

Mein Name ist Hope Nicely. Hope wie Hoffnung und Nicely wie nett. Mein Name ist Hope Nicely. Hope wie Hoffnung und Nicely wie nett. - eBook-Ausgabe
Roman
— Ein Buch voller Hoffnung | Sunday Times-BestsellerMein Name ist Hope Nicely. Hope wie Hoffnung und Nicely wie nett. — Inhalt
Ein wunderbar lebensbejahendes Buch voll Hoffnung, Freundschaft und Akzeptanz
Hope Nicely ist eigentlich glücklich mit ihrem Leben: Sie ist 25 Jahre alt, hat einen Job und lebt bei ihrer Adoptivmutter Jenny. Aber eine Frage nagt an ihr: Warum hat ihre leibliche Mutter in der Schwangerschaft nicht auf sie aufgepasst? Seitdem lebt Hope mit einer Entwicklungsstörung. Ihr Kopf funktioniert anders, ihre Emotionen sind eigenwillig. Um ihre Mutter zu verstehen, schreibt Hope ein Buch. Der Schreibkurs, die fremden Leute und neuen Erfahrungen sind herausfordernd. Doch die größte Veränderung steht noch bevor: Jenny wird krank, und zum ersten Mal ist Hope auf sich allein gestellt.
In Hopes Welt eintauchen zu dürfen ist wie ein Jahrmarkt – etwas chaotisch, manchmal überfordernd, aber traumhaft schön
Leseprobe zu „Mein Name ist Hope Nicely. Hope wie Hoffnung und Nicely wie nett.“
Prolog
Mein Name ist Hope Nicely. Hope wie Hoffnung. Nicely wie nett.
Warum ich dieses Buch schreibe? Das ist einfach. Dieses Buch wird mein Leben verändern. Ich war noch nie in einer Gruppe wie dieser. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals versuchen würde, tatsächlich ein Buch zu schreiben. Also kein richtiges. Ich meine, Hand aufs Herz, die meisten meiner Lehrer hätten euch gesagt, ich wäre die Letzte, die das jemals tun könnte. Sie würden sagen, dass ich es wahrscheinlich nicht zu Ende bringen würde. Nicht sehr wahrscheinlich, Hope Nicely. Nicht wenn [...]
Prolog
Mein Name ist Hope Nicely. Hope wie Hoffnung. Nicely wie nett.
Warum ich dieses Buch schreibe? Das ist einfach. Dieses Buch wird mein Leben verändern. Ich war noch nie in einer Gruppe wie dieser. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals versuchen würde, tatsächlich ein Buch zu schreiben. Also kein richtiges. Ich meine, Hand aufs Herz, die meisten meiner Lehrer hätten euch gesagt, ich wäre die Letzte, die das jemals tun könnte. Sie würden sagen, dass ich es wahrscheinlich nicht zu Ende bringen würde. Nicht sehr wahrscheinlich, Hope Nicely. Nicht wenn das Buch mehr als eine Seite hat. Mein Gehirn ist ein bisschen wie ein Flohmarkt, wisst ihr – das haben sie mir immer gesagt, die Lehrer in der Schule. Sie meinten, es sei ein regelrechter Garagenflohmarkt, wo alles so hoch übereinandergestapelt ist, dass man nicht weiß, was drin ist, einfach alle Anziehsachen und Gardinen und Spielzeug, alles in einem großen Stapel. Natürlich ist es kein richtiger Flohmarkt – nicht wie der in der Kirche, der jeden Sommer stattfindet, und man muss fünfzig Pence zahlen, um reinzukommen, und vielleicht findet man einen Nike-Hoodie oder eine gelbe Teekanne oder eine Eismaschine, und die ist noch in der Schachtel. Es ist kein Flohmarkt wie in der richtigen Welt. Es ist nur mein Gehirn, das ein bisschen ein Wirrwarr ist.
Meine Chefin sagt das auch. Karen, meine Chefin. Deshalb muss ich meine Spaziergänge mit ihr zusammen machen. Niemals nur ich und die Hunde. Ich würde sonst vergessen, welche Hunde schon mit mir draußen waren. Wäre ich allein, würde ich die verkehrten Hunde mit zurückbringen und meine allein im Wald rumrennen lassen. Weil ich mir noch nie etwas gut merken konnte. Und vielleicht wird es deshalb nicht ganz einfach, dieses Buch, mein Buch, zu schreiben.
Und ich bin nicht sehr gut mit – wie heißt das Wort, verflixt und umgedreht, es fällt mir gleich wieder ein, garantiert … Ich lasse mich leicht ablenken, das haben sie in der Schule immer gesagt. Flatterhaft. Wie so ein Flatterding. Flatter, flatter, flitter flitt. Ein flatteriges Sieb. Meine Gedanken wandern, und mein Gedächtnis – nun, vielleicht je weniger ich darüber sage …
Ausdauer! Seht ihr, ich wusste doch, es fällt mir noch ein. Das ist eben so mit Wörtern. Meine Mum sagt, Wörter können wie Welpen sein, die einem einen Ball bringen, und wenn man danach greift, laufen sie damit davon, aber im Grunde wollen sie ja spielen, und wenn man ihnen den Rücken zudreht, kommen sie zurückgerannt und legen einem den Ball vor die Füße. Sie foppen einen. Mein Gehirn ist genauso. Ausdauer. Darin bin ich nicht so gut. Das haben alle immer gesagt. Alle meine Lehrer. Und Karen. Das ist meine Chefin. Und ich habe noch ein kleines Problem, ich bin schnell verwirrt. Nur wenn es zu viel gibt, worüber ich nachdenken muss. Und außerdem …
Ich rede zu viel. Das sagen alle. Ich weiß nicht, was ich sagen und was ich für mich behalten soll. Und einiges davon sage ich laut. Und einiges davon ist in meinem Kopf. Ich bin nie ganz sicher, was was ist, und es ist schlimmer, wenn ich nervös bin, sagt meine Mum, Jenny Nicely, oder wenn ich begeistert bin. Oder wenn ich nicht genug geschlafen habe. Oder wenn es einfach nur so ein Tag ist, wo mein Mund das Gefühl hat, er hätte eine Menge zu erzählen. Und was ich dann tue – was ich jetzt gerade tue –, ich setze mich auf meine Hände und sage mir: Hope Nicely, du musst bis drei zählen. Und ich zähle. Eins. Zwei. Drei.
