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Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht

Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht

Jakob Hein
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Roman

Ein Plädoyer für die kleinen Dinge des Lebens. Und für eine Anfänge. - Der Tagesspiegel

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Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht — Inhalt

Boris Moser sammelt Ideen, bevor sie verloren gehen. Als eines Tages Rebecca seine „Agentur für verworfene Ideen“ betritt, ist ihm augenblicklich bewusst, dass er sie nie mehr gehen lassen darf. Dafür erzählt er ihr sogar einen seiner streng geheimen verworfenen Romananfänge und vom Wissenschaftler Heiner, der beinahe den Sinn des Lebens aufgespürt hätte …

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 06.10.2014
176 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-96890-4
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Leseprobe zu „Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht“

Erstes Kapitel: Verworfene Ideen


Immer noch hing das Schild der alten Computerfirma über dem Laden. Und Boris schaltete weiterhin jeden Abend die fünf kleinen Halogenleuchten an, die an den langen, über dem Laden angebrachten Metallstäben vor der Häuserwand befestigt waren und das ganz in Schwarzweiß gehaltene, wetterfeste Schild wie einen Hauptdarsteller beleuchteten. Die Computerfirma namens Pixelbrain war selbst schon vor längerer Zeit in einen anderen, viel größeren und schöneren Laden umgezogen, aber Boris’ Meinung nach war das beleuchtete Schild [...]

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Erstes Kapitel: Verworfene Ideen


Immer noch hing das Schild der alten Computerfirma über dem Laden. Und Boris schaltete weiterhin jeden Abend die fünf kleinen Halogenleuchten an, die an den langen, über dem Laden angebrachten Metallstäben vor der Häuserwand befestigt waren und das ganz in Schwarzweiß gehaltene, wetterfeste Schild wie einen Hauptdarsteller beleuchteten. Die Computerfirma namens Pixelbrain war selbst schon vor längerer Zeit in einen anderen, viel größeren und schöneren Laden umgezogen, aber Boris’ Meinung nach war das beleuchtete Schild der Beweis dafür, dass in diesem Laden erfolgreiche Firmen ihren Anfang nehmen konnten. Denn, wie jeder sehen konnte, war hier auch die mittlerweile weltweit operierende Firma Pixelbrain entstanden, und der Zauber des Ladens war noch längst nicht verflogen. Es gab also, fand Boris, Grund zur Annahme, dass auch das nächste Unternehmen, das sich hier niederließ, einen kometenhaften Aufstieg würde machen können, der bis auf die Titelseiten der Wirtschaftsmagazine führte. Davon abgesehen hätte er sich kein eigenes Ladenschild leisten können.

Außerdem hätte Boris nicht sagen können, wie seine Firma heißen sollte. Schon Jahre vor Eröffnung hatte er diesen Laden geplant, er war ihm in seinen Gedanken schon so vertraut gewesen, dass er eine Benennung schlicht vergessen hatte. Der einzige Grund, sich einen schmissigen Namen auszudenken, so schien es ihm, hätte darin bestanden, ein Ladenschild in Auftrag zu geben. Nachdem ein entsprechender Kostenvoranschlag viel zu teuer ausgefallen war, hatte Boris beschlossen, das Pixelbrain-Schild beizubehalten. Das hatte zudem den Reiz, dass er dazu nichts tun musste. Glücklicherweise hatten die Leute von der Computerfirma ihr Schild nicht mitnehmen wollen, weil sie natürlich ein viel größeres und viel schöneres Schild über ihren neuen, viel größeren und viel schöneren Laden hängen wollten. Wenn es darum ging, Altes gegen Neues auszutauschen, waren Computerleute sehr zuverlässig.

Das Telefon klingelte. „Agentur für verworfene Ideen, Boris Moser am Apparat“, meldete sich Boris mit seiner freundlichen Telefonstimme. Er verfügte noch über die verärgerte, die müde und die verunsicherte Telefonstimme, die er aber in der Firma nicht gebrauchen konnte.

