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Myrk

Michael Peinkofer
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Die Dunkelwald-Saga

„Peinkofer, einer der bekanntesten deutschen Fantasyautoren, erschafft mit Motiven aus germanischen Sagen eine plastische märchenhafte Welt. Sie ist finster, mitunter brutal und blutig und zieht die Leserinnen und Leser sofort hinein in die komplexe Geschichte mit facettenreichen Figuren.“ - Neue Westfälische

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Myrk — Inhalt

Nominiert für den SERAPH 2023 in der Kategorie „Bestes Buch“!

Sieben Schicksale. Drei Wurzeln. Ein Stamm.

Den alten Mythen nach umfasst ein gewaltiger Baum in den Tiefen des Waldes von Myrk alles Leben und alle Länder des Reiches. Doch die Völker des Hochwaldes sind in blutige Fehden verstrickt. Der grausame Häuptling Marfast strebt nach der Herrschaft über ganz Myrk und wandelt dabei auf einem schmalen Grat zwischen Ruchlosigkeit und Wahnsinn. Das Schicksal der Welt ruht nun auf den Schultern einer ungestümen Kriegerin, einer jungen Waldfrau und eines heimatlosen Jungen, in deren rätselhafter Vergangenheit eine außergewöhnliche Verbindung zu den Geistern des Waldes liegt.

Gekonnt verwebt SPIEGEL-Bestsellerautor Michael Peinkofer geheimnisvolle, germanische Sagenmotive mit einer düsteren High-Fantasy-Welt. 

€ 18,00 [D], € 18,50 [A]
Erschienen am 01.09.2022
496 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-70555-4
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€ 12,99 [D], € 12,99 [A]
Erschienen am 01.09.2022
496 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60259-4
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Leseprobe zu „Myrk“

Prolog


Der Wald war in Aufruhr.

Der uralte, von Wurzeln und Fäulnis durchdrungene Boden bebte, die Farne schrien Schmerz und Wehmut laut hinaus, und die Bäume, die jahrtausendealten Säulen der Welt, bluteten Harz aus zahllosen Wunden.

Brekina lief, so rasch ihre Füße sie trugen, doch der Moment war nahe, in dem ihre Beine ihr den Dienst versagen und vor Erschöpfung unter ihr zusammenbrechen würden. Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn, ihr Herzschlag hämmerte, Blut rauschte in ihren Ohren. Angst schnürte ihr die Kehle zu, und als würde sich ihre Furcht [...]

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Prolog


Der Wald war in Aufruhr.

Der uralte, von Wurzeln und Fäulnis durchdrungene Boden bebte, die Farne schrien Schmerz und Wehmut laut hinaus, und die Bäume, die jahrtausendealten Säulen der Welt, bluteten Harz aus zahllosen Wunden.

Brekina lief, so rasch ihre Füße sie trugen, doch der Moment war nahe, in dem ihre Beine ihr den Dienst versagen und vor Erschöpfung unter ihr zusammenbrechen würden. Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn, ihr Herzschlag hämmerte, Blut rauschte in ihren Ohren. Angst schnürte ihr die Kehle zu, und als würde sich ihre Furcht auf ihre Umgebung übertragen, schien auch das Dickicht zu erzittern. Vögel flatterten kreischend auf, kleine Tiere stoben davon, flohen vor ihr, so wie sie selbst floh. Ihr Atem ging stoßweise. Gehetzt sah sie sich um, wusste um die Verfolger, die ihr auf den Fersen waren und ihr mit blanken Klingen und mörderischen, mit Widerhaken versehenen Pfeilen nach dem Leben trachteten.

Der Frevel, den sie begangen hatte, war zu groß, um sie am Leben zu lassen, die Kränkung zu gewaltig. Und doch hatte sie nicht anders gekonnt, als nach ihrem Herzen zu entscheiden, zu ihrem Verderben … doch zum Wohl des Lebens, das in ihr reifte.

Ihre Schritte wurden schwer und schleppend, der Schmerz in ihrem Rücken zur Qual. Anfangs hatte sie ihn kaum gespürt, doch jetzt breitete er sich in ihrem Körper aus wie Schlangengift – wobei gar nicht auszuschließen war, dass die Spitze des Pfeils tatsächlich in Gift getaucht gewesen war.

