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Zwischen Leber und Milz passt immer ein Pils

Zwischen Leber und Milz passt immer ein Pils

Carsten Lekutat
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Rezeptfreie Geschichten aus der Hausarztpraxis

„Geschichten, die das Leben schreibt: komisch, tragisch und vor allem eins – herzlich.“ - Auf einen Blick

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Zwischen Leber und Milz passt immer ein Pils — Inhalt

Husten, Schnupfen, Heiserkeit – das ist das Tagesgeschäft von Hausarzt Carsten Lekutat. Doch manchmal ist selbst der routinierte „Gesundmacher“ mit seinem Mediziner-Latein am Ende. Zum Beispiel, wenn sein fieser Widersacher „Doktor Google“ bei einem blauen Fleck mal wieder die Beulenpest diagnostiziert, oder das Wartezimmer komischerweise immer dann am vollsten ist, wenn die neue BUNTE erscheint. Ein Lesevergnügen ohne Risiken und Nebenwirkungen – aber Vorsicht: Lachen steckt an! 

€ 8,99 [D], € 8,99 [A]
Erschienen am 10.12.2013
224 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-96338-1
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Leseprobe zu „Zwischen Leber und Milz passt immer ein Pils“

Von Ochsen und Menschen



Als ich den Entschluss fasste, Arzt zu werden, war ich gerade mal zwölf Jahre alt. Damals wollte ich unbedingt Menschen helfen. Der Hausarzt sein, dem sich die gesamte Familie anvertraut. Immer verfügbar für meine Patienten, Tag und Nacht. Aber was weiß ein zwölfjähriger Junge schon von ständiger Rufbereitschaft? Von nächtlichen Hausbesuchen oder einer Hausbesuchspauschale in Höhe von 21,20 Euro?
Diese Nebensächlichkeiten waren mir damals zum Glück noch ganz egal. Ich wollte einfach nur Arzt werden. Und ich konnte es kaum erwarten.
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Von Ochsen und Menschen