„Ist da nicht der Computerladen?“, krächzte eine belegte Stimme. Sie gehörte wahrscheinlich einem Mann, hätte aber auch die einer Frau sein können, die an einem schweren Fall von frühem Morgen litt.

„Nein, hier ist die Agentur für verworfene Ideen. Boris Moser.“

„Aber ich habe mir doch die Nummer vom Computerladen genau aufgeschrieben“, wunderte sich die Stimme.

„Das kann schon sein. Sie meinen bestimmt Pixelbrain.“

„Nein, ich meine den Computerladen.“

Pixelbrain ist ja ein Computerladen“, erwiderte Boris etwas entnervt. „Aber die sind vor zwei Monaten in einen anderen Laden umgezogen.“

„Aha“, sagte die Stimme und schwieg. Boris überlegte, ob er auflegen sollte.

„Und Sie sind was, bitte? Die Agentur für verlorene Ideen?“, fragte die Stimme schließlich.

Verworfene Ideen.“

„Mit Computern kennen Sie sich nicht zufällig aus?“

„Nein“, bestätigte Boris. „Überhaupt nicht.“

Wieder Schweigen. „Und was machen Sie so?“ Die Stimme klang jetzt weniger belegt und weiblicher.

„Wie meinen Sie das?“

„Na, wenn Sie Ihre Agentur betreiben, was machen Sie da so den ganzen Tag?“

„Na ja, ich schließe morgens den Laden auf, mache Kaffee, dann höre ich den Anrufbeantworter ab, sehe nach, welche Termine ich habe, und gehe die Post durch.“

„Und haben Sie damit lange zu tun?“

„Nein, eigentlich schließe ich nur auf und koche Kaffee. Wir haben gerade erst angefangen, und viel ist noch nicht los.“

Warum Boris das alles der Stimme erzählte, war ihm selbst nicht ganz klar. Er vermutete, dass er sich insgeheim diese Fragen selbst gern gestellt hätte oder vielmehr stellen sollte, es aber nie getan hatte, weil sie an viel zu grundsätzlichen Problemen seines derzeitigen Lebens rührten. Sich dieser anonymen Stimme zu offenbaren, die eigentlich nur den Computerladen anrufen wollte, fiel ihm leichter. Diese Frau würde er nie zu Gesicht bekommen, vor allem musste er sie in diesem Augenblick nicht ansehen. Boris konnte jederzeit den Hörer auflegen und damit das Gespräch beenden, er verriet keine Staatsgeheimnisse, und bestenfalls würde er aus seinen Antworten etwas Interessantes über sich selbst erfahren.

„Und was wollen Sie machen?“

„Wir, das heißt, eigentlich bin ich allein, also ich will verworfene Ideen sammeln und vermitteln. Viele Ideen werden verworfen, weil sie für nutzlos, unzeitgemäß, unpassend oder unmoralisch gehalten werden. Normalerweise verschwinden diese Ideen einfach. Ihre Urheber bemühen sich, nicht mehr an sie zu denken, und die Idee verblasst von Tag zu Tag mehr. Spätestens mit dem Tod ihres Urhebers ist sie dann unwiederbringlich verloren. Aber vielleicht würde man gerade diese Idee ein paar Jahre später dringend benötigen. Aber dann muss sie noch mal gefunden werden, und es entsteht möglicherweise nur eine deutlich schlechtere Variante der Ursprungsidee. Ich vertrete nämlich die Theorie“, Boris Tonfall kippte nun in etwas um, das man ohne Übertreibung Raunen hätte nennen dürfen, „dass jede Idee auf dieser Welt nur einmal gedacht wird. Sicherlich gibt es hier und da vergleichbare Ideen, aber zwei Ideen sind nie identisch. Wie Schneeflocken, wenn Sie verstehen, was ich meine.“

Am anderen Ende der Leitung hörte er immerhin ein „Hmm“.

