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Ihre Seite der Geschichte

Heike Specht
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Deutschland und seine First Ladies von 1949 bis heute

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Ihre Seite der Geschichte — Inhalt

Ohne Amt, aber mit Einfluss

20 Frauen prägten Deutschland seit 1949 auf ganz besondere Weise: die Partnerinnen der Bundespräsidenten, Bundeskanzler und DDR-Staatschefs. Wer waren diese Frauen, die an der Seite der mächtigsten Männer dieses Landes standen? Wie definierten sie ihre Rolle als First Lady? Und: Welche Art von Einfluss übten sie aus auf ihren Mann und letztlich auf unser Land?
Von Elly Heuss-Knapp und Lotte Ulbricht, über Rut Brandt, Margot Honecker und Mildred Scheel bis zu Hannelore Kohl, Bettina Wulff und schließlich Elke Büdenbender, der aktu­ellen Dame in Schloss Bellevue – Heike Specht vermittelt ein lebendiges Bild der First Ladies, wirft einen Blick hinter die Kulissen der Macht und lässt dabei ein neues Panorama deutscher Geschichte entstehen.

€ 12,00 [D], € 12,40 [A]
Erschienen am 31.08.2020
400 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-31620-0
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€ 11,99 [D], € 11,99 [A]
Erschienen am 02.04.2019
400 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-99354-8
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Leseprobe zu „Ihre Seite der Geschichte“

Einleitung

Während man in Deutschland am zweiten Weihnachtsfeiertag des Jahres 2004 einmal wieder über „grüne Weihnachten“ klagte, beobachteten die Menschen an den Küsten Süd- und Südostasiens an diesem Morgen ein merkwürdiges Phänomen. Schlagartig zog sich das Meer zurück. Einwohner und Touristen gleichermaßen rätselten an den märchenhaften weißen Sandstränden noch, was das zu bedeuten hatte, als sich weit draußen auf dem Ozean meterhohe Wellen aufbauten, die schon wenig später auf die Küsten zurasten und Tod und Zerstörung brachten. Ursache war ein [...]

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Einleitung

Während man in Deutschland am zweiten Weihnachtsfeiertag des Jahres 2004 einmal wieder über „grüne Weihnachten“ klagte, beobachteten die Menschen an den Küsten Süd- und Südostasiens an diesem Morgen ein merkwürdiges Phänomen. Schlagartig zog sich das Meer zurück. Einwohner und Touristen gleichermaßen rätselten an den märchenhaften weißen Sandstränden noch, was das zu bedeuten hatte, als sich weit draußen auf dem Ozean meterhohe Wellen aufbauten, die schon wenig später auf die Küsten zurasten und Tod und Zerstörung brachten. Ursache war ein verheerendes Beben im Indischen Ozean, das überall in der Gegend riesige Tsunamis auslöste. Menschen, Tiere, Häuser, Straßen und Brücken wurden erbarmungslos mitgerissen.

In Deutschland und ganz Europa war das Entsetzen über diese Naturkatastrophe von gigantischen Ausmaßen groß. Einige der vom Tsunami heimgesuchten Länder und Inseln – Thailand, Sri Lanka, die Malediven, die Seychellen, Réunion – waren beliebte Urlaubsziele, die viele selbst schon bereist hatten. In seiner Neujahrsansprache brachte ein sichtlich betroffener Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Trauer zum Ausdruck und forderte die Bürgerinnen und Bürger zu Solidarität mit den betroffenen Regionen auf. Gleichzeitig machte er sich auf die Suche nach einer Person, die der Partnerschaftsinitiative Fluthilfe ein Gesicht geben und die nötige Durchschlagskraft verleihen würde. Schließlich griff er zum Hörer und rief Christina Rau an.

