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Spatz in der Hand

Spatz in der Hand

Thommie Bayer
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Roman

Eine zarte, freche, melancholische Liebesgeschichte. Man verschlingt diesen Spatz in der Hand. - Stuttgarter Zeitung

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Spatz in der Hand — Inhalt

Eine hinreißende Verwechslungskomödie voller Esprit und Sinnlichkeit von  Bestsellerautor Thommie Bayer
Eine heiße Sommernacht in einem Hotel: Hierher hat sich Sabine nach einem Streit mit ihrem Mann zurückgezogen. Da fällt ihr Blick in ein anderes Hotelzimmer, wo sie einen Fremden entdeckt. Aus einer Laune heraus nimmt sie telefonisch zu ihm Kontakt auf, und er lässt sich auf das Geplänkel ein. Schon bald wird mehr daraus, aber noch ahnen beide nicht, dass am nächsten Morgen ein überraschendes Treffen auf sie wartet…

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 11.01.2019
256 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-98550-5
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Leseprobe zu „Spatz in der Hand“

1. Kapitel

Sabine trug eine Brille. Und bei ihr waren Herz und Verstand nicht nur eng miteinander befreundet, sondern steckten andauernd zusammen, um sich kichernd und flüsternd Streiche auszudenken.

Und Sabine wohnte in München, wo das Leben schöner ist als anderswo, zumindest für die, die ihr Konto überziehen dürfen. Erst recht natürlich für die, die das nicht müssen, weil ohnehin mehr Geld hereinkommt als sie ausgeben können. Für solche ist das Leben auch insofern hier viel schöner, als man im allgemeinen dem hormonellen Autopiloten in München öfter [...]

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1. Kapitel

Sabine trug eine Brille. Und bei ihr waren Herz und Verstand nicht nur eng miteinander befreundet, sondern steckten andauernd zusammen, um sich kichernd und flüsternd Streiche auszudenken.

Und Sabine wohnte in München, wo das Leben schöner ist als anderswo, zumindest für die, die ihr Konto überziehen dürfen. Erst recht natürlich für die, die das nicht müssen, weil ohnehin mehr Geld hereinkommt als sie ausgeben können. Für solche ist das Leben auch insofern hier viel schöner, als man im allgemeinen dem hormonellen Autopiloten in München öfter als anderswo Vertrauen schenkt und im besonderen gern den Ruf eines Vielfliegers pflegt, den die Riege der weniger begünstigten Neider mit ihren vorwurfsvollen Augen zu noch gewagteren Kunststücken verleitet, in der dünnen Luft, die des Siegers tägliches Manna ist.

Sabine saß in einem Hotelzimmer und wußte nicht, wohin mit sich. Sie war wütend. So wütend, daß auch ihr sonst recht verläßlicher Humor dagegen nicht mehr ankam. Sie kochte sozusagen.

Vor weniger als einer Stunde hatte sie ihrem zukünftigen Ex-Mann Ralf ein Ultimatum gestellt, das von jenem mit ungläubig hochgezogenen Augenbrauen quittiert worden war. Und die Brauen waren noch nicht wieder auf ihren angestammten Platz zurückgesunken, als Sabine schon die Haustür hinter sich zuschlug. Vielleicht waren sie dann sogar gleich wieder hochgeschnellt, weil Ralf nicht wie erwartet das nervöse Startgeräusch von Sabines Fiat Panda, sondern das sonore seines Zwölfzylinder BMW vernahm. „Du bist bis morgen mittag ausgezogen“, hatte das Ultimatum gelautet, „oder ich bis morgen abend.“

Sie trat aufs Gas, daß die Kieselsteine spritzten, und erst jenseits der Kreuzung, die sie bei Gelb überfuhr – das auf „sportlich“ gestellte Automatikgetriebe war längst in der vierten Stufe angelangt – drosselte sie ihr Tempo und dachte, hoffentlich hab ich keiner Katze weh getan. Sie meinte mit den Kieselsteinen.

Sie raste über den mittleren Ring und dann in Richtung Hilton, das ihr einfiel, weil sie erst heute nachmittag dort für jemanden ein Zimmer gebucht hatte. Vornehm geht die Welt zugrunde, dachte sie, wieso nicht auch meine Ehe? Aber an der Rezeption spürte sie nichts von Vornehmheit, das hier war amerikanischer Touristenstandard, hier ging es um Komfort, nicht um Stil. Um diesen, für sie nicht sehr gravierenden Mangel trotzdem zu kompensieren, bestellte sie sich Champagner und einen Blumenstrauß aufs Zimmer, und erst als beides gebracht wurde, fiel ihr wieder ein, daß sie Champagner noch nie gemocht hatte.