Nun, es stimmt, dass ich nicht gut im Zählen bin, und wenn die Zahlen größer werden, schweben sie manchmal aus meinem Kopf heraus wie Ballons in den Himmel. Aber eins, zwei, drei ist so einfach wie Blinzeln. Nicht einmal ich kann eins, zwei, drei durch die Finger gleiten lassen wie eine Ballonschnur. Ich habe es mit meiner Mum, das ist Jenny Nicely, hundert Mal geübt. Eine Million Mal. Mich auf die Hände setzen. Eins, zwei, drei. Und ich bringe mein Gehirn wieder zum Schweigen. Ruhig. Langsam. Zählen. Nicht jedem alles erzählen, was in meinem Kopf ist. Denk auch an die anderen, wenn sie dir zuhören, und versuch nicht immer nur zu reden, reden, reden, reden.
Und hier bin ich nun also – seht ihr –, meine Hände sind flach auf dem Stuhl unter meinem Po. Und ich schaue auf den großen runden Tisch und auf die Leute, die dort sitzen. Und ich hole brav tief Luft und zähle wieder bis drei. Und dann zähle ich die Leute am Tisch – nicht groß und rund, habe ich rund gesagt? Verflixt und umgedreht. Das war nicht, was ich gemeint habe. Oval. Seht ihr, das Form-Wort, fallen gelassen von einem Welpen. Großer ovaler Tisch. Nicht rund. Oval. Und es sitzen eins-zwei-drei-vier-fünf-sechs-sieben-acht-neun-zehn Leute um den ovalen Tisch. Und weil die Zahlen brav zu mir gekommen sind und sich nicht an den falschen Stellen in meinem Gehirn versteckt haben, fühle ich mich jetzt ruhig, und mein Kopf ist klar. Und ich fange noch mal von vorn an. Ganz von Anfang an …
1
Mein Name ist Hope Nicely. Hope wie Hoffnung. Und Nicely wie nett. Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt. Ich habe eine richtige Arbeit als Hundegassigeherin, und ich lebe zusammen mit meiner Mutter, Jenny, in der Sackgasse beim Bahnhof. Ich bin hier, weil ich ein Buch schreiben werde. Es ist kein historisches Buch – wie bei der Frau mit der Brille an einer Kette um ihren Hals, die uns gerade erzählt hat, dass ihr Buch während der Revolution in Frankreich spielt, und auch kein Krimi wie bei dem Mann links von mir – nein, rechts von mir – mit einer Uhr, die ist riesig und sehr golden. Nein, links von mir. Weil, schaut, wenn ich meine Hände unter meinem Po hervorhole, die Finger nach oben halte und den Daumen abspreize, dann ist auf dieser Seite zwischen meinem Finger und meinem Daumen ein L, und dann weiß man es. Weil das L für links steht. Mein Buch wird – ich suche nach dem richtigen Wort, und da ist es, weil mein Gehirn ganz klar und zutraulich ist – ein Sachbuch. Das bedeutet, es ist wirklich. Kein Roman. Nichts Ausgedachtes. Man nennt das Memoiren. Oder Autobiografie. Über mein Leben.
Und ich möchte eine Menge anderer Dinge erklären: Wieso dieses Buch ganz wichtig ist. Dies ist das Buch, das herausfinden wird, wer meine leibliche Mutter ist und warum sie mich weggegeben hat, auch wenn das alles übrigens nicht besser hätte ausgehen können. Dies ist das Buch, das mir das Wort geben wird, an das ich mich gerade nicht erinnern kann, aber es ist ein bisschen wie Schlusslicht. Und meine Mum, Jenny Nicely, sagt, es ist eine sehr gute Sache, dieses Buch zu schreiben. Es wird eine bedeutende Leistung sein. Aber ich weiß, ich sollte jetzt aufhören zu reden, denn die Schriftstellerin, unsere Lehrerin – Marnie Shale, die vier Romane geschrieben hat und für einen Preis nominiert wurde, dessen Namen ich nicht mehr genau weiß, aber ich glaube, er klingt wie Butter – beugt sich vor, auf der gegenüberliegenden Seite des runden Tischs. Und sie lächelt mich an und streckt die Hände mit den Handflächen voran in meine Richtung aus. Des ovalen Tischs. Oval. Und ich weiß – weil ich das im Rollenspiel mit meiner Mum, Jenny, geübt habe –, dass dies das Zeichen ist, dass sie gleich etwas sagen wird. Und ich will ihr noch viele andere Dinge über mein Buch erzählen und wieso es so wichtig ist, dass ich es schreibe, ich muss ihr unbedingt mehr erzählen, aber ich sitze wieder auf meinen Händen und atme ganz tief, und ich sage mir, dass jetzt sie mit Reden dran ist und dass wir uns abwechseln müssen. So funktioniert ein Gespräch, und das heißt, jeder kommt mal dran, und nicht nur einer redet, redet, redet. Ich beuge mich ebenfalls vor – das nennt man Spiegeln – und sage mir, ich muss aufhören zu reden. Ich muss jetzt zuhören.
