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Briefe an mein jüngeres Ich

Briefe an mein jüngeres Ich - eBook-Ausgabe

Außergewöhnliche Menschen über das, was im Leben wirklich zählt

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Briefe an mein jüngeres Ich — Inhalt

„Mein jüngeres Ich wäre erstaunt über mein Leben!“

Was würden Sie Ihrem 16-jährigen Ich heute sagen? Würden Sie ihm erzählen, was Sie inzwischen alles gelernt haben über die Liebe, das Leben und den Tod? Die Größen aus Kunst, Kultur und Politik machen es in diesem Buch vor: Sie erinnern sich an ihre Jugend – an Sorgen und Ängste, Hoffnungen und Freuden – und malen sich aus, was sie ihrem früheren Ich raten würden. Die klugen Antworten und berührenden Geschichten bewegen nicht nur, sie sind auch wunderbare Lektionen, die uns liebevoll darauf hinweisen, mit sich und dem Leben nicht allzu streng ins Gericht zu gehen.

„Ein nachdenkliches, lustiges und bewegendes Buch.“ The National Scot

„Wie alle guten Ideen ist auch diese einfach. Berühmte Menschen, von Hollywood-Stars bis zu Sporthelden, wurden gefragt, was sie der jüngeren Version von sich selbst sagen würden. Die Antworten sind eine großartige Lektüre.“ Sunday Mirror

„Diese Sammlung ist voll von aufschlussreichen Geschichten, die Sie dazu bringen werden, darüber nachzudenken, wie Sie Ihr eigenes Leben leben und wie Sie es in Zukunft leben wollen.“ Woman's Weekly



€ 21,99 [D], € 21,99 [A]
Erschienen am 30.09.2021
Herausgegeben von: Jane Graham
Übersetzt von: Viola Krauß
384 Seiten
EAN 978-3-492-60025-5
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Leseprobe zu „Briefe an mein jüngeres Ich“

John Bird

Mitgründer des Big Issue

Der Ratschlag, den ich meinem jüngeren Ich geben würde, lautet: „Lass dich nicht erwischen.“ Denn mit meinen sechzehn Jahren saß ich im Gefängnis – ich hasste die ganzen staatlichen Einrichtungen und die Zwangsgemeinschaft mit den Jungs. Ich hasste Jungs; ich hasste ihr Leben, ihren Geruch und das, womit sie sich beschäftigten. Mädchen dagegen liebte ich so sehr, dass ich trauerte. Nicht, weil ich Unrecht getan hatte, sondern weil ich mich der Anwesenheit von Mädchen beraubt hatte.

Jungs mochte ich außerdem deshalb nicht, [...]

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John Bird

Mitgründer des Big Issue

Der Ratschlag, den ich meinem jüngeren Ich geben würde, lautet: „Lass dich nicht erwischen.“ Denn mit meinen sechzehn Jahren saß ich im Gefängnis – ich hasste die ganzen staatlichen Einrichtungen und die Zwangsgemeinschaft mit den Jungs. Ich hasste Jungs; ich hasste ihr Leben, ihren Geruch und das, womit sie sich beschäftigten. Mädchen dagegen liebte ich so sehr, dass ich trauerte. Nicht, weil ich Unrecht getan hatte, sondern weil ich mich der Anwesenheit von Mädchen beraubt hatte.

Jungs mochte ich außerdem deshalb nicht, weil sie feige waren und sich zusammenrotteten, um andere zu schikanieren. Oder um die Kleineren zu vermöbeln. Gleichberechtigung gab es bei ihnen nicht. Manchmal verprügelten sie mich, weil ich mich gegen die Schikanen wehrte. Irgendwann konnte ich mich aber revanchieren, weil ich immer stärker wurde, oder weil ich mich mit noch größeren Jungs zusammentat. Von mir und einem anderen Kerl, dem die Schikanen zuwider waren, wurden einige spektakuläre Racheangriffe angezettelt.

Mit sechzehn steckte ich wegen des Erschleichens von Geld drei bis fünf Jahre in einer Erziehungsanstalt. Außerdem war ich kurz vor meinem sechzehnten Geburtstag abgehauen, hatte mit einem anderen Jungen gemeinsam einen Austin-Healey Sprite geknackt und ihn bei 140 km/h zu Schrott gefahren. Die Polizei meinte, wir seien mit 165 Sachen unterwegs gewesen, und ich glaubte ihnen, bis mir ein Autoliebhaber erzählte, dass das Lenkrad schon bei 140 unkontrollierbar ruckelt und ich die Polizei auf Entschädigung für diese Falschaussage verklagen sollte.