Als ich den Entschluss fasste, Arzt zu werden, war ich gerade mal zwölf Jahre alt. Damals wollte ich unbedingt Menschen helfen. Der Hausarzt sein, dem sich die gesamte Familie anvertraut. Immer verfügbar für meine Patienten, Tag und Nacht. Aber was weiß ein zwölfjähriger Junge schon von ständiger Rufbereitschaft? Von nächtlichen Hausbesuchen oder einer Hausbesuchspauschale in Höhe von 21,20 Euro?
Diese Nebensächlichkeiten waren mir damals zum Glück noch ganz egal. Ich wollte einfach nur Arzt werden. Und ich konnte es kaum erwarten.
Als Vierzehnjähriger war meine Ungeduld so groß, dass ich unbedingt meine chirurgischen Fähigkeiten verbessern wollte und suchte deshalb nach einem geeigneten Opfer. Genau genommen waren noch gar keine chirurgischen Fähigkeiten vorhanden, die man hätte verbessern können – zumindest keine, die über das fachgerechte Zerlegen eines Schnitzels in der heimischen Küche hinausgingen. Ich stürzte mich also auf das frisch geschossene Wildschwein, das ein Bekannter bei uns abgeladen hatte, und machte mich ans Präparieren. Der daraus hervorgegangene Wildschweinbraten hatte meinen Eltern zwar nicht mehr allzu gut geschmeckt, doch ich war meinem Bildungsauftrag gerecht geworden. Denn mit großer Präzision hatte ich mich den Fasern und Knorpeln gewidmet, sodass meine Eltern nach meiner Aktion den lateinischen Namen jedes einzelnen Muskels kannten, der auf ihrem Teller lag.
Aber ein Entrecôte schmeckt eben auch nur so lange gut, wie man verdrängen kann, dass es sich um den Musculus longissimus dorsi handelt …
Da ich meinen Eltern nicht noch öfter den Appetit verderben wollte, musste ich andere Möglichkeiten finden, meine Anatomiekenntnisse und chirurgischen Fähigkeiten zu trainieren. Und die fand ich in einer Kleintierhandlung um die Ecke. Nach dem Motto „frisch gewagt ist halb approbiert“ fragte ich den Besitzer, ob er nicht irgendwelche toten Hasen oder Meerschweinchen hätte, an denen ich üben könnte. Ich hatte schließlich gelesen, dass Medizinstudenten an genau diesen Tieren geschult wurden. Was mir das später im Studium für einen Vorteil verschaffen würde! Leider gab es keine toten Hasen in der Tierhandlung – aber einen toten Papagei. Der Besitzer des Ladens überreichte ihn mir mit den Worten: „Und wenn du herausgefunden hast, woran er gestorben ist, dann lass es mich bitte wissen.“
„Natürlich“, antwortete ich zuversichtlich. Was sollte ich auch sagen? „Nein, ich will nur üben?“, oder „Ich habe keine Ahnung von Vögeln oder Anatomie und bin froh, wenn ich die Leber von der Milz unterscheiden kann“?
Ich nahm also den toten Vogel mit nach Hause. Da aber zunächst einmal Schularbeiten anstanden, musste die Sektion warten, und ich entschied mich, den Papagei im Tiefkühler zwischenzulagern.
Leider ging meine Mutter vor mir an das Tiefkühlfach. Sie erwartete Fischstäbchen und Blattspinat, doch stattdessen fiel ihr eine dreihundert Gramm schwere Grünwangenamazone im gefrorenen Zustand entgegen. Fischstäbchen gab es an diesem Tag keine mehr für mich. Aber Arzt wollte ich trotzdem immer noch werden.
Seit der gefrorenen Grünwangenamazone waren einige Jahre vergangen, doch meine Begeisterung für die Medizin war ungeborchen. Naja, fast. Vielleicht hätte ich mich bei der Praxisgründung doch lieber für den schicken Ku‘damm entscheiden sollen. Die Sonne war schon lange untergegangen, und ich war wieder einmal überrascht, wie ländlich Berlin doch sein konnte. Meine Hausarztpraxis lag am nördlichen Stadtrand des ehemaligen Westteiles der Stadt. Da der Berliner zu Zeiten der deutsch-deutschen Teilung nicht einfach ins Grüne fahren konnte, hatte der Senat damals darauf geachtet, auch innerhalb des Stadtgebietes ländliche Flächen zu erhalten. Und durch so eine ländliche Fläche kämpfte ich mich nun auf meinem alten Fahrrad. Der Boden war gefroren, und eine dünne Schneedecke bedeckte den Asphalt.
