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Indagator – Die Bestien von Rom

| Ein Fantasyabenteuer zur Zeit der Römer
18,00 €
26.09.2024
448 Seiten, Klappenbroschur
13,6cm x 20,5cm
978-3-492-70553-0

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Piper Verlag GmbH
Georgenstraße 4
80799 München

Beschreibung

Rom zur Kaiserzeit: Caligula sitzt auf dem Thron, doch im Volk brodelt es. Immer wieder kommt es zu politischen Unruhen. Als die Stadt von einer grausamen Mordserie erschüttert wird, beauftragt der Kaiser den Hauptmann Lucius Murmillo Pertinax, der Sache nachzugehen. Gerüchte werden laut, dass eine mordlüsterne Kreatur in den Kanälen Roms ihr Unwesen treibt und ihre Opfer bestialisch zurichtet. Die junge Patrizierin Sibylla, die ein dunkles Geheimnis umgibt, bringt Lucius auf eine unglaubliche Spur: Wurden die Morde nicht von einem Wesen aus Fleisch und Blut begangen, sondern von einer…

Rom zur Kaiserzeit: Caligula sitzt auf dem Thron, doch im Volk brodelt es. Immer wieder kommt es zu politischen Unruhen. Als die Stadt von einer grausamen Mordserie erschüttert wird, beauftragt der Kaiser den Hauptmann Lucius Murmillo Pertinax, der Sache nachzugehen. Gerüchte werden laut, dass eine mordlüsterne Kreatur in den Kanälen Roms ihr Unwesen treibt und ihre Opfer bestialisch zurichtet. Die junge Patrizierin Sibylla, die ein dunkles Geheimnis umgibt, bringt Lucius auf eine unglaubliche Spur: Wurden die Morde nicht von einem Wesen aus Fleisch und Blut begangen, sondern von einer sagenumwobenen Kreatur aus uralter Zeit? Die Suche nach der Antwort ist eine Reise in die Dunkelheit.

Über Michael Peinkofer

Michael Peinkofer

Biografie

Michael Peinkofer, 1969 geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Kommunikationswissenschaften und arbeitete als Redakteur bei der Filmzeitschrift „Moviestar“. Mit seiner Serie um die „Orks“ avancierte er zu einem der erfolgreichsten Fantasyautoren Deutschlands. Seine Romane um „Die Zauberer“...

Mehr über Michael Peinkofer
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Michael Peinkofer
Indagator – Die Bestien von Rom.
Inhaltsangabe

VOLUMEN PRIMUM:
IN TENEBRIS ABDITUM

I

Wenn man den Helm eines Arenakämpfers trug, bestand die Welt aus kleinen Löchern.

Worauf man auch blickte, stets hatte man den Eindruck, dabei durch eine Vielzahl von Schlüssellöchern zu sehen, als wäre man nur Zuschauer und gar nicht wirklich beteiligt – bis zu dem Moment, da sich die Klinge des Gegners heiß und schmachvoll in die Eingeweide fraß …

Lucius Murmillo Pertinax hatte nicht vor, es so weit kommen zu lassen – obwohl seine Tage bei den Spielen eigentlich gezählt und er ein wenig aus der Übung war. Ganz abgesehen davon, dass er es noch nie mit einem Gegner wie diesem zu tun bekommen hatte. Niemand hatte das bislang.

Retiarius wurde der Kerl genannt, und anders als der murmillo war er nicht mit Klinge und Schild bewaffnet, sondern mit einem Dreizack, als wäre er geradewegs Neptuns feuchtem Reich entstiegen. Und mit einem mit Wurfgewichten versehenen Fischernetz, das er gegen die Beine seines Gegners schwang, stets im Bemühen, diesen in den Maschen zu fangen und zu Fall zu bringen. Zu Beginn des ungleichen Kampfes hatten Lucius und seine Kameraden noch über den seltsamen, halb nackten Aufzug des Fischkämpfers gelacht – doch je länger das Duell dauerte, je mehr von Lucius’ bewährten Finten scheiterten, und je raffinierter die Attacken des Gegners wurden, desto weniger heiter war die Stimmung.

