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Der letzte Aufguss (Professor-Bietigheim-Krimis 2)Der letzte Aufguss (Professor-Bietigheim-Krimis 2)

Der letzte Aufguss (Professor-Bietigheim-Krimis 2)

Carsten Sebastian Henn
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Ein kulinarischer Krimi

„Krimi-Unterhaltung in bester Tradition.“ - Wiener Journal

Alle Pressestimmen (5)

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Der letzte Aufguss (Professor-Bietigheim-Krimis 2) — Inhalt

Tea Time - Der 2. Fall für Professor Bietigheim und seinen Hund
Der Lehrstuhl für Kulinaristik in Cambridge steht unter einem schlechten Stern. Eingelegt in teuersten weißen Darjeelingtee findet man die Leichen zweier Professoren. Ein Fall für Feinschmecker Adalbert Bietigheim: Steckt womöglich sein alter Widersacher Professor Töler hinter den Morden? Was hat es mit der rätselhaften „sechsten Schale“ auf sich, und was will der legendäre Teemeister Musō Kokushi plötzlich in England?

Cosy Crime von „Deutschlands König des kulinarischen Krimis“ Focus

  • Mit kleiner Rezeptsammlung und Tee-Lexikon im Anhang
  • Leichte Krimikost - ideal als Geschenk für Tee-Liebhaber
  • Humorvoller Kriminalroman mit überraschenden Wendungen und vielen interessanten Hintergrundinfos zu Tee
€ 11,00 [D], € 11,40 [A]
Erschienen am 15.10.2013
320 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-30401-6
Download Cover
€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 09.10.2012
320 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-95828-8
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Leseprobe zu „Der letzte Aufguss (Professor-Bietigheim-Krimis 2)“

White Darjeeling

Professor Adalbert Bietigheim stand vor der Tür eines viktorianischen Reihenhauses im Osten Cambridges. Ohne das hübsche Äußere auch nur eines Blickes zu würdigen, steckte er ungeduldig seinen Schlüssel ins Schloss, denn die britische Geistesmetropole hatte ihn mit fiesem Nieselregen begrüßt, der bereits von der Krempe seines Borsalino-Hutes tropfte. Kein Wunder, dass die Briten schon immer eine Seefahrernation waren. Dieses Wetter trieb einen förmlich in andere Gefilde.

Die Koffer des Professors hatte der Taxifahrer einfach auf den [...]

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White Darjeeling

Professor Adalbert Bietigheim stand vor der Tür eines viktorianischen Reihenhauses im Osten Cambridges. Ohne das hübsche Äußere auch nur eines Blickes zu würdigen, steckte er ungeduldig seinen Schlüssel ins Schloss, denn die britische Geistesmetropole hatte ihn mit fiesem Nieselregen begrüßt, der bereits von der Krempe seines Borsalino-Hutes tropfte. Kein Wunder, dass die Briten schon immer eine Seefahrernation waren. Dieses Wetter trieb einen förmlich in andere Gefilde.

Die Koffer des Professors hatte der Taxifahrer einfach auf den Bürgersteig gestellt und war davongebraust. Unverschämtheit! Dabei hatte Bietigheim ihm auf der Fahrt einen vollkommen kostenlosen Kurzvortrag über angemessenes Tempo und die Nachteile des Linksverkehrs gehalten.

Undank ist der Welten Lohn!

Ohne auch nur das geringste Knarren öffnete sich die Tür und gab den Blick frei auf einen kleinen Flur mit einer steilen Treppe. Beinahe wäre der Professor auf einen DIN-A5-Umschlag getreten, der mit „Bietigheim“ beschriftet war und den jemand durch den Briefschlitz eingeworfen haben musste. Der Ordnung halber hob er ihn auf, beschloss jedoch, ihn erst später zu öffnen.

