenheit der Frühviktorianer wirkt diese Epoche liederlich, grell, gefährlich, schockierend und anstößig – doch dabei höchst unterhaltsam und anziehend. Es ist das Zeitalter von Jane Austen und den Dichtern der Romantik, der Gemälde von John Constable, der eleganten Kleidung von Beau Brummell und der poetischen Freiheit von Lord Byron. Mortimer zeigt uns, wie sich die Engländer des Regency vergnügt haben, wie sie regiert und gedacht haben, was sie aßen, tranken und trugen, woran sie glaubten und wovor sie Angst hatten – und zeichnet so ein lebendiges Porträt dieser außergewöhnlichen Zeit.

Der Übergang vom 18. ins 19. Jahrhundert, auch Regency genannt, ist geprägt von Ungerechtigkeit. Die Bevölkerung ist stark gewachsen, überall herrscht ­Armut. Gleichzeitig sind es vielleicht die letzten Jahre, in denen die Menschen ­gewisse Freiheiten genießen, bevor die strikten moralischen Regeln des ­Viktorianischen Zeitalters ihren Alltag bestimmen.

Mit Ian Mortimer reisen wir durch vier der aufregendsten und kulturell wichtig­sten Jahrzehnte der britischen Geschichte – eine Zeit des Überschwangs, des Nervenkitzels und des unkontrollierten, schlechten Benehmens. Gleichzeitig war es eine Zeit des Umbruchs, die von einem beispiellosen sozialen, wirtschaft­lichen und politischen Wandel geprägt war. Und wie alle Epochen der Geschichte war es ein Zeitalter vieler Widersprüche – immerhin konnte Beethovens donnernde fünfte Symphonie im selben Jahr uraufgeführt werden, in dem Jane Austen die feinfühligen Empfindsamkeiten von Überredung zu Papier brachte.

€ 14,00 [D], € 14,40 [A]
Erschienen am 01.02.2024
Übersetzt von: Karin Schuler
496 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-32095-5
Download Cover
€ 13,99 [D], € 13,99 [A]
Erschienen am 28.07.2022
Übersetzt von: Karin Schuler
496 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60210-5
Download Cover

Leseprobe zu „Im Rausch des Vergnügens “

Willkommen im Regency – einer Zeit der Widersprüche

Am Donnerstag, dem 28. Januar 1790, wischte sich der Reverend Thomas Puddicombe den Schmutz von den Händen und kehrte in sein Pfarrhaus im Dorf Branscombe an der Küste von Süd-Devon zurück. Die Zeremonie, die er gerade geleitet hatte, war in vielerlei Hinsicht Routine. Die Worte des Beerdigungsgottesdienstes waren uralt und wohlvertraut; die dunkle Kleidung der Teilnehmenden vom Brauch vorgeschrieben, ihre Trauer nicht überraschend. Nicht weniger normal war seine letzte Pflicht an diesem Tag – der [...]

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Willkommen im Regency – einer Zeit der Widersprüche

Am Donnerstag, dem 28. Januar 1790, wischte sich der Reverend Thomas Puddicombe den Schmutz von den Händen und kehrte in sein Pfarrhaus im Dorf Branscombe an der Küste von Süd-Devon zurück. Die Zeremonie, die er gerade geleitet hatte, war in vielerlei Hinsicht Routine. Die Worte des Beerdigungsgottesdienstes waren uralt und wohlvertraut; die dunkle Kleidung der Teilnehmenden vom Brauch vorgeschrieben, ihre Trauer nicht überraschend. Nicht weniger normal war seine letzte Pflicht an diesem Tag – der Eintrag des Datums und des Namens des Toten in das Sterberegister seines Kirchenbuchs. Doch als er sich an seinen Schreibtisch setzte und den Federkiel in die Tinte tunkte, schrieb er keinen ganz normalen Eintrag. Er fügte die Todesursache hinzu:

White, John, 77 Jahre alt. Dieser Mann verlor sein Leben durch einen ganz banalen Unfall: Er schnitt seinen Zehennagel mit einem Federmesser etwas zu kurz, sodass es leicht blutete: Die offene Stelle wucherte, und eine einsetzende Entzündung machte ihm innerhalb weniger Tage den Garaus.

