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Zwei alte FrauenZwei alte Frauen

Zwei alte Frauen

Velma Wallis
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Eine Legende von Verrat und Tapferkeit

Die indianische Legende besticht durch die archaische Kraft und außergewöhnliche Naturschilderungen. - Marie Claire

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Zwei alte Frauen — Inhalt

Hoffnung, Mut und der Wille zum Überleben.

Ein Nomadenstamm im hohen Norden von Alaska: Während eines bitterkalten Winters kommt es zu einer gefährlichen Hungersnot. Wie das alte Stammesgesetz es vorschreibt, beschließt der Häuptling, die beiden ältesten Frauen als „unnütze Esser“ zurückzulassen, um den Stamm zu retten. Doch in der Einsamkeit der eisigen Wildnis geschieht das Unglaubliche: Die beiden alten Indianerfrauen geben nicht auf, sondern besinnen sich auf ihre ureigenen Fähigkeiten, die sie längst vergessen geglaubt hatten …

€ 12,00 [D], € 12,40 [A]
Erschienen am 01.11.2005
Übersetzt von: Christel Dormagen
128 Seiten, Hardcover
EAN 978-3-492-24569-2
Download Cover
€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 10.03.2014
Übersetzt von: Christel Dormagen
128 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-96711-2
Download Cover

Leseprobe zu „Zwei alte Frauen“

1
Hunger und Kälte fordern ihren Tribut

Die Luft lag scharf, schweigend und kalt über dem weiten Land. Schlanke Fichtenzweige bogen sich unter der schweren Last des Schnees und warteten auf ferne Frühlingswinde. Die froststarren Weiden schienen in der grimmigen Kälte zu erzittern.

Fern dort oben in diesem scheinbar so unwirtlichen Land lebte eine Schar von Menschen, die in Felle und Tierhäute gekleidet waren und dicht um kleine Feuerstellen hockten. Ihre wettergegerbten Gesichter waren von Hoffnungslosigkeit gezeichnet, denn sie sahen sich dem Hungertod [...]

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1
Hunger und Kälte fordern ihren Tribut

Die Luft lag scharf, schweigend und kalt über dem weiten Land. Schlanke Fichtenzweige bogen sich unter der schweren Last des Schnees und warteten auf ferne Frühlingswinde. Die froststarren Weiden schienen in der grimmigen Kälte zu erzittern.

Fern dort oben in diesem scheinbar so unwirtlichen Land lebte eine Schar von Menschen, die in Felle und Tierhäute gekleidet waren und dicht um kleine Feuerstellen hockten. Ihre wettergegerbten Gesichter waren von Hoffnungslosigkeit gezeichnet, denn sie sahen sich dem Hungertod ausgesetzt, und die Zukunft barg wenig Aussicht auf bessere Tage.

Diese Nomaden lebten in der Polarregion von Alaska. Sie nannten sich das Volk, und sie waren ständig unterwegs, auf der Suche nach Nahrung. Wo die Karibus und andere Wandertiere entlangzogen, dort folgte ihnen das Volk. Doch die große Winterkälte schuf besondere Probleme. Die Elche, die ihre bevorzugte Nahrungsquelle bildeten, suchten Schutz vor der durchdringenden Kälte, indem sie sich an einen festen Ort zurückzogen, wo sie schwer zu finden waren. Kleinere und leichter zu erlegende Tiere, wie Kaninchen und Eichhörnchen, konnten eine so große Gruppe wie diese nicht am Leben erhalten. Und während der Kälteperioden verschwanden selbst die kleineren Tiere in ihren Verstecken, oder sie wurden durch Beutejäger – seien es Mensch oder Tier – dezimiert. So schien denn das Land während dieses ungewöhnlich scharfen Frosteinfalls im späten Herbst unter der bedrohlich lauernden Kälte ohne jegliches Leben zu sein.

In der kalten Jahreszeit erforderte das Jagen mehr Kraft als gewöhnlich. Deshalb bekamen die Jäger zuerst zu essen, denn ihr Geschick war es, von dem das Leben des Volkes abhing. Doch da so viele Mäuler zu stopfen waren, war der Vorrat an Nahrung sehr schnell erschöpft. Obwohl alle sich größte Mühe gaben, mit dem Vorhandenen auszukommen, litten viele Frauen und Kinder an Unterernährung, und einige verhungerten sogar.

