

Very Bad Widows - eBook-Ausgabe Very Bad Widows
Roman
— Mörderisch gute Vorsorge | Zwischen zerplatzten Träumen und neuen, ungewöhnlichen Chancen im besten AlterVery Bad Widows — Inhalt
Um glückliche Witwen zu werden, schmieden drei Frauen einen genialen Plan ...
Drei Freundinnen kurz vor dem heiß ersehnten Ruhestand entdecken ihre kriminelle Energie, als ihre Ehemänner das gesamte Ersparte verzocken. Ihr Plan: Sie lassen ihre Männer von einem Auftragskiller ermorden und kassieren deren siebenstellige Lebensversicherungen. Doch der erwählte Killer wurde bereits von den Ehemännern engagiert. Um sich ihrerseits der Ehefrauen zu entledigen und in der Ferne ein neues Leben zu beginnen. Was kann also schiefgehen?
Was folgt, ist ein grandioses Katz-und-Maus-Spiel, das sowohl zum Lachen ist als auch hochspannend, und letztlich ein großherziger Blick auf Ehe, Freundschaft und das mittlere Alter.
Unterschätze niemals deine Ehefrau!
„Bad Summer People“ meets „Donnerstagsmordclub“
„Ein messerscharfer, kluger, witziger Roman, der auch überraschend zärtlich ist ... Man muss einfach mit diesen Figuren mitzufiebern. Ein Triumph.“ Jennie Godfrey
„›Very Bad Widows‹ von Sue Hincenbergs ist zum Totlachen, mit wunderbar lebendigen Charakteren und von der ersten bis zur letzten Seite ein absoluter Pageturner.“ Janice Hallett
Leseprobe zu „Very Bad Widows“
Kapitel 1
Das muss doch nicht sein
Pam leckte sich das Salz ihrer Margarita von den Lippen, sah sich an ihrem Terrassentisch um und überlegte, welcher ihrer Freunde wohl als Erster abtreten würde. Nicht dass sie eine Vorahnung hätte, in dieser Hinsicht war sie einfach etwas morbide. Außerdem war sie bereits auf den Abschlussfeiern der Kinder dieser drei Paare gewesen und hatte mit allen deren Eltern begraben; in dieser Lebensphase war es also nur logisch, dass die eigenen Beerdigungen als Nächstes anstehen würden. Soweit sie das beurteilen konnte, [...]
Kapitel 1
Das muss doch nicht sein
Pam leckte sich das Salz ihrer Margarita von den Lippen, sah sich an ihrem Terrassentisch um und überlegte, welcher ihrer Freunde wohl als Erster abtreten würde. Nicht dass sie eine Vorahnung hätte, in dieser Hinsicht war sie einfach etwas morbide. Außerdem war sie bereits auf den Abschlussfeiern der Kinder dieser drei Paare gewesen und hatte mit allen deren Eltern begraben; in dieser Lebensphase war es also nur logisch, dass die eigenen Beerdigungen als Nächstes anstehen würden. Soweit sie das beurteilen konnte, standen die Chancen, ins Gras zu beißen, bei allen acht ungefähr gleich gut. Wenn sie sich allerdings aussuchen könnte, wen es zuerst traf, würde sie sich wohl für Andre entscheiden.
Mit einem gezielten Schlag zerquetschte sie eine Mücke an ihrem Hals. Um die Citronella-Kerzen auf dem Tisch und die am Geländer aufgehängte Lichterkette schwirrten Scharen herum; ihr Summen kämpfte mit den Grillen und Van Morrison darum, die Begleitmusik zum Essen anzuführen. An schwülen Abenden wie diesen hätten Pam und ihre Freundinnen eigentlich in ihrem Salzwasserpool planschen und Cocktails schlürfen sollen, während ihre Männer sich im Whirlpool ein Bier gönnten. Aber dieses Haus hatten sie ja verkaufen müssen.
