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Zum Lachen auf die Insel

Zum Lachen auf die Insel

Christian Schulte-Loh
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Als deutscher Komiker in England

„›Zum Lachen auf die Insel‹ ist eine Liebeserklärung an die exzentrischen Briten – witzig, hintergründig und ehrlich.“ - Ruhr Nachrichten

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Zum Lachen auf die Insel — Inhalt

„Deutsch, aber lustig“ Spiegel Online

Wie bleibt man gelassen, wenn man zum hundertsten Mal freundlich mit „Heil Hitler!“ begrüßt wird? Oder wenn man auf der Bühne nach den ersten Worten („I am a German comedian“) entweder ausgelacht oder beschimpft wird? Christian Schulte-Loh ist seit Jahren als deutscher Komiker in England erfolgreich und berichtet von seinen Auftritten vor volltrunkenen britischen Hafenarbeitern oder steinreichen Lords. Er erklärt uns die (meist) feine englische Art oder warum sich Londoner freuen, „nur“ 360.000 Pfund für eine Garage zu bezahlen. Trotz Brexit findet er, der Franzose Jacques Chirac hatte Unrecht mit den Worten: „Man kann Menschen nicht vertrauen, die so schlecht kochen.“

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 03.04.2017
240 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-97689-3
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Leseprobe zu „Zum Lachen auf die Insel“

Mal verliert man, mal gewinnen die Anderen

– Die ersten Monate auf der Insel –

 

 

Sie hatten mich fertiggemacht.

Ich war gerade erst in England angekommen, da lag ich auch schon am Boden.

„Off! Off! Off!“, die Schreie der dreihundert Betrunkenen hallten nach. Nicht mal eine halbe Stunde war es jetzt her, dass mich die Meute von der Bühne gebuht hatte. Wieder eine dieser kaum zu gewinnenden Schlachten: Hunderte von Engländern gegen einen Deutschen. Nun saß ich im Wartesaal des Bahnhofs, der nächste Zug zurück nach London würde erst in 55 Minuten gehen.

Der [...]

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Mal verliert man, mal gewinnen die Anderen

– Die ersten Monate auf der Insel –

 

 

Sie hatten mich fertiggemacht.

Ich war gerade erst in England angekommen, da lag ich auch schon am Boden.

„Off! Off! Off!“, die Schreie der dreihundert Betrunkenen hallten nach. Nicht mal eine halbe Stunde war es jetzt her, dass mich die Meute von der Bühne gebuht hatte. Wieder eine dieser kaum zu gewinnenden Schlachten: Hunderte von Engländern gegen einen Deutschen. Nun saß ich im Wartesaal des Bahnhofs, der nächste Zug zurück nach London würde erst in 55 Minuten gehen.

Der alte Mann neben mir warf noch eine Münze in den Spielautomaten, den die Briten verharmlosend „Fruit Machine“ nennen, doch trotz des Namens fühlte es sich ungesund an.

Gewinner waren wir in dieser Nacht im Herbst 2009 beide nicht.

Ich ging den Abend noch mal durch: Alle drei Komiker waren von der Bühne gebrüllt worden, ein beachtlicher Teil des Publikums hatte Bekanntschaft mit den Kampftechniken der Türsteher gemacht, und ich hatte einen weiteren Samstagabend in einem dunklen, britischen Keller-Club verbracht. Die Bezahlung für den Auftritt war miserabel, es regnete, und ich hatte meinen Zug vor der Nase wegfahren sehen.

Und doch war ich glücklich – denn ich war genau am richtigen Ort.

Schließlich stand ich am Anfang einer Mission: Ich wollte es als Komiker in England schaffen.

Als Jugendlicher hatte ich vor dem weltberühmten Londoner Comedy Store gestanden und gesagt: „Eines Tages trete ich hier auf. Eines Tages!“

Das war mein Ziel, da wollte ich hin.

Und ich wusste, dass ich dafür leiden musste, je mehr, umso besser.

In dem Moment dachte ich an Diego Maradona, den größten Fußballer aller Zeiten.

