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Am blauen FlussAm blauen Fluss

Am blauen Fluss

Carmen Rohrbach
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Entlang der Donau vom Schwarzwald bis zum Schwarzen Meer

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Am blauen Fluss — Inhalt

Von der Quelle bis zur Mündung verbindet die Donau zehn Länder und legt 2888 Kilometer zurück. Mit der für sie typischen Neugier und feinen Beobachtungsgabe macht sich Carmen Rohrbach zu einer abenteuerlichen Fahrradtour auf, von Baden-Württemberg bis Rumänien. Dabei lernt sie die unterschiedlichen Kulturen kennen, sucht die Begegnung mit Einheimischen und erkundet die landschaftliche Vielfalt eines der wichtigsten Flüsse der Welt. Ein faszinierender Bilderbogen über einen der ältesten Handelswege und eine der eindrucksvollsten Kulturlandschaften Europas.

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erschienen am 01.03.2018
304 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-40439-6
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€ 12,99 [D], € 12,99 [A]
Erschienen am 31.08.2015
288 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-97169-0
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Leseprobe zu „Am blauen Fluss“

Einleitung

Wenn man die Bäche Brigach und Breg betrachtet, die sich bei Donaueschingen zur jungen Donau vereinigen, kann man kaum glauben, zu welch gewaltigem Strom sich das Flüsschen noch entwickeln wird. Nach 2888 Kilometern – von der Bregquelle ab gemessen – wird die Donau der zweitlängste Fluss Europas sein, nur die Wolga ist noch länger. Mit nie versiegender Kraft bahnt sie sich durch Bergmassive den Weg zum Schwarzen Meer. Mit ihren zahlreichen Nebenflüssen zieht sie sich wie ein grünes Band durch Mittel- und Südosteuropa, durchquert sowohl [...]

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Einleitung

Wenn man die Bäche Brigach und Breg betrachtet, die sich bei Donaueschingen zur jungen Donau vereinigen, kann man kaum glauben, zu welch gewaltigem Strom sich das Flüsschen noch entwickeln wird. Nach 2888 Kilometern – von der Bregquelle ab gemessen – wird die Donau der zweitlängste Fluss Europas sein, nur die Wolga ist noch länger. Mit nie versiegender Kraft bahnt sie sich durch Bergmassive den Weg zum Schwarzen Meer. Mit ihren zahlreichen Nebenflüssen zieht sie sich wie ein grünes Band durch Mittel- und Südosteuropa, durchquert sowohl verschiedene Naturregionen als auch mehrere Sprach- und Kulturräume. An ihre Ufer grenzen zehn sehr unterschiedliche Länder, und mit ihrer Mündung ins Schwarze Meer verbindet sie Europa mit Asien. Diese Vielfalt macht ihre Besonderheit aus und unterscheidet sie von anderen europäischen Flüssen.

Die Idee, der Donau auf ihrem gesamten Lauf zu folgen, ist allmählich entstanden, hat sich in mir verankert und entwickelt, bis der Plan so weit gereift war, dass ich ihn verwirklichen konnte. Ich gehöre zu den Menschen, deren Kindheit von einem Fluss geprägt wurde, von seinem sich bewegenden Wasser und der Frage, woher er kommt und wohin er fließt. Der Mensch, der an einem Fluss aufwächst und für diese Erfahrung empfänglich ist, wird frühzeitig spüren – und der Fluss zeigt es ihm beispielhaft –, dass man nicht an dem Platz, wo man geboren wurde, gefangen bleiben muss, dass ein Weiter und immer Weiter möglich ist, eine Fortbewegung in die Ferne.

Der Fluss, der mich so nachhaltig beeinflusst hat, hieß Unstrut. Schon der Name weckte meine Fantasie, er klang für mich nach unbezähmbarer Wildheit, nach Ungestüm, nach Strudel und Gefahr und beflügelte meine angeborene Lust auf Abenteuer. Die Unstrut fließt bei Naumburg in die Saale, mein Heimatort Freyburg liegt nur wenige Kilometer von Naumburg entfernt. Die Unstrut hat dort schon fast das Ende ihres Laufes erreicht, ist schätzungsweise 20 Meter breit und etwa zwei Meter tief.

