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Mrs Mabels letzte Liste Mrs Mabels letzte Liste - eBook-Ausgabe

Laura Pearson
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Roman

— „Diese Geschichte über Freundschaft, Liebe, Verlust und zweite Chancen hat mein Herz erobert.“ Lisa Timoney
Paperback (17,00 €) E-Book (14,99 €)
€ 17,00 inkl. MwSt. Erscheint am: 01.08.2025 In den Warenkorb Im Buchshop Ihrer Wahl bestellen
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Mrs Mabels letzte Liste — Inhalt

Die alte Dame, die eine Liste schrieb und das Leben und die Liebe wiederfand  – der Überraschungsbestseller aus England und den USA

Mabels Mann Arthur liebte Listen. Er hinterließ sie überall für sie. „Denk dran: Eier, Butter, Zucker“. „Ich liebe dich: heute, morgen, immer“. Aber jetzt ist Arthur nicht mehr da. Er ist gestorben, wie er gelebt hat: sanft, behutsam, ohne viel Aufhebens zu machen. Aber er hat ihr trotzdem eine Liste hinterlassen. Auf dieser steht allerdings nur ein Punkt: „D suchen“.

Mabel, 86 Jahre alt, ist sich sicher, dass sie weiß, was das bedeutet: Sie muss ihre beste Freundin Dot ausfindig machen, die sie seit dem schicksalhaften Tag, an dem sie vor mehr als sechzig Jahren fortging, nicht mehr gesehen hat. Doch wie soll ihr das gelingen? Mabel weiß nicht einmal, ob Dot noch am Leben ist. Außerdem scheint jede Person, mit der sie spricht, zuerst selbst Hilfe zu brauchen mit vermissten Ehemännern, Töchtern, Eltern.

Plötzlich ist Mabels seit Jahren stiller und fast eintöniger Alltag voller Leben, und ihre erste eigene Liste wird immer länger.

Was sie nicht weiß, ist, dass es auf dieser Liste längst nicht mehr nur darum geht, ihre alte Freundin Dot zu finden. Stellt Mabel sich endlich den Geheimnissen ihrer Vergangenheit, findet sie vielleicht sogar ihr Glück wieder  ...

Eine ergreifender und warmherziger Roman über Wahrheit, Liebe und Beziehung und davon, dass es nie zu spät ist, seinem Herzen zu folgen.

„Diese Geschichte über Freundschaft, Liebe, Verlust und zweite Chancen hat mein Herz erobert. Ich bewundere Mabel und ihre unwahrscheinliche Bande von bunten Charakteren zutiefst.“ Lisa Timoney

„Zärtlich und wunderschön. Ebenso hoffnungsvoll wie herzzerreißend ... Ich habe es geliebt.“ Amy Beashel

„Mabel ist ein absoluter Schatz! Laura Pearson schält geschickt und behutsam die Schichten ihres Leben und dem ihrer Freunde auf eine Art und Weise ab, die das Herz erst schmerzt und dann besänftigt ... Ein erhebender, lebensbejahender Roman.“ Emma Robinson

Für Fans von „Ein Mann namens Ove“ und „Der späte Ruhm der Mrs. Quinn“ ​ ein Muss!

Zehntausende Leserinnen und Leser in England, den USA und Australien haben „Mrs Mabels letzte Liste“ geliebt und begeisterte Rezensionen geschrieben -– endlich auch auf Deutsch!

€ 17,00 [D], € 17,50 [A]
Erscheint am 01.08.2025
Übersetzt von: Charlotte Lungstrass-Kapfer
400 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-07360-8
Download Cover
€ 14,99 [D], € 14,99 [A]
Erscheint am 01.08.2025
Übersetzt von: Charlotte Lungstrass-Kapfer
384 Seiten
EAN 978-3-492-61096-4
Download Cover

Leseprobe zu „Mrs Mabels letzte Liste“

1

Seit zweiundsechzig Jahren stehe ich morgens am Wasserkocher und koche Tee für Arthur und mich. Zwar sind wir in dieser Zeit einmal umgezogen, und alle paar Jahre wechsle ich den Kocher, aber so startet jeder Morgen: mit mir und ihm und einer Tasse Tee.

Arthur sitzt am Küchentisch, den Stift in der Hand, und kämpft mit dem Kreuzworträtsel. Er hat das Fenster geöffnet, und ich höre das Vogelgezwitscher aus dem Garten. Eine Amsel, glaube ich, und ein Rotkehlchen. Sie führen eine richtige Unterhaltung, von der ich nichts verstehe. Wenn ich mich an den [...]

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1

Seit zweiundsechzig Jahren stehe ich morgens am Wasserkocher und koche Tee für Arthur und mich. Zwar sind wir in dieser Zeit einmal umgezogen, und alle paar Jahre wechsle ich den Kocher, aber so startet jeder Morgen: mit mir und ihm und einer Tasse Tee.