Pam warf Hank über die restlichen Burger und Maiskolben hinweg einen prüfenden Blick zu. Im Dunkeln wirkte er beinahe wieder attraktiv. Die Tischplatte verbarg seinen Bierbauch, die Schatten seine Hängebacken. Sie suchte in seinen Zügen nach dem Mann, den sie einst geheiratet hatte, aber den gab es schon lange nicht mehr. Manchmal vermisste sie ihn.
„Gibst du uns noch eine Runde, Babe?“
So durfte er sie nicht mehr nennen, weshalb sie ihm einen finsteren Blick zuwarf, der ihm allerdings vollkommen entging. Schweigend stemmte sie sich von dem abgewetzten Polster hoch und holte vier tropfende, kalte Flaschen aus der Kühlbox. Hank nahm sein Bier entgegen, drehte den Verschluss ab und warf ihn in ihre Hortensienbüsche. Als Larry, Andre und Dave es ihm nachmachten, wusste Pam, dass sie diejenige war, die am Morgen diesen Müll wieder einsammeln musste.
Nun wandte sie sich erst mal dem Krug mit den Margaritas zu. Das musste man Hank lassen – er machte die besten Margaritas der Welt. Pam gab Eiswürfel in die Gläser ihrer Freundinnen, leerte den Krug und stieg über ihren schlafenden Hund hinweg. Selbst in der halbdunklen Küche war die feuchte Julihitze noch so stark, dass alles an ihr klebte. Nachdem sie den Kühlschrank geöffnet hatte, genoss sie einen Moment lang die austretende Kälte, bevor sie Shalisas Schokoladenmousse-Käsetorte herausholte und damit wieder nach draußen ging.
„Nance! Nance!“ Larry fiel seiner Frau gerade ungehemmt ins Wort. „Wie hieß der noch gleich …?“
Das tat Larry beständig: Nancy dazu nötigen, dass sie ihr Gehirn nach Details durchforstete, die zu merken er sich selbst nicht die Mühe machte. Als wäre es ihr Lebensinhalt, für ihn das wandelnde Gedächtnis zu spielen. Nancy nannte ihm routiniert den Namen des Highschool-Mathelehrers und wandte sich dann wieder ihrem Gespräch mit Marlene zu. Schweigend verschob Pam einige Sachen auf dem Tisch, um Platz für das Dessert zu schaffen.
Inzwischen deutete Dave mit dem Kopf auf die Gläser, deren Spielkarten- und Würfelaufdruck mit Kondenswasser überzogen war. „Nette Casinogläser, Hank. Hast dich wohl wieder im Merchandising-Lager bedient, was?“
Grinsend schüttelte Hank den Kopf. „Neuer Eigentümer, neues Logo. Die sollten weggeworfen werden, also habe ich sie als Andenken mit nach Hause genommen.“ Mit einem schelmischen Zwinkern fügte er hinzu: „Ich würde doch niemals die Hand beißen, die uns füttert!“
Die vier Freunde stießen mit ihren Bierflaschen an und tranken.
Leicht gereizt runzelte Pam die Stirn. Diese Kerle … Denen war jeder Anlass recht, um anzustoßen – nun also auf das Casino, obwohl zwei von ihnen nicht einmal dort arbeiteten. Was kam als Nächstes? Ein Schlückchen auf Larrys Bank oder Andres Kurierdienst?