Ich wurde ins Jugendgefängnis für Jungen in Ashford gesteckt und machte dort innerhalb weniger Monate eine große Veränderung durch. Ein Gefängniswärter, der begriff, dass ich nicht richtig lesen konnte, drückte mir ein Buch in die Hand. Sämtliche Wörter, die ich nicht verstand, sollte ich mit einem Bleistift unterstreichen. Es verdutzte ihn, was für Wörter ich kannte, und es verdutzte ihn genauso, was für blöde kleine Wörter ich eben nicht kannte, nämlich diejenigen, die einem Satz überhaupt erst Bedeutung verliehen.

Als ich in die Erziehungsanstalt zurückkehrte, hatte meine Lesekompetenz einen Riesensprung gemacht, innerhalb weniger Wochen – und das nur, weil ich mich getraut hatte, meine Leseschwäche einzugestehen. Mein großes Glück war, dass ich vor Baroness Wootton geführt wurde, die seit meinem zehnten Lebensjahr das Strafmaß für meine Vergehen wie Ladendiebstahl, Einbruch, Schuleschwänzen und Fahrradklau bestimmt hatte. Ich kehrte also zurück und las wie ein Besessener, seitdem lese ich ohne Unterlass und tue nicht mehr länger nur so, als ob. Allerdings hatte ich mit meinen sechzehn Jahren noch ein paar Jahre Gefängnis vor mir, und die Gesellschaft von Jungs und ihre widerliche, engstirnige Art. Was also tun?

Ich beschloss, Maler zu werden. Nicht Maler und Lackierer – ich zeichnete und malte und hielt mich von den Schwachköpfen fern, die über Mädchen redeten, als seien sie ein Stück Fleisch, über schnelle Karren, Fußball und den ganzen Macho-Scheiß. Und ich kämpfte für die Rechte der Schwachen in diesem blutrünstigen Tyrannen-Verein. Dass ich dabei mehr Prügel kassierte als austeilte, muss ich wohl kaum erwähnen, aber dafür konnte ich mich wie ein edler Ritter fühlen. Auch das Dasein als gläubiger Katholik inspirierte mich – ich fühlte mich umgeben von Gott. Ich wollte ein Hohepriester der Malerei werden wie Piero della Francesca, einer der größten Maler, die je den Pinsel geschwungen haben.

Meinem jüngeren Ich würde ich nicht nur raten, sich nicht erwischen zu lassen, sondern gar nicht erst Unrechtes zu tun, damit er den langen Arm des Gesetzes nicht fürchten muss. Und auch nicht die schrecklichen, miefenden, furzgebadeten Knabenerziehungsanstalten, wo die Jungs um die Wette prahlen oder wichsen.

Dem jüngeren John würde ich außerdem Folgendes raten: Lass dich nicht vom Hass auf deine Geschlechtsgenossen auffressen. Lass dir nichts zuschulden kommen, sonst wirst du es irgendwann büßen. Bekämpfe die Leute nicht nur um des Kampfes willen. Und lass die Pinsel weiter kreisen – nur durch Fleiß wirst du das Genie werden, für das du dich hältst.

Ansonsten wünschte ich, ich hätte meinem jüngeren Ich hinter die Ohren schreiben können, dass meine Mutter schon früh sterben wird. Sie ging von uns, als ich Anfang zwanzig war, und das war vielleicht der größtmögliche Rückschlag meines Lebens. Noch heute zucke ich zusammen, wenn sich jemand bei mir darüber beschwert, was für eine Last die eigenen Eltern darstellen. Ich wünschte, ich hätte noch eine Mutter oder einen Vater, die mir sagten, dass ich mein Leben versaue, oder mir grottenschlechte Ratschläge gäben.

Meine Verachtung für Männer löste sich auf, als ich selbst Vater von zwei Jungs wurde. Meinem jüngeren Ich hätte ich gern ans Herz gelegt, dass jeder von uns tiefgründig sein kann, nur manchmal muss man eben etwas tiefer graben. Außerdem würde ich ihm sagen, dass es Frauen sein werden, die aus John Bird mehr als die Summe seiner Fehler machen werden: meine drei Ehefrauen und meine Schwiegermütter, die mir gegenüber allesamt nie voreingenommen waren. Vielleicht sogar Anita Roddick, die die revolutionäre „Peppermint kühlende Fußlotion“ erfunden hat und dadurch mir und ihrem Ehemann Gordon helfen konnte, das Big Issue in die Welt zu setzen.