Es brauchte etwas Zeit, bis Schröder sie überreden konnte, denn die Familie Rau hatte gerade selbst eine schwere Zeit durchzustehen. Johannes Rau, erst im Juni aus dem Amt des Bundespräsidenten geschieden, war schwer krank. Schließlich aber sagte die ehemalige First Lady zu. Rasch entschied man sich, Doris Schröder-Köpfs Büro im Kanzleramt zum Krisenzentrum umzufunktionieren. Die Kanzlergattin packte ihre wichtigsten Unterlagen und machte Platz für die Frau, die während der letzten fünf Jahre quasi parallel mit ihr First Lady gewesen war. Christina Rau stürzte sich in die Arbeit und behielt doch, wie es ihre Art ist, einen kühlen Kopf. Qualität, so ihr Motto, müsse vor Schnelligkeit gehen. Bloß kein Aktionismus. Hunderte von Projekten wurden in den folgenden Monaten aufgegleist, Kommunen, Unternehmen, Schulen boten ihre Hilfe an. Der ehemaligen First Lady, die durch ihre vielen Staatsbesuche die besten Verbindungen zu Botschaften und Diplomaten hatte, gelang es, Spender und Projekte zusammenzubringen und sie auf solide Beine zu stellen. Das Unterfangen war politisch nicht wenig heikel, war es doch an der Schnittstelle zweier stets konkurrierender Ministerien angesiedelt. „Das größte Lob“, so Christina Rau heute, „als die Mission beendet war, lautete, dass es noch nie eine Zeit gegeben hat, in der das Außenministerium und das Entwicklungsministerium so gut zusammengearbeitet haben.“

In dieser kurzen Episode kommen namentlich drei politische Akteure vor, die wichtige Aufgaben für das Land übernahmen, Verantwortung trugen, oft rund um die Uhr im Einsatz waren. Aber nur einer von ihnen – der Bundeskanzler nämlich – hatte ein offizielles Amt inne. Christina Rau und Doris Schröder-Köpf dagegen taten, was sie taten, weil sie mit einem führenden Politiker des Landes verheiratet waren. Und sie taten es unentgeltlich. First-Lady-Sein ist weder Job noch Amt, und doch erklärte sich Christina Rau im Januar 2005 spontan zur Koordination der Mammutaufgabe der Partnerschaftsinitiative bereit. Sie selbst war nicht gewählt worden, und doch hatte Doris Schröder-Köpf im Kanzleramt, dem Machtzentrum der Republik, ein eigenes Büro, in dem sie Korrespondenz erledigte, über Akten saß, Pressespiegel auswertete, Reden des Kanzlers durchging und Termine machte. Die Geschehnisse rund um die Organisation der Hilfe für die Tsunami-Opfer stoßen uns also mit der Nase auf das merkwürdige Konstrukt, das dieses Amt, das keines ist, darstellt. „Man kann als First Lady unendlich viel machen“, so Christina Rau, „man hat die ganze abgeleitete Autorität auf seiner Seite und kann eine breite Öffentlichkeit erreichen.“

 

„Das Geheimnis, tausend Hände am Tag schütteln zu können“, so sagte einmal Eleanor Roosevelt, „besteht darin, selbst zu schütteln, nicht schütteln zu lassen.“ Die Amerikanerin wusste, wovon sie sprach. Zwölf Jahre, davon vier lange Kriegsjahre, war sie an der Seite Franklin D. Roosevelts eine überaus beliebte, wirkmächtige und einflussreiche First Lady. Sie verpasste der Rolle einen gehörigen Modernisierungsschub, gab Interviews, setzte Themen, wurde selbst zur Handelnden. Der Journalist und Biograf zahlreicher amerikanischer Präsidenten, Jon Meacham, nannte Eleanor Roosevelt gar „das Gewissen des Weißen Hauses“.