Hätte ich mich am Ku‘damm niedergelassen, würde ich jetzt die warme U-Bahn nehmen. Oder ein Taxi. So was können sich Ku‘damm-Ärzte bestimmt leisten. Aber nein – es musste ja die kleine Praxis am Stadtrand sein. Manchmal hätte ich gerne den zwölfjährigen Jungen von damals, der mir das alles eingebrockt hat, ordentlich geohrfeigt.
Meine Patientin, Frau Koslowski, wohnte schon seit ihrer Geburt in dem alten Haus, und das waren mittlerweile 80 Jahre. Sie hatte das Anwesen von ihren Eltern geerbt, die es wiederum von ihren Eltern vermacht bekommen hatten. Warum das Haus allerdings seit dem Erstbezug durch die Koslowski-Familie im vorletzten Jahrhundert nicht ein einziges Mal renoviert worden war, erschloss sich mir nicht. Aber auch Frau Koslowski selber wurde ja seit 80 Jahren nicht renoviert. In den vielen Jahren, in denen sie meine Patientin war, hatte sie noch jeden Therapievorschlag dankend abgelehnt.
Und auch ihr Ehemann besaß nicht die nötige „Regelfolgebereitschaft“, wie Ärzte das Verhalten mündiger Patienten gerne abschätzig bezeichnen. Aber Herr Koslowski hatte Anstand. Er kam gar nicht erst in meine Praxis, um dann die vorgeschlagenen Therapien abzulehnen, wie seine Gattin. Er ließ sich gar nicht erst blicken.
Und zu diesem Pärchen war ich nun zum Hausbesuch gerufen worden. Ich stellte mein Fahrrad im Vorgarten ab und klopfte an die Tür. Das schreibe ich nicht etwa, weil es dramatischer klingt als „ich klingelte“. Nein, ich klopfte tatsächlich, weil Familie Koslowski nämlich keine Klingel besaß. Die hatte es im letzten Jahrhundert offenbar noch nicht gegeben. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich Schritte im Windfang hörte.
„Wer ist da?“, rief Frau Koslowski, ohne Anstalten zu machen, die Tür zu öffnen.
„Der Doktor!“
„Wer?“
An sich bin ich ja ein freundlicher Mensch und auch einigermaßen humorvoll. Diese Eigenschaften verliere ich allerdings bei gefühlten minus zwanzig Grad und einer Besucherpauschale von weniger als zwei Pizzen mit Cola schon mal aus den Augen.
„Hier ist der Doktor! Frau Koslowski! Es ist kalt! Machen Sie bitte die Tür auf!“
Wer einmal ein zu altes Haus mit einer zu alten Ofenheizung betreten hat, der kennt das sonderbare Warm-aber-dennoch-kalt-Klima, das mir bei Betreten des Gebäudes entgegenschlug. Die feuchte Hitze im Gesicht und ein kaltes Gefühl im Rücken, folgte ich Frau Koslowski in die gute Stube. Welche anaeroben Bakterien gedeihen in diesem Klima wohl besonders gut? Nicht jeder Keim braucht Sauerstoff, um sich zu vermehren. Unangenehme Zeitgenossen wie Clostridien, Legionellen und Neisserien, aber auch viele Dauerbewohner unseres Darmes lieben eine Atmosphäre mit wenig frischer Luft. Allerdings brauchte Frau Koslowski im Gegensatz zu ihren Darmbakterien Sauerstoff, und daher öffnete ich erst mal das Wohnzimmerfenster. Doch diese therapeutische Leistung, die ich ihr nicht einmal berechnet hätte, wurde von meiner Patientin sofort abgelehnt.
„Ich schleppe doch nicht die ganze Kohle hier rein, damit die schöne Wärme in den Garten verschwindet“, belehrte sie mich.
„Frau Koslowski, was kann ich denn für Sie tun?“
Ich wollte diesen Besuch so schnell wie möglich hinter mich bringen. Es war ja nicht mein erster Einsatz heute.
Zehn Stunden Sprechstunde und zwei weitere Hausbesuche hatte ich bereits absolviert. Das sollte der letzte Besuch für heute sein, und ich freute mich auf meine warme Wohnung und mein warmes Bett. Vielleicht hatte mir meine Frau Joanna auch schon einen dampfenden Tee gemacht und die Decke auf meinem Lieblings-Sofa für mich ausgebreitet. Ich würde meiner kleinen Tochter Lilli einen Gutenachtkuss geben und den Abend in den Armen meiner Frau ausklingen lassen. Aber vorher musste ich rausfinden, was Frau Koslowski fehlte.
„Nehmen Sie erst mal Platz, Herr Doktor“, sagte sie und ging aus dem Wohnzimmer. „Ich mache uns einen schönen Tee.“
Eine ungeschriebene Regel im Arzt-Patienten-Verhältnis lautet, dass der Patient dem Arzt jederzeit widersprechen darf, der Arzt aber nie dem Patienten – wenn er ihn nicht verlieren möchte. Und das möchte er nicht. Genauer gesagt, möchte das die Bank nicht, die den Kredit für die Praxisgründung gnädig genehmigt hat.