Zur Linken führte eine Tür ins Wohnzimmer, das einem Sherlock-Holmes-Film entsprungen schien. Im Kamin knisterte ein Feuer, das bestimmt die Haushälterin entzündet hatte. Ein dunkelgrünes Chesterfield-Sofa beherrschte den Raum, die Tapete war in rotem Schottenmuster gehalten, dazu viel dunkles Holz und Regale mit ledergebundenen Büchern. Der Rauch von unzähligen Pfeifen, die die Professoren über Jahrhunderte hier geschmaucht hatten, hing in den Wänden. Vermutlich hatten sie ihren Tee in dem mächtigen Ohrensessel genommen, direkt neben dem Fenster, durch das man in den sprießenden Garten blicken konnte.

Bietigheim fühlte sich auf Anhieb wohl.

Seinen letzten beiden Vorgängern war es sicher nicht anders ergangen.

Allerdings waren sie nun tot.

Ermordet.

Gnu, dachte Adalbert Bietigheim prompt. Und: Phenolphthalein. Seit Kurzem wanderten seine Gedanken, wenn er unruhig war, zu ungewöhnlichen oder komplizierten Wörtern. Natürlich gestand er sich diese kleine Verdrängungstechnik nicht ein, sondern betrachtete sie als unregelmäßig auftretende, aber ungemein liebenswerte Marotte.

Auf dem Tisch lagen die „Cambridge Evening News“. Bietigheim stellte sich daneben, die Arme auf dem Rücken verschränkt, und blickte auf die Titelseite. Dort prangte ein Farbfoto seines Vorgängers, Professor Jonathan Cleesewood. Ein Mann, der immer so aussah, als hätte er einen Arm und ein Bein zu viel, mit denen er nicht wüsste, wohin. Er war die personifizierte britische Ungelenkigkeit. Sein Gesicht war blasser als Ziegenfrischkäse, weshalb seine Kollegen in der Kulinaristik mutmaßten, dass er den ganzen Tag – und die ganze Nacht – nichts anderes machte, als in seinem Büro zu arbeiten. Ihm war unter anderem eine revolutionäre Arbeit über die Krümeligkeit von Teegebäck zu verdanken. Auch über Pudding und Pies hatte er Grundlegendes zu Papier gebracht. Und in Sachen grüner Tee gehörte er zu den europäischen Koryphäen.

Auf dem Foto allerdings lag er in einem der typischen Stechkähne Cambridges, Punting-Boot genannt. Genauer gesagt lag er in einer Flüssigkeit, mit der das Boot gefüllt war. Es war Tee, teuerster White Darjeeling, in dessen Genuss er nun allerdings nicht mehr kommen würde. Auch von der gesundheitsfördernden Wirkung aufgrund des hohen Polyphenolgehalts würde er nicht mehr profitieren können. Blutdrucksenkend sollte weißer Tee auch sein. Das zumindest stimmte in diesem Fall, denn tiefer als bei einem Toten konnte der Blutdruck kaum sinken.

Bietigheim fühlte sich ein wenig an die Bestattungsriten der Wikinger erinnert, die ihre toten Krieger in voller Rüstung in ein Boot legten, dieses zu Wasser ließen und dann in Brand steckten, bevor es sich auf seine Reise ins Reich Walhalla begab.

Cleesewoods Vorgänger Tim Shropsborough hatte man auf dieselbe skurrile Art hergerichtet. Timothy Martin James Charles Eugene, 17. Earl von Shropsborough, war ein Exzentriker gewesen. Seine grauen Haare hatte er zu einem geflochtenen Pferdeschwanz gebunden, sein Bart glich dem Salvador Dalís, und seine Kleidung stammte nahezu ausschließlich von seiner guten Freundin Vivienne Westwood. Keine Party, die er ausgelassen hätte, kein gesellschaftliches Event, auf dem er sich nicht sehen ließ. Publiziert hatte er nicht viel, und selbst bei seinen wenigen Schriften fragte man sich, wann er je die Zeit dafür gefunden hatte. Doch er hatte die Kulinaristik in die Medien gebracht, denn über einen Paradiesvogel wie ihn wollten alle berichten. Auch Forschungsgelder und andere Mittel hatte er akquiriert und Cambridge damit zum wichtigsten Zentrum der Teeforschung außerhalb Asiens werden lassen.

Nun, nach dem Tod von Cleesewood, spekulierte die Zeitung darüber, wer die Nachfolge antreten würde. Der Redakteur war der Meinung, es könne nur ein ausgesprochen mutiger Mann sein.