Unschlüssig, was sie als nächstes tun sollte und nicht sicher, ob überhaupt irgend etwas getan werden mußte, setzte sie sich aufs Bett und blätterte ein Heftchen durch, in dem das Hotel seine Dienste anpries, bis ihr Blick auf Seite drei das Wort Swimming-Pool erfaßte und sie kurz entschlossen die Nummer der Rezeption wählte. Null-neun.

Ja, man könne ihr einen Badeanzug ausleihen, das sei kein Problem, welche Größe sie denn habe. „Vierzig“, sagte sie, und die Stimme der Rezeption versprach, ihr den Anzug aufs Zimmer bringen zu lassen. Als der Boy an die Tür klopfte, war Sabine schon ausgezogen und warf sich schnell den Hotelbademantel über, um zu öffnen. Der Badeanzug paßte, und wenn sie auch seinetwegen nicht wie angenagelt in ein Schaufenster gestarrt hätte, so war er doch schwarz und einteilig und verhunzte ihre Figur nicht über die Maßen, und sie drehte sich zufrieden vor dem Spiegel, bevor sie das Handtuch vom Tisch nahm und den Bademantel wieder überzog.

Das Schwimmbad war leer. Sie sprang hinein und tauchte am Boden des Beckens entlang bis fast zum anderen Ende. Als sie wieder auftauchte, stand da ein Mann am Rand, der vorsichtig und noch nicht zum endgültigen Kontakt mit der Nässe entschlossen, dem Wasserspiegel einen Fuß entgegenstreckte. Er starrte sie an wie ein Gespenst.

„Ich bin ungefährlich“, rief Sabine und streckte die Hände hoch, so daß sie gleich darauf versank. Sie tauchte wieder auf, und er sah zweifelnd zu ihr her, seinen zögernden Fuß wieder an sich gezogen.

„Entschuldigen Sie“, sagte er, und sie schwamm näher zu ihm hin. „Ich hab Sie wohl angestarrt.“

„Hab ich Sie erschreckt?“

„Ja.“

Dieses ehrliche Ja war nett an ihm und auch die halbe Glatze, um die ein Kranz von schütterem Blond lag. Aber daß er sich noch immer nicht ins Wasser wagte, schien ihr auf eine gewisse Blödheit hinzuweisen. Schwimmen oder trockenbleiben. Beides zusammen geht nicht.

„Tut mir leid“, sagte sie kurz und tauchte wieder ab. Ein paar Schwimmzüge später hörte sie, wie er prustend in den Pool platschte und dachte, bravo mein Held, hast dich doch noch überwunden, aber glaub nicht, daß es hierfür schon eine Jungfrau gibt. Und sie schwamm zur Treppe und stieg aus dem Wasser.

Sie sah ihn majestätisch-unbeholfen vor sich hinpaddeln, wobei er ängstlich bemüht schien, nur ja kein Tröpfchen Wasser ins Gesicht zu bekommen. Bestimmt ist er kurzsichtig, dachte sie und ging zur Umkleidekabine, wo sie den nassen Badeanzug auszog und auf der Sitzbank liegenließ.

Im Lift war sie alleine. Sie öffnete ihren Bademantel sperrangelweit und betrachtete sich in der verspiegelten Aufzugtür. Erst in der letztmöglichen Sekunde, als der Fahrstuhl stand und die Tür sich schon bewegte, verschränkte sie die Arme und lehnte sich an die Wand, um zwei spirreligen Japanern Platz in der Kabine zu machen.

In ihrem Zimmer angekommen, merkte sie, daß ihre Wut nachgelassen hatte. Ob das nun der schreckhaften Glatze im Pool, dem Risiko, von zwei Japanern nackt gesehen zu werden, oder einfach der entspannenden Wirkung des Schwimmens zuzuschreiben war, darüber dachte sie nicht nach.