Arthur sitzt am Küchentisch, den Stift in der Hand, und kämpft mit dem Kreuzworträtsel. Er hat das Fenster geöffnet, und ich höre das Vogelgezwitscher aus dem Garten. Eine Amsel, glaube ich, und ein Rotkehlchen. Sie führen eine richtige Unterhaltung, von der ich nichts verstehe. Wenn ich mich an den Tisch setze, wird Arthur die Zeitung zusammenfalten, den Stift weglegen und sagen: „Also …“ Und dann werden wir uns überlegen, wie wir den Tag verbringen. Vielleicht machen wir einen Spaziergang, vielleicht gibt es etwas zu erledigen, oder es steht überhaupt nichts an. Als wir noch berufstätig waren, mussten wir solche Entscheidungen nur an den Wochenenden fällen, aber nun erstreckt sich jeder Tag so leer vor uns, Stunde um Stunde will gefüllt werden.

Ich lasse die Teebeutel in die Becher fallen – bei mir ist die Milch schon drin, in seinen Becher darf sie erst ganz zum Schluss hinzugegeben werden. Einen halben Löffel Zucker für ihn. Früher waren es mal zwei, dann einer. Zwar würde Arthur sagen: „Wozu in unserem Alter noch darben?“, aber ich habe die Menge trotzdem reduziert. Olly schnüffelt zwischen meinen Füßen herum, auf der Suche nach Krümeln. Ich beuge mich zu ihm hinunter, um ihn zu streicheln, aber er weicht meiner Hand aus und läuft zu Arthur zurück, wie immer. Er riecht nach Fluss, weshalb ich mir gedanklich vormerke, dass er bald wieder mal gebadet werden muss. Die Brotscheiben sind im Toaster, Butter und Marmelade stehen bereit. Und in meinem Kopf spuken diese Worte herum, etwas, das ich nun schon seit Jahrzehnten sagen möchte, etwas über dieses Leben, das wir uns aufgebaut haben. Aber sie kommen mir einfach nicht über die Lippen. Sie stecken fest, immer stecken sie fest.

Ich trage die Becher zum Tisch. Der feine Dampf steigt erst in die Höhe und wird dann von meinen Schritten mitgezogen.

„Also“, Arthur faltet die Zeitung zusammen, „was hast du heute vor?“

Ich schüttle den Kopf, während das Brot mit einem leisen Klappern aus dem Toaster springt.

„Ich gehe zu dieser Beerdigung“, stellt Arthur fest. „Tommy Waites.“

Ist man in unserem Alter, findet ständig irgendwo eine Beerdigung statt. Arthur hat früher, als er den Friseurladen noch hatte, Tommys Haare geschnitten, und hin und wieder haben sie in ihrem Herrenclub etwas zusammen getrunken. Arthur ist aber auch schon zu Beerdigungen gegangen, bei denen sein persönlicher Bezug zu den Verstorbenen noch geringer war. Ich bin mir nie sicher, ob er aus Respekt hingeht oder weil es eine Gelegenheit ist, um aus dem Haus zu kommen – Sandwiches, leicht abgestandene Chips, ein paar Gläser Whiskey.

„Geh ruhig allein“, sage ich nur. „Ich kannte ihn ja kaum.“

„Moira würde sich sicher freuen, dich zu sehen.“

„Weißt du, ich hätte nicht einmal mehr gewusst, wie seine Frau heißt. Deshalb bin ich mir sicher, dass es für sie keinen Unterschied macht, ob ich komme oder nicht.“

Er zieht kaum merklich die Schultern hoch, woran ich erkenne, dass er verärgert ist. Ich kenne jede Nuance seiner Körpersprache, und ihm geht es bei mir sicher genauso. Man lebt nicht sechs Jahrzehnte lang Seite an Seite, noch dazu nur zu zweit, ohne sich dabei das ein oder andere einzuprägen.

„Und was wirst du tun, während ich weg bin?“

Ich könnte lesen, ein wenig stricken oder mir alte Fotos ansehen. Ich könnte mich einfach nur hinsetzen und nachdenken, in Erinnerungen versinken, durch mein Leben spazieren. Unser gemeinsames Leben. Aber von so etwas hält Arthur nichts, pure Gefühlsduselei. Immer nach vorne blicken, das ist sein Motto. Oder zumindest eines von vielen. Ich hingegen mag die Rückschau, vor allem jetzt, wo es so vieles gibt, worauf man zurückblicken kann. Und nicht mehr wirklich viel vor uns liegt. Was ist falsch daran, seine letzten Jahre in stiller Besinnlichkeit zu verbringen? Die Welt verändern, das können wir jetzt nicht mehr. Das ist wohl das Problem: Ich schalte langsam runter, während er immer noch versucht, Vollgas zu geben.

„Ich muss mich um die Küchenschublade kümmern, die klemmt“, sage ich.

„O ja, die macht mich wahnsinnig.“

Ich sage nicht, dass die Lade nicht klemmen würde, wenn er nicht immer noch weiter Zeug reinstopfen würde, obwohl sie bereits voll ist: für uns nutzlose Lieferdienstspeisekarten, Knöpfe, Klebefilmrollen und wer weiß was sonst noch. Ich werde achtzig Prozent davon wegwerfen, er wird zufrieden sein und nicht einmal merken, dass seine gehorteten Sachen verschwunden sind. Was nur beweist, dass er sie sowieso nicht gebraucht hat.

