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Die geprügelte Generation

Die geprügelte Generation

Ingrid Müller-Münch
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Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen

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Die geprügelte Generation — Inhalt

„Ein aufklärendes, ja aufklärerisches Generationsporträt. Empfehlenswert.“ Deutschlandradio Kultur

 „Ein dringend notwendiger Beitrag zur gegenwärtigen Erziehungsdebatte.“ Sabine Bode, Autorin von „Die vergessene Generation“

Ein Großteil der deutschen Nachkriegskinder ist ins Leben hineingeprügelt worden. Doch wie konnte es sein, dass Schläge mit Teppichklopfer, Kochlöffel und Rohrstock in der Schule und zu Hause völlig üblich waren? Und was wurde aus diesen Kindern, die in der Gewissheit aufwuchsen: Ich bin ein Nichts, ich gehöre bestraft?

Ingrid Müller-Münch spürt diesen Fragen nach und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur gegenwärtigen Erziehungsdebatte.

„Dieses Buch war längst überfällig.“ Günter Wallraff

€ 12,00 [D], € 12,40 [A]
Erschienen am 17.09.2013
288 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-30283-8
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Leseprobe zu „Die geprügelte Generation“

Was war der Anlass für dieses Buch und wovon handelt es?

Zu meiner Kindheit gehört Lakritzwasser, das meine Oma aus kleinen, sorgfältig von einem großen schwarzen Brocken abgeschnittenen Stückchen herstellte. Und das von mir ebenso gerne getrunken wurde wie eine Generation später von meinem Sohn die Orangenlimonade. Zu meiner Kindheit gehört der Nudelsalat, der am Abend vor Familienfesten mit Tomaten, hartgekochten Eiern und Gewürzgurken angesetzt wurde und erst kurz vor seinem Verzehr die Mayonnaise hinzubekam. Zu meiner Kindheit gehört aber auch der [...]

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Was war der Anlass für dieses Buch und wovon handelt es?

Zu meiner Kindheit gehört Lakritzwasser, das meine Oma aus kleinen, sorgfältig von einem großen schwarzen Brocken abgeschnittenen Stückchen herstellte. Und das von mir ebenso gerne getrunken wurde wie eine Generation später von meinem Sohn die Orangenlimonade. Zu meiner Kindheit gehört der Nudelsalat, der am Abend vor Familienfesten mit Tomaten, hartgekochten Eiern und Gewürzgurken angesetzt wurde und erst kurz vor seinem Verzehr die Mayonnaise hinzubekam. Zu meiner Kindheit gehört aber auch der Kochlöffel. Nicht als Küchenutensil, sondern als Schlaginstrument. Immer dann, wenn ich tagsüber irgendwie „muksch“ gewesen war, nicht pariert hatte – wie es so schön hieß –, dann wurde mein Vater, da hatte er sein Jackett noch nicht an die Garderobe gehängt, schon mit den Worten begrüßt: Das Kind hat heute Widerworte gegeben. Eine Information, die ihn mit einem genervten Seufzen die Küchenschublade aufziehen und den Kochlöffel her ausholen ließ. Dann ging es ab ins Wohnzimmer, wo ich schon dessen harrte, was nun folgen würde. Und dann setzte es was. Aber nicht zu knapp. Ich hatte, wenn man so will, eine für die 50er und auch die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ganz normale Kindheit.

Deshalb, weil sie so normal war, habe ich eigentlich nie mit jemandem dar über gesprochen. Nicht mit Freunden, nicht in meiner Freizeit bei Bier oder Wein, nicht bei politischen Diskussionen, einfach nie. Dabei hat mich diese Vergangenheit die ganze Zeit beschäftigt, ganz hinten in meinem Kopf. Hat meine Gefühle beeinflusst, mein Verhalten geprägt, war mitverantwortlich für Ängste, die mich begleiteten, für Beziehungsprobleme, die ich hatte. Irgendwie war dieser Vertrauensbruch meiner Eltern, den ich bei jeder Tracht Prügel schmerzlich empfand, nie mehr aus meinem Leben wegzudenken. War immer da. Übertrug sich auf andere. Hat aus mir einen Menschen gemacht, der lange Jahre mit dem Gefühl durch die Welt ging: Keiner liebt mich! Ein Gefühl, das ich für mein höchst eigenes, besonderes, individuelles hielt.

Doch als ich die ersten geprügelten Kinder meiner Generation für dieses Buch interviewte, stellte ich fest: Den meisten von ihnen erging es genauso. Auch sie hatten die Schläge ihrer Kindheit kaum jemals thematisiert. Es lohnte sich ja nicht über etwas zu reden, was sowieso fast jeder kannte und das einfach ganz normal zur Kindheit dazu gehörte! Damals! Es wusste doch jeder, dass man zu Hause „Senge“ bekommen hatte. So what? Was noch groß dar über lamentieren?

