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Träume aus Meerglas Träume aus Meerglas - eBook-Ausgabe

Maia Franke
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Roman

— Atmosphärischer Ostsee-Küstenroman mit Wohlfühlgarantie
Taschenbuch (13,00 €) E-Book (10,99 €)
€ 13,00 inkl. MwSt. Erscheint am: 04.07.2025 In den Warenkorb
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Träume aus Meerglas — Inhalt

Wellenrauschen und eine frische Prise Glück

Als ein schwerer Sturm die Zugfahrt der jungen Weltenbummlerin Josie unterbricht, strandet sie im beschaulichen Küstenörtchen Mirnhagen, direkt an der Ostsee. Auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf nimmt sie spontan einen Job als Hausmädchen bei dem mürrischen Juwelier Konrad an. In seiner Villa am Strand entdeckt sie mit Konrads Hilfe nicht nur ihr Talent für die Herstellung von Schmuck aus angespültem Meerglas, sie trifft auch auf Rick, den Chauffeur des Juweliers, der ihr Herz höherschlagen lässt. Doch Rick hütet ein Geheimnis und Josie ist noch nie lange am selben Ort geblieben. Wird sie hier einen Grund finden, um endlich Wurzeln zu schlagen? 

€ 13,00 [D], € 13,40 [A]
Erscheint am 04.07.2025
288 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-32013-9
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€ 10,99 [D], € 10,99 [A]
Erscheint am 04.07.2025
304 Seiten
EAN 978-3-492-61139-8
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Leseprobe zu „Träume aus Meerglas“

Kapitel 1

Oktober 2022

Josie lehnte den Kopf gegen das Zugfenster. Das Glas fühlte sich kühl an, so dicht an ihrer Schläfe.

Sie blickte nach draußen – auf eine Reihe weiß verputzter Häuschen mit Sprossenfenstern, hinter denen der Glockenturm einer Backsteinkirche aufragte. In den Vorgärten blühten Heidekraut und Herbstastern. Wolkenfetzen trieben am blauen Oktoberhimmel vorbei. Ein Reetdach zierte das Postamt an der Ecke, und der gepflasterte Platz vor dem Bahnhof war mit einem hölzernen Fischerboot dekoriert.

Bis zur Ostsee konnte es nicht mehr weit sein.

D [...]

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Kapitel 1

Oktober 2022

Josie lehnte den Kopf gegen das Zugfenster. Das Glas fühlte sich kühl an, so dicht an ihrer Schläfe.

Sie blickte nach draußen – auf eine Reihe weiß verputzter Häuschen mit Sprossenfenstern, hinter denen der Glockenturm einer Backsteinkirche aufragte. In den Vorgärten blühten Heidekraut und Herbstastern. Wolkenfetzen trieben am blauen Oktoberhimmel vorbei. Ein Reetdach zierte das Postamt an der Ecke, und der gepflasterte Platz vor dem Bahnhof war mit einem hölzernen Fischerboot dekoriert.

Bis zur Ostsee konnte es nicht mehr weit sein.

Der Gedanke erzeugte ein eigentümliches Flattern in Josies Magen. Sie liebte das Meer. Schon als kleines Mädchen hatte sie sich nirgendwo lieber aufgehalten als am Strand – und auch bei ihren zahlreichen Reisen rund um die Welt hatte es sie stets ans Meer gezogen.

Warum fuhr der Zug nicht endlich weiter?

Es gab keinen Grund für einen längeren Aufenthalt. Der kleine Bahnhof besaß nur ein Gleis, und die ältere Frau mit der roten Jacke war schon vor Minuten ausgestiegen. Außer Josie saß niemand mehr im Abteil. Die Reisegruppe, die nach Bad Doberan wollte, hatte den Zug bereits beim letzten Halt verlassen. Irgendeine Fahrplanänderung hatte für Aufregung und Hektik gesorgt. Genaueres hatte Josie nicht mitbekommen, weil ihre Musik die Durchsage übertönt hatte.

Jetzt nahm sie die Stöpsel aus den Ohren. Die Stimme von Neil Finn, der sie eine Weile zurück nach Neuseeland entführt hatte, verstummte abrupt.

„Sorry“, rief sie dem Zugbegleiter entgegen, der prüfend durch den Mittelgang schritt. Offenbar kontrollierte er, ob jemand Gepäck vergessen hatte.

„Was machen Sie denn noch hier?“ Er starrte sie an, als sei sie ein Geist. „Sie müssen aussteigen!“

Schlagartig war Josie hellwach. „Jetzt?“

Er nickte. „Wir haben beim letzten Halt ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Fahrt heute hier endet. Damit alle Fahrgäste rechtzeitig umsteigen können. Hm, ich fürchte, die Anschlusszüge, die noch gefahren wären, sind jetzt weg.“

Nur Josie hatte die wichtige Information verpasst und wusste nun nicht, wie sie ans Meer kam. Selbst schuld!

„Ähm …“ Sie spähte aus dem Zugfenster. Nirgendwo entdeckte sie ein Schild, das ihr verriet, wo sie sich befand. Der winzige Bahnhof wirkte verlassen.

„Wo sind wir überhaupt?“

„In Mirnhagen.“ Der Mann nahm die Uniformmütze ab und strich sich über die Stirn. „Wegen der Sturmwarnung ist heute hier Endstation. Haben Sie vielleicht Verwandte oder Freunde im Ort? Oder erwartet Sie jemand, der Sie abholen könnte?“

„Auf mich wartet niemand.“

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Er sah sie so betrübt an, dass Josie ihm spontan ein Lächeln schenkte.