Etwas ganz anderes ging ihr durch den Kopf. Morgen ist der erste Tag einer neuen Ära, dachte sie, die Stunde Null nach Ralf. Ich sollte heut noch was ganz Besonderes tun. Aber ihr fiel nichts ein – in ihrem Alter hat man die meisten interessanten Dinge schon ausprobiert –, und so entschloß sie sich, am nächsten Morgen, gleich hier im Hotel, zum Friseur zu gehen und sich die skurrilste Frisur machen zu lassen, die ihr oder der Friseuse einfiele. Der Anfang ihres neuen Lebens, fand sie, müsse mit einem deutlichen Signal gekennzeichnet werden. Sie knipste das Licht im Zimmer aus und entkorkte den Champagner. „Den trink ich dir zu Ehren“, sagte sie und dachte dabei an Ralf. Gleichzeitig versprach sie sich, ihn zu vergessen, bis die Flasche leer wäre. Und hinterher erst recht. Dieser Moet et Chandon wäre die letzte Kröte, die sie seinetwegen schluckte. Oder etwas Vergleichbares.

Aber nach Kröte schmeckte das Getränk nicht, sie fand es nach den ersten Schlucken sogar durchaus trinkbar. Nach dem zweiten Glas fragte sie sich, was sie je dagegen gehabt hatte und nahm sich vor, diesem Stoff in Zukunft nicht allzu willig nachzugeben.

In einem der Zimmer gegenüber ging das Licht an, und ein farbiger Fleck bewegte sich von einer Seite zur anderen. Sie nahm ihre Brille vom Nachttisch und sah den Glatzenmann vom Pool, wie er rätselnd vor seiner Minibar kniete und sich offenbar für kein Getränk entscheiden konnte. Komm, raff dich auf, dachte sie und wollte schon nach ihrer Armbanduhr greifen, um die Zeit zu nehmen, die er für den Entschluß brauchen würde, da sah sie ihn beherzt etwas herausnehmen und öffnen. Na, das liegt noch im Rahmen, dachte sie, so lange dauert's bei mir auch schon mal, und wollte die Brille wieder abnehmen, als der Mann seinen Fernseher einschaltete und sie sich entschloß, herauszufinden, was für einen Film er sah. Mit Filmen kannte sie sich aus.

Es fiel ihr nicht schwer, den Streifen zu erkennen. Das mußte einer aus dieser unsäglichen italienischen Lustig-ist-das-Soldatenleben-Reihe sein. Sie schlug in dem Programmblättchen auf ihrem Fernseher nach, und richtig, da stand es: RTL Plus, Wo bitte ist die siebte Kompanie geblieben, Frankreich, Italien 1973. Sie setzte die Brille wieder ab.

Nicht an Ralf denken, nahm sie sich vor und überlegte, ob sie nicht fernsehen sollte. Nein, dafür war dieser Abend zu schade. Die Zeit hier wollte sie nicht totschlagen, sondern erleben. Manchmal hatte sie solche Anwandlungen. Momente, in denen sie sich sagte, jetzt paß auf, schau mal, was jetzt gerade passiert, schalt nicht ab, denk mit, nur jetzt ist es so wie's jetzt ist. Gleich nachher schon ist alles wieder anders.

Sie ließ einen Schluck Champagner in sich hineinfließen und verfolgte seinen Weg bis zum Magen mit freundlichen Gedanken. Wie ist es dort unten? Eher wie Nachhausekommen oder eher so, als hätte man sich zufällig in eine fremde Kanalisation verlaufen? Sie mußte lachen.

Wieviel Liebe wohl gerade in dieser riesigen Gästewohnmaschine gemacht wurde? Elf Orgasmen, vierzig Vorspiele und fünfzehn erste Tastversuche? Drei schnippische Worte zum Hinhalten? Und wie viele waren gerade mittendrin? Auf der Ebene? Und wackelten, rieben, stießen oder lutschten einander ins Ziel? Chef mit Sekretärin, Manager mit Callgirl, reiche Frau mit Chauffeur und Geliebte beiderlei Geschlechts als Begleiter oder Besuch auf Geschäftsreise? Und wie viele waren hier mit ihren eigenen Ehepartnern? Sicher wenige.