Viele Aufgaben, die First Ladies zu erfüllen haben, sind repräsentativ. Sie sollen gute Gastgeberinnen sein, würdige Vertreterinnen des Landes, man erwartet, dass sie sich benehmen können, dass sie eine gute Figur machen und sich nach Möglichkeit auch karitativ engagieren. Die Rolle der First Lady ist aber auch ein Drahtseilakt, denn Tradition und Protokoll verlangen ihren Tribut, die Öffentlichkeit beobachtet diese Frauen auf Schritt und Tritt, die Boulevardpresse ist allzeit bereit, jeden Fauxpas genüsslich auszuschlachten. Die Frau des Präsidenten und noch mehr die Frau des Kanzlers wurden nicht selten in der Geschichte der Bundesrepublik haftbar gemacht für die Politik ihrer Gatten. Rut Brandt, Hannelore Kohl oder Doris Schröder-Köpf konnten ein Lied davon singen. Manchmal nahm der politische Gegner sogar gezielt die Ehefrau ins Visier, um den Mann zu treffen. Nicht wenige der hier im Fokus stehenden Damen hatten zunächst mit ihrer Rolle zu kämpfen. Manche litten dauerhaft an diesem nicht selbst gewählten Dasein im Licht der Öffentlichkeit und den Zumutungen, die das Leben an der Seite eines Spitzenpolitikers mit sich bringt, wurden darüber sogar krank. Und alle zahlten einen Preis. Es ist nicht leicht, als First Lady „selber zu schütteln“ – um Eleanor Roosevelts Worte zu bemühen. Und doch scheint genau darin der Schlüssel zu liegen.

Aber auf welche Weise kann die First Lady überhaupt wirken? Welchen Einfluss hat sie? Die achtzehn Ehefrauen von Bundespräsidenten und Bundeskanzlern der letzten siebzig Jahre entfalteten ihre Macht auf ganz unterschiedliche Weise und in sehr verschiedener Intensität. Einige, wie Elly Heuss-Knapp oder Doris Schröder-Köpf, waren selbst ausgeprägt politische Köpfe, die eng mit ihren Ehemännern zusammenarbeiteten, die gemeinsam Ideen entwickelten, unverzichtbare Sparringspartner wurden. Andere wirkten eher atmosphärisch, bauten persönliche Kontakte zu ausländischen Regierungs- und Staatschefs sowie deren Partnerinnen und Partnern auf, ergänzten ihren Ehemann und glichen dessen persönliche Defizite aus. So war es für den zurückhaltend, ja zuweilen distanziert wirkenden Willy Brandt ein Segen, die charmante und unkomplizierte Rut an seiner Seite zu wissen, die so manche Schrulligkeit mit einem Lächeln auszubügeln verstand. Und wieder andere machten einfach ihr eigenes Ding. Mildred Scheel zum Beispiel musste man Eleanor Roosevelts Empfehlung nicht zweimal sagen. Sie war ohnehin keine, die sich schütteln ließ, vielmehr trat sie selbst in Aktion – und zwar im ganz großen Stil.

Es ist ein faszinierendes und zugleich kein leichtes Unterfangen, dem Phänomen der First Ladies und ihrem Beitrag zur Geschichte dieses Landes auf die Spur zu kommen. Angesprochen auf die Frage, welchen Einfluss sie hätten, welche Rolle sie spielten, wird stets größte Bescheidenheit an den Tag gelegt. Vielleicht gehen die Damen dabei nicht so weit wie einst Mamie Eisenhower: „Ike kümmert sich um das Land und ich mich um die Schweinekoteletts.“ Aber zunächst ist man doch meist mit einer Aussage konfrontiert, die da lautet: „Nicht ich wurde gewählt, sondern mein Mann.“ Das ist vollkommen korrekt – aber eben doch nur die halbe Wahrheit. Keine dieser Frauen würde jemals öffentlich zugeben, dass sie ihren Mann in dieser oder jener wichtigen Frage beeinflusst, ihm zu dieser oder jener Taktik oder Entscheidung geraten hat. Das würde ihr den Vorwurf der Selbstüberschätzung einbringen und darüber hinaus ihren Mann dauerhaft beschädigen. Ziel dieses Buchs ist es also, hinter die Rhetorik zu schauen, zu fragen, auf welchen Kanälen und mit welchen Mitteln bewusst und vielleicht zuweilen auch unbewusst Gestaltungsmacht wahrgenommen wurde, inwiefern die First Ladies durch ihre Persönlichkeit, durch ihren Stil oder durch ganz gezielte Beiträge Einfluss nahmen.