Im Gegenteil, was als Spaß begonnen hatte, war zu einem erbitterten Duell geworden – und was die aufgeladene Stimmung und das heisere Geschrei ringsum anging, so hätte man glauben mögen, in einem Amphitheater zu sein und nicht in einem der Säle des kaiserlichen Palasts auf dem ehrwürdigen Palatin. Gerade erst hatte der neue Hausherr, der seit einem Jahr hier residierte, nachdem sein Vorgänger es mehr als zwei Dekaden ausgehalten hatte, damit begonnen, den Palast nach seinen Vorstellungen zu erweitern und umzubauen – vom Tempel Castors und Pollux’, der sich zwischen dem kaiserlichen Palast und dem Forum erhob, würde vermutlich schon bald nichts mehr zu sehen sein. Es sei denn, zwei erbittert kämpfende Gladiatoren zerstörten in ihrer Raserei all das, was Baumeister und Handwerker in den vergangenen Monaten mühsam errichtet hatten.

Erneut trug der retiarius einen Ausfall vor, diesmal nicht mit dem Netz, sondern mit dem mörderischen Dreizack, den er mit der bis zur Schulter gepanzerten Linken führte. Mit einer routinierten Bewegung, die den Zuschauern ein lautes „Oooh“ entlockte, wich Lucius der Waffe aus. Der Stoß verfehlte ihn und traf stattdessen einen hüfthohen Dreifuß, auf dem eine kunstvoll gearbeitete Vase stand. Mit profanem Klirren ging sie zu Bruch, zur allgemeinen Heiterkeit der Gäste, die die Kontrahenten in weitem Rund umgaben und so inmitten des Bankettsaals des kaiserlichen domus einen provisorischen Kampfplatz gebildet hatten.

„Los doch, Pertinax! Mach ihn fertig!“, keifte eine der hohen Damen – allerdings hätte Lucius eines solchen Zurufs nicht bedurft, er war auch so bis in die Haarspitzen motiviert. Denn mochte es bei diesem Kampf auch nicht um Tod und Leben gehen, so ging es doch um sein Ansehen und seinen Ruf – und beides war am kaiserlichen Hof unabdingbar.

Die Schaulustigen sahen zu, wie sich die Kämpfenden im flackernden Schein der Feuerschalen umkreisten und sich dabei lauernd beobachteten. Lucius merkte, wie seine Handflächen schwitzten. Er fasste sein gladius fester, die kurze Klinge, mit der er blitzschnell zustechen und dabei tödlich verwunden konnte. Wie viele Siege hatte Lucius ihr zu verdanken – doch wie bekämpfte man einen Widersacher, der mit einer Stabwaffe hantierte und seinen Gegner erst gar nicht an sich herankommen ließ? Es blieb ihm nur, auf einen Fehler des retiarius zu lauern, während Lucius ihn in leicht gebückter Haltung umkreiste, dabei die Füße kreuzend, wie sein lanista es ihn einst gelehrt hatte.

Erinnerungen kehrten zurück.

Das Geschrei des alten Schleifers lag ihm plötzlich wieder in den Ohren, und er konnte den Schweiß und das Öl riechen, hatte den salzigen Geschmack von Blut auf der Zunge. Obwohl all dies Jahre zurück lag, war es ihm noch immer vertraut, nicht nur die Bewegungen, auch das Knirschen der wattierten manica an seinem Waffenarm, und der elende Gestank, wenn man unter dem Bronzehelm schwitzte.

Doch nicht nur die Erinnerungen an seine Zeit an der Gladiatorenschule von Massilia kehrten zu Lucius zurück, sondern auch die Instinkte, die er dort entwickelt hatte. Durch die Löcher im Helmvisier taxierte er seinen Gegner, der größer war als er selbst, ein Hüne geradezu, seiner bleichen Haut und dem rotblonden Haar nach Britannier. Der nackte Oberkörper des retiarius schien zu bersten vor Muskeln, und in seinen Augen lag ein mordlüsternes Blitzen, das Lucius in der Arena oft gesehen hatte … Sollte der Hüne vergessen haben, dass sie dies nur zur Zerstreuung der Anwesenden taten? Dass sie nur ein wenig Kurzweil bieten sollten, um den Kaiser und seine erlesenen Gäste zu erfreuen?

Erneut stieß der Britannier mit dem Dreizack zu, diesmal tief, um Lucius’ Beine zu treffen. Blitzschnell warf er sich zur Seite, rollte sich ab und stand zur Freude der Zuschauer sofort wieder auf den Beinen – doch zeigte sich jetzt, dass die Attacke mit dem Dreizack nur eine Finte gewesen war. Denn nun erfolgte der eigentliche Angriff mit dem Netz, das der Barbar nach ihm schwang, um ihn darin zu fangen wie einen Fisch auf dem Trockenen.