Schwimmen hatte ich in einem See gelernt, die wilde Unstrut aber formte mich zu einem Wesen, das sich im Wasser sicher fühlt, sich seiner eigenen Fähigkeiten bewusst wird und gleichzeitig Respekt vor der Macht und Gewalt des Wassers hat. Ich ließ mich von der Strömung mitziehen, schwamm gegen sie an, tauchte mit weit geöffneten Augen hinab zum Grund, suchte zwischen bunten Kieseln nach goldenen Schätzen und fand lebende Flussperlmuscheln. Das Wasser der Unstrut war kristallklar und kalt.

Ich glaube, damals entstand in mir der Wunsch, Flüsse von ihrer Quelle bis zur Mündung zu erkunden. Meinem Heimatfluss konnte ich nicht folgen, denn noch bevor ich 14 Jahre alt war, zogen wir in eine andere Gegend. Erstmals habe ich diesen lang gehegten Plan an der Isar erprobt, um mich nun der Donau zu widmen, die sich schon durch ihre enormen Dimensionen von der Isar unterscheidet. Wie abenteuerlich wird eine Reise entlang dieses zweitgrößten Flusses Europas sein, der auf fast magische Weise durch das Herz des europäischen Kontinents führt?

Flüsse waren schon immer lebenswichtig für Menschen. Seit alters siedelten sie bevorzugt in den umliegenden Tälern, denn der Fluss lieferte zuverlässig das nötige Trinkwasser, und in den tierreichen Auen konnten die Jäger des Stammes gute Beute machen. Als die Menschen zum Ackerbau übergingen, zweigten sie das Flusswasser zur Bewässerung der Felder ab, tränkten ihre Tiere und ließen Mühlen „klappern“. Der Fluss wurde aber auch als praktischer Handelsweg genutzt und war zugleich Barriere, Schutz und Grenze gegen feindliche Nachbarn. Steine, Sand und Kies, die der Fluss anschwemmte, dienten als Baumaterial, und nicht zuletzt war der Fluss der große Saubermacher. Alles, was die Menschen loswerden wollten, wurde in den Fluss geworfen. Er trug den Abfall rasch außer Sichtweite. Trotzdem konnte das Wasser bei der nächsten Siedlung wieder getrunken werden, denn durch die natürliche Selbstreinigung mittels Wasserpflanzen, Algen und Mikroorganismen war es bald wieder rein. So waren Flüsse für die Menschen von unschätzbarem Wert. Orte, die an Flüssen lagen, wuchsen und gediehen. Die Donau als mächtiger Strom hat gleich vier Hauptstädte an ihrem Ufer erblühen lassen: Wien, Bratislava, Budapest und Belgrad.

Meine erste Idee, mit einem Paddelboot oder Kajak auf dem Fluss zu fahren, verwarf ich bald. Würde ich auf dem Strom dahingleiten, sähe ich nur wenig von der Umgebung. Das abenteuerliche Erlebnis, sich sportlich mit dem Element Wasser zu messen, wiegt für mich nicht die Begegnungen mit Menschen auf. Ich möchte erfahren, wie der Fluss das Land und seine Bewohner prägt, will die Dörfer und Städte an seinen Ufern kennenlernen, die Wiesen, Wälder und Moore auf der Suche nach Pflanzen und Tieren durchstreifen. Nur zu Fuß bin ich langsam genug, um Schritt für Schritt die Umwelt mit all ihren Schönheiten wahrzunehmen. Allerdings, an der Donau gibt es so gut wie keine Wanderwege, nur hin und wieder kieselharte Dammwege, vor allem aber asphaltierte Radwege. Autostraßen führen durch zersiedelte Landschaft und von Industrieanlagen geprägte Orte. In diesen Gegenden wäre das Wandern mühselig und unerfreulich. Die Lösung war daher eine Fahrrad-Wander-Kombination.

