Lieferung innerhalb 1-3 Werktage
Bezahlmöglichkeiten
Vorbestellung möglich
Kostenloser Versand*
Blick ins Buch
Blick ins Buch

Instinct – Der Tod in den Wäldern

David Gray
Folgen
Nicht mehr folgen

Thriller

„In seinem neuen Ökothriller ›Instinct‹ erschafft David Gray eine Dystopie, die an den Wunden unserer Gegenwart leidet. Wortgewandt, spannend und erschreckend treffend.“ - Leipziger Volkszeitung

Alle Pressestimmen (3)

Paperback (18,00 €) E-Book (14,99 €)
€ 18,00 inkl. MwSt.
sofort lieferbar
In den Warenkorb Im Buchshop Ihrer Wahl bestellen
Geschenk-Service
Für den Versand als Geschenk können eine gesonderte Lieferadresse eingeben sowie eine Geschenkverpackung und einen Grußtext wählen. Einem Geschenkpaket wird keine Rechnung beigelegt, diese wird gesondert per Post versendet.
Kostenlose Lieferung
Bestellungen ab 9,00 € liefern wir innerhalb von Deutschland versandkostenfrei
€ 14,99 inkl. MwSt.
sofort per Download lieferbar
In den Warenkorb Im Buchshop Ihrer Wahl bestellen
Geschenk-Service
Für den Versand als Geschenk können eine gesonderte Lieferadresse eingeben sowie eine Geschenkverpackung und einen Grußtext wählen. Einem Geschenkpaket wird keine Rechnung beigelegt, diese wird gesondert per Post versendet.
Kostenlose Lieferung
Bestellungen ab 9,00 € liefern wir innerhalb von Deutschland versandkostenfrei

Instinct – Der Tod in den Wäldern — Inhalt

In der Wildnis hört dich niemand schreien
In diesem Ökothriller zeichnet David Gray eine schöne neue Welt, unter deren trügerisch glatter Oberfläche uralte, furchtbare Gefahren lauern.

Europa in 100 Jahren: Um den Klimawandel aufzuhalten, haben sich die Menschen in hypermoderne Metropolen zurückgezogen und das Land dazwischen zu gigantischen Naturreservaten erklärt. Elena ist Wildhüterin in einer abgelegenen Überwachungsstation mitten in dieser Wildnis. Als sie seltsame Spuren entdeckt, glaubt sie zunächst an Wilderer.

Für Fans von Wolf Harlander, Marc Elsberg und Dirk Rossmann

Könnten diese hinter dem mysteriösen Verschwinden ihres Vorgängers stecken? Elena und ihr Team gehen dem Rätsel nach, doch dies hat verheerende Folgen, denn die Wahrheit ist ebenso schockierend wie tödlich. Eine unbarmherzige Jagd beginnt …

Ein actionreicher Thriller mit einer unheimlichen Zukunftsvision

€ 18,00 [D], € 18,50 [A]
Erschienen am 02.01.2024
304 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-06459-0
Download Cover
€ 14,99 [D], € 14,99 [A]
Erschienen am 02.01.2024
304 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60494-9
Download Cover

Leseprobe zu „Instinct – Der Tod in den Wäldern“

1


Die Urne, die man gerade in die Grube senkte, war leer. Sie schwankte daher auffallend zwischen den beiden silbernen Schnüren hin und her, an denen der Bestatter sie in das schmale Loch herabließ.

Achtzig Männer und sechs Frauen standen um das Grab herum. Der größte Teil der Trauergäste trug Ausgehuniform, und eine Ehrenformation aus zwölf Feldhütern präsentierte jetzt ihre Haenel-PX-48-Präzisionskarabiner, aus denen sie in wenigen Augenblicken eine Salve zum Abschied von Feldhüterleutnant Ulf Thomsen abgeben würde.

Elena schaute sich zu Thomsens [...]

weiterlesen

1


Die Urne, die man gerade in die Grube senkte, war leer. Sie schwankte daher auffallend zwischen den beiden silbernen Schnüren hin und her, an denen der Bestatter sie in das schmale Loch herabließ.