Dave wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und richtete seine Aufmerksamkeit dann auf die Torte. „Wow, die sieht aber toll aus, Pammy.“ Im Licht der Kerzen schien sein Lächeln noch mehr zu strahlen, und für einen Moment stockte Pam der Atem. Sie hatte ganz vergessen, wie gut er aussah; diese Lachfältchen um seine Augen. Genau, das war heute anders an ihm. Nicht das feine Grau an seinen Schläfen, das Pam gerade erst aufgefallen war. Nein, er schien heute beinahe glücklich zu sein. Ihr Blick huschte zu Marlene hinüber. Lief bei den beiden etwa wieder etwas? Marlene hatte den Mädels zwar gesagt, dieser Zug sei abgefahren wie bei ihnen allen. Aber vielleicht war sie ja eingeknickt und verschaffte ihrem Mann nun doch wieder ein wenig Spaß. Dave riss sie aus ihren Gedanken, indem er fragte: „Ist das etwa Schokolade?“
Andre antwortete: „Na klar. Die haben wir mitgebracht.“
Typisch Andre, die Lorbeeren für sich einzuheimsen. Pam betonte: „Shalisa hat sie gemacht.“
Sie legte Dave sanft die Hand auf die Schulter, als sie ihm ein Stück anbot. Dass ihr alter Freund zurück war, freute sie, verwirrte sie zugleich aber auch. Wenn es denn wirklich eine solche Veränderung gab. Wieder sah sie zu Marlene hinüber, die gerade kichernd mit Nancy zusammensaß. Vielleicht hatten Dave und sie tatsächlich wieder Sex. Sie würde später bei Marlene nachfragen.
Andre wollte keinen Kuchen und warf Shalisa, als diese ein Stück nahm, über seine Gleitsichtbrille hinweg einen mahnenden Blick zu. „Schatz, das muss doch nicht sein.“
Pam hörte, wie Marlene nach Luft schnappte; sah, wie Nancy betroffen zusammenzuckte. Die drei Freundinnen beobachteten stumm, wie Shalisa den aufsteigenden Ärger unterdrückte. Scheinbar ruhig bedachte sie ihren Mann mit dem Blick, der früher für die Tratschtanten reserviert gewesen war, die sie mit der Frage traktiert hatten, warum sie keine Kinder bekam. Daran erkannte Pam, dass Andre mit diesem Kommentar etwas ausgelöst hatte, das er nun nicht mehr aufhalten konnte, auch wenn ihm das selbst nicht bewusst war. Stumm wickelte sich Shalisa einen ihrer feinen Zöpfe um den Finger. Sie starrte ihren Ehemann unverwandt an, während sie ihr Stück Schokomousse-Käsetorte bis auf den letzten Krümel verputzte.
Pam beobachtete das, und plötzlich glaubte sie, eine Veränderung wahrzunehmen; irgendetwas lag in der Luft. Später räumte sie die Teller zusammen und musterte noch einmal ihren Mann und die Menschen, mit denen sie seit drei Jahrzehnten befreundet waren. Wieder ging ihr die Frage durch den Kopf, wer von ihnen als Erster sterben würde.
Zwei Tage später sollte sie es erfahren.
Kapitel 2
Marlene hatte recht
Es war Hank, der Daves Leiche fand.
Am Montagmorgen stand Pam bei Dutton Realty am Kopierer und verfolgte wie hypnotisiert den schmalen Lichtstreifen, der von links nach rechts wanderte. Sie war gerade bei der zehnten der neunzig Kopien, die ihr Boss brauchte, als ihr Telefon summte.
HANK: Halt Marlene und die Kinder vom Haus fern.
Was hatte Pam denn bitte schön damit zu tun, wo sich Marlene aufhielt? Vermutlich war die sowieso gerade dabei, drüben in der Stone Bridge Road Beläge von Zähnen zu kratzen. Ein prüfender Blick auf den Kopierer bestätigte Pam, dass die Zeit ausreichte, um der Sache auf den Grund zu gehen. Beim fünften Klingeln ging Hank dann endlich dran. „Hey. Warum schreibst du mir irgendwas über Marlenes längst erwachsene Kinder? Dir ist schon klar, dass die alle bereits ausgezogen …“
„Kann jetzt nicht reden. Dave ist tot. Marlene darf auf keinen Fall nach Hause kommen.“
„Unser Dave?“ Pam suchte am Kopierer Halt. „Bist du sicher?“
„Und ob ich mir sicher bin! Fahr zu Marlene. Sag ihr, dass Dave einen Unfall hatte. Ich bin mir aber nicht sicher, ob du ihr schon sagen solltest, dass er tot ist. Entscheide das besser selbst. Aber lass sie auf keinen Fall in die Nähe ihres Hauses.“
Der Lichtstreifen im Kopierer glitt von links nach rechts.