Dieses Ungleichgewicht des ärztlichen Beziehungsgeflechtes lernt man schon an der Uni kennen. Im Krankenhaus gilt diese Regel in leicht abgewandelter Form. Sie bestimmt unter anderem das Verhältnis des Stationsarztes zu Oberarzt, Krankenschwestern und Reinigungspersonal. Gut, als Arzt kann man natürlich diesen Personen widersprechen. Aber die Konsequenzen wären grauenvoll: Nächtliches Wecken zum Blutdruckmessen und ein dreckiges Nachtdienstbett sind nur einige Spielarten kleiner Gehässigkeiten, mit denen unser Berufsstand zu kämpfen hat.
Ich widersprach meiner Patientin also nicht und wartete geduldig auf den Tee.
„Bitte, Herr Doktor. Es ist Hagebutte mit Milch.“ Frau Koslowski stellte das Teekännchen und zwei Tassen auf den Wohnzimmertisch und eilte in die Küche, um ein paar Kekse zu holen.
„Frau Koslowski! Was kann ich denn heute für Sie tun?“, rief ich ihr hinterher.
„Sie können schon mal den Tee einschenken!“
„Nein, das meine ich nicht. Ich meine: Was fehlt Ihnen? Warum haben Sie mich gerufen?“
Wie ein Blitz kam Frau Koslowski in das Wohnzimmer zurückgeeilt. Sie schaute mich böse an und legte ihren Zeigefinger an den Mund, um mir zu signalisieren, dass ich still sein sollte.
„Psst!“, fuhr sie mich an. „Walter darf uns nicht hören.“
„Wo ist Ihr Mann eigentlich?“
„Er schläft.“
„Und warum darf er nicht wissen, dass ich bei Ihnen bin?“, fragte ich verwundert.
„Weil Sie heute nicht bei mir sind. Sondern bei ihm. Mir geht es doch gut, Herr Doktor.“
Es ist schon erstaunlich, wie häufig Patienten zu mir kommen, um über ihren Partner zu sprechen. Natürlich immer ohne dessen Wissen. Ganze Verschwörungsszenarien werden dann zwischen Hausarzt und Patient entwickelt. Meistens kommen die besorgten Ehefrauen zu mir, weil der Mann sich weigert, selber zum Arzt zu gehen. Häufig kommt die Patientin in meine Praxis und schiebt irgendeine eigene Beschwerde vor. Sehr beliebt sind dabei Bauchschmerzen.«
Die Innere Medizin kennt mehr als 50 000 verschiedene Diagnosen. Und die Allgemeinmedizin kümmert sich um Patienten aus allen Fachrichtungen. Zu den 50 000 internistischen Leiden kommen also noch Krankheiten aus der Frauenheilkunde, der Chirurgie, der Neurologie, der Orthopädie und natürlich auch der Psychiatrie hinzu. Und jede von ihnen kann sich durch Bauchschmerzen bemerkbar machen. Meistens läuft es also so: Nachdem ich mir mindestens fünf Minuten lang Gedanken über die Einstufung des Schmerzes gemacht habe und mindestens dreißig verschiedene, meist bösartige Erkrankungen ausgeschlossen habe, winkt die Patientin plötzlich ab und wechselt das Thema.
„Ist ja nicht so schlimm. Aber wenn mein Mann das nächste Mal zu Ihnen kommt – sagen Sie ihm aber nicht, dass ich Ihnen das gesagt habe – dann …“
Ich fühle mich dann dem Mann gegenüber immer wie ein Verräter, finde es aber trotzdem gut, dass die Frau wenigstens den Mut gefasst hat, mich ins Boot zu holen. Ich vermerke dann brav in der Patientenakte des Mannes die fremdanamnestisch erhobenen Befunde mit dem Hinweis „nicht erzählen, dass Ehefrau hier war“. Aber meistens kommt der Ehemann sowieso nicht in meine Sprechstunde.
Dem wollte Frau Koslowski anscheinend zuvorkommen. In dem Wissen, dass ihr Ehemann sowieso nie die Schwelle meiner Praxis überschreiten würde, hatte sie mich vorsorglich zu sich nach Hause gerufen – unter dem Vorwand einer eigenen Beschwerde. Meine Stimmung wurde dadurch nicht wirklich besser. Wenn ich schon zu einem Besuch geholt werde, dann wünsche ich mir doch wenigstens einen dankbaren Patienten. Und Dankbarkeit war nicht zu erwarten, von einem bereits schlafenden, Ärzte meidenden, im eigenen Haus überraschten Mann.
„Was fehlt Walter denn?“, versuchte ich die Situation voranzutreiben.
Frau Koslowski schaute nervös von rechts nach links, als ob sie sicherstellen wollte, dass Walter nicht heimlich ins Zimmer gekommen war.
„Er hat einen Ochsensack“, flüsterte sie.
