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Mein Leben

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Sophia Loren
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„Sophia Loren erzählt ihr Leben und gibt tiefe Einblicke. Ehrlich und spannend.“ - Frau von Heute

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Mein Leben — Inhalt

Von vielen wird sie die letzte wahre Diva genannt. Wie keine andere Frau unserer Epoche verkörpert sie Schönheit, Sex und Sinnlichkeit. In ihrer Autobiographie öffnet Sophia Loren die Schatztruhe ihrer Erinnerungen: Sie erzählt, wie sie als uneheliches Kind in großer Armut in Neapel aufwuchs, wie es war, mit Marcello Mastroianni das Traumpaar der Filmwelt darzustellen, mit dem Regisseur Vittorio De Sica zu arbeiten und mit Charlie Chaplin, Anthony Quinn, John Wayne und Cary Grant, der ihr einen Heiratsantrag machte. Eine mitreißende Reise durch die Welt des Films und eine Liebeserklärung an das Leben.

€ 13,99 [D], € 13,99 [A]
Erschienen am 15.09.2014
Übersetzt von: Christine Ammann, Claudia Kolitzus, Antje Peter
368 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-96855-3
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Leseprobe zu „Mein Leben“

Prolog


Wieder klingelt es, während ich die letzten süßen Teigbällchen, die struffoli, forme. So gut es geht, wische ich mir die mehlbestäubten Hände an der Schürze ab und laufe zur Tür. Hinter einem riesigen Weihnachtsstern strahlt mir der Blumenbote entgegen.

„Der ist für Sie, Signora Loren. Würden Sie mir ein Autogramm geben?“

Das Logo des Blumenversands auf der Schleife ist mir vertraut, und für einen Moment fühle ich mich nach Italien zurückversetzt.

Ich stelle die Pflanze ab und klappe das Kärtchen auf. Ein herzlicher und fröhlicher Gruß.


Das [...]

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Prolog


Wieder klingelt es, während ich die letzten süßen Teigbällchen, die struffoli, forme. So gut es geht, wische ich mir die mehlbestäubten Hände an der Schürze ab und laufe zur Tür. Hinter einem riesigen Weihnachtsstern strahlt mir der Blumenbote entgegen.

„Der ist für Sie, Signora Loren. Würden Sie mir ein Autogramm geben?“

Das Logo des Blumenversands auf der Schleife ist mir vertraut, und für einen Moment fühle ich mich nach Italien zurückversetzt.

Ich stelle die Pflanze ab und klappe das Kärtchen auf. Ein herzlicher und fröhlicher Gruß.


Das ausgelassene Geschrei der Kinder, die gerade aus Amerika eingetroffen sind, um die Feiertage hier zu verbringen, erfüllt das Haus mit einem sympathischen Chaos. Morgen ist Heiligabend, endlich werden wir alle wieder versammelt sein. Aber ehrlich gesagt, stecke ich noch mitten in den Vorbereitungen. Wie soll ich alle an einem Tisch unterbringen? Und all die struffoli noch rechtzeitig frittieren?

Die Welt um mich herum beginnt sich zu drehen, und ich weiß nicht, wie ich sie zum Stehen bringen soll. Ich fühle mich benommen, so, als würde mir alles aus der Hand gleiten. Ich gehe in die Küche zurück und suche nach etwas, das mir Sicherheit gibt, finde aber nichts. Dann inspiziere ich das Esszimmer, in der Hoffnung, dass es dort besser wird. Die Tafel! Ja, die Festtafel für morgen. Sie soll bunt und strahlend sein. Einer Eingebung folgend hole ich die Gläser hervor, verteile Teller und Besteck und falte sorgsam die Servietten. Es macht mir Spaß, die Sitzordnung festzulegen.

Ich bin im Sternzeichen der Jungfrau geboren. Für gewöhnlich gehe ich mir mit meinem etwas übertriebenen Perfektionismus selbst auf die Nerven, aber heute nicht, heute scheint die Unordnung alles beherrschen zu wollen. Ich fange von vorn an und versuche, meine Gefühle im Zaum zu halten. Also, mal sehen: zwei, vier, acht plus fünf sind dreizehn und noch einmal vier, also siebzehn … − nein, nicht siebzehn! Besser noch mal nachzählen.