Es ist nicht leicht, still zu sein. Da ist so ein Summen in meinem Kopf, und ich würde am liebsten laut schreien. Ich will ihr sagen, hör mir zu, hör zu, was ich über mein Buch zu sagen habe. Aber ich zähle lautlos vor mich hin. Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei.
Und ich höre auf. Denn jetzt bin ich dran mit Zuhören.
„Hallo, Hope.“ Das ist Marnie Shale, und ihre Haare wippen, wenn sie spricht. Sie hat eine tiefe, warme Stimme, und ich glaube, sie ist vielleicht aus Schottland, denn wenn sie redet, ist das ein bisschen wie Musik, die ich schon mal gehört habe. Ich kenne mich mit Dialekten eigentlich nicht so gut aus, aber ich glaube nicht, dass sie aus Harpenden ist, weil sie nicht so klingt wie ich, und sie klingt auch nicht wie Jenny Nicely, meine Mum, und sie klingt auch nicht wie Karen oder wie die Leute in den Läden in unserer Nähe. Es gibt so viele Dialekte. Schottisch und Irisch und Amerikanisch und der Dialekt in Cornwall, wo wir letzten Sommer hingefahren sind, und der in Kingston in … ich weiß nicht mehr, wo … jedenfalls da, wo jemand herkommt. Jemand, den ich kenne. Aber mir fällt nicht ein, wer.
„Ich freue mich ganz besonders, dass Sie an unserer Schreibwerkstatt teilnehmen.“ Marnie Shale lächelt mich an, und dann schaut sie die anderen Leute im Raum an und erzählt ihnen von dem Stipendium für den Kurs, das sie ausgeschrieben hat, und dass ich diejenige bin, die es gewonnen hat, und wie wichtig Geschichten für alle von uns sein können, und wie wesentlich es ist, dass die Stimmen, die man hört, nicht dieselben sind, von denen die Geschichten in den letzten zighundert Jahren erzählt wurden – das sagt sie, „zighundert“, wie eine kurze Zigarette. Und wenn sie spricht, benutzt sie ihre Hände und Arme, um große Gesten zu machen. Und sie sagt, dass Frauen viele Jahrhunderte lang nur schreiben konnten, wenn sie so taten, als wären sie Männer, und selbst danach war es nur einer privilegierten Minderheit möglich. „Eine Frau muss Geld haben und ein eigenes Zimmer, wenn sie Romane schreiben möchte“, sagt sie und schweigt einen Moment. Viele nicken. Und viele der anderen Leute im Raum haben ihre Notizbücher aufgeschlagen und schreiben etwas hinein. Und manche haben stattdessen Laptops. Und eine von ihnen hat ein Handy, und das hält sie hoch, als würde sie vielleicht ein Video von Marnie Shale machen, während sie redet – als wäre Marnie Shale berühmt, und sie will es vielleicht auf Twitter oder auf Facebook stellen.
Ich habe die Hand oben in der Luft und summe mit zusammengepressten Lippen, weil mein Gehirn vergessen hat, dass ich nicht wieder in der Schule bin – und das musste man machen, auch wenn ich das normalerweise vergessen habe, weil es sonst Stören genannt wird. Und ich warte, bis Marnie Shale lächelt und mich anschaut und die Augenbrauen hochzieht. „Ja, Hope?“
„Ich schreibe keinen Roman. Ich schreibe ein Sachbuch. Es ist eine Autobiografie. Mein Buch ist wirklich, und es handelt von mir, und es wird helfen, meine Mutter zu finden, und dann wird sie kommen und … und ich habe eigenes Geld. Weil ich eine richtige Arbeit habe. Und ich habe auch mein eigenes Schlafzimmer. Aber es ist kein Roman, es ist ein Sachbuch. Es ist wirklich, und es ist ganz wichtig, weil meine leibliche Mutter dann …“
„Gutes Argument, Hope.“ Das ist nicht unhöflich, obwohl sie mich unterbricht, weil sie die Hände in meine Richtung ausstreckt, die Handflächen nach vorn – das ist übrigens ein Hinweis, dass sie noch immer dran ist mit Reden –, und weil sie die Lehrerin ist. Die Lehrerin darf reden, wenn man bereits redet, und man sollte nicht brüllen oder den Kopf auf den Tisch schlagen, wenn sie das tut, weil es eigentlich kein Unterbrechen ist. Es ist erlaubt, weil Lehrer dazu da sind, uns etwas beizubringen. Und sie lächelt, um zu zeigen, dass sie nicht verärgert ist. Deshalb lächle ich sie ebenfalls an.
„Ganz richtig, Hope. Gutes Argument. Und der Essay, in dem Virginia Woolf genau dieses Argument bringt, fällt ebenfalls in die Kategorie Sachbuch. Aber ihre Botschaft lautet eher, dass wir Kreativität nicht als ein Geschenk sehen können, das sich im luftleeren Raum entwickeln wird.“
Das ist ehrlich gesagt ein bisschen verwirrend, weil ich nicht sicher bin, wieso sie von luftleerem Raum spricht, da muss man doch nur das Fenster aufmachen, damit Luft reinkommt, zum Durchlüften, wie meine Mum, Jenny, immer sagt, frische Luft, auch wenn die kalt ist und ich friere. Aber ich werde nicht unterbrechen. Weil ich nicht dran bin mit Reden. Ich werde weiter sehr gut zuhören.