Zusammenfassend würde ich meinem jüngeren Ich sagen: „Du wirst es weit bringen und den Weg gemeinsam mit vielen anderen gehen. Denn kein Mensch ist eine Insel.“ Gleichzeitig aber auch: „Hör auf, anderen den Weg zeigen zu wollen.“ Denn erst heute weiß ich, dass die Menschen sich mit ihren eigenen Fähigkeiten und Talenten verbinden und nicht auf die nächste „Mutter Teresa“ warten müssen, die sie aus dem Schlamassel führt.

 

Billie Jean King

Tennisspielerin

5. Februar 2018

Ich wollte schon immer die Welt verändern. Mit zwölf hatte ich eine Erleuchtung, als mir aufging, dass beim Tennis alle weiße Schuhe und weiße Kleidung trugen und mit weißen Bällen spielten – und alle Spielerinnen und Spieler ebenso weiß waren. Ich fragte mich: „Wo ist der ganze Rest?“ An diesem Tag schwor ich mir, dass ich mich den Rest meines Lebens für die Gleichberechtigung aller Menschen einsetzen würde. Und ich wusste, Tennis würde mir die Gelegenheit dazu geben. Das Konzept einer Plattform war mir damals noch nicht bekannt, aber ich wusste, dass ich die Nummer eins werden musste, um wirklich etwas bewirken zu können.

Klavierspielen war eigentlich meine erste Leidenschaft, doch zum Glück erkannte ich schnell, dass mein Talent nicht ausreichte. Was mir und meinem Bruder aber sehr wohl in die Wiege gelegt worden war, war ein sehr gutes Ballgefühl, und wir konnten auch schnell laufen. Seitdem ich mit elf das zweite Mal einen Tennisschläger in der Hand hatte, wollte ich die beste Spielerin der Welt werden. Mit sechzehn war ich also bereits fünf Jahre lang auf meiner Mission und schlug mich allmählich ganz gut bei Erwachsenenturnieren. Wimbledon schien damals meilenweit entfernt von Südkalifornien, doch nachdem ich in drei Sätzen gegen Anne Jones verloren hatte, meinte der Sportagent Harold Guiver, mit seiner Hilfe würde ich es dorthin schaffen. Ich lehnte ab. Ich fühlte mich nicht bereit. Ein Jahr später, mit siebzehn, hatte ich das Gefühl, seiner Aufmerksamkeit würdig zu sein, und ging wieder auf ihn zu. Tennis brachte damals noch kein Geld ein. Wir spielten aus reiner Leidenschaft und verdienten 14 US-Dollar am Tag. 1968 wurde Tennis dann endlich zum Profisport, doch unsere Preisgelder waren weit niedriger als die der Männer, und deshalb riefen wir 1970 die Women’s Tennis Association (WTA) ins Leben.

Da meine Eltern die Große Depression mitgemacht hatten und mein Dad im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatte, brachten sie uns bei, kein Risiko einzugehen. „Wenn du kein Geld hast, dann gib’s auch nicht aus.“ Mit zehn setzte mich meine Mutter hin und erklärte mir unser Haushaltsbudget. Das war eines der besten Dinge, die sie je für mich getan hat, denn mir war überhaupt nicht klar gewesen, dass jedes Lichtanknipsen Geld kostete, und jede Autofahrt auch. Da mein Dad als Feuerwehrmann arbeitete, waren wir stets knapp bei Kasse, doch meine Eltern brachten mir den Umgang mit Geld bei, und dafür bin ich noch heute dankbar.