Es war zweiundzwanzig Uhr fünfzehn, ein heißer Juliabend, und unzählige verbotene Lieben oder – sie wollte nicht romantisch sein – Sexualkontakte liefen jetzt gerade ab, wie Programme von Maschinen, die, einmal eingeschaltet, ihren Prozeß bis zum fertigen Produkt abspulten. Das Produkt: ein bißchen Nässe, Stöhnen, Kontraktion bestimmter Muskelregionen, ein Gefühl wie Schwimmen oder Fliegen, Sinken oder Fallen und die kurze, nicht erinnerbare Lust. Na ja, dachte sie, sei euch doch gegönnt. Die Liebe ist ein seltsames Spiel.

Die blecherne Stimme einer Schlagersängerin fiel ihr ein, die das gesungen hatte, und dann die zweite Zeile: sie kommt und geht von einem zum andern. Sei euch gegönnt, dachte sie noch einmal und schenkte sich Champagner nach.

Der farbige Fleck gegenüber schien sich größerenteils in Rosa verwandelt zu haben, und sie setzte ihre Brille wieder auf. Er hatte das Hemd ausgezogen und ging mit nacktem Oberkörper zur Minibar, um eine neue Flasche herauszunehmen. Diesmal ohne jedes Zögern. Er gehörte offensichtlich zu der einsamen Sorte, die in ihren Berechnungen nicht vorgekommen war. Noch nicht. Wie viele es wohl waren, die sich traurig, gedankenlos oder verträumt mit den glänzenden Seiten eines Magazins trösteten? Und ihrer eigenen Hand? Und wenn er das jetzt gleich tut?, dachte sie. Aber nein. Dann zöge er den Vorhang vor.

Es war nicht so, daß masturbierende Männer im allgemeinen Sabines Hochachtung genossen hätten, aber dem da, mit seinen entgeisterten Augen täte es in ihren keinen Abbruch. Und außerdem, wieso sollte bei Männern etwas entwürdigend sein, das bei Frauen ganz in Ordnung war? Sich selbst hatte sie es schon oft erlaubt, und das waren nicht ihre enttäuschendsten Erlebnisse gewesen. Hatte sich's erlauben müssen. Nein Ralf, geh weg, dachte sie, verzieh dich. Hier hast du nichts verloren und in Zukunft auch nirgendwo sonst. Stör mir nicht meine Nachtgedanken über Liebe in Hotels.

Wie war wohl seine Zimmernummer? Ihre war Vierhundertneunzehn. Sein Fenster lag direkt gegenüber, also konnte die Nummer etwa in den Fünfzigern liegen. Sie nahm das Telefon vom Tischchen und wählte vier vier-acht.

Eine Frauenstimme meldete sich, und Sabine legte einfach wieder auf. Bei vier-vier-neun und vier-fünf-null meldeten sich Männerstimmen und bis vier-fünf-sechs ging niemand an den Apparat. Einer Eingebung folgend wählte sie vier-vier-sieben und sah den Mann zum Hörer greifen.

„Hallo?“ sagte er, und sie wußte nicht, was sie jetzt tun sollte.

„Herrn äh, Stellmacher hätte ich gern gesprochen, hier ist Sabine.“ In der Eile hatte sie den Namen eines Kollegen von Ralf benutzt, für sich selbst war ihr kein falscher mehr eingefallen.

„Ja Sabine, da muß ich Sie enttäuschen.“ Das klang freundlich und so, als freue er sich über den Irrläufer. „Stellmacher ist hier nicht.“

„Das ist nicht direkt eine Enttäuschung“, sagte sie und sah, daß er sich aufsetzte und lächelte.

„Was ist denn das für ein Herr, daß Sie ihn zwar anrufen, aber nicht sprechen wollen?“

„Wollen Sie das wirklich wissen?“

„Nein. Entschuldigen Sie. Ich rede einfach so daher. Natürlich nicht.“ Er strich sich über den Kopf.

„Einfach so daher …“ sagte sie, „tun Sie das öfter?“

„Ich weiß nicht, ich glaube nein. Eher nicht.“

„Wenn Sie wollen“, sagte sie, „schauen Sie auf die Uhr, und wir reden zwei Minuten lang einfach so.“

„Gern. Sie sind dran. Zeit läuft“.

Er sah nicht auf die Uhr. Jedenfalls hob er weder die Hand noch drehte er den Kopf.