Um die Donau in voller Länge zu erforschen, teilte ich die Strecke in zwei Teile. Beide Male brach ich im Mai auf. Die erste Tour begann ich an der Quelle und fuhr bis nach Wien. Im Jahr darauf startete ich in Wien und radelte bis zur Donaumündung. Das hatte den Vorteil, dass ich beide Male im Frühling unterwegs war, wenn die Natur sich zu beleben beginnt, Blumen blühen und Vögel mich mit ihrem Gesang erfreuen. Vor allem aber erreichte ich das Delta bereits Ende Juni, bevor die extrem heißen Sommermonate begannen, die das Reisen erschweren.

In Deutschland und Österreich stellte ich das Rad öfter für ein paar Tage in einer Herberge ab und wanderte in landschaftlich reizvoller Umgebung abseits der Donau, um dann an den Ausgangspunkt zurückzukehren. Hin und wieder übernachtete ich im Zelt, zum Beispiel im Quellgebiet, in der Schwäbischen Alb, an der Schlögener Schlinge und in der Wachau. In den östlichen Donauländern verzichtete ich auf diese Art der Übernachtung, hatte aber für den Notfall, der nicht eintrat, ein Zelt dabei.

Ab Budapest spürte ich mehr und mehr einen unwiderstehlichen Sog, die Dynamik des Vorankommens setzte ein und zog mich mit sich. Jeden Morgen brannte ich darauf, meine Radtour entlang des Flusses fortzusetzen. Für Erkundungen in Nationalparks, wie dem Gemencer Wald oder im Naturschutzgebiet Kopački rit, nahm ich mir allerdings einen oder mehrere Tage Zeit, um der Natur näherzukommen und Tiere zu beobachten.

Für mein Empfinden war die Fahrradstrecke vom Schwarzwald bis nach Ungarn oft zu gut ausgebaut und beschildert. Ab Budapest gab es dann nur noch selten autofreie Dammwege. Meistens waren es Straßen, die ich mir auf dem Rad mit dem üblichen Verkehr teilen musste. Trotz der Gefahr durch rasante Autofahrer gefiel mir die Route ab Budapest weitaus besser als der bequeme und sichere Abschnitt davor, denn sie bietet mehr Herausforderungen, nicht nur in der Wegführung, sondern auch bei der Suche nach Übernachtungsmöglichkeiten und bei der Kommunikation mit der Bevölkerung in den verschiedenen Landessprachen.

Belohnt wurde ich für die Anstrengungen mit landschaftlicher Schönheit. Ungestörte Natur jedoch gibt es entlang der Donau nicht in dem Maße, wie ich sie mir gewünscht hätte, und schon gar keine vom Menschen unbeeinflusste Wildnis. Im dicht besiedelten Donauraum kann es sie nicht geben, ebenso wenig im Delta, wo rund 15 000 Menschen auf 25 Dörfer verteilt leben. Trotzdem kann man sich an einer reichen Pflanzen- und Tierwelt erfreuen, vor allem in Bulgarien.

Das bulgarische Donauufer war für mich neben dem Delta einer der absoluten Höhepunkte der gesamten Reise. In den Dörfern bekam ich eine Ahnung, wie Menschen früher in und mit der Natur in harmonischem Zusammenspiel gelebt haben. Nicht nur landschaftlich, auch kulturell fand ich die Route durch Bulgarien reizvoller als die Strecke am gegenüberliegenden, flachen rumänischen Ufer. Die bulgarische Donauseite verlangte mir aber wegen der vielen schönen Berge einiges an Kraft und Kondition ab.

Acht der zehn an der Donau gelegenen Länder habe ich durchquert. Zwei habe ich ausgelassen, nämlich Moldawien und die Ukraine, denn beide Länder berühren nur auf wenigen Kilometern die Donau. Während der Reise bekam ich immer mehr ein Gefühl dafür, wo die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Völkern liegen. Von Tag zu Tag entdeckte ich Neues, doch nicht nur Gegenwärtiges, sondern auch, was sich in vergangenen Jahrhunderten abgespielt hat. Wer sich auf die Donau einlässt, erlebt europäische Geschichte auf anschauliche Weise.