In diesem Nomadenverbund lebten auch zwei alte Frauen, um die sich das Volk jahrelang gekümmert hatte. Die Ältere der beiden hieß Ch‘idzigyaak, denn bei ihrer Geburt erinnerte sie ihre Eltern an einen Chickadee-Vögel. Die andere Frau hieß Sa‘, was Stern bedeutet, denn als die Geburt herannahte, hatte ihre Mutter in den herbstlichen Nachthimmel hochgeschaut und sich besonders auf die weit entfernten Sterne konzentriert, um sich vom Wehen – schmerz abzulenken.

Immer wenn die Gruppe einen neuen Lagerplatz erreichte, wies der Häuptling die jüngeren Männer an, für diese zwei alten Frauen einen Unterschlupf zu errichten und sie mit Nahrung und Wasser zu versorgen. Die jüngeren Frauen zogen die Habseligkeiten der beiden älteren Frauen von einem Lager zum nächsten, und als Gegenleistung gerbten die alten Frauen Tierhäute für die, die ihnen halfen. Diese Übereinkunft funktionierte gut.

Die zwei Alten besaßen jedoch eine unschöne Eigenschaft, die zu jenen Zeiten nur selten vorkam. Ständig beklagten sie sich über Wehwehchen hier und Zipperlein da. Und zum Beweis ihrer Kümmerlichkeit gingen sie an Stöcken. Überraschenderweise machte das den anderen nichts aus, obwohl sie alle von Kindheit an gelernt hatten, daß Schwäche bei den Bewohnern dieses rauhen Mutterlandes nicht geduldet war. Dennoch machte niemand den zwei alten Frauen Vorhaltungen, und sie wanderten weiter mit den Stärkeren – bis zu jenem verhängnisvollen Tag.

An diesem Tag lag etwas Schwereres als nur die Kälte in der Luft, während das Volk um die wenigen flackernden Feuer versammelt war und dem Häuptling zuhörte. Er war ein Mann, der die anderen fast um Haupteslänge überragte. Tief in seine pelzbesetzte Jacke eingemummt, sprach er von den harten, kalten Tagen, die sie erwarteten, und davon, daß jeder das Seine beitragen müsse, damit sie den Winter überlebten.

Dann machte er plötzlich mit lauter, deutlicher Stimme eine Ankündigung: „Der Rat und ich sind zu einer Entscheidung gelangt.“ Der Häuptling machte eine Pause, als habe er Mühe, die folgenden Worte auszusprechen. „Wir werden die Alten zurücklassen müssen.“

Mit einem schnellen, prüfenden Blick suchte er nach einer Reaktion in der Menge. Doch Hunger und Kälte hatten ihren Tribut gefordert, und das Volk schien nicht entsetzt zu sein. Viele hatten erwartet, daß es geschehen würde, und manche hielten es für das beste. In jenen Tagen war es nicht unüblich, die Alten in Hungerszeiten zurückzulassen, obwohl es in dieser Gruppe zum erstenmal geschah. Die Kargheit dieses urwüchsigen Landes schien danach zu verlangen. Um zu überleben, waren die Menschen gezwungen, sich in mancherlei Weise wie Tiere zu verhalten. Ähnlich jungen, kräftigen Wölfen, die sich vom alten Führer des Rudels absetzen, so pflegten die Menschen ihre Alten zurückzulassen, um sich ohne jene Extrabelastung schneller bewegen zu können.

Ch‘idzigyaak, die ältere Frau, besaß eine Tochter und einen Enkel in der Gruppe. Der Häuptling suchte die beiden mit den Augen in der Menge und sah, daß auch sie keine Reaktion zeigten. Er war höchst erleichtert darüber, daß die unerfreuliche Ankündigung ohne Zwischenfall vonstatten gegangen war, und befahl allen, sofort zu packen. Indessen brachte es dieser tapfere Mann, der ihr Führer war, nicht fertig, den zwei alten Frauen ins Gesicht zu schauen, denn im Augenblick fühlte er sich nicht besonders stark.

Der Häuptling begriff, warum das Volk keine Einwände erhob, auch wenn die beiden alten Frauen von allen wohlgelitten waren. In diesen harten Zeiten waren viele der Männer unzufrieden und wurden schnell wütend. Ein falsches Wort oder eine falsche Bewegung konnte einen Aufruhr auslösen und alles noch schlimmer machen. So kam es, daß die schwachen und erschöpften Mitglieder des Stammes ihre Bestürzung für sich behielten, denn sie wußten, die Kälte konnte zu einer Welle der Panik führen – zu Grausamkeit und Brutalität unter Menschen, die ums Überleben kämpften.

