Dein ist die Vergeltung (Dorothea Keusch ermittelt 3) Dein ist die Vergeltung (Dorothea Keusch ermittelt 3) - eBook-Ausgabe
Ein Kufstein-Krimi
— Spannender Regionalkrimi aus Tirol um eine schüchterne Kommissarin„›Dein ist die Vergeltung‹ bietet ein literarisches Erlebnis, das Kufstein-Liebhaber und Fans des Krimi-Genres gleichermaßen in Atem halten wird.“ - Kufstein Blick
Dein ist die Vergeltung (Dorothea Keusch ermittelt 3) — Inhalt
Cosy Crime im beschaulichen Kufstein. Für Fans von Commissario Grauner und den Grenzfall-Krimis
„Wir müssen noch einmal von vorne beginnen. Und diesmal müssen wir uns fragen: Warum legt jemand einen Engel neben eine Leiche?“
Es ist ein düsterer Septembermorgen für das Turmschloss: Simona Grafstatt, die Besitzerin des verschnörkelten Kufsteiner Hotels, wird in der Bibliothek erstochen aufgefunden. Und am Tatort liegt eine mysteriöse Engelsfigur … Erneut ermittelt Inspektorin Dorothea Keusch – nun endlich als Mitglied der Mordkommission. Doch ihr Start beim LKA gestaltet sich steinig. Ihre neue Chefin zweifelt an ihren Fähigkeiten und ihr ehemaliger Vorgesetzter behindert die Ermittlungen vor Ort. Chefinspektor Konstantin Schmitt dagegen hat sich seit Tagen nicht mehr bei ihr gemeldet … Schon bald muss Dorothea sich fragen: Werden ihre neue Karriere und ihre Romanze enden, ehe sie begonnen haben?
„›Dein ist die Vergeltung‹ bietet ein literarisches Erlebnis, das Kufstein-Liebhaber und Fans des Krimi-Genres gleichermaßen in Atem halten wird.“ ((Kufstein Blick))
Leseprobe zu „Dein ist die Vergeltung (Dorothea Keusch ermittelt 3)“
Kapitel 1
Irgendetwas stimmte nicht. In der Bibliothek des Turmschlosses fröstelte Dorothea Keusch und beugte sich über die Leiche. Die blonde Frau lag friedlich in dem Sessel vor dem erkalteten Kamin, aber die Blutstropfen am Kragen der weißen Bluse hatten etwas Gnadenloses, Grausames an sich. Und irgendetwas war seltsam. Dorothea zermarterte sich ihr Gehirn, aber sie konnte es nicht entschlüsseln.
Die Aufregung schnürte ihr die Kehle zu.
Dein erster Einsatz bei der Mordkommission. Konzentrier dich!
Sie strich die letzten winzigen Tropfen des Nieselregens [...]
Kapitel 1
Irgendetwas stimmte nicht. In der Bibliothek des Turmschlosses fröstelte Dorothea Keusch und beugte sich über die Leiche. Die blonde Frau lag friedlich in dem Sessel vor dem erkalteten Kamin, aber die Blutstropfen am Kragen der weißen Bluse hatten etwas Gnadenloses, Grausames an sich. Und irgendetwas war seltsam. Dorothea zermarterte sich ihr Gehirn, aber sie konnte es nicht entschlüsseln.
Die Aufregung schnürte ihr die Kehle zu.
Dein erster Einsatz bei der Mordkommission. Konzentrier dich!
Sie strich die letzten winzigen Tropfen des Nieselregens von ihrem Zopf und betrachtete den liebevoll geschmückten Raum. Ohne Zweifel bot das Turmzimmer des Hotels an kühlen Abenden das perfekte Ambiente. Eine offene Feuerstelle, knisternde Birkenscheite, der rot-goldene Widerschein der Flammen. Schwere Ohrensessel, Ledereinbände mit alter Schrift, viktorianische Aquarellbilder, Jagdszenen. Eine kunstvolle Sanduhr und ein weicher Teppich in sanftem Weiß. Die Atmosphäre, in der man in Literatur schmökerte, Whisky trank, philosophierte und Bridge spielte. Eine Mischung aus einem englischen Cottage, einem französischen Landhaus und einem mittelalterlichen Schloss. Ein Raum, der an Miss Marple, Sherlock Holmes und verborgene Geheimgänge hinter Bücherregalen denken ließ.
