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„Auch ein Polizist ist schließlich nur ein Mensch“

Freitag, 01. September 2017 von Piper Verlag


„Scherbengericht“ ist Commissario Laurentis zehnter Fall

Interview mit dem Commissario

Anlass genug, einmal nicht den Autor zu befragen, sondern sich direkt an seine Hauptfigur zu wenden

Laut „Spiegel special“ ein sturer, sympathischer Dickschädel, der sich weder von selbstgefälligen Würdenträgern noch von beamteten Wichtigtuern in seine Ermittlungen hineinreden lässt.

 

Sie ermitteln schon seit vielen Jahren in Triest. Hat sich Ihre Arbeit in dieser Zeit verändert? Haben Sie sich verändert?

Verändert, ich? Meine Frau sagt, es sei immer das gleiche mit mir. Nur die Arbeit ändert sich, alles wird immer schneller. Und eine Stadt in einer derartigen strategischen Position folgt zwangsläufig der Entwicklung Europas und der globalen Probleme – das organisierte Verbrechen kennt keine Grenzen.  Ohne den Austausch mit den Kollegen der Sicherheitsbehörden in Slowenien, Kroatien, Österreich oder auch Deutschland sind Ermittlungserfolge heute schlicht undenkbar.

... Kollegen? Wie man liest, tauschen Sie sich eher mit den Kolleginnen aus...

Natürlich. Die sind einfach besser als Männer, unkonventioneller, wendiger. Um den großen Schachzügen auf die Spur zu kommen, muss man der Spur des Geldes folgen. Das ist das A und O. Und Teamarbeit ist zentral. Allerdings wird die Hektik größer, dabei zählt Geschwindigkeit genauso wie Ausdauer.

Und da sind Kolleginnen raffinierter?

Aber sicher. Die haben doch ein viel breiteres Repertoire. Und sie sind entspannter, einfach angenehmer. Es stimmt schon: Die Sehnsucht nach Harmonie lässt sich mit zunehmendem Alter immer weniger verdrängen. Dem allerdings steht das wirkliche Leben im Weg.

Wieso sind Sie eigentlich all die Jahre Triest treu geblieben?

Als ich nach vielen anderen Stationen in Italien hierher versetzt wurde, wollte ich eigentlich gleich wieder weg, weil mir hier die Welt zu eintönig, zu geordnet schien. Abgesehen davon, dass ich dann meine Frau kennenlernte, wir drei Kinder bekamen, musste ich bereits nach kurzer Zeit begreifen, dass der schöne Schein trügt.

Inwiefern?

Die vielen politischen und auch ideologischen Grenzen, der Hafen, die unverarbeitete Geschichte seit der Nazibesatzung warfen ein ganz eigenes Muster an Kriminalität auf, das mir neu war. Sehr europäisch und damit eben nicht nur an diese Stadt und ihr Umland gebunden. Dazu kamen rechtsradikaler Terror, Waffenschmuggel, der Handel mit menschlichen Organen, die Ausbeutung von Flüchtlingen…  Das erzeugt andere Aufregungen als in den Hochburgen der Mafia, wo Gewalt täglich offensichtlich ist. Hier wird sie hinter den Kulissen gesteuert.

Und was gefällt Ihnen an der Stadt?

Die hohe Lebensqualität Triests! Es ist eine der reichsten Städte Italiens, mit einem sauberen, warmen Meer vor der Tür und den kulinarischen Verlockungen des Karsts im Rücken, die einem das Arbeiten nicht immer leicht machen. Das angenehme Leben hier und die Familie spenden mir Trost und Kraft, um all den Turbulenzen standzuhalten – auch ein Polizist ist schließlich nur ein Mensch.

Dabei eilt Ihnen der Ruf voraus, es mit der ehelichen Treue nicht so genau zu halten.