Bei den Kapitelüberschriften zu den einzelnen Donauländern gebe ich die Flusskilometer an, damit eine gewisse Vorstellung von den Entfernungen entsteht. Da jedoch mitunter zwei Länder auf einem Donauabschnitt jeweils ein Ufer beanspruchen, ist die Summe der von mir angegebenen Kilometer höher, als es der eigentlichen Länge der Donau entspräche. Die Fahrradkilometer werden bei jedem anders sein, je nachdem, welche Wegvariante man wählt und zu welchen abseits gelegenen Sehenswürdigkeiten man von der Hauptroute abweicht.

Gewundert habe ich mich, dass selten Transportschiffe auf der Donau unterwegs waren. Kreuzfahrtschiffe sieht man noch am häufigsten. Dabei wurde die Donau begradigt, kanalisiert und ihrer ursprünglichen Natur beraubt, weil der Warentransport ungeheuer wichtig und ökologisch sinnvoll erschien. Nur findet er kaum statt. Dieter Hildebrandt hat dies schon 1982 in seiner satirischen Sendung „Scheibenwischer“ prophezeit. Er sagte auf seine unnachahmliche Art: „Statt Schiff ahoi wird es heißen: Hoi, a Schiff.“

Durch Begradigung, Uferbefestigung, Anstauung, Kanal- und Schleusenbau ist der Donau viel angetan worden. Doch obwohl sie streckenweise ein technisch verbautes Gewässer ist, hat sie sich dennoch immer wieder großartige Naturräume bewahrt, die man durch Schutzgebiete und Nationalparks zu erhalten versucht.

 

Die Donau in Deutschland – 655 Kilometer

Den Ursprung dieses Flusses zu finden ist eine mühsame
und durchaus problematische Sache. Sosehr Menschen auch versucht haben, diesen speziellen Punkt in der Geographie zu ermitteln, den Geburtsort, die Quelle, so umfassend sind sie doch schließlich damit gescheitert. Wahrscheinlich kann man mit diesem Unterfangen auch nur scheitern – denn möglicherweise hat die Donau gar keinen Anfang. Vielleicht kreuzt sie einfach nur auf, kommt um die Ecke gebogen, zeigt sich plötzlich silbern schimmernd in der Landschaft.

Niels und Lars Hoffmann

 

Auf Quellensuche

Vom Kolmenhof nach Donaueschingen

 

Gleißendes Licht zerreißt den Himmel. Sekundenlang wird die Dunkelheit durchbrochen, der Donnerschlag folgt unmittelbar. Das Gewitter ist direkt über mir. Blitze schießen aus nachtdunklen Wolken auf die Erde herab, und ich stecke mittendrin. Ich bin im Schwarzwald unterwegs, ohne Schutz. Auf einem schmalen Bergsträßchen eile ich, so schnell ich kann, hinauf zum Kamm. Dort, irgendwo in 1100 Meter Höhe, soll der Berghof „Martinskapelle“ liegen. In der Nähe, so heißt es, entspringt die Donau.

Wenn Blitze das Land ringsum erhellen, erkenne ich schemenhaft schwarze Wälder und ausgedehnte Weiden. Die Wolken haben sich geöffnet, und Regen prasselt wie eine Sturzflut auf mich herab, nimmt mir die Sicht. Immer steiler geht es bergauf.

Endlich sehe ich gegen den Nachthimmel und verschwommen durch den Regenvorhang rechts am Weg eine Kapelle und direkt vor mir schattenhaft die Umrisse eines zweiten Gebäudes, das sich gegen die gewitterdunklen Wolken abhebt – meine Unterkunft. Triefend vor Nässe, lege ich im Vorraum meinen Regenumhang, die lehmverschmierten Wanderschuhe und den Rucksack ab und öffne die Tür. Der Gastraum wird von Kerzen warm beleuchtet, die Elektrizität ist wegen des Gewitters unterbrochen. Zwei Frauen und ein Mann blicken mir neugierig entgegen. Der Mann, dessen imposante Barttracht mich fasziniert – die Enden seines Schnurrbarts sind die Wangen hinaufgezwirbelt –, ist der Wirt Franz Dold.

