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Ich war mein größter Feind

Ich war mein größter Feind

Adele Neuhauser
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Autobiografie

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Ich war mein größter Feind — Inhalt

Im Wiener Tatort ein Star, im Leben eine Frau mit Ecken und Kanten: Adele Neuhauser ganz persönlich 
Adele Neuhauser ist – ob im Fernsehen oder auf der Bühne – unverwechselbar. In ihrer offenherzigen Autobiografie zeigt uns die „Tatort“-Ikone den Menschen hinter der Schauspielerin. 

Einen besseren Titel als „Ich war mein größter Feind“ hätte die österreichische Schauspielerin Adele Neuhauser für ihre Autobiografie kaum wählen können. Als Scheidungskind und zerrissenes Wesen musste sie früh lernen, ihren Platz in einem Leben zu finden, das sie selbst nicht verstand.  

Neuhausers Blick zurück ist eine Abrechnung mit ihren inneren Dämonen. Mehrere Suizidversuche haben ihr Umfeld und sie selbst nachhaltig verändert. Während sie auf Bühnen und auf der Leinwand Erfolge feierte, kämpfte sie im Alltag um neuen Lebensmut. 

Doch „Ich war mein größter Feind“ ist vor allem eine Ode an das Durchhalten, an die Freude über das Erreichte und eine konsequente Mutmach-Biografie. 

„Die ehrlichste und schonungsloseste Lebensbeschreibung seit Langem.“ – Süddeutsche Zeitung 

Eine Schauspieler-Biografie ohne Hollywood-Drehbuch, eine Momentaufnahme aus dem Leben, eine starke Frauenstimme, die gehört werden sollte: „Ich war mein größter Feind“ ist eine unbedingte Leseempfehlung. 

Österreichs beliebteste Schauspielerin nimmt die Maske ab

Adele Neuhauser wurde auf der Theaterbühne bekannt, bevor sie einem Millionenpublikum in Österreich und Deutschland durch zahlreiche Fernsehproduktionen und ihre Rolle als „Tatort“-Kommissarin Bibi Fellner ans Herz wuchs. Daneben bringt sie in „Vier Frauen und ein Todesfall“ Krimifans dies- und jenseits der Berge zum Lachen. 

€ 12,00 [D], € 12,40 [A]
Erschienen am 02.07.2019
224 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-23747-5
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Leseprobe zu „Ich war mein größter Feind“

Weitergehen
Gehen ist für mich immer schon ein Lebensthema gewesen:
Das Gehen und besonders das Weitergehen, wenn ich müde
war. Hinter jeder Biegung, auf den Hügeln, nach einem Waldstück
erwartete mich dann etwas Neues – meist Schönes –,
das mich für mein Durchhalten entschädigte.
Meine Großeltern mütterlicherseits hatten einen
äußerst forschen Gang, von ihnen wurde ich ins Gehen mitgenommen.
Von mir wurde bereits als Kind erwartet, bei
dem Tempo mitzuhalten, das die beiden anschlugen, wenn
ich mit ihnen zu Fuß das Waldviertel durchkämmte. Das war
mir überhaupt [...]

