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Blick ins Buch
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Ein Garten voller Bücher

Alba Donati
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Mein toskanisches Märchen

„In einem Tagebuch erzählt Alba Donati hübsch und heiter, wie sie trotz aller Widrigkeiten ihren Kopf durchsetzt und ihre Buchhandlung für viele Menschen zu einem kulturellen Zentrum macht.“ - Salzburger Nachrichten

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Ein Garten voller Bücher — Inhalt

Vom Glück, mit Büchern zu leben

„Das Cottage hat zwölf Quadratmeter und ein Fenster, das auf den Prato Fiorito hinausgeht. Auf der Fensterbank, auf einem kleinen schmiedeeisernen Pult, liegen immer abwechselnd drei Bücher: Der Garten der Virginia Woolf, Emily Dickinsons Herbarium und Alice im Wunderland, die Ausgabe mit den Illustrationen von John Tenniel. Es ist ein Damenfenster, und wer hereinkommt, fotografiert es."

Die wahre Geschichte der vielleicht kleinsten, charmantesten Buchhandlung Europas - und eines Dorfes, das nicht sterben will.

Als die Dichterin Alba Donati verkündet, ihr Traum sei es, in ihrem sterbenden Heimatdorf einen Buchladen zu eröffnen, schütteln alle nur mit dem Kopf. Doch mitthilfe von Crowdfunding und dein paar „Wundern“ entsteht in einem Gärtchen am Hang tatsächlich eine zauberhafte kleine „Literaturhütte“ — und fällt nur wenige Wochen später einem Brand zum Opfer. Aber in einem toskanischen Dorf ist man nicht allein!

So erleben wir mit, wie Alba mit Nachbar:innen und Freund:innen noch einmal neu anfängt und wie die Libreria sopra la Penna zum magischen Ort für Literaturfans aus aller Welt wird.

In bibliophiler Ausstattung – ein besonderes Geschenk für alle Buchliebhaber.

€ 22,00 [D], € 22,70 [A]
Erschienen am 27.04.2023
Übersetzt von: Karin Diemerling
272 Seiten, Hardcover
EAN 978-3-8270-1467-2
Download Cover
€ 18,99 [D], € 18,99 [A]
Erschienen am 27.04.2023
Übersetzt von: Karin Diemerling
272 Seiten, WMePub
EAN 978-3-8270-8069-1
Download Cover

Leseprobe zu „Ein Garten voller Bücher“

Januar

20. Januar

Jedes kleine Mädchen ist auf seine Weise unglücklich, und ich war es sehr. Vielleicht lag es an der Heirat meines Bruders, die mich im Alter von sechs Jahren völlig aus der Bahn warf, oder an meiner ziemlich archaischen Mutter, vielleicht auch ein bisschen an provinziellem Mobbing von der Sorte „Heute darfst du mitspielen, morgen nicht“.

Seit ich die Buchhandlung eröffnet habe, hat es kein Interview gegeben ohne die Frage: »Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Buchhandlung in einem gottverlassenen Nest mit hundertachtzig Einwohnern [...]

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Januar

20. Januar

Jedes kleine Mädchen ist auf seine Weise unglücklich, und ich war es sehr. Vielleicht lag es an der Heirat meines Bruders, die mich im Alter von sechs Jahren völlig aus der Bahn warf, oder an meiner ziemlich archaischen Mutter, vielleicht auch ein bisschen an provinziellem Mobbing von der Sorte „Heute darfst du mitspielen, morgen nicht“.

Seit ich die Buchhandlung eröffnet habe, hat es kein Interview gegeben ohne die Frage: „Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Buchhandlung in einem gottverlassenen Nest mit hundertachtzig Einwohnern aufzumachen?“

Heute habe ich viele Päckchen gepackt. Eine Frau aus Salerno begeht den Valentinstag so: Der einen Tochter schenkt sie eine Ausgabe der Gedichte Emily Dickinsons, den Emily-Dickinson-Kalender und „Emily“, ein Parfum auf der Basis von Osmanthus Absolue, der anderen Tochter ebenfalls einen Band von Emily Dickinson, den Emily-Kalender und ein handgemachtes Armband aus Rosenblüten und Gipskraut. Damit nicht genug, möchte die Signora für sich selbst das Herbarium der allzeit geliebten Emily sowie den Kalender.