Als er in seinem Beerdigungsanzug nach unten kommt, streckt er mir die Arme entgegen, damit ich ihm die Manschettenknöpfe schließe.

„Das sind die alten von Bill“, sagt er, wie jedes Mal.

Ich nicke und verkneife mir die Bemerkung, dass sie in meinen Augen nach über sechzig Jahren nun viel eher die seinen sind, trotz der Initialen. WM. William Mansfield.

Diesen Anzug besitzt er seit über dreißig Jahren, die Hose ist inzwischen ein wenig eng. Er riecht nach Wasser und Seife. Sauber. Einfach Arthur.

„Und ich kann dich ganz sicher nicht umstimmen?“, fragt er.

Ich sehe ihm in die Augen. Wann habe ich das eigentlich das letzte Mal getan? Man unterhält sich so oft von Raum zu Raum oder wenn einer auf dem Sofa sitzt und der andere in der Tür steht. Wann steht man sich so dicht gegenüber und ist ganz auf den anderen konzentriert? Er hat noch immer volles Haar, auch wenn es sich langsam lichtet, und in dem ganzen Weiß lassen sich noch blonde Strähnen finden. Seine Augen sind noch so blau wie am Tag unserer Hochzeit, als wir vor dem Altar standen und ich in diese Augen geblickt und gehofft habe, es würde sich doch noch ein Grund finden, es nicht zu tun. Natürlich hat er ein wenig zugelegt. Er ist nicht mehr der muskulöse, leicht gedrungene Mann, den ich damals kennengelernt habe. Heute hat er Hängebacken und ein Bäuchlein. Aber er ist sehr gut gealtert. Er hat ein beinahe magisches Lächeln, auch heute noch, und sobald es aufblitzt, nimmt man nichts anderes mehr an ihm wahr.

„Ich habe wirklich keine Lust darauf“, antworte ich.

Er nickt. Ich weiß, was er denkt – dass ich auf fast gar nichts mehr Lust habe. Dass ich das Leben quasi aufgegeben habe. Und das stimmt. Es ist schon komisch: Wenn man sich dafür entscheidet, sein Leben mit einem Menschen zu verbringen, denkt man nicht darüber nach, wie es wohl sein wird, wenn man die achtzig überschritten hat. Ob dann vielleicht der eine bereit sein wird, geduldig auf das Ende zu warten, während der andere noch so viel Leben wie möglich mitnehmen will. Allerdings waren wir in dieser Hinsicht auch schon unterschiedlich, als wir noch jünger waren. Er dachte immer, er könne etwas bewirken, während mir klar war, dass ich eine unter vielen war und es kaum eine Rolle spielte, was ich tat.

„Gut, dann sehen wir uns später.“

„Ich mache heute Würstcheneintopf.“ Wir wissen beide, dass es ein Friedensangebot sein soll.

„Sehr schön.“

Ich bringe ihn zur Tür und warte ab, da ich genau weiß, dass er erst gehen wird, wenn alles zwischen uns bereinigt ist.

„Ich bleibe nicht lange weg“, verspricht er und zieht mich an sich. Seine Bartstoppeln kratzen an meiner Wange; hoffentlich lässt er schnell wieder los.

Und dann ist er fort. Ich hole die paarweise eingewickelten Würstchen aus dem Tiefkühler und lasse sie erst mal auftauen. Dann wende ich mich erbarmungslos dem Inhalt der widerspenstigen Schublade zu. Wenn ich nicht weiß, was es ist, oder es seit Monaten nicht benutzt wurde, wandert es in den Müll. Das ist nach einer halben Stunde erledigt, und ich will es mir gerade mit meinem Buch gemütlich machen, als mir auffällt, dass Olly immer wieder mit traurigem Blick zur Tür läuft. Wenn er könnte, würde er sich die Leine selbst anlegen.

„Na, dann komm“, beschwichtige ich ihn und mache uns beide für einen Spaziergang fertig.

Es ist einer dieser hellen, kalten Oktobertage. Wenigstens ist es trocken, aber ich weiß jetzt schon, dass meine Hände kalt und steif wie Stein sein werden, wenn ich zurückkomme. Wir gehen bis zum Ende der Straße und dann Richtung Ortsmitte. Ich habe mein ganzes Leben in dieser kleinen Stadt in Surrey verbracht und bin diesen Weg so oft gegangen, dass es mich beinahe wundert, dass meine Fußabdrücke nicht im Asphalt zu sehen sind. Olly interessiert das nicht, solange es etwas zu erschnüffeln gibt, er andere Hunde anknurren und sich irgendwo erleichtern kann. Was er jetzt gerade tut. Ich warte, bis er fertig ist, und bücke mich mit einem Kotbeutel in der Hand, um sein Geschäft einzusammeln. Es folgt der grauenvolle Moment, in dem ich befürchte, nicht wieder hochzukommen, aber dann macht es klick, und ich stehe wieder aufrecht. Ich blicke zu Olly hinunter, der es kaum erwarten kann weiterzulaufen. Wie lange wird es wohl noch dauern, bis wir uns nicht mehr um ihn kümmern können? Als Arthur mich vor drei Jahren dazu überredet hat, ihn anzuschaffen (natürlich erst nach der sorgfältigen Erstellung einer Pro- und Kontra-Liste), merkte ich an, dass er uns möglicherweise beide überleben wird. Arthur hat nur den Kopf geschüttelt, als könne er nicht begreifen, warum ich diesen Punkt überhaupt anführe.

