Leben wie in der Toskana - eBook-Ausgabe
Wie man Einfachheit, Warmherzigkeit und Leichtigkeit für sich entdecken kann
Leben wie in der Toskana — Inhalt
Die Weisheit der Toskana ist bislang noch nirgendwo in einem Buch beschrieben worden. Sie scheint die Menschen still zu umgeben, sie unbemerkt zu erfassen, wie die Wärme einer Sommernacht. Sie ist da, in der beschaulichen Landschaft, den stolzen Hügelstädten, im täglichen Leben, in den Begegnungen der Menschen auf der Straße, auf den Märkten, in Cafés und Läden. Seit zwanzig Jahren lebt Ferenc Máté mit seiner Frau Candace im Herzen der Toskana, dort, wo der Inbegriff des guten Lebens zu Hause ist. „Wäre die Welt nicht ein besserer Ort“, fragt er, „wenn wir, wie die meisten Menschen der Toskana, unseren Kindern ein Stück fruchtbaren Bodens vererben könnten, ein bescheidenes Haus, ein paar nützliche Grundfertigkeiten und eine eng verwobene Gemeinschaft, aus der wir Identität, Selbstachtung und Stolz beziehen? Sie müssen auch gar nicht in die Toskana ziehen, denn das, wonach wir streben emotionale Ruhe, abwechslungsreiche Arbeit, ein Leben inmitten von Familie und Freunden, in Schönheit und Natur, ist vielleicht schon hinter dem nächsten Hügel zu finden.“
Leseprobe zu „Leben wie in der Toskana“
Eine Kindheit in der Toskana
Grazietta ist zierlich, gerade einmal anderthalb Meter groß. Aber mit ihrem durchdringenden Blick kann sie dich hypnotisieren, und mit ihrer klaren, kräftigen Stimme kann sie dich an eine Wand nageln. Mit dem Schwung einer Sechzehnjährigen läuft sie durch die steilen Gassen unserer Stadt Montalcino, in der sie vor fast sechzig Jahren geboren wurde. Sie sieht sehr gut aus. Ihr ganzes Leben lang hat sie einen Schönheitssalon betrieben und folglich irgendwann – meist sehr rasch – alles mitbekommen, was es in unserer Stadt an [...]
Eine Kindheit in der Toskana
Grazietta ist zierlich, gerade einmal anderthalb Meter groß. Aber mit ihrem durchdringenden Blick kann sie dich hypnotisieren, und mit ihrer klaren, kräftigen Stimme kann sie dich an eine Wand nageln. Mit dem Schwung einer Sechzehnjährigen läuft sie durch die steilen Gassen unserer Stadt Montalcino, in der sie vor fast sechzig Jahren geboren wurde. Sie sieht sehr gut aus. Ihr ganzes Leben lang hat sie einen Schönheitssalon betrieben und folglich irgendwann – meist sehr rasch – alles mitbekommen, was es in unserer Stadt an Berichtenswertem gab. Sie gehört zu den belesensten und redegewandtesten Bürgern ihrer Stadt, über die sie mit enormer Leidenschaft spricht.
Stolz auf ihr etruskisches Blut erklärt die überzeugte Toskanerin: „Wir sind nicht wie die Römer. Die haben Marmor behauen und Krieg geführt. Wir Etrusker aßen, tranken und liebten lieber. Und wir liebten unsere Heimat. Wir sahen nie die Notwendigkeit, etwas zu erobern oder jemanden zu unterwerfen. Wir lieben unsere Freiheit und respektieren die Freiheit der anderen. Weltreich, nein danke!“
Bis sie zehn wurde, war ihr Viertel ihre Welt. In ihrem Kirchensprengel – in diesem Städtchen von zwölftausend Menschen gab es zwölf Kirchen, die sich um Körper und Seele ihrer Schäfchen kümmerten – lief eine Horde von etwa fünfzig Kindern durch die Straßen, jagte die langen Stufen der Gassen zur Festung hinauf, sauste zur Quelle hinunter, zur Piazza Padella oder in einen der Gärten, die hinter den schmalen Häusern in den Hügel terrassiert worden waren.
Montalcino ist eine mittelalterliche Stadt, gebaut nach dem Prinzip pieni e vuoti, voll und leer: In den schmalen Gassen drängen sich die steinernen Häuser dicht aneinander, doch hinter den Häusern liegt ein Streifen freies Land, so dass jedes Haus einen eigenen Garten hat. Und dort tobt das volle Leben, hier wächst Gemüse, reifen Weintrauben und Oliven und laufen Hühner herum.