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Weitergehen
Gehen ist für mich immer schon ein Lebensthema gewesen:
Das Gehen und besonders das Weitergehen, wenn ich müde
war. Hinter jeder Biegung, auf den Hügeln, nach einem Waldstück
erwartete mich dann etwas Neues – meist Schönes –,
das mich für mein Durchhalten entschädigte.
Meine Großeltern mütterlicherseits hatten einen
äußerst forschen Gang, von ihnen wurde ich ins Gehen mitgenommen.
Von mir wurde bereits als Kind erwartet, bei
dem Tempo mitzuhalten, das die beiden anschlugen, wenn
ich mit ihnen zu Fuß das Waldviertel durchkämmte. Das war
mir überhaupt nicht unrecht: Ich habe schnelles Gehen von
klein auf geliebt.
Mein Großvater war allerdings kaum einzuholen. Der
einzige Grund, dass meine Großmutter und ich auf unseren
Ausflügen wenigstens hin und wieder zu ihm aufschließen
konnten, war die Tatsache, dass mein Großvater Maler war:
Seine Profession brachte ihn dazu, manchmal doch innezuhalten
und seinen Zeichenblock zu zücken, um rasch
einen schroffen Felsen zu skizzieren oder eine elegante Baumgruppe festzuhalten, die ihn besonders beeindruckte.
Ohne diese Pausen, bei denen es sich also um Kunstpausen
im wahrsten Sinne des Wortes handelte, wäre er uns ganz
einfach auf und davongerannt.
Dabei erklärte er mir auch noch in einem Affenzahn die
Flora und Geologie des gesamten Waldviertels! Ich merkte
mir von all den Namen und Bezeichnungen natürlich genau
gar nichts, trotzdem war es eine großartige Erfahrung, seinen
Ausführungen zuzuhören.
Auch meine Großmutter war eine extrem naturverbundene
und geerdete Frau. Ich erinnere mich, wie sie während
einem dieser Ausflüge einen Hochstand erkletterte und
dabei von einem Förster beobachtet wurde: „Na, Sie sind
aber naturisch!“, sagte der Förster anerkennend und traf
damit ins Schwarze. Meine Großmutter war wirklich sehr
naturisch und erdverbunden. Ich glaube, davon hat sie mir
etwas mitgegeben.
Während meine Mutter eher eine gemütliche Müßiggängerin
war, marschierte mein aus Griechenland stammender
Vater zeitlebens immer mit langen, schnellen Schritten
drauflos, wenn wir gemeinsam seine Lieblingsinsel Amorgos
erkundeten oder uns durch die staubigen Straßen von Athen
bewegten.
Aber er machte nicht bei seiner Heimat halt: Als ich
bereits erwachsen und selbst Mutter war, lud er mich
und meinen Sohn Julian nach Südamerika ein, weil er
uns gehend, Schritt für Schritt, die Schönheit Perus und
Ecuadors zeigen wollte. Sein Tempo entsprach dabei ganz
seinem fremdenführerischen Ehrgeiz: In drei Wochen Südamerika
bekamen Julian und ich alles zu sehen, was mein Vater in drei Jahren bei jeweils sechswöchigen Aufenthalten
entdeckt hatte.
Zum Beispiel den majestätischen Machu Picchu. In
meiner Naivität hatte ich mir ausgemalt, wir würden ganz
einsam und alleine die mystische Aura dieses außergewöhnlichen
Ortes genießen können. Stattdessen wurden die Touristen
busweise an unser Ziel gekarrt, sodass mein Vater
beschloss, sich durch einen besonders forschen Schritt von
den Besuchermassen abzusetzen. Gruppen mochte er nie
besonders – und schon gar nicht, wenn er sie nicht anführen
konnte. Julian und ich hatten allerdings Mühe, ihm zu folgen,
die ungewohnte Höhenluft machte mir doch zu schaffen
– abends kämpfte ich mit Schüttelfrost und Übelkeit: „Das
kommt vom Rauchen. Hör auf damit!“, sagte mein Vater
als Reaktion darauf streng, „hör end-lich auf zu rau-chen,
Adele!“
Das hätte nicht geschadet, klar. Aber in Südamerika
herrschten schon erschwerte Höhenbedingungen: In Europa
jedenfalls komme ich beim Wandern bis heute selten außer
Atem. Auch in der Stadt lege ich Wege meistens in der Hälfte
der angegebenen Zeit zurück und muss dann erst einmal
zwei oder drei Zigaretten rauchen, um mir die Zeit zu vertreiben,
während ich auf meine Verabredung warte.
Vielleicht liegt es an dieser doppelten Prägung durch meinen
Vater und meine Großeltern: Als ich begann, an diesem
Buch zu arbeiten, erste Notizen zu machen, tauchte das