„Was ist passiert?“ Keine Antwort. „Hank! Was ist passiert?“
Hank räusperte sich. „Dave hatte einen Unfall in seiner Garage. Na ja, oder wohl eher in der Einfahrt. Ich muss jetzt Schluss machen, die Polizei ist da. Aber lass Marlene auf keinen Fall nach Hause, Pam!“
„Okay“, gab Pam leise ihre Zustimmung.
Das Licht sprang zurück und begann von vorne.
„Warte mal, Hank!“ Mühsam riss sich Pam vom Anblick des wandernden Lichtstreifens los. „Hank! Was machst du überhaupt bei Dave zu Hause?“
Doch er hatte bereits aufgelegt.
Hanks Anruf hatte Pam so mitgenommen, dass sie ihrem Mann blind versprach, Marlene fernzuhalten, ohne zu bedenken, mit wem sie es dabei zu tun bekommen würde. Nancy, Shalisa und sie trafen sich in Marlenes Zahnarztpraxis, um ihr die Nachricht gemeinsam zu überbringen. Die Worte waren kaum ausgesprochen, als Marlene ihre Tasche holte und sich umgehend auf den Weg machte.
Die Freundinnen fingen sie auf dem Parkplatz vor der Praxis ein und versuchten, sie mit der Aussicht auf Kaffee und Trost in Shalisas Küche in Pams Van zu locken. Doch Marlene schob sich wortlos an ihnen vorbei und entriegelte ihren ramponierten alten Honda. Diese Frau hatte innerhalb von nicht einmal drei Jahren drei Töchter geboren – die jüngste in der eigenen Einfahrt, weil sie nicht ins Krankenhaus fahren wollte, bevor Dave von seinem Angelausflug zurückkam – und die drei Mädchen, ohne mit der Wimper zu zucken, durch die Stürme der Pubertät bis ins Erwachsenenalter begleitet. Dieses Schätzchen ließ sich nicht in eine Ecke stellen – oder an einen Küchentisch setzen –, wenn sein Ehemann gerade tot in der gemeinsamen Einfahrt lag.
Marlene fuhr so heftig zu ihnen herum, dass ihr blonder Pferdeschwanz durch die Luft peitschte. „Ich weiß zu schätzen, was ihr hier versucht, ehrlich. Aber ich will jetzt verdammt noch mal zu meinem Mann, und ihr werdet mich nicht davon abhalten. Verstanden?“
Ja, das hatten sie verstanden. Mit dem Versprechen, sie umgehend nach Hause zu bringen, stieg Marlene in Pams Van ein.
Auf der Fahrt herrschte drückende Stille. Zu ihrer Linken tauchte immer wieder die Bucht mit ihren vielen, sanft schaukelnden Booten auf, während sie an den weitläufigen historischen Villen vorbei landeinwärts fuhren, in Richtung der bescheideneren Viertel ihres Städtchens. Normalerweise konnte sich Pam kaum auf die Straße konzentrieren, wenn sie zu viert im Auto saßen. Aber diesmal wurde keine Chipstüte herumgereicht, niemand redete über eine neu entdeckte Köstlichkeit, die Lieblings-Playlist wurde nicht aufgedreht, bis die Bässe unter dem Hintern vibrierten. Verstohlen spähte Pam zu Marlene hinüber. Die frischgebackene Witwe hatte die Hände im Schoß gefaltet und sah aus dem Beifahrerfenster.
„Ich bin im Arsch“, erklärte Marlene der Scheibe.