Doch an diesem nassen Septembermorgen brannte kein Feuer, die verkohlten Holzscheite knackten nicht mehr, nur leise Flocken der schwarzen Asche stoben im nüchternen Licht der Glockenlampen durch die Luft. Um sieben Uhr morgens krochen dumpfe Feuchtigkeit und kalter Rauch über die hohen Bücherregale bis hinauf zu der kunstvoll verzierten Täfelung.
Dorothea schauderte. Mit diesem Sonntagmorgen waren der Herbstbeginn und frostiges, regnerisches Wetter eingezogen.
„Was sagt das neueste Mitglied der Mordkommission?“ René Speckner riss Dorothea aus ihren Überlegungen. Spöttisch musterte ihr ehemaliger Kollege ihren dunkelgrünen Parka, verschränkte die Arme über seinem Uniformhemd und legte einen Spalt seines behaarten Bauchs frei. „Hat unser Genie Keusch den Fall schon gelöst?“
Dorothea sog den Schweißgeruch ein, der von ihm ausging, und widerstand dem Drang, René Speckner anzuherrschen. Warum musste ihr erster Fall bei der Abteilung Leib und Leben ausgerechnet im Sprengel ihrer früheren Dienststelle stattfinden? In der sie sich mit Speckner herumschlagen musste. Einem Dorfpolizisten, wie er im Buche stand. Innsbruck. Mayrhofen. Ischgl. Tirol hatte so viele Orte, in denen Verbrechen verübt wurden. Warum gerade Kufstein?
Sie zog den ausgebleichten Parka enger um sich.
„Dein Vitamin B und deine Verbindungen zur Presse haben also gewirkt.“ Gehässig sah Speckner sie an.
Dorothea presste die Lippen zusammen. Sie hatte keine Verbindungen zur Presse. Kein Vitamin B. Sie hatte die Dienstprüfung als Beste bestanden, auch wenn sie mit Anfang dreißig die jüngste Bewerberin für den Job gewesen war. Sie richtete sich auf.
Vergiss Speckner. Er will dich provozieren. Konzentrier dich auf deine Arbeit. Dein Abteilungsleiter hat dich angerufen. Du darfst bereits offiziell an einem Fall mitarbeiten. Man setzt Vertrauen in dich, obwohl du noch in der Probezeit bist, nur für die Kollegin eingesprungen bist, die in frühzeitigen Mutterschutz gegangen ist. Lass Speckner spotten. Beweise, dass du der Aufgabe gewachsen bist. Stell sicher, dass du mit Neuigkeiten nach Innsbruck fahren kannst.
Sie nahm ihren neuen Notizblock aus der Tasche.
Du bist jetzt ein Mitglied der Mordkommission. Du hast das Kommando. Du stellst die Fragen.
„Was hast du schon in Erfahrung gebracht?“
Speckner warf ihr einen trotzigen Blick zu und wartete ab, doch Dorothea hielt ihm stand. Schließlich gab er nach. „Das ist Simona Grafstatt, die Besitzerin. Einundfünfzig Jahre alt. Sie hat dieses Schloss vor einigen Jahren gekauft und es in ein romantisches Hotel umgebaut.“
Er schnaubte verächtlich, aber Dorothea sah sich um. Das Flair war perfekt. „Wer hat die Tote gefunden?“
Speckner kratzte sich am Ohr. „Die Rezeptionistin. Oriana Gonzalez. Als sie das Feuer im Kamin der Bibliothek entfachen wollte.“
„Wo ist Frau Gonzalez jetzt?“
„Im Krankenhaus. Zart besaitet.“ Er schnaubte erneut. „Hat einen Schwächeanfall erlitten. Wir mussten den Notarzt rufen.“ Er deutete mit dem Daumen in Richtung der toten Hotelbesitzerin. „Es sieht so aus, als ob sie erstochen worden wäre.“
Das stimmte. Der Kopf der Toten war zur Seite gewandt, zeigte eine klaffende Wunde im Nacken. „Die genaue Todesursache wird der Gerichtsmediziner feststellen. Gibt es Hinweise auf die Mordwaffe?“
„Wir haben nichts gefunden.“
„Danke, René. Ich übernehme hier drin.“
„Die Mordkommission muss unterbesetzt sein, wenn sie jetzt schon Grünschnäbel zu Fällen schickt.“ Speckner ließ sich nicht so schnell abwimmeln. „Sieht fast so aus, als ob sie schwarze Schafe dort besonders gut brauchen könnten. Solche, die sich nicht an die Vorschriften halten.“ Er verschränkte die Arme und sah sie herausfordernd an.