Während der langen Jahre, in denen die Frauen in der Gruppe gelebt hatten, hatte der Häuptling eine Zuneigung zu ihnen gefaßt. Jetzt wollte er so schnell wie möglich fort, damit die zwei alten Frauen ihn nicht anschauen konnten. Er hätte sich sonst elender als je in seinem Leben fühlen müssen.

Die beiden Frauen saßen vor der Feuerstelle, alt und schmal, doch mit stolz erhobenem Kinn. So verbargen sie ihr Entsetzen. Als sie jünger waren, hatten sie erlebt, wie alte Menschen zurückgelassen worden waren, aber sie hätten niemals gedacht, daß dieses Schicksal sie selbst treffen könnte. Sie starrten betäubt vor sich hin, so als hätten sie nicht gehört, daß der Häuptling sie zum sicheren Tod verurteilt hatte – ihrem Schicksal überlassen in einem Land, das nur Stärke verstand. Zwei schwache alte Frauen hatten keine Chance gegen dieses Gesetz der Stärke. Sie wußten sich keinen Rat, als sie die Botschaft vernahmen, und es fehlten ihnen die Worte zu ihrer Verteidigung.

Von den zweien hatte nur Ch‘idzigyaak Familie – die Tochter Ozhii Nelii und den Enkelsohn Shruh Zhuu. Sie wartete darauf, daß ihre Tochter protestieren würde, doch nichts geschah, und es überfiel sie ein noch tieferes Entsetzen. Nicht einmal ihre eigene Tochter versuchte, sie zu beschützen. Auch Sa‘, die neben ihr saß, war wie betäubt. Ihr Kopf drehte sich, und obwohl sie gerne laut geschrien hätte, brachte sie kein Wort heraus. Sie fühlte sich wie in einem schrecklichen Alptraum, in dem sie weder sprechen noch sich bewegen konnte.

Während die Gruppe sich langsam davonschlich, kam Ch‘idzigyaaks Tochter zu ihrer Mutter herüber. Sie trug ein Bündel Babiche – grob abgezogene, ungegerbte Elchhaut, die vielseitig verwendbar war. Voller Scham und Schmerz senkte sie ihren Kopf, denn ihre Mutter weigerte sich, ihre Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen. Statt dessen starrte Ch‘idzigyaak versteinert geradeaus.

Ozhii Nelii war sehr aufgewühlt. Wenn sie ihre Mutter verteidigte, so befürchtete sie, würde das Volk die Sache regeln, indem es sie zusammen mit ihrem Sohn ebenfalls zurückließ. Schlimmstenfalls ließen sie sich womöglich in ihrem ausgehungerten Zustand zu etwas noch Furchtbarerem hinreißen. Das konnte sie nicht riskieren.

Von solchen Gedanken gequält, bat Ozhii Nelii schweigend und mit kummervollem Blick um Vergebung und Verständnis, während sie sachte das Bündel Babiche vor der erstarrten Frau niederlegte. Dann wandte sie sich langsam um und ging mit schwerem Herzen davon, denn sie wußte, sie hatte soeben ihre Mutter verloren.

Der Enkel Shruh Zhuu war tief erschrocken über die Grausamkeit. Er war ein ungewöhnlicher Junge. Während die anderen Jungen miteinander im Mannwerden wetteiferten, indem sie jagten und rangen, gefiel es ihm, seiner Mutter und den zwei alten Frauen bei der Vorratsbeschaffung zu helfen. Sein Verhalten schien nicht in das Muster der Gruppenstruktur zu passen, so wie es von Generation zu Generation überliefert worden war. Die Frauen waren es nämlich, die die meisten mühsamen Aufgaben erledigten und zum Beispiel die hochbepackten Schlitten zogen. Darüber hinaus hatten sie eine Menge anderer zeitraubender Pflichten, während die Männer sich auf die Jagd konzentrierten, damit die Gruppe zu essen hatte. Niemand beklagte sich, denn so war es, und so war es immer gewesen.