Oder schlicht ein Vollidiot.

Bietigheim hatte die Stelle in einem plötzlichen Anflug von Abenteuerlust angenommen. Nun kam ihm der Entschluss ein wenig wahnsinnig vor. Seine beiden Vorgänger waren innerhalb eines halben Jahres auf dieselbe Art und Weise umgebracht worden. Der Serienkiller hatte ganz offenbar etwas gegen die Inhaber dieses Lehrstuhls. Nur warum? Das Fach Kulinaristik schadete niemandem, es war größtenteils unpolitisch, die Forscher äußerten sich selten zu Fragen der Religion (und wenn, dann höchstens zum Thema Essensgebote), und von Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Drogenhandel, Prostitution oder Erpressung hatte auch nichts in der Stellenbeschreibung gestanden. Warum also diese einfallsreichen, aber nichtsdestotrotz abscheulichen Morde?

Am Ende des Artikels wurde darauf hingewiesen, dass im Innenteil Ausführlicheres über die Taten zu finden war. Bietigheim umkreiste den Wohnzimmertisch mit der Zeitung eine Weile, dann atmete er tief durch, griff sie sich und ließ sich in den Ohrensessel fallen. Wäre wenigstens Benno von Saber bei ihm, sein treuer Foxterrier. Dann hätte er sich wohler gefühlt. Ein Haus ohne Hund war wie ein Huhn ohne Federn. Doch die Quarantänevorschriften Großbritanniens waren streng und eindeutig. Selbst so knuffige Exemplare wie Benno mussten draußen bleiben. Bietigheim erinnerte sich noch gut, wie er ihn damals beim Züchter in Eimsbüttel abgeholt hatte. Den Fahrradkorb hatte er für die Rückfahrt mit einer Zeitung ausgelegt – auf der sich der kleine Racker dann erleichtert hatte. Und zwar genau auf dem Artikel über die rivalisierende Universität Bremen.

Da hatte er gewusst, dass sie dicke Freunde werden würden.

Der Professor überflog den Artikel in den „Cambridge Evening News“. Der Mörder war noch immer nicht gefasst, und zwischen den Zeilen war zu lesen, dass die Polizei nicht einmal eine brauchbare Spur hatte. Bietigheim hielt die Zeitung so, dass die wenigen Lichtstrahlen dieses trüben Tages auf das große Farbfoto im Innenteil fielen. Hatte er es sich doch gleich gedacht! Das mochte ja weißer Darjeeling sein, aber er war miserabel aufgebrüht. Stümperhaft geradezu. Aber so etwas fiel Polizisten natürlich nicht auf, was wussten die schon von den Feinheiten der Teekultur? So viel wie eine Kuh von Astrophysik.

Neben dem Artikel befand sich eine Anzeige von Auntieʼs Tea House, wo eine neue Bedienung gesucht wurde. Ihr Werbe-Slogan („Tee – weckt die Lebensgeister!“) mutete neben dem Artikel über die toten Professoren ein wenig geschmacklos an. Und das war bei Tee immer schlecht.

Bietigheim legte die Zeitung auf den Beistelltisch und drehte sie um, damit er die Titelseite nicht mehr sehen musste. Dann öffnete er den Briefumschlag.

Doch das machte alles nur noch schlimmer.

Der Umschlag enthielt Fotos der Ermordeten. Detaillierte Nahaufnahmen der aufgequollenen Gesichter. Aus allen Blickwinkeln.

Wer schickte ihm so etwas zur Begrüßung? Die Fotos waren tagsüber geschossen worden, also konnten es keine Erinnerungsaufnahmen des Mörders sein, denn dieser hatte nachts zugeschlagen. Doch wer war dann so zynisch, ihm mit diesen Fotos so deutlich vor Augen zu führen, welches Damoklesschwert über ihm schwebte? Ein Schwert, das im Übrigen jederzeit fallen konnte, noch bevor er auch nur eine einzige Tasse Tee getrunken hatte?