Achtzig Männer und sechs Frauen standen um das Grab herum. Der größte Teil der Trauergäste trug Ausgehuniform, und eine Ehrenformation aus zwölf Feldhütern präsentierte jetzt ihre Haenel-PX-48-Präzisionskarabiner, aus denen sie in wenigen Augenblicken eine Salve zum Abschied von Feldhüterleutnant Ulf Thomsen abgeben würde.

Elena schaute sich zu Thomsens Schwester und seiner Mutter um, die beide verweint auf die Urne starrten, als fürchteten sie sich vor den Blicken der übrigen Trauergäste.

Der Friedhof lag im Zentralquartier, war alt und voller Buchen und Erlen, aber auch einige prächtige Eschen wuchsen hier. Sie stellten eine Seltenheit dar, weil sie ganz besonders heftig vom großen Baumsterben vor achtzig Jahren betroffen gewesen waren. In den Metropolen hatten es nicht viele Eschen bis zu dieser prächtigen Größe geschafft. Zwischen den Gräbern und auf den Wegen lagen noch Reste von Schnee, grau und schmutzig. Es hatte in diesem Jahr später als sonst geschneit. Selbst, wenn es weniger Schnee gewesen war als erwartet.

Stimmt die Linie?, fragte sich Elena, blickte heimlich zur Seite und überprüfte dabei ihre sechs Kollegen hinter dem zu kleinen Grab, in dem gerade die Urne verschwunden war.

Alles in Ordnung, dachte sie erleichtert. Stand und Haltung ihrer Kollegen waren perfekt vorschriftskonform.

„Kamerad Ulf Thomsen! Unvergessen!“, rief Feldhüteroberstleutnant Demir Hallstein, woraufhin Elena und die Männer in ihrer Linie die Karabiner an die Schultern setzten und eine Salve in den Himmel feuerten.

„Kamerad Ulf Thomsen! Unvergessen!“, wiederholte der Oberstleutnant seinen Ruf, woraufhin eine zweite Salve, ein dritter Ruf und eine dritte Salve folgten.

Elena fühlte sich, anders als offenbar die meisten übrigen Trauergäste, nicht sonderlich ergriffen von den Ritualen, trotzdem vermittelte deren Strenge eine gewisse Sicherheit, die sie wiederum durchaus zu schätzen wusste.

Von den kurzen Reden ihrer beiden Vorgesetzten und der Ansprache des Trauerredners bekam sie kaum ein Wort mit, weil sie sich auf die Blicke und Gesichter der wenigen Zivilisten konzentrierte, die zu Thomsens Trauerfeier erschienen waren und zwischen den Uniformen etwas verloren wirkten. Sie fragte sich, ob achtzig Trauergäste eine gute Zahl war oder doch zu gering für das immerhin über vierzig Jahre währende Leben eines Feldhüteroffiziers, dem man nachsagte, er sei einer der Besten seines Fachs gewesen.

Beim Abtreten verpatzte ihr Kamerad James Herbert Jones seinen Einsatz um eine Sekunde, was einen unprofessionellen Eindruck machte. Herrgott, immer ist es James, der es nicht auf die Reihe kriegt, dachte Elena.

Auf dem Weg zu den Flugbussen mischten sich Zivilisten und Uniformierte. Da Elena keinen der zivilen Trauergäste kannte und auch keine Lust auf die leise geführten Gespräche ihrer Kollegen hatte, hielt sie sich etwas abseits. Offenbar nicht abseits genug, denn Oberst Dorothea Willms tauchte neben ihr auf, hakte sich ungefragt bei ihr unter und schaute verdrossen unter ihrer Schirmmütze hervor zu den dunklen Flugbussen.

„Sie wissen, dass ich mich gegen Ihre Beförderung gestellt habe, Leutnantin Mikoyan?“, fragte Willms.

„Das war nicht zu ignorieren, Frau Oberst“, antwortete Elena vorsichtig, aber wahrheitsgemäß.