Ich hätte unglaublich gern mit Martin Luther King protestiert, doch zum damaligen Zeitpunkt schwang ich nun mal den Tennisschläger. Als er 1963 seine „I have a Dream“-Rede hielt, war ich neunzehn und Feuer und Flamme. Dann wurde an meinem zwanzigsten Geburtstag JFK ermordet, anschließend Martin Luther King und dann auch noch Robert Kennedy. Sie alle fielen in den Sechzigern Attentaten zum Opfer, und ich liebte jeden Einzelnen von ihnen. Ich hätte mich mehr engagiert, wenn ich Gelegenheit dazu gehabt hätte – oder mutig genug gewesen wäre. Aber mir fielen viele Dinge auf, und dadurch wurde ich politisiert. Als wir versuchten, die Tenniswelt zu verändern, zog ich voll mit. Ich kämpfte dafür, dass der Title IX (§ 9) des United States Education Amendments 1972 verabschiedet wurde, einem extrem wichtigen Gesetz für die Chancengleichheit von Frauen und Männern im Wettkampfsport. Ende der Sechziger hatte ich also vieles verstanden und auch die Möglichkeit zu helfen, aber ich schwang nun mal immer noch den Tennisschläger. Ich hoffte, dass mir jeder Schlag ein bisschen mehr Gehör verschaffte, aber ich hatte ein schlechtes Gewissen. Ich wollte wirklich etwas verändern.

Inzwischen habe ich nicht mehr viel Tennis im Kopf, doch mein jüngeres Ich wäre sehr stolz auf meine Siege in Wimbledon und meine Gipfelstürme auf Platz 1 der Weltrangliste gewesen. Doppel spielte ich übrigens lieber als Einzel, weil ich mit Teamsportarten groß geworden war. Mein jüngerer Bruder war Profi-Baseballer bei den San Francisco Giants. Wir liebten den Druck, er spornte uns zu Höchstleistungen an. Ich sage immer, dass Leistungsdruck ein Privileg ist, und dass Champions gut damit umgehen können. Und damit meine ich Lebens-Champions, nicht nur Sport-Champions.

Als Vorkämpferin kann es einsam um einen werden. Zwischen uns neun Gründerinnen der WTA-Tour herrschte große Solidarität, doch von den anderen Spielerinnen und Spielern wurden wir geächtet. Es waren harte Zeiten. Tag für Tag fragte ich mich, was gewesen wäre, wenn ich nicht gegen Bobby Riggs gewonnen hätte.[1] Zwei Jahre lang ist er mir hinterhergelaufen und von mir abgewiesen worden, doch als Margaret Court gegen ihn gespielt und verloren hatte, wusste ich, was zu tun war. Mir war klar, es würde ein Riesending werden. Alle würden komplett durchdrehen. Und tatsächlich sprach die ganze Welt über diesen Wettkampf. Mir war also bewusst, wie wichtig dieser Sieg sein würde.

Wohlgefühlt in meiner Haut habe ich mich erst mit 51. Es hat also ewig gedauert. Meinem jüngeren Ich würde ich deshalb sagen: „Du wirst es eine Zeit lang schwer haben mit deiner Sexualität (woraufhin sie erwidert hätte: Hä? Sexualität, was ist das?), aber am Ende wird alles gut.“ Meine Mutter sagte gerne: „Sei dir selbst treu“, doch das ist mir extrem schwergefallen, wo meine Mutter doch so homophob war. Wie wir hier auf einen grünen Zweig kommen wollten, war also eine spannende Frage. Mein Dad lenkte schneller ein. Meine Mutter brauchte Zeit, sie hatte mehr Schwierigkeiten, sich auf mich einzulassen. Ich versuchte herauszufinden, wer ich war, und ging mit unterschiedlichen Leuten aus, aber schnelle Affären sind nichts für mich. Erst als ich in einer festen Beziehung war, wurde alles gut. Ilana und ich sind jetzt seit dreißig Jahren zusammen, und bei ihr hatte ich endlich das Gefühl, angekommen zu sein.

Meine Vorlieben sind ein bisschen verwirrend – ich stehe nämlich mehr auf männliche Körper. Auf einer Party schaue ich mir also Männerkörper, aber Frauengesichter an. Bei den Frauen geht es mehr um Gefühl und Verbundenheit. Im Moment bin ich Lesbe. Ich bin queer. So nennen es die jungen Leute heute. Früher war es das Schlimmste, was man sagen konnte, aber ich frage immer die jungen Leute. Wenn die queer sagen, dann passt das. Es ist wichtig, dass man auf dem Laufenden bleibt. Als ich noch den Tennisschläger schwang, hätte ich gern mehr Zeit gehabt, um die LGBTQ-Community zu unterstützen. Ich wusste damals noch nicht so genau, wer ich bin, war also eine ziemliche Spätzünderin.