Apropos Tee, dachte Bietigheim, eine Tasse mit heißem Earl Grey wäre jetzt wunderbar für Leib und Seele – herrlich erfrischender chinesischer Schwarztee mit Schalen der Bergamotte, Citrus bergamia. So ein Neuanfang ging mit Tee gleich viel besser, und ein wenig Teegebäck von Ackenthorpe durfte auch nicht fehlen.

Auf dem Weg zur Küche bemerkte Bietigheim vor dem Fenster zur Pretoria Road einen Blitz. Er zählte innerlich die Sekunden bis zum Donner, um abzuschätzen, wie weit das Gewitter entfernt war. Doch es kam kein Donner.

Dafür noch ein Blitz.

Und ein weiterer.

Bietigheim trat zum Fenster und bereute es sofort. Draußen stand ein Fotograf, der nun ein wunderbares Bild von ihm schoss, wie er wütend hinausblickte. Dann rannte der junge Mann fort, denn vermutlich ahnte er, dass Bietigheim ansonsten die Kamera und seine Nase nicht im Originalzustand gelassen hätte.

Was für ein Tag.

Schlimmer konnte es kaum werden.


Adalbert Bietigheim war ein wenig enttäuscht, dass er seinen extra angeschafften Schirm mit aufgedrucktem Hamburger Landeswappen nicht brauchte, als er aus der Tür trat. Aber es schien tatsächlich die Sonne. Dabei hätte ihn das nicht wundern müssen, denn wenn er sich an seine Zeit als Juniorprofessor in Cambridge erinnerte, schien immer die Sonne. Es stimmte zwar, dass es oft regnete, aber es hörte eben auch oft wieder auf. Das Wetter wechselte schneller als Ebbe und Flut.

Gerne wäre der Professor mit seinem alten Hollandrad gefahren, doch dessen Transport hatte sich als sehr kompliziert herausgestellt. Nun war er also nicht nur hunde-, sondern auch fahrradlos. Doch er hatte immer noch seine Füße! Und die trugen ihn nun über die Fußbrücke am Ende der Pretoria Road und am Cam entlang bis zum Zentrum des Städtchens. Allerdings nannte Bietigheim den träge dahinfließenden Fluss Granta. Denn erst nachdem die angelsächsische Siedlung Grantebrycge zu Cambridge geworden war, hatte auch der Fluss seinen ursprünglichen Namen verloren. Doch alle, die ihn gut kannten, durften ihn weiterhin bei seinem Geburtsnamen nennen.

Der Weg zu seinem neuen Arbeitsplatz war nicht weit, denn Professoren durften einer alten Vorschrift zufolge nicht weiter als zwanzig Meilen von der Universität oder genauer gesagt von der Kirche Great St Maryʼs im Herzen Cambridges wohnen, Studenten gar nur drei Meilen. Bietigheim passierte das beste Restaurant der Stadt, das mit zwei Sternen dekorierte Midsummer House. Einige köstliche Düfte stahlen sich bis in seine Nase – geröstetes Rosmarin-Salzlamm, Seezunge an Lakritz-Limettensauce, Tarte Tatin mit Champagnersorbet –, doch jetzt hatte er keine Zeit für ein ausschweifendes Mahl – er musste zum Institut für Kulinaristik.

Linkerhand des Flusses erstreckten sich das weitläufige Grün des Parks Jesus Green und der nach ihm benannte Jesus Green Swimming Pool, rechts die Bootshäuser der einunddreißig Colleges. Stetig zogen Ruderer ihre Bahnen auf dem Fluss, vorbei an den fest vertäuten Narrowboats, die, schmal wie Zigarren, Heimstatt für Alternativwohnende geworden waren. Damit die Boote auf alle Binnenwasserstraßen passten, waren sie zwar bis zu einundzwanzig Meter lang, aber nie mehr als gut zwei Meter breit.

Eines der Narrowboats, angemalt wie die Flagge des Vereinigten Königreichs, war sogar zu vermieten. Inklusive Grill, wie auf dem handgemalten Pappplakat stand. Für Bietigheim wäre das allerdings nichts. Fester Boden musste schon sein, fand er. Sowie ein Kamin. Und idealerweise eine Küche, die größer als das Wohnzimmer war.