„Also, Herrn Stellmacher vergessen wir, der gehört zu den lästigen Pflichten, und Sie wollen nicht wissen, wer er ist. Und ich würde es Ihnen auch nicht verraten. Machen Sie Urlaub hier in München?“

„Woher wissen Sie, daß ich in München bin?“

„Na hören Sie, ich habe im München-Hilton angerufen.“

„Ach so, ja, klar. Pardon. Ich bin manchmal etwas langsam. Natürlich. Von wo rufen Sie an?“

„Aus dem Vier-Jahreszeiten.“

„Mhm.“

„Wie mhm, kennen Sie es?“

„Nein. Versäume ich was?“

„Sicher, es ist ein schönes Hotel. Aber sagen Sie doch, was tun Sie in München?“

„Och, äh, verkaufen.“

»Und was verkaufen Sie?

„Ich glaube letztlich sind es Menschen.“

„Oh, das klingt viel weniger sympathisch als Ihre Stimme. Sind Sie Mädchenhändler? Oder Zuhälter?“

„Nein, nein“, er lachte, „das war eher im übertragenen Sinne gemeint. Meine Stimme ist sympathisch?“

„Ja.“

Jetzt hob er den Arm vors Gesicht, er hatte also doch schon vorher auf die Uhr gesehen. Schnell sagte sie: „Die zwei Minuten sind. um. Es war schön, mit Ihnen zu reden. Machen Sie's gut und viel Erfolg, was auch immer Sie hier verkaufen wollen.“

„Aber halt“, er klang aufgeregt, „können wir nicht ein bißchen überziehen?“

„Nein“, sagte sie lachend, „Versprechen muß man einhalten, tschüß“, und legte auf. Und fuhr sich mit der Hand unter den Bademantel, um ihre linke Schulter zu massieren.

Was war denn das nun Seltsames gewesen? Carl sah den Hörer einen Moment lang an, als könne die Stimme sich doch noch einmal melden, aber dann legte er auf, denn die Leitung war tot. Immer passierten ihm solche Sachen. Warum immer ihm? Wildfremde Leute sprachen ihn an und vergaßen die Zeit – nein, diese hier hatte die Zeit nicht vergessen. Er schüttelte den Kopf und schaute auf das Fernsehbild.

Aber nichts auf dem Bildschirm war interessanter als der Nachhall ihrer Worte. Seine Stimme war sympathisch? Vielleicht sollte er sich irgendwo als Radiosprecher bewerben? Für eine dieser Nachtsendungen, in denen die Anrufer ihre Nöte und sexuellen Probleme ausbreiteten, um sich mit Gemeinplätzen abspeisen zu lassen, die immer anfingen mit „vielleicht sollten Sie einmal versuchen …“ Er hatte nie eine solche Sendung gehört, nur hin und wieder darüber gelesen. Überhaupt hatte er in seinem Leben viel mehr gelesen als gesehen und gehört, und das wenige, was er noch nicht aufgeschrieben ist, etwas mit dem Ziel, einmal schwarz auf weiß in einem dicken Bündel Papier zu stehen. Er war ein Autor.

Meist, wenn er mit anderen Menschen zusammen war, belauschte er sie und machte sich innerlich Notizen, um eine Wendung, einen Satz oder auch nur einzelne Worte irgendwann einmal in einem seiner Hörspiele zu verwenden. Diesmal war es anders gewesen. Mit dieser Frau hatte er einfach drauflosgeplänkelt, nur so, damit sie nicht auflegte, denn da war etwas in ihrer Stimme gewesen, das ihn festhalten wollte, zurückplänkeln wollte, einfach weil es schön war und wie selbstverständlich floß. Hatte die Frau nichts Besseres zu tun? War sie einsam? Eine Kandidatin für diese Nachtsendungen? Er jedenfalls war einsam. Das spürte er jetzt, da er noch immer an die Stimme denken mußte.

Wie sie wohl aussah? Vielleicht war sie die Geliebte dieses Herrn Stallmeier oder Stallknecht, oder gar ein Callgirl? Könnte sein. Die kecke Stimme und der lockere Umgang mit Fremden würden einem Callgirl stehen. Und auch, daß sie gesagt hatte, Herr Stallmann ist eine lästige Pflicht. Quatsch, dachte er, so ein Quatsch. Ein Callgirl, das sich in der Nummer irrt. Das kann man vielleicht als Geschichte verkaufen, aber doch nicht erleben. Lag das an dieser Stimmung, die ihn so oft in Hotels überkam, daß er gleich ein Callgirl um eine falsche Verbindung herum konstruierte? In Hotels, zumal im Sommer, brummt die Klimaanlage vor lauter Sex, und er war schon immer für solche Atmosphären empfänglich gewesen. Wie viele Paare es wohl jetzt gerade, hier im Hilton, miteinander trieben?