Diese Detailfülle wird jeden überraschen, der englische Kirchenbücher kennt. Doch Mr Puddicombe schrieb oft etwas über die Todesursachen seiner Schäfchen. Nachdem Joseph Hooke, der dreizehnjährige Sohn eines Bauern im Dorf, 1803 einem Unfall zum Opfer gefallen war, fühlte sich der Pfarrer verpflichtet festzuhalten, dass der Junge „auf einem durchgegangenen Pferd saß, an der Straßenecke beim Hangman’s Stone hinunterfiel; eine halbe Meile weit mitgeschleift und auf der Straße ein Stückchen oberhalb von Higher Watercombe tot gefunden wurde“. Und als Jane Toulmin, eine fünfundzwanzigjährige Frau, im Mai 1798 ins Wasser ging, schrieb er eine Dreiviertelseite über die letzten beiden Tage ihres Lebens. Seine Abschlusssätze lauteten:

Bevor sie das Haus ihrer Schwester verließ, holte sie all ihr Geld hervor und ließ es in ihrem Schlafzimmer, und in diesem Zustand, ohne einen Sixpence in der Tasche, wanderte sie bis zum Dienstagmorgen umher, dem Tag, an dem sie, so ist zu befürchten, ihrer Existenz ein Ende bereitete. Sie wurde in Beer gesehen, wie sie zwischen drei und vier Uhr sehr schnell die Common Lane hinaufging; und um etwa Viertel nach fünf Uhr wurde sie von einem gewissen John Parrett, einem Zimmermann, im Wasser gefunden.

Solche Schilderungen passen irgendwie so gar nicht zu unserem Bild der Jane-Austen-Zeit – zu den vornehmen Häusern, den Kleidern und Kutschen. Doch natürlich gehören auch Friedhöfe auf dem Dorf, Reitunfälle und junge Frauen in tiefster Verzweiflung in diese Epoche. Und jeder ausführliche Eintrag in Thomas Puddicombes Sterberegister führt uns zu weiteren Fragen. War es im Jahr 1790 üblich, dass sich die Menschen ihre Zehennägel mit dem Federmesser schnitten? Passierten häufiger Reitunfälle wie der von Joseph Hooke? Und wussten die Menschen in den 1790er-Jahren etwas über psychische Krankheiten? Bei Jane Austen findet man auf diese Fragen keine Antworten, und doch erzählen sie von der Welt, in der sie lebte, ebenso viel wie die komplizierten Interaktionen der Figuren in ihren Büchern.

Mr Puddicombes ausführliche Sterberegistereinträge enden abrupt im Jahr 1812. Von da an wurde er von offizieller Seite stark eingeschränkt: Die Regierung führte ein gedrucktes Formular ein, auf dem die Einzelheiten einer Beisetzung festgehalten wurden. Jede Seite bestand aus einer Reihe von Kästchen, in die der diensttuende Geistliche den Namen des Toten, sein Alter, seinen Wohnort und sein Beisetzungsdatum schreiben sollte – und sonst nichts.