Wie bin ich auf diesen Einfall gekommen? Die Dinge fallen einem nicht plötzlich ein, sie reifen, sie gären, beschäftigen uns im Schlaf. Die Dinge haben Beine und begeben sich auf eine parallele Wanderschaft in einem Bereich, von dem wir nicht mal annähernd wissen, wo er sich befindet, und irgendwann klopfen sie an: Hallo, hier sind wir, deine Ideen, hör uns zu. Die Idee mit der Buchhandlung schlummerte bei mir sicher schon in den Winkeln dieses ebenso düsteren wie fröhlichen Bereichs, den wir Kindheit nennen.

So wurde sie vielleicht vom Fall Lavorini angeregt, dem ersten Mord an einem Kind, an den ich mich erinnere, ein Junge, gefunden in den Dünen von Viareggio. Nachmittags hörte ich oft eine Hörspielversion des Dramas bei meinem Großvater, der einen Kassettenrekorder besaß. Nicht, dass Nonno Tullio so fortschrittlich gewesen wäre, aber meine Tanten waren es, modern und ausschweifend (so hieß es im Dorf). Zwar war mir ihre Fortschrittlichkeit auch ein bisschen peinlich, aber ich himmelte sie an.

In der anderen Waagschale, was die Tanten betraf, gab es Zia Polda, die Schwester meiner Mutter, Bäuerin von Beruf, eine herzensgute Frau, die nie geheiratet hatte und stolz darauf war. Ich verbrachte Stunden damit, ihre Strickjacke auf- und wieder zuzuknöpfen, ein Vorwand, um auf ihrem Schoß sitzen bleiben und ihren Geschichten zuhören zu können. Dann war da noch Zia Feny, mit vollem Namen Fenysia, Haushälterin bei fremden Leuten, zierlich und stark, schüchtern und klug, die mir ihre von der Herrschaft geschenkten Bücher mitbrachte und mich in die Lektüre von Romanen einführte.

Ihr zu Ehren habe ich die Schreibschule benannt, die ich vor ein paar Jahren zusammen mit meinem Partner Pierpaolo gegründet habe – Fenysia. Bildung und Talent zu pflegen schien mir genauso notwendig zu sein, wie eine gute Minestrone nach ihrer Art kochen zu können.

Die Geschichten dagegen, die meine Mutter erzählte, hätten sogar einen Dinosaurier aus dem Pleistozän umgehauen. Eine ihrer Lieblingsstorys handelte von einem Mädchen, das unter einem Baum einschlief, während seine Mutter auf dem Feld arbeitete. Da kam eine große Schlange und kroch der Kleinen in den Hals … An dieser Stelle verzeichnet mein Gedächtnis einen gesunden Blackout, der wohl retten sollte, was zu retten war und was lange Zeit später Doktor Lucia während einer zehnjährigen Psychoanalyse bearbeiten sollte.

Das Dorf war klein, und ich liebte es. Ich malte den Berg vor unserem Haus im Frühling, Sommer, Herbst und Winter, als wäre es der Kilimandscharo. Das Anderswo, würde ein Philosoph sagen, ist dort, wo du noch nie gewesen bist. Und ich bin bis heute nicht auf dem Berg gegenüber gewesen. Ich liebte den Reif auf den Feldern, er schien mir aus Kristall zu sein wie das Schloss von Dornröschen. Außerdem liebte ich die Ameisen, wie mühselig sie ihr Leben fristeten. Tja, wenn man in einem Haus ohne Heizung und ohne Bad wohnt und einem die Augen, die Hände und sogar die Ohren vor Kälte kribbeln, ist es irgendwann normal, dass man auf seltsame Gedanken kommt.