„Manchmal redest du, als wären wir bereits tot“, stellte er fest.

Das ist bei mir hängen geblieben.

Olly und ich gehen weiter, vorbei an der schicken neuen Bäckerei, aus der Zuckerguss- und Ingwerduft auf die Straße strömt, und an dem Friseursalon, der die Nachfolge von Arthurs Barbierladen angetreten hat. Es folgt der kleine Supermarkt, dessen automatische Türen sich bereits öffnen, wenn man nur daran vorbeigeht – vielleicht gehört das zum Konzept, um die Leute hereinzulocken. Und schließlich das Carpenters, wo wahrscheinlich gerade die Trauerfeier stattfindet. Hier liegen jede Menge Zigarettenstummel auf dem Bürgersteig. Ich wickle mich fester in meinen Wollmantel und beschleunige meine Schritte; hoffentlich sieht mich Arthur nicht durch das Fenster und kommt raus.

Broughton hat sich im Laufe der Jahre durchaus ein bisschen verändert. Man konnte hier aber schon immer alles bekommen, was man für den alltäglichen Gebrauch braucht, nur für Kleidung oder Möbel muss man nach Overbury fahren. London ist weniger als eine Stunde entfernt, aber ich bin höchstens einmal im Jahr dort. Broughton ist für mich ausreichend. Am Ende der Ladenzeile überquere ich die Straße und nehme den schmalen Fußweg, der zur Kirche führt. Ich wandere eine Weile auf dem Friedhof herum, bis ich bei der Grabstätte meiner Familie ankomme.

Zunächst einmal ist da Bill, der als Erster von uns gegangen ist, was niemals hätte geschehen dürfen. An dem einen Tag war er noch voller Leben, am nächsten schon nicht mehr unter uns. Es war eines dieser versteckten Herzleiden, von denen man immer wieder hört, aber nicht damit rechnet, dass es den eigenen Bruder betreffen könnte. Dann, zehn Jahre später, Mutter. Sie ist nie über seinen Tod hinweggekommen, und auch wenn sie offiziell an Krebs gestorben ist, war für mich immer klar, dass sie einfach aufgegeben und sich dem langsamen Verfall überlassen hat seit dem Tag, an dem sie erfuhr, dass ihr Junge gestorben war. Ein knappes Jahr nach ihr folgte Dad. Schlaganfall. Es hat keine Minute gedauert. Gilt man eigentlich noch als Waise, wenn man seine Eltern mit über dreißig verliert? Arthurs Mutter hat mich stets wie eine Tochter behandelt, aber trotzdem war mir immer bewusst, dass ich ganz allein auf der Welt wäre, wenn ich ihn verlöre.

Arthur hat das vermutlich nie wirklich begriffen. Er hat acht Geschwister und jede Menge Cousins und Cousinen. Wann immer wir einen Urlaub planten, gab es dort irgendeinen Verwandten, mit dem man sich zum Essen oder auf einen Drink traf, und sie hatten alle das typische Aussehen der Beaumonts: rotblondes Haar und Sommersprossen. Meine Eltern hingegen waren Einzelkinder, das heißt, wir waren nie mehr als vier. Und jetzt nur noch ich übrig.

Die Grabplatten sind mit rotem und gelbem Laub bedeckt, sodass ich Mutters Lebensdaten und Dads Namen nicht ganz entziffern kann. Aber dieses herbstliche Bild ist so hübsch, dass es mich nicht stört. Ich kenne die Daten ja sowieso. Außerdem hat sich mir der Sinn des Laubfegens noch nie erschlossen. Die Natur kann man nicht übertreffen.

Ich vergewissere mich mit einem Blick über die Schulter, dass ich allein bin, bevor ich zu sprechen beginne.

„Ich bin’s, Mabel. Ich mache gerade einen Spaziergang mit Olly. Gestern habe ich in der Zeitung etwas über Sammler gelesen, und da musste ich an dich und deine Briefmarkensammlung denken, Bill. Ich habe es Arthur gezeigt, und er meinte schmunzelnd, er hätte die Marken manchmal zum Spaß aus dem Album geholt und versteckt, worüber du dich jedes Mal furchtbar aufgeregt hast und ihm tagelang böse warst. Was würdest du wohl heute sammeln? Wenn du noch da und bei den Marken geblieben wärst, hättest du inzwischen bestimmt Tausende davon. Ich habe sie alle aufgehoben, oben auf dem Speicher. Gott allein weiß, warum. Wenn Arthur und ich nicht mehr sind, werden sie wohl weggeschmissen werden, genau wie alles andere.“

Überrascht stelle ich fest, dass ich Tränen in den Augen habe. Wenn ich hierherkomme, halte ich immer ein verstohlenes Schwätzchen mit ihnen, aber ich werde dabei nie sentimental. Vielleicht brüte ich gerade etwas aus, oder ich brauche mehr Schlaf. In letzter Zeit wälze ich mich stundenlang hin und her, bevor ich endlich einschlafe.