Sowohl sie selbst als auch ihre Männer haben dabei stets instinktiv begriffen, dass es in der Macht der First Lady liegt, ihren Ehemann fassbarer zu machen. Die First Lady kann dem zuweilen abgehoben wirkenden Spitzenpolitiker ein menschliches Gesicht geben, sie kann unabhängiger von Parteipolitik agieren als ihr Gatte, kann ihren Mann in der Öffentlichkeit in Zusammenhang bringen mit alltäglichen Themen, an die die Menschen anknüpfen können. Gleichzeitig betrachten hohe Politiker ihre Ehepartner nicht selten als Standleitung zum Volk. Von ihren Partnern, die direkter mit den Sorgen der Bürger in Berührung kommen, erhalten diese Politiker einen verlässlichen Realitätscheck, der zuweilen heilsam sein kann.

Einen Realitätscheck bieten die First Ladies aber noch in einer weiteren Hinsicht. „Es gibt da oben immer die Gefahr, paranoid zu werden,“, sagte Michael Dobbs, ehemaliger Stabschef von Margaret Thatcher, einmal über das Amt der Premierministerin, „plötzlich überall Stimmen zu hören von irgendwelchen Einflüsterern, wie in einem byzantinischen Palast.“ In diesem Stimmengewirr ist jene der eigenen Partnerin beziehungsweise des eigenen Partners eine der wenigen, die einem im besten Fall unverblümt und uneigennützig die Meinung sagt. Gemäß dem Spruch „Feind – Todfeind – Parteifreund“ trauen viele Politiker ihren Kollegen nicht recht über den Weg, sie neigen dazu, Verschwörungen zu sehen. Gleichzeitig sind sie, je höher sie steigen, immer häufiger von Menschen umgeben, die sich erhoffen, in ihrem Windschatten selbst Karriere zu machen. Je länger ein Politiker im Amt ist, desto zentraler ist es, dass es daheim noch jemanden gibt, der ihn mit unangenehmen Wahrheiten konfrontiert. Es sei wirklich wichtig, so Doris Schröder-Köpf, „dass der engste Kern ganz offen, ganz klar, ganz ehrlich ist, denn es gibt ja dann so viel Lobhudelei. Das ist auch mal schön, aber das hilft nicht weiter. Weiter hilft nur Ehrlichkeit.“

 

Doris Schröder-Köpf, Christina Rau und sämtliche First Ladies der Bundesrepublik sind „Angeheiratete der Politik“, wie Loki Schmidt das einmal nannte. Sie haben sich nie zur Wahl gestellt, laut Verfassung gibt es sie eigentlich gar nicht, und doch handelt es sich um Frauen auf einflussreichem Posten. Dabei sind die Rolle der Kanzlergattin und die der Frau des Bundespräsidenten durchaus verschieden. Von der Frau des Staatsoberhauptes wird erwartet, dass sie repräsentiert, dass sie ihren Mann auf Staatsbesuche begleitet und wiederum Gäste empfängt. Wie ihr Mann soll sie gewissermaßen über der Tagespolitik stehen und sich möglichst nicht politisch äußern. „Ich habe ja miterlebt“, so erklärte Richard von Weizsäcker 1994 bei der Einführung seines Nachfolgers Roman Herzog die schwierige Aufgabe der First Lady, „was es bedeutet, dass die Frau des Präsidenten von der Verfassung sozusagen gar nicht vorgesehen ist. Dass sie dennoch dieselbe innere Verpflichtung für das Amt empfindet und sie bereitwillig trägt. Weniger spektakulär, dafür aber zuweilen entsagungsreicher. Und ganz gewiss genauso verantwortungsvoll.“

Die Aufgaben der Partnerin des Kanzlers sind viel weniger konkret als jene der Frau des Bundespräsidenten, und sie haben sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gewandelt – von einer Luise Erhard, die man öffentlich kaum zu Gesicht bekam, über eine Rut Brandt, die zur Stilikone wurde, eine Hannelore Kohl, die wohl oder übel eine versierte Wahlkämpferin wurde, bis zu einer überaus politisch denkenden und handelnden Doris Schröder-Köpf. Der Ehemann der ersten Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik schließlich, Joachim Sauer, hat sich von Anfang an erfolgreich geweigert, in die Rolle eines First Husband zu schlüpfen.