In diesem einleitenden Familienbild fehlt der Vater. Er fehlte mir tatsächlich sehr, und wenn er sich an mein Bett setzte, das sich oft wie mein Krankenlager anfühlte, hörten meine Augen, meine Hände und die Ohren auf zu kribbeln, und die Welt wurde wieder anschaubar.

 

Dieses Tagebuch beginne ich zufällig am 20. Januar, dem Datum, an dem Büchners Lenz einsetzt und das Paul Celan, der am 22. Oktober 1960 mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet wurde (neun Jahre, fünf Monate und neunundzwanzig Tage, bevor er sich vom Pont Mirabeau in die Seine stürzte), bei der Verleihung in den Mittelpunkt seiner Dankesrede stellte.

Denn Daten sind wichtig, und jeder von uns hat seinen 20. Januar, an dem Lenz alles zurücklässt und aufbricht. Am 20. Januar 1943 brach auch der erste Mann meiner Mutter auf. Er hatte zusammen mit den anderen überlebenden Alpenjägern den Befehl bekommen, die Stellungen am Don aufzugeben und sich zurückzuziehen. Der Epilog des Russlandkriegs, der allein in jenen Tagen 51 000 Soldaten das Leben kostete, Tote und Vermisste zusammengerechnet. Es waren 40 Grad unter null, und viele hatten noch nicht einmal mehr Schuhe. Meine Mutter war vierundzwanzig Jahre alt, ihr Mann achtundzwanzig, mein Bruder sechs Monate. Die Familie, die es nie richtig gegeben hatte, zerbrach in der Nähe von Woronesch, wo der Dichter Ossip Mandelstam in der Verbannung lebte, bevor er in ein sibirisches Lager gebracht wurde und dort starb.

 

Du lass mich frei, Woronesch, gib mich wieder –

Lässt du mich los oder verpasst mich lieber,

Du lässt mich fallen, nicht? Du Rabennest,

Woronesch – Netz, Woronesch – wahre Pest!

 

Meine Mutter wartete und wartete, aber es kam keine Nachricht von ihrem Mann, als hätte ihn die Steppe verschluckt. Stattdessen gab es eine Kriegshinterbliebenenrente für die Ehefrauen von Vermissten.

Mandelstam hatte mich in die Steppe mitgenommen, noch bevor ich wusste, dass es dieselbe Steppe war, wegen der meine Mutter geweint hatte. Die offiziellen Verlautbarungen über die Gefallenenlisten endeten am 23. Januar 1943, danach nichts mehr.

Derweil habe auch ich alles zurückgelassen, eine der schönsten Städte der Welt, eine beneidenswerte Arbeit, eine tolle Wohnung nahe der Biblioteca Nazionale, und bin in mein Heimatdorf aufgebrochen, um nachzusehen, ob die Schlange verschwunden ist und ob das Mädchen unter dem Baum nicht zufällig die gerade eingeschlafene Alice im Wunderland ist.

Bestellungen heute: Der Widersacher von Emmanuel Carrère, Kleine Aussichten. Ein Roman von Mädchen und Frauen von Alice Munro, City Boy von Edmund White, Ein Start ins Leben von Anita Brookner, Zwischen den Akten von Virginia Woolf, Miss Island von Auður Ava Ólafsdóttir.

 

21. Januar

Die Idee mit der Buchhandlung hat, schon voll ausgereift, eines Nachts an meine Tür geklopft. Es war der 30. März 2019. Ich besaß ein abschüssiges Stück Land vor unserem Haus, auf dem meine Mutter Salat zog und ich an einem zwischen zwei altersschwachen Pfählen befestigten Draht die Wäsche aufhängte. Geld hatte ich wenig, ich musste mir etwas einfallen lassen.