Auch bei meinen Interviewpartnern waren die Prügel ihrer Kindheit bis in die Seele vorgedrungen. Die Erinnerung dar an hat die meisten ihr Leben lang begleitet. Hat bei dem einen das über Jahrzehnte andauernde Gefühl ausgelöst, keiner sieht mich, keiner mag mich, ich bin böse, ich bin ein Nichts! Denn jedes geprügelte Kind schleppt diesen schmerzhaften Ausdruck von Verachtung, der durch einen schlagenden Vater, eine ohrfeigende Mutter ausgedrückt wird, mit sich herum. Unsicherheit, Vertrauensschwund, mangelndes Selbstbewusstsein, Depressionen und Verlustängste sind oftmals die langanhaltenden Folgeschäden der Misshandlungen, die diese Menschen als Kinder erlitten.

Andere haben sich trotzig aufgebäumt, nun erst recht gesagt, und sich einem anstrengenden bewegenden Leben mit der Haltung gestellt: Ich habe die Prügel als Kind überlebt, nun kann mir heute wirklich keiner mehr etwas anhaben! Manch einer befreite sich durch eine Therapie, durch eine besondere Erfahrung, manchmal auch durch das Erleben einer anderen, glücklicheren Kindheit der eigenen Söhne oder Töchter.

Als sich vor Jahren eine Frau bei mir meldete, um mir zu berichten, sie sei als Kind in diversen katholischen Kinderheimen misshandelt worden, reagierte ich ausgesprochen desinteressiert. Für mich war das irgendwie kein Thema. Jeder wusste doch, dass Nonnen prügelten, Lehrer „Tatzen“ verteilten, Eltern Kinder ohrfeigten. Wo war da die News? Später, als die misshandelten Heimkinder für Schlagzeilen sorgten, ihnen Entschuldigungen und Wiedergutmachungen zugesprochen wurden, fragte ich mich: Wie so habe ich damals nicht reagiert? Ich hatte offenbar das Thema nicht gesehen. Wollte ich es nicht wahrhaben? War es für mich zu normal?

Insofern verdanke ich es in gewisser Weise dem Augsburger Bischof Walter Mixa, dass ich mich endlich mit Prügeln und Schlägen in der Kindheit meiner Generation beschäftigte. Als erste Vorwürfe gegen ihn laut wurden, horchte ich auf. Nahm zur Kenntnis, dass er dar auf bestand, er habe als Stadtpfarrer von Schrobenhausen „zu keiner Zeit in irgendeiner Form körperliche Gewalt“ gegen über Kindern ausgeübt. Da habe er „ein reines Herz“. Während sich immer mehr seiner damaligen Opfer meldeten. Von Boxhieben auf die Brust war da die Rede, durch die Kinder gegen die Wand geschleudert worden sein sollten. Von Schlägen mit Stöcken, die zerbrachen und durch Gürtel ersetzt wurden. Die Vorwürfe wurden immer belastender, so dass sich der beschuldigte Bischof endlich entschloss, schon weitaus kleinlauter einzuräumen, er könne „die eine oder andere Watsch’n vor 20 oder 30 Jahren nicht ausschließen“. Dabei fügte er hinzu, eine Ohrfeige als erzieherische Maßnahme sei damals „vollkommen normal“ gewesen, „und alle Lehrer und Schüler dieser Generation wissen das auch.“

Ich habe nachgerechnet und bin zu dem Ergebnis gekommen: Das stimmt einfach nicht! Die Vorwürfe gegen ihn betrafen nicht etwa die 50er und 60er Jahre, in denen so etwas tatsächlich noch „vollkommen normal“ gewesen wäre. Seine Misshandlungen, die nach Aussagen seiner Opfer mit Faust, Stock oder Teppichklopfer durchgeführten Prügel, fanden in den 80er und 90er Jahren statt. Zu einer Zeit, als es längst Kinderläden und alternative Pädagogik gab, sich die geprügelten Kinder gegen ihre Eltern aufgelehnt hatten und diese versuchten, anders mit ihren Sprösslingen umzugehen. Als offiziell schon längst Schläge an Schulen und in Heimen verboten waren. Und es erste heftige Debatten darüber gab, ob man derartig drakonische Strafen nicht auch in den Familien sanktionieren müsse.

Seine Geschichtsklitterung empörte mich. Sollte hier etwas vertuscht werden? Sollte hier eine Entwicklung verharmlost und negiert werden, die mit der 68er Studentenrevolte umschwang und im Jahr 2 000 dann zu dem eindeutigen Verbot führte, Kinder innerhalb der Familien körperlich zu züchtigen?