„Das macht nichts, wirklich“, versicherte sie und griff nach ihrer Jacke. „Mir wird schon was einfallen.“

„Weiter fahren wir aber nicht. Zurück auch nicht mehr, hinter uns liegt bereits ein Baum auf dem Gleis. Wer weiß, wie lange es dauert, bis die Feuerwehr die Strecke wieder frei geräumt hat. Mit so einem Sturm ist in Küstennähe nicht zu spaßen.“

„Gibt es noch eine andere Verbindung? Nach Rostock oder vielleicht bis nach Kühlungsborn?“

Um diese Jahreszeit ließ sich dort sicher eine bezahlbare Unterkunft finden. Es waren keine Ferien, und die Saison war vorbei.

Er schüttelte den Kopf. „Soweit mir bekannt ist, nein.“

„Kein Problem.“ Josie wuchtete ächzend ihren Rucksack aus der Gepäckablage. „Dann lasse ich mich eben überraschen, was Mirnhagen so zu bieten hat.“

„Nicht viel, fürchte ich.“ Bedauernd tippte er gegen seine Mütze. „Sie können aber jederzeit die Bahnauskunft anrufen. Es gibt eine Hotline wegen des Sturms, vielleicht kann man Ihnen da weiterhelfen.“

„Danke, ich werde schon klarkommen.“ Josie lächelte ihn so überzeugend an, wie sie konnte.

Es war absolut unnötig, dass der Mann sich Sorgen um sie machte. So schnell ließ sie sich von einem Sturm nicht aus der Ruhe bringen, da hatte sie in der Vergangenheit schon ganz andere Abenteuer überstanden. Josie war Meisterin darin, sich hoffnungsvoll und gut gelaunt auf Unbekanntes einzulassen. Wenn es darauf ankam, ihr Talent heute wieder einmal unter Beweis zu stellen, bitte.

„That’s life“, erklärte sie ihm.

Er blieb skeptisch. „Wenn Sie meinen …“

Doch bisher hatte sie immer einen Schlafplatz gefunden, und in den letzten zehn Jahren, in denen sie umhergereist war, hatte sie zudem die Erfahrung gemacht, dass sich gerade in den abgelegensten und unscheinbarsten Gegenden oft die schönsten Fleckchen der Erde verbargen.

Vielleicht traf das auf Mirnhagen auch zu.

Josie sprang aus dem Zug. Auf dem Bahnhofsvorplatz gab es außer dem alten Fischerboot, von dem die Farbe abblätterte, nicht viel zu sehen. Eine Windböe zerrte an ihrem Haar und wehte ihr die lockigen Strähnen ins Gesicht. Sie kramte ein Zopfgummi aus der Jeanstasche. Rasch band sie die Haare zusammen und wickelte sich ihr Schaltuch fester um den Hals. Auf eine Erkältung konnte sie verzichten.

Vielleicht war es doch eine blöde Idee gewesen, herzukommen. Nur weil sie in Kürze dreißig wurde und das Gefühl hatte, es sei allmählich an der Zeit, zurückzukehren. Nach Ostdeutschland, an die mecklenburgische Küste, wo sie einst aufgewachsen war. Um nach ihren Wurzeln zu suchen oder dem, was andere Heimat nannten. Dem Ort, den Javier gelegentlich in melancholischen Liedern besang, wenn er abends zur Gitarre griff. Der Barbesitzer aus Spanien, in dessen Lokal sie eine Weile gekellnert hatte, war zu einem ihrer engsten Freunde geworden. Sie hatte ihn lange nicht mehr gesehen. Vielleicht hätte sie lieber Javier besuchen sollen, statt Ende Oktober an die Ostsee aufzubrechen?

„Quatsch“, murmelte Josie.

Ihr Magen erinnerte sie knurrend daran, dass das Frühstück ausgefallen war und sie bislang nur einen Kaffee getrunken hatte. Ob es in der Nähe des Bahnhofs einen Imbiss oder eine Bäckerei gab?

Das Städtchen mochte klein sein, unbewohnt war es dennoch nicht. Auf einer Bank neben der Haltebucht für Busse oder Taxis saß die ältere Frau mit der roten Jacke aus dem Zug. Ihre Frisur war heillos zerzaust, die Wangen vom Wind gerötet. Fest umklammerte sie ihre Handtasche.

Josie grüßte freundlich. „Verzeihung, sind Sie zufällig aus Mirnhagen?“

Sie blinzelte unsicher hinter den starken Brillengläsern in Josies Richtung. „Ja, warum?“

„Wissen Sie, ob noch ein Bus fährt?“

„Wo wollen Sie denn hin?“ Ehe Josie antworten konnte, schlug sie sich die Hand vor den Mund. „Ach, was rede ich da! Es fährt doch gar kein Bus mehr, nirgendwohin. Schon seit Ewigkeiten nicht mehr.“

„Schade.“

„Es gibt nur noch den Schulbus für die Kinder.“

„Der nützt mir nichts.“ Josie seufzte. „Ich wollte gern ans Meer, möglichst heute noch.“

„Ans Meer?“ Jetzt wirkte sie verwirrt. „Aber Sie sind hier doch direkt am Meer.“

„Oh, tatsächlich? Wo ist die Ostsee?“

„Gleich dahinten!“ Sie streckte den Arm aus und wies über die Dächer der Häuser nach Norden. „Dort liegt die alte Seebrücke von Mirnhagen, da beginnt der Strand.“ Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln. „Bei dem Mistwetter kann ich Ihnen allerdings einen Spaziergang dort nicht empfehlen. Es sei denn, Sie mögen es, wenn der Sand zwischen Ihren Zähnen knirscht.“

„Nicht unbedingt.“ Josie lachte. Wenn Mirnhagen direkt an der Ostsee lag, hatte sie erst recht Lust, hierzubleiben. Vielleicht hatte sich das Schicksal etwas dabei gedacht, sie ausgerechnet hier stranden zu lassen.