Nach einer freundlichen Begrüßung setze ich mich zu den Wirtsleuten und erfahre, dass Franz Dolds Familie in der dritten Generation den wenige Meter weiter unten gelegenen Kolmenhof betreibt, den er inzwischen seinem Sohn überschrieben hat. Gemeinsam mit seiner Frau Karin hat er sich auf der Berghöhe mit dem Gasthaus „Martinskapelle“ ein neues Domizil geschaffen. Mir wird eine kräftige Linsensuppe serviert, dann zeigt mir die Wirtin mein Nachtquartier.

Das Gewitter verliert seine Kraft, aber unentwegt trommelt der Regen auf das Dach des Gästehauses, ein Geräusch, das ich noch beim Einschlafen höre. Erleichtert denke ich, wie gut es doch ist, dass ich nicht wie so oft bei meinen Reisen in meinem winzigen Zelt liege. Bei dieser Nässe wäre das recht ungemütlich.

Am Morgen hängen graue Wolken tief am Himmel. Ein durch den Gewitterregen angeschwollener Bach rauscht das mit Nebel gefüllte Bergtal hinab. Es ist die Breg, einer der zwei Quellflüsse der Donau. „Brigach und Breg bringen die Donau zuweg“, ein Spruch, den fast jedes süddeutsche Kind in der Schule lernt. Die Breg ist länger als die Brigach. Folgt man ihrem Lauf, sind es 2888 Kilometer bis zum Schwarzen Meer.

Die Frage, wo die Donau herkommt, hat Menschen bereits vor Tausenden von Jahren bewegt. Schon der römische Kaiser Tiberius schickte Suchtrupps zum nebelverhangenen, mystischen Ursprung des großen Stroms, den der griechische Sagenheld Jason mit seinen Argonauten befahren haben soll. Er hatte das Goldene Vlies geraubt und flüchtete vor kaukasischen Verfolgern auf seinem Schiff über das Schwarze Meer und von dort die Donau aufwärts. Eine historisch nicht belegbare Sage. Die Gelehrten der Antike vermuteten die Quelle wahlweise bei den Völkern der Skythen oder Kelten, im Harz, in den Alpen, den Pyrenäen. Der Schwarzwald war zu unbekannt und abgelegen, als dass er damals als Quellgebirge in Erwägung gezogen worden wäre.

Wie wird die Breg-Donau-Quelle aussehen? Ich wollte mich überraschen lassen und habe mir vorab keine Fotos angesehen, keine Beschreibungen gelesen. Die Quelle eines Flusses, vor allem die eines so bedeutenden wie der Donau, birgt für mich etwas Geheimnisvolles, das ich unbeeinflusst von Vorgaben erfahren möchte.

Am gestrigen Abend strömte Regen herab, und es war zu dunkel, um zur Quelle zu gehen, jetzt aber kann ich es kaum erwarten und will sie vor dem Frühstück besuchen. Das erste Morgenlicht erhellt spärlich die Landschaft. Vom Hof weist mir ein Holzschild den Weg einige Meter den Hang hinab. Unter den Wiesengräsern verborgen, gluckert und rieselt es, und nach wenigen Schritten stehe ich am Beginn der Donau, 1078 Meter über dem Meeresspiegel, wie eine Tafel anzeigt. Aus einem Rohr fließt Wasser in ein Steinbecken und plätschert zu Tal – eine künstlich gestaltete Geburtsstätte. Ich bin enttäuscht, mir hatte etwas anderes vorgeschwebt. Einen aus dem Felsen sprudelnden, kristallklaren Strahl hätte ich mir gewünscht.

„Gibt es nicht weiter oben eine natürliche Quelle?“, frage ich meinen Wirt, als ich später beim Frühstück in seiner gemütlich warmen Gaststube sitze.