Das vorliegende Buch widmet sich den Frauen der beiden Männer an der Spitze des Staates und erzählt dabei auch eine Geschichte der Bundesrepublik von ihrer Gründung bis heute. Hier wird also „ihre Seite der Geschichte“ erzählt. Und das im doppelten Sinne. Mich interessiert, wie ein Leben in der Politik auch die First Ladies veränderte, wie sie damit umgingen, welthistorische Ereignisse hautnah zu erleben, vielleicht sogar mitzugestalten. Wie definierten sie ihre Aufgaben für sich ganz persönlich? Trugen sie die Agenda ihres Mannes mit? Hatten manche von ihnen ihre eigene? Und hätte ihr Mann es ohne sie überhaupt in die Topposition geschafft? Zum anderen sind die First Ladies immer auch ein Stück weit Spiegelbild der Gesellschaft und erlauben es so, die Geschichte dieses Landes von einem ungewohnten Blickwinkel aus zu betrachten. Das Buch ist keine Porträtsammlung, reiht nicht einfach die Biografien der First Ladies aneinander. Ich gehe zwar durchaus chronologisch vor, lenke aber über die Ehefrauen der Bundeskanzler und der Präsidenten einen besonderen Fokus auf zentrale Punkte, die in allgemeinen deutschen Nachkriegsgeschichten oft etwas stiefmütterlich – eigentlich sollte ich sagen stiefväterlich – behandelt werden. Denn die meist männlichen Historiker blenden Aspekte, die vor allem Frauen beziehungsweise Veränderungen im Geschlechterverhältnis betreffen, oftmals aus oder erwähnen sie nur am Rande. Am Beispiel der Ersten Damen im Staat aber wird greifbar, wie sich Rollenbilder gewandelt haben und welchen Weg die Frauen in diesem Land in den letzten siebzig Jahren zurückgelegt haben.

Das Hauptaugenmerk dieses Buchs wird auf den First Ladies der Bundesrepublik liegen, aber auch ein Blick hinter den Eisernen Vorhang darf nicht fehlen, denn im Ostteil des Landes gab es stets eine mächtige Frau an der Seite des Generalsekretärs des ZK der SED. An ihrem Beispiel lassen sich wie im Westen die Transformationen des Frauenbilds deutlich machen. Die Ulbrichts, beide überzeugte Kommunisten, mussten nach außen eine Bilderbuchfamilie abgeben. Lotte Ulbricht reiste mit ihrem Mann durch die damalige sozialistische Welt, besuchte Fabriken und Schulen und saß bei Großveranstaltungen in der ersten Reihe. Margot Honecker, eine Generation jünger als Lotte Ulbricht und deren Erzrivalin, mochte sich nicht mehr mit der Rolle der First Lady Ostberlins zufriedengeben und wurde selbst zur mächtigen Ministerin für Volksbildung.

 

Große Männer machen Geschichte, hieß es früher. Aber wie immer ist die Sache, wenn man genau hinschaut, komplizierter – und spannender. Ich will mit diesem Buch einen Blick hinter die Kulissen der Macht werfen. Dabei ist, wie gesagt, im Auge zu behalten, dass der Beitrag der First Ladies zum Teil übertüncht wird von der offiziellen Rhetorik ritueller Bescheidenheitsbeteuerungen. Nicht selten vernebeln aber auch Klischees die Sicht auf das Wirken der Ersten Damen. Aus zahlreichen Gesprächen mit First Ladies, ihren Nachfahren und Wegbegleitern, aber auch mit anderen aufmerksamen Zeitbeobachtern, aus mannigfachen Quellen, Erinnerungen und natürlich auch der Presseberichterstattung setzt sich ein Bild zusammen, das uns einen Eindruck gibt nicht nur vom Leben der First Ladies, sondern auch von ihrer Gestaltungsmacht und ihrem Wirken in diesem Land.