„Wenn Sie sich links halten, kommen Sie zur Steilküste. Dort ist es vor allem am Abend wunderschön“, sagte die alte Frau mit sehnsüchtigem Unterton. „Im Sommer geht die Sonne genau hinter dem Leuchtturm unter.“

Josies Nacken kribbelte. Steilküste? Leuchtturm?

Das klang fast zu schön, um wahr zu sein. Jedenfalls sehr verlockend.

„Gibt es in der Nähe eine Pension oder ein billiges Hotel, wo ich ein paar Tage unterkommen kann?“

Die Frau blinzelte wieder. Anscheinend bemerkte sie Josies großen Rucksack erst jetzt. „Also, früher gab es das Hotel am Markt. Aber das ist geschlossen. Das Geschäft lohnte sich nicht, es kommen zu wenige Touristen hierher. Am oberen Ende des Küstenwegs befinden sich ein paar neue Apartments und Ferienwohnungen.“ Sie hob die Schultern. „Leider weiß ich nicht, wer die vermietet.“

„Das lässt sich bestimmt rausfinden.“ Josie setzte sich zu ihr auf die Bank und kramte das Handy hervor. „Ihre Jacke finde ich übrigens toll. Diese abgesetzten Patchworktaschen gefallen mir. Ist das Handarbeit?“

Die alte Frau nickte. „Ich habe schon immer gern genäht“, sagte sie leise.

Josie fiel auf, dass sie auch wunderschöne Ohrringe trug. Die Steine schimmerten grün, und Josie hätte gern gewusst, ob sie echt waren. Sie hatte ein Faible für besonderen Schmuck; vor allem für solchen aus Meerglas, von dem ein ganz ähnliches mattes Leuchten ausging. Als gestatte das tiefe Wasser einen kurzen Blick in ein altes Geheimnis.

Doch ehe sie danach fragen konnte, näherte sich ein Jeep dem Bahnhofsvorplatz. Beim Geräusch des Motors stand die Frau erleichtert auf. „Ich werde abgeholt.“

Der Jeep stoppte direkt vor ihnen. Ein Mann im Parka sprang heraus. Er war ungefähr in Josies Alter, das dunkelblonde Haar fiel ihm weit in die Stirn.

„Tut mir leid, dass ich zu spät dran bin.“ Er nahm Josies Gesprächspartnerin die Handtasche ab und half ihr auf den Beifahrersitz. „Ich musste noch dringend zum Baumarkt, ein paar Bretter besorgen. Konrads Strandhütte ist nicht allzu stabil und …“

„Ja, ich weiß, du hast wichtigere Aufgaben, als eine alte Schachtel durch die Gegend zu kutschieren.“

„Aber Frau Engels …“

„Hör bloß auf! Es stimmt doch.“

Er grinste kaum merklich und wartete geduldig, bis sie den Gurt umgelegt hatte. Dann reichte er ihr die Handtasche, schlug die Beifahrertür zu und ging um den Wagen herum.

Sein Blick streifte Josie. „Soll ich dich auch irgendwohin mitnehmen?“

„Nein, nicht nötig.“

Wenn sie Mirnhagen erkunden wollte, fing sie am besten im Ortszentrum an, das dem Bahnhof gegenüber lag. Rund um die Kirche mit dem hohen Backsteinturm gab es bestimmt eine Art Fußgängerzone mit Geschäften, wo sie etwas zu essen kaufen konnte. Der Rest ergab sich dann schon.

„Okay.“ Er zuckte die Achseln und stieg ein.

Sekunden später rollte der Jeep davon.

Josie schob das Handy zurück in die Tasche und überquerte den leeren Bahnhofsvorplatz. Auf einem Straßenschild stand Marktgasse, dort bog sie ein.

Außer ihr waren fast keine Passanten unterwegs. Der kleine Ort lag da wie ausgestorben. Ob es an der Sturmwarnung lag? Zwischen den eng beieinanderstehenden Häusern spürte man den Wind kaum auf der Haut, aber die Atmosphäre wirkte wegen der nahenden Sturmfront wie aufgeladen. Die Luft schien zu knistern.

Josie folgte der gepflasterten Gasse bis zum Markt.

In der Mitte des Platzes stand ein alter Springbrunnen mit steinernem Neptun. Der Sockel unter seinen Füßen bröckelte, aber die Figur des Meeresgottes hatte etwas Verschmitztes an sich, das Josie ein Lächeln entlockte.

Das Hotel war tatsächlich geschlossen. Es besaß eine erhöhte Terrasse, von der man den Marktplatz überblicken konnte, und Josie konnte sich gut vorstellen, wie nett es früher gewesen sein musste, dort an Tischen unter bunten Sonnenschirmen zu sitzen und ein Eis zu essen. Überhaupt war der ganze Markt ausgesprochen malerisch.

Vor allem das Bernstein-Museum an der Stirnseite faszinierte Josie auf Anhieb. Das Haus hatte nur zwei Stockwerke, doch mit seiner schneeweißen Fassade, den hohen Glasfenstern und den Säulen vor dem Eingangsportal entsprach es der typischen Bäderarchitektur. Ein Balkon, der wie der seitliche Treppenaufgang von weißen Säulen gestützt wurde, umrahmte das Obergeschoss.

Daneben, im Eckhaus mit dem spitzen Giebel, befand sich eine Apotheke. Josie entdeckte einen Blumenladen und einen kleinen Supermarkt; doch viele der Ladengeschäfte waren verwaist, die Markisen eingerollt. Mitunter wiesen noch Schilder über den verbarrikadierten Türen darauf hin, was hier früher angeboten worden war.