Frau Oberst war überdurchschnittlich groß und kurvig, sie hatte dunkle, halblange Locken, war Anfang vierzig und trug neben ihren Rangabzeichen den kleinen Button der Sisterhood of Light am Uniformrevers. Was zwar nicht ausdrücklich untersagt war, aber bei offiziellen Anlässen wie der Beerdigung eines im Dienst gefallenen Offiziers zumindest von schlechtem Geschmack zeugte.

„Ich will nur sichergehen, dass Ihnen meine Gründe dafür klar werden. Ich halte Sie für eine sehr fähige Feldhüterin und ganz klares Offiziersmaterial. Die Führung des Teams, dem die Verantwortung für den östlichen Abschnitt des mitteldeutsch-polnischen Nationalparks obliegt, ist eine der komplexesten Aufgaben in unserem Beruf. Ihre fachlichen Qualifikationen reichen dafür zwar aus, aber ich zweifle an der dafür nötigen menschlichen Reife. Dass man mich bei der Entscheidung überstimmte, kann ich Ihnen selbstverständlich nicht vorwerfen. Doch Ihnen sollte vollkommen klar sein, dass ich Sie sehr genau im Auge behalten werde und Ihre Berufung rückgängig mache, sobald Sie einen Fehler begehen, der zu groß ist, als dass er sich unter den Teppich kehren ließe.“

Na klar, du verklemmte Krähe, dachte Elena bissig. Die mangelnde menschliche Reife, die du mir vorwirfst, ist doch nur vorgeschoben. Eigentlich geht es dir darum, dass ich mich niemals mit deinem blöden Späthippieverein eingelassen habe. Die Sisterhood of Light hatte einst als harmloser Verein für Yogajüngerinnen, Selbstoptimierungsfanatikerinnen, Esoterikerinnen und Tantra-Coaches begonnen. Sie alle vereinte, dass sie der Schulmedizin nicht vertrauten und Psychiatrie und Psychologie für Teufelswerk hielten. Die Pandemiewellen, die zu Beginn und Mitte des 21. Jahrhunderts über die Welt gerollt waren, bescherten der Sisterhood eine Explosion ihrer Mitgliederzahlen. Ihre Mischung aus cremefarbenem Gesundheitsfanatismus und aggressiver Esoterik kam vor allem bei jungen Frauen gut an. Inzwischen setzten sich die Sisters auch für eine Verschärfung der Prostitutionsgesetze, ein Verbot des Verkaufs von Sexpuppen und gegen die Zulassung neuer Stundenhotels ein. Radikalere Teile der Sisterhood petitionierten inzwischen auch für ein vollständiges Abtreibungsverbot von weiblichen Föten.

Elena betrachtete zwar jede Art von Vereinsmeierei mit Skepsis, aber sie fand, dass die Sisterhood mit ihrem weiblichen Ausschließlichkeitsanspruch ganz besonders aus der Zeit gefallen war und sich längst ebenso überlebt hatte wie Rassismus, Benzinmotoren oder Pferdefuhrwerke.

„Ehrlich gesagt, finde ich es geschmacklos von Ihnen, gerade hier meine Karriere zu besprechen, Frau Oberst.“

„Die Sorte von Geschmack, von der Sie reden, Mikoyan, kann frau sich in meiner Position nicht mehr leisten. Aber allein, dass Sie damit anfangen, beweist einmal mehr Ihre mangelnde Qualifikation für die Position, die man Ihnen zugeschanzt hat“, entgegnete Frau Oberst und wünschte Elena noch einen guten Tag.

Elena war zornig und verunsichert. Um sich abzulenken, schaute sie über den Friedhof hinweg zur Skyline der Metropole. Die konnte ihr jedoch auch keine Antwort darauf geben, ob Frau Oberst mit der Analyse ihrer Befähigung zur Kollektivleiterin wirklich so falschlag, wie Elena sich das wünschte.

„Scheiß drauf!“, flüsterte sie schließlich halblaut.

