Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin - eBook-Ausgabe
Roman
„Eine bezaubernde Sommergeschichte mit Tucholski-Touch, in bester Tradition der romantischen Literatur, in der sprechende Tiere gang und gäbe waren.“ - Nürnberger Nachrichten
Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin — Inhalt
Eigentlich ist er immer nur geflohen. Vor jedem Schmerz, jeder Niederlage und vor sich selbst. Das wird ihm klar, als er den Ort findet, den er vielleicht sein Leben lang gesucht hat: einen Bungalow inmitten von Weinbergen, Ahorn und Holunder. Mit der Hilfe einer Katze, die ganz selbstverständlich mit ihm spricht, und einer Nachbarin, die ihm ebenso selbstverständlich ihre Freundschaft schenkt, begreift er den Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein – und dass er sich entscheiden muss für ein Leben mit sich selbst.
Leseprobe zu „Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin“
Für Jone
Nur in ihren Träumen werde ihr richtig warm, sagte sie, und deshalb träume sie gern .
Werner Koch, Seeleben
„Sakrament, bist du schön.“ Die weiße Katze mit den grauen und schwarzen Flecken saß auf einem Holzstoß am Wegrand. Ich ging unwillkürlich langsamer, um sie nicht zu erschrecken, näherte mich bis auf etwa zwei Meter und blieb dann stehen.
Wäre sie am Boden gesessen, hätte ich mich in die Hocke begeben. Das tue ich immer, denn der Charme von Katzen weht mich seit jeher an wie eine Botschaft oder Ahnung, etwas, das ich zwar empfange, aber [...]
Für Jone
Nur in ihren Träumen werde ihr richtig warm, sagte sie, und deshalb träume sie gern .
Werner Koch, Seeleben
„Sakrament, bist du schön.“ Die weiße Katze mit den grauen und schwarzen Flecken saß auf einem Holzstoß am Wegrand. Ich ging unwillkürlich langsamer, um sie nicht zu erschrecken, näherte mich bis auf etwa zwei Meter und blieb dann stehen.
Wäre sie am Boden gesessen, hätte ich mich in die Hocke begeben. Das tue ich immer, denn der Charme von Katzen weht mich seit jeher an wie eine Botschaft oder Ahnung, etwas, das ich zwar empfange, aber nicht verstehe und deshalb umso aufmerksamer beachte – vielleicht ist es nur das: Wenn ich eine Katze sehe, dann weiß ich, dass ich lebe.
„Das ist kein Grund zu fluchen“, sagte sie.
„Wie bitte?“
„Hast du schon verstanden.“
„Sprichst du?“
„Klar.“
„Menschensprache?“
„Nicht direkt. Es kommt in deinem Kopf als Menschensprache raus, ich spreche nicht wirklich, es passiert innen, ich muss nicht mal den Mund aufmachen dafür. Oder siehst du mich miauen?“
Sie gähnte, streckte sich, zuerst nach vorne, dann nach hinten, dann nahm sie wieder ihre sitzende Haltung von eben ein und schaute vor sich hin, als warte sie auf das Erscheinen einer Maus direkt zwischen ihren Pfoten. Für mich sah das ein bisschen gelangweilt aus, aber ich konnte mich täuschen, mir war schon klar, dass unsere Körpersprache sich von der katzischen unterscheidet.
„Darf ich näher kommen?“, fragte ich.
„Klar.“ Das klang nun aber wirklich gelangweilt.
„Langweile ich dich?“
„Das ist keine Katzenkategorie. Langeweile gibt es nur für Menschen.“
Das klang nun eindeutig arrogant für mich, aber sie darauf hinzuweisen, schien mir sinnlos – ich sah ihre Antwort voraus, auch Arroganz sei keine Katzenkategorie. Also ignorierte ich den Anflug von Ärger, den mir ihr blasierter Ton verursachte, und ging zu ihr, lehnte mich an den Holzstapel und sah ihr in die Augen. Grün und Bernstein. Sie gähnte wieder. Sie hatte Mundgeruch.
„Und das, was du gerade tust, also hier liegen und in die Gegend schauen, wie fühlt sich das an? In Katzenkategorien gedacht?“
„Wie Vordemjagen, Nachdemschlafen oder Vordemspielen oder Nachdemessen.“
„Verarschst du mich?“
„Nein. Ich mag dich.“
„Warum?“
„Weil du mich magst. Und ich seh dir an, dass du schon mal um eine wie mich getrauert hast. Dein Blick ist liebevoll und sehnsüchtig, so als könnte ich vielleicht eine Wiedergängerin derjenigen sein, deren Fehlen du immer noch manchmal an deiner Haut spürst.“
Damit traf sie ins Schwarze. Und zwar mit solcher Wucht, dass ich den Blick von ihr abwandte, weil ich nicht wollte, dass sie sah, was in mir vorging.