Wie lange sie bereits durch den Urwald irrte, wusste Brekina nicht mehr zu sagen. Den Mantel aus Hirschfell eng um die Schultern geschlungen, stieg sie über die von Pilzen überwucherten Stämme abgestorbener Bäume, tauchte unter Vorhängen aus Farn und Moos hindurch und überquerte Brücken aus Wurzelwerk, die sich über geheimnisvoll flüsternde Bäche und grüne Tümpel spannten.

Mit jedem Schritt, den sie ging, drang sie tiefer ins Herz des Waldes vor. Und je weiter sie vorankam, desto mehr hatte sie das Gefühl, aufgesogen zu werden von der dunklen, feuchten Dämmerung, die unter den knorrigen Eichen herrschte, eins zu werden mit der beruhigenden Stille, die zwischen den uralten Bäumen hing und sie wie eine schützende Mauer umgab.

Brekina merkte, wie sie ruhiger wurde und auch der Schmerz sich legte, der Pfeilspitze zum Trotz, die unterhalb ihres rechten Schulterblattes stak. Ihr rasselnder Atem und der dünne Blutfaden, der aus ihrem Mundwinkel rann, machten ihr jedoch unbarmherzig klar, dass dies ihr letzter Weg sein würde. Auch ihre Gabe könnte sie nicht retten, nicht dieses Mal. Dennoch überkam sie eine seltsame Ruhe, nun, da sie den inneren Kern des Waldes erreichte. Hier, sagte sie sich, hatte einst alles seinen Anfang genommen – und hier würde es enden.

Deshalb war sie hierhergekommen.

Um sowohl sich als auch das Leben, das in ihr reifte, jener Macht anzuvertrauen, die Myrk hatte wachsen lassen und die dem Wald seit jeher Fülle und Leben schenkte.

Aldatru …

Von ihren Verfolgern war nichts mehr zu hören. Vielleicht hatten die Warge im Dickicht ihre Spur verloren, waren abgelenkt worden von anderen Gerüchen. Oder die Blutjäger waren umgekehrt, weil sie lieber den Wutanfällen ihres Herrn entgegensahen als dem Zorn des Waldes.

Brekina würde es nicht mehr erfahren.

Ihre Zeit war gekommen.

Ihr Leben verlangte es danach weiterzuziehen. Früher, als die Natur es vorgesehen hatte, würde es ihren Körper verlassen, und es würde Brekina nicht mehr vergönnt sein, jenes neue Leben in ihr als Mutter zu umhegen und vor den Gefahren der Welt zu beschützen.

Ihr Blick verschwamm bereits, als sie die Lichtung des Lebensbaumes erreichte. Die Erschöpfung, die sie bis jetzt tapfer geleugnet hatte, holte sie ein, und sie sank zu Boden, in eine schützende Kuhle, die die Wurzeln formten. Tröstenden Armen gleich streckten sie sich ihr entgegen, als hätten sie nur auf sie gewartet.

Auf ihren hölzernen Wanderstab gestützt, der ihr so wertvolle Dienste geleistet hatte, ließ Brekina sich nieder. Weiches Moos empfing ihren geschundenen Körper und linderte ihren Schmerz, selbst den der Pfeilspitze, die dadurch nur noch tiefer in ihre Lunge drang. Brekina schloss die Augen, reinigte ihren Geist von den Resten weltlichen Schmerzes, die dort verblieben waren, von eitlem Zorn und banger Furcht.

„Aldatru“, flüsterte sie und öffnete ihren Geist für die Gegenwart des Ewigen – und konnte im nächsten Moment bereits spüren, wie ihr aus dem Boden des Waldes und dem Wurzelwerk, das ihn durchdrang, neue Kraft erwuchs. Ihr Atem beruhigte sich und ebenso ihr Herzschlag.

Aber in diesem Augenblick setzten die Wehen ein.

Es gab keine Vorwarnung, nichts, das sie auf den Schmerz vorbereitet hätte, der ihren Unterleib plötzlich durchflutete. Alles in ihr sträubte sich dagegen, das Leben, das in ihr gereift war, bereits so früh in diese Welt zu entlassen, und doch wusste sie, dass sie keine Wahl hatte.

„Aldatru“, stieß sie abermals hervor, lauter diesmal, während eine neue Welle von Schmerz durch ihren Körper flutete. Sie warf den Umhang aus Hirschfell ab und zerriss ihr Kleid, vertraute sich dem Schutz des Waldes an in der Absicht, eins zu werden mit dem Ewigen, mit der urwüchsigen Kraft, die alles Leben in Myrk durchdrang.