Der Professor passte so perfekt in die Innenstadt Cambridges wie in einen maßgefertigten Handschuh. Überall befanden sich Gebäude der Colleges und der Universität, die man mit keiner anderen Englands vergleichen konnte. Sie war eine kleine Welt für sich, als Cambridge Bubble bekannt. Eine achthundert Jahre alte Seifenblase.

Das Institut für Kulinaristik lag im dritten Stock eines roten Backsteingebäudes in der Mill Lane, nur wenige Meter vom Flussufer entfernt. Einen Aufzug gab es nicht, doch das war Adalbert Bietigheim nur recht. So kamen auch die gehfaulen Studenten zu etwas Bewegung. Studien hatten längst bewiesen, dass der Sinnspruch „Mens sana in corpore sano“ tatsächlich galt – ein gesunder Geist in einem gesunden Körper war gerade im Alter sehr wichtig. Doch man konnte nicht früh genug damit beginnen.

Die Tür zum Institut war mit einem Milchglasfenster versehen. Zu seiner Zufriedenheit war auf dem Schild bereits sein Name eingraviert – jedoch war einer seiner Doktortitel vergessen worden. Na, das würde ein Donnerwetter geben!

Dennoch trat Bietigheim mit einer gewissen Vorfreude ein. Denn die Kunde von der Sekretärin des Instituts hatte sich bis in die Hansestadt Hamburg verbreitet. Asha Ghalib sollte eine Inderin mit Augen wie Kaffeebohnen und Haut wie Milchschokolade sein, eine kleine, kräftige Frau mit rotem Punkt auf der Stirn, stets in traditionelle, ausgesprochen farbenfrohe Saris gekleidet. Ihr wurden magische Hände bei der Zubereitung von Tee nachgesagt, und angeblich behandelte sie in ihrer herzlichen und generösen Art das Lehrpersonal wie auch die Studenten allesamt wie ihre Kinder.

Als Adalbert eintrat, saß sie hinter ihrem schmalen Schreibtisch und tippte auf der Computertastatur.

„Hummel, Hummel!“, rief er ihr fröhlich zu und erklärte sogleich, dass dies der traditionelle Hamburger Gruß sei, auf den sie mit „Mors, Mors“ antworten müsse.

Asha Ghalib blickte nicht auf, sagte nichts, und reichte ihm auch nicht die Hand, als der Professor die seine ausstreckte.

Ob es sich um eine andere Frau handelte?

Sein Büro befand sich, wie er nach kurzem Suchen herausfand, am Ende des Flurs. Von den anderen Institutsangehörigen war nichts zu sehen. Komisch, alles sehr komisch. Es war doch bekannt, dass er heute seine Stelle antreten würde, ja, sogar die Uhrzeit war festgelegt. Hieß man heutzutage neue Professoren nicht mehr herzlich willkommen? Was war nur aus der englischen Gastfreundschaft geworden?

Im Büro fand er die Antwort auf seine Fragen – in Form des „Daily Telegraph“. Wie sich herausstellte, bildete er selbst das Titelthema der heutigen Ausgabe. Und nachdem Bietigheim den Artikel überflogen hatte, wunderte ihn das Verhalten der Sekretärin auch kein bisschen mehr. Laut einer gut informierten, aber ungenannten Universitätsquelle sollte er behauptet haben, dass seine Vorgänger, die beiden ermordeten Professoren, einfach nicht gut genug auf sich aufgepasst hätten. „Ich bin da von ganz anderem Kaliber“, hatte er der Zeitung zufolge großspurig behauptet. „Und ich weiß, welche Straßen ich wann meiden muss. Deshalb trete ich die Stelle ohne Furcht an.“

Es klang wie eine Herausforderung an den Mörder. Und es war eine unglaubliche Frechheit gegenüber den Verstorbenen. Wer verbreitete so etwas über ihn? Und warum? Etwa um ganz Cambridge gegen ihn aufzubringen? Wer immer es getan hatte, er war gerissen. Bietigheim war noch keinen Tag hier und hatte schon einen Haufen Feinde. Manchmal drehte die Erde sich einfach zu schnell.