Meine Mom und mein Dad sind von mir gegangen, aber ich rede jeden Tag mit ihnen. Ich habe keinen Schimmer, ob sie mich hören, aber ich rede mit ihnen. Ich sage: „Was haltet ihr davon?“, und meistens weiß ich, was sie darauf geantwortet hätten. Sie waren sehr streng und forderten Ehrlichkeit, Integrität und Rechtschaffenheit von uns. „Zuallererst müsst ihr mit euch selbst im Reinen sein, weil ihr euch selbst ertragen müsst.“ Mein Gott, wie lieb und brav meine Eltern waren.

Am Ende ist mein Leben schöner geworden, als ich es mir hätte erträumen können. Hätte mir jemand erzählt, dass ich einmal jahrelang die Nummer eins der Weltrangliste sein würde, dass zwei Filme über mich gedreht werden würden – der eine mit Holly Hunter, der andere mit Emma Stone – und dass es einen Song über mich geben würde, nein, sogar mehrere Songs, ob ich ihm wohl geglaubt hätte? Auf gar keinen Fall.

Jede Generation muss sich für Gleichberechtigung stark machen. Der Kampf ist nie gewonnen. Dass Trump US-Präsident geworden ist und die Zeit zurückdreht, ist ein echter Schock. Das Pendel schwingt in die falsche Richtung, und das ist unsere eigene Schuld. Die Kids und die Millennials sind allerdings so überzeugt von Integration und Inklusion wie keine Generation vor ihnen, deswegen können sie es schaffen. Das ist meine Hoffnung. Die kriegen das hin. Die werden alles umkrempeln. Ich wünschte, ich könnte noch mal so jung sein, denn ich würde das Ding so was von rocken! Die Gelegenheit ist da, die Welt tatsächlich zu einem besseren Ort zu machen. Besser, als wir ihn uns erträumen könnten …


Alice Cooper

Musiker

24. Oktober 2011

Mit sechzehn verbrachte ich meine gesamte Zeit mit Trainieren und Proben. In der Schule war ich Leistungssportler im Langstreckenlaufen und spielte außerdem in einer kleinen Band namens The Spiders – die Ursprungsband von Alice Cooper. Weil ich so viel trainierte und probte, kamen die Hausaufgaben dabei zu kurz. Die Jungs in der Band hatten immer Freundinnen, die ihnen die Hausaufgaben machten. Kennen Sie den Film Ferris macht blau? Ich war Ferris, der Klassenclown, der Klassenschwindler.

Ich würde mein sechzehnjähriges Ich mögen, wenn ich den Kerl heute träfe. Er hatte eine coole Persönlichkeit. „Folge stets deinem Instinkt, der ist echt gut“, würde ich zu ihm sagen. Ich hatte damals ein paar gute Ideen, und die habe ich durchgezogen. Ich schaute mich um und dachte: „In der Rockmusik will keiner der Fiesling sein.“ Und so habe ich Alice erschaffen. Ich wollte nicht wie die anderen sein; ich wollte komplett anders sein. Mit so einer Einstellung, mit einem Gespür für echt gute Rockmusik und mit der Fähigkeit, sie auch zu spielen, kann man es sehr weit bringen. Wir waren sogar so anders, dass die übrigen Bands meinten, wir hätten nicht die geringste Chance. Die meisten von denen sind von der Bildfläche verschwunden, und ich bin immer noch da, 27 Alben und vierzig Welttourneen später.

Mein Dad war ein Pastor mit starkem Glauben, aber er liebte auch die Musik – Sinatra und den frühen Rock’n’Roll. Rock hielt er nie für Teufelszeug, er meinte, das sei doch nur Musik, warum wollten die Leute das Ganze unbedingt zum Religionsproblem machen? Er mochte unsere Band, und er verstand unseren Humor, meine Verkörperung von Captain Hook. Wir haben uns nie angeschrien und waren immer supergute Freunde. Was er aber auf gar keinen Fall dulden konnte, das war unser Lifestyle – täglich Alkohol, das ganze typische Leben eines Rockstars. Das war nicht das Leben, das er sich für mich wünschte.

Mein Teenager-Ich wäre wohl erstaunt darüber, wie lange seine spätere Karriere andauern würde. Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir School’s Out veröffentlicht hatten – da war ich ungefähr 22 –, als jemand zu uns kam und sagte: „Eure Platte ist gerade auf Platz eins gestiegen.“ Wir schauten uns an und lachten los. Wie absurd, dass eine Band, die beinahe nicht mal zusammengeblieben wäre, einen Nummer-eins-Hit landen kann. Wir konnten es nicht fassen – diese kleine Highschool-Band, die alle hassten, war plötzlich Nummer eins.