Schließlich mache ich mich auf den Rückweg und warte darauf, dass Arthur nach Hause kommt. Wie merkwürdig: Es macht mir nichts aus, wenn er fortgeht, ich bin gerne allein, aber ich freue mich auch immer, wenn er wiederkommt. Ich höre mir gerne seine Geschichten an. Das Haus fühlt sich anders an, wenn er nicht da ist, so als würden die Möbel und unser ganzer Kram mit angehaltenem Atem auf ihn warten. Es ist schon fast vier, als ich seinen Schlüssel im Schloss höre. Nicht nur der offene Hemdkragen und die gelockerte Krawatte verraten mir, dass er etwas getrunken hat.

„Wie war’s?“, frage ich ihn.

„Schön. Tommy hatte ein gutes Leben, und es sind viele Leute gekommen, um sich von ihm zu verabschieden. Meinst du, es werden viele kommen, wenn wir an der Reihe sind?“

Er setzt sich aufs Sofa, und sofort kommt Olly angelaufen, um sich Streicheleinheiten abzuholen.

„Hallo, Hund“, begrüßt ihn Arthur.

Schon immer hat Olly ihn lieber gemocht. Ich sehe zu, wie Arthur ihn hinter den Ohren krault; beide Gesichter entspannen sich dabei. Mir geht noch immer seine Frage durch den Kopf. Bei seiner Beerdigung werden sicherlich einige seiner vielen Verwandten auftauchen, aus allen Ecken des Landes werden sie kommen. Und dann sind da noch seine alten Kunden und die Männer aus dem Pub, soweit sie noch leben. Bei mir bin ich mir allerdings nicht so sicher.

„Wie kommst du darauf?“, antworte ich mit einer Gegenfrage, die eigentlich dumm ist, da die Antwort ja auf der Hand liegt.

„Tommy und Moira hatten vier Kinder, die waren alle da, mit ihren Frauen und Männern und den Kindern. Das hat mich nachdenklich gemacht, nichts weiter.“

Darauf kann ich nichts sagen. Es ist zu spät, um daran noch etwas zu ändern.

„Tee?“ Er steht auf und geht Richtung Küche.

„Ja bitte.“

Und ich weiß, dass wir den Rest des Tages an die Kinder denken werden, die wir nie hatten.



2

„Drüben in Overbury ist heute Markt.“ Arthur klopft den Löffel am Becherrand ab, bevor er den Tee zum Tisch trägt.

„Was für ein Markt?“

„Lebensmittel, denke ich. Wie wäre es mit einem kleinen Ausflug?“

Ich könnte ablehnen. Ich möchte ablehnen. Aber er versucht wirklich, mich einzubeziehen, und es ist einfach unfair, ihn wieder und wieder zurückzuweisen. In gewisser Weise sind die letzten zehn Jahre unserer Ehe so verlaufen: Er macht einen Vorschlag, ich weise ihn zurück. Früher war das nicht so, und genau das macht es so schwierig. Wir erinnern uns beide noch an Zeiten, in denen wir echte Partner waren.

„Klingt gut“, sage ich also.

Arthur tut so, als wäre er nicht überrascht, und widmet sich seinen Vollkornflakes.

Das erste Problem ist immer die Parkplatzsuche. Wir sind viele Jahre gar nicht Auto gefahren, bis Arthur mit Mitte fünfzig noch seinen Führerschein gemacht hat, einfach weil ihn die Herausforderung gereizt hat. Nachdem er sechs Monate lang Fahrstunden genommen hatte, bestand er im ersten Anlauf, trotzdem war er nie ein sehr sicherer Fahrer. Wenn er hinter dem Steuer sitzt, macht er immer ein äußerst besorgtes Gesicht.

„Wie wäre es dort drüben?“, schlage ich vor, als wir zum zweiten Mal über den Parkplatz schleichen. Die Wintersonne steht tief, das erschwert die Sicht. „Ich glaube, da …“

„Da steht ein Mini drin“, erwidert Arthur angespannt.

„Wir können auch wieder nach Hause fahren, wenn dir das lieber ist.“

Ich wandle auf einem schmalen Grat. Einerseits will ich ihm vermitteln, dass er sich meinetwegen diesen Stress nicht antun muss, andererseits soll er nicht denken, dass ich nach Ausreden suche, um unseren Ausflug abzublasen. Er antwortet nicht. Schließlich wandert ein junges Paar Händchen haltend an uns vorbei zu seinem Wagen. Arthur setzt den Blinker und wartet. Als wir endlich aussteigen, überlege ich kurz, ob ich seine Hand halten soll. Wie lange ist es her, dass wir so durch die Straßen gelaufen sind und der Welt unsere Verbundenheit gezeigt haben? Während unserer frühen Jahre haben wir es ganz sicher getan, aber ich weiß einfach nicht mehr, wann das aufgehört hat. Hat er an einem bestimmten Tag nach meiner Hand gegriffen, und ich habe mich ihm entzogen? Oder habe ich seine Hand vielleicht losgelassen, um meine Handtasche zu richten, und sie danach einfach nicht mehr genommen? Und obwohl wir dicht nebeneinanderlaufen, quasi Schulter an Schulter, wirkt die Kluft zwischen uns zu groß. Die Geste wäre zu gewagt.