Auf einer Seite des Marktes lag das Rathaus von Mirnhagen – ein lang gestrecktes Gebäude mit altmodischen Arkaden, in denen weitere kleine Läden und ein Bankautomat eingebettet waren. Josie erspähte eine Buchhandlung mit dem Namen Die Bücherkiste und eine Bäckerei. Letztere war zu ihrer Freude geöffnet.

Als Josie darauf zuging, landete eine Möwe vor ihr auf dem Pflaster. Stoisch ignorierte sie den Wind, der ihr durchs Gefieder fuhr. Sicher hoffte sie, dass Josie etwas kaufte und ein Leckerbissen für sie abfiel.

Josie zwinkerte ihr zu. „Scheint dein Glückstag zu sein.“

Mit Schwung stieß sie die Ladentür auf. Augenblicklich stieg ihr der süße Duft von Gebäck in die Nase, und als Josie die mit Pudding gefüllten Streuseltaler erblickte, konnte sie ein Jauchzen nicht unterdrücken.

Mit verwundertem Blick drehte die junge Verkäuferin hinter dem Tresen sich zu ihr um. „Bitte?“

„Oh, ich …“ Josie beeilte sich zu erklären, wie sehr sie diese Puddingteilchen als Kind geliebt hatte. „Seit Jahren habe ich die nicht mehr gegessen!“

„Na, wenn das so ist …“ Die Verkäuferin packte ihr lachend gleich drei Stück in eine Papiertüte. Auf dem Etikett an ihrem karamellfarbenen Kittel stand Mandy. „Die verkaufe ich heute sowieso nicht mehr. Aufgrund des Sturms muss ich leider früher schließen. Der Kindergarten besteht darauf, dass bis 15 Uhr alle Kinder abgeholt werden, und ich konnte so schnell keine Vertretung organisieren.“

„Dann nehme ich noch zwei Brötchen mit“, sagte Josie. „Und könnte ich auch einen Kaffee bekommen?“

Die Verkäuferin zögerte. „Eigentlich schon, aber …“

Josie begriff. Vermutlich war es kurz vor 15 Uhr.

„Ich will keine Umstände machen“, beteuerte sie. „Ich habe einen eigenen Becher im Rucksack und kann den Kaffee gern auch draußen trinken. Ich störe also keine Minute länger, versprochen.“

„Na dann“, Mandy streckte lächelnd die Hand aus, „her mit dem Becher!“

Wenig später schlenderte Josie mit ihrem duftenden Kaffee und dem Gebäck auf das Museum zu. Hoffnungsvoll hüpfte die Möwe neben ihr her.

Vor dem überdachten Eingangsportal schien es einigermaßen windgeschützt, dort stellte Josie den Rucksack ab. Leider war auch das kleine Bernstein-Museum geschlossen. Durch die Glasscheiben konnte Josie ins Innere blicken. Die Räume waren größtenteils leer, nur ein paar Vitrinen ohne Inhalt standen noch darin sowie im Eingangsbereich eine Kassentheke und eine Ledercouch. Trotz allem strahlte das Museum eine stille Würde aus – als könne es wie Dornröschen aus seinem langen Schlaf wiedererweckt werden, wenn erst der richtige Zeitpunkt gekommen war.

Josie schmunzelte über ihre Gedanken.

„Krah“, schimpfte die Möwe.

Josie warf ihr eines der Brötchen hin und biss genussvoll in einen Puddingtaler. Puderzucker stäubte in die Luft. Süßer Vanillegeschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus.

Wie schade, dass die Ausstellung geschlossen war.

Sie umrundete langsam das Gebäude. Links, hinter der letzten Säule, war früher ein Juweliergeschäft gewesen. Die Ladentür lag etwas versteckt unter dem Treppenaufgang zum Balkon des Museums. Ein kunstvoll verziertes Schild wies noch auf den einstigen Besitzer hin: Konrad Kampmann.

Zu Josies Überraschung klebte im leeren Schaufenster ein Zettel.


Haushaltshilfe gesucht

DRINGEND!!!

stundenweise oder auf Mindestlohnbasis

kostenfreie 2-Zi-Wohnung im Museum

 

Wohnen im Museum? Josie verschluckte sich. Konnte das wahr sein? Hustend las sie erneut die knappen Zeilen. Der Zettel war ausgebleicht, die Ränder vergilbt. Ob das Angebot noch galt? Unter dem Text war eine Telefonnummer angegeben, bei der man sich bei Interesse melden konnte.

Josie starrte den Aushang an. Dann wanderte ihr Blick nach oben zum Balkon des Museums. Zweifellos musste die Wohnung im Obergeschoss liegen. Vielleicht war sie sogar möbliert?

Josie kniff sich in den Arm. „Das ist ja verrückt!“

Aber sie zögerte keine weitere Sekunde, sondern zog ihr Handy hervor und tippte die Nummer ein.

Endlos lange meldete sich niemand. Dann klickte es, ähnlich wie bei einer Rufumleitung, und ein Anwalt namens Alexander Wolff nahm ab. Er reagierte erfreut über ihre Anfrage, ob die Stelle und die Wohnung noch zu haben seien. Dass Josie ehrlicherweise gleich einräumte, dass sie wahrscheinlich nur vorübergehend hier sein würde, störte ihn nicht. „Von welchem Zeitraum reden wir?“

Josie stockte. „Tja, also …“

„Vier Wochen? Es sollte kein Problem sein, einen Vertrag für November zu schließen.“

Der Vorschlag klang in Josies Ohren fast perfekt. Fast. Denn heute war erst der 28. Oktober, und sie brauchte dringend noch vor dem Wochenende eine Unterkunft.