Wieder schüttelte er den Kopf, diesmal darüber, daß er so schnell beim Thema Nummer eins gelandet war, und drohte sich selber eine kalte Dusche an. Steckte da vielleicht was Kriminelles dahinter? Horchte die ihn aus, um dann zwei Schlägertypen vorbeizuschicken? Nein, Unsinn. Dann hätte sie andere Fragen gestellt. Er ging mit der Fernbedienung durch die Programme, aber nichts erschien, was ihn zu fesseln vermochte. Da schnarrte das Telefon wieder.

„Hallo“, sagte ihre Stimme, und sie klang ein wenig kleinlaut, „störe ich Sie?“

„Nein“, sagte er und drückte auf den Knopf, der den Fernsehton verschwinden ließ. „Im Gegenteil. Ich hab eben noch an Sie gedacht.“

„Was?“

„Das ist … das möchte ich nicht sagen.“

„Hm. Ja. Was tun Sie?“

„Ich gehe mir ein wenig selbst auf die Nerven. Und Sie?“

„Ich würde es anders formulieren, aber es käme wohl etwa aufs selbe hinaus.“

„Was ist“, fragte er, auch in den leisen Ton verfallend, den sie angeschlagen hatte: „Möchten Sie reden? Haben Sie Kummer?“

Sie schwieg für einen Moment und sagte dann: „Frage eins: ja, Frage zwei zwar auch ja, aber ich möchte nicht Frage eins.“

„Was? Wie bitte? Sind Sie sicher, daß Sie wissen, was Sie reden?“

„Schon“, sie lachte, „aber ich gebe zu, man kann es deutlicher sagen.“

„Ich bitte darum.“

„Gut. Ich möchte reden. Und Kummer habe ich auch. Aber darüber möchte ich nicht reden.“

„Alles klar. Verstehe. Jetzt versteh ich's.“

Sie schwiegen eine Weile. Das Lachen hatte wieder den alten Geplänkelton wachgerufen. Es war, als wollten sie sich vorbereiten für den nächsten Wortwechsel. Er fragte: „Und was bringt Sie nach München?“

„Och, eine private Sache. Ich besuche jemanden. Das heißt, ich wollte.“

„Stallmeister?“

„Stellmacher“, sie lachte schon wieder. „Keine Eins für Ihr Namensgedächtnis. Ja, ich wollte Herrn Stellmacher … äh, treffen.“

„Sie sind Lehrerin.“

„Aber nein. Meinen Sie wegen der Eins?“

„Ja. Falsch getippt. Was machen Sie beruflich?“

„Wollen Sie raten?“

„Wenn Ihnen keine Langeweile droht. Ich will Sie auf keinen Fall langweilen.“

„Das ist nett. Raten Sie. Ich sage, wenn's mir reicht. In Ordnung?“

„In Ordnung. Ihr Umgang mit Worten weist auf einen intellektuellen Beruf hin.“

„Wäre das in Ihren Augen schmeichelhaft?“

„In meinen, ja. Und daß Sie fragen sagt mir, daß ich richtig liege. Niemand, außer den Intellektuellen selbst, fragt sich, ob die Bezeichnung ein Schimpfwort sein könnte.“

„Wieso? Das müssen Sie mir erklären.“

„Die ganz Dummen wissen nicht, was das ist, ein Intellektueller, die Halbdummen finden Intellektuelle gräßlich und äußern sich sofort abfällig, und wer klug ist, ist auch meistens intellektuell. Klug sind Sie bestimmt, so wie Sie reden.“

„Also, das war aber eine lange Rede. Bravo. Aber hören Sie auf zu raten, ich bin Hausfrau und Mutter. Das heißt, Hausfrau war ich. Mutter bleib ich.“

„Au, jetzt haben Sie Ihren Kummer verraten, stimmt's?“

„Stimmt“, sagte sie und legte auf.

Thommie Bayer

Über Thommie Bayer

Biografie

Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm „Die gefährliche Frau“, „Singvogel“, der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman „Eine kurze Geschichte vom Glück“...

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