„Nur gewisse vom Schicksal begünstigte, wohlhabende, privilegierte Individuen …“ Das ist Marnie Shale mit ihrem schottischen Auf-und-ab-Dialekt.
Es ist Jamaika. Da liegt Kingston. Und die Person, die aus Kingston auf Jamaika kommt, ist Julie Clarke, die ist meine Sozialarbeiterin, obwohl, eigentlich nicht mehr, weil sie jetzt nämlich Rentnerin ist. Aber sie kommt immer noch jeden Donnerstagabend, um zu sehen, wie es mir geht. Und das ist der Dialekt, den sie hat, und der hat nicht viel Ähnlichkeit mit dem von Marnie Shale. Es ist eher, als würde sich jedes Wort, das sie sagt, langsam dehnen. Und als es mir einfällt, will ich es laut rufen – Jamaika –, aber das tue ich nicht. Es kommt wirklich nicht sehr laut heraus. Fast als würde ich es stumm denken. Fast als würde ich es überhaupt nicht sagen. Ich glaube nicht, dass mich irgendjemand gehört hat, außer vielleicht der Mann mit dem glänzenden Halstuch mit dem Knoten am Hals, der neben Marnie Shale sitzt. Vielleicht hat er es gehört, denn er dreht den Kopf in meine Richtung und sieht mich an, und er macht ein Geräusch, das so ein missbilligendes Schnalzen ist, und dann seufzt er. Etwa so: „Ts, ts – ach.“
Das ist der Mann, der im Aufzug stand, als ich heute kam. Er redete mit der Frau mit der Brille an der Kette, und ich habe gefragt, auf welchem Stockwerk die Schreibwerkstatt stattfindet, und er hat sich viel Zeit genommen, bevor er mir geantwortet hat – dritter Stock. Und dann drehte er mir den Rücken zu, damit er wieder nur sie ansah. Und obwohl er es nur geflüstert hat, habe ich gehört, was er sagte: „Und ich dachte, ich hätte mich für eine Schreibwerkstatt angemeldet, aber jetzt frage ich mich, ob das nicht eher eine Behindertenwerkstatt ist.“
Ich dachte mir, wie schwer es ihm wohl fallen wird, ein ganzes Buch zu schreiben, wenn er nicht mal die unterschiedlichen Werkstätten auseinanderhalten kann.
Marnie Shale starrt ihn an, als er dieses missbilligende Seufzen macht, aber sie redet immer noch weiter, wie es vielleicht nur ein kleiner Tropfen im Meer der Ungleichheit ist, aber dass sie hofft, dass unsere Gesellschaft und insbesondere die Verlagsindustrie endlich beginnt, die Stimmen der Ungehörten nicht nur zu tolerieren, sondern anzuhören und willkommen zu heißen. „… denn so überwinden wir die Ignoranz. Es ist an der Zeit, dass das Pendel nach all den Jahrhunderten in die andere Richtung schwingt, Jahrhunderten, in denen sich die Darstellung im Wesentlichen auf weiße, heterosexuelle, der Mittelklasse entstammende, nichtbehinderte, neurotypische“ (sie hebt die Hände so etwa auf Ohrenhöhe und wackelt dort mit zwei Fingern jeder Hand. Ich habe das Leute schon vorher machen sehen, und es bedeutet etwas, nicht nur, dass man so tut, als hätte man kleine Kaninchenohren, ich weiß nur nicht mehr genau, was) „Figuren konzentriert und Durchlässigkeit völlig außer Acht lässt. Viel zu lange wurden die aus den PoC- und LGBT-Communitys, ganz zu schweigen von jenen mit …“
Ich kann nicht mehr richtig zuhören, weil mich die wackelnden Finger ein bisschen verwirrt haben. Außerdem versuche ich jetzt, die Buchstaben in meinem Kopf zusammenzusetzen, um herauszufinden, was für Wörter sie ergeben. P-O-C-K. POCK? Was bedeutet Pock? Und Lgbt? Das klingt nicht einmal wie ein richtiges Wort. Es ist wie Gilbert, nur vertauscht und ohne die langen Töne, nur l-g-b-t, richtig schnell. Vielleicht sind das Orte. Man nennt das eine Community, wenn Leute irgendwoher kommen. Dann sind das vielleicht Länder. Pock und Lgbt. Vielleicht liegen sie in Russland oder irgendwo, wo alles anders klingt.
Und ich versuche gerade herauszufinden, wovon die Lehrerin redet und ob das wirklich Länder sind oder ob sie sie falsch ausgesprochen hat oder ich mir die falschen Buchstaben gemerkt habe, als ich mitbekomme, dass sie schon wieder meinen Namen gesagt hat. Und sie sieht mich mit leicht zur Seite gedrehtem Kopf an. Sie will sich vergewissern, dass es noch immer okay für mich ist, wenn die Gruppe es weiß, und dass es mir nichts ausmacht, dass sie es ihnen erzählt. Mit es meint sie mich und wieso mein Gehirn ein bisschen besonders ist. Sie meint, dass meine leibliche Mutter mein Gehirn geschädigt hat, weil sie Alkohol getrunken hat, als ich in ihrem Bauch war und entwickelt wurde. Das nennt man Fetales Alkoholsyndrom. Und man nennt es auch FAS. Und ich sage Nein, weil es mir nichts ausmacht und weil sie das sowieso schon mit meiner Mum, Jenny, besprochen hat. Sie haben lange telefoniert, ob ich an diesem Kurs teilnehmen soll und ob ich genügend Ausdauer habe und ob andere Leute es wissen sollten, und Mum hat gesagt, dass es immer das Beste ist, es den Leuten zu sagen, weil ich mich für nichts schämen muss, und so werden sie es wissen und verstehen. Nicht dass es irgendwelche Wutanfälle gibt, hat Mum am Telefon gesagt. Sie hat gelacht.