Von dem Foto, das auf der Kommode steht, lächelt mir Carlo mit seinem ganz besonderen Lächeln entgegen. Die Aufnahme wurde an unserem Hochzeitstag gemacht. Nie werde ich vergessen, wie es war, als diese Augen mich zum ersten Mal ansahen, vor vielen Jahren, in einem Restaurant ganz in der Nähe des Kolosseums. Ich war noch ein junges Mädchen, er ein reifer Mann. Der Kellner kam zu mir und übergab mir eine Visitenkarte, mit der mir der Produzent zu verstehen gab, dass er mich bemerkt hatte. Dann der Spaziergang im Garten, die Rosen, der Akazienduft, der Sommer, der sich langsam seinem Ende zuneigte. Der Beginn meines Abenteuers.

Ich streiche über den grünen Sessel, in dem er immer über seiner Zeitung einnickte. Mir ist etwas kalt, ich darf nicht vergessen, morgen den Kamin anzuzünden. Zum Glück kommt Beatrice herein und zerstreut meine melancholischen Gedanken. „Nonna Sophia, Nonna Sophia!“ Sie ist das jüngste meiner Enkelkinder, ganz blond und sehr selbstbewusst. Hinter ihr tauchen die anderen Indianer auf. Es ist Zeit, ins Bett zu gehen, aber die Kinder denken gar nicht daran. Ich schaue sie an, sie lächeln mir zu, wir finden einen Kompromiss.

„Warum sehen wir uns nicht einen Film an?“

Wir setzen uns alle zusammen vor den Fernseher. Mitten im Freudengeschrei fangen sie an, darüber zu streiten, welchen Trickfilm sie sehen wollen. Am Ende gewinnt Cars 2, ihr aktueller Lieblingsfilm.

„Nonna, machst du mal Mama Topolino für uns?“

„Jetzt mach ich dir was auf die Schnelle“, zitiere ich meinen Spruch aus dem Film und ziehe komische Grimassen.

„Weiter, weiter, bitte, Nonna, mach weiter!“

Wenn sie meine Stimme aus dem Mund eines Autos hören, sind sie ganz aus dem Häuschen. Wer hätte das gedacht, als ich nach einigem Zögern einwilligte, diese etwas seltsame Synchronisierung zu übernehmen! Schon bald sind Vittorio und Lucia, Leo und Beatrice ganz im Bann der Bilder, und noch bevor der Film zu Ende ist, sind sie eingeschlafen. Ich decke sie zu, sehe auf die Uhr und denke an morgen. Draußen hat es angefangen zu schneien, was ich in dem Trubel gar nicht bemerkt habe. Wenn Besucher kommen oder gehen, sind das ganz besondere Momente, weil sie das Karussell der Erinnerungen in Gang setzen.

Wenn ich an mein Leben denke, wundere ich mich, dass das alles wahr ist. Eines Morgens, sage ich mir dann, werde ich aufwachen und mir wird auf einmal klar werden, dass ich alles nur geträumt habe. Natürlich war es nicht immer leicht. Es war schön, ganz klar, aber auch hart. Doch es hat sich gelohnt. Der Erfolg birgt eine Last in sich, mit der man lernen muss umzugehen.

Niemand bringt einem das bei, man muss – wie bei allem – selbst einen Weg finden.

Auf Zehenspitzen gehe ich ins Schlafzimmer. Es ist tröstlich, ein bisschen allein zu sein. Wenn ich innehalte, das weiß ich, findet auch mein Herzschlag zu jenem heiteren Rhythmus zurück, der mir den Takt vorgibt.

Kaum bin ich im Zimmer, fällt mir auf, dass ich noch immer die Küchenschürze umhabe. Ich lege sie ab, ziehe die Schuhe aus und werfe mich aufs Bett. Die Zeitschrift liegt noch aufgeschlagen dort, wo ich sie am Morgen zurückgelassen habe. In den vergangenen Tagen war ich so aufgeregt, meine Familie wieder um mich zu haben, dass ich nicht schlafen konnte. Ohne Schlaf bin ich allerdings zu nichts zu gebrauchen. Er ist der Motor, der mich in Bewegung hält.

„Gute Nacht“, ruft Ninni von nebenan. „Versuchen Sie zu schlafen!“

Ninni, Ninni … Seit fast fünfzig Jahren ist sie nun schon bei uns. Sie hat sich um Carlo jr. und Edoardo gekümmert, sie hat sich um mich gekümmert, und jetzt kümmert sie sich mit derselben Begeisterung wie eh und je um die kleinen Indianer, die bei mir eingefallen sind. Manchmal frage ich mich, woher sie die Geduld nimmt, uns zu ertragen.

„Ich schlafe schon“, lüge ich, um sie zu beruhigen. In Wirklichkeit bin ich hellwach und starre mit weit aufgerissenen Augen an die Decke.