Dorothea reagierte nicht.
Speckner warf ihr einen letzten gehässigen Blick zu, ehe er sich zur Tür wandte.
Schwarze Schafe. Dorothea seufzte innerlich. Speckner war nicht der begnadetste Denker unter der Sonne, aber er hatte sie nicht verloren: seine Fähigkeit, den wunden Punkt zu treffen. Sie war kein Grünschnabel. Sie hatte schon zwei Fälle gelöst. Sich nicht davor gescheut, sich gegen den Polizeipräsidenten zu stellen. Aber nicht als offizielles Mitglied der Mordkommission, sondern als Stadtpolizistin in Kufstein. In eigenmächtigen Nachforschungen, die sie beinahe ihren Job gekostet hatten. Sie hatte ermittelt. Mit Chefinspektor Schmitt. Mit … Konstantin.
Der Schmerz traf sie unerwartet, und sie musste schlucken.
Konstantin.
Sie schob die drei Silben beiseite, aber wie ein Bumerang kamen sie wieder zurück, schlugen mit harter Wucht gegen ihre Brust.
Konstantin.
Wo war er gerade? Sie betrachtete den altmodischen Globus. Im Mekongdelta? Auf Java? In Myanmar? Sie wusste es nicht. Seit fünfeinhalb Tagen keine Zeile mehr von ihm. Hunderteinunddreißig Stunden. Neunzehn Minuten. Keine Silbe. Warum schrieb er ihr nicht mehr? Zum tausendsten Mal ging sie ihre letzte Nachricht im Kopf durch. Was hatte sie falsch gemacht? Welches Wort war es gewesen, das ihn abgeschreckt hatte?
Dabei waren sie nun Kollegen. In ihrem Magen bildete sich ein Knoten. In acht Tagen war sein erster Arbeitstag nach dem Urlaub. Sie hatte gehofft, ihn davor noch zu sehen. Aber nun war alles anders. Wie sollte sie mit Konstantin zusammenarbeiten, wenn er zurückkam? Wie begegnete man jemandem, der einfach aufhörte zu schreiben?
Stopp die Grübelei. Konzentrier dich auf deinen Job. Sie betrachtete die geschlossenen Lider der Toten. Erneut bekam sie das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Was war es? Sie wollte ihrem Abteilungsleiter beweisen, dass sie für den Job geeignet war. Sie dachte an das Bewerbungsgespräch. Was hatte er gesagt? „Geben Sie Ihr Bestes!“
Hinter ihr knarzten die Dielen der Bibliothek. Sie seufzte. Was wollte Speckner nun noch?
„Eine Leiche in Kufstein. Und wer ist wieder mitten im Geschehen?“
Der Klang der vertrauten Stimme kam so unerwartet, dass Dorothea einen Moment lang schwarz vor Augen wurde. Der Boden begann, unter ihr zu schwanken. Der Hauch von Hugo Boss nahm ihr den Atem.
„Inspektorin Keusch.“
Ihre Knie zitterten. Sie drehte sich nicht zu ihm um, aus Angst, ihre Beine würden sie nicht tragen.
Kapitel 2
Chefinspektor Konstantin Schmitt. Die Chesterfield-Möbel in der Bibliothek des Turmschlosses schlingerten gefährlich, die tote Frau in dem glamourösen Armsessel verschwamm einen Augenblick lang vor Dorotheas Augen. Es war, als ob ihr jemand den Boden unter den Füßen weggezogen hatte.
Konstantin.
Wie oft hatte sie in den letzten Wochen das Wiedersehen mit ihm herbeigesehnt. Ein erstes Date. In einem eleganten Restaurant. In ihrem lilafarbenen Kleid. Nicht hier. Nicht auf diese Weise. Nicht an einem regnerischen Morgen, an dem sie in ihrer Eile keinen Schirm mitgenommen hatte. An dem sie sieben Minuten Zeit gehabt hatte, um zu duschen und sich anzuziehen, ehe sie noch halb verschlafen zum Hotel Turmschloss im Zentrum der Stadt gehetzt war.