Die Attacke erwischte Lucius auf dem falschen Bein, er hatte nicht damit gerechnet. Dennoch machte er sich wie in alten Zeiten die Leichtigkeit seiner Ausrüstung zunutze und sprang in die Höhe. Das Netz wischte unter ihm hindurch, als wäre dem retiarius daran gelegen, den marmornen Boden des Palasts zu säubern – und noch ehe er es wieder zurückziehen konnte, landete Lucius darauf.

Es war ein gefährlicher Moment – hätte der Britannier über die nötige Geistesgegenwart verfügt, hätte er am Netz reißen und seinem Gegner den Boden unter den Füßen wegziehen können. So jedoch war das Gegenteil der Fall: Lucius’ Waffenhand zuckte vor, und noch ehe sein Gegner reagieren konnte, hatte er das Zugseil des Netzes bereits durchschnitten, und das Ding lag nutzlos auf dem Boden.

„Habet! Habet!“, riefen die Gäste anerkennend, was einmal mehr Erinnerungen an die Arena weckte. Und auch der Ehrgeiz, den Lucius einst empfunden hatte, kehrte zurück, der unbedingte Wille, seinen Gegner in den Staub zu werfen.

Der Britannier stieß eine Verwünschung aus, dann packte er den Dreizack mit beiden Händen und griff damit an. Der Stoß, der kräftig genug war, um einem Eber den Schädel zu zerschmettern, zielte schräg nach unten, geradewegs auf Lucius’ Eingeweide. Indem er geschickt seinen Schild einsetzte und die gegnerische Waffe an dessen Wölbung abgleiten ließ, wehrte Lucius den Angriff ab. Der retiarius jedoch, der sein ganzes Körpergewicht in den Stoß gelegt hatte, geriet dadurch ins Taumeln. Lucius rammte ihn mit dem Schild, so hart, dass der andere vollends das Gleichgewicht verlor und stürzte.

Die Gäste wichen mit einem Aufschrei zurück, als der Hüne vor ihnen niederging und mit dem Hinterkopf hart auf dem steinernen Boden aufschlug. Dabei biss er sich ein Stück seiner Zunge ab, das er keuchend ausspuckte, zum Gelächter der hohen Herren und zum Ekel der anwesenden Damen. Lucius entwaffnete ihn, indem er ihm den Dreizack aus der erschlafften Linken trat – und im nächsten Moment hatte der Britannier die Spitze des gladius an der Kehle.

Für einen Moment, während er keuchend nach Atem rang und heißes Kampfesblut in seinen Adern wallte, verspürte Lucius tatsächlich den Drang, mit der Klinge zuzustoßen und sie in der Kehle seines Gegners zu versenken … doch es war nur ein Schatten, der flüchtig vorüberzog. Schon einen Herzschlag später hatte er sich wieder unter Kontrolle und wartete auf das Urteil der gaffenden Menge, genau wie einst …

„Sehr gut, sehr gut!“, lobte eine dünne Stimme, die beim Sprechen seltsam die Höhe wechselte, als würde ihr Besitzer singen. „Nun lass von ihm ab, Freund Pertinax, und schenke dem Barbaren sein elendes Leben. Der Prokurator der Spiele wird es dir danken.“

Lucius besann sich noch einen Moment. Dann richtete er sich auf, und indem er die Klinge, die kein Blut zu kosten bekommen hatte, achtlos fallen ließ, bot er dem besiegten Gegner seine Rechte an. Aus den blaugrauen Augen des Britanniers schienen weiter Funken zu schlagen. Hilfloser Zorn spiegelte sich darin ebenso wie Scham über den verlorenen Kampf, aber auch Verblüffung über die versöhnliche Geste. Schließlich ergriff er Lucius’ Rechte, und dieser half dem Riesen dabei, wieder auf die Beine zu kommen. Unter Beschimpfungen und Hieben trieb der zuständige Hofbeamte ihn hinaus, was bei den Versammelten erneut für Heiterkeit sorgte.

Lucius öffnete das Visier und nahm den Helm ab, froh darüber, wieder frei atmen zu können und statt des eigenen Schweißes den süßlichen Duft von Myrrhe, Rosenöl und all den anderen Aromen zu riechen, in die wohlhabende Patrizier sich zu hüllen pflegten. Und bei Weitem nicht nur die Damen …

„Nun?“, erkundigte sich der Mann mit der singenden Stimme, während er sich von seiner Liege erhob und die Stufen des Podests herabstieg. Er bot einen eigentümlichen Anblick, denn sein runder, von einer weiten Toga umwallter Körper schien zu dem kleinen Kopf und den dürren Beinen nicht recht passen zu wollen. Sein dunkles Haar war trotz seiner jungen Jahre bereits spärlich, die kohleschwarzen, in tiefen Höhlen liegenden Augen standen weit auseinander und schienen in ständigem Argwohn umherzuspähen.