„Genau. Und scheiß auf die Sisterhood!“, antwortete Zweiter Feldhüterobermeister James Herbert Jones neben ihr.

Elena überspielte ihre Selbstzweifel mit einem Lächeln. „Genau, James Herbert! Lauter Yoga-Hippies mit zu viel Geltungsbedürfnis!“

„Klar, kein Wunder, dass Frau Oberst sich in dem Scheißverein so wohlfühlt, was?“, grinste Jones. „Einige von uns haben eine Bar im Seequartier klar gemacht. Bier, Mixgetränke und Cannabis bis zum Anschlag!“

Elena lachte und folgte ihm zu dem autonomen Flugbus, der die siebzig Kilometer Entfernung zum Seeviertel in weniger als einer Viertelstunde überwinden würde.

„Einsteigen!“, riefen die übrigen zwanzig Feldhüter, die bereits im Flugbus saßen. Einige von ihnen förderten Flachmänner aus ihren Uniformen zutage.

Elena klemmte ihren Karabiner in eine Halterung und nickte ihren Kameraden erleichtert zu. Ein Besäufnis, fand sie, wäre womöglich genau das, was ein Doktor mir gerade heute verschrieben hätte, wäre ich so waghalsig gewesen, mich bei einem danach zu erkundigen.

Der Bus hob ab und pendelte sich auf Verkehrsflughöhe ein.



2


Das Seeviertel lag gerade noch im Innenbereich der Metropole und wirkte ein wenig heruntergekommen, ohne sich als ganz und gar vernachlässigt zu qualifizieren. Einige der über zweihundert Jahre alten Gründerzeithäuser erschienen mit ihren Begrünungen sogar malerisch vor den deutlich wuchtigeren Holz-, Glas- und Stahlbauten aus der Anfangsphase der ersten digital-industriellen Revolution.

Elena war schon lange nicht mehr so weit über die Stadt hinweggeflogen. Es ergriff sie jedes Mal, die einzelnen Stadtteile unter sich zu sehen. Sie wirkten wie Städte innerhalb der Stadt. In einem von ihnen hatte sie ihre Kindheit verbracht und später dann einige Semester hier in der Metropole auch studiert. Damals war das Seeviertel etwas besser erhalten gewesen. Es war aber offenbar immer noch dasjenige mit den meisten Vergnügungslokalen, und sogar die fünf Zentren für sexuelle Dienstleistungen existierten noch im Schwarzen Dreieck, einem Block, der schon so lange als Kneipen- und Tanzvergnügenschwerpunkt diente, dass wahrscheinlich schon ihre Großeltern dorthin gegangen waren, um zu komischem Techno zu tanzen oder Konzerte von inzwischen als neuklassisch geltenden Musikkombos zu hören.

Elena mochte die Beständigkeit, die darin lag. Die beiden luxuriösen Muschelhotels am Platz mussten ziemlich neu sein, denn sie konnte sich nicht an sie erinnern. Muschelhotels vermieteten ihre Räume stundenweise an Paare oder Einzelpersonen für Sex. Eines der beiden warb mit der breitesten Kollektion an Liebesspielzeug in der Metropole, während das andere auf seine vollautomatische Bar und den angeblich riesigen Selbstpflege- und Wohlfühlbereich setzte.

Elena kannte das Lokal nicht, das ihre Kameraden ausgesucht hatten, aber sie lächelte, als sie den Haferkornplatz betrat und direkt gegenüber dem Lokal die Denkmäler für Königin Christine, Onkel Fritz, Frollein Dodenhöller und Herrn Kreisler – der Kuh, dem Bullen, dem Legehuhn und dem Truthahn – entdeckte, deren Stammzellen einst die Grundlage für die meisten der heute in der Bundesrepublik verkauften Laborfleischprodukte gebildet hatten. Sie fand die bunten, etwas verrückten Statuen der vier ungleichen Tiere lustig und freute sich, sie wieder einmal zu sehen.