Auf der Hauptstraße reihen sich die Marktstände aneinander, diverse Gerüche ringen um Aufmerksamkeit: Zuckerwatte, würziges Fleisch, frisches Brot. Überall unterhält man sich, hin und wieder erhebt sich der werbende Schrei eines Standbetreibers über die allgemeine Geräuschkulisse.

„Frisches Gebäck!“

„Fertig portioniertes Obst oder Gemüse, nur ein Pfund fünfzig die Schale! Wir haben Ananas, Mango, Kirschen …“

„Frischer Fisch, heute Morgen erst gefangen!“

Ich stupse Arthur mit dem Ellbogen an. „Erinnerst du dich noch an den Fischhändler mit den Shrimps in Morecambe Bay?“

Eine kleine Einladung, mit mir in die Vergangenheit zu reisen, und ich hoffe so sehr, dass er sie annimmt. Dass er sich auch noch an unsere besseren Zeiten erinnert.

Seine Lippen verziehen sich zu einem breiten Grinsen, dann lacht er laut auf. „Dieser Mann hatte eine Stimme! Die reinste Verschwendung in diesem Job.“

Gemeinsame Erinnerungen entfalten sich, und wir schweigen einen Moment. Wir haben so viele, vielleicht können wir davon zehren.

„Sollen wir eine Pastete zum Abendessen mitnehmen? Und es ist auch kaum noch Obst da.“

Arthur zieht einen zerknitterten Zettel aus der Tasche. Natürlich hat er sich eine Liste gemacht.

Nachdem wir Äpfel und Orangen ausgesucht haben, zieht er fragend die Brauen hoch und deutet auf etwas, das ich für eine Mango halte.

„Nur zu“, sage ich.

Woher hat er das nur, diese ständige Lust, Neues auszuprobieren? Anfangs, als er nur mit Bill befreundet war, habe ich es bewundert, dass er sich für alles zu interessieren schien.

Am Pastetenstand sind wir gerade dabei, uns zwischen Rindfleisch-Zwiebel und Hühnchen-Schinken zu entscheiden, als jemand seinen Namen ruft.

„Arthur Beaumont, bist du das?“

Wir drehen uns um und stehen einer Frau gegenüber, die ungefähr in unserem Alter sein muss. Früher war sie vermutlich recht hübsch, aber mit den ganzen Falten, die ihre Gesichtszüge verzerren, ist es schwer, es sicher zu sagen. Sie lächelt, und ihre Zähne schimmern irgendwie zu weiß. Dann legt sie Arthur die Hand auf den Arm, stellt sich auf die Zehenspitzen und haucht ihm einen Kuss auf die Wange. Als sie bei mir das Gleiche tut, rieche ich Rosenduft und Seife.

„Joan Jenkins“, stellt Arthur fest. „Wer hätte das gedacht?“

Lachend schüttelt sie den Kopf. „Diesen Namen habe ich lange nicht mehr gehört. Seit 1959 bin ich nur noch Joan Garnett.“

Ihr Gesicht kann ich nicht einordnen, aber der Name kommt mir bekannt vor.

„Ihr zwei habt also geheiratet, ja?“ Sie deutet mit dem Kinn erst auf mich, dann auf Arthur.

„Allerdings, ja.“ Mit einem stolzen Lächeln dreht Arthur sich zu mir um. „Und zwar vor zweiundsechzig Jahren.“

Wieder schüttelt sie den Kopf. „Da sieht man mal, wie man sich irren kann. Ich dachte immer, ihr würdet nicht zusammenpassen.“

Arthur lacht, und die beiden unterhalten sich weiter, während ich mich innerlich ausklinke. In meinem Kopf hallt in Dauerschleife ihre Feststellung wider – dass wir nicht zusammenpassen. Irgendwann winkt Joan zum Abschied und geht, während Arthur sich wieder den Pasteten widmet.

„Wer war das?“, frage ich ihn. „Ich meine … müsste ich mich an sie erinnern?“

„Früher war sie immer dabei, beim Tanzen und so. Ich glaube, Dot kannte sie näher.“

Es ist lange her, dass ich Dots Namen aus seinem Mund gehört habe. Für einen Moment wirft mich das aus der Bahn, aber wirklich nur kurz. Trotzdem katapultiert es mich für Sekunden in der Zeit zurück: Dot und ich am Rand des Saals, wie wir über die Kleider der anderen Mädchen tuscheln und darüber spekulieren, wer heute noch in wessen Armen landen wird. Ich glaube wieder die Band zu hören und zu spüren, wie sich der Schweiß in meinen Achselhöhlen sammelt. Jedes Mal, wenn ich ein knutschendes Pärchen in einer dunklen Ecken entdeckte, wünschte ich mir, es ihnen gleichzutun. Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, sich so ganz in einem anderen Menschen zu verlieren. Oder zumindest es zu versuchen.

„Ich glaube, sie hatte damals eine kleine Schwäche für mich“, überlegt Arthur, als wir die Papiertüte mit unserer Pastete entgegennehmen und den Stand verlassen.