Ohne anzuklopfen trat Asha Ghalib ein und stellte ihm wortlos eine Tasse auf den Schreibtisch. Der Teebeutel schwamm noch darin.

Das war dann wohl die Höchststrafe.


Die Behauptung, Adalberts Laune wäre schlecht gewesen, war eine maßlose Untertreibung. So als würde man sagen, im Inneren der Sonne sei es warm. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so schlecht gelaunt gewesen zu sein. Ohne Fahrrad und Hund fehlte ihm außerdem alles, was seine Laune von kochend auf siedend gesenkt hätte. Kurzerhand rief er in der Zeitungsredaktion an und bestellte den Redakteur zu sich. Dieser bestand jedoch darauf, sich am Cam zu treffen, und gab den genauen Uferabschnitt durch.

Bietigheim stapfte hin. Es war erstaunlich, dass seine schweren Schritte keine Abdrücke im Asphalt hinterließen.

Ein idyllischerer Ort als das Flussufer war kaum denkbar, das träge Wasser, in dem sich die wärmende Sonne spiegelte, einige Stechkähne, die langsam vorbeigestakt wurden, Spatzen auf der Suche nach Krümeln, ja sogar ein laues, fast mediterranes Lüftchen. Es war, als würde sich das Wetter über seine Stimmung lustig machen.

Der Bursche von der Zeitung trug eine Jacke und eine Hose in Tweed. Die Kombination von Oberlippenbart und Koteletten erinnerte an einen Jahrmarktsboxer vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Allerdings in einer schmächtigen Version. Ein Schlag, und er würde in der Ringecke zusammensacken. Leicht gebückt, mit ausgestreckter Hand, kam er auf Bietigheim zu.

„Michael Broadbent, danke, dass Sie sich die Zeit nehmen.“

Obwohl der Professor schlecht gelaunt war, schüttelte er ihm die Hand. Ein Bietigheim vergaß nie seine Manieren. Und ein Bietigheim sprach Englisch stets mit perfektem Upperclass-Akzent. Absolut fehlerfrei, verstand sich. Wenn einer den Engländern zeigen konnte, wie man richtig Englisch sprach, dann er. Broadbent dagegen wies einen leichten irischen Einschlag auf.

„Sie werden einen Widerruf drucken. Wenn Sie möchten, können wir das auch über meine Anwälte laufen lassen.“ Bietigheim hatte keine Anwälte, aber es klang einfach besser.

„Wir machen etwas viel Besseres“, antwortete Broadbent. „Einen neuen Artikel, in dem Sie alles geraderücken. Und zwar mit Foto, das wird die Aufmacherstory!“

„Ich möchte den Artikel aber vor Veröffentlichung gegenlesen.“

„Das ist unübl…“

„Ich werde ihn vor Veröffentlichung gegenlesen.“

„Gerne.“

Bietigheim trat nahe ans Ufer. „Schreiben Sie mit! Ich habe nichts dergleichen gesagt und denke auch nichts dergleichen. Wissenschaftlich und menschlich gesehen sind die Morde eine Tragödie, ja, schreiben Sie das, das ist gut. Eine menschliche Tragödie, lassen Sie wissenschaftlich weg. Schreiben Sie stattdessen, ich empfände Hochachtung für die beiden. Sämtliche zuvor von Ihnen abgedruckten Zitate seien falsch. So, und damit auf Wiedersehen.“ Er wandte sich zum Gehen, es gab noch viel zu tun. Dieser Broadbent wollte zwar noch ein Foto von ihm haben, aber das musste nun wirklich nicht sein.