Diese Verschiebung vom überschwänglichen Individualismus hin zu einer von oben aufgezwungenen Standardisierung verweist auf die größeren Veränderungen der Epoche. In den 1860er-Jahren erschien der Anfang des Jahrhunderts vielen Menschen als die letzte Zeit wahrer Freiheit, bevor die Regulierung der Gesellschaft ernsthaft begann. Das Reformgesetz von 1832 signalisierte den Anfang vom Ende der politischen Herrschaft des Hochadels und der landbesitzenden Gentry. 1833 beschränkte das Fabrikgesetz die Zahl der Stunden, die Kinder jeden Tag arbeiten durften. Im selben Jahr wurde in allen britischen Kolonien die Sklaverei abgeschafft. Seit 1834 wurden Mörder nicht mehr am Galgen aufgeknüpft. Der einst so vertraute Anblick öffentlicher Hinrichtungen wurde zur Seltenheit, da ihre Gegner mit wachsendem Erfolg gegen die Todesstrafe zu Felde zogen. Grausame Sportarten wie Hahnenkampf und Bärenhatz wurden 1835 verboten. Die verpflichtende staatliche Registrierung von Geburten, Eheschließungen und Todesfällen begann 1838. Die Standardisierung des Schraubengewindes wurde 1841 eingeführt und bahnte der Massenfertigung den Weg. Seit Mitte der 1840er-Jahre sorgte der Telegraf dafür, dass man Botschaften über weite Entfernungen senden konnte. Züge ersetzten die Postkutschen und machten die Straßenräuber arbeitslos. Die Fotografie begann der Malerei Konkurrenz zu machen, wenn es darum ging, Szenen und Porträtbilder festzuhalten.

Und zu all diesen Veränderungen kam noch, dass in der frühviktorianischen Zeit eine neue Moral die Gesellschaft erfasste und die Freiheiten der Menschen einschränkte. Vor allem die Einstellungen zu Ehebruch, Spielleidenschaft und ungezahlten Schulden verhärteten sich. Man kann verstehen, dass diejenigen, die von den 1860ern aus zurückblickten, ihre Vorfahren um die Jahrhundertwende als eine zügellose, wilde Gesellschaft sahen. Damals konnten Gentlemen und Ladys, Bettler und Geistliche, Soldaten und Herumtreiber, Unternehmer und Kurtisanen in einer Welt voller Gold und Heldentum, Alkohol und Sex, Begeisterung und Möglichkeiten im großen Ganzen tun und lassen, was sie wollten.

Unsere eigenen Eindrücke der Jahre zwischen 1789 und 1830 sind eigentlich ganz ähnlich. Noch heute gilt diese Phase als eine Zeit des Überschwangs und des ungeahndeten schlechten Benehmens. Wegen der Zügellosigkeit des Prinzregenten und seiner Gefährten erscheint uns die Oberschicht als besonders unmoralisch. Die Inschrift auf dem antiken Apollontempel in Delphi mochte den Weisen geraten haben, „nichts im Übermaß“ zu tun, doch die klassisch gebildete englische Oberschicht schien diesen Ratschlag als Herausforderung zu verstehen, alles im Übermaß zu tun.

Wir haben es also mit einem Königshof voller Wüstlinge, Dandys und Höllenhunde zu tun, die sich mit teurem Essen vollstopften, gewaltige Mengen Portwein in sich hineinschütteten und bis in die frühen Morgenstunden ganze Vermögen verspielten. Dann gingen sie entweder mit ihren Geliebten ins Bett oder legten sich auf dem Weg nach Hause irgendwo zum Schlafen nieder – „in den Stiefeln auf den Sofas schnarchend“, wie Prinzessin Caroline es ausdrückte –, bis sie irgendwann aufwachten und verkatert ins Parlament gingen, wo sie Reden über die Zukunft des Landes hielten.

Neben diesen privilegierten Taugenichtsen gab es eine große Palette anderer zweifelhafter Charaktere: schneidige Wegelagerer, gerissene Schmuggler, Gentleman-Faustkämpfer und politische Duellanten aller Couleur. Kurz gesagt, diese Zeit war für viele schlichtweg das Zeitalter des Übermaßes. Eingekeilt zwischen der leicht langweiligen Eleganz des 18. Jahrhunderts und der prüden moralischen Überlegenheit der Frühviktorianer wirkt es liederlich, unanständig, grell, gefährlich, schockierend, anstößig – und doch so unterhaltsam und anziehend.