Ich versuche, zur Ruhe zu kommen, und lasse den Gedanken freien Lauf. Wer weiß, ob den Enkeln meine struffoli schmecken! Die von meiner Tante, Zia Rachelina, in Pozzuoli waren natürlich viel besser. Aber so ist das eben, die Genüsse der Kindheit sind immer unübertrefflich.

Ich fühle eine Unruhe in mir, als ob ich von der Wirklichkeit langsam in eine andere Welt hinübergleiten würde, in eine Welt der Träume oder der Erinnerungen, wer weiß. Ich kann nicht still liegen, also schlüpfe ich in den Morgenmantel und gehe ins Arbeitszimmer hinüber, das am andern Ende des Korridors liegt, ohne zu wissen, was ich dort will. Ich starre das Regal an, stelle Bücher um, die Nippsachen, die Fotos, die Briefbeschwerer. Irgendetwas macht mich nervös, so, als würde ich nach etwas suchen. Die Unruhe wird größer, als ich ganz hinten im Bücherregal eine dunkle Holzkiste entdecke. Ich erkenne sie sofort wieder. Auf einmal habe ich Briefe vor Augen, Telegramme, Karten, Fotografien. Das war es, das ist der rote Faden, der mich an diesem kalten Winterabend hierher geführt hat.

Es ist meine Schatzkiste. Mein Herz beginnt auf einmal, schneller zu schlagen. Ich bin versucht, alles unberührt zu lassen. Zu viel Zeit ist vergangen, zu viele Empfindungen würden geweckt. Doch dann greife ich nach der Kiste, spreche mir Mut zu und gehe langsam ins Schlafzimmer zurück.

Vielleicht ist das mein Weihnachtsgeschenk, und es liegt nur an mir, es zu öffnen.




1 Die Bohnenstange


Mütter und Großmütter

Ich öffne einen Briefumschlag, auf dem „Nonna“ steht, und auf einem Foto sehe ich mich, wie ich damals war, klapperdürr, mit einem zu großen Mund unter honigfarbenen Augen, die überrascht dreinblicken. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen, als ich meine Kinderschrift betrachte, und schon fühle ich mich nach Pozzuoli zurückversetzt, in meine Kindheit, in der alles begann. Manche Dinge kann man einfach nicht vergessen, selbst wenn man es will.

In dem Briefchen dankte ich Nonna Sofia für die dreihundert Lire, die ihr Sohn, Riccardo Scicolone, mir über sie hatte schicken lassen. Nicht einmal auf dem Postweg trat mein Vater persönlich in Erscheinung. Nonna Sofia war eine kalte, distanzierte Frau, die ich erst einmal in meinem Leben gesehen hatte. Und trotzdem erzählte ich ihr in diesem Brief, dass der Tag meiner Erstkommunion und Firmung der schönste meines Lebens gewesen war, und dass mir meine Patin ein goldenes Armband geschenkt hatte, und außerdem, dass ich „mit den besten Noten in die fünfte Klasse versetzt“ worden war. Kurzum, ich erzählte ihr alles, was jede x-beliebige Großmutter hätte hören wollen, und tat so, als würde es sie interessieren, als hätte sie mich lieb. Ich bat sie sogar darum, meinem Vater für die Aufmerksamkeit zu danken.

Wer weiß, wer mich dazu gedrängt hatte, ihr zu schreiben. Möglicherweise Luisa, meine Großmutter mütterlicherseits, die auch in den schwierigsten Momenten auf gute Manieren pochte. Sie hat mich wenige Monate nach meiner Geburt bei sich aufgenommen, sie hatte mich wirklich gern, ihre Liebe war geradeheraus und herzlich, voller Aufmerksamkeiten. Oder vielleicht war es meine Mutter gewesen, die jeden nur erdenklichen Vorwand suchte, um meinen Vater zu kontaktieren, und alle möglichen Tricks anwendete, um ihn zurückzuerobern. Im Grunde genommen war sie nur ein Mädchen, dem man die Jugend gestohlen hatte. Wenn ich heute darüber nachdenke, wird mir klar, dass ich meine Großeltern – Nonno Domenico und Nonna Luisa – nicht zufällig „Papà“ und „Mamma“ nannte, während meine Mutter einfach nur „Mammina“ war.