„Hier ist es passiert“, sagte der Redakteur. „Von hier stammen die Boote, in denen die beiden Toten gefunden wurden, und hier müssen sie auch losgemacht worden sein, sonst hätten sich die Boote nicht an der fraglichen Stelle am Ufer des Cam verhakt.“

Bietigheim hielt inne. „Weiß man, um wieviel Uhr sie gestorben sind?“

Broadbent schüttelte den Kopf. „Durch das Einlegen der Leichen in Wasser war es den Gerichtsmedizinern leider nicht möglich, den Todeszeitpunkt genauer einzugrenzen.“

„Das war sehr schlau vom Täter. Oder den Tätern.“ Bietigheim ging auf einen der am Ufer vertäuten Kähne zu. „Es muss lange gedauert haben, so ein Boot mit Tee zu füllen. Warum ist das Ganze niemandem aufgefallen?“

„Dies ist keine Wohngegend, hier gibt es fast nur Büros. Und nachts verirren sich höchstens ein paar Verliebte hierher, die, nun ja, in den Stechkähnen ist ausreichend Platz…“

„Was waren es für Wochentage?“

„Was für Wochentage? Das hat noch nie einer gefragt.“

„Nun antworten Sie schon. Der Wochentag kann entscheidend sein. Beeilung!“

Broadbent blätterte in seinem Notizbuch. „Beim ersten Mord wurde die Leiche an einem Sonntag gefunden, beim zweiten war es ein Mittwoch. Sind alle Deutschen so unhöflich?“

Adalbert sah den Schwänen nach, die arrogant wie Hollywood-Diven alter Schule über den Fluss trieben, ohne jemanden auch nur eines Blickes zu würdigen. Es sei denn, er hatte Brot für sie. Ein Exemplar schien besonders bösartig und jagte seine Artgenossen quer über den Fluss. Er hatte nur noch ein Auge, das andere wohl im Kampf verloren. Aber das Verbliebene reichte, um seine Opfer schnell genug auszumachen.

Der Professor konnte Schwäne nicht ausstehen. – Er drehte sich wieder zu dem dreisten Schreiberling. Kaum war er hier, steckte er schon mitten in Ermittlungen, nicht einmal Zeit für High Tea mit alten Freunden blieb ihm. Was fragten Polizisten bei einem Mord? Er musste nicht lange nachdenken.

„Fehlte irgendetwas? Geldbörsen? Schlüssel?“

„Nein, nichts.“

„Wurde Alkohol in ihrem Blut gefunden? Na los. Sagen Sie schon.“

Wieder blätterte der Reporter. „Beim Earl ja, und zwar ein Komma zwei Promille, bei Cleesewood nicht.“

„Wer hat sie gefunden?“

„Warum lesen Sie nicht die Zeitungsartikel?“

„Sind Sie zu faul, um nachzusehen? Oder sind Ihre Notizen ungeordnet? In jedem Falle wäre es eine Schande für einen Cambridge-Studenten.“

Die Röte stieg in Broadbents Gesicht empor wie kochende Lava. „Sie sind ein schrecklicher Mensch!“, rief er.

„Was für ein Unsinn. Ich pflege nur meine Zeit effektiv zu nutzen. Wenn ich es richtig sehe, ist die sicherste Methode für mich, nicht umgebracht zu werden, den Täter schnell zu finden. Also werde ich das tun. Und Sie reißen sich zusammen, sonst werde ich die Universität über Ihr Verhalten informieren. Sie sind doch Student, oder? So wie Sie läuft zumindest kein ernsthafter Journalist herum. Diese Koteletten, ich bitte Sie! Also halten wir fest: Sie sind freier Mitarbeiter, aber eigentlich Student. Wo nehmen Sie bloß die Zeit für solch ein Hobby her? Anscheinend sind die Anforderungen an die Studenten laxer geworden.“

„Andere rudern in ihrer Freizeit.“

„Das sollten Sie auch, statt für ein solches Schmierblatt zu schreiben. Oder fasziniert Sie etwa dieser Fall? Obwohl Sie von Tee nicht den Schimmer einer Ahnung haben?“

Broadbent richtete sich zu voller Größe auf. Was allerdings nicht viel bedeutete. „Ich kenne mich sehr wohl mit Tee aus! Während meiner Schulzeit habe ich in den Ferien immer wieder in Kew Gardens gearbeitet, freiwillig und unentgeltlich. Im Temperate House, wo es auch eine Teepflanze gibt, eine Camellia sinensis. Ich habe meine Arbeit dort geliebt, der botanische Garten war wie eine eigene Welt. Eine echte Oase der Ruhe und Friedlichkeit.“

Bietigheim kannte Kew Gardens und das Temperate House gut. Und schätzte sie ebenfalls. Vielleicht war an diesem Studenten doch nicht alles verkehrt. „Also gut, schießen Sie Ihr Foto von mir.“ Bietigheim stellte sich ans Ufer des Cam, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, das Gesicht in Denkermanier.