Moment mal, könnten Sie sagen: War das nicht auch die Zeit, in der John Nash Regent Street und Regent’s Park in London mit ihren prächtigen Häuserzeilen baute? War das nicht das Zeitalter, in dem George Stephenson seine bahnbrechenden Dampfmaschinen konstruierte und Michael Faraday den Elektromotor entwickelte? Und habe ich vergessen, dass das frühe 19. Jahrhundert die Gründung der National Gallery erlebte, die Entzifferung der Hieroglyphen und den Aufbau der Elgin Marbles im British Museum? Stehen das zügellose Wesen der Zeit und diese kulturellen Errungenschaften nicht im Widerspruch zueinander? Ja, das stimmt. Und man könnte diese Argumentation noch weiter treiben. Was die neuen Häuser überall im Lande angeht, nun, genau in diesen herrschaftlichen Anwesen, an diesen städtischen Plätzen und halbmondförmigen Straßenzügen lebten die zügellosesten Menschen. Denken Sie an die Landschaftsgärten der großen Häuser, die Humphry Repton und Lancelot „Capability“ Brown anlegten. Rufen Sie sich die nach Entwürfen von George Hepplewhite und Thomas Sheraton geschreinerten Möbel in Erinnerung. Und lassen Sie die Teppiche, Gemälde, Skulpturen, Musikinstrumente und das Porzellan vor Ihrem inneren Auge vorbeiziehen.

Viele betrachten den Stil des Regency noch immer als den Höhepunkt des guten Geschmacks und der Eleganz. Die Vorstellung, dass diese Zeit auch mit den Wüstlingen, Gestrauchelten und Aufrührern der Gesellschaft verbunden war, ist durchaus eine Überraschung.

Doch gerade hier liegt unser Schlüssel zum Verständnis des Regency. Nur wer auf die offensichtlichen Widersprüche eines Themas stößt, kann es voll und ganz erfassen. Da die Reichen offenbar fest entschlossen waren, alles im Übermaß zu tun, gaben sie natürlich auch übermäßig viel Geld aus in dem Bemühen, ihren Platz in der Gesellschaft durch immer prächtigere Häuser und immer schönere Möbel unter Beweis zu stellen. Und was die intellektuellen und kulturellen Innovationen angeht, so kann es kaum überraschen, dass Künstler und Handwerker ihr Bestes gaben, wenn so gewaltige finanzielle Anreize winkten. Die Oberschicht, fest entschlossen, das Geld mit vollen Händen auszugeben, schuf ein Umfeld, in dem die brillantesten Künstler, Architekten, Wissenschaftler und Erfinder aufblühen konnten, und hinterließ so den Eindruck eines Goldenen Zeitalters. Dass der Lebensstandard der Arbeiter, die am Entstehen dieser Vermögen beteiligt waren, nur mäßig stieg und sie dagegen mehr als einmal mit Aufständen protestierten, ist eine andere Sache. Zweihundert Jahre später sind die Aufstände dem modernen Betrachter deutlich weniger augenscheinlich als die prächtigen, hübsch ausgestatteten Häuser, die die Reichen zurückließen.

Die Spannungen in der Gesellschaft waren nicht auf die Gegensätze zwischen Privilegien und Armut oder zwischen Individualismus und staatlicher Kontrolle beschränkt. Sie waren auch die Folge tiefgreifender sozialer und ökonomischer Veränderungen. Die Bevölkerung Großbritanniens wuchs schneller als je zuvor in der Geschichte (und übrigens auch jemals danach). Und sie wurde urbaner.

Da stoßen wir auf einen weiteren Widerspruch: Feierten die Künstler der Zeit das Wachstum der Industriestädte? Nein, ganz im Gegenteil: Sie feierten die Natur, die gerade verloren ging. John Constables berühmtestes Gemälde The Hay Wain (Der Heuwagen), das er 1821 fertigstellte, zeigt zwei Männer, die mitten in einem Fluss ganz entspannt auf einem leeren Heukarren sitzen und sich unterhalten. Sie scheinen alle Zeit der Welt zu haben und sehen den Veränderungen um sie herum offenbar unbesorgt entgegen. Ihr Umfeld ist vom Rhythmus der Jahreszeiten und einem Fluss geprägt, der immer fließen wird. Keine Rauchsäulen verdunkeln den Horizont, keine städtischen Hinterhöfe begrenzen ihre Welt.