Shalisa streckte den Arm nach vorne und tätschelte ihre Schulter. „Nein, bist du nicht. Wir helfen dir da durch.“
„Mein Mann ist tot, und in meinem Kopf kreist nur ein Gedanke: Ohne ihn werde ich das Haus nicht halten können.“ Mit einem Ruck wandte sich Marlene nach vorne. „Vielen Dank, Arschloch Dave.“
Nancy, die ebenfalls hinten saß, kommentierte: „Arschloch Dave? Sie sind alle Arschlöcher, Marlene.“
Reglos starrte Marlene durch die Windschutzscheibe. „Na ja. Aber eure Arschlöcher können wenigstens noch die Hypotheken abzahlen.“ Frustriert stieß sie den Atem aus. „Jawohl, ich bin voll und ganz im Arsch.“
Leicht irritiert runzelte Pam die Stirn. Okay, alles in allem war nicht damit zu rechnen gewesen, dass Marlene dem typischen Bild einer Witwe entsprach. Trotzdem hatte Pam doch mit ein wenig Trauer gerechnet.
Marlene stützte sich auf die Armlehne und wandte sich den Freundinnen zu. „Ich versuche gerade, mich daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe. Als er gestern Abend vom Angeln kam, haben wir gemeinsam Jeopardy geguckt, aber ich wüsste nicht, dass wir dabei auch nur ein Wort gewechselt hätten. Nach dem Essen bei euch am Samstag“, sie warf Pam einen kurzen Seitenblick zu, „kam er zu Hause in der Küche plötzlich an, hat mir von hinten die Arme um die Taille geschlungen und wollte meinen Hals küssen. Als wäre alles vollkommen normal. Das habe ich abgewürgt.“
Womit auch die Frage beantwortet war, die Pam noch nicht hatte stellen können. Dave und Marlene schliefen also nicht wieder miteinander. Warum hatte er dann an dem Abend so glücklich gewirkt? Sie tätschelte Marlene tröstend das Knie und bog in ihre Straße ein. Wo sonst ruhige Beschaulichkeit waltete, herrschte nun Hochbetrieb: Zwei Feuerwehrfahrzeuge parkten am Straßenrand, im Schatten der Ahornbäume drängten sich die Gaffer zusammen. Während Pam langsam an den Terrassenhäusern und Bungalows im Ranchstil mit ihren ordentlichen Vorgärten vorbeifuhr, entdeckte sie zwischen den Einsatzfahrzeugen auch Hanks Auto. Marlene schien aus dem Wagen springen zu wollen, sobald er stand, aber Nancy sagte leise zu ihr: „Gewisse Dinge wird man nicht mehr los, wenn man sie einmal gesehen hat, Marlene.“ Ergeben sank Marlene in sich zusammen, ließ den Türgriff los und nickte Pam zu, damit sie vorging und sich einen Eindruck verschaffte.
Noch bevor Pam das Haus erreicht hatte, beendete Hank sein Gespräch mit einem Polizisten und stürmte die Einfahrt hinunter, um sie abzufangen. Seinem Leitspruch „Angriff ist die beste Verteidigung“ folgend, beschleunigte sie ihre Schritte ebenfalls, sodass sie schließlich am Wagen des Leichenbeschauers aufeinandertrafen.
Hank war knallrot im Gesicht, seine Haut glänzte vor Schweiß. Seine Augen waren gerötet. Noch vor fünf Jahren hätte er nun die Arme ausgebreitet und sie an sich gezogen, sodass sie den Kopf an seine Brust hätte legen können wie ein Puzzleteil, das sich mit seinem Gegenstück vereint. Nun aber reckte er anklagend den Zeigefinger. „Was war so schwer zu verstehen an der Anweisung …“
„Wann hast du das letzte Mal versucht, Marlene Anweisungen zu erteilen?“, schnauzte Pam sofort zurück.