Shruh Zhuu hatte große Achtung vor den Frauen. Er sah, wie sie behandelt wurden, und es gefiel ihm nicht. Auch wenn man es ihm immer und immer wieder erklärte, so begriff er doch nie, warum die Männer den Frauen nicht halfen. Aber seine Erziehung hatte ihn gelehrt, nie das Handeln der Erwachsenen in Frage zu stellen, denn das wäre unhöflich. Als Shruh Zhuu kleiner war, hatte er sich nicht gescheut, seine Meinung zu diesem Thema zu äußern, und Jugend und Unschuld waren seine Beschützer. Später lernte er, daß solches Benehmen eine Bestrafung nach sich zog. Er litt unter dem Schmerz des Schweigens, wenn sogar seine Mutter tagelang nicht mit ihm sprach. Auf diese Weise lernte Shruh Zhuu, daß es weniger weh tat, wenn man über gewisse Dinge lieber nachdachte, anstatt sich zu äußern.

Obwohl er fand, das Schlimmste, was das Volk tun konnte, war, die hilflosen alten Frauen im Stich zu lassen, kämpfte Shruh Zhuu innerlich mit sich. Seine Mutter sah die zornige Erregung in seinen Augen, und sie wußte, daß er kurz davor war zu protestieren. Sie ging schnell zu ihm und flüsterte eindringlich in sein Ohr, er dürfe einfach nicht daran denken, denn die Männer seien so verzweifelt, daß sie leicht irgend etwas Furchtbares tun könnten. Shruh Zhuu sah die düsteren Gesichter der Männer und wußte, daß sie recht hatte. Also hielt er seinen Mund, auch wenn der Aufruhr in seinem rebellischen Herzen weitertobte.

In jenen Tagen wurden alle Jungen dazu erzogen, ihre Waffen in Ehren zu halten, manchmal mehr noch als ihre Familie, denn die Waffen würden für ihren Lebensunterhalt sorgen, wenn sie Männer waren. Wurde ein Junge dabei ertappt, wie er seine Waffe falsch behandelte oder für einen falschen Zweck benutzte, so waren harte Strafen die Folge. Wenn der Junge älter wurde, lernte er die Macht seiner Waffe kennen und begriff die Bedeutung, die sie nicht nur für sein eigenes Überleben, sondern auch für das seines Volkes hatte.

Shruh Zhuu schlug seine ganze Erziehung und alle Gedanken an die eigene Sicherheit in den Wind. Aus seinem Gürtel zog er ein Beil aus zugespitzten Tierknochen, die mit gehärteten Elchhautstreifen straff zusammengebunden waren, und steckte es heimlich, gut verborgen vor den Augen des Volkes, hoch oben ins dichte Astwerk einer buschigen jungen Fichte.

Als seine Mutter sich daran machte, ihre Sachen zusammenzupacken, wandte Shruh Zhuu sich zu seiner Großmutter. Obwohl sie so tat, als sehe sie einfach durch ihn hindurch, vergewisserte Shruh Zhuu sich, daß keiner ihn beobachtete, und zeigte auf seinen leeren Gürtel und dann auf die Fichte. Noch einmal schaute er seine Großmutter mit einem Ausdruck der Verzweiflung an, wandte sich widerstrebend um und ging fort zu den anderen. Und mit sinkendem Mut wünschte er sich, er könnte ein Wunder vollbringen, um diesem alptraumhaften Tag ein Ende zu bereiten.

Der lange Zug des ausgehungerten Volkes setzte sich langsam in Bewegung, und zurück blieben die zwei Frauen. Sie saßen immer noch wie betäubt auf ihren aufgehäuften Fichtenzweigen da. Das kleine Feuer warf einen weichen, orangefarbenen Schein auf ihre verwitterten Gesichter. Es verging eine lange Zeit, bevor die Kälte Ch‘idzigyaak aus ihrer Erstarrungweckte. Sie hatte die hilflose Geste ihrer Tochter wohl wahrgenommen, doch sie fand, ihr einziges Kind hätte sie, selbst im Angesicht der Gefahr, verteidigen müssen. Das Herz der alten Frau besänftigte sich, als sie an ihren Enkel dachte. Wie konnte sie bittere Gedanken gegen jemanden hegen, der so jung und so zartfühlend war? Die anderen machten sie zornig, vor allem ihre Tochter! Hatte sie sie nicht zur Stärke erzogen? Heiße, ungebetene Tränen rannen ihr übers Gesicht.

In diesem Augenblick hob Sa‘ ihren Kopf, gerade rechtzeitig, um die Tränen ihrer Freundin zu entdekken. Zorn stieg in ihr hoch. Wie hatten sie es wagen können! Ihre Wangen brannten von der Demütigung. Sie und die andere alte Frau standen nicht kurz vorm Tode! Hatten sie nicht für das, was das Volk ihnen gab, genäht und gegerbt? Sie mußten nicht von Lager zu Lager getragen werden. Sie waren weder hilflos noch hoffnungslos. Und dennoch hatte man sie zum Sterben verurteilt.