„Noi, der ganze Wiesenhang isch der Quell“, antwortet er. „Da sind viele Quellrinnen, je nachdem, wie viel’s geregnet hat. Amol isch’s mehr, amol weniger. Die Leut haben dauernd unsere Wies zertrampelt. Und deswegen haben wir die Hauptadern miteinander verbunde, sie zum Quelltopf geleitet und ihn mit Stein gefasst.“

Franz Dold ist überzeugt, dass sich schon vor 3000 Jahren ein keltisches Quellheiligtum hier befand. Denn damals führte eine uralte Handelsverbindung durch den Schwarzwald, und die Gegend war, wenn auch dünn, von Kelten besiedelt.

„I mein, dass der heidnische Tempel oder was des war, da gwesn isch, wo heut unsere Martinskapelle steht.“ Die Kapelle befindet sich gegenüber seiner Berggaststätte, die er nach ihr benannt hat.

„Die Martinskapelle verbindet keltische und frühe christliche Kultur und hat a wechselvolle Gschicht. Die isch immer wieder zerstört und wieder aufbaut worde. Amol war’s sogar a Saustall. Ein Vorfahr von mir hat gelobt, dass er alles wiederherstellt, wie des früher amol war. Damit unserem Kolmenhof kein Unheil passiert. Des war damals im Jahr 1906.“

Doch das war noch nicht alles, was Franz Dold an Erstaunlichem zu berichten weiß. Bis in die Neuzeit hinein wusste man nicht, wo die Donau wirklich entspringt. Es wurde gemessen, verglichen, gestritten, argumentiert. Erst im Jahr 1954 lieferte die Geologin Irma Öhrlein den Beweis. Sie schüttete rote Farbe in die Bregquelle und konnte den Lauf des so gekennzeichneten Wassers bis nach Donaueschingen verfolgen, wo Breg und Brigach zusammenfließen.

„A verdammt lange Zeit haben sie und ihr Mann Ludwig alle Bäch untersucht“, erzählt mir der Wirt. „Das Geheimnis um die Donauquelle hat sogar den Jacques-Yves Cousteau zu uns geführt. Des war doch der berühmte Forscher aus Frankreich. Der war mit einem Filmteam da. Des muss 1987 gewesen sei. Die Argonautensage hat ihn saumäßig interessiert. A bsonderer Mann war er scho, der Cousteau.“

Ich verabschiede mich herzlich von Franz Dold, der mir so viele interessante Dinge erzählt hat, und von seiner Frau Karin. Gestärkt von dem reichlichen Frühstück, wandere ich nun auch noch zur Quelle der Brigach. Auf einem vom Regen aufgeweichten Weg mit Namen „Quellenweg“ gehe ich durch den tropfnassen Nadelwald. Warum ist es so wichtig, den Ursprung eines Flusses zu finden, überlege ich? Warum haben Menschen ihr Leben riskiert, die Nilquellen zu suchen? Warum quälten sich Forscher durch den Amazonasdschungel? Und warum hat der römische Kaiser Tiberius seine Leute zur Donauquelle geschickt, wobei sie allerdings nur bis Donaueschingen kamen? Neben der rein praktischen Überlegung, dass es nützlich ist, den Verlauf eines Gewässers zu kennen, wenn ein Gebiet für Handel und Gütertransport erschlossen werden soll, muss es tiefer liegende Gründe geben. Vielleicht interessieren wir uns für Flussquellen, weil wir unseren eigenen Ursprung suchen? Weil wir wissen wollen, woher wir kommen und wohin wir gehen? Wir geben einem Fluss Eigennamen wie einem lebenden Wesen, und wenn wir nach seiner Quelle suchen und dann seinem Lauf folgen, kann es passieren, dass wir uns mit ihm wie mit einer Person identifizieren. Ein Fluss hat ja auch Ähnlichkeit mit uns Menschen. Er beginnt sein Leben als winziges Rinnsal, wächst und verändert sich, nimmt Einfluss auf seine Umgebung, wird mächtig und größer, sammelt Dinge in sich an, und am Ende seines Lebens fließt er ins Meer, geht ein in ein großes Ganzes.

