Meine Bar in Italien
Warum uns der Süden glücklich macht
— „Köstlich – macht Lust auf Sommer, Sonne und einen Aperol bei Pino.“ KronenzeitungMeine Bar in Italien — Inhalt
Worauf es im Leben wirklich ankommt
Pinos Bar ist immer offen. Zu Weihnachten und Neujahr, zu Ostern und Ferragosto. Ab sechs Uhr morgens, wenn die ersten Fischer aus der Lagune nach Grado zurückkommen und der Bäcker von nebenan sehnsüchtig auf seinen ersten Kaffee wartet. Bis tief in die Nacht, denn Pinos Gäste erzählen Geschichten von unvergesslichen Begegnungen, von der Zeit und vom Glück – und geben jedem, der zuhört, humorvoll und ganz nebenbei, wertvolle Lebensweisheiten mit auf den Weg. Für all jene, die es nicht so bald in die „Enoteca da Pino“ in der Via Galileo Galilei schaffen, hat Stefan Maiwald sie aufgeschreiben.
Eine Hymne an die italienischste aller Institutionen: die Bar!
Leseprobe zu „Meine Bar in Italien“
Willkommen in meiner Bar.
Sie gehört mir nicht, aber ich bin täglich dort. Pino sagt, wenn er je zusperrt, würde er mir die Schlüssel geben. Aber die Bar ist immer offen. Auch Weihnachten und Neujahr und Ferragosto und Ostersonntag. Sie ist immer offen, und zwar ab sechs Uhr morgens, wenn die ersten Fischer von der Nachtschicht zurückkommen, und wenn der Bäcker von gegenüber, seit zwei Stunden an den Backöfen, dringend einen ersten Kaffee braucht.
Bevor ich mich hingesetzt habe, steht schon mein Lieblingsgetränk auf dem Tisch. Cappuccino am Morgen, [...]
Willkommen in meiner Bar.
Sie gehört mir nicht, aber ich bin täglich dort. Pino sagt, wenn er je zusperrt, würde er mir die Schlüssel geben. Aber die Bar ist immer offen. Auch Weihnachten und Neujahr und Ferragosto und Ostersonntag. Sie ist immer offen, und zwar ab sechs Uhr morgens, wenn die ersten Fischer von der Nachtschicht zurückkommen, und wenn der Bäcker von gegenüber, seit zwei Stunden an den Backöfen, dringend einen ersten Kaffee braucht.
Bevor ich mich hingesetzt habe, steht schon mein Lieblingsgetränk auf dem Tisch. Cappuccino am Morgen, Weißwein am Abend. Denn Marina, die am Morgen hinter der Bar hilft, greift zum Siebträger, sobald ich die Türklinke in der Hand habe. Auf die Idee, dass ich mal etwas anderes als Cappuccino bestellen könnte, kommt sie gar nicht. Und ich auch nicht. Mit Igor ist es am Abend und dem Glas Wein genau das Gleiche.
Erwartet nicht zu viel von dieser Bar, was die Speisen und Getränke angeht. Es gibt belegte Panini und Toasts mit Kochschinken oder Käse und Hauswein vom Fass, serviert auf rot-weiß karierten Tischdecken. Sassicaia und Ornellaia finden sich ebenso wenig auf der Karte wie hausgemachte Tagliolini mit weißen Alba-Trüffeln oder irgendwas mit Schäumchen und Sphären. Es duftet trotzdem (oder gerade deswegen) deftig und appetitlich, nach getoastetem Brot, nach verschüttetem Rotwein, nach Kerzenwachs. Die Portionen auf der kleinen Karte sind riesig, vor allem für italienische Verhältnisse. Aber kaum jemand bestellt je von der Karte, denn meistens hat vorne rechts, wo der Stammtisch ist, jemand gekocht. Dort sitzen die Fischer von Grado und zwei Jäger und einige Köche in Pension. Meistens bringt einer von ihnen etwas mit. Was frisch Gefischtes, was frisch Erlegtes, oft mit Pasta oder Polenta. Und zwar in riesigen Schüsseln, die tatsächlich für alle reichen, die etwas wollen.