„Aldatru!“

Als sie den Namen diesmal aussprach, war es ein lauter Schrei, der zugleich Gebet, Verwünschung und flehentliche Bitte war. Brekina brüllte ihren Schmerz und ihre Verzweiflung hinaus, während sie auf dem Boden lag, die Beine gespreizt und bereit, die letzte ihr verbliebene Kraft dazu zu nutzen, das neue Leben in ihr in die Welt zu entlassen.

Doch allein würde sie es nicht schaffen.

Nicht ohne Beistand …

Brekina wusste, dass sie längst nicht mehr allein war. Verborgene Augen beobachteten sie, und auch wenn diese Augen weder Mensch noch Tier gehörten, hoffte sie dennoch, dass ihre Besitzer freundlich sein und sich ihrer erbarmen würden.

„Aldatru!“, schrie sie noch einmal, während sie das Gefühl hatte, vom Schmerz zerrissen zu werden.

In diesem Augenblick spürte sie das Beben.

Der Boden und das weiche Moos unter ihr erzitterten, ebenso wie das uralte Wurzelwerk. Im nächsten Moment lag ein Rauschen in der Luft, wie der Flügelschlag von tausend Vögeln es nicht zustande gebracht hätte, und die jahrtausendealten Bäume schienen sich zu bewegen.

Brekina hatte den Namen des Ewigen gerufen.

Und der Wald antwortete.



1

Achtzehn Sommer später


Das scharfe Blatt der Axt ging nieder.

Ein ums andere Mal grub sich das Eisen in den Stamm der Eiche, ließ Splitter von Borke und Holz nach allen Seiten fliegen, während es sich zum Kern des alten Baumes wühlte, unbarmherzig und unaufhaltsam, Schlag für Schlag.

Der Kampf war stets derselbe, und immer endete er auf die gleiche Weise: Anfangs leistete der Baum noch tapfer Widerstand, stellte sich der Klinge scheinbar unbezwingbar entgegen, trotzte ihr mit seiner schieren Größe und der Erfahrung überdauerter Zeitalter. Doch irgendwann, wenn rohe Muskelkraft und menschlicher Wille das Blatt wieder und wieder in den Stamm getrieben hatten, gab auch der mächtigste Riese nach. Dann wankte er, zum ersten Mal in tausend Wintern, und schließlich barst er mit markigem Krachen und Splittern und ging zu Boden, rauschend und knackend und unter dem Jubelgeschrei jener, die ihn zu Fall gebracht hatten.

So jedenfalls war es früher gewesen.

In letzter Zeit war nur noch das Knacken und Bersten der Bäume zu hören, Jubel vernahm man kaum noch. Zu groß war die Anzahl der Bäume, die dieser Tage gefällt wurden, zu groß die Eile, zu der die Baumtöter angetrieben wurden.

Falk und Derk gehörten zu ihnen.

Von ihrem Vater hatten sie das Handwerk des Baumfällens erlernt, so wie es ihm von seinem Vater beigebracht worden war, doch niemand konnte sich an eine Zeit erinnern, in der so viele Bäume erlegt worden waren wie in diesen Tagen. Erst am Vormittag hatten sie einen der grünen Giganten zu Fall gebracht, die sich in diesem Teil des Waldes turmhoch in den Himmel reckten. Nun waren die Brüder bei einer alten Buche zugange, deren Wurzeln und Rinde von einem langen und bewegten Leben kündeten – das noch vor Sonnenuntergang enden würde …

„Ich weiß nicht“, meinte Falk, während er die Axt ein weiteres Mal mit vernichtender Wucht in die bereits entstandene Kerbe schlug, „wenn es so weitergeht, wird es bald keine Bäume mehr geben, die wir fällen können.“

„Du redest Unsinn, wie immer.“ Sein Bruder hatte sich auf den Stumpf des Baumes niedergelassen, den sie am Vormittag gefällt hatten, und kaute auf einem zähen Stück gedörrten Hasenfleischs herum. Die Ähnlichkeit zwischen den zweien war nicht allzu ausgeprägt. Beide hatten langes Haar, das in schweißgetränkten Zotten auf ihre breiten Schultern fiel, ansonsten waren sie so verschieden, wie zwei Menschen es nur sein konnten. Falk war groß und sehnig, sein Bruder breitschultrig und klein. Er war der Ältere der beiden und bestimmte, was gemacht wurde, so war es immer gewesen.