Marnie Shale und sie kennen sich ein bisschen. Weil meine Mum, Jenny Nicely, Dichterin ist. Aber als Dichterin verdient man keine Millionen, bedauerlicherweise, deshalb arbeitet sie auch in der Buchhandlung. Die in der Nähe vom Bahnhof. Und als Marnie Shale vor ein paar Jahren ein neues Buch geschrieben hat, wurde das in der Buchhandlung verkauft, und Marnie kam und hat daraus gelesen, damit sie ihr Buch signieren konnte, und dann konnten die Leute es kaufen. Marnie und meine Mum haben über Poesie und Buchhandlungen und Ideen und das Leben geredet. Und danach sind sie locker in Verbindung geblieben. Auf Twitter und Facebook und manchmal am Telefon.
Marnie redet über Hürden und Herausforderungen und Meilensteine und Triumphe. Sie sieht mich an, während sie redet. Und sie lächelt viel.
„… sage das nur, weil mich Hope gebeten hat, das Thema anzusprechen, weil sie das Gefühl hat, dass sowohl sie selbst als auch Sie entspannter sein werden, wenn allen bewusst ist, mit welchen Schwierigkeiten sie konfrontiert ist. Und auch wenn ich sicher bin, dass Sie alle volles Verständnis haben, denke ich, dass Sie alle mit mir der Meinung sind, wie sehr es von ihrer Ausdauer zeugt, dass …“
„Bezeichnungen sind unwichtig.“ Ich vergesse, die Hand zu heben, weil es mir plötzlich ein Bedürfnis ist, das allen zu sagen, falls sie es nicht schon wissen sollten. „Es sind nur die Menschen, die wichtig sind. Ich habe eine richtige Arbeit. Und ich kann lesen und schreiben. Ich bin vielleicht ein bisschen bläulich oder indigoblau. Aber nicht rot oder orange oder …“ Ich versuche mich zu erinnern, welche Farbe als Nächstes kommt. Irgendwas mit einer Teekanne. Aber mir fällt nicht ein, welche es ist. Also sage ich stattdessen: „Und ich bin noch nie aus einem Auto gesprungen und war noch nie im Gefängnis.“ Weil die Leute sonst vielleicht nicht begreifen, dass ich eine von denen auf der glücklichen Seite des Regenbogens bin. Und dass auch wenn ich Dinge vergesse und einen Kopf habe, der ein bisschen wie ein Flohmarkt ist – natürlich kein richtiger Flohmarkt mit gelber Teekanne, oh, genau, und die nächste Farbe ist Gelb, oder einer Eismaschine im Karton, einfach nur ein Gehirn, das ein bisschen ein Durcheinander ist –, und selbst wenn ich manchmal ein bisschen schreien muss, bin ich doch …
Ich meine nicht Regenbogen. Das ist nur für Mum und mich. Das ist unser Wort. Ich meine natürlich das andere Wort. Ich meine … ich meine …
Es ist gerade ganz still im Raum, weil ich versuche, mich an mein Wort zu erinnern, nur dass ich jetzt über den Regenbogen nachdenke, und alle anderen schauen mich an, als würden sie warten, außer dem einen Mann, der einen leichten Husten hat. Das ist nicht der mit dem Krimi oder der aus dem Aufzug. Das ist ein anderer mit einem T-Shirt, auf dem steht „The Clash“. Aber mir fällt das Wort nicht ein, und Marnie lächelt – das macht sie immer – und sagt, auf jeden Fall schön für dich, Hope Nicely. So, hören wir doch noch ein bisschen mehr von der Gruppe und was sich alle von diesem Kurs erhoffen, und dann machen wir eine kleine Übung.
Einen Moment lang denke ich, sie meint eine Übung wie in der Schule, wenn Sportunterricht war und vor Gymnastik oder Korbball, weil man sich aufwärmen musste. Und ich würde es beinahe am liebsten laut rufen – denn das würde uns nicht helfen, ein Buch zu schreiben, kein Liegestütz oder Zehenberühren oder Auf-der-Stelle-Laufen. Aber dann muss ich ein bisschen lachen, weil ich so dumm bin zu glauben, dass sie das meint. Sie meint eine Schreibübung. Natürlich. Meine Mum – sie heißt Jenny Nicely – hat mir erzählt, dass wir in diesem Kurs vermutlich ein paar Übungen machen werden. Und da habe ich das Gleiche gedacht – das mit dem Zehenberühren –, und Mum hat gesagt, nein, sie meint, Schreibübungen – so was mit sich Szenen ausdenken oder Menschen oder sich Sachen vorstellen –, deshalb ist es wirklich dumm von mir, das jetzt wieder zu denken. Aber ich lache nicht sehr laut, also ist das eigentlich nicht Stören, und ich glaube, es fällt auch niemandem sonderlich auf. Oder vielleicht nur dem Mann mit dem Knoten im Halstuch, denn er sieht mich wirklich ziemlich durchdringend an.
Dabei redet er im Moment nicht einmal. Das ist Danny Flynn, der auf dem Stuhl links neben ihm sitzt – Finger, Daumen, ja, links –, der Haare hat, die sind hellbraun, aber ein bisschen orange und lockig und ziemlich lang für einen Mann, außer vorne an der Stirn, da ist nicht so viel Haar. Er hat uns seinen Namen gesagt, und jetzt redet er über sein Buch, das in einer zukünftigen Welt spielt, wo es nicht genügend saubere Luft gibt für all die Babys, die geboren werden, deshalb dürfen nur die Babys der ganz reichen Leute in der normalen Welt leben, die heißt Oberwelt, und die armen Babys kommen in Höhlen, wo sie arbeiten, um Wasser für Energie zu sammeln, und außerdem müssen sie es reinigen, damit die Leute in der Oberwelt es trinken können.