Doch wer aufgrund dieser Attribute diesen jungen Mann unterschätzte oder es an Respekt oder Ehrerbietung mangeln ließ, der beging einen schwerwiegenden Fehler. Denn dies war Caius Caesar Augustus Germanicus, Urenkel des großen Caesar Augustus und Großneffe des Tiberius, Herrscher des römischen Reiches, oberster Priester und Imperator und Vater des Vaterlands.

Oder, wie manche ihn nannten, wenn auch nur klammheimlich: Caligula …

„Was hältst du von dieser Idee, guter Murmillo?“, wollte der Kaiser von Lucius wissen. Dass er dabei wissbegierig sein fliehendes Kinn vorstreckte, verlieh seiner Erscheinung etwas Vogelhaftes. „Dieser retiarius könnte zum neuen Liebling der Arena werden! Die Menge wird rasen, wenn sie ihn sieht!“

„Das steht zu erwarten, Caesar“, räumte Lucius ein.

„Mit Netz und Dreizack mag er wie ein Fischer aussehen, der sich in die Arena verirrt hat“, fuhr Caligula fort und lachte über seinen eigenen Scherz. „Aber wenn er erst ein paar Gegner aufgespießt hat, wird er sich rasch Respekt verschaffen.“

„Das denke ich auch, erhabener Caesar“, stimmte Lucius zu. Diener kamen herbei und nahmen ihm Helm und Schild ab. Dann lösten sie die Verschnürung der manica und der Panzerung am linken Bein und entfernten auch sie. „Aber darf ich vielleicht einen Vorschlag machen?“

„Einen Vorschlag?“ Der vorgereckte Kopf des Kaisers wippte zur Seite wie bei einem Raubtier, das Witterung aufgenommen hatte. Die Hofschranzen, die den improvisierten Kampfplatz noch immer in weitem Rund umgaben, tauschten unruhige Blicke. Caligula war für seine leichte Erregbarkeit bekannt. Dem Kaiser einen falschen Vorschlag zu unterbreiten, konnte allzu leicht mit Bestrafung enden …

„Du stehst hoch in meiner Gunst, mein guter Pertinax“, sagte er prompt, „aber übertreib es nicht. Denn was für ein Vorschlag sollte das sein, den ein ehemaliger Grubenkämpfer seinem erlauchten Herrscher zu machen hätte?“

„Ein Grubenkämpfer wohlgemerkt, der Euch alles zu verdanken hat, Caesar“, verbesserte Lucius und schmeichelte ihm damit zugleich. »Hättet Ihr mich nicht aus der Arena in die Reihen Eurer Prätorianer berufen und mich zum Zenturio ernannt, würde ich hier und jetzt nicht vor Euch stehen.«

„Das ist wahr, du verdankst mir alles“, gab der Kaiser unumwunden zu und schien sich daraufhin etwas zu beruhigen. „Was also ist das für ein Vorschlag?“, verlangte er dann großmütig zu wissen.

„Der retiarius ist ein neuartiger, furchterregender Kämpfer“, versicherte Lucius. »Hat er erst Übung im Umgang mit Netz und Dreizack, wird er so stark werden, dass ein Kampf zwischen ihm und einem murmillo oder thraex allzu rasch enden könnte … es sei denn, es gefällt Caesar, seiner göttlichen Macht gerecht zu werden und das Kampfesglück ein wenig auszugleichen.«

In Caligulas schwarzen Augen blitzte es. „Wie?“

»Gebt dem Gegner des Netzkämpfers einen Helm, der weniger geschmückt ist als der meine, sodass er sich unter dem Netz wegducken kann, ohne sich darin zu verheddern. Und verkleinert das Visier, damit seine Augen besser geschützt sind. Auf diese Weise werden die Chancen besser verteilt sein. Die beiden Kämpfer werden den Zuschauern in der Arena viel Freude bereiten – und der Dank und die Begeisterung des Volkes werden Euch sicher sein, Caesar.«

Caligula nickte, während er auf seinen dürren Beinen auf und ab ging und sich dabei das bartlose, fliehende Kinn rieb. »Ich gebe zu, die Idee ist nicht schlecht … und wie sollen wir diese neue Art von Kämpfer nennen?« Er blieb stehen und blickte in die Runde der Versammelten. „Los doch, ich erwarte eure Vorschläge“, rief er ihnen zu.