Ich war mir trotzdem absolut sicher gewesen, dass ich ein Rockstar werden würde. Daran hatte ich nicht den geringsten Zweifel. Wir würden alle nicht aufgeben, ehe wir das geschafft hatten. Wir waren wild entschlossen. Als Langstreckenläufer gibst du nicht einfach auf. Du denkst: Dieses Rennen ist erst vorbei, wenn ich gewonnen oder wenigstens die Ziellinie erreicht habe. Und wahrscheinlich hängt das Ganze auch damit zusammen, wie wir mit unserer Musikkarriere umgehen. Mick Jagger meinte mal, er hoffe, dass er mit dreißig nicht immer noch Satisfaction singen müsse. Tja, und jetzt singt er es noch mit 67. Ich habe das alles immer ganz easy genommen. Wenn ich gebeten werde, die Grammys zu moderieren, juckt mich das nicht. Ich bin für die Bühne gemacht. Dort bin ich in meinem Element.

Wenn ich könnte, würde ich dem sechzehnjährigen Kid raten, nicht so viel zu trinken. Angefangen habe ich das erst mit einundzwanzig, und damals war mir nicht klar, dass ich davon irgendwann süchtig werden würde. Den Großteil meiner Karriere war ich ein funktionierender Alkoholiker, aber nie ein Monster. Besoffen war ich fröhlich, nicht destruktiv, fies, grausam oder dumm. Ich war genauso wie jetzt, nur dass mich der Alkohol von innen kaputt machte. Mit meiner Frau bin ich seit fünfunddreißig Jahren verheiratet. Die ersten fünf Jahre davon habe ich wahrscheinlich am heftigsten gezecht, aber auf unsere Beziehung hat sich das nie negativ ausgewirkt. Erst als die Trinkerei anfing, mich umzubringen, sind wir ins Krankenhaus. Das war also echt übel – andererseits war mein Sieg über den Alkohol absolut wichtig für mich. Dass ich diesen Kampf durchgestanden und am Ende gewonnen habe, ist bis heute eine Lektion für mich. Und jetzt, wo die Sucht nicht mehr Teil meines Lebens ist, habe ich fast keine Sorgen mehr.

Bis heute habe ich ungefähr achtzehn Filme gedreht. Es war keine große Sache, mit der Schauspielerei anzufangen; es war ja schon immer irgendwie eine Broadway- Show, wenn Alice Cooper die Bühne betrat, und ich hatte eine Menge Erfahrung darin gesammelt. Für den Film musste ich mir also nur noch etwas Technik draufschaffen – kleinere Bewegungen machen und so was. Ansonsten hatte ich schon jahrelang eine Figur verkörpert. Alice ist ein fieser, arroganter Kerl. Es macht Spaß, ihn zu spielen – er ist so anders als ich, dass es fast schon therapeutisch ist. Mein echtes Ich ist ein Familienvater, der seit fünfunddreißig Jahren glücklich verheiratet und total treu ist. Ich gehe mit meinen Kids in die Kirche und hänge mit ihnen ab. Wir besuchen zusammen Konzerte – von Snoop Dog oder Marilyn Manson zum Beispiel –, und anschließend reden wir darüber. Meine Tochter sagt dann so was wie: „Müssen die echt so viel fluchen?“, und ich sage: „Nee, müssen sie nicht, man kann die Leute auch anders unterhalten.“

Ich bin froh, dass mein Dad noch erleben durfte, wie ich mich wieder dem Glauben zugewendet habe. Das war ein großer Augenblick für ihn. Der verlorene Sohn war zurückgekehrt. Nach dem Sieg über meine Alkoholsucht fanden meine Frau und ich, dass wir uns Gedanken darüber machen müssen, was wirklich wichtig ist, und dass wir wieder in die Kirche sollten. Rockstar ist bloß ein Beruf – und der ist nicht wichtiger als deine Seele, als das, woran du glaubst. Und du musst Rechenschaft ablegen können vor Gott. Ich denke, diese Einsicht ist Teil meiner DNA. In meinen Shows gab es nie irgendetwas Blasphemisches – wenn überhaupt, dann habe ich mich über Satan lustig gemacht. Und dagegen hatte Gott bestimmt nichts einzuwenden.

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