Thema „Gehen“ immer wieder in meiner Erinnerung auf.
Ich wollte keineswegs mein Leben wie eine abgeschlossene
und statische Geschichte erzählen. Deshalb kann ich zwar
von meinem bisherigen Weg gerne berichten, der Blick wird dabei aber immer auch nach vorne gerichtet sein und auf
die Wege verweisen, die hoffentlich noch vor mir liegen. Ich
weiß selbst nicht, warum ich das mit der Zukunft so stark
empfinde. Das einzige, was ich weiß, ist, dass mein Leben
mich „weitergehend“ zu mir geführt hat.
Zum anderen gab es in meinem bisherigen Leben
immer wieder Momente, in denen ich mich aufraffen
und forsch weitergehen musste, um nicht auf der Strecke
zu bleiben. Damit meine ich nicht nur Schicksalsschläge,
sondern auch Situationen, in denen ich fühlte: Ich brauche
jetzt einen neuen Impuls, um mich aus Verpflichtungen zu
lösen, die ich als einschränkend und beklemmend empfand.
Mein Umfeld dachte damals sicher oft, ich wäre verrückt,
weil ich vermeintliche oder tatsächliche Sicherheiten
einfach opferte, um einen Pfad zu betreten, der neu, frisch
und interessant für mich war – aber natürlich gleichzeitig
nicht ungefährlich. Freiheit war für mich schon immer
wichtiger als Sicherheit. Sie nicht nur zu ersehnen, sondern
auch zu leben.
An solchen Lebenskreuzungen muss man seine Entscheidungen
alleine treffen. Und da ist sie wieder, die Analogie
zum Gehen, zum Weitergehen: Auch in der Natur bin ich
eigentlich am liebsten alleine, weil ich nur dann sicher bin,
mein eigenes Tempo anschlagen zu können. Wenn man
mich zwingt, mich zu verlangsamen, den Schwung herauszunehmen,
werde ich müde, dann verliere ich den Spaß an
der Sache. Im übertragenen Sinn bin ich eine Marathonläuferin,
habe einen langen Atem und Durchhaltevermögen,
aber irgendwann gibt es den Punkt, an dem mir langweilig
wird – genau das Gefühl, das mich in meinem Leben immer dann befallen hat, wenn ich wusste: Jetzt ist es wieder Zeit
weiterzugehen!
Ein richtiges Buch zu schreiben, ist keine kleine Entscheidung.
Es ist eine Aufgabe voller Selbstzweifel und Fragen.
Ich bin ja schließlich kein van Gogh, keine Garbo, keine
Pionierin auf meinem Gebiet, die etwas außergewöhnlich
Großes hinterlassen wird. Ich bin, so glaube ich, am
ehesten eine Volksschauspielerin – ein Titel, den ich mir
allerdings auch selbst verliehen habe, weil er genau das
wiedergibt, was ich als Sinn und Zweck meines Berufes
verstehe.
Wie, überlegte ich, müsste also ein Buch beschaffen
sein, das von mir und meinem Leben handelt? Es müsste
eine Geschichte sein, die überrascht, die ehrlich erzählt, die
witzig ist und unterhaltsam. Die meisten Menschen, die
mein Buch aufschlagen werden, haben wahrscheinlich das
Bild von mir, das in den letzten Jahren, im letzten Jahrzehnt
vorwiegend auf dem Bildschirm entstanden ist. Aber viele
werden nicht so genau wissen, wie es dazu gekommen ist,
was dem an Mühe, Fehlschlägen, aber auch großartigen und
unterhaltsamen Geschichten voranging. Diesen weniger
bekannten Teil von mir, so meinte ich, könnte dieses Buch
erzählen und beleuchten.
Womit ich nicht gerechnet hatte, gar nicht rechnen konnte:
Dass die Jahre 2015 und 2016 für mich privat zu den schwierigsten
und traurigsten Jahren meines Lebens werden
würden. Innerhalb kurzer Zeit verlor ich nicht nur meine
beiden Eltern, sondern auch meinen Bruder Alexander. Diese
Ereignisse brachen im wahrsten Sinne des Wortes über mich herein und schüttelten nicht nur mich selbst, sondern auch
den Plan für mein Buch komplett durcheinander.
In dieser Zeit des Trauerns wurde mir durch Gespräche
mit Freunden klar, dass ich nun ein Alter erreicht habe,
in dem es normal zu werden beginnt, dass Menschen in
meinem Umfeld sterben. Der Tod, den ich in meiner Jugend
manchmal als eine Art Mutprobe betrachtet, mich mit
meinen Selbstmordversuchen freiwillig in seinen Bereich
begeben hatte, kehrte in den beiden letzten Jahren plötzlich
mit einer für mich ganz neuen Wucht und Unabwendbarkeit
zu mir zurück.
Und die Erfahrung mit dem Tod veränderte meinen