Erwähnenswert ist in der darauffolgenden Auseinandersetzung um Mixas „Watsch’n“ die Position des Theologen und Sozialwissenschaftlers Wolfgang Ockenfels, der mit den Worten zitiert wurde: „Es ist absurd, wie aus ›Backpfeifen‹ Prügelorgien wurden. Dann könnte man ja sämtliche Angehörige der älteren Generation, die ihre Kinder in den 50er, 60er und 70er Jahren hin und wieder mit Ohrfeigen gezüchtigt haben, belangen. Es erscheint mir lächerlich, wie heute naseweise Typen Backpfeifen zu Anschlägen gegen die Menschlichkeit deklarieren.“

Ist es tatsächlich lächerlich, wenn das Prügeln von Kindern zu Anschlägen gegen die Menschlichkeit deklariert wird? Ist es nicht eine geradezu unverschämte Verharmlosung, die brutalen Erziehungsmethoden vieler damaliger Eltern lediglich zu ein paar harmlosen Backpfeifen her unterzuspielen? War die seinerzeit den Kindern gegenüber ausgeübte Gewalt nicht Körperverletzung? Je nach Art der erlittenen Wunden sogar ein Anschlag gegen die Menschlichkeit?

Ich beschloss, hier zu recherchieren. Und zwar nicht in Heimen, dar über ist ja seit Mixas zögerlichem Eingeständnis und dem nicht mehr zu überhörenden Aufschrei von Heimkindern viel, sehr viel berichtet worden. Mich interessierte die Erfahrung, die Kinder zu Hause mit strengen, vor Gewalt nicht zurückschreckenden Eltern gemacht hatten, die zu Kochlöffel und Teppichklopfer griffen, wenn ihnen der Geduldsfaden riss.

Die Antworten, die ich bekam, waren so verblüffend, dass ich mich fragte, wie dieses Thema so lange unter Diskretion und Sprachlosigkeit begraben bleiben konnte.

Zunächst scheint es üblich gewesen zu sein, in den 1950ern und 1960ern, Kinder durch Prügel zur Raison zu bringen. Die einen wurden heftig und mit System geschlagen, andere hatten lediglich ab und zu Ohrfeigen bekommen. Einige waren verschont geblieben, hatten aber mit Gleichaltrigen gespielt, von denen sie wussten, dass die zu Hause Senge bekamen. Eine Tracht Prügel – die kannte fast jeder meiner Altersklasse, den ich hierauf ansprach. Ob aus eigener Erfahrung oder vom Hörensagen, lediglich das unterschied sich.

Ich begann, die ersten dieser nun lange schon erwachsenen Kinder zu interviewen. Zunächst für Rundfunkfeatures bei WDR 5 und SWR 2. An Interviewpartnern mangelte es nicht. Ich habe nicht nach besonders krassen Beispielen gesucht, sondern habe die genommen, die sich mir gegen über als geprügeltes Kind outeten. Habe weiter gesucht, diejenigen interviewt, die dazu bereit waren. Als Ergebnis meiner Recherche kann ich sagen: Ich bin auf eine geprügelte Generation gestoßen.

Dabei fühlte ich mich ausgesprochen kompetent, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, wenn man als Kind von den Eltern verhauen wird, den Grund für die erhaltenen Schläge längst nicht mehr gegenwärtig hat, sie manchmal gar nicht versteht, danach ins Bett geschickt wird. Die Interviews zeigten mir, dass ich mich in Gesellschaft befinde mit diesem Gefühl des Alleingelassenseins. Und zwar in einer großen Gesellschaft.

Was genau war diesen Kindern damals, in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – nicht etwa in irgendwelchen Heimen, sondern zu Hause von Vater und Mutter – angetan worden? Was hatte die Eltern bewogen, ihre Kinder so lieblos, so gewalttätig, teilweise geradezu brutal zu misshandeln? Was lösten die Schläge bei den geprügelten Kindern aus? Wie alt waren diese Kinder, als sie anfingen, sich dagegen aufzulehnen? Wie haben sie die erlittene Schmach verarbeitet? Wie sind sie selbst als Erwachsene mit ihren Kindern umgegangen? Haben sie jemals mit ihren Eltern dar über gesprochen, ihnen verziehen, sich mit ihnen versöhnt oder mit ihnen gebrochen?

Fragen, die ich in den nachfolgenden Kapiteln aus der subjektiven Sicht der einstigen Kinder zu beantworten versuche. Mit denen ich mich aber auch an Juristen, Historiker und Therapeuten gewandt habe. Ich habe mit einem Erziehungswissenschaftler gesprochen, habe alte Kinderbücher gelesen, in Archiven und Bibliotheken gestöbert. Her ausgekommen ist die Geschichte einer unseligen Tradition, aber auch ein Kaleidoskop tiefer Verletzungen. Es sind Porträts von Menschen entstanden, die noch immer – so alt sie inzwischen auch geworden sein mögen – mit den Dämonen kämpfen müssen, die ihnen die Eltern mithilfe von Kochlöffeln und Rohrstöcken eingebläut haben.

Über Ingrid Müller-Münch

Biografie

Ingrid Müller-Münch, Journalistin und Autorin. Sie war Korrespondentin der Nachrichtenagentur „Reuters“ und der „Frankfurter Rundschau“, Redakteurin beim „Stern“ und arbeitet heute hauptsächlich für den „Westdeutschen Rundfunk“. Sie lebt in Köln.

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