Als junges Mädchen sprühte meine Mutter, Romilda Villani, nur so vor Charme und Talent. Sie interessierte sich nicht sonderlich für die Schule, spielte aber sehr gut Klavier, und mithilfe eines Stipendiums gelang es ihr, in das Konservatorium San Pietro a Majella in Neapel aufgenommen zu werden. Bei ihrer Abschlussprüfung spielte sie „La Campanella“ von Liszt und bekam hohe Auszeichnungen dafür. Die Großeltern hatten ihr trotz finanzieller Engpässe einen imposanten Flügel gekauft, der mitten in der kleinen Wohnstube in unserem Haus stand. Doch Romilda wollte höher hinaus, vielleicht, weil sie so beunruhigend schön war.

Eine Ausschreibung der amerikanischen Filmproduktionsgesellschaft Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) verdrehte ihr dann den Kopf. Sie suchten damals in ganz Italien eine Doppelgängerin für Greta Garbo, die Königin aller Diven. Romilda, die erst siebzehn war, verlor keine Zeit und bewarb sich hinter dem Rücken ihrer Eltern, in der festen Überzeugung, die Jury für sich gewinnen zu können. Und sie sollte recht behalten: Wie im Märchen gewann sie den Wettbewerb und noch dazu ein Ticket nach Hollywood. Doch Papà Domenico und Mamma Luisa wollten nichts davon wissen; dass ihre Tochter wegging, kam für sie nicht infrage. Außerdem war Amerika am anderen Ende der Welt.

Es heißt, dass die von der MGM sogar zu Romilda nach Hause gekommen seien, um die Eltern umzustimmen, dann aber, ebenso ungläubig wie enttäuscht, mit gesenktem Kopf wieder abziehen mussten. Die Lorbeeren erntete die zweitklassierte Kandidatin, Romilda aber verzieh ihren Eltern nicht und ging fort, sobald es möglich war, um ihren Traum weiterzuverfolgen: Sie wollte nach Rom und Cinecittà und sich nehmen, was ihr zustand, koste es, was es wolle.

Doch eines hatte die junge Garbo aus Pozzuoli nicht bedacht: die Unvorhersehbarkeit der Liebe. Die schicksalhafte Begegnung mit Riccardo Scicolone Murillo fand mitten auf der Straße, in der Via Cola di Rienzo, an einem Herbstabend des Jahres 1933 statt. Er war schön, groß, elegant, und er hatte Erfahrung mit Frauen. Er war sofort fasziniert von diesem wunderschönen Mädchen, das berühmt werden wollte, und um sie zu erobern, brauchte er sie nur darin zu bestärken und ihr vorzugaukeln, dass er in der Welt des Films eine einflussreiche Rolle spielte, was überhaupt nicht stimmte. Ihr, die die langen Schlangen bei Komparsen-Castings inzwischen kannte, kam es wie ein Traum vor, endlich ihrem Prinzen begegnet zu sein. Riccardo war zwanzig Jahre alt, er hatte ein bisschen Geld und eine Familie mit adeligen Vorfahren. Zum Ingenieur hatte er es nicht gebracht, aber er arbeitete aushilfsweise bei der staatlichen Eisenbahngesellschaft auf der Strecke Rom −Viterbo. Die Leidenschaft führte die beiden kurz darauf in ein kleines Hotel im Stadtzentrum, wo sie lange Liebesnächte miteinander verbrachten. Doch dann kam ich und machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Als Riccardo von Romildas Schwangerschaft erfuhr, brachte ihn das durcheinander, und er zog sich immer mehr von ihr zurück. Ich passte nicht in sein Lebenskonzept, so, wie meine Mutter nie hineingepasst hatte.

Um die Ehre ihrer Tochter zu retten, eilte Mamma Luisa nach Rom und forderte Riccardo auf, Romilda zu heiraten. Fast schien es, als ließe sich Riccardo überzeugen, doch dann kam ein scheinbar banales Detail ans Licht: Er hatte das Sakrament der Firmung nicht erhalten, und dieser Umstand entpuppte sich als enormes Hindernis für eine Eheschließung. Es kam also nicht zur Hochzeit, aber zumindest gab mir mein Vater, ob er nun wollte oder nicht, seinen Namen und damit einen Tropfen blauen Blutes. Paradoxerweise hatte ich zwar nie einen richtigen Vater, darf mich aber Vicecontessa von Pozzuoli, Edelfrau von Caserta aus der Familie der Hohenstaufen, Marchesa di Licata Scicolone Murillo nennen.