Blick auf meine Vergangenheit, Familie, Gefährten und die
gemeinsamen schönen Erlebnisse tiefgreifend. Es kam mir
zwischendurch fast absurd vor, ein „unterhaltsames“ Buch
zu schreiben, launige Anekdoten zu erzählen, wo ich so tief
von Trauer erfüllt war.
Gehen hatte auch in dieser düsteren und traurigen Zeit etwas
Heilendes. Vor allem, wenn ich mich in der Natur bewegte.
Wann immer es mir die Arbeit erlaubte, marschierte ich,
ging raus und weiter und weiter.
Viele Jahre meines Lebens habe ich in Polling, in Oberbayern,
auf dem Land verbracht. Erst als ich wieder nach
Wien zurückkehrte, bemerkte ich, wie sehr mir die täglichen
Spaziergänge und Wanderungen mitten in der Natur
fehlten, die in Polling mein tägliches „Seelen-Brot“ gewesen
waren. Ich vermisste genau die Art von Erdung, die ich bei
meiner Großmutter kennengelernt und als Bedürfnis aus
meiner Kindheit in mein Erwachsensein mitgenommen
hatte. In der Lunge sitzt die Trauer, sagen die Chinesen.
Deshalb benötigte meine Lunge die heilende Wirkung von
Wanderungen und Spaziergängen in diesem vergangenen
Jahr ganz besonders. Ich ging, so oft ich nur konnte. Viele
der Erinnerungen und Geschichten, die ich in diesem Buch
versammelt habe, sind zuerst auf jenen Spaziergängen und
Wanderungen wieder in mein Bewusstsein gerückt, die
ich unternahm, um nach und nach die Trauer aus meiner
Lunge entweichen zu lassen. Mir kam es so vor, als käme die
Gewissheit – ich überstehe die Trauer gestärkt und verwandelt
– von den Schritten, die ich gehe.
Wenn ich an die belebende Kraft des Gehens denke, fällt
mir sofort eine Geschichte ein, die ich vor vielen Jahren
in Kärnten erlebt habe. Ich war damals noch mit meinem
Ex-Mann Zoltan zusammen, und gemeinsam mit unserem
Sohn Julian und einer befreundeten Familie machten wir
Hüttenurlaub irgendwo in den Kärntner Bergen. Meine
Freundin und ich kreierten abenteuerliche Schnitzeljagden
für die Kinder, was uns schon bei der Planung riesigen Spaß
machte. Wir verbrachten eine wunderschöne Urlaubszeit in
der beeindruckenden Natur.
Aber irgendwann wurde ich unruhig. Man konnte von
der Hütte aus, auf der wir uns befanden, nur entweder hinauf
oder hinunter gehen, und nachdem ich eine Zeit lang immer
wieder abwechselnd hinauf und hinunter gegangen war,
sagte ich zu den anderen: „Ich möchte gern auf den Gipfel,
wollen wir nicht hinaufsteigen?“
Als Reaktion auf meine Frage wurde es plötzlich mucksmäuschenstill,
um dann nahtlos in fröhliches Geplauder
überzugehen. Alle schienen meinen Vorschlag geflissentlich überhört zu haben. Gut, dachte ich, umso besser, am liebsten
gehe ich sowieso alleine. Ich erkundigte mich beim Hüttenwirt
nach dem besten Pfad für den Aufstieg. Nach einem
kurzen Erklärungsversuch meinte der Wirt, das wäre viel zu
kompliziert: „Ich geb Ihnen einfach meinen Sohn mit, der
kennt den Weg genau.“
Das klang doch nach einem guten Vorschlag. Nur leider
war der Sohn seit Jahren Taxifahrer in Wien und schien
irgendwie ziemlich erschöpft zu sein. Während ich mein
übliches Tempo vorlegte, fiel mein vermeintlicher „Führer“
immer weiter ab. Wenn ich zurückblickte, sah ich ihn heftig
keuchend hinterherhuchteln, während er mir mit lapidaren
Handzeichen deutete, ich solle ruhig weitergehen und nicht
auf ihn warten.
Na super, dachte ich: Er kennt den Weg genauso wenig
wie ich, da hätte ich gleich alleine gehen können. Irgendwann
stand ich plötzlich in Gipfelnähe auf einem schmalen
Grat, und mich überkam ein leichtes Schwindelgefühl: Ich
gehe zwar ausgesprochen gerne wandern, aber das heißt keineswegs,
dass ich schwindelfrei bin. Während ich versuchte,
tief durchzuatmen und mein Gleichgewicht zu bewahren,
schloss mein Begleiter, der völlig ausgepumpt war, zu mir
auf, drückte mir wortlos ein Fernglas in die Hand und
deutete auf einen dunklen Punkt am Himmel. Ich hob das
Fernglas an die Augen und sah – einen Adler, der in ruhigem
Flug, fast ohne seine mächtigen Schwingen zu bewegen, an
der Felswand entlangsegelte.
Dieser fantastische Anblick gab mir noch einen zusätzlichen