Ich würde nicht behaupten, dass ich alle 50 000 Diagnosen der Inneren Medizin kenne. Aber die meisten von ihnen hatte ich zumindest schon einmal gehört oder gelesen. Die Krankheit „Ochsensack“ war ganz bestimmt nicht dabei.
Um sicher zu gehen, dass ich mich nicht verhört hatte, flüsterte ich zurück: „Einen Ochsensack?“
„Ja. Seit drei Tagen. Und er will nichts dagegen tun.“ Frau Koslowski war den Tränen nahe.
Ich muss zugeben, dass ich zunächst recht amüsiert über diese Krankheit war. Aber meine Patientin schien sich wirklich Sorgen zu machen, sodass ich mir eine Anspielung aus dem Bereich der Tiermedizin verkniff.
„Frau Koslowski, was ist denn ein Ochsensack?“, fragte ich mit ehrlichem Interesse.
„Na, ein Sack, so groß wie bei einem Ochsen halt. Das müssen Sie doch kennen!“
Ich wusste nicht, ob ich mich geschmeichelt oder beleidigt fühlen sollte, aber die Größe meiner Genitalien kannte Frau Koslowski sicher nicht. Ich entschied mich trotzdem fürs Geschmeicheltsein und sagte: „Dann schauen wir uns jetzt den Hoden Ihres Mannes mal an.“
„Aber heimlich!“, zischte die alte Dame.
Also schlichen wir leise ins Schlafzimmer, und während ich noch darüber sinnierte, was für eine absurde Situation das war, hob Frau Koslowski die Bettdecke über ihrem schlafenden Mann an, und schon leuchtete ich mit der Lampe meines Ohrenspiegels auf den entblößten Unterleib. Und tatsächlich!
Ich kann zwar die Dimension des Gemächts eines Ochsen nicht einschätzen, aber Walter Koslowskis Hoden war riesig. Genauer gesagt, der Hodensack war riesig – mindestens auf das Fünffache seiner normalen Größe angeschwollen.
„Sehen Sie?“, flüsterte Frau Koslowski. „Das war früher nicht so“, fügte sie entschuldigend hinzu.
„Das ist ein Skrotalödem“, erklärte ich.
„Wie bitte?“
„Ihr Mann hat Wasser im Sack.“ Das war wahrscheinlich verständlicher, zumindest nickte die alte Dame beeindruckt.
„Und wie kommt das da wieder raus?“, wollte sie wissen.
„Die Frage ist vielmehr: Wie ist das da reingekommen?“, bemerkte ich.
„Also, ich war’s nicht. Wir machen so was schon lange nicht mehr.“
Der letzte Satz lag bedeutungsschwanger im Raum, während Frau Koslowski ihren Mann wieder zudeckte. Leise gingen wir zurück ins Wohnzimmer, um Walter nicht aufzuwecken. Für ein Skrotalödem gibt es viele Ursachen. Entzündungen sind die harmlosesten, Herzerkrankungen und Tumoren die schlimmsten. Was Herrn Koslowski fehlte, würde ich nur durch weitere Untersuchungen herausfinden können.
„Ihr Mann muss morgen zu mir in die Praxis kommen“, fing ich vorsichtig an. „Wir müssen rauskriegen, was hinter dieser Schwellung steckt.“
„Das macht der nie“, winkte meine Patientin ab.
„Muss er aber. Erstens kann der Hoden Schaden nehmen …“
„Das macht nichts!“, unterbrach mich Frau Koslowski. „Wir wollen keine Kinder mehr.“
„Frau Koslowski, Sie sind 80 Jahre alt. Natürlich wollen Sie keine Kinder mehr. Aber der Hoden produziert mehr als nur Samenzellen. Und selbst wenn Sie die Hoden Ihres Mannes entbehren können und zur Kastration freigeben würden, hinter so einer Schwellung kann eine ernsthafte Erkrankung stecken. Und das müssen wir herausfinden.“
„Aber sagen Sie ihm nicht, dass Sie bereits hier waren“, bat mich die Dame. „Wenn wir morgen bei Ihnen sind, müssen Sie den Hoden wie zufällig entdecken.“
Als ich in die kalte Winterluft hinaustrat und mich auf mein Fahrrad setzte, überlegte ich, wie man einen Hoden wohl zufällig entdeckt. Selbst bei einem Ochsenhoden würde sich das sehr schwierig gestalten …


Über Carsten Lekutat

Biografie

Wenn er nicht gerade als „Gesundmacher“ für den WDR vor der Kamera steht, betreibt Dr. med. Carsten Lekutat eine Allgemeinarztpraxis in Berlin.

Pressestimmen
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„Geschichten, die das Leben schreibt: komisch, tragisch und vor allem eins – herzlich.“

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„Amüsante Geschichten - ohne Risiken und Nebenwirkungen.“

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