Als Kind hatte ich einen riesigen Dachboden für mich allein. Das Haus spiegelte meine Familie wider, halb heimelig und halb im Chaos versunken. Wenn man hineinkam, war da die Küche und rechts davon ein großes Zimmer, das meine Mutter mithilfe eines grünen Vorhangs mit großen rosa Schleifen (zu der Seite hin, die, je nach Tagesform, mein Zimmer oder mein Krankenlager war) zweigeteilt hatte. Auf der linken Seite außerdem ein kleines Wohnzimmer, originalgetreu im Stil der Siebzigerjahre eingerichtet, mit Tisch, Stühlen und Kommode aus Spanplatten und dermaßen blitzsauber, dass es noch künstlicher wirkte, als es war. Es gab noch zwei Türen: Die eine führte in den Keller, einen Ort, der meine Analyse bei Doktor Lucia um mindestens zwei Jahre verlängert hat und wo vermutlich sämtliche seit grauer Vorzeit existierenden Horrormärchen geschrieben worden waren. Die andere ging auf den Dachboden.

Dabei gab es eine Besonderheit. Der erste Treppenabschnitt bestand aus unverputzten Lochziegeln, eine Arbeit, die mein Vater kurz nach unserem Einzug in das Haus begonnen hatte, doch nach der Kehre war Schluss damit, und es ging über eine jahrhundertealte Holztreppe weiter nach oben. Die väterliche Liebe war abgebrochen. Jedes Mal, wenn ich dort hinaufstieg, betete ich, dass die Stufen halten und ich nicht in den Abgrund stürzen möge, in das Nichts, wo mich gewiss die ewige Schlange erwartete.

Diese zweigeteilte Treppe, Zeichen einer angefangenen und dann aufgegebenen Arbeit, war die Startrampe für meine Träume. Wenn ich um die Ecke gebogen war und diese verdammten fünf baufälligen Stufen hinter mir hatte, befand ich mich in Sicherheit. Ich hatte es geschafft. Ich war in meinem Reich. Dort oben unterrichtete ich eine imaginäre Schulklasse, jedes Kind mit einem Heft vor sich, und korrigierte als Lehrerin meine eigenen Hausaufgaben von vor ein, zwei Jahren. Oder ich las in meiner persönlichen Bibel, dem Wissenslexikon Conoscere aus dem Fabbri-Verlag, zwölf Bände plus vier Anhänge. Von dem ist sogar mein Modegeschmack bis heute geprägt. Es gab allein drei der römischen Fußbekleidung gewidmete Seiten, von denen ich regelrecht besessen war – ich kaufte mir zwei Paar Römersandalen mit bis zum Knie geschnürten Riemen, eines in Gold und eines in Schneeweiß. Ich war ungefähr zwölf, in Lolitas Alter. Ansonsten wurden in der Enzyklopädie sehr ernste Themen behandelt:

 

Die Carbonari-Bewegung

Der heilige Franziskus von Assisi

Vom Holz zum Papier

Rom erobert Tarent

Giuseppe Mazzini

Reformation und Gegenreformation

Die Rachenmandeln

Leonardos Genie

Dante

Die fünf Tage von Mailand

Textilpflanzen

Japan

 

Allein zu erfahren, dass die Frauen bei den Carbonari „Base Gärtnerin“ genannt wurden, bereitete mir ungeheures Vergnügen. Es war, als hätte ich eine Zeitmaschine, ich schlug eine Seite auf, drückte den Knopf, und weg war ich, anderswo, an meinem Lieblingsort. „Wir fragen sie nicht ab, sie macht uns Angst“, sagten die Lehrerinnen in der Grundschule zu meiner Mutter, die mittlerweile die Geschichte mit dem eingeschlafenen Mädchen und der Schlange durch Bannflüche aller Art ersetzt hatte. Denn mein Vater hatte sich davongemacht.