Energieschub, und ich wollte weiter, weiter über den
Grat und auf der anderen Seite ein Stück hinunter, dorthin,
wo sich sonst nur die Gämsen tummelten. Das erste Mal fühlte ich, was es heißt: sich gleichsam im Wohnzimmer der
Tiere zu befinden.
Bald rasteten wir, aßen gemeinsam unsere Brote und
bewegten uns anschließend schweigend weiter. Wir hatten
uns bis in ein Sperrgebiet vorgewagt, in dem die Natur ihre
Ruhe bewahren soll und Menschen deshalb eigentlich nicht
erlaubt sind. Ich bemühte mich, so leise wie ein Indianer zu
schleichen und geriet dabei in einen regelrechten Rausch des
Gehens: Ich hätte tagelang so weitergehen können und dabei
jede einzelne Sekunde genossen.
In diesem Trancezustand spürte ich, wie mein Gefährte
mich plötzlich an der Jacke zupfte, erst nur leicht, dann
bestimmter, so als wollte er mich dringend daran hindern,
die nächsten Schritte zu tun. Überrascht blieb ich stehen,
sah mich um und versuchte den Grund für diese Unterbrechung
zu entdecken. Da sah ich, nur einen Steinwurf von
mir entfernt stand ein riesiger Hirsch mit einem mächtigen,
weitverzweigten, majestätischen Geweih und schaute mir
direkt in die Augen. Dieser kapitale Hirsch war so unfassbar
groß! Ich wusste gar nicht, dass diese Tiere eine solche Größe
erreichen können. Das prächtige Tier stand da, blickte mich
an und rührte sich nicht. Ich war vollkommen gebannt von
seiner Erscheinung. Zugleich hatte ich das Gefühl, ersticken
zu müssen, wenn dieses übermächtige Wesen nicht bald
seinen Blick abwandte.
Ich weiß nicht mehr, wie lange wir so dort standen, es war
ein zur Ewigkeit geronnener Augenblick. Irgendwann,
ganz langsam, gemächlich und zugleich absolut bestimmt,
wendete der Hirsch seinen Kopf zur Seite und marschierte
entschieden davon. Und jeder seiner schweren Schritte erzeugte eine so heftige Vibration im Boden, dass ich sie in
meinem Körper spüren konnte. Dieses Tier hat mir ans Herz
gefasst.
Als wir zur Hütte zurückkehrten, kam mir Zoltan schon entgegengelaufen,
er war besorgt und verärgert und ließ mich
das auch spüren. Ich verstand ihn überhaupt nicht. Ich war
so erfüllt von dieser großartigen Erfahrung. War tief bewegt
vom Hirschen, vom Adler, von den Murmeltieren, vom Licht
und anderen Naturerscheinungen, die ich für einige Stunden
erlebt hatte.
Derartige Naturerlebnisse, solche wunderbaren Exzesse des
Gehens waren es auch, dass sich mein Schauspiel hin und
wieder relativierte und mir fast wie etwas Unnatürliches,
wie Zeitverschwendung vorkam. Dabei ist das vermutlich
Unsinn: Spielen ist nicht wider die Natur. Ebenso wenig ist
es wider die Natur, sich zu erinnern. Die einzigartige Kraft
der Schauspielkunst liegt in der Fähigkeit des Menschen
begründet, im Spiel die Toten wiederauferstehen zu lassen,
die Erinnerung zu beleben, ihr Hauch und Stimme – und
einen lebendigen Gang zu verleihen.
Die Erinnerung ist eine trügerische Sache, sie ist nicht
absolut und verändert sich, wie sich der Mensch und seine
Beziehungen verändern. Das habe ich im vergangenen Jahr
ganz deutlich gespürt. Ein Buch ist im Gegensatz dazu immer
etwas Bleibendes, Absolutes, das sich nicht mehr verändern
lässt, wenn es einmal fertig ist. Schwarz auf Weiß. Es legt seinen
Autor auf eine ganz bestimmte Sicht der Dinge fest. Dieser
Gedanke hat mir manches Mal ein wenig Angst gemacht. Aber dann dachte ich mir: Wenn ein Buch selbst auch nur
ein Schnappschuss, eine Momentaufnahme ist, dann kann es
doch immerhin von der Veränderung, vom Gehen und vom
Weitergehen erzählen.
Und wo es das tut, erzählt es vom Leben und dort erzählt
es von meinem Leben.

Adele Neuhauser

Über Adele Neuhauser

Biografie

Adele Neuhauser startete ihre Karriere als Schauspielerin in Deutschland. In Regensburg spielte sie den Mephisto, in Mainz verlieh sie der Medea eine raubtierhafte Präsenz, in "Vier Frauen und ein Todesfall" ist sie eine resolute Amateur-Ermittlerin und seit 2010 ermittelt sie als Bibi Fellner an...

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