„Der Wald von Myrk ist unendlich groß, was also macht es schon, wenn wir in diesem Jahr ein paar Bäume mehr fällen?“

„Ich weiß nicht.“ Falk, der bereits zum nächsten Schlag ausgeholt hatte, ließ die Axt wieder sinken und schüttelte den Kopf. Es war ein warmer Frühlingstag, der Schweiß rann ihm von der Stirn. „Nur weil noch keiner den Rand der Welt gesehen hat, bedeutet das nicht, dass es ihn nicht gibt. Außerdem“, fügte er hinzu, „ist es gegen das Gesetz.“

„Welches Gesetz?“

„Das Gesetz der Baumjagd, wie Großvater es uns gelehrt hat. Es besagt, dass wir nicht mehr Bäume erlegen dürfen, als wir unbedingt benötigen.“

„Wer sagt denn, dass sie nicht benötigt werden?“ Derk rollte mit den Augen, die Bedenken seines Bruders ärgerten ihn. „Harjatugan Marfast braucht das ganze Holz eben unbedingt, sonst hätte er wohl kaum angeordnet, es zu fällen.“

„Und wozu?“ Falk schnaubte, während er den Blick über die Lichtung schweifen ließ, die es vor ein paar Tagen noch nicht gegeben hatte. Da hatten die Bäume noch so dicht gestanden, dass kaum ein Lichtstrahl bis zum moosbedeckten Boden vorgedrungen war. Jetzt lag er in gleißendem Sonnenschein, und wohin man auch blickte, sah man nur Stümpfe und herrenlos am Boden liegende Borke, ein Fest für Käfer und Würmer, die sich bereits darüber hermachten. Die Stämme selbst waren noch an Ort und Stelle geschält und bereits fortgebracht worden.

„Keiner weiß, was mit all dem Holz geschieht“, dachte Falk weiter laut nach. „Die einen sagen, dass Häuptling Marfast damit seine Baumfestung erweitern wolle; die anderen behaupten, dass er Unmengen von Holzkohle brauche, um die Essen seiner Waffenschmieden damit zu befeuern; und wieder andere sagen, dass er seinen wikkan mit dem Bau neuer Kriegsmaschinen beauftragt habe …“

„Und? Kann uns das nicht egal sein?“ Derks Kiefer kapitulierten vor dem letzten Rest Dörrfleisch. Kurzerhand spuckte er es aus, griff wieder nach seiner Axt und stand auf. „Warum quälst du dein bisschen Verstand mit diesen Fragen, Bruder?“, wollte er wissen. „Es ist nicht unsere Sache, sich über so etwas den Kopf zu zerbrechen.“

„Und wenn Marfast wirklich zum Krieg rüstet?“

„Lass ihn, uns kann es doch egal sein! Was immer Marfast vorhat, seine Gier nach Holz füllt unsere Bäuche.“

Falk nickte, das stimmte durchaus. Sämtliche Baumtöter des Dorfes waren beschäftigt, und rechnete man noch die Rindenhäuter, die Holzschneider und die Zimmerleute dazu, so waren es noch einige mehr. Vielerorts konnte man dieser Tage den Klang von Äxten im Hochwald hören. Marfasts Hunger nach Holz schien unersättlich und würde noch für viele Monde volle Mägen und gut gefüllte Vorratslager für den Winter bedeuten.

„Du hast recht“, gab Falk zu, was sein Bruder nur mit einem Schnauben beantwortete. Dann machten die beiden sich gemeinsam wieder an die Arbeit, senkten Schlag um Schlag ihre Äxte in die alte Buche und vergrößerten die Kerbe mit jedem Hieb.

Splitter flogen, die immer weicher und saftiger wurden, je weiter sie sich dem Kern des Baumes näherten – und plötzlich sickerte etwas zwischen den wunden Fasern der Buche hervor. Falk sog scharf Luft ein und prallte zurück, selbst sein beherzter Bruder hielt mitten im Schlag inne.

„Was bei allen Bäumen …?“, stieß dieser hervor.

„Blut!“, gab Falk die schreckliche Antwort. „Das ist Blut, Derk! Ich habe es gewusst, es ist Frevel!“

„Mach Platz!“ Mit dem Schaft der Axt stieß sein Bruder ihn weg. Dann trat er vor und bückte sich hinab, steckte seine Hand in die Kerbe. Mit den Fingern befühlte er die austretende Flüssigkeit, prüfte ihre Beschaffenheit, die zäh war und klebrig. Schließlich roch er daran.

„Baumharz, nichts weiter“, stellte er fest.

Falk war nicht überzeugt. „Warum ist es dann so rot?“

„Woher soll ich das wissen? Machen wir weiter“, blaffte Derk und wollte die Axt wieder heben, doch sein Bruder ließ ihn nicht.