Das sind doch alles Erfindungen eines Romanautors, der mich ständig über Berufsgeheimnisse ausfragt und mir dann viel Unsinn andichtet. Selbst meine Frau fragt mich inzwischen danach. Das ist wirklich lästig. Zur Ruhe kann man so nicht finden.
Beizeiten würde ich diesen Autor am liebsten einsperren, doch liegt außer seinen ständigen Verkehrssünden bisher nichts gegen ihn vor.

Sie hoffen also, seiner habhaft zu werden? Immerhin hat er Sie berühmt gemacht.Wenn er mich reich gemacht hätte, könnte ich es ihm vielleicht verzeihen. Er hält sich für schlauer als er ist, aber eines Tages krieg ich ihn, das ist sicher. Und dann diktiere ich ihm seine Bücher.

Hört sich nach versuchter Zensur an.

Wenn’s der Wahrheitsfindung dient, nennt man das anders.

Welcher Fall ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben – und warum?

Der einer taubstummen Ukrainerin, die von einer europaweiten Bettlermafia ausgebeutet wurde. Irina war nur die Begleiterscheinung einer weit größeren Ermittlung und als endlich Zeit blieb, mich um sie zu kümmern, war sie bereits spurlos verschwunden. Eigentlich vergisst man es nie, wenn man während der Ermittlungen völlig richtig liegt und es trotzdem nicht gelingt, den Täter zu überführen. Oder man überführt ihn und er kommt dank einer Unzahl an Tricks seiner Anwälte und Ärzte doch davon. Manchmal muss ich mich zwingen, die Gesetze einzuhalten und mich daran zu erinnern, ein Diener der Demokratie zu sein.

In Ihrem neuen Fall holt die Vergangenheit Sie ein, Sie haben vor 17 Jahren möglicherweise einen großen Fehler gemacht…

Ja, Aristèides Albanese ist im Grunde kein schlechter Kerl und mir durchaus sympathisch. Vielleicht hätte ich verhindern können, dass er ein Drittel seines Lebens im Knast verbringen musste, wenn ich mich damals gegen den Druck von oben durchgesetzt hätte. Heute habe ich das Rückgrat und auch die Selbstsicherheit dagegen zu halten, die fehlten mir damals. Aber dass ich deshalb ihm zuliebe das Recht beuge, kann er vergessen.

Denken Sie manchmal daran, sich demnächst zur Ruhe zu setzen?

Eigentlich sollte man Leute wie mich nicht einfach in den Ruhestand schicken. Erfahrungen und Standvermögen sind unersetzbar. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich mit der rasenden technischen Entwicklung nicht standhalten kann. Wofür aber gibt es jüngere Kollegen? Nein, arbeiten werde ich bis zuletzt, das wäre ja noch schöner.