Jetzt packe ich die Päckchen für die Frau aus Salerno und ihre beiden Töchter fertig. Deshalb bin ich auf den Einfall gekommen, eine Buchhandlung in einem Dörfchen in der nördlichen Toskana aufzumachen, inmitten der Berge, zwischen dem Prato Fiorito und den Apuanischen Alpen: damit eine Mutter aus Salerno ihren beiden Töchtern zwei bunte Schachteln voll Emily Dickinson schenken kann.

Bestellungen heute: Petite von Edward Carey, Unsere Seelen bei Nacht von Kent Haruf, Im Hause Longbourn von Jo Baker, All Things Cease to Appear von Elizabeth Brundage, Die Mitford Sisters von Karlheinz Schädlich.

 

22. Januar

Einer der Vorteile meines neuen Lebens ist es, den Regen aufs Dach trommeln hören zu können. In der Stadt muss man aus dem Bett aufstehen und die Vorhänge aufziehen, um zu sehen, wie das Wetter ist. Hier dagegen sagt es einem der Körper. Das sanfte Geräusch des Regens, wie Diana Athill es in einer ihrer Kurzgeschichten nennt, gleicht in meinem Dorf einer Stimme, mal sanfter, mal kräftiger, die mir etwas zuflüstert. Heute Morgen jedoch hat das Festnetztelefon geklingelt, und eine andere, vollkommen ausdruckslose Stimme hat uns eine Unwetterwarnung mitgeteilt, mit Gefahr von Überflutungen und Erdrutschen. Das ist ein Problem für die Buchhandlung, denn bei schlechtem Wetter haben die Leute keine Lust, sich eine schmale Bergstraße hinaufzuwagen.

Lucignana liegt 500 Meter über dem Meeresspiegel, eine ideale Lage, weil es nie zu kalt oder zu heiß wird. Es wurde um das Jahr 1000 herum gegründet, ist ganz aus Naturstein gebaut und hatte einst eine Wehranlage mit einer Mauer und einer Burg, die wohl eher ein größeres Haus war. Nach dieser Burg heißt ein Teil des Dorfs heute noch Castello.

In Lucignana geht man entweder nach Castello oder auf die Penna, nach Scimone, nach Varicocchi, auf die Piazza, auf den Piazzolo oder nach Sarrocchino, Verschleifungen inklusive. Scimone war ursprünglich San Simone, Sarrocchino San Rocchino.

Heute wohnt Mike in Castello, ein supersympathischer Engländer, Soldat im Ruhestand, der Afghanistan und wer weiß was sonst noch durchgemacht haben muss. Er bringt mich zum Lachen, weil er sich einen Pool im Garten gebaut hat und im Sommer dort rumläuft, wie Gott ihn geschaffen hat, zum Entsetzen der Dorfbewohner. Wenn ich ihn besuche, knotet er sich, bevor er vor einem der schönsten Ausblicke der Welt einen Spritz nach Art des Hauses zubereitet – das heißt Aperol mit jeder Menge Schweppes –, hastig ein Handtuch um und läuft unter lauter „Sorrys“ ins Haus, um sich ein Paar Shorts überzuziehen.

Sein Haus hat wirklich den schönsten Blick von allen, direkt auf die Apuanischen Alpen mit ihren feuerroten Sonnenuntergängen, die den Eindruck vermitteln, dass die gerade hinter der Panie-Gruppe versunkene Sonne nun langsam in die Wasser der Versilia-Küste eintaucht.

An diesem Ort wollte ich vor einigen Jahren mal ein Haus für Schriftstellerinnen und Übersetzer aufmachen. Zusammen mit meiner Freundin Isabella, wie ich eine hart arbeitende Frau in der Verlagswelt, fantasierte ich monatelang davon, doch schlussendlich wurde nichts daraus. Das Haus, das einmal Leo und Evelina Menchelli und ihren Kindern Antonio und Roberta gehörte, ging in die Gemeinde der Engländer über. Ich mag die Engländer in der Toskana sehr, um das klarzustellen, denn sie kaufen, restaurieren behutsam und verbessern folglich dort, wo wir in der Vergangenheit nur verschlechtert haben. Mike hat im oberen Stockwerk jede Menge wunderbarer Bücher in englischer Sprache und mir ein paar von Dorothy Parker und Silvia Plath geschenkt.