Ähnlich greift auch John Clares Dichtung auf ein ländliches Idyll zurück, umgeben nur von der Natur und dem Dorfleben seiner Kindheit. Wo Künstler und Dichter einmal direkt die Kräfte ansprechen, die die Landschaft umformen, tun sie das nur selten auf eine positive, verklärende Weise. William Blakes „dunkle, teuflische Mühlen“ schickten Rauchschwaden über „Englands grünen und lieblichen Grund“: Da gab es nichts, das das Herz des Dichters erfreuen konnte. Das alte biblische Bild vom Feuer, das sich vom Himmel herunter ergoss, hatte sich umgedreht: Jetzt reichten die Feuer bis zum Himmel hinauf.

Die vielleicht genialsten künstlerischen Schilderungen der Epoche finden wir in der Musik, vor allem in den überall beliebten Werken Ludwig van Beethovens, doch selbst hier stoßen wir auf einen kulturellen Konflikt. Wie ein gewaltiger Motor dröhnte der Donner von Beethovens berühmter 5. Symphonie zum ersten Mal am 15. April 1816 in London. Es ist schwer, das majestätische, durchdringende Thema mit der zarten Empfindsamkeit von Jane Austens im selben Jahr erschienenen Roman Überredung in Einklang zu bringen.

Dass die Realität der Vergangenheit immer komplexer und vielfältiger ist als unser Bild von ihr, ist eine Binsenweisheit. In diesem Fall ist schon das Wort „Regency“ mit all seinen hochherrschaftlichen Konnotationen Teil des Problems: Es lässt alles so vornehm und luxuriös klingen. Viktorianische Romantiker, die auf eine Zeit scheinbar größerer individueller Freiheit zurückblickten, sahen eher nicht, wie wenige Möglichkeiten Arbeitern und ihren Familien in den wachsenden Industriestädten dieser Zeit offenstanden.

Wenn wir uns die hübschen Münzen und Banknoten des Regency ansehen, ist es heilsam, auch einmal daran zu denken, dass die meisten Menschen ihr Leben lang kein Gold- oder Papiergeld in die Hände bekamen. Bei der Erwähnung von Nelsons Kriegsmarine dachten sie an Zwangsrekrutierungen und die Bedingungen an Bord dieser schweren Holzschiffe, die ohrenbetäubenden Kanonenschläge und das splitternde Holz im Gefecht, den kalten Wind, der durch die Takelage strich, und die Aussicht auf ein feuchtes Grab.

Wenn man dagegen die Worte „Nelsons Kriegsmarine“ gegenüber einem Engländer des späten 19. Jahrhunderts fallen ließ, hatte er wahrscheinlich einen Kupferstich vor Augen, der den dramatischen Tod Nelsons an Bord der Victory zeigte. Um diese überaus vielfältige und widersprüchliche Zeit zu verstehen, müssen wir uns also von früheren Versuchen freimachen, sie zu romantisieren oder als das letzte Zeitalter „wahrer Freiheit“ zu feiern. Wir dürfen nicht einfach vom Ufer aus auf den Fluss der Zeit schauen. Wir müssen hineinspringen und ganz eintauchen.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Wie stellen wir das an? Wir brauchen genügend Quellen, und wir müssen – genauso wichtig – ihren Kontext und ihre Bedeutung verstehen. Für die Zeit um 1800 ist das nicht allzu schwierig: Unzählige Dokumente, Bücher, Bilder, Gegenstände und Bauwerke sind erhalten geblieben. Ein in dieser Hinsicht besonders nützlicher Text ist Letters from England by Don Manuel Alvarez Espriella, erstmals 1807 in drei Bänden veröffentlicht. Dieser angebliche Reisebericht eines spanischen Gentleman stammt tatsächlich aus der Feder des englischen Hofdichters Robert Southey: Von der Idee her unterscheidet er sich damit gar nicht so sehr von unserem Buch hier, und da er von einem kenntnisreichen Zeitgenossen verfasst wurde, habe ich ihn als Leitfaden benutzt.