Und Marnie Shale fragt ihn, ob er glaubt, dieses Buch unterscheide sich genug von all den anderen klassentypischen, postapokalyptischen Romanen und – sie kritisiert nicht, aber – ob sich seine Handlung nicht doch ein bisschen arg ausgetreten anfühlt. Das ist das Wort, das sie benutzt – „ausgetreten“ –, als würde er das Buch mit den Füßen schreiben. Als würde er auf seiner Geschichte herumtreten, während er sie schreibt. Als wären all die Bücher, die schon geschrieben wurden, mit den Fußabdrücken ihrer Autoren übersät. Und der Mann – Danny – lässt sich einen Moment Zeit, bevor er antwortet. Meine Mum sagt immer, dass ich nicht immer richtig gut darin bin, die Mimik von Leuten zu verstehen, aber sein Mund ist fast eine Linie, und seine Wangen sind geröteter als eben noch, und ich frage mich, ob er vielleicht bis drei zählt, damit er nicht schreit oder den Kopf auf den Tisch schlägt. Und ich denke, wie schrecklich es wäre, jeden Tag unter der Erde Wasser in Eimern zu sammeln, und ich frage mich, ob ich mit einer Mum, die Poetin und Buchhändlerin ist, genug Geld hätte, um als Baby in der Oberwelt leben zu dürfen, selbst wenn man damit keine Millionen verdient, bedauerlicherweise.
Und jetzt redet Danny über den dystopischen Literaturkanon – das ist verwirrend, weil ein Kanon doch ein Lied ist, das man mit mehreren singt, immer einer nach dem anderen, und dann wieder von vorn, und Bücher singt man doch nicht, die werden nur manchmal auf CDs gesprochen. Und ich habe keins der Bücher von den Autoren gelesen, über die er redet – „Einflüsse“: Margaret Atwood und Aldous Huxley und Philip K. Dick. (Ich sitze auf meinen Händen, als er den Namen sagt, und presse die Lippen fest aufeinander, weil es unhöflich ist zu lachen, wenn jemand anders redet, obwohl ich wirklich lachen möchte, weil es so witzig ist sich vorzustellen, dass jemand Dick heißt, aber vielleicht ganz dünn ist, oder er ist dick und heißt deshalb so, wie bei Dick und Doof.) Marnies Fragen sind wie Musik, die mit ihrem Dialekt ansteigt und sinkt. Seine Antworten sind flacher. Ich glaube, er hat überhaupt keinen Dialekt.
Marnie Shale sagt, sein Buch klingt gut durchdacht, aber er wird sich besondere Mühe geben müssen, damit es sich abhebt, wenn irgendjemand tatsächlich Lust bekommen soll, es zu lesen. Sie sagt, er muss aufpassen, dass sein Roman nicht zu generisch wird. Ich kenne das Wort nicht, aber ich hebe nicht die Hand, weil ich mit Nachdenken beschäftigt bin. Es gibt noch ein Wort, das bedeutet, dass man Durcheinander im Kopf hat oder dass man in einem Rollstuhl sitzt oder Lungen hat, die nicht so richtig arbeiten, wenn man so im Bauch seiner Mutter entstanden ist. Und das ist, wenn es überhaupt nicht die Schuld der Mutter ist und man nichts dagegen tun kann. Es ist nur, weil das alles schon in ihrem Körper ist und dann in den Körper des Babys geht, weil es in ihr ist, und das ist etwas, da kann sie nichts dran ändern. Nicht so, wie meine leibliche Mutter mich gemacht hat. Das war nicht generisch. Das hat sie alles selbst mit mir gemacht, mit ihrem Wein und ihrem Bier.
Und jetzt wird mir klar – verflixt und umgedreht –, dass es für mich keinen Unterschied machen würde: selbst wenn ich als Baby mit einer Mutter, die Poetin und Buchhändlerin ist, reich genug gewesen wäre, um in der Oberwelt zu bleiben und die Luft zu atmen und nicht in die Höhlen zu kommen und das ganze Leben damit zu verbringen, Wasser in Eimer zu füllen. Das würde mir nicht helfen. Weil Jenny Nicely nicht meine Mutter war, als ich auf die Welt kam. Sie kannte mich damals nicht mal. Und meine Mutter, als ich auf die Welt kam, wollte mich nicht in der normalen Weder-oben-noch-unten-Welt, also wäre es ihr definitiv egal gewesen, ob sie genug Geld gehabt hätte, damit ich in der sauberen Luft aufwachse und in der Sonne statt im Untergrund. Ich wäre in den Höhlen gewesen. Garantiert. Und ich wäre niemals von Jenny Nicely adoptiert worden. Es wäre nicht alles gut ausgegangen. Ich hätte einfach mit meinem Eimer in der Unterwelt festgesessen. Und es wäre dunkel und feucht gewesen. Und vermutlich kalt. Und die Luft wäre schmutzig gewesen. Da wäre ich jetzt.
Ich summe, aber jetzt mache ich das nicht, weil ich versuche, nicht über Mr Dick zu lachen. Ich mache das, weil ich versuche, nicht zu weinen, dass ich ein armes Baby in einer Höhle bin, das Wasser für all die reichen Babys sammeln muss, deren Mummys sie nicht weggeworfen haben.