Eine Truhe voller Weisheit und Armut

Am 20. September 1934 kam ich als zartes und unansehnliches Kind auf der Station für ledige Mütter im römischen Krankenhaus Santa Margherita zur Welt. Wie ich immer sage, bekam ich als „Aussteuer“ eine Truhe voller Weisheit und Armut mit auf den Weg. Mammina wollte unbedingt, dass man mir ein Armband mit meinem Namen anlegte, da sie schreckliche Angst hatte, man könnte mich in der Wiege vertauschen. Eine kurze Zeit lang hoffte Riccardo, der keine feste Arbeit hatte und von Zweifeln geplagt wurde, dass uns seine Mutter Sofia bei sich aufnehmen würde, deren Zuneigung Romilda hatte gewinnen wollen, indem sie mir ihren Namen gab. Doch auch diesmal irrte sie sich. So mietete er für uns ein Zimmer in einer Pension, in der wir einige Wochen lang zusammenlebten wie eine Familie. Oder beinahe.

Leider fehlte es uns an Geld, es fehlten die grundlegenden Dinge, es fehlte an allem. Vater war zu arrogant, um irgendeine Arbeit anzunehmen, besaß aber nicht die nötigen Zeugnisse für die Tätigkeiten, die er anstrebte. Meine Mutter hatte keine Milch mehr und begann, sich ernsthaft um meine Gesundheit zu sorgen. Diese Sorge verwandelte sich in Gewissheit, als sie mich eines Tages in den Händen der Vermieterin ließ, um nach einer Anstellung zu suchen. Als sie zurückkam, war ich fast tot. Die Signora hatte mir, wer weiß aus welchen guten Absichten, einen Löffel Linsen verabreicht, die mich beinahe ins Jenseits befördert hätten. Und Riccardo? War natürlich verschwunden.

Romilda tat das einzig Richtige. Irgendwie schaffte sie es, sich eine Zugfahrkarte nach Pozzuoli zu kaufen, und kehrte nach Hause zurück. Ohne Geld und ohne Mann, mit einem sterbenskranken Neugeborenen im Arm und der „Schande“ im Nacken, den Ruf der Familie beschmutzt zu haben, war sie gewiss nicht zu beneiden. Wie würden uns die Villanis aufnehmen? Am Rande der Verzweiflung fürchtete sie, auch von ihnen zurückgewiesen zu werden. Mamma Luisa machte ihr die Tür auf. Ein Blick genügte, und schon schloss sie uns in die Arme, als wären wir nie weg gewesen. Sie holte den Brandy und die guten Gläser hervor, und nach einem bewegenden Prosit kümmerte sie sich sofort um mich.

„Wir brauchen Muttermilch“, verkündete sie, ohne Zeit zu verlieren. Die in ganz Kampanien bekannte Amme Zaranella wurde gerufen. Damit ich überlebte, legten die Villanis ein Gelübde vor dem heiligen Januarius ab und verzichteten monatelang auf Fleisch. Alles wurde an Zaranella weitergegeben, die es ihnen in Form von reichhaltiger, nahrhafter Muttermilch dankte. Niemand beschwerte sich über dieses Opfer, weder Papà Domenico noch meine Onkel, Zio Guido und Zio Mario, und auch nicht Zia Dora. Gemeinsam waren wir stark, daran haben wir in unserer Familie immer geglaubt.

Doch die Milch von Amme Zaranella reichte nicht aus, um mich wieder aufzupäppeln. „Diesem Mädchen geht es schlecht“, urteilte der Doktor, als er meine von Hustenkrämpfen durchschüttelte Brust abhorchte. „Bergluft würde ihr guttun …“ Und so beschloss Mamma Luisa, die kleine Wohnung an der Strandpromenade zu verlassen und die ganze Familie in die weiter oben gelegene Via Solfatara umzusiedeln. Es war die richtige Entscheidung. Ein erster Spaziergang in der abendlichen Kühle genügte, um in mein abgezehrtes Gesicht ein hübsches Lächeln zu zaubern. „Sie ist gerettet!“, sagte Mamma Luisa, die sich nun, da sie beruhigt war, endlich wieder um ihre alltäglichen Pflichten kümmern konnte.

Papà Domenico, oder Mimì, wie wir ihn nannten, ein kleiner untersetzter Mann, war Abteilungsleiter in der Munitionsfabrik Ansaldo, die der Grund dafür war, dass Pozzuoli wenige Jahre später zur Zielscheibe schrecklicher Bombardements werden sollte. Er arbeitete viel, zu viel für sein Alter, und abends kam er erschöpft nach Hause. Alles, wonach er sich dann sehnte, waren seine Zeitung und ein bisschen Ruhe. Was er jedoch vorfand, war eine große Familie, in der es turbulent zuging und die Mamma Luisa – so gut sie konnte – durchzubringen versuchte, mit Kraft und Willensstärke und mit reichlich Phantasie. Die beiden Jungen arbeiteten in der Fabrik, allerdings nur gelegentlich, während sich Zia Dora als Schreibkraft betätigte. Dennoch reichte das Geld nicht aus, um jeden Abend ein Essen auf den Tisch zu bringen.