Sie widerstand dem Drang, den ausgeblichenen Parka und die ausgebeulte Wollhose glatt zu streichen, zog ihren Zopf nach vorn und drehte sich nun doch um. Unter den vertrauten Duft seines Aftershaves mischte sich ein feuchter Schwall des düsteren Septembertages.
„Guten Morgen.“ Konstantin fuhr sich durch das akkurat geschnittene Haar und musterte Dorothea. Er zwinkerte nicht, die Pünktchen in seinen Augen waren stumpf. Er öffnete seine Lippen, dann schloss er sie wieder. Öffnete sie erneut zu einem „Wie geht es dir?“.
„Hervorragend, danke.“ Hölzern kamen die Worte über ihre Lippen, Dorothea musste sich zwingen, ihn nicht anzustarren. Seit wann war Konstantin wieder zurück in Tirol? Warum hatte er nicht geschrieben? Nicht angerufen? Wie immer war Chefinspektor Schmitt sportlich und modern gekleidet. Sein Handgelenk jedoch zierte ein ledernes Band, das Dorothea noch nie gesehen hatte. Und er war braun gebrannt. Eindeutig war es nicht das asiatische Regenwetter, das ihn zurück nach Tirol gebracht hatte. Was dann? „Wie war deine Reise?“
Unter seinen Augen lagen Schatten. „Interessant. Spannend. Abenteuerlich.“
„Klingt hervorragend.“ Wie idiotisch. Abermals trafen sich ihre Augen für den Bruchteil einer Sekunde. Seine Hände in ihrem Gesicht. Vorsichtig. Zart. Seit Tagen hatte sie sich jene letzte Berührung vor seinem Urlaub ins Gedächtnis gerufen. Helles Rauschen klang unheilvoll in ihren Ohren, die Erinnerung war weggefegt. Sie senkte ihre Lider.
„Was haben wir hier?“ An ihr vorbei trat Konstantin zu der Leiche.
Er war ebenfalls diesem Fall zugeteilt? Dorotheas Kopfhaut spannte. „Warum …?“ Auf dem Steinboden ertönte das energische Klopfen von Stöckelschuhen, und Dorothea verschluckte den Rest ihrer Frage. Kein guter Zeitpunkt. Sie gab sich einen Ruck. Er ist jetzt dein Kollege. Du musst dich professionell verhalten.
„Bei der Leiche handelt es sich vermutlich um die Besitzerin dieses Hotels. Inspektor Speckner von der Stadtpolizei Kufstein war der erste Beamte am Einsatzort.“ Sie wiederholte die Details, die ihr ihr ehemaliger Kollege einige Minuten zuvor gegeben hatte. Konstantin trat neben sie, ging in die Knie und fixierte die Blutflecken auf der Bluse der Toten.
Dorothea betrachtete seine breiten Schultern und ein neuerlicher Stich traf sie.
Konstantin.
Flapsig, frech, wie immer. Nein. Nicht ganz. Er war zurückhaltender, kühler, mied ihren Blick.
Die hämmernden Schritte auf dem Flur kamen näher. Eine Ahnung beschlich sie, Dorotheas Hals pochte, ihre Wangen glühten. Sie hatte mit Oskar Buchwald gerechnet, dem freundlichen Vorstand der Abteilung Leib und Leben, doch dessen Füße bewegten sich lautlos in Lederslippern. Stöckelschuhe trug er ihres Wissens nicht.
„Tatwaffe?“
Ehe Dorothea antworten konnte, knarzten die Dielen der Türschwelle.
„Schmitt, ich sehe, du hast es noch vor mir nach Kufstein geschafft.“
Der Anblick einer orangen Paisley-Bluse und eines makellosen beigefarbenen Blazers ließ Dorothea zusammenzucken. Die Leiterin des gesamten LKA. Erst Konstantin und nun Astrid Relsch in Kufstein? Dorotheas Magen fiel in ein Loch.
„Frau Inspektorin.“ Mit zwei großen Schritten und einem barschen Nicken war Relsch neben ihnen, streifte die Leiche mit einem Seitenblick, ehe sie skeptisch Dorotheas Parka betrachtete.