Ihre Freundin hatte achtzig Sommer gesehen, sie selber fünfundsiebzig. Als sie jung war, hatte sie miterlebt, wie die Alten zurückgelassen wurden. Doch die waren dem Tod so nah, daß manche schon blind waren und nicht mehr laufen konnten. Und hier war sie nun, sie, die immer noch laufen, sehen, sprechen konnte, aber... pah! Die jungen Leute heutzutage suchten nach bequemeren Auswegen in harten Zeiten. Als die kalte Luft das Lagerfeuer gelöscht hatte, wurde Sa‘ lebendig, und ein stärkeres Feuer brannte in ihr, fast so, als hätten ihre Lebensgeister der glimmenden Asche die Energie entzogen. Sie ging zu dem Baum und barg das Beil, und bei dem Gedanken an den Enkel ihrer Freundin lächelte sie weich. Sie seufzte, als sie zu ihrer Kameradin zurückkehrte, die sich nicht gerührt hatte.

Sa‘ sah zum blauen Himmel hoch. Für ein erfahrenes Auge bedeutete das Blau zu dieser winterlichen Jahreszeit große Kälte. Wenn erst die Nacht hereinbrach, würde es noch kälter werden. Sa‘ runzelte besorgt die Stirn, kniete neben ihrer Freundin nieder und begann mit sanfter, doch fester Stimme zu sprechen. „Meine Freundin“, sagte sie, machte eine Pause und hoffte, sie könnte stärker sein, als sie sich fühlte. „Wir können hier sitzen und auf den Tod warten. Wir werden nicht lange warten müssen...

Der Zeitpunkt unseres Abschieds von dieser Welt sollte aber noch nicht so bald kommen“, fügte sie schnell hinzu, als ihre Freundin mit erschreckten Augen hochblickte. „Wir werden jedoch sterben, wenn wir einfach nur hier sitzen und warten. Das würde ihnen recht geben, dann wären wir wirklich hilflos.“

Ch‘idzigyaak hörte verzweifelt zu. Sa‘ wußte, daß ihre Freundin gefährlich nahe daran war, ihr Schicksal anzunehmen und an Hunger und Kälte zu sterben. Und so sprach sie noch eindringlicher. „Ja, auf ihre Weise haben sie uns zum Tode verurteilt! Sie glauben, wir seien zu alt und nutzlos. Sie vergessen, daß auch wir ein Recht haben zu leben! Und deshalb, meine Freundin, sage ich, wenn wir denn sterben müssen, so laß uns handelnd sterben und nicht im Sitzen.“

Velma Wallis

Über Velma Wallis

Biografie

Velma Wallis, geboren 1960 als eines von dreizehn Kindern in Fort Yukon/Alaska, wurde in den traditionellen Werten ihres Volkes, der Athabasken, erzogen. Nach dem Besuch der Highschool zog sie in eine Trapperhütte und lernte, vom Fischen, Jagen und Fallenstellen zu leben. Heute wohnt Velma Wallis...

Pressestimmen
Marie Claire

Die indianische Legende besticht durch die archaische Kraft und außergewöhnliche Naturschilderungen.

Kommentare zum Buch
Nur wer sich aufgibt ist verloren!
Margarete Noack am 06.06.2013

Zwei alte Frauen ist nicht nur ein Buch, sondern Lebenshilfe und Erinnerung. Erinnerung? Woran? Daran, dass wir uns nicht verunsichern lassen sollen, nur weil das kalendarische Lebensalter zugenommen hat und die Gesellschaft mit angstmachenden Prognosen Lähmungen setzen will. Angst vor Verfall, Angst vor Einsamkeit, Angst vor Pflegebedürftigkeit. Alles das ist möglich. Doch gerade da setzt die Geschichte an. Sich nicht fügen sondern sich erinnern wie viele Fähigkeiten in uns verschüttet sind, wie viel Hilfe aus uns selber wachsen kann. Ein wunderbares Buch, dass zwei von zwei Frauen erzählt die von ihrem Stamm, alt und krank zurückgelassen werden, damit die Jungen überleben können. Der Leser erlebt den Kampf und das Erwachen aus ihrer Lethargie, wie sie sich plötzlich auf sich selbst besinnen, aufstehen und am Ende überleben. Ein wunderbares Buch. © Margarete Noack

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