Und so war die Hauptzutat in der Küche von Mamma Luisa weniger das Brot als Liebe und Phantasie. Ich erinnere mich noch heute an ihre Pasta mit Bohnen, die lustig in unserer kleinen Küche vor sich hin köchelte und den Duft von angebratenem Speck, wenn es ihn gab, verströmte. Es war der Duft unseres Zuhauses, der Familie, die uns vor den Bomben schützte, vor Tod und vor Gewalt. Noch heute kommen mir die Tränen, wenn ich diesen Duft einatme, der mich in meine Kindheit zurückversetzt. Ich kann mich auch noch an die farinella erinnern, eine Art Pfannkuchen aus Kichererbsenmehl, an die Pasta mit Kürbis, an die panzanella, bestehend aus altem Brot und frischen Tomaten, an die gekochten Kastanien … Es war eine arme Küche, aus nichts gemacht. Und trotzdem, verglichen mit dem Hunger, den der Krieg über uns bringen sollte, waren es fürstliche Speisen, besonders gegen Monatsende, wenn das halbe Gehalt von Papà Mimì in der Fleischsoße von Mamma Luisa landete. Etwas so Köstliches kann man einfach nicht vergessen.

Das Haus in der Via Solfatara hatte einen Eingang aus rotem Marmor, der Farbton war wunderschön und konnte mit allem mithalten, was ich später in den Villen von Hollywood gesehen habe. Es war ein warmes Rot, fast ein Orangeton, der ganz typisch für Neapel war. Als ich es Jahre später wiedersah, kam es mir verändert vor, mit traurigen Nuancen von Lila. Vielleicht lag es am Zahn der Zeit, vielleicht an den Spuren des Krieges, oder vielleicht war mein Blick einfach nicht mehr so ungetrübt wie damals.

Unsere Wohnung war zwar klein, aber so eingerichtet, dass wir alle irgendwie hineinpassten. Es ging auch nicht anders, denn bald wurden wir noch mehr. Um etwas dazuzuverdienen, spielte meine Mutter in den Cafés und Restaurants von Pozzuoli und Neapel Klavier. Manchmal fuhr sie sogar bis nach Rom, wo sie wieder anfing, sich mit Riccardo zu treffen. Und so kam es, dass sie eines Tages zitternd vor ihre Eltern trat, um ihnen zu gestehen, dass sie wieder schwanger war.

„Warum muss uns Gott noch Salz auf unsere Wunden streuen?“, entgegnete Papà Mimì resigniert über das mangelnde Urteilsvermögen dieser starrköpfigen und unzähmbaren Tochter. Und dieses Mal tappte der junge Scicolone gar nicht erst in die erpresserische Falle und ließ sich auf nichts ein. Meine Schwester Maria kam im Jahr 1938 als eine Villani zur Welt.

Meinen Vater sah ich mit etwa fünf Jahren zum ersten Mal wieder. Um das zu bewerkstelligen, hatte ihm meine Mutter ein Telegramm geschickt, in dem sie ihm mitteilte, ich sei sehr krank. Irgendwann kam er dann und brachte mir ein wunderhübsches Tretauto mit hellblauen Pedalen und roten Rädern mit, auf dessen Seite mein Spitzname stand: Lella. Ich war bei dieser Begegnung so aufgeregt, dass ich mich nicht einmal traute, ihm in die Augen zu sehen. Für mich war Mimì mein Vater, und niemand durfte ihm diesen Platz streitig machen. Manchmal frage ich mich, ob Riccardo mir das übel genommen hat. Tatsache ist aber, dass es dieses kleine Gefährt immer noch gibt, ich bewahre es in meinem Herzen, und es hat nicht mal einen Kratzer.

Ein anderes Mal brachte er mir Rollschuhe mit, auf denen ich fröhlich in der Eingangshalle unseres Hauses herumraste. Meine Schwester bettelte mich jeden Tag an, sie ihr auszuleihen. Und ich, die grausame ältere Schwester, gab sie ihr nur, wenn ich sie frisch geölt hatte. Wie oft ist sie hingefallen, die arme kleine Maria!