„Nein, wirklich. Der Tonfilm, die Spezielle Relativitätstheorie, selbst die Armbrust. Das sind einmalige Ideen. Die hätte niemals wieder jemand anders genau so denken können, nicht einmal dieselben Personen. Wenn Einstein an dem Tag viel zu tun gehabt hätte oder sich noch mit einer Frau hätte treffen wollen und spät dran gewesen wäre und darüber hätte nachdenken müssen, ob er ein kariertes oder ein gestreiftes Hemd anziehen soll, anstatt seine Idee gleich festzuhalten – wer weiß, was passiert wäre! Sicher hätte er eine ähnliche Theorie entwickelt, aber nicht dieselbe. Er hätte ein paar Tage später an seinem Schreibtisch gesessen und sich das Hirn zermartert, wie denn noch seine Idee vom vergangenen Sonntag ausgesehen hatte, an dem er sich mit dieser Frau im Park getroffen hatte.“

Boris nahm das Schweigen am anderen Ende der Leitung als Zustimmung. „Und da kommen wir ins Spiel. Also ich. Ich sammele solche Ideen, bevor sie verworfen werden oder verloren gehen.“

„Nun ist nicht jeder Mensch ein Einstein“, sagte die Frau.

Es schien Boris unglaublich, dass sie ihm immer noch zuhörte. „Natürlich nicht. Das ist auch besser so. Einstein hat aus vielen seiner Ideen selbst etwas gemacht. Allerdings möchte man lieber nicht wissen, wie viele Ideen er im Laufe seines Lebens verworfen hat. Für jemanden wie Einstein müsste man im Grunde genommen einen eigenen Mitarbeiter einstellen, der ihm den ganzen Tag hinterherläuft und verworfene Ideen einsammelt. Aber im Moment haben wir die personellen Möglichkeiten nicht. Also ich.“

„Und von wem beziehen Sie denn Ihre Ware?“, fragte die Stimme mit einem leisen Unterton, der Boris missfiel.

„Von jedem. Ich sage immer, eine Idee im Leben hat wirklich jeder. Und die nehmen wir gern. Insbesondere Leute mit wenigen Ideen haben keine Vorstellung davon, wie interessant gerade dieser eine Einfall von ihnen sein könnte, weil sie keine Vergleichsmöglichkeit haben. Und ich biete an, diese Idee gegen eine Provision an jemanden, der damit etwas anfangen kann, weiterzuvermitteln. Der Idealfall wäre natürlich die platonische Kugel. Sagt Ihnen das etwas?“

„Nein.“

„Platon erzählt, dass die Menschen früher vier Arme und vier Beine gehabt und wie eine Kugel ausgesehen hätten. Aber sie bekamen Ärger mit Zeus, der diese Kugel dann durchschnitt. Seitdem würden die Menschen versuchen, sich wieder mit der anderen Hälfte der Kugel zu vereinen.“

„Eine schöne Vorstellung.“

„Aber ich meine es ganz konkret. Wenn ich zum Beispiel eine Idee hereinbekomme für einen Fünf-Takt-Motor, der nicht funktioniert, und eine andere, wie man mit Luft einen Motor betreiben könnte, die aber leider nicht für Vier-Takt-Motoren anwendbar ist, dann wäre das doch grandios.“

„Das ist doch aber eine Illusion.“

„Nicht ganz“, ereiferte sich Boris. „Einige der besten Erfindungen sind so entstanden. Kennen Sie die kleinen gelben Zettel, die man überall ranheften kann?“

„Natürlich.“

„Das ist ein typischer Fall für das, was ich meine. Der Erfinder hatte einen Klebstoff entwickelt, der schlecht klebte und die Idee dazu schon verworfen. Ein paar Monate später fiel ihm auf, dass die Menschen einander pausenlos Zettel schreiben, die aber herunterfallen, weggeweht werden oder irgendwo unsichtbar herumliegen. Und auch diese Beobachtung wollte er gerade zur Seite schieben, als ihm glücklicherweise sein alter Klebstoff einfiel und er also die gelben Klebezettel erfand, mit denen er Multimillionär wurde. Die platonischen Kugeln!“