Eine halbe Stunde später stehe ich an der Elzquelle, einem moos- und farnumgrenzten Quelltopf mitten im Wald. Die Elz, obwohl nur wenige Hundert Meter von der Bregquelle entfernt, fließt nicht wie diese nach Osten, sondern westwärts und mündet in den Rhein. Bald darauf wandere ich steil einen Bergrücken hinauf zu einer Passhöhe – zur „Europäischen Wasserscheide“, wo die Flüsse sich überlegen müssen, wohin sie wollen, in die Nordsee oder doch lieber ins Schwarze Meer. Wenn sie lesen könnten, wüssten sie, was zu tun ist, denn ein Schild verkündet: „Alle Gewässer westlich von hier fließen in die Nordsee und alle östlichen zum Schwarzen Meer.“

Der Wald lichtet sich, wird hier und dort durch Wiesen unterbrochen, auf denen braun-weiß gescheckte Rinder weiden. Einzelgehöfte mit schützenden, tief herabgezogenen Dächern schmiegen sich in die sanft gewellte Weidelandschaft. Da die Höfe im Schwarzwaldgebiet vernünftigerweise an einen einzigen Erben übergeben werden, haben sich weiträumige Wiesen- und Waldflächen erhalten. Auf einigen dieser Höfe wurden früher in Heimarbeit Holzuhren geschnitzt, in denen ein Kuckuck die Stunde ausruft. Inzwischen haben Kuckucksuhren den Schwarzwald weltweit bekannt gemacht. Die Idee dazu hatte der Uhrmacher Franz Ketterer im Jahr 1720.

In der Nähe des Hirzbauernhofs, wenige Kilometer vor dem Ort Brigach, befindet sich die Quelle des gleichnamigen Bachs. Der Bauer hat das Wasser gefasst und in einen See eingespeist, den er auf einem Schild als Brigachquelle ausweist. Bei der Erneuerung seines Küchengewölbes fand der Hirzbauer eine Steinplatte, die wohl aus keltischer Zeit stammt und wahrscheinlich 2000 Jahre alt ist. In den Sandstein eingraviert sind drei Tiere: Hirsch, Hase und Vogel, dazu drei Köpfe, vielleicht keltische Gottheiten. Das Original befindet sich inzwischen im Lapidarium-Museum der Stadt St. Georgen. Für seine Quelle hat der Bauer eine Kopie fertigen lassen, er glaubt, dass sich früher auch bei der Brigachquelle ein keltisches Heiligtum befunden hat.

An St. Georgen vorbei schlängelt sich die Brigach nach Donaueschingen und teilt sich das Tal mit der malerischen Schwarzwaldbahn. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sie erbaut und gilt noch heute als Meisterleistung der Ingenieurskunst. Über Brücken und durch mehr als 30 Tunnel, in Kehren und Schleifen, bergauf und bergab, führt der Schienenstrang und diente anderen Gebirgsbahnen als Vorbild. Manchmal werden noch Fahrten mit historischen Dampfloks durchgeführt.

Eigentlich sollte man meinen, ein Fluss könne nur eine Quelle haben. Die Donau jedoch gibt sich damit nicht zufrieden und entspringt im Schlosspark der Fürsten von Fürstenberg in Donaueschingen zum zweiten Mal in einem kunstvoll eingefassten Quelltempel. Grün schillert das Wasser in dem flachen, kreisrunden Becken, das von einem filigranen Gitter umgeben ist. Über dem Brunnen thront das pathetische Denkmal zweier Frauengestalten. Mutter Baar weist mit ausgestreckter Hand ihrer Tochter, der jungen Donau, den Weg hinaus in die Welt. Mit „Baar“ ist die flache Landschaft zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb gemeint. Der fürstliche Brunnen wird weder von Breg noch Brigach gespeist. Vielmehr handelt es sich hier um eine kleine Karstquelle, wie es viele in dieser Gegend gibt, die nach wenigen Metern in die Brigach mündet. Die von Kaiser Tiberius ausgeschickten römischen Geografen hatten sich nicht in den damals wilden, gefährlichen und unwegsamen Schwarzwald hineingewagt. Sie entschieden einfach, dass die Donau hier, am Fuß des Schwarzwalds, entspringt. Die Fürsten von Fürstenberg machten sich das später zunutze und schmückten sich damit, dass sich der Ursprung der Donau in ihrem Park befinde.