Abrupt bleibe ich stehen. „Dot?“

Arthur lacht. „Nein, Joan! Aber allem Anschein nach hat sie dann doch John Garnett geheiratet. Hast du gehört, dass sie erzählt hat, dass sie ihn letztes Jahr verloren hat?“

Ich schüttle den Kopf. Nachdem sie gesagt hat, dass sie dachte, wir würden nicht zusammenpassen, habe ich nichts mehr mitbekommen.

„Stell dir vor, sie hat all die Jahre hier in Overbury gelebt, und wir sind uns, bis auf heute, nie über den Weg gelaufen.“

Vielleicht bin ich ihr sogar über den Weg gelaufen. Ich hätte neben ihr an der Bushaltestelle stehen können, oder hinter ihr in der Warteschlange beim Metzger oder in der Bank, und hätte sie nicht erkannt. Aber ich weiß, was er meint. Manchmal fühlt es sich an, als sei die Welt unfassbar groß, und dann wieder meint man, sie mit einer Hand umschließen zu können.

Wieder zu Hause angekommen, trinken wir Tee, und Olly macht es sich mit Arthur auf dem Sofa gemütlich. Ich beobachte, wie Arthur langsam einnickt. Das kommt von der frischen Luft. Von meinem Sessel am Fenster aus sehe ich zu, wie sein Kinn herabsinkt. Plötzlich erfasst mich eine Welle der Zuneigung zu diesem Mann, mit dem ich mein Leben geteilt habe. Ich hätte es wirklich um einiges schlimmer treffen können. Er ist freundlich, zuverlässig und vollkommen verliebt in das Leben. Sicher ist Letzteres ein Grund, weshalb wir so lange durchgehalten haben. Denn wir hatten auch schwierige Jahre. In einer Ehe, die so lange hält, sind sie unvermeidbar. Garantiert. Da kann man nur hoffen, jemanden gefunden zu haben, dem es wichtig genug ist, sie zusammen durchzuhalten.

Trotzdem gerate ich ins Grübeln. Was wäre wohl passiert, wenn er Joan Jenkins geheiratet hätte? Er meinte ja selbst, dass sie eine Schwäche für ihn gehabt habe, und wenn man bedenkt, wie sie ihn heute Morgen angesehen hat – so viele Jahrzehnte später –, erscheint das plausibel. Joan, die der Meinung war, wir würden nicht gut zusammenpassen. Und in vielerlei Hinsicht hat sie damit recht. Vielleicht hätte Joan ihn auf eine Art lieben können, zu der ich nicht fähig war. Vielleicht hätte sie ihm die Kinder schenken können, nach denen er sich gesehnt hat. Hätte ihm in seinen späteren Jahren Geborgenheit geben und eine Abenteuergefährtin sein können, statt jemand zu sein, der ihn ständig ausbremst. Vielleicht wäre sie einfach die bessere Wahl gewesen.

Als er mich damals gefragt hat, ob ich ihn heiraten wolle – unten an der Straßenecke, auf dem Rückweg vom ersten Tanz, den ich nach Bills Tod besucht hatte –, im schwindenden Licht und mit beinahe ängstlich geweiteten Augen … da habe ich nicht darüber nachgedacht, was wohl aus ihm werden würde, wenn ich Nein sage. Aber vielleicht hätte ich genau das tun sollen. Denn auch wenn ich ihm dadurch das Herz gebrochen hätte, wäre es zugleich vielleicht eine Befreiung gewesen, die Möglichkeit, sich auf die Suche nach der Richtigen zu machen. Das hätte Joan Jenkins sein können, vielleicht aber auch ein Mädchen, das er noch gar nicht kannte. Doch als ich seine Frage bejahte, obwohl sich in meinem Inneren alles dagegen sträubte, glaubte ich, damit das Richtige für ihn zu tun. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Eine halbe Stunde später wacht er wieder auf und schüttelt vorsichtig den Kopf, wie er es immer tut, als wolle er so den letzten Rest von Schlaf abstreifen.

„Ich sollte diesem Kerlchen wohl seinen Spaziergang gönnen, was? Na komm, Hund.“

Er fragt mich nicht, ob ich mitkommen möchte, denn er weiß, dass es für mich mehr als genug ist, wenn ich einmal am Tag aus dem Haus komme. Also hole ich mein Buch und tauche in ein anderes Leben ein, in das Leben eines Menschen, der jung, reich und voller Energie ist. Das hat mir am Lesen schon immer gefallen – sich nicht nur an andere Orte und in andere Zeiten versetzen zu können, sondern vor allem die Möglichkeit zu bekommen, in die Haut eines vollkommen anderen Menschen zu schlüpfen. Jemand zu sein, der mutiger ist, der genau weiß, was er will, und es sich einfach nimmt. Jemand, der keine Reue kennt. Wie wäre mein Leben wohl verlaufen, wenn ich ein anderer Mensch gewesen wäre?

Dann ist er plötzlich wieder da. Er drückt eine Hand an die Brust, sein Gesicht ist blass.