Das Haus hat er bereits von anderen Engländern übernommen, er hatte es eigentlich für seine Frau gekauft, die jedoch kurz danach starb. Sie war es, die gesagt hatte: „We didn’t buy a house, but a view.“ Eines schönen Tages kam Mike in die Buchhandlung, setzte sich hinten im Garten in einen der himmelblauen Adirondack-Stühle und fing an, Jedermann von Philip Roth zu lesen. Er zog das Buch aus seinem Rucksack, zusammen mit einem Aperitifglas, in das er aus einer Thermosflasche seinen Aperol Spritz mit viel Schweppes goss. Eine Art Mary-Poppins-Rucksack mit allem, was man braucht.

Bestellungen heute: Die Früchte der Gelassenheit: Was ein Garten lehren kann von Pia Pera, Miss Austen von Gill Hornby, alle Holt-Romane von Kent Haruf und Diario delle solitudini von Fausta Garavini.

 

23. Januar

Die Vorhersage des Zivilschutzes hat sich bestätigt, es hat den ganzen Tag geregnet und gestürmt. Soll heißen, der Regen ist nicht senkrecht vom Himmel auf die Erde gefallen, sondern kübelweise gegen die Fenster geplatscht und häufig auch eingedrungen. Zuerst hatte ich Giovanni die Schuld gegeben, dem Schreiner, der die Fensterläden und -rahmen erneuert hat, aber wie es scheint, kann man gegen Starkregen mit Sturm nichts machen. Ich muss pausenlos an mein kleines Cottage voller Bücher denken. Ich weiß, dass sie unter Kälte und Feuchtigkeit leiden, sie frösteln, und manchmal wellen sich die Umschläge, ein deutliches Zeichen ihres Unwohlseins, ihrer Angst, verlassen zu werden. An sonnigen Tagen dagegen, wenn wir sogar die Tür offen lassen können, sehe ich sie lächeln und mir danken.

Mich um sie zu kümmern ist mein neuer Job. Ich habe rund fünfundzwanzig Jahre in der Buchbranche gearbeitet und mich um viele Autorinnen und Autoren gekümmert, aber das war etwas anderes, sie wurden mir vom Verlag anvertraut, ich suchte sie mir nicht selbst aus. Ich las sozusagen im Auftrag. Tatsächlich hatte ich eine gewisse Karriere gemacht, gekrönt von dem Angebot, die Presseabteilung eines großen Verlagshauses in Mailand zu leiten. Doch das Angebot kam zu spät. Meine Tochter Laura war noch klein, und mir graute davor, in Mailand zu leben. Ich lehnte ab. Der helle Wahnsinn. Dann wurde das Angebot dahingehend geändert, dass ich außerhalb des Verlagshauses arbeiten konnte, und das gefiel mir. Stempeluhren und feste Arbeitszeiten waren nichts für mich, die Anarchistin in mir wollte unregelmäßig leben. Von da an betreute ich die verschiedensten Schriftsteller und fühlte mich vom Glück verwöhnt, unter anderen lernte ich Daša Drndić, Edward Carey und Michael Cunningham kennen.

Michael ist ein unheimlich gut aussehender Mann. Einmal übernachtete er während des Literaturfestivals von Mantua in einem fürstlichen Zimmer direkt an der Piazza delle Erbe. Ich sollte mich mit ihm an einem Morgen für ein längeres Fernsehinterview treffen, doch er erschien nicht. Mithilfe der Putzfrauen gelang es mir, in den Palazzo hineinzukommen. Wir versammelten uns vor seinem Zimmer, doch es war nichts zu hören, vollkommene Stille dort drin. Nach einigem Beratschlagen klingelten wir. Wir warteten, klingelten noch mal, es regte sich noch immer nichts. Selbst ich, die ich immer positiv denke, befürchtete langsam das Schlimmste. Nach weiteren Beratungen beschlossen wir hineinzugehen. Was ich sah, werde ich nie vergessen. Durch das halb offene Fenster fiel ein Sonnenstrahl herein, der Michaels Körper streichelte. Er schlief selig und nackt unter einem weißen Laken in einem, gelinde gesagt, prunkvollen Bett. Ich musste an Giovan Battista Marino denken, an seine Venus, die zum ersten Mal den schlafenden Adonis sieht und sich in ihn verliebt.