Das Innere des Lokals, das sie dann betraten, war ganz auf urig und rauchig getrimmt. Kopien alter Zeitungen und Familienporträts, wie man sie heute nur noch in Museen sah, schmückten die Wände. Außerdem bediente hier Personal die Gäste und keine Gastroroboter – was für Elena den entscheidenden Unterschied zwischen guten und schlechten Bars ausmachte. Personal war teuer, und das schlug sich in den Preisen nieder, weswegen sie über ihre Kollegen und Kameraden staunte, die bei den Bestellungen nicht aufs Geld schauten. Sie selbst hielt sich zunächst zurück. Es würde keinen guten Eindruck auf ihre Untergebenen machen, fand sie, wenn die sie angetrunken oder von einer der Substanzen auf der hauseigenen Drogenkarte bedröhnt erlebten.

Die Unterhaltung kam rasch in Gang, auch wenn sie sich zunächst nur um die Beerdigung drehte. Später driftete sie in Lästern über Kollegen und Kameraden ab, die man an Thomsens Grab zum ersten Mal seit Langem wieder getroffen hatte. Es war unvermeidlich, dass das Gespräch sich schließlich den Umständen seines Todes zuwandte – selbst wenn der, streng genommen, gar nicht verbürgt war. Seine Urne war immerhin leer gewesen.

„Thomsen war zu gut, um sich von einem Wisent erwischen zu lassen“, rief Zweiter Feldjägerobermeister Alexander Nemzew quer über den Tisch hinweg gerade einer der beiden weiblichen Verwaltungsangestellten zu, die ihren Kragen geöffnet und die Jacke ausgezogen hatte. Sie musste Zweifel an der etablierten These über Thomsens Verschwinden geäußert haben.

Nemzew war viele Jahre Thomsens Beigänger gewesen und hatte mit ihm so einige Abenteuer durchgestanden. Die fingen bei Drohnenversagen an, betrafen unerwartete Begegnungen mit Raubtieren im Park oder Gefechte mit Wilderern. Gerade hatte einer der anderen Nemzew aufgefordert, über eine besonders dramatische Suche nach aus den Metropolen verschwundenen Arbeitsmigranten zu berichten.

Nemzew war ein gut aussehender Mann mit einem V-Kreuz, sehnig-muskulösen Armen und einem klar geschnittenen Gesicht.

Die Verwaltungsangestellte, die er offensichtlich mit seinen Berichten zu beeindrucken versuchte, zählte zu jenen fitten, gesunden jungen Frauen wie die, mit denen Elena vor einigen Jahren Ökobiologie studiert hatte. Sie alle waren fleißig, höflich und gut erzogen gewesen, aber sparten auffallend mit ihren Reizen. Auf Elena, deren Vorfahren einst aus dem Kaukasus hierher emigriert waren, wirkten sie so gefestigt langweilig und in sich ruhend wie ein Teller Biosauerkraut mit Kartoffeln und einer Portion Kulturfleischkassler.

Die Urgroßmütter dieser Frauen hatten noch die Schule geschwänzt, um sich von der Polizei bei Klimademos verprügeln zu lassen, oder hatten die Prestigekunstsammlungen von Ölmilliardären mit Tomatensuppe und Kartoffelbrei beworfen, weil sie aus gutem Grund befürchtet hatten, entweder von Sturmfluten weggespült, von Hitzewellen ausgedörrt, von Diktatoren gefoltert oder Terroristen in die Luft gejagt zu werden. Trotzdem – oder wahrscheinlich gerade deshalb – veranstalteten sie illegale Elektropartys und passten sich später, als die ganz großen Katastrophen ausblieben, nur widerstrebend in die Karrieretretmühlen ein. Ihre Enkelinnen hingegen führten gemessen daran ein Leben, das so prüde, vorhersehbar und eintönig ausfiel wie Hochhausfassaden.