Die Augen auf die Wiese gerichtet, versuchte ich, das Thema zu wechseln: „Du denkst also nur deinen Teil des Dialogs und schickst ihn dann auf irgendwie telepathische Weise in mein Gehirn, wo er sauber übersetzt in Menschensprache ankommt?“
„So etwa. Ja.“
„Dann bist du echt was Besonderes.“
„Gleichfalls. Du auch.“
»Wieso?
„Dem Hübschen macht der Spiegel Komplimente.“
Obwohl das nun ganz sicher was Nettes war, wurde ich den Verdacht nicht los, dass sie mich herablassend behandelte. Schon die Form ihrer Antwort, dieser Orakelton, war überheblich.
„Ist ein Spiegel eine Katzenkategorie?“
„Ein Spiegel ist ein Ding, und eine Kategorie ist was zum Denken. Und mit den Unterschieden von Katzensicht und Menschensicht würden wir endlos Zeit vertun“, sagte sie, „tut mir leid, dass ich davon angefangen hab. War meine Schuld.“
Ich legte beide Ellbogen auf den Holzstoß und betrachtete die Wiese mit den Sommerblumen und den etwas weiter entfernten Waldrand. Wo die Katze hinsah, wusste ich nicht, ich jedenfalls schaute auf die sonnige Lichtung und versuchte, die Bienen oder Hummeln zu entdecken, deren Summen ich hörte.
Dieser Ort war wie geschaffen zum Glücklichsein. Der Moment eigentlich auch, aber irgendetwas störte. Anstatt die Unterhaltung mit einer Katze, einer wunderschönen obendrein, zu genießen, stellte ich misstrauische Überlegungen darüber an, ob sie sich eventuell über mich lustig machte. Und wenn schon. Was gab es daran auszusetzen?
„Geht’s dir gut?“, fragte sie neben meinem Ohr.
„Ich weiß nicht so recht“, sagte ich, „manchmal weiß ich’s nicht so recht. Jetzt grad ist das der Fall.“
Ich spürte ihre feuchte Nase an meinem Kinn, dann ihren Pelz, sie war aufgestanden und rieb sich an mir. Dann spürte ich ihre raue Zunge in meinem Haar – sie putzte mich.
„Und jetzt?“, fragte sie nach einigen Minuten intensiver Fellpflege.
„Geht’s mir gut“, sagte ich.
Sie schnurrte.
Dann legte sie sich neben mich, ihre Brust an meinem Oberarm und eine Pfote auf meinem Unterarm. Ihr Schnurren war beruhigende Musik und mischte sich mit dem Geräusch der Bienen oder Hummeln, die ich noch immer nicht sah, aber jetzt auch nicht mehr suchte. Was ich vor Augen hatte, war mir schön genug.
„Hast du einen Namen?“, fragte ich nach einer ziemlich langen Zeit.
„Wir haben nur einen Geruch. Das reicht bei uns. Aber nenn mich ruhig, wie du möchtest. Mir ist jeder Name recht.“
„Flecki?“
„Das musst du mit dir selbst ausmachen. Wenn du den Namen gut findest, dann heiße ich so. Kein Problem.“
Ich gehöre eigentlich zu der Sorte von Menschen, die ihre Katzen irgendwie ironisch tauft, weil sie sich der eigenen Zuneigung schämt, sich vielleicht gar davor ängstigt und deshalb gewollt nüchtern gibt. Ein so kindlich-zärtlicher Name wie Flecki wäre mir früher nicht in den Sinn gekommen – eher irgendwas Verzicktes und verquält Albernes wie Kopernikus, Elvis, Frau Müller oder Erynnie. Um nur ja nicht von etwaigen Besuchern für sentimental gehalten zu werden. Als ob der Ausdruck von Liebe automatisch auf Kitsch rauslaufen müsste. Oder als ob Liebe zu einem Tier eine Art Verfehlung wäre, etwas Blamables, Peinliches, Zweitklassiges.
„Schön, dich zu spüren, Flecki“, sagte ich, und ihr Schnurren wurde von einem erneuten Gähnen unterbrochen, das mit einem Klacken des Gebisses endete.
„Gleichfalls“, sagte sie und schnurrte weiter.