Die geladenen Gäste wichen seinen Blicken aus. Aufseiten der Herren waren es vor allem Senatoren und andere Patrizier, die zu den kaiserlichen Festen geladen wurden, sodass sich Geld und Macht die Waage hielten; was die Frauen anging, so behielt der Kaiser es sich vor, nicht nur die Damen des hohen Adels einzuladen, sondern auch solche, die ihren Lebensunterhalt zwar auf anrüchige Weise verdienten, Caligulas Vorstellung von Schönheit und Eleganz aber mehr entsprachen. Doch woher sie auch stammen mochten, ob von ganz oben oder ganz unten, sie alle schwiegen lieber, als etwas zu sagen, das dem Kaiser womöglich missfiel.

„Fürwahr, ihr seid mir ja schöne Berater!“, rief Caligula ihnen zu. „Würde ich ein Pferd zum Senator machen, würde es mir kaum weniger wertvolle Dienste leisten!“

„Nun denn“, entgegnete Marcus Aquila Iulianus, seines Zeichens erster Konsul und oberster Beamter, der sich wohl in seinem Stolz gekränkt sah, „so nennt ihn doch mergus, Caesar.“

„Wieso das?“

„Weil er elegant unter dem Netz des Gegners hindurchtaucht“, entgegnete der Konsul und machte eine entsprechende Bewegung mit der rechten Hand.

„Unfug“, lehnte Caligula ab.

„Oder fugitivus, weil er vor dem Dreizack auf der Flucht sein wird“, schlug ein Senator vor.

„Noch schlimmer!“, lautete das kaiserliche Urteil. »Niemand, der ins Amphitheater geht, will einen Gladiator davonlaufen sehen! Habt ihr denn nichts verstanden? Es muss ein Name sein, der bei seinem Gegner Respekt und beim Zuschauer große Erwartungen weckt …« Er verstummte und dachte einen Moment nach, wobei seine Augen vollends in den ohnehin schon tiefen Höhlen zu versinken schienen. „Jetzt weiß ich es!“, rief er plötzlich aus, wobei sich seine Miene wieder klärte. „Der neue Kämpfer wird secutor genannt, weil es seine Aufgabe sein wird, den retiarius in der Arena zu verfolgen!“

„Eine gute Wahl, Caesar“, bekundete Marcus Aquila, und allenthalben wurde geklatscht und Beifall bekundet. Der Kaiser erquickte sich daran wie an einem warmen Frühlingsregen und schickte Lucius ein Lächeln, das dieser hinlänglich kannte. Es lag eine gewisse Dankbarkeit darin – und zugleich die Warnung, sich von nun an wieder in Zurückhaltung zu üben.

Denn Caius Caesar Augustus Germanicus war leicht zu erfreuen, insbesondere von einem ehemaligen Gladiator, den er wohlwollend in die Reihen seiner Prätorianer aufgenommen hatte.

Doch ebenso rasch konnte man dieses Wohlwollen auch wieder verlieren – und dann war der Palatin, war ganz Rom ein sehr gefährlicher Ort.


II

Es hatte gefressen.

Hatte sich an seiner Beute gelabt, die es rasch und ohne die Mühen einer langen Jagd erlegt hatte. Der Hunger, den es verspürt hatte, war damit fürs Erste gestillt, die alten Kräfte dabei, wieder in seinen Körper zurückzukehren … aber es brauchte noch mehr davon. Und an diesem Ort, in diesem unendlichen Wald aus Steinen, gab es reiche Beute …

Anfangs war es verwirrt gewesen, hatte zum ersten Mal in seiner uralten, archaischen Existenz so etwas wie Furcht verspürt. Instinktiv hatte es zunächst die Flucht ergriffen, doch andere, noch ungleich mächtigere Naturtriebe, die darauf aus waren, zu töten, zu fressen und zu überleben, hatten es schließlich wieder in den steinernen Wald zurückkehren lassen.

Und da hatte die Bestie sie gesehen …

Unzählige kleine, zerbrechliche Kreaturen, die sich in den engen Schluchten tummelten und von denen keine Gefahr ausging, die keinen Widerstand leisteten und sich willenlos in ihr Schicksal ergaben. Ihr Fleisch, ihre Knochen und ihr Blut würden die Bestie nähren, würden ihr nach dem langen Schlaf die alte Stärke wiederbringen.

Die Bestie genoss das Gefühl, wieder am Leben zu sein, verschlang jeden einzelnen Bissen, den sie aus den leblosen, blutigen Körpern riss, mit unstillbarer Gier.

Sie wusste weder, was sie war, noch, warum sie war.

Nur dass sie noch war, das wusste sie.

Nach all den Jahrtausenden.