Als Grazietta klein war, gab es fünf Metzger in der Stadt, sechs Bäcker, zwei Apotheken und einen Gemüsehändler, zwei Ärzte, einen Tierarzt, außerdem Bauern, Handwerker, Anwälte, Buchhalter und Holzfäller, die manchmal wochenlang in den Senken und Hügeln blieben. Sie alle teilten sich die Stadt und begegneten sich ständig. Der schicke Palazzo eines Bankers lag neben dem eines ärmlichen Schusters, ein Anwalt mochte in einem noblen Palazzo residieren, während sein Nachbar, ein Grubenarbeiter, sechs barfüßige Kinder hatte.
Im Sommer drängten die Städter durch die Stadttore hinaus und den Hügel der Pineta hinauf, eines weiten Pinienhains, wo die Luft im Schatten kühl war und jeden Tag eine Brise vom Meer her wehte. Sie nahmen Tische und Stühle mit, Wein und Imbisse. Alle kamen, es gab weder Rangunterschiede noch Klassen. An jenen warmen Sommerabenden aßen, tranken und plauderten die Menschen in der Pineta, als hätten sie nicht tagsüber in der Stadt schon genug getratscht. Irgendjemand holte dann sein Akkordeon oder seine Mandoline heraus, ein Saxophon oder eine Gitarre – alle örtlichen Handwerker spielten in der Stadtkapelle –, und die Menschen tanzten bis weit in die Nacht, bis die Häuser in der Stadt sich so weit abgekühlt hatten, dass man darin schlafen konnte.
Die Gemeinde kümmerte sich den ganzen Sommer um die Kinder, organisierte Spiele und Ausflüge, während die Kirche Sommercamps auf La Velona veranstaltete, einer märchenhaft wirkenden Burg auf einem einsamen Hügel unter dem großen Vulkan. Von dort machten die Kinder Ausflüge in die wilden Wälder, zum Fluss oder zu den heißen Quellen, wo neunzig Grad heißes Wasser in ein Naturbecken sprudelte. In der Burg lebten contadini-Familien; die Eltern bestellten das Land und bei Bedarf halfen die Kinder auf den Feldern und in den Weinbergen mit.
Für den Winter gab es die circoli, große Versammlungssäle der Parteien, in denen die Kinder nach Herzenslust herumspielen und -brüllen durften. Und das ganze Jahr über ging die gesamte Stadt abends auf passeggiata, wenn die Sonne unterging und die Hufeisen der heimkehrenden Maultiere über das Kopfsteinpflaster klapperten. Man traf sich auf den piazze und flanierte durch die Gassen, man sah sich, traf sich, tratschte und plauderte mit denjenigen, denen man tagsüber bei seinen Besorgungen nicht über den Weg gelaufen war.
Und jede Woche kam eine andere umherziehende Theatertruppe und füllte das grandiose Theater im Stadtzentrum bis unters Dach. Das Theater ist eine verkleinerte Kopie der Scala und verfügt über eine gute, tiefe Bühne. Über drei Rängen privater Logen mit purpurfarben gepolsterten Stuhllehnen wölbt sich das großartige Fresko eines Himmels. Das Theater war gut zwei Jahrhunderte zuvor von den vierzig reichsten Familien der Stadt gebaut worden. Dafür bekamen die edlen Spender Privatbalkone, während der Rest der Bevölkerung im Parkett auf Bänken saß. Der Eintritt war günstig bis umsonst.
Im alten Kloster und sommers auch im Innenhof der fortezza wurden Filme vorgeführt. Noch in der finstersten Nacht konnte man unbeschwert durch die Straßen gehen, weil man genau wusste, wer aus welcher Tür kam.
Und man wusste auch, was hinter den Türen vorging, nicht nur, weil die Stimmen durch die von Frühling bis Herbst weit offen stehenden Fenster drangen und durch die Gassen hallten. Auch hielten einen Freunde und Nachbarn immer auf dem Laufenden darüber, wer wen liebte, wessen Kinder in der Schule schlechte Noten bekommen hatten und wo es an Geld, an Essen oder an Fürsorge mangelte. Der Sprengel wusste Bescheid – und griff notfalls ein. Allerdings so diskret wie möglich. Manchmal ermunterte man einen schlechten Schüler, seine Hausaufgaben zusammen mit einem guten Schüler zu erledigen. Oder man schaute vorbei und half kurz aus. Oder man vergab einen Auftrag, der noch ein bisschen hätte warten können, um einem Familienoberhaupt wieder Arbeit und Würde zu verschaffen. Und wenn kleine Gesten nicht mehr reichten und schlicht Bargeld benötigt wurde, dann sammelte die Gemeinde diskret und ließ es vom Priester überbringen.