„Arthur?“ Sofort springe ich auf. „Was ist los? Soll ich den Arzt anrufen?“

„Nein, nein“, beruhigt er mich. „Ich muss nur kurz durchatmen.“

Vorsichtig führe ich ihn zum Sofa, und er setzt sich. Die Angst hat mich fest im Griff, ich weiß nicht, was ich tun soll. Das ist einer der Gründe, warum ich eine miserable Mutter gewesen wäre – unerwartete Ereignisse machen mich quasi handlungsunfähig.

„Geht es dir gut?“, hake ich ein paar Minuten später nach.

Olly sitzt zu Arthurs Füßen und bewacht ihn, er trägt noch immer Leine und Halsband.

„Es war nur so ein merkwürdiges Gefühl, mehr nicht“, versichert mir Arthur. „Vielleicht etwas mit dem Magen. Alles wieder gut, Mabel. Es geht mir gut.“

Trotzdem umsorge ich ihn noch ein wenig, bringe ihm die Zeitung, damit er sich beschäftigen kann, während ich das Abendessen vorbereite, und lege ihm unsere weichste Decke über die Beine. Wenn man jung ist, und der andere wird krank, weiß man, dass es nichts Ernstes ist. Aber in unserem Alter birgt jedes Symptom ungeahnte Schrecken in sich. Im Laufe der Jahre haben wir immer wieder darüber gesprochen, wie wir gerne sterben würden. Das tun wohl die meisten Menschen. Schnell sollte es gehen. Und es sollte passieren, wenn man geistig noch fit ist und noch nicht seine Würde verloren hat. Aber am Ende kann man es sich nicht aussuchen …

Ich bin immer davon ausgegangen, dass ich als Erste gehen werde. Dabei wüsste ich gar nicht, warum. Nach einer Weile wird er sicher auch ohne mich gut zurechtkommen. Natürlich wäre er zunächst am Boden zerstört, aber er würde darüber hinwegkommen. Er ist kein schlechter Koch, und er hat eine Menge Freunde, die er um sich versammeln kann. Aber ich ohne ihn? Ich weiß nicht, ob ich weitermachen könnte. Vermutlich würde ich einfach das Mittagessen vergessen oder morgens gar nicht erst aufstehen, wenn er mich nicht antreibt.

„Möchtest du jetzt die Pastete haben?“, frage ich. „Oder ist dir nicht nach Essen?“

Ich habe sie aufgewärmt und uns Karotten und Bohnen dazu gemacht, sodass ein würziger Duft durch die Küche zieht.

Arthur erscheint in der Tür. „Für mich bitte nur ein kleines Stück.“

Das ist sehr untypisch für ihn. Normalerweise hält er sich nicht zurück, wenn es etwas gibt, das er mag. Und er isst nichts lieber als Pastete. Während des Essens sind wir schweigsam. Unzählige Mahlzeiten haben wir so zusammen eingenommen, manchmal spielt dabei leise das Radio, manchmal ist es still. Heute jedoch hat diese Stille etwas Bedrückendes an sich, sodass ich mich schon darauf freue, endlich ins Bett zu kommen. Dann kann ich diesen Tag ad acta legen und einen neuen beginnen.

Um kurz vor sieben sehe ich ihn draußen im Garten auf der Bank sitzen. Ich geselle mich zu ihm und folge seinem Blick.

„Heute ist er besonders schön“, stellt Arthur fest.

Nur noch ein Hauch von Rosa färbt den Himmel und lässt die Wolken aussehen wie Zuckerwatte. Schweigend sehen wir zu, wie die Sonne untergeht.

Als wir im Bett liegen, schiebt sich seine Hand zu mir herüber, es ist das erste Mal seit Langem. Er legt sie auf meinen Schenkel.

„Die Begegnung mit Joan heute hat mich nachdenklich gemacht“, sagt er.

Jetzt kommt es also: der andere Weg, den sein Leben hätte nehmen können, die andere Ehefrau. Wird er es tatsächlich aussprechen?

„Ach ja?“

„Das waren wirklich schöne Zeiten, als Bill noch gelebt hat, als Dot noch da war und wir immer zu viert zum Tanzen gegangen sind. Ich bin froh, dass wir das erleben durften.“

Plötzlich habe ich Tränen in den Augen. Mein Bruder Bill und meine beste Freundin Dot. Damals gab es nur Lachen und Freude, wir hatten unser ganzes Leben noch vor uns. Es kümmerte uns nicht, ob wir Fehler machten, schließlich blieb uns unendlich viel Zeit, um sie wieder auszubügeln. Und dann lernten wir, dass es „unendlich“ nicht gibt, zumindest nicht für Bill, und jeder zerbrach auf seine eigene Weise daran. Dot verschwand, Arthur hatte es plötzlich sehr eilig, sesshaft zu werden, und ich machte mit.

„Schöne Zeiten“, bestätige ich leise, doch ich glaube, er ist bereits eingeschlafen.

Foto von Laura Pearson

Über Laura Pearson

Biografie

Laura Pearson ist die Autorin mehrerer Romane. Mit „Mrs Mabels letzte Liste“ stürmte sie in Großbritannien und in den USA die e-book-Bestsellerlisten. Sie lebt in Leicestershire, England, mit ihrem Mann, zwei Kindern und einer Katze, die gerne auf der Tastatur liegt, während sie versucht zu...

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