„Aber wo finden Sie noch so jemanden?“

„Das ist ja gerade das Gute an meiner Agentur. So muss nicht mehr eine Person zwei Ideen haben. Die Agentur bringt Ideen zusammen.“

„Sie sind schräg“, sagte die Stimme am Telefon. „Das gefällt mir.“

Boris wusste nicht, ob er das als Kompliment oder Beleidigung auffassen sollte. Ihm fiel auf, dass die meisten Komplimente oder Beleidigungen diese Eigenschaft besaßen und dass man etwas gegen diese Zweideutigkeit unternehmen müsste, um die Kommunikation zu erleichtern. Er machte sich schnell ein paar Stichworte auf die Schreibtischunterlage. Boris war es gewohnt, nie eine Idee zu verwerfen, und hatte Routine im Notieren.

„Wieso schräg?“, fragte er sicherheitshalber.

„Hat denn schon mal jemand eine der Ideen aus ihrer Agentur umgesetzt?“

„Ja“, sagte Boris ein bisschen zu zögerlich.

„Wer denn?“

„Nun ja, ich selbst. Diese Agentur war meine Idee, und ich wollte sie ursprünglich verwerfen.“

„Ich verstehe“, sagte die Frau. Dann schwiegen beide.

„Hören Sie, es war sehr interessant, sich mit Ihnen zu unterhalten“, sagte die Frau schließlich. „Aber mein Computer geht immer noch nicht, und ich muss dringend in dem Laden anrufen. Können Sie mir die neue Telefonnummer geben?“

„Natürlich“, sagte Boris und gab ihr die Nummer, die er direkt auf den Telefonapparat geschrieben hatte. Denn im Grunde genommen wollten alle, die anriefen, den Computerladen sprechen.

„Komisch“, sagte die Frau. „Dass die nicht ihre alte Nummer mitgenommen haben.“

„Sie wollten eine neue Telefonanlage einbauen, das ging mit der alten Nummer nicht.“

„Also vielen Dank und viel Erfolg mit Ihrer Firma.“

Boris bedankte sich und legte auf. Irgendwie fühlte er sich anders als zuvor, konnte aber nicht genau sagen, wie. Anstatt darüber nachzugrübeln, nahm er eine Karteikarte heraus und erfasste die Idee über die Komplimente und Beleidigungen, bevor er sie vergessen würde.

Jakob Hein

Über Jakob Hein

Biografie

Jakob Hein, geboren 1971 in Leipzig, wuchs in Berlin auf, wo er heute als praktizierender Arzt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen lebt. Neben den Bestsellern „Mein erstes T-Shirt“, „Formen menschlichen Zusammenlebens“ und „Herr Jensen steigt aus“ erschienen unter anderem von ihm sein...

Pressestimmen
Recklinghäuser Zeitung

„Diese Geschichte ist in wunderbaren Worten geschrieben, voller Wortakrobatik und hintergründigem Humor. Auf jeder Seite wird dem Leser ein leichtes Lächeln entlockt und man fragt sich, welche grandiosen Ideen Jakob Hein auf der nächsten Seite wieder zu Papier gebracht haben mag.“

Der Tagesspiegel

Ein Plädoyer für die kleinen Dinge des Lebens. Und für eine Anfänge.

NRZ

Ein kleiner, detailsatter, schelmischer Roman.

Für Sie

Wärmt von innen: skurrile Geschichte über die Suche nach dem Glück.

Ruhr Nachrichten

Das Buch ist nicht nur in den vielen Details, sondern im Ganzen wunderbar.

Nürnberger Nachrichten

Erzählkunst von heiterer Schwerelosigkeit.

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