Hank verstummte abrupt, blinzelte und gab dann zu: „Dave hat immer gesagt, sie sei schwer zu bändigen.“
„Allerdings.“
Hank packte Pam an den Schultern und drehte sie so, dass sie Richtung Straße schaute. Als sie auf das Haus zugelaufen war, hatte sie bewusst den Blick abgewandt, da ihr noch immer Nancys warnende Worte im Kopf herumgingen. Sie wollte lieber den Dave in Erinnerung behalten, der lächelnd sein Tortenstück von ihr entgegennahm.
„Es ist kein schöner Anblick. Bist du sicher, dass du Details hören möchtest?“
Pam nickte.
„Okay. Dave wurde vom Garagentor zerquetscht.“
„Nein!“ Pam konnte nicht anders; sie riskierte einen kurzen Blick und sah, dass zwischen Garagentor und Boden gut ein halber Meter Platz war. Mehrere Sanitäter in dunkelblauen Uniformen versperrten ihr die Sicht, trotzdem glaubte Pam unter einem schützenden Tuch Daves sandblondes, langsam ergrauendes Haar zu erkennen, das in einer dunklen Lache klebte.
„Das willst du nicht sehen“, versicherte ihr Hank und drückte ihren Arm, damit sie sich wieder ihm zuwandte. „Sie gehen davon aus, dass er das Tor schließen wollte, sich dabei den Kopf gestoßen hat und bewusstlos wurde. Er ist gestürzt, das Tor ist ungebremst auf seinem Schädel gelandet und hat ihn zerquetscht.“
Entsetzt schlug Pam die Hände vor das Gesicht. Sie konnte es nicht fassen.
Jahrelang hatte Marlene Dave damit in den Ohren gelegen, dass sie sich ein automatisches Garagentor anschaffen sollten. Ihr schweres, manuell zu bedienendes Modell war unaufhaltsam wie eine Dampflok, wenn es einmal in Bewegung geriet. Immer wieder hatte Marlene Dave vorgehalten: „Dann wäre es viel leichter, den Müll rauszubringen. Und wir könnten total über die Stränge schlagen und unser Auto in der Garage parken wie normale Menschen. Hast du daran schon mal gedacht, Dave?“ Da Dave aber uneinsichtig blieb, beendete Marlene diesen Vortrag gerne mit den Worten: „Eines Tages wird dieses Garagentor einen von uns umbringen.“
Was nun geschehen war.
Pam musterte ihren Mann. Sie gehörte zu der Sorte Mensch, die sämtliche Details hin und her schob wie Scrabble-Steine, bis sich ein ordentliches Bild ergab. Und hier passten einige Steine noch nicht ganz. „Hast du ihn heute im Casino gesehen?“
„Wie du weißt, arbeiten wir in unterschiedlichen Abteilungen. Wir begegnen uns dort nie.“
„Warum war er an einem Montagmorgen überhaupt zu Hause?“
Hank fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn. „Das weiß ich nun wirklich nicht.“
„Und warum warst du hier?“
Mit einem schweren Seufzer schüttelte Hank den Kopf. „Ich kann das jetzt nicht, Pam. Ich kann einfach nicht.“ Er ließ die Schultern hängen, schob die Hände in die Hosentaschen und ging zu den Polizisten zurück.
„Ich habe dich etwas gefragt, Hank!“ Frustriert riss Pam die Hände hoch und sah ihm hinterher, während er die Einfahrt hinaufging. In diesem Moment gelang es den Polizisten, das Garagentor vollständig zu öffnen. Das Innere von Daves Garage sah noch genauso aus wie bei Pams letztem Besuch – so vollgestopft mit unnötigem Zeug, dass Marlene niemals die Chance gehabt hätte, dort drin ihren Wagen zu parken.