Unterdessen lebte ich mein Leben, so gut ich konnte, verborgen hinter einem dünnen Schleier der Schüchternheit, den ich fast nie ablegte. Ja, man mag es kaum glauben, aber ich war wirklich schüchtern, vielleicht auch wegen unserer Lebensumstände. Mein Vater war nicht da, und meine Mutter war zu blond, zu groß, zu lebhaft, und vor allem war sie nicht verheiratet. Ihre exzentrische und überbordende Schönheit machte mich verlegen. Ich wünschte mir eine normale Mutter, die mir Sicherheit gab, mit schwarzen Haaren und einer zerknitterten Schürze, mit runzeligen Händen und müdem Blick. Wie Mamma Luisa oder wie Antonietta, die ich vierzig Jahre später in Ein besonderer Tag (Una giornata particolare) spielen würde.

Ich betete zu Gott, dass mich Mammina nicht von der Schule abholte, denn ich schämte mich vor meinen Klassenkameradinnen. In der Schwesternschule, die ich besuchte, betrat ich immer als Erste oder Letzte die Klasse, wenn bereits alle auf ihren Plätzen saßen. Ich hatte Angst, verspottet zu werden. Mädchen können ja bekanntlich sehr grausam sein. Ich war ordentlich und fleißig, erledigte meine Schulaufgaben wie ein kleiner Soldat, aber vor den anderen fühlte ich mich immer unwohl. Auch deshalb, weil ich ganz dunkel war und schrecklich mager, alle nannten mich nur „die Bohnenstange“.

Eine Freundin hatte ich trotzdem, eine echte Freundin, die mich mein ganzes Leben lang begleitet hat. Als sie starb, nahm sie unsere Kindheit mit sich fort und alle gemeinsamen Erinnerungen, die schönen und die weniger schönen. Sie hieß Adele, und sie wohnte auf demselben Stockwerk. Kaum waren wir aufgestanden, trafen wir uns im Treppenhaus und spielten bis zum Abend miteinander. Nach der Grundschule trennten sich unsere Wege – sie besuchte die berufsvorbereitende Schule, ich die Lehrerbildungsanstalt –, aber nichts konnte uns wirklich auseinanderbringen.

Ihre Familie war nicht ganz so arm oder vielleicht einfach nur kleiner als unsere. Zu ihrem Geburtstag bekam sie immer eine Puppe, mit der wir dann zusammen spielten. Meine Großmutter hingegen brachte mir zum Dreikönigsfest Kohle mit und behauptete, ich sei unartig gewesen. Doch wenn sie sie mir gab, schaute sie mich liebevoll an und gab mir zu verstehen, dass das gar nicht stimme und dass wir nur wieder einmal kein Geld hatten. Im Krieg wurde es mit dem Hunger noch schlimmer: Oft konnte ich dem Duft, der aus Adeles Küche strömte, nicht widerstehen und näherte mich voller Hoffnung. Manchmal, allerdings nicht sehr oft, lud mich ihre Mutter zum Mittagessen ein.

Als ich viele Jahre später nach Pozzuoli zurückkehrte, um ein „Special“ zu drehen, lud ich auch Adele ein. Von diesem Moment an haben wir uns nicht mehr aus den Augen verloren, bis zu dem Tag, als sie nicht ans Telefon ging. Es war mein Geburtstag, einer der traurigsten, die ich je erlebt habe. Sie hatte einen Schlaganfall erlitten und war nun an den Rollstuhl gefesselt. Sie weinte still vor sich hin, wenn ihre Töchter von mir erzählten, von uns und unserem Leben, als wir noch Kinder waren.


In der Schule war ich fasziniert von den Waisenkindern, die die Ordensschwestern immer in die letzte Reihe setzten, als wollten sie betonen, was für ein Pech diese Mädchen hatten. Ich setzte mich in die Reihe vor sie, wie ein Bindeglied zwischen ihrem Unglück und einer Normalität, für die ich mich in ihrer Gegenwart schämte. Zu gern hätte ich einmal das angeschlossene Waisenhaus besucht, aber man hätte eine riesige Treppe hinaufsteigen müssen, was absolut verboten war.

Die Schwestern waren streng, und ich hatte Angst vor ihnen, auch wenn sie mir gegenüber besonders rücksichtsvoll waren. Bei Bestrafungen musste man die Hände ausstrecken, und dann bekam man Schläge. Meine Hände haben sie nie auch nur gestreift.

Ich war zwar schüchtern, das stimmt, aber mir gefiel es auch, gegen den Strom zu schwimmen. Als ich Nonna Sofia fröhlich von meiner Erstkommunion berichtete, hatte ich mir das erste Abendmahl in Wahrheit schon einige Zeit vorher heimlich selbst besorgt. Ich war allein in die Kirche gegangen, hatte mich angestellt, war mit gesenktem Blick vor dem Priester auf die Knie gesunken und hatte „Amen“ geflüstert. Als ich nach Hause kam, erzählte ich Mamma Luisa von meinem Abenteuer, in der Überzeugung, dass sie sich freuen würde, ein so frommes Enkelkind zu haben.