Eines schon mal vorweg: Mit den deutschen First Ladies ließ und lässt sich Staat machen. Christina Raus Einsatz für die Tsunami-Hilfe 2005 – und auch deshalb steht diese Episode zu Beginn des Buchs – macht auf einen Aspekt aufmerksam, der untrennbar mit dem Phänomen der First Lady verbunden ist: Diese Frauen fühlen sich dem Gemeinwohl verpflichtet, sie übernehmen – so altmodisch das klingt – qua Ehe eine Verantwortung, die auch mit dem Ende der Amtszeit des Partners nicht endet. Sie bringen sich ein, nehmen Anteil, beteiligen sich an der Diskussion um Themen, die das Land umtreiben. Diese Frauen teilen ein Verantwortungsgefühl für den Staat und seine Menschen, das über Parteigrenzen hinweggeht.

Und noch eine Bemerkung: Dieses Buch widmet sich den First Ladies, weil eben in den ersten Jahrzehnten dieser Republik Damen an der Seite von deutschen Kanzlern und Präsidenten standen. Seit 2005 hat das Land allerdings eine Regierungschefin. Inwiefern ein First Husband also die Rolle verändert, werden wir uns im letzten Kapitel genauer ansehen. Joachim Sauer interpretiert die Aufgabe auf seine ganz eigene Weise. Wer weiß, wie zukünftige Partner von deutschen Kanzlerinnen und Präsidentinnen das handhaben werden. Das ist dann vielleicht Thema für ein anderes Buch.

Nun aber „Ladies first“, oder besser noch „First Ladies first“. Tauchen wir ein in die wechselvolle Geschichte dieses Landes und seiner Ersten Damen. Widmen wir uns ihrer Seite der Geschichte.


1 Gründerinnenzeit

Ein verwitwetes Land

Seit dem frühen Morgen schon hatten sich graue Wolken zusammengezogen. Als in den Hausmeisterwohnungen zahlreicher öffentlicher Gebäude in Bonn an diesem Samstag mitten im Hochsommer 1952 das Telefon klingelte, begann es zu regnen. Unverzüglich, so lautete die Anweisung, seien die Fahnen auf halbmast zu setzen. Soeben habe man Nachricht vom Ableben Elly Heuss-Knapps erhalten. Deutschlands erste First Lady war in der Bonner Universitätsklinik ihrem schweren Herzleiden erlegen, und die so junge und empfindliche Bundesrepublik hatte eine ihrer wichtigsten Führungsfiguren verloren.

Als Elly Heuss-Knapp drei Jahre zuvor im Alter von achtundsechzig Jahren zur Ersten Dame der gerade gegründeten Republik geworden war, hatte lediglich ihr angeschlagener Gesundheitszustand ihren Enthusiasmus für die neue Aufgabe bremsen können. Die herzkranke Elly empfing die Ehefrauen der Botschafter und andere Gäste, die ihr ihre Aufwartung machten, im Salon der Villa Hammerschmidt im Parterre, denn das Treppensteigen fiel ihr schwer. Sie verbrachte viele Stunden des Tages am Schreibtisch und widmete sich vor allem dem Thema, dem sie sich bereits als junges Mädchen verschrieben hatte: der Sozialpolitik. Hier, das hatte die erfahrene Politikerin im Jahr 1948, als man erstmals den Namen Heuss für das Amt des Bundespräsidenten ins Gespräch brachte, sofort gespürt, gab es etwas für sie zu tun. Auf diesem Posten würde sie mehr bewirken können als jemals zuvor, und sie würde diese Chance nutzen.