Der Mann mit dem Knoten sieht mich wieder so an. Ich glaube, es ist wegen dem Summen, und ich würde wirklich gern mit dem Kopf gegen irgendwas schlagen, aber ich darf nicht. Deshalb setze ich mich auf meine Hände und zähle bis drei, und dann zähle ich noch mal. Eins-zwei-drei. Ich summe lauter und lauter, und ich zähle so heftig, dass ich spüre, wie sich die Zahlen in meinem Kopf ausdehnen. Aber dann, als ich denke, ich muss losschreien und die Tränen werden fließen, habe ich eine gute Idee und hole ganz tief Luft und schlage mein Notizbuch auf – es ist blau und hat einen festen Einband, und man schlägt es von rechts nach links auf, wie ein richtiges Buch, nicht von oben nach unten wie die mit den Drahtringen oben. Und es ist ziemlich groß. Viele der anderen Leute im Raum schreiben Sachen in ihre Notizbücher – ich habe meine Hände natürlich unter meinem Po hervorgezogen, sonst hätte ich es ja nicht aufschlagen können, außer ich hätte meinen Mund benutzt –, also hole ich meinen besonderen Kugelschreiber heraus und schreibe auch ein bisschen. Meine Buchstaben sind ziemlich ordentlich. Viel ordentlicher als früher. Allerdings sind sie nicht miteinander verbunden. Früher habe ich sie miteinander verbunden, aber da waren sie nicht so ordentlich.
Mein besonderer Kugelschreiber ist übrigens wirklich sehr besonders. Er ist oben golden und unten schwarz, wie bei dem besonderen Kugelschreiber meiner Mum, Jenny Nicely. Es ist übrigens genau der gleiche, und den hat sie mir gekauft, weil sie so stolz auf mich ist. Aber meiner hat auch noch einen speziellen Griff. Er ist blau, was zu meinem Notizbuch passt. Er ist zusammenquetschbar, und er sitzt da, wo ich den Kugelschreiber mit den Fingern halte, damit es sich angenehm anfühlt.
Schreibwerkstatt. Das schreibe ich oben auf die Seite und unterstreiche es, und dann darunter meinen Namen. Hope Nicely. Und ich schreibe den Tag hin – Mittwoch – und denke auch an die zwei t, weil es nicht von „mit“ kommt, sondern von „Mitte“, auch wenn die Leute es vielleicht trotzdem verstehen würden, aber dann glauben sie einfach, ich wäre dumm. Ich will auch das Datum aufschreiben, weil man das auch machen sollte, aber ich kann mich gerade nicht daran erinnern, deshalb lasse ich es weg.
Diese Woche geht es um Vorstellungen, daran erinnere ich mich! Marnie Shale hat das gleich am Anfang gesagt, und ich wusste, es war wichtig – wir stellen uns selbst vor und unsere Buchprojekte, das hat Marnie Shale gesagt –, also schreibe ich Vorstellungen und dann die Namen der Leute, die in unserem Kurs schon geredet haben. Die Frau, die zuerst über ihr Buch gesprochen hat, die mit der Brille an der Kette, heißt Susan. Das weiß ich noch, weil ich mal eine Assistenzlehrerin namens Susan hatte, als ich in der Grundschule war. Und ihr Nachname ist Ford, und das ist kinderleicht zu merken, weil wir ein Auto haben, das ebenfalls Ford heißt. Also schreibe ich ihre beiden Namen auf. Der Name ihres Buchs lautet – ich denke intensiv nach, und es klappt, denn er kommt zurück in mein Gehirn – Die Lady und das Türschloss, also schreibe ich das auch auf. Dann, eine Zeile weiter, schreibe ich Malcolm, weil das der Name des Mannes mit dem Krimi ist. Er hat Haare, die ein bisschen hochstehen wie meine Haarbürste, und einen großen quadratischen Ring am Finger und die Uhr, die sehr groß und sehr golden ist, und er hat ein Gesicht, das tatsächlich eine etwas überraschende Farbe hat, wie die Farbe einer Mandarine oder einer Orange oder vielleicht einer Fanta, außer an den Ohren, wo sie mehr wie die Farbe meiner Haut ist. Ich kann mich nicht an seinen Nachnamen erinnern – mit Sicherheit kein Auto –, deshalb schreibe ich ihn nicht auf. Den Namen des Buchs weiß ich allerdings sofort. Costa del Tod.
Als Nächstes schreibe ich meinen Namen auf – weil ich die Nächste war, die sich vorgestellt hat, und meine Notizen müssen die richtige Reihenfolge haben. Aber ich habe nicht daran gedacht, dass mein Buch einen Namen braucht, und ich bin ein bisschen traurig, weil ich mir einen hätte ausdenken sollen. Statt eines richtigen Namens schreibe ich einfach Mein Buch. Und darüber kann ich jetzt sowieso nicht mehr nachdenken, weil ich Danny Flynn und Höhlenwelt schreiben muss. Und ich schreibe es ganz schnell, ohne mein Gehirn über die Babys in den Höhlen nachdenken zu lassen. Und es bleibt sowieso keine Zeit mehr, weil sich schon die nächste Person vorstellt.
Veronica Ptitsky. Das brauche ich nicht selbst zu buchstabieren, weil es die Frau von sich aus macht – es ist ein russischer Name, sagt sie. Ich weiß nicht, ob sie einen Dialekt hat – vielleicht ein ganz wenig –, aber sie hat sehr roten Lippenstift, und ihr Haar ist kraus, und sie bringt Marnie Shale zum Lachen, als sie ihr erzählt, was sie schreibt.
„Unbezahlbar. Also, Jilly Cooper für die LGBT-Community?“ Das ist Marnie, die das sagt.