Außerdem ist es ziemlich laut. Oft läuft im Fernseher, der oben in der Ecke hängt, ein Fußballspiel, und dann ist es noch lauter, klar. Ein Architekt war definitiv nicht am Werk, als sich die Bar in den verwinkelten Räumlichkeiten ausbreitete, und ein Designer würde auf der Stelle tot umfallen, wenn er den Dekor sehen würde. Denn die Wände sind mit Fotos bepflastert. Wir reden hier nicht von ein paar Bildchen hier und da, sondern von einer soliden, zwei- bis dreilagigen Schicht von Fotos der letzten Jahrzehnte vom Boden bis zur Decke, denn Pinos Bar gibt es schon seit den Sechzigerjahren, und so ziemlich jeden Gast hat er hier verewigt. Es sieht wirklich spektakulär aus, auch wenn sich die Fotos wellen und schnell ausbleichen. Es war einer der stolzesten Momente meines Lebens, als Pino ein Foto von mir und meiner Familie aufhing. Wahrscheinlich hängen inzwischen andere Bilder darüber, denn es ist schon ein paar Jahre her. Aber, hey – irgendwie bin ich immer präsent!
Die Bar befindet sich zufälligerweise in Grado, einem amphibischen, von Lagune und Adria umgebenen Ort zwischen Venedig und Triest, aber die Bar könnte wirklich überall in Italien sein. Und vielleicht sogar überall im Mittelmeerraum.
Pinos Bar ist ein wichtiger Treffpunkt des Ortes. Hier verkehren keine Literaten, Philosophen oder sonstige Koryphäen, denen gewöhnlich genau zugehört wird, wenn sie über das Leben und den tieferen Sinn des Ganzen referieren. Ohnehin drehen sich die Gespräche hier selten um die ganz großen Themen. Wenn ich genauer darüber nachdenke, fällt mir sogar niemand ein, der überhaupt eine Universität besucht hätte.
Dennoch habe ich von den Menschen in dieser Bar fast alles gelernt, was ich im Leben brauche.
Viele Dinge davon sind typisch italienisch, und das weiß ich deswegen so genau, weil ich die eine Hälfte meines erwachsenen Lebens in deutschen Bars und die andere Hälfte in italienischen Bars zugebracht habe. Viele Einblicke, die ich in Italien gewonnen habe, hätten mich schon früher im Leben durchaus weitergebracht.
Ich werde nicht behaupten, dass alle Menschen, die ich euch auf den folgenden Seiten vorstelle, euch genauso helfen, wie sie mir geholfen hatten – mit ihren Vorstellungen, ihren Lebensentwürfen. Kommt einfach mit, bestellt euch ein Glas und trefft die Menschen , die diese Bar bevölkern!
Das unfertige Ich – meine Antiheldenreise
Als ich nach Italien kam, war ich 30 Jahre alt. Aber eigentlich wohl eher 18, wenn überhaupt. Ich wusste wenig von der Welt, und das, was ich zu wissen glaubte, war ziemlicher Unsinn. Ich hatte zwar den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt, aber auch nur halb. Ich hatte zwar eine Italienerin geheiratet, aber behielt meine Wohnung in Deutschland, denn so richtig loslassen – das ging ja gar nicht. Schon wegen des Berufs. Außerdem komme ich weder aus einer Akademiker- noch aus einer Künstlerfamilie. Die Kündigung einer Festanstellung war etwas, was man doch nicht machte; der Schritt ging innerfamiliär eher mit Entsetzen als mit Ermutigungen einher.
Und wer weiß, ob ich mich voll und ganz auf Italien würde einlassen können? Wollte ich Karriere machen oder war ich zufrieden mit dem, was ich hatte? Ich wusste es einfach nicht, und daher versuchte ich beides. Wo gehörte ich wirklich hin? Ich hatte keine Ahnung. Ich hing in jeder Hinsicht in der Luft und gab mir selbst den Spitznamen Ornella Wankelmuti.
»Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen«, lautet (angeblich) ein afrikanisches Sprichwort. Es passt auch gut zu Italien. Und es passt gut zu mir.
Und das Dorf – das trifft sich jeden Tag in Pinos Bar.
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