Doch das Sammeln und Bewerten von Quellen allein bringt uns noch nicht zum Ziel. Die Analyse historischer Quellen ist eine Wissenschaft, die aussagekräftige Rekonstruktion der Vergangenheit eine Kunst. Wir müssen auf unsere eigenen Erfahrungen zurückgreifen, um den Quellen Leben einzuhauchen, und dazu dürfen wir uns nicht allein auf die Dokumente, Bilder und Gebäude konzentrieren, sondern auch auf die Handlungen, Bedürfnisse, Vorstellungen dahinter. Wenn man als Historiker ein Dokument als die höchste wissbare Wahrheit betrachtet, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, sich vorzustellen, was die Menschen zum Weinen, Schreien und Beten brachte, dann ist das einfach eine akademische Übung.

Verstehen Sie mich nicht falsch, akademische Übungen sind unglaublich wertvoll: Sie sind die Grundlage, um die Vergangenheit richtig zu verstehen. Aber sie haben ihre Grenzen. Nelsons Knochen könnten uns vieles über den Mann erzählen, aber nicht unbedingt das, was uns besonders interessiert. Nur anhand eines Skeletts kämen wir nie auf den Gedanken, dass ein Mensch lächeln kann.

Darin liegt der Wesenskern unseres Buchs. Wir wollen uns das Leben hinter den Quellen ansehen, inklusive all seiner Widersprüche. Wie sollte man sich im Jahr 1790 seine Zehennägel schneiden, wenn man nicht an Blutvergiftung sterben will? Wo bekommt man Hilfe, wenn ein Familienmitglied 1798 an einer psychischen Krankheit leidet? Wie reist man sicher? Was zieht man an, wo kommt man unter, was sollte man unbedingt probieren, und wie amüsiert man sich? Ich kann zwar nicht sagen, was Jane Austen über Sie denken würde, wenn Sie im Jahr 1803 an die Tür von 4 Sydney Place, Bath, klopfen würden, doch ich kann eine Idee davon vermitteln, was Sie sehen würden, wenn Sie die Stadt in diesem Jahr besuchten, und was Sie wohl über den Lebensstandard Jane Austens und ihrer Familie denken würden und über den Geist, mit dem sie und ihre Zeitgenossen jeden Tag der Welt entgegentraten.

Hier ist also ein Reiseführer für vier der aufregendsten und kulturell wichtigsten Jahrzehnte der britischen Geschichte. Es war ein Zeitalter der Eleganz und der Gewalt, der Freiheit und des Protests, des altmodischen Heldentums und der Verstädterung. Und es war ein Zeitalter des Krieges: Mehr als die Hälfte dieser Zeit kämpften die Briten gegen die Franzosen. Das Regency sah Feldzüge für Freiheit, politische und gesellschaftliche Reformen und größeres Mitgefühl gegenüber den weniger vom Glück begünstigten Mitgliedern der Gesellschaft. Es war ein Zeitalter der Industrialisierung, in der Großbritannien zur größten Wirtschaftsmacht der Welt aufstieg. Und es war ein großes Zeitalter der Erfindungen, von der Dampflokomotive zur elektrischen Uhr und der ersten Fotografie. Und natürlich war es eine Zeit, in der Millionen normale Menschen ein normales Leben lebten – darunter auch die, die Mr Puddicombe in seinem Sterberegister aufführte, und der Pfarrer selbst, bis die Sonne schließlich über seiner Welt unterging.

Ian Mortimer

Über Ian Mortimer

Biografie

Ian Mortimer, geboren 1967 in Petts Wood (Kent), studierte Geschichte und Literatur in Exeter und London. Mittlerweile ist er einer der erfolgreichsten britischen Autoren über das Mittelalter, schreibt Sachbücher genauso wie historische Romane, und gilt in diesem Genre als einer der innovativsten...

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