„Unter Menschen geht so was nicht“, sagte ich, „jedenfalls nicht unter Fremden – dass man sich einfach aneinanderschmiegt und freundliche Geräusche dazu macht.“
„Ist auch unter Katzen nicht direkt üblich.“
„Nein? Wieso eigentlich nicht?“
„Isso.“
„Wie?“
„Das. Ist. So.“
„Ach so. Isso. Klar.“
„Und bestimmt ist es eher gut so“, sagte sie, „zumindest bei euch. Stell dir die Missverständnisse vor, die daraus entstehen würden. Du fährst mit dem Zug durch die Nacht, und die Person auf dem Sitz neben dir legt ihren Kopf in deinen Schoß und schläft. Dazu lässt sie noch vertrauensvoll ihre Hand auf deinem Schenkel liegen – wie fühlt sich der Gedanke an?“
„Du hast recht“, sagte ich, „nur mit sehr viel Zusätzlichem erträglich. Nein, eigentlich gar nicht erträglich. Was auch immer ich mir dazu denke – es ist eine Frau, sie ist schön, ich bin einsam und auf der Suche, sie ist ungebunden und mit mir schon fündig geworden, sie ist nicht nur schön, sondern auch klug und mild, genau der Mensch, mit dem ich verbunden sein will, verbunden sein kann, sie denkt dasselbe von mir, wir haben beide die Statur, einander durch alle künftigen Verwandlungen hindurch zu begleiten, und so weiter, und so weiter – es geht nicht. Unmöglich.“
„Nur zwischen Menschen und Katzen.“
„Und da auch nur zwischen manchen, oder?“
„Jetzt hast du’s“, sagte sie, „nur bei denen, die echt was Besonderes sind.“
„Weil sie telepathisch dolmetschen?“
„Das würde ich nicht direkt zur Voraussetzung machen – es ginge auch ohne Gespräch. Überhaupt ist es eigentlich auch nichts Besonderes, was Besonderes zu sein.“
„Und wie meinst du das nun wieder?“
„Wir Katzen sind alle was Besonderes, und die Menschen, die das bemerkt haben, auch. Fertig. Isso. Kein komplizierter Gedanke.“
„Mir wird schwindlig. Du bist eine Rabulistin.“
„Nein, ich bin nur die erste Katze mit Humor, der du begegnest – zumindest die erste, bei der du’s merkst.“
„Du verarschst mich also doch.“
„Wenn du das Verarschen nennst.“
„Was denn sonst?“
„Verbale Zärtlichkeit vielleicht? Plaudern? Ein Streicheln mit Worten, ohne gleich allzu ranschmeißerisch zu sein?“
„Na dann. Gut, dass wir darüber gesprochen haben.“
„Sollen wir ein bisschen schlafen? Es ist so schön warm.“
Sie gähnte wieder, streckte sich und sah mich an.
„Ja. Machen wir“, sagte ich und kletterte auf den Holzstoß, legte mich hin, einen Arm unter den Kopf, den anderen so ausgestreckt, dass sie sich dranschmiegen konnte – sie tat es, schnurrte wieder, und ich spürte ihre Krallen, die sich in mein Handgelenk bohrten. Es war nicht sonderlich bequem, fühlte sich aber dennoch sehr, sehr gut an. Ich schlief ein.
„(…)schlicht und einfach eine bezaubernde Geschichte.“
„Die Beziehung zwischen ihm und der Katze ist von tiefer Zuneigung, ja wirklich von Liebe und Respekt geprägt. Und sie hat einen ganz eigenen Zauber, der immer wieder von leiser Ironie gegenüber den Verliebten durchzogen ist und deshalb nie ins Sentimentale angleitet. Einen solchen Ort, an dem ich bin, verläßt man nicht mehr – nie wieder.“
„Eine bezaubernde Sommergeschichte mit Tucholski-Touch, in bester Tradition der romantischen Literatur, in der sprechende Tiere gang und gäbe waren.“
„Die Geschichte ist poetisch, charmant, liebenswert – und ermutigend: Es leuchtet ein Licht am Ende des Tunnels.“
„Mit kleinen Worten und ungewöhnlichen Mitteln nähert sich Thommie Bayer dem Thema Liebe und dem Sinn, den wir in unserem Leben suchen. Das tut er einfühlsam und nachvollziehbar, auch ruhiger und zurückhaltender als in seinen bisherigen Werken – aber nicht minder beeindruckender.“
„Bayers Sätze schleichen sich abermals lautlos in das Herz des Lesers.“
„Lassen Sie sich die essentiellen Dinge des Lebens vor Augen führen mit diesem kleinen, großartigen Buch.“
„Ein ausgeprägtes Gespür für Tempo und Dynamik und ein hoch entwickelter Sinn für Aufbau und Architektur.“
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