Veras Stimme tönte Dorothea im Ohr: Besorg dir ein ordentliches Outfit für deinen neuen Job. Warum hatte sie nicht auf ihre Freundin gehört? Nun bereute sie es. Dorothea straffte ihre Schultern unter dem durchdringenden Blick ihrer höchsten Vorgesetzten und sog das herbe Parfüm ein. Wie eine apart gealterte Giraffe. Wie immer, wenn sie Astrid Relsch sah, kam Dorothea der Gedanke. Relsch war groß, ausgesprochen schlank, untadelig und dezent gestylt, perfekt in ihrem modischen Top. Ihre Anzugshose schmiegte sich mühelos um die schmale Taille. Alles an der Frau Oberleutnant war makellos. Make-up bedeckte das schon leicht faltige Gesicht, Wimperntusche und blass-oranger Lippenstift betonten die grünen Augen und die dünnen Lippen. Einzig Relschs Hals war zu lang und ihr rostbraunes Haar fiel aus dem Rahmen, ließ sich nicht zähmen. Kraus und widerspenstig ringelte es sich fast bis zu den Schultern um das längliche Gesicht.
„Chefinspektor Schmitt, dies ist Inspektorin Keusch, unser Neuzugang.“ Ohne Konstantin oder Dorothea eines weiteren Blickes zu würdigen, studierte Astrid Relsch die Leiche. „Ich denke, Sie beide kennen sich bereits.“
Kennen sich bereits. Dorothea kannte Konstantins Augen, die goldenen Pünktchen darin, wusste, wie sich die leichte Berührung seiner Hand auf ihrer Wange anfühlte. Doch sie wusste nicht, warum er ihr seit Tagen nicht mehr geschrieben hatte. Und sie wusste nicht, warum er in der Bibliothek des Turmschlosses stand und nicht im Mekongdelta.
„Du bist bereits im Bilde, Schmitt?“
„Habe alle Informationen erhalten.“ Konstantin nickte. „Was die Tote betrifft.“
Was meinte er damit? Dorothea hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Panisch musterte sie den leicht eingezogenen Hals ihrer Vorgesetzten. Sag etwas Kluges. Oder sag irgendetwas, Dorothea.
„Die Tatortgruppe ist unterwegs.“ Relsch kam ihr zuvor. „Inspektorin Keusch, nachdem Chefinspektor Schmitt jetzt hier ist, können Sie nach Hause gehen. Schmitt, du übernimmst den Fall.“
Nach Hause. Die Enttäuschung traf Dorothea wie ein Schlag ins Gesicht.
„Du leitest die Ermittlungen, kümmerst dich um die Befragungen vor Ort.“
Wie durch Watte hörte sie Relschs weitere Worte an Konstantin.
„Ich werde mich mit der Presse herumschlagen.“
„Inspektorin Keusch kann uns bei diesem Fall vor Ort behilflich sein.“
Dorothea erstarrte. Wie bitte? Schmitt meldete sich fünf Tage nicht bei ihr, war aber ihr Fürsprecher bei Relsch? Dorothea öffnete ihre Lippen, schloss sie wieder. Sag kein Sterbenswörtchen. Du bist auf Probe. Dies ist deine Chance zu zeigen, dass du eine dauerhafte Position hier verdienst.
Relsch hob zweifelnd eine Augenbraue. „Inspektorin Keusch hat noch keine Erfahrung bei der Abteilung Leib und Leben. Du kennst meine Prinzipien. Keine Anfänger vor Ort.“
„Bei allem Respekt, Astrid, warum hast du sie dann angerufen?“ Konstantin verschränkte seine Arme.
„Das habe ich nicht. Das war Buchwald. Euer Abteilungsleiter.“
Plötzlich wusste Dorothea, warum Konstantin Oskar Buchwald noch nie erwähnt hatte, Relsch dagegen schon. Buchwalds Verantwortung für die Abteilung existierte nur auf dem Papier.
„Kufstein hat sich in letzter Zeit als schwieriges Pflaster erwiesen. Zu viel Rampenlicht. Zu viele Medien. Zu viele Pannen bei Ermittlungen. Ermittlungsbeamte, die sich nicht mit Ruhm bekleckerten.“ Relsch nahm Konstantin ins Visier.