„Wäre es möglich, dass ich die Wohnung schon vor dem ersten November beziehen kann?“

„Vorher? Wann genau?“

„Heute?“ Sie erklärte ihm ihre Situation. „Ich war in den letzten Jahren auf Reisen, work and travel, verstehen Sie? Wegen des Sturms sitze ich nun unerwartet in Mirnhagen fest, was ja nicht schlimm ist, aber …“

Er lachte. Für einen Anwalt zeigte er erstaunlich viel Humor und Verständnis. „Dann regeln wir das anders. Hören Sie, ich arbeite in Rostock und bin daher nicht ständig vor Ort. Aber Herr Kampmann wohnt in der Steinstraße 25. Es ist das letzte Haus, ganz am Ende. Ich kündige Sie bei der Pflegerin an, dann können Sie den Schlüssel für die Wohnung dort abholen. Sagen wir … in einer Stunde?“

„Super, danke.“ Josie notierte sich die Adresse. Bei ihrem Gedächtnis war das besser so.

„Wenn Sie Herrn Kampmann kennenlernen, können Sie auch alles Weitere gleich mit ihm besprechen. Schließlich sollen Sie ja für ihn arbeiten und nicht für mich. Die vertraglichen Dinge können wir nächste Woche regeln.“ Er machte eine Pause und räusperte sich.

Sein Zögern irritierte Josie. Gab es irgendeinen Haken bei der Sache?

Doch ehe sie ihm weitere Fragen stellen konnte, beendete der Anwalt das Gespräch. „Wir sehen uns am Dienstag.“

Nachdenklich steckte Josie das Telefon ein.

Ein lautes Rascheln ließ sie den Kopf drehen. Die Möwe zerrte gerade die Tüte mit dem zweiten Brötchen aus ihrem Rucksack.

„He, das war nicht für dich“, rief Josie.

Zu spät! Triumphierend flatterte die Möwe mit ihrer Beute davon. Immerhin hatte das freche Biest die Puddingteilchen dagelassen.


Kapitel 2

Die Steinstraße schlängelte sich hinter der Kirche einen sanft ansteigenden Hügel empor, und Josie kämpfte kräftig gegen den Wind, bis sie das letzte Haus erreichte – eine imposante Villa aus verputztem Backstein. Wellenförmige Muster aus Mosaiksteinen in zahlreichen Blautönen zierten einen Teil der Hausfassade und die Gartenmauer.

Josie fand das Motiv zauberhaft.

Sie hielt für einen Moment vor dem Tor inne. In der Ferne schimmerte es grau. Aus den oberen Fenstern der Villa konnte man bestimmt das Meer sehen.

Das Grundstück rund um das Haus wirkte auf den ersten Blick leicht verwildert, aber das war möglicherweise nur dem Sturm geschuldet, der Laub und Äste herumwirbelte und die letzten Herbstblumen umknickte. Das Gras war jedenfalls gemäht, und die bepflanzten Terrakottatöpfe auf den Steinstufen vor der Villa sahen hübsch aus.

Eine Katze lauerte auf der Terrasse.

Josie drückte auf den Klingelknopf. Nach dem dritten erfolglosen Versuch schob sie das Tor einfach auf und ging durch den Garten.

Die Katze verschwand um die Hausecke.

„Hallo?“ Josie klopfte an die Tür. „Ist jemand da?“

Endlich öffnete sich die Tür, und Josie sah sich einer Frau im Pflegekasack gegenüber. Das kastanienrote Haar trug sie aufgesteckt, und ihr Lidschatten glitzerte. Trotz der feinen Fältchen um die Augen wirkte sie jugendlich.

„Hallo.“ Beim Anblick von Josies Rucksack vertiefte sich ihr Grinsen. „Wen weht uns der Wind denn da ins Haus?“

Josie stellte sich vor. „Ich komme wegen der Wohnung und der Stelle als Haushaltshilfe.“

„Weiß ich doch.“ Die andere lachte. „Alexander hat dich am Telefon bereits angekündigt. Der nutzt jede Gelegenheit, um sich wichtigzumachen.“ Sie streckte die Hand aus. „Ich bin Natalia. Komm rein!“

Josie folgte ihr ins Haus.

„Lass dein Gepäck im Flur stehen und häng die Jacke hier auf.“ Natalia wies auf eine Garderobe aus Mahagoni. „Und zieh bitte auch die Schuhe aus, sonst kriegt Konrad einen Anfall.“ Sie verdrehte die Augen. „Glaub mir, den Vortrag über seine kostbaren Teppiche willst du dir nicht antun, egal, was die wirklich wert sind.“

Josie grinste und schlüpfte aus den Stiefeln. Angesichts des abgewetzten Leders war es wohl besser, dem Besitzer der Villa in Socken zu begegnen. Außerdem kannte sie die Gepflogenheit aus ihrer Kindheit – Oma Hedi hatte ebenfalls großen Wert darauf gelegt, dass Besucher die Schuhe auszogen, sobald sie ihre Wohnung betraten.

„Er erwartet dich im Bücherzimmer, hinten links.“

Josie ging durch den Flur und ahnte sofort, wo es sein musste. Der unverkennbare Geruch alter Ledereinbände strömte ihr durch die offene Tür entgegen, hohe Regale voller Bücher reichten bis unter die Zimmerdecke.

„Herr Kampmann?“

„Kommen Sie rein.“ Die Stimme klang mürrisch und wenig einladend.

Josie wappnete sich. Von einem unfreundlichen Empfang würde sie sich nicht abschrecken lassen. Sie war ja nicht zum Spaß hier, sondern wegen der Wohnung. Okay, und wegen des Jobs. Es war durchaus sinnvoll, ihren Kontostand aufzupeppen.

Der hagere Senior, der aufrecht im Rollstuhl hinter seinem Schreibtisch saß, die Zeitung vor sich aufgeschlagen, wirkte auf den ersten Blick gar nicht wie ein Pflegefall. Kritisch beäugte er Josie.