Im „Hirschen“, einem traditionsreichen Gasthaus in Donaueschingen, wo ich mein Fahrrad während der Quellwanderung untergestellt hatte, übernachte ich. Am nächsten Tag nehme ich mir Zeit, die Stadt und das fürstenbergische Schloss zu besichtigen. Vor allem die Hofbibliothek interessiert mich. Neben zahlreichen kostbaren Handschriften soll hier auch eine Fassung des Nibelungenlieds aufbewahrt sein. In der im 13. Jahrhundert niedergeschriebenen Sage werden nicht belegbare Ereignisse aus dem 5. Jahrhundert berichtet, unter anderem auch Kriemhilds Hochzeitszug entlang der Donau nach Ungarn zu König Etzel, besser bekannt als Hunnenkönig Attila. Wie passend, dass sich das Heldenepos über diese Flussreise gerade hier am Beginn der Donau befindet. Allerdings muss ich dann erfahren, dass der Fürst von Fürstenberg das kostbare mittelalterliche Werk bereits im Jahr 2001 der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe verkauft hat.

Donaueschingen wurde erstmalig 889 in einer Schenkungsurkunde erwähnt. Der Ort wechselte mehrmals seine Besitzer und wurde im 15. Jahrhundert von der Familie der Fürsten von Fürstenberg erworben. Sie zählt zu den ältesten des Hochadels und geht zurück bis ins 9. Jahrhundert, zu ihrem Urahn Unruoch II., dessen Sohn Eberhard eine Enkelin Karls des Großen heiratete. Im Jahr 1908 wurde Donaueschingen durch einen verheerenden Brand völlig zerstört. Beim Wiederaufbau entstanden Häuser mit Jugendstilfassaden, und anstelle der bis dahin bäuerlichen Dorfstruktur entwickelte sich eine Stadt des Bürgertums.

Hinter dem Schloss, einem mächtigen, lang gestreckten neubarocken Gebäude mit weißer Fassade und schiefergrauem Dach, das im 19. Jahrhundert seine heutige Gestalt erhielt, öffnet sich der Schlosspark. Im Süden wird der Park von der Breg begrenzt und im Norden von der Brigach durchflossen. Hohe Laubbäume beschatten Wege und Wiesen. Auf Teichen und Bächen dümpeln Stockenten, Graureiher spähen am Ufer nach Beute. Bachstelzen hüpfen von Stein zu Stein, wippen mit ihren langen Schwanzfedern, Buchfinken schmettern in den Kronen der Bäume ihre Lieder. Ein kaffeebraunes Eichhörnchen springt über den Weg und huscht blitzschnell einen Baumstamm hinauf, keckert von oben zu mir herab.

Am östlichen Parkende fließen Breg und Brigach zusammen, und nun entspringt die Donau zum dritten Mal, denn die Vereinigung der beiden Quellbäche gilt offiziell als Beginn der Donau. Von hier bis zur österreichischen Grenze wird sie 618 Kilometer zurücklegen.

Eigentlich müsste die Zählung dieses ersten Flusskilometers mit „null“ beginnen, denn Flüsse werden üblicherweise flussabwärts gemessen. Nicht so die Donau, sie beansprucht auch da eine Ausnahme. Sie beginnt am Schwarzen Meer mit Kilometer null und endet im fürstlichen Park von Donaueschingen mit Kilometer 2845.

Carmen Rohrbach

Über Carmen Rohrbach

Biografie

Carmen Rohrbach, geboren in Bischofswerda, ist Entdeckerin aus Leidenschaft. Sie studierte Biologie in Greifswald und Leipzig und schloss mit der Promotion in München ab. Ihre Reisen führten sie nach Südamerika, Afrika, Asien und Arabien, auf dem Jakobsweg durch Frankreich und Spanien und entlang...

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