 

Rosa, riso d’amor, del ciel fattura

Rose, Liebeslächeln, Geschöpf des Himmels

 

Einmal, es muss im Juni 2014 gewesen sein, war Cunningham im Valdarno bei Baronessa Beatrice zu Gast, der Witwe des österreichischen Schriftstellers Gregor von Rezzori. Wir feierten die aktuelle Vergabe des nach von Rezzori benannten Literaturpreises in ihrem schönen Garten mit den weißen Rosenbäumen. Auch meine Tochter Laura und ihre Freundin Matilde waren dabei.

„Komm mit, ich zeig dir den schönsten Schriftsteller der Welt“, sagte Laura.

„Okay, aber macht euch keine Illusionen, ich sag euch gleich, dass er schwul ist!“, rief ich ihnen nach.

Wenn zwei dreizehnjährige Mädchen unbedingt dem schönsten Schriftsteller der Welt begegnen wollen, obwohl der ungefähr vierzig Jahre älter ist als sie, gehört das meiner Meinung nach zu den gelungensten Wundern der Literatur.

In der Buchhandlung habe ich immer eine Ausgabe von Die Stunden, Ein Zuhause am Ende der Welt, Helle Tage und Fleisch und Blut vorrätig. Und in diesem Moment, bei diesem Regen, hoffe ich, dass auch diese Bücher wie Adonis und wie Michael in Mantua selig schlafen, in Erwartung der Sonne, des Frühlings und der Rosen.

Heute wurden bestellt: Tagebuch eines Buchhändlers von Shaun Bythell und Die Weisheit meines Gartens: Wie die Natur mich lehrte, worauf es am Ende ankommt im Leben von Pia Pera.

Alba Donati

Über Alba Donati

Biografie

Alba Donati ist eine preisgekrönte Lyrikerin, Journalistin, Lektorin und Übersetzerin. 2020 zog sie aus Florenz in ihr Heimatdorf Lucignana, um sich einem neuen Projekt zu widmen. In dm kleinen toskanischen Bergdorf mit  kaum 170 Einwohnern eröffnete sie eine Buchhandlung mit Garten. Der Ort wurde...

Bücher aus Alba Donatis Buchhandlung

Als italienische Buchhändlerin empfiehlt Alba Donati Ihnen in ihrem Buch, direkt oder indirekt (über die Tagesbestellungen), zahlreiche Bücher. Hier eine Auswahl ihrer Empfehlungen:

  • Seamus Heaney, Die Amsel von Glanmore: Gedichte 1965–2006
  •  Wladimir Majakowski, Werke, Bd. VIII
  • Ossip Mandelstam, Bahnhofskonzert. Das Ossip Mandelstam Lesebuch
  •  Vita Sackville-West, Eine Frau von Geist/A Note of Explanantion
Alba Donati über ihr Buch und ihre Buchhandlung

Ich schreibe Ihnen aus einem klitzekleinen Dorf, 170 Einwohner, auf der Kuppe eines Hügels gelegen, umgeben von zauberhaften Bergen. Es liegt nicht in der Ihnen so vertrauten, sanft gewellten und  beruhigenden Chianti-Toskana, sondern im bewaldeteren, raueren Teil, voller Schlösser, Eremitagen, Burgen und ist nicht nur dann in ein außergewöhnliches Licht getaucht, wenn die Sonne im Meer  hinter den Apuanischen Alpen versinkt.