Nach einem letzten Blick auf das Haus kehrte Pam zu ihrem Van zurück, um ihre Freundinnen auf den neuesten Stand zu bringen. Erleichtert ließ sie sich in den Sitz sinken: Zum einen, weil die kühle Luft wohltuend über ihre Haut glitt, zum anderen, weil sie nun Tränenspuren auf Marlenes Wangen entdeckte. Dreißig Jahre Ehe waren nun einmal dreißig Jahre Ehe, außerdem war Dave der Vater ihrer Kinder. Da war ein wenig Trauer ja wohl angebracht.
Marlene putzte sich lautstark die Nase. „Kann ich ihn sehen?“
Pam schob sich über den Sitz und schloss ihre Freundin in die Arme. „Ach, Marlene, ich denke nicht, dass du das willst. Lass uns besser zu Shalisa fahren und überlegen, was jetzt zu tun ist.“
Das Kinn fest auf Marlenes Schulter gedrückt, beobachtete Pam durch die Scheibe, wie die Sanitäter Daves Leichnam auf eine Trage hoben. Auch Nancy und Shalisa quetschten sich nach vorne und versuchten, ihre Freundin zu drücken. Marlene flüsterte dicht an Pams Ohr: „Sag mir, was passiert ist.“
Sie weiterhin fest an sich drückend, erzählte Pam, dass Hank den toten Dave eingeklemmt unter dem Garagentor gefunden habe. Marlene erstarrte, ihr Schluchzen verstummte augenblicklich. Sie löste sich aus Pams Umarmung und richtete sich auf. Mit schmalen Augen fragte sie: „Willst du mich verscheißern?“
Stumm schüttelte Pam den Kopf.
Marlene musterte Pam prüfend. Ihr Blick wanderte zu ihrem Haus hinüber, dann wieder zu Pam. Ein kurzes, raues Lachen löste sich aus ihrer Kehle. Besorgt sahen die Freundinnen sich an, während Marlene die Hände vor das Gesicht schlug. Pam befürchtete einen Moment, sie würde nun unhaltbar anfangen zu weinen, doch als Marlene schließlich die Hände sinken ließ und den Kopf gegen die Lehne drückte, erkannten die Frauen schockiert, dass sie lachte. Lauthals und ungehemmt, als würde sie sich einen Comedyauftritt von Robin Williams ansehen. Da sie nicht wussten, wie sie helfen sollten, wechselten die Freundinnen nur ratlose Blicke und warteten ab, bis sich Marlenes Gelächter auf ein sanftes Kichern reduzierte. Schließlich holte sie einmal tief Luft, tupfte sich die Wangen ab und stellte die Lüftungsschlitze so ein, dass die Klimaanlage ihr direkt ins Gesicht pustete. Dann verstaute sie ihr Taschentuch in ihrem Ausschnitt, schüttelte den Kopf und verkündete: „Gut, fahren wir. Aber vergesst den Kaffee, ich brauche jetzt einen Scotch.“
Zwar war Pam sich nicht sicher, ob sie Marlenes plötzlichen Stimmungsumschwung beruhigend oder besorgniserregend finden sollte, aber sie wollte unbedingt hier weg, also lenkte sie den Van wieder auf die Straße hinaus. Als direkt vor ihnen der Leichenwagen losfuhr, bremste sie peinlich berührt ab. Was für ein mieses Timing! Schnell drückte sie Marlenes Hand.
Wie gebannt starrte Marlene auf den Wagen, der ihren Ehemann endgültig von dem Haus fortbrachte, in dem sie ihre drei Mädchen großgezogen hatten. Von dem Vorgarten, in dem er mit jeder seiner Töchter an deren Hochzeitstag posiert hatte.
Sie hielt sich an Pams Hand fest, als ihr Blick die Einfahrt hinaufwanderte zu dem Garagentor, das den Mann getötet hatte, mit dem sie dreißig Jahre verheiratet gewesen war. „Hoffentlich war sein letzter Gedanke: ›Marlene hatte recht.‹“
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