„Sie sind nicht aus Mirnhagen“, stellte er fest.

„Nein.“ Sie lächelte ihn offen an. „Bis vor ein paar Stunden wusste ich nicht mal, dass Mirnhagen existiert.“ Lügen oder etwas vorzutäuschen, war noch nie ihre Stärke gewesen.

„Ihr Name ist Josephine Wi…?“

„Winter, ja. Aber nennen Sie mich gern Josie“, unterbrach sie ihn. „So nennen mich alle.“

Die Kurzform passte besser zu ihr als das steife Josephine. Keine Ahnung, was ihre Mutter sich dabei gedacht hatte, ihr einen so antiquierten Namen zu geben.

„Hm.“ Konrad Kampmann schien nicht zu wissen, was er davon halten sollte. „Frau Winter, ich habe gehört …“

„Josie“, wiederholte sie. „Bitte!“

„Wie Sie wollen. Ihr Name ändert an meiner Frage nichts.“ Misstrauen blitzte in seinen Augen auf. „Alexander sagte, Sie sind derzeit arbeits- und obdachlos?“

Autsch! So formuliert, hörte sich ihre Lage echt dramatisch an. Dabei verhielt es sich doch ganz anders.

„Bitte, darf ich es Ihnen erklären?“, begann Josie.

Seine Brauen hoben sich. „Wenn Sie das können?“

„Klar kann ich das! Ich war viele Jahre auf Reisen, aber ich habe überall gearbeitet. Als Kellnerin oder als Küchenhilfe in Restaurants, auf einer Obstplantage und zuletzt sogar auf einer Schaffarm in Neuseeland.“

„Welche Tätigkeit Sie auf einer Schaffarm ausgeübt haben, dürfte in meinem Fall nicht von Belang sein“, entgegnete er trocken.

„Ich kann gut kochen und putzen“, beharrte sie. Und weil sie sich an die Katze erinnerte, fügte sie hinzu: „Haustiere mag ich übrigens auch. Ich versorge sie gern.“

„Außerdem sind Sie fleißig, zuverlässig und …?“

Machte er sich über sie lustig?

„Das bin ich in der Tat“, sagte Josie. „Sie gehen kein Risiko ein, wenn Sie mich für einen Monat beschäftigen.“

So unsympathisch und grantig, wie der alte Kerl war, würde es ihr auch reichen, nur ein paar Tage für ihn zu arbeiten. Als Gegenleistung dafür, dass sie so kurzfristig im Museum unterkommen durfte. Mehr interessierte sie doch gar nicht.

An der Wand hinter seinem Schreibtisch hing ein Gemälde, das eine felsige Küstenlandschaft mit Leuchtturm zeigte. Josie gefielen die ausdrucksstarken Farben. Sie versuchte, sich auf das Meer im Bild zu konzentrieren.

Es half ihr, ruhig zu bleiben.

„Haben Sie eine abgeschlossene Ausbildung?“

Die Frage war zu erwarten gewesen. „Nein, leider nicht mal eine angefangene.“ Josie holte tief Luft. „Ich bin gleich nach dem Abitur weggegangen.“

„Aha.“ Sein Blick war bohrend. „Ins Ausland. Das sagten Sie schon. Aber Sie haben nicht erwähnt, warum.“

„Weil … meine Mutter gestorben ist.“

Damals war ihr plötzlich alles total sinnlos vorgekommen. Das ganze Leben. Eine einzige Ödnis, die sich endlos vor ihr erstreckt hatte. Wozu lernen, hatte sie sich gefragt. Um wie ihre alleinerziehende Mutter in ein vorgegebenes Hamsterrad zu springen, aus dem es keinen Ausweg mehr gab?

Nein, das hatte Josie nie gewollt.

Wenn sie darüber nachdachte, wollte sie das immer noch nicht. Auch wenn es allmählich Zeit wurde, dass sie einen Plan für ihr Leben entwarf. Oder ein Ziel fand.

Herumzureisen, bis sie alt und krank oder so fuchtig wurde wie Konrad Kampmann, war schließlich keine Option.

Er legte die Fingerspitzen aneinander. Auf seiner Stirn hatte sich eine steile Falte gebildet.

„So ist das also“, sagte er langsam.

„Ich weiß, jemand wie Sie versteht das wahrscheinlich nicht.“

„Was verstehe ich nicht?“

„Dass ich damals wegmusste. Sonst wäre ich durchgedreht.“ Sie hatte ihren Ausbildungsvertrag zerrissen und die Wohnung gekündigt. „Ich konnte nicht so tun, als wäre die Welt noch in Ordnung. Das war unmöglich. Ich konnte nicht einfach so weitermachen und hierbleiben.“

„Hier?“

„In Rostock. Da bin ich aufgewachsen.“

Sie beschloss, dass sie damit genug von sich preisgegeben hatte. „Brauchen Sie nun jemanden, der Ihnen im Haushalt hilft oder nicht?“

Wenn nicht, war das alles hier Zeitverschwendung.

Er nickte. „Betrachten Sie sich als eingestellt.“

Josie atmete auf. Was auch immer ihn dazu bewogen hatte, ihr den Job zu geben – Hauptsache, es hatte geklappt.

„Ihre Arbeitszeit wäre täglich außer sonntags, von 8 bis 14 Uhr. Mehr Stunden kann ich Ihnen nicht anbieten.“

„Ist mir recht.“ Die Stundenzahl war ihr egal, sie wollte doch vor allem die kleine Wohnung im Museum beziehen.

„Sie tragen keine Armbanduhr.“ Wieder dieser durchdringende Blick. „Wie wollen Sie sicherstellen, dass Sie pünktlich zur Arbeit erscheinen?“

Lebte er noch im letzten Jahrhundert?