„Was hast du nur getan! Was hast du nur getan!“, rief sie und war ganz verzweifelt über meine mehr oder weniger unbewusste Grenzüberschreitung. In Wirklichkeit war das einfach meine Art, nach Gott zu suchen, ganz intuitiv. Auch heute noch bin ich auf der Suche nach ihm, und manchmal finde ich ihn an den unglaublichsten Orten.

Über Sophia Loren

Biografie

Sophia Loren, geboren am 20. September 1934, wuchs in armen Verhältnissen in Neapel auf. Nach ersten Schönheitswettbewerben und als Modell für Fotoromane wurde sie von ihrem späteren Ehemann, dem Produzenten Carlo Ponti, entdeckt und begann eine Schauspielausbildung. Nach ersten Erfolgen in Italien...

Pressestimmen
Frau von Heute

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„Die beeindruckende Geschichte einer Frau, die auf eine Bilderbuchkarriere zurückblicken kann. Intensiv und ehrlich erzählt sie aus ihrem Leben.“

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„Unterhaltsam, informativ und genau dann belehrend, wenn man es selbst möchte. Die Loren, Heldin der Vergangenheit mit einem festen Platz in der Moderne.“

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„Offen, ehrlich und warmherzig schildert Sophia Loren die Geschichte ihres Lebens, das so emotional, abwechslungsreich und farbig war wie ein Film mit ›La Loren‹“

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„Aber besonders beeindruckend ist Lorens Erzählweise, wenn es um das Menschliche geht. (...) Man fühlt sich ihr nah, wen man ihr Buch liest – und das macht es besonders wertvoll.“

Kommentare zum Buch
Sophia Loren, Mein Leben
Klaus-Peter Minges am 25.04.2015

Ich liebe dieses Buch und las es drei mal, beim dritten Mal auf Italienisch, zusammen mit einer Italienischlehrerin, die mir die Diffeerenzen zwischen Original und Übersetzung fühlbar machte - hochinteressant. Erst auf Italienisch habe ich dieses Buch voll "verstanden".   Mir gefällt, dass Signora Loren gar nicht so attraktive Seiten von sich doch recht offen zeigt: Schüchternheit, Furchtsamkeit, ihre Neigung gerne alleine zu sein, selten zu Einladungen zu gehen. Aber sie stilisiert sich nicht als die Arme: Ich hatte ja sooo mit meiner Schüchternheit zu kämpfen...!   Mir gefällt, wie sie die Widrigkeitenihres Lebens erzählt. Ihre Situation als uneheliches Kind in Italien - wie könnte sie vom Leder ziehen! Gegen Staat, Gesellschaft, Kirche ... rückständig...Aber sie zeigt, wie sie schließlich mit allem zurechtkam.   Und das das Schönste: Ein Frau, die viele, wirklich viele Männer schätzt, verehrt, liebt! Was weiß sie alles von Schauspielern, Filmemachern und auch von ihrem Mann Vorteilhaftes zu erzählen! Ein ganzes Kaleidoskop! Ein wohltuender Kontrast zum herrschenden Femnismus.

nichtssagend, eine große Enttäuschung
carlos ( Literatur-und Filmhistoriker, Regisseur, absoluter Fan von Sophia) am 01.01.2015

ich habe das Buch in der deutschen Fassung zuerst und dann im Original gelesen, mit der Hoffnung, dass auf Italienisch etwas mehr Salz und Pfeffer vorhanden wären. Sophia als 80jährige Omi hat einen zuckersüßen, moralisierenden, verschonenden, unkritischen, durchaus langweiligen Text verfasst -bzw. verfassen lassen- in einem antiseptischen Stil voller Gemeinplätzen und Floskeln, die auf Deutsch noch langweiliger wirken als auf Italienisch- die Schulbuch- Übersetzung ihrer neapolitanischen Sprüche machen die Sache noch schlimmer! . Selten habe ich eine Autobiographie so entspannt und aufgeregt angefangen, und noch seltener habe ich komplette Abschnitte nach einem flüchtigen Blick weggelassen, in der Hoffnung, dass irgendwo mehr als ein makelloses Selbstporträt, zwei Titel von Kochrezeptbüchern, und ein Verzeichnis unschuldiger, liebevoller, harmloser Filmregisseure, Stars und Modedesigner zu finden war. Vergebens. Schade, Signora.  

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