Veit Heinichen

Über Veit Heinichen

Biografie

Veit Heinichen, 1957 geboren, wächst auf im extremen Südwesten Deutschlands in einer Gegend voller Grenzen: Die Nähe zu Frankreich und der Schweiz, die Mentalitätsunterschiede zwischen dem katholischen Baden und dem protestantischen Württemberg, der Kontrast zwischen dem kleinen Bauerndorf, in dem er groß wurde, und der Stadt, wo er das Abitur machte. Durch diese Gegend läuft die Europäische Wasserscheide, und die Donau, der zweitlängste Fluss Europas mit zehn Anrainerstaaten, hat dort ihren Ursprung. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft in Stuttgart und dem ersten Arbeitsleben in der Zentrale eines Automobilkonzerns beschließt Veit Heinichen, die Karosserie gegen den Inhalt zu tauschen. Zuerst im Buchhandel, später der Wechsel ins Verlagswesen: Ammann Verlag in Zürich, S. Fischer Verlage in Frankfurt. 1994 Mitbegründer des Berlin Verlags, Berlin, und dessen Geschäftsführer bis 1999. Nach Triest kommt Veit Heinichen zum ersten Mal 1980, ohne zu ahnen, dass sich dies als schicksalsbetonte Begegnung zeigen wird. Die „Stadt der Winde“ ist heute der Ort, mit dem er in seinem Leben am längsten verbunden ist. Zuerst als Pendler, ab 1997 schließlich als Einwohner. Triest ist eine Schnittstelle Europas, der Ort, in dem sich die drei großen europäischen Kulturen begegnen: die romanische, die slawische und die germanische. Eine Hauptstadt der Weltliteratur, in der Literatur stets in viele Sprachen geschaffen wurde. Jules Verne, Richard Francis Burton, Sigmund Freud, Italo Svevo, James Joyce, Umberto Saba, Fulvio Tomizza, Claudio Magris, Boris Pahor und viele andere mehr haben mit ihren Werken diese vielsprachige Gegend im Herzen Europas geprägt. Die multiethnische, nördlichste Hafenstadt des Mittelmeerraums steht auch im Mittelpunkt der Romane von Veit Heinichen. „Gebiete voller Kontraste, Grenzen, Widersprüche, aber auch Brücken zwischen diesen, sind der ideale Nährboden für das Entstehen von Literatur. Grenzgebiete prägen die Mentalität ihrer Bewohner und sind nie nur auf sich selbst bezogen, sondern stets von internationalem Belang“, so der Autor. Im Zentrum der Romane steht von Beginn an Proteo Laurenti, in Salerno gebürtiger Kommissar der Polizia di Stato, der wie der Autor seit Jahrzehnten in Triest lebt und arbeitet. Seine Fälle, auch wenn er von Triest aus ermittelt, haben stets eine europäische Dimension. Vom Missbrauch der Geschichte, neuem und altem Rassismus und Faschismus, der Handel mit Menschen, Organen, Waffen, Industriespionage, den Ursprüngen der Finanzkrise, Korruption. Die Auswirkungen einer Schattengesellschaft, in der die Verbindungen von Politik, Wirtschaft und organisiertem Verbrechen die Demokratie zunehmend unterhöhlen. Organisierte Kriminalität hat für Veit Heinichen keine Nationalität, vielmehr handelt es sich um einen internationalen, grenzüberschreitend aktiven Großkonzern, der kein Geschäftsfeld unbestellt lässt und äußerst innovativ ist. Dies stellt besondere Anforderungen sowohl an die Ermittler im realen Leben und auch bei der Recherche des Autors. Veit Heinichen wurde u.a. mit dem Radio Bremen Krimipreis für seine „feinfühlige, unterhaltsame und genaue Erforschung der historisch-politischen Verflechtungen, die Triest als Schauplatz mitteleuropäischer Kultur kennzeichnen“ ausgezeichnet und dem Premio Internazionale „Città di Trieste“. „Veit Heinichen ist weit mehr als ein cleverer Erzähler spannender Kriminalgeschichten, er ist eine Art Chronist des europäischen Umbruchs. Wer Heinichen liest, mag Europa mit anderen Augen sehen lernen.“ HAMBURGER ABENDBLATT „Proteo Laurenti gehört zur Riege der großen Kommisare.“ DER SPIEGEL „Veit Heinichen ist ein unermüdlicher Chronist unserer Zeit und ein Autor, der ohne Angst und Scheu über die Abgründe der Gesellschaft schreibt, dabei aber nie aus den Augen verliert, dass Thriller vor allem spannend sein sollten.“ Margarethe von Schwarzkopf – NDR „Der Autor hat nicht nur Sinn für spannende Plots und das Lokalkolorit des Schmelztiegels Triest; seine Hauptfigur Laurenti ist auch ein sturer, sympathischer Dickschädel, der sich weder von selbstgefälligen Würdenträgern noch von beamteten Wichtigtuern in seine Ermittlungen hineinreden lässt. ... Man kann nur hoffen, dass Veit Heinichen nun möglichst bald den nächsten Laurenti-Roman vorlegt.“ SPIEGEL SPECIAL

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