„Ich habe ein Handy. Mit Weckfunktion!“

Meistens wachte sie eh früh auf, eine Uhr hatte sie noch nie gebraucht. Seltsam, was diesem alten Mann alles auffiel. Ob es daran lag, dass er ein ehemaliger Juwelier war?

„Übrigens, wie Sie unschwer erkennen können, handelt es sich bei meinem Haus um keine Schaffarm.“

Josie fragte sich, worauf er hinauswollte. „Ja, und?“

Er taxierte sie nach wie vor grimmig. „Mir ist Sauberkeit wichtig. Darum gibt es hier keine Haustiere.“

„Vorhin war da doch eine Katze“, sagte sie erstaunt.

„Wo?“

„Auf Ihrer Terrasse.“

„Wem auch immer die gehört, die hat hier nichts verloren.“ Er schnaubte. „Es wäre schön, wenn Sie sich darum kümmern könnten, sobald Sie für mich arbeiten. Leider kann ich das Tier nicht selbst vertreiben.“

Was für ein garstiger Mensch, dachte Josie. Sie würde gewiss keine Katze davonscheuchen. Notfalls konnte sie behaupten, sie hätte keine Katze im Garten gesehen.

Er zog die obere Schublade seines Schreibtisches auf und holte einen Schlüsselbund heraus. „Der direkte Zugang zur Museumswohnung führt über die Außentreppe. Dieser zweite Schlüssel passt zum Haupteingang. Wenn Sie schon für mich arbeiten, können Sie die Räume einmal durchwischen.“

Josies Herz klopfte einen Takt schneller. Wie aufregend!

Sie hatte noch nie in einem Museum gewohnt.

„Zu stehlen gibt es dort nichts.“

„Das weiß ich“, sagte sie. „Ich war da.“

Trotzdem fand sie es schade, dass das Gebäude keine Bernstein-Sammlung mehr beherbergte. „Haben Sie sämtliche Ausstellungsstücke verkauft?“

„Die meisten.“ Konrad Kampmann hustete. „Nach meinem Unfall blieb mir nichts anderes übrig als die Schließung und …“

Wenn Josie das Gehuste richtig interpretierte, trauerte er um seinen Juwelierladen mehr als um das Museum.

„Das Museum war schon lange überflüssig. Seit das Hotel am Markt dichtgemacht hat, haben sich kaum noch Besucher nach Mirnhagen verirrt. In Ribnitz-Damgarten gibt es ein großes Bernstein-Museum, da zieht es die Leute hin.“

Sein Husten verstärkte sich.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie.

„Ja.“ Er rang nach Luft. Gleichzeitig wedelte er mit der Hand, zum Zeichen, dass sie entlassen war. „Gehen Sie.“

„Dann bis bald“, sagte sie. „Danke!“

Als Josie aus dem Zimmer eilte, prallte sie beinahe gegen Natalia, die ihr mit einem Wäschekorb im Flur entgegenkam.

„Verhör beendet?“, fragte sie.

„Ich hab den Job bekommen.“ Josie präsentierte stolz die Schlüssel. „Und die Wohnung im Museum auch.“

„Soll ich dir was verraten?“ Natalia grinste. „Konrad hat noch nie jemanden abgelehnt. Allerdings hat er die meisten wieder vergrault, bevor die Tinte auf dem Vertrag trocknen konnte. Da ihn hier alle kennen, bewirbt sich keiner mehr. Du bist also ein wahrer Glücksfall für ihn.“

„Ernsthaft?“, fragte Josie verwirrt.

„Kein Witz“, bestätigte Natalia. Sie suchte eine Garnitur meerblauer Bettwäsche und ein Laken aus dem Stapel in ihrem Korb und drückte Josie beides in die Hand. „Hier, nimm das mit. Möbliert ist die Wohnung im Museum, aber ich nehme an, du hast kein Bettzeug im Rucksack.“

Das Laken verströmte einen sanften Lavendelduft.

„Mmh, ich liebe den Geruch.“ Josie schloss die Augen und schnupperte. Sah die blühenden Lavendelfelder der Provence vor sich – wie ein violettes Meer, das sich bis zum Horizont erstreckte. Schöner war nur das echte Meer.

„Falls du noch ein paar Vorräte einkaufen musst, solltest du dich beeilen“, sagte Natalia, nachdem Josie die Augen wieder geöffnet hatte. „Denk dran, am Montag ist Feiertag!“

Ach ja, den Reformationstag hätte Josie fast vergessen. Das bedeutete, sie musste vor dem langen Wochenende dringend ein paar Dinge besorgen, wenn sie nicht verhungern wollte.

Sie stopfte die Bettwäsche in den Rucksack, wo sie gerade noch hineinpasste, zog ihre Stiefel und die Jacke wieder an und verabschiedete sich eilig.

„Wenn irgendwas schiefgeht, komm vorbei“, rief Natalia ihr nach. „Dann bringen wir dich hier unter. Es gibt genügend Gästezimmer im Haus.“

Josie bedankte sich – und hoffte, das würde nicht nötig sein.

 

Zwei Stunden später stand sie auf dem Balkon des Museums und betrachtete den Himmel. Die Wolken ballten sich, grauschwarz und bedrohlich. Von Westen her zog der Sturm wie eine dichte Wand heran. Doch Josie verspürte keine Angst.

Im Gegenteil.

Pure Lebensfreude erfüllte sie bis in die Zehenspitzen.

Sie breitete die Arme weit aus und lachte übermütig, während der Wind ihr das Haar ins Gesicht peitschte und erste dicke Tropfen aufs Pflaster klatschten.

Dieser Marktplatz mit seinem Brunnen und den schönen alten Häuserfassaden, denen niemand Beachtung schenkte, hatte eine Saite in ihr angerührt. Das verschlafene Mirnhagen brachte etwas in ihr zum Klingen. Ganz gewiss war es kein Zufall, dass sie ausgerechnet hier gestrandet war.