Er errötete nicht, aber seine Füße tänzelten unruhig. „Ich wollte lediglich eine meiner Mitarbeiterinnen so schnell wie möglich am Einsatzort sehen. Buchwald hat Inspektorin Keusch angerufen. Sie ist die Einzige aus dem Team, die in Kufstein wohnt.“
Und du dachtest, dass man dich für besonders klug hält. Dorothea hielt Ausschau nach einem Loch, in dem sie sich verkriechen konnte.
Astrid Relsch wandte sich an Konstantin. „Ich möchte deinen Ermittlungen nicht vorgreifen, aber du kennst die Statistik. Drei Viertel aller Tötungsdelikte ereignen sich im nahen sozialen Umfeld. Es könnte ein voreiliger Schluss sein, aber die Ermittlungen in diesem Fall erscheinen mir geradlinig. Gott sei Dank. Wir brauchen gute Publicity in den Medien.“
„Dennoch ist Hilfe vor Ort immer von Vorteil.“
Dorotheas Parka begann zu läuten. Sonntagmorgen. Wer…? Glühend heiß fiel es ihr ein. Noch während sie hastig ihr Mobiltelefon aus der Tasche nahm und auf lautlos stellte, ging ein weiterer Anruf ein. Für einen Moment schloss Dorothea die Lider. Ein Blitz durchzuckte sie. Plötzlich wusste sie, was ihr an der Leiche seltsam vorgekommen war. „Jemand hat die Lider der Toten geschlossen. Falls es der Täter war, weist es darauf hin, dass er Reue gezeigt hat.“ Unkontrolliert sprudelten die Worte über ihre Lippen.
„Spekulativ. Studien zufolge sterben die meisten Menschen mit offenen Augen. Theoretisch ist es jedoch möglich, dass die Hotelbesitzerin mit geschlossenen starb.“ Relschs Blick glich der einer Forscherin, der auf der Suche nach einer neuen Spezies eine Eintagsfliege in den Weg flatterte. „Ich will ehrlich mit Ihnen sein, Inspektorin Keusch.“ Sie hob die Augenbrauen. „Sie waren die beste Bewerberin. Auf dem Papier. Aber das heißt noch lange nicht, dass Sie die geeignete Besetzung für diesen Job sind. Das müssen Sie erst beweisen. Und dabei sollten Sie kleine Brötchen backen. Die Arbeit von der Pike auf lernen. Woran arbeiten Sie gerade?“
„An Cold Cases. Morde, die vor vielen Jahren verübt wurden.“
Du brauchst der Leiterin des LKA nicht erklären, was Cold Cases sind. Und du arbeitest nur theoretisch an diesen Fällen. Praktisch gesehen hat der uralte, unmotivierte Mitarbeiter dich angewiesen, das Archiv aufzuräumen. Die einzige Fallakte, die du im Moment zu Gesicht bekommst, ist die deines Vaters.
„Morde, die vor vielen Jahren verübt wurden.“ Relsch nickte zufrieden. „Und dafür gibt es einen Grund. Um vor Ort mitzuarbeiten, brauchen Sie mehr als eine gute Dienstprüfung und ein paar Tage Erfahrung bei der Mordkommission. Gehen Sie heute nach Hause, und morgen arbeiten Sie weiter an Ihren Cold Cases.“
Kapitel 3
Dorothea lauschte dem heiseren Geschrei einer Krähe, zog sich die Kapuze ihres Parkas über den Kopf, warf einen letzten Blick auf die Erker und Türmchen des Hotels und machte sich auf den Heimweg. Genervt zog sie das Handy aus der Tasche. Fünf Anrufe in Abwesenheit. Unter einem dicken Tropfen verschwamm die Schrift auf dem Display. Einige Sekunden lang starrte sie auf das Gerät, nur um den Klingelton auf laut zu stellen und es wieder einzustecken. Vielleicht meldete sich Relsch doch noch. Die Hoffnung starb zuletzt.
Zu Hause angelangt ließ sie die Eingangstür krachend ins Schloss fallen und hielt sich einen Moment am Messinggeländer fest, ehe sie sich vorbei an Kastanienmännchen und rot-gelben Blätterzeichnungen über die Stufen zum Dachgeschoss hinaufschleppte.