Dort bin ich geboren, dort habe ich die großen Bekümmernisse der Kindheit durchlitten, und dort habe ich entdeckt, dass es ein Gegenmittel gibt: das Lesen, die Bücher, die Leben der Anderen. Dann bin ich weggezogen und nach 40 Jahren zurückgekehrt. Ich wollte mich endlich etwas widmen, das ganz und  gar „meins“ war. Auf einem abschüssigen Fleckchen Erde – dort wo meine Mutter früher die Wäsche aufhängte -, habe ich eine Buchhandlung aufgemacht.

Eine Hütte voller Bücher vor einem kleinen Garten mit schmiedeeisernen Stühlen und Tischen – dort wo meine Mutter früher ein paar Salatköpfe anbaute. Ich hatte Freundinnen und Freunden davonerzählt und mithilfe von Crowdfunding ging es los mit den Bauarbeiten.

Am 8. Dezember 2019 konnten wir schließlich eröffnen, mit Dutzenden und Aberdutzenden von Leuten, die im Camper oder in gemieteten Bussen aus teilweise über 300 km Entfernung angereist  kamen. Und ja, danach mussten wir noch mit einem Brand fertig werden, der die Hütte und die Bücher vernichtete. Aber das Dorf ist stark: Es ist ein Netzwerk, das es, wenn es erst einmal loslegt, mit Doppelzentnern an Pech aufnehmen kann.

Die Besucher:innen fragen mich permanent, wie ich auf die Idee gekommen bin, in einem so verlorenen Nest einen Buchladen zu eröffnen. Um ihre Frage zu beantworten, habe ich dieses Buch geschrieben. 

Dafür musste ich ein einst unter ihrer sonderbaren Familie, unter ihrem höchst sonderbaren Haus leidendes Mädchen mit beidem wiedervereinen. Und darf nun ambraduftende Päckchen nach ganz  Italien verschicken - voller Bücher und schöner Dinge, wie Alice-im-Wunderland-Strümpfe, Jane-Austen-Tee oder Pfirsich-Lavendelmarmelade à la Colette.

Pressestimmen
Passauer Neue Presse

„Für alle Italienliebhaber, die nicht genug von Büchern bekommen können, ist Alba Donatis neues Werk ein Muss.“

Münchner Merkur

„Liebevoll berichtet sie vom Alltag der Familien, von den glücklichen und traurigen Momenten. Dieses Buch ist wie ein modernes Märchen: Es lädt dazu ein, scheinbar Unmögliches möglich zu machen.“

kulturbowle

„Donati ist ein wunderbares Buch über Heimat, Selbstverwirklichung und darüber gelungen, was es bedeutet seinen langgehegten Traum tatsächlich zu leben und in die Tat umzusetzen – auch gegen jede vermeintliche Vernunft und gegen Widerstände – ein positives Buch, das Mut macht, Lebensfreude, Lebensmut und Optimismus ausstrahlt.“

buchfresserchen

„›Ein Garten voller Bücher‹ wird definitiv einen Platz in meiner ganz persönlichen all-time favorite Liste bekommen und oft verschenkt werden!“

Salzburger Nachrichten

„In einem Tagebuch erzählt Alba Donati hübsch und heiter, wie sie trotz aller Widrigkeiten ihren Kopf durchsetzt und ihre Buchhandlung für viele Menschen zu einem kulturellen Zentrum macht.“

lesemademoiselle

„Zwischen den Buchdeckeln öffnet sich eine Schatztruhe, denn Alba Donati lässt sie uns spüren, diese gewaltige Power, die man braucht, um seine Träume nicht aufzugeben. (...) Es ist ein inspirierendes Buch geworden, eine kleine Ode an die Macht des Lesens und die Kraft der Gemeinschaft. Ein toskanisches Märchen welches zum Leben erweckt wurde.“

helga-koenig-romane.com

„Es ist in allem ein wunderbares Buch, süffig geschrieben und einfach märchenhaft schön. Ein ganz großes Lesevergnügen!“

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