In der Wohnung über der Apotheke brannte Licht, auch im Haus daneben, wo leise Klaviermusik zu hören war, bewegte sich jemand hinter den Gardinen. Sie war also nicht die Einzige, die am Markt wohnte.

Der Buchhändler verriegelte die Ladentür zur Bücherkiste, versuchte mehrmals vergeblich, einen Schirm zu öffnen, und eilte schließlich mit hochgeklapptem Mantelkragen davon.

Josie schmunzelte in sich hinein.

Sie selbst floh erst zurück in den Schutz des Museums, als der Himmel seine Schleusen öffnete und eine Sturzflut aus Regen auf sie herabprasselte.

In der kleinen Wohnung war es kalt, die Heizung lief recht zögerlich an. Aber ansonsten war alles perfekt. Als hätte das Museum nur auf Josies Ankunft gewartet.

Neben einem schlicht möblierten Schlafzimmer gab es eine Wohnküche, die mit allem ausgestattet war, was sie brauchte: Kühlschrank, Herd, Kaffeemaschine und dazu eine gemütliche Sitzecke. Die dünne Staubschicht, die auf allem lag, störte Josie nicht – Staub war im Nu zu beseitigen. Strom und Licht funktionierten, das zählte. Und ein winziges Bad mit Dusche war auch vorhanden. Josie war entzückt.

Wie berauscht lief sie am ersten Abend umher. Erkundete das Museum, spähte in jede Ecke und jede Glasvitrine, fuhr die feinen Reliefs der Säulen mit den Fingern nach und saugte alle Eindrücke in sich auf. Stellte sich vor, wie es früher hier ausgesehen hatte – mit dem warmen, braungoldenen Glanz des ausgestellten Bernsteins.

Es kam ihr vor, als sei das Museum ein magischer Ort.

Während draußen Blitze zuckten, tanzte Josie ausgelassen durch die Eingangshalle. Das Heulen des Sturms und das Rauschen des Regens bildeten die passende Begleitmusik.

Später kochte sie Makkaroni mit Käse, wusch sich die Haare, lud das Handy und packte ihre restlichen Habseligkeiten aus. Viel war es nicht, was sie mit sich herumschleppte. Ein paar Klamotten, das dicke Notizbuch, in dem sie besondere Momente festhielt, und der Samtbeutel mit ihren Meerglasfunden.

An dem farbenfrohen, satinierten Glas hing ihr Herz, seit sie als Kind in Warnemünde die ersten Stücke aufgesammelt hatte. Seitdem hatte sie in jeder Bucht auf der Welt nach den geheimnisvollen Scherben Ausschau gehalten.

Für Josie war Meerglas ein Spiegel ihrer Seele.

Wenn sie irgendwo langsam an einem Strand entlangging und die Brandung ihr ein solches Geschenk vor die nackten Füße spülte oder das Sonnenlicht ihren Blick auf ein Glitzern zwischen den Algen lenkte, dann war das ein Zeichen für sie, dass das Universum es gut mit ihr meinte. Als sende es ihr eine geheimnisvolle Botschaft der Zugehörigkeit.

Die zart geschliffenen blauen, weißen oder pastellfarbenen Fundstücke liebte sie besonders, denn die fand sie nicht oft. Opakes Glas war noch seltener, davon besaß sie nur wenige Stücke. Grünes und braunes Meerglas fand sie dagegen häufig, davon behielt sie nur die am schönsten geformten Scherben oder solche mit ungewöhnlichen Farbtönen.

Nachdenklich betrachtete Josie ihre Sammlung.

Die Ohrringe der Frau am Bahnhof fielen ihr wieder ein. Sie nahm ein tropfenförmiges, limettengrünes Stückchen und hielt es näher ans Licht. Es eignete sich gut als Ohrring, sicher würde es ebenso hübsch aussehen.

Ob Konrad Kampmann ihr zeigen konnte, wie sie Schmuck aus ihrem Meerglas herstellen konnte? Vielleicht besaß er das Werkzeug noch, das man dafür brauchte.

Für eine Ausbildung zur Goldschmiedin fühlte Josie sich mittlerweile zu alt, aber vielleicht genügte es, wenn sie sich ein paar Grundfertigkeiten aneignete. Wenn sie von einem professionellen Juwelier lernte, wie man Meerglas schliff oder anbohrte, ergab sich daraus vielleicht eine Perspektive für die Zukunft. Sie könnte kreativ arbeiten, ihren eigenen Schmuck designen.

Viele der Künstler, denen sie unterwegs auf ihren Reisen begegnet war, waren Autodidakten gewesen. Warum sollte ihr das nicht auch gelingen?

„Ich werde ihn fragen“, beschloss Josie.

Vielleicht war das der Grund, warum das Schicksal sie nach Mirnhagen geführt hatte. Konrad war zwar kein allzu freundlicher Mann, aber wenn Josie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, ließ sie sich so schnell nicht beirren.

Sorgsam verstaute sie ihre Meerglasschätze wieder im Beutel und deponierte sie im Nachttisch neben ihrem Bett. Es war das Wertvollste, was sie besaß.

Stundenlang lauschte sie dem Tosen des Windes.

Doch sosehr der Sturm draußen auch wütete, im Innern des Museums fühlte Josie sich vollkommen sicher.

Auf wundersame Weise geborgen.

Maia Franke

Über Maia Franke

Biografie

Maia Franke lebt mit ihrer Familie auf dem Land. Sie liebt lange Strandspaziergänge und das Rauschen des Meeres. Von ihrem Schreibtisch unterm Dach aus kann sie direkt in den Himmel sehen.

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