„Erinnerst du dich an die Geschichten, die Großvater uns am Feuer erzählt hat?“

Derk seufzte. „Und?“

„Auch an das, was er über blutende Bäume sagte?“

„Es war das Gewäsch eines alten Mannes. Aberglaube, nichts weiter.“

„Dass diese Bäume Aldatru gehören“, fuhr Falk unbeirrt fort. „Dass es sein Blut ist, das in ihren Adern fließt.“

„Und so was glaubst du?“

„Was, wenn er recht hatte?“

„Selbst wenn, was sollen wir deiner Ansicht nach jetzt tun?“ Derk sah fragend zu seinem Bruder auf. „Uns dem Befehl verweigern? Es heißt, Marfasts Runenschwert sei so scharf, dass es einen Mann vom Scheitel bis zur Sohle spalten kann. Willst du, dass er es an dir ausprobiert?“

„Bei allen stinkenden Morcheln, nein!“ Falk schüttelte entsetzt den Kopf.

„Also weiter“, knurrte Derk nur und setzte die Arbeit fort, und widerwillig trug auch Falk wieder seinen Teil dazu bei. Abwechselnd schlugen sie die Blätter ihrer Äxte in die Kerbe, und mit jedem Splitter Holz, den sie herausbrachen, trat noch mehr Harz hervor, so schreiend rot wie frisches Blut. In zahlreichen Rinnsalen kroch es am Stamm herab, suchte sich einen Weg über die knorrige Rinde und versickerte im Boden, wo es dunkle Spuren hinterließ, als wäre die Erde dort verbrannt.

Falk sah es mit Unbehagen, aber er sagte nichts mehr. Sie machten weiter, und endlich kam der Zeitpunkt, da der Baum bezwungen war.

„Zurück!“, zischte Derk, und sie huschten davon, während der grüne Riese sich neigte, quälend langsam zuerst, dann immer schneller, und schließlich mit urtümlicher Wucht zu Boden schlug, als wollte er die halbe Welt unter sich begraben. Äste brachen, und Zweige barsten, Vögel flatterten kreischend auf.

Dann trat Stille ein, in die Derks Siegesschrei platzte, heiser und trotzig. Dazu stieß er die Axt, deren Blatt so rot war wie nach einer geschlagenen Schlacht, hoch in die Luft und schwenkte sie triumphierend.

Falk schwieg und sah zu Boden, wo das Baumblut dunkle Spuren hinterlassen hatte.

Und im selben Moment erklang der schaurige Ruf.

„Barumur!“

Die Stimme war feindselig und voller Zorn, und sie schien überall gleichzeitig zu sein. Wie ein Sturm fegte sie über die Lichtung, brachte auch die anderen Baumtöter dazu, ihre Äxte sinken zu lassen und sich erschrocken umzusehen.

„Barumur!“, erscholl es wieder.

Falk und sein Bruder tauschten erschrockene Blicke, nicht einmal Derk fiel mehr ein Einwand ein.

„Barumur!“

Es war Anklage und Schuldspruch zugleich, und sie hielten die Werkzeuge des grausamen Frevels noch in den Händen. Falk ließ seine Axt fallen, die plötzlich unendlich viel zu wiegen schien. Derk behielt sie in den Händen, auch dann noch, als der Boden von schweren Erschütterungen durchlaufen wurde und die grüne Wand des Waldes sich teilte.

Im nächsten Moment brach das blanke Grauen aus dem Dickicht. Es packte Derk Baumtöter mit seiner Klauenhand und riss ihn senkrecht empor. Sein heiseres Geschrei endete in dem Augenblick, da er mitten entzweigerissen und in zwei Hälften davongeschleudert wurde. Seine blutigen Innereien regneten herab und besudelten den Boden.

Es war der Moment, in dem Falk schreiend herumfuhr. Dann begann er zu laufen, so schnell seine dürren Beine ihn trugen.

Michael Peinkofer

Über Michael Peinkofer

Biografie

Michael Peinkofer, 1969 geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Kommunikationswissenschaften und arbeitete als Redakteur bei der Filmzeitschrift „Moviestar“. Mit seiner Serie um die „Orks“ avancierte er zu einem der erfolgreichsten Fantasyautoren Deutschlands. Seine Romane um „Die Zauberer“...

Die Weltenkarte von Myrk (© Timo Kümmel)
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„Eine solide Unterhaltung für zwischendurch.“

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