Eines Winters hatte auch Graziettas Familie zu kämpfen. Plötzlich verkauften sich die Ziegel, die ihr Vater machte, nur noch schleppend. Der Tonfall im Haus wurde gereizt, Fleisch kam nur noch selten auf den Tisch. Von Abend zu Abend zog der Vater sich mehr in sich zurück. In der folgenden Woche passte der Gemeindepfarrer Grazietta auf ihrem Heimweg von der Schule ab. Er begleitete sie ein wenig und plauderte mit ihr. Dann zog er auf den Stufen einer Gasse, wo er sich unbeobachtet wusste, einen dicken Umschlag aus dem Ärmel. „Gib den deinem Vater“, bat er. „Wenn ihr allein seid.“ Dann wandte er sich wortlos um und ging davon.
Lebensqualität
Wenn ich Ortsfremden gegenüber das Wort „Toskana“ erwähne, ernte ich üblicherweise wehmütige Seufzer. Und wenn ich dann noch erzähle, dass wir draußen in den Hügeln leben, umgeben von Weingärten und Olivenhainen, höre ich oft: „Du lebst meinen Traum.“
Und tatsächlich zeichnet sich die Toskana vor allem durch die dort vorherrschende Lebensqualität aus: das gemächliche Tempo, den Frieden, die Schönheit, den sozialen Zusammenhalt und natürlich die Küche. Und ebenso wie die Qualität von Speisen und Wein der Toskana in unzähligen Dingen wurzelt, die nicht direkt mit Küche und Keller zu tun hat, so entsteht auch die Lebensqualität aus der Summe vieler Details, die nur dann aufgeht, wenn sie allen zugute kommen.
Zeit
Auf den ersten Blick vielleicht am augenfälligsten ist, wie gemächlich es in der Toskana zugeht. Das Leben wird nicht nur gelebt, es wird ausgiebig genossen. Unser guter Freund Nebbia aus Castelmuzio war trovaroba – wörtlich „Dinge-Finder“. Er war ein bemerkenswert talentierter Kinder-Hüter, ein lieber, witziger Mensch, der es liebte, alte Sprichwörter zu verballhornen. Eines davon machte er zu seinem persönlichen Motto: „Was du auch übermorgen kannst besorgen, das verschieb nicht nur auf morgen.“
Ein weiterer Freund, Bill Thompson, erinnert sich noch an seine erste Lektion in toskanischer Lebensweise. Das war vor zwanzig Jahren gewesen; er war kurz zuvor mit zehn Worten Italienisch und einem Abschluss in Agarökonomie aus England hierher gekommen und hatte auf einem Gut mit einem einzigen weiteren Arbeiter, Carlo, angefangen. Carlo war damals fünfundsechzig Jahre alt und hatte so große Lücken in den Zahnreihen, dass Zähne und Lücken ineinander zu greifen schienen. Eines Morgens hackten sie den Boden unter uralten Olivenbäumen, mit Harken, deren Design aus dem Mittelalter stammte. Bill war jung und fit; er legte mit großem Elan los, hinterließ einen runden Teppich umgegrabener Erde um jeden Baum und wechselte schnell zum nächsten. Eine Zeitlang sah Carlo, der fröhlich vor sich hin summend werkelte, sich das an. Doch nach einer Stunde, als Bill der Schweiß in Strömen herablief, nahm Carlo ihn sachte am Arm und sagte „fermo“, hör auf. Mit seiner Hacke deutete er auf den nächsten zu beharkenden Baum und sagte: „Nach dem hier kommt der da und danach jener da.“ Dann deutete er mit weiter Geste auf die unendlichen Baumreihen und sagte: „Und dann kommen noch viel mehr.“ Danach ging er zu seinem Baum zurück und harkte gemächlich weiter.
Bill war verdattert. Er sah Carlo eine Zeitlang zu, dann kam ihm die Erleuchtung: „Erst wenn ich die Arbeit an diesem Baum hier genießen kann, habe ich es verdammt noch mal geschafft.“
Und die Menschen der Toskana genießen ihre Arbeit wirklich.
Auch Fremden begegnen sie offen, freudig. Nicht, weil sie jetzt weise oder faszinierende Worte von ihm erwarten, sondern weil sie aus – jahrhundertelanger, in die Gene übergegangener – Erfahrung wissen, dass jeder Augenblick der beste sein kann, wenn man ihm eine Chance lässt.
Deswegen lassen auch nur wenige Toskaner ihr fünfgängiges Mittagessen ausfallen: Ihre Lebenslust diktiert ihnen, dass keine Mahlzeit hinter anderem zurückstehen sollte.
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