Zusammen mit ihrem Mann reiste sie in den folgenden drei Jahren, soweit es ihre Kräfte zuließen, durch das verwundete Land, besuchte zerbombte Städte, sprach mit von den Ereignissen der letzten Jahre erschütterten Menschen. Staatsbesuche standen nicht an – Elly Heuss-Knapp wären längere Reisen oder gar Langstreckenflüge ohnehin nicht zuzumuten gewesen –, denn die Bundesrepublik saß nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Diktatur und einem Krieg, der die Welt in Brand gesetzt und Millionen Tote gefordert hatte, am außenpolitischen Katzentisch. Glamouröse Empfänge mit feinem Porzellan und teuren Roben waren 1949 nicht angesagt. Es sollten noch einige Jahre vergehen, bis auch für deutsche Staatsoberhäupter und ihre Ehefrauen wieder die roten Teppiche ausgerollt wurden.

Die junge Republik und ihre Repräsentanten tasteten sich umsichtig voran, mussten das neue Gelände erst gebührend kennenlernen. Welches Erscheinungsbild sollte diese Bundesrepublik haben, wie wollte sie sich der Welt, aber auch ihren eigenen Bürgern präsentieren? Nur drei Jahre stand Elly Heuss-Knapp neben ihrem Mann an höchster Stelle des Staats, und doch prägte sie das „Amt“ der First Lady auf einzigartige Weise. Das hängt auch damit zusammen, dass es ab 1949 mit Elly Heuss-Knapp erstmals seit vierundzwanzig Jahren wieder eine Frau an der Seite des deutschen Staatsoberhaupts gab. Als Reichspräsident Friedrich Ebert 1925 überraschend an einer Bauchfellentzündung starb, zog sich seine Witwe Louise, die erste und einzige First Lady der Weimarer Republik, ins Privatleben zurück. Paul von Hindenburg folgte Ebert im Amt, und der Ton im Reichspräsidentenpalais in der Berliner Wilhelmstraße wurde schneidiger, reaktionärer und maskuliner – nicht nur, weil Hindenburg ein ehemaliger Generalfeldmarschall war, sondern auch, weil er seit 1921 verwitwet war. Seit Mitte der Zwanzigerjahre war das „Amt“ der First Lady also verwaist gewesen. Heuss-Knapp hatte freie Hand, dieser Position die Prägung zu geben, die ihr vorschwebte.

Für die junge Bundesrepublik war es ein großes Glück, dass sie mit Elly Heuss-Knapp eine kluge und erfahrene Politikerin als erste First Lady bekam. Und doch ahnte Heuss-Knapp, dass ihr nicht viel Zeit bleiben würde. Im Laufe des Frühjahrs 1952, als es mit der Bundesrepublik langsam, aber spürbar bergauf ging, verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand zusehends, und Mitte Juli musste die Bevölkerung Abschied nehmen. Am 25. Juli 1952 fand in der Bonner Lutherkirche der Gottesdienst für Elly Heuss-Knapp statt, bevor ein Trauerzug ihren Sarg zum Hauptbahnhof geleitete. Ihre letzte Ruhestätte fand die allererste Erste Dame der Bundesrepublik auf dem Stuttgarter Waldfriedhof.

Elly hinterließ in Bonn gewissermaßen zwei Witwer. Ihren Ehemann Theodor und den bereits verwitweten Bundeskanzler Konrad Adenauer, mit dem sie eine echte Freundschaft verband. Der Verlust wog schwer. Elly und Theodor hatte nicht nur eine vierundfünfzig Jahre währende Ehe verbunden, sie waren intellektuelle Sparringspartner gewesen, sie hatten sich in all den Jahren gegenseitig gefördert, ergänzt, korrigiert. Dass 1949, als man in Bonn auf die Suche nach einem geeigneten Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten ging, nicht nur Theodor Heuss, sondern quasi das Doppelpack „Heuss-Knapp“ überzeugte, steht wohl außer Frage. Ja, Elly war vielleicht sogar, zumindest in Adenauers Augen, das entscheidende Extrapfund auf der Waage gewesen.

Heike Specht

Über Heike Specht

Biografie

HEIKE SPECHT, Jahrgang 1974, studierte Geschichte und Literaturwissenschaft in München. Sie promovierte über die Familie Lion Feuchtwangers und arbeitete mehrere Jahre als Verlagslektorin. Heute lebt sie als freie Autorin in Zürich. Zuletzt erschienen die Biografien »Lilli Palmer. Die preußische...

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