Der Geruch nach Spiegeleiern sowie eine alte Frau traten aus einer Tür, und Dorothea erschrak. Frau Weber hasste Lärm jeglicher Art. Geduldig wartete sie auf eine Rüge.
„Guten Morgen, Frau Keusch.“ Die betagte Nachbarin war bester Laune. „So früh schon auf den Beinen?“
Verwundert betrachtete Dorothea das faltige Gesicht, eine Sekunde später dämmerte ihr die Erkenntnis. Sonntag. Jedes Wochenende kam Frau Webers pflichtbewusste Tochter und half ihr, die Hausarbeit zu erledigen.
Ihr Smartphone klingelte erneut. Dorothea seufzte und zog es schuldbewusst aus der Tasche.
„Endlich erreiche ich dich.“ Ihre Mutter klang aufgeregt, außer Atem. „Mit deinem Telefon stimmt etwas nicht. Ich habe einige Male versucht, dich anzurufen, und dann hat es jeweils nur zweimal geklingelt. Ich war in solcher Sorge. Warum hast du meine Anrufe nicht beantwortet? Hast du vergessen, dass du zum Frühstück kommen wolltest?“
„Tut mir leid.“ Dorothea sah auf ihre Armbanduhr. „Ich verspäte mich leider.“ Mit einer Hand versuchte sie, die Tür aufzusperren; es funktionierte nicht. Einen Moment steckte sie das Gerät in ihre Tasche.
„Bist du noch in Kufstein?“ Die Stimme tönte vorwurfsvoll. Mit der freien Hand zog Dorothea sich ihre Timberlands aus. Verzweifelt bemühte sie sich, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. „Ich war in einer Dienstbesprechung.“
„An einem Sonntag?“
Schwerer Fehler. Dorothea biss sich auf die Lippen. „Es war nur eine Ausnahme.“ Aber nun brauchte man sie doch nicht. Siedend heiß stieg die Scham in Dorothea auf. „In etwa einer Stunde bin ich bei dir in Innsbruck.“ Sie legte auf.
Ehe sie ihn an die Garderobe hängte, betrachtete sie ihren durchweichten Parka. Er war praktisch. Zugegeben, das Dunkelgrün war mittlerweile deutlich verblasst, rechtfertigte aber immer noch nicht den missbilligenden Blick ihrer Chefin. Alles an ihr fühlte sich niedergeschlagen und leer an … als hätte sie bei einer entscheidenden Prüfung versagt.
Sie setzte sich an den Jugendstiltisch in der Erkernische ihres Wohnzimmers und nahm ihr Telefon erneut zur Hand.
Lieber Konstantin. Warum hast du dich fünf Tage lang nicht gemeldet?
Mehr als fünf Tage. Sie seufzte, löschte die Zeilen wieder. Er hat alle Hände voll damit zu tun, eine Mordermittlung zu führen. Ruf ihn abends an. Oder in ein paar Tagen. Sie schlang die Arme um ihre Schultern und trat ans Fenster. Schwere Tropfen klopften ans Fenster, die Festung war in dem Herbstschauer kaum zu sehen.
Dorothea sog das Aroma des Mandarinen-Duftöls ein, das noch schwach in der Luft hing. Du könntest absagen. Dir einen gemütlichen Sonntag machen. Am Abend wie geplant mit Vera im WU wok & teppanyaki essen gehen. Dazwischen deine Notizen über die Akten studieren. Seit sie Einsicht in die Dokumente über ihren Vater bekommen hatte, versuchte sie, alles über seinen Tod herauszufinden. Aber es funktionierte nicht. Bis jetzt hatte sie noch nichts Brauchbares entdeckt. Ihre Kehle wurde eng.
In der Küche brühte sie sich einen Schwarztee auf – mit Milch. Ruf sie an. Sag ihr, dass du heute nicht kommst. Sie ließ sich auf einem der Stühle nieder, nippte an der hellbraunen Flüssigkeit und schloss die Augen, ehe sie ihr Mobiltelefon erneut zur Hand nahm. Einige Sekunden lang starrte sie auf das Display, nur um es wieder wegzulegen. Sie war an den letzten zwei Sonntagen schon nicht dort gewesen.
Dorothea trank den letzten Schluck Tee und erhob sich seufzend.
Ich habe alle drei Bücher von Maria Hoefle gelesen. Megaspannend, man mag das Buch garnicht weglegen.
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