Ihre Urgroßmutter warf Elena zuweilen vor, zu verkopft und eigensinnig zu sein, und behauptete, dass die deutschen Männer dies nicht mochten, weswegen Elena niemals einen Partner finden würde. Aber Elena fand, dass das, was ihre Urgroßmutter für Eigensinn hielt, einfach nur eine gewisse Hartnäckigkeit war, die ihr bisher zumindest in ihrer Karriere nicht geschadet hatte.

Die Verwaltungsangestellte, mit der Nemzew flirtete, streifte eben ihre Jacke wieder über und schloss sie sogar. Trotzdem schaute sie Nemzew weiter kokett an. Seltsame Art, auf eine Anmache zu reagieren, dachte Elena. Schon möglich, dass sie selbst ein bisschen zu nachdenklich war, um so häufig zum Zug zu kommen, wie sie es angesichts ihrer Anziehungskraft gekonnt hätte. Aber dieses Mädchen zählte offenbar zur wirklich prüden Sorte.

Die Bevölkerung der gesamten westlichen Welt schrumpfte in einem nie erwarteten Ausmaß, weil alte Umweltschäden die Zeugungsfähigkeit einschränkten und die Menschen eine gewisse Unlust erfasst hatte, Kinder zu bekommen. Aber, dachte sie, wenn dann schon mal eine zur vollen Geschlechtsreife heranwuchs, war die auch noch so verkniffen, prüde und sterbenslangweilig wie diese Verwaltungsschickse. Kein Wunder, dass die Sisterhood of Light immer mehr an Mitgliederinnen und Einfluss hinzugewann. Diese Sauerkraut-Verwaltungsschickse hatte ihren Mitgliedsantrag sicher auch schon längst ausgefüllt und abgegeben.

Fünf Minuten später bestellte Elena doch eine Cannabiszigarette aus der Drogenmenükarte. Man servierte sie hier altmodisch stilecht in Glasröhrchen und mit Bauchbinde. Nachdem sie die ersten Züge genommen hatte, fühlte sie sich etwas befreiter.

Nemzew wechselte den Platz und setzte sich neben die Verwaltungsschickse, wo er sofort auf sie einzureden begann.

„Und, haben Sie auch eine Theorie über Ulfs Tod?“, erkundigte sich einer der Kameraden aus dem südwestlichen Nationalpark bei Elena.

„Ich glaube nur, was ich sehe. Aber bisher hat nun mal keiner Leutnant Thomsens Leiche gesehen.“

„Ach, kommen Sie schon, Chefin! Jeder hier hat doch eine Meinung dazu!“, rief Nemzew zu ihnen herüber.

„Ich nicht“, antwortete Elena nur teilweise aufrichtig.

Thomsen war vor drei Jahren und zwei Monaten mit einer Drohne in östlicher Richtung ins Parkinnere geflogen. Er hatte dazu weder eine offizielle Autorisation gehabt, noch war in den digitalen Logbüchern ein Notfall vermerkt gewesen, dem er hätte nachgehen müssen.

Die letzten automatisierten Statusmeldungen der Drohne waren von einem Savannengelände gekommen, das regelmäßig von Wisenten als Weide genutzt wurde.

Als einige Stunden später die Suchkommandos dort ankamen, fanden sie seine Drohne unbeschädigt vor und folgten Thomsens Spuren zu einem etwa achtzig Hektar großen Waldstück, in dem sie sich unvermittelt verlor. Selbst die Untersuchungen mit Restspurenaufbereitern, Metallsonden und extra in den Park eingeflogenen forensischen Spezialisten förderten keine brauchbaren Spuren zutage. Und das war so geblieben, bis man Thomsen im Januar für tot erklärte und seine Beerdigung auf diesen Samstag im März ansetzte.

„Thomsen war mein bester Freund! Auf Thomsen!“, rief Nemzew plötzlich und hob sein halb gefülltes Bierglas.

Du hast doch auch keine plausible Erklärung dafür, was ihm zugestoßen ist, dachte Elena. Und du kannst hier den pathetisch-tragischen Helden geben, solange du willst, aber wenn bei der Hauptturmwache in der Wildnis gegen drei oder vier Uhr morgens die Erinnerungsdämonen kommen, hast du genauso viel Angst vor der wilden Weite da draußen wie wir anderen.

