Wie bist du auf die Idee zu Cortex gekommen?
Als Journalist bekam ich im Labor eines Max-Planck-Instituts eine Petrischale in die Hand gedrückt. Darin sah ich kleine, fleischfarbene Knödel auf einer Nährlösung. In der Sekunde, als die Forscherin mir sagte, was das war, wusste ich: Das war der Stoff für meinen nächsten Thriller. Es waren Miniatur-Gehirne, gezüchtet aus menschlichen Stammzellen.
Hattest du in diesem Moment eine Frankenstein-Assoziation?
Allerdings.
Wie bist du vom Journalismus zur Belletristik gekommen?
Je länger ich sachlich und faktisch über Wissenschaft berichtet habe, desto stärker wuchs in mir der Wunsch, auch in die Fiktion auszubrechen. Es fühlte sich an wie die Sehnsucht, an einen fernen, exotischen Ort zu reisen. Wie die Lust auf einen schönen Traum. Fiktionales Schreiben ist wie Tagträumen.
Du hast neben Physik auch Theaterwissenschaft studiert, sind das zwei Seelen in einer Brust oder sind das Bereiche, die sich gegenseitig beflügeln?
In Filmen und Theaterstücken sind Physiker ja oft grotesk überzeichnete Charaktere. Hilflose Nerds, siehe Dürrenmatt. Und es gibt sie tatsächlich. Gleichzeitig gibt es auch Menschen, bei denen sich die Neigungen zu Mathematik, Musik und Sprache nicht gegenseitig ausschließen. Wobei ich zugeben muss, dass es bei mir mit der Musik nichts geworden ist.
Cortex spielt an vielen ungewöhnlichen Schauplätzen, was hat es mit diesen auf sich?
Ich hatte das Glück, von Kind auf viele hochspannende Orte kennenzulernen. Das habe ich als Student fortgesetzt. Später kam ich beruflich herum, besuchte Universitäten in Indien und Iran, das Atomkraftwerk von Tschernobyl oder den höchsten Staudamm der Welt in den Bergen Sichuans in China. Ich verrate jetzt mal nicht, welche dieser Orte in Cortex auftauchen.
Cortex ist ein sehr komplexer Thriller mit unterschiedlichen Handlungssträngen, die am Ende auf meisterhafte Weise zusammengeführt werden. Wie gehst du beim Schreiben vor?
Puh, vielen Dank für das Lob. Tatsächlich durchlaufe ich immer wieder Phasen tiefer Selbstzweifel. Jedenfalls habe ich mich für Cortex gezwungen, den Plot einigermaßen zu strukturieren, bevor ich mit dem eigentlichen Schreiben begann. Das lässt sich allerdings nur bis zu einem gewissen Grad durchhalten. Beim Schreiben kommen viele Ideen hinzu, die auf Seitenwege führen oder den geplanten Plot durchkreuzen, und man muss die Stränge neu flechten.
In Cortex spielt moderne Biotechnik eine große Rolle, wie hast du hierzu recherchiert?
Die vorhin genannten Mini-Gehirne sind Teil eines erstaunlichen, von der Öffentlichkeit noch zu wenig beachteten Forschungsgebiets. Als Wissenschaftsjournalist hatte ich Zugang zu wissenschaftlichem Material wie auch zu Expertinnen und Experten. Auch konnte ich über die Jahre viel von SZ-Kolleginnen und Kollegen lernen, die selbst Biochemie und Medizin studiert hatten.
Wie realistisch ist das Szenario aus Cortex?
Das Genre, in dem sich Cortex bewegt, ist nicht Science Fiction. Es geht also nicht um eine komplett erfundene Welt, oder um eine Geschichte, die in ferner Zukunft spielt. Cortex spielt im hier und heute, und die beschriebene Forschung ist real, auch wenn, klar, in einem Thriller ein bisschen überspitzt wird. Michael Crichton war der Großmeister dieses Genres. Die Forschung aus „Jurassic Park“ war realistisch, auch wenn das Ausbrüten von Dinosauriern letztlich noch nicht funktioniert. Andererseits bringt die Wissenschaft immer wieder Dinge hervor, die niemand für möglich gehalten hätte. Kürzlich wurde einem Mann ein Schweineherz implantiert. Und ethische Grenzen werden früher oder später überschritten. Insofern: Wer weiß, vielleicht wird das Szenario in Cortex eines Tages von der Wirklichkeit überholt.
In Cortex steht eine starke Frauenfigur, die Journalistin Livia, im Mittelpunkt: Sie recherchiert zu einem Flugzeugabsturz und kommt dabei einem ungeheuerlichen Komplott auf die Spur. Warum hast du dich für eine weibliche Heldin entschieden?
Mit meiner Frau und meinen beiden inzwischen erwachsenen Töchtern bin ich von drei wunderbaren, starken Menschen umgeben. Ich spüre jeden Tag, dass Frauen wie sie die James Bonds, Philip Marlowes und Jack Reachers der Zukunft sein werden. Das ist kein anbiedernder Feminismus, sondern schlichte Realität. Livia ist unerschrocken und mutig. Ihre Neugier bringt sie aber auch in Teufels Küche. Und wie Livia als Journalistin tickt, das kenne ich – ganz genderneutral – aus meinem eigenen Berufsleben.
Die erste Bewertung schreiben