Auch die Frau mit den Lippen lacht. Und jetzt weiß ich, dass ich wohl recht hatte, dass Lgbt in Russland liegt, deshalb schreibe ich das in Klammern (Veronica Ptitsky aus Lgbt, Russland).
„Genau“, sagt sie – Veronica Ptitsky. „Mitsamt Jodhpurreithose, Peitsche und so weiter. Strohhalm im Haar und sehr feuchtes Ausmisten. Eine ganz andere Art von heiß.“ Alle außer mir lachen, weil ich nicht viel über Pferde weiß. »Hoffentlich bringt es mir so viel Geld wie Fifty Shades. Arbeitstitel: Heiße Gerte.«
Ich fange an, es zu schreiben, Heiße Gerste, aber das klingt komisch, und ich frage mich, ob Pferde ihr Essen tatsächlich auch lieber warm mögen und ob sie sich den Mund verbrennen, wenn die Gerste zu heiß ist. Jetzt lacht Marnie Shale und sagt: „Nun, ich glaube, wir sind alle heiß darauf, Ausschnitte aus Ihrem Buch zu lesen. Gut, wer kommt als Nächstes …“
Und jetzt schaut sie den Mann mit dem Halstuch mit dem großen Knoten an, und er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. „Ich kann nicht für mich in Anspruch nehmen, einer der ehrenwerten Unterrepräsentierten zu sein, tut mir leid“, sagt er, „da ich gestehen muss, dass ich bereits zweimal publiziert wurde. Übrigens durchaus mit Anerkennung, wenn auch nur in begrenztem Rahmen.“
Er legt die Hände hinter den Kopf, als säße er auf einem Liegestuhl in der Sonne. „So. Ich? Dr. Ludovic Philip Sawyer. Dozent für klassische Literatur, und neben all den üblichen wissenschaftlichen Arbeiten habe ich für eine größere Leserschaft zwei Bücher über die Einhaltung innerstaatlichen Rechts im römischen und byzantinischen Reich geschrieben. Beide noch lieferbar. Jetzt mache ich mich an meinen ersten Roman, der Aspekte des Mythischen und des Schauerromans mit der Geschichte von Konstantin dem Großen und seinem Mord an seiner Frau Fausta verwebt. Nennen wir es eine Mischung aus Dan Brown und Ich, Claudius, Kaiser und Gott. Mein erster Ausflug in die Belletristik, deshalb meine Teilnahme an diesem Kurs. Ich hatte gehofft, hier etwas mitnehmen zu können.“
Er sagt das und sieht mich dabei an, aber nur aus dem Augenwinkel, nicht direkt, als wollte er nicht den ganzen Kopf drehen. Und irgendwas an ihm, wie er redet, lässt es in meinem Kopf summen, als wären Wespen drin. Ich bin froh, als sich Marnie Shale an die nächste Person wendet. Und auch wenn sich mein Gehirn ein bisschen müde anfühlt, versuche ich, weiter ordentliche Buchstaben in mein Notizbuch zu schreiben.
Simon Taylor. Reise durch Amerika. Eine Art Rock’n’Roll-Autobiografie – nur Grunge genannt wegen der 1990er. Soul Caravan. Arbeitstitel.
Simon Taylor ist derjenige, der ein komisches Geräusch gemacht hat, als ich über mein Buch gesprochen habe. Er ist derjenige mit dem T-Shirt, auf dem „The Clash“ steht. Und er war es auch, der später ein bisschen doller gehustet hat. Vermutlich hat er eine kitzlige Kehle und braucht ein Hustenbonbon.
Jamal Ali. Personal Trainer, der ein Vampir ist. Das ist die Handlung. Nicht die Wirklichkeit. Jamal ist Koch. Wirkliche Arbeit. Jamal – kein Vampir. Witz. Buch heißt Scharf.
Am Anfang, als er seinen Namen sagte, dachte ich, es hieße Ja Mal, zwei unterschiedliche Namen. So wie meine Mum, Jenny, eine Freundin hat, die heißt Ella Jane. Deshalb dachte ich, sein ganzer Name wäre Ja Mal Ali. Und ich dachte, es wäre witzig, weil es klingt, als würde jemand sagen: Ja, mal Ali. Aber dann sagte Marnie Shale, Jamals Buch höre sich an, als würde es Spaß machen, und mir wurde klar – ich Dummerchen –, dass sein Name tatsächlich nur ein Wort ist. Nicht Ja Mal, nur Jamal. Aber sein Witz war trotzdem sehr lustig, der, dass er kein richtiger Vampir ist, nur Koch. Das hat mich zum Lachen gebracht. Aber ich muss jetzt aufhören zu lachen, weil ich weitere Leute in mein Notizbuch schreiben muss.
Kelly Perkins. Kriegszeit. Fabrik. Buch heißt Die Grazien aus der Munitionsfabrik. Sie ist diejenige mit dem längsten Haar, das ich je gesehen habe, bis fast runter zum Po.
Peter Potter. Peter Potter.
Ich merke erst, dass ich Peter Potters Namen zweimal geschrieben habe, als mir auffällt, dass ich vergessen habe, weiter zuzuhören. Ich habe einfach darüber nachgedacht, wie gut mir sein Name gefällt. Er fühlt sich gut an in meinen Ohren. Er ist ziemlich alt und hat weißes Haar und große weiße Augenbrauen. Und er hat einen Dialekt, den ich mag, denn er klingt wie in Coronation Street. Aber es ist zu spät, um ihn noch etwas über sein Buch zu fragen, das im Grunde aus ganz vielen kurzen Geschichten besteht, nicht nur aus einer langen wie die meisten Bücher, denn jetzt sollen wir üben.
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