„Thomsen, Thomsen, Thomsen!“, brüllten sechs oder sieben der Männer und schlugen dazu im Takt ihre Gläser auf den Tisch.

Das, dachte Elena, wird ein Drei-Cannabis-Zigaretten-Abend.

Mindestens.

David Gray

Über David Gray

Biografie

David Gray, eigentlich Ulf Torreck, geboren 1973 in Leipzig, hat schon in der Schule lieber Edgar Allan Poe als Goethe gelesen. Nach einer Lehre als Zimmermann studierte er Jura und arbeitete als Drehbuchautor. Seit 2008 schreibt Gray hauptberuflich Romane.

Pressestimmen
Leipziger Volkszeitung

„In seinem neuen Ökothriller ›Instinct‹ erschafft David Gray eine Dystopie, die an den Wunden unserer Gegenwart leidet. Wortgewandt, spannend und erschreckend treffend.“

Freie Presse

„Gray holt weder Science-Fiction-Trash plötzlich aus der Utopiekiste, noch hält er sich zu lang mit Theoretisieren auf, sondern baut seine Zukunftsvision und ihre Fragen flüssig in die zunehmend Fahrt aufnehmende Handlung ein.“

MDR Kultur „Unter Büchern“

„300 rasant und spannend zu lesende Seiten.“

Kommentare zum Buch
tabeas_book_escape am 14.01.2024

Rezension: ????Der erste Satz "Die Urne, die man gerade in die Grube senkte, war leer." konnte mich begeistern, und so wollte ich wissen, was sich dahinter verbirgt. Auch das beschriebene Setting fand ich persönlich innovativ ausgearbeitet und gleichzeitig auch erschreckend realistisch. Beispielsweise kann man in der Zukunft Kulturfleisch essen, und es gibt Koms, die für spontane Sprachübersetzungen genutzt werden. Allgemein fand ich den Fortschritt der KI-Entwicklung interessant.☺️ Der extreme Gegensatz zwischen den Metropolen und den Nationalparks wurde für mich durch die Beschreibungen sehr deutlich. Auch mochte ich die detaillierte Schilderung der Tiere, die sich in dem Nationalpark befinden, wie zum Beispiel die Wolfshundhybridwelpen. Mit der letztendlichen Wendung habe ich persönlich nicht gerechnet, und die actionreiche Auflösung konnte mich sehr packen.???? Das Buch „Instinct-Der Tod in den Wäldern“ war der erste Ökothriller, den ich je gelesen habe. Dementsprechend musste ich mich am Anfang erst einmal an die verschiedenen Begriffe gewöhnen. Manchmal hatte ich persönlich etwas Probleme mit der Protagonistin Elena, wobei ich ihre Gedanken nicht ganz nachvollziehen bzw. keine wirkliche Verbindung zu ihr aufbauen konnte. Weiterhin war mir der Schreibstil hin und wieder etwas zu direkt bzw. für meinen Geschmack zu drastisch. Zum Anfang hätte ich mir noch etwas mehr Spannung gewünscht. Zudem habe ich mir eine Kleinigkeit zum Ende hin schon gedacht, die dann auch letztendlich so eingetreten ist. Fazit: Mich konnte das futuristische Setting wirklich überzeugen, auch wenn ein paar Aspekte nicht meinen Geschmack getroffen haben. Dementsprechend gebe ich dem Buch 3⭐️ Vielen Dank @piperverlag für das Rezensionsexemplar. Unbezahlte Werbung/Rezensionsexemplar

Kommentieren Sie diesen Beitrag:
(* Pflichtfeld)

David Gray - NEWS

Erhalten Sie Updates zu Neuerscheinungen und individuelle Empfehlungen.

Beim Absenden ist ein Fehler aufgetreten!

David Gray - NEWS

Sind Sie sicher, dass Sie David Gray nicht mehr folgen möchten?

Beim Absenden ist ein Fehler aufgetreten!

Abbrechen