Zwei Fragen hatte er dem jungen Broadbent noch nicht gestellt, obwohl sie seit seiner Ankunft in Cambridge in seinem Kopf herumspukten wie ruhelose Poltergeister.

„Woran ist der Earl gestorben?“

„Man fand Tee in seiner Speiseröhre. Zuerst dachte man, er sei daran erstickt. Doch die Todesursache war ein Schädelbruch, verursacht durch einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand.“

Würde wohl doch nichts werden mit der Ruhe. „Haushaltsvakuumierer“, murmelte Bietigheim.

„Was?“

„Und woran ist Cleesewood gestorben?“

„Was Sie eben sagten, klang aber eher wie Haushaltsvakuumierer.“

„Nein, das habe ich nicht gesagt.“

„Doch.“

„Nein. Und wenn ich jetzt keine Antwort auf meine vor sicher drei Minuten an Sie gestellte Frage von Ihnen bekomme, drehe ich mich auf dem Absatz um und gehe, rufe aus meinem Büro Ihre Redaktion an und sage, dass Sie Ihre Quelle erfunden haben und ich einen Rechtsanwalt einschalte.“

„Das würden Sie nicht wagen!“

„Woran ist er gestorben? Das Universum ist endlich, und um meine Geduld steht es nicht besser.“

„Man weiß es nicht.“

„Wie bitte?“

„Die Todesursache konnte nicht ermittelt werden. Offiziell heißt es, er sei an dem Tee gestorben, der auch in seiner Speiseröhre gefunden wurde, aber das stimmt wohl nicht. Es ist ein Rätsel.“ Broadbent blickte auf seine Schuhe. Das hatte er zuvor noch nicht getan.

„Da ist noch etwas. Spucken Sie die Information aus. Und nehmen Sie endlich Haltung an. Sie stehen da wie ein nasser Sack in der Kurve.“

„Ich fange an, Sie ins Herz zu schließen.“

„Werden Sie ja nicht frech! Wissen Sie was? Ich gehe nun, Ihre Zeit ist um, die Information werde ich auch andernorts erhalten.“

Broadbent baute sich vor dem Professor auf, doch der umschiffte ihn einfach. Da der junge Kotelettenträger sich nicht traute, Bietigheim aufzuhalten, musste er zügigen Schritts neben ihm hergehen.

„Okay, ich gebe Ihnen die Info ja schon. Sie sind ein ganz schön harter Hund, obwohl Sie gar nicht so aussehen. Das ist ein Kompliment! Was ich Ihnen noch sagen wollte, weil ich ein guter Student bin, den man nirgendwo anzuschwärzen braucht: Der Tee, den man in den Speiseröhren der beiden Ermordeten fand, war der Gleiche, welcher auch zum Füllen der Punting-Boote genutzt wurde.“

„White Darjeeling?“

Broadbent nickte. „White Darjeeling. Ich hoffe, das trifft Ihren Geschmack.“

„Und wo bekommt man diesen Tee in Cambridge?“

„Diese spezielle Sorte nur in Auntieʼs Tea House. Dort behauptet man jedoch, nicht zu wissen, wer ihn gekauft hat. Ich glaube denen kein Wort. Ist ohnehin ein komischer Laden. Ständig suchen die Personal, da hält es wohl keiner lange aus. Die Chefin muss eine fürchterliche Schreckschraube sein.“

Carsten Sebastian Henn

Über Carsten Sebastian Henn

Biografie

Carsten Sebastian Henn, geboren 1973 in Köln, besitzt einen Weinberg an der Terrassen-Mosel, hält Hühner und Bienen und teilt sein Leben mit Katzen. Er arbeitete nach seinem Studium als Radiomoderator und ist heute als freier Weinjournalist und Restaurantkritiker tätig. Er veröffentlichte zahlreiche...

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