Er spielte als Kind in Villa Fiorito, einem bettelarmen Vorort von Buenos Aires, den ganzen Tag Fußball, jeden Tag. Er machte nichts anderes, ging nur zum Schlafen und Essen nach Hause. Wenn es denn mal etwas zu essen gab.

Bei Anbruch der Dunkelheit spielte er weiter. Der Ball war kaum noch zu sehen, dennoch dachte Diego gar nicht ans Aufhören: „Es war dunkel, wir haben nichts mehr gesehen. Aber wir wussten, wenn wir in der Lage waren, im Dunkeln zu spielen, würden wir im Hellen unschlagbar sein.“

 

Nun hatte sie also begonnen, meine Zeit als deutscher Komiker in England, und ich hatte diesen Diego-Maradona-Moment: Let the games begin! Ich war bereit für viele dunkle Spiele.

Und die Engländer sollten mich nicht enttäuschen . . .

 

 

 

Alles gerät ins Wanken

– Experte fürs Scheitern –

 

 

Juni 2016, knapp sieben Jahre später. Ich sitze bei Markus Lanz im Studio und kommentiere die Tatsache, dass meine Wahlheimat nicht mehr europäisch sein will. Brexit ist das Wort der Stunde, und ich habe seit Tagen kaum geschlafen. In den vergangenen 48 Stunden waren es sicher zehn Interviews, das längste davon im Studio der Deutschen Welle. Sechs Stunden lang kommentierte ich dort mit anderen „Experten“ die eingehenden Wahlergebnisse. Vor sieben Jahren von der Bühne gebuht, heute schon Experte – so schnell kann’s gehen.

In den folgenden Stunden fiel dann das Britische Pfund auf Rekordtief und mein Energielevel gleich mit. Und jetzt sitze ich also im ZDF-Studio und werde als „deutscher Komiker in London“ angekündigt (wobei ich ja heute Abend eher Londoner Komiker in Deutschland bin).

Es ist aber auch verrückt, vor ein paar Tagen ist England aus der EU und gestern auch noch aus der Europameisterschaft ausgeschieden, ausgerechnet gegen Island, ein Land in dem es ungefähr so viele Menschen gibt wie hier im Lanz-Studio.

Ich hatte es geahnt, ein Referendum, so etwas ist nie eine gute Idee. Jetzt ist England raus, und der ehemalige französische Präsident Jacques Chirac hat wohl doch recht behalten: „Man kann Menschen einfach nicht vertrauen, die so schlecht kochen.“

 

Nach der Sendung sitze ich im Hotel und kann vor lauter Müdigkeit nicht schlafen.

Ich fühle eine Art Liebeskummer, denke über meine Beziehung zu England nach. In dieser historisch schwierigen Woche für Großbritannien bin ich nicht da. Ausgerechnet!

Ich fühle mich schlecht und muss etwas tun. Also schalte ich den Wasserkocher ein – eine klassisch britische Übersprungshandlung: erst mal ein Tee. Dann setze ich mich auf die Couch und schreibe meinen Londoner Freunden Handy-Nachrichten aus Hamburg-Altona. Alle antworten sofort, denn an Schlaf ist bei keinem von uns zu denken. Komischerweise fühlen wir uns durch den Brexit zusammengehöriger denn je: wie die Kinder nach der Trennung der Eltern.

Und als europäisches Scheidungskind schießen mir sofort existenzielle Fragen durch den Kopf. Werde ich weiter pendeln können, oder muss ich mich für ein Land entscheiden? Und wer bekommt mich am Wochenende?

All das passiert in meinem siebten Insel-Jahr, im verflixten.

Es ist der ideale Moment, um von meinem England zu schreiben, von meinen ersten Auftritten dort, vom harten Kampf am Londoner Comedy- und Wohnungsmarkt, von Niederlagen, Peinlichkeiten, von Siegen und von meinen Freunden, den Engländern, diesem lustig-bierseligen Inselvolk, das mich aufgenommen hat und dessen Humor ich so sehr lieben gelernt habe, denn:

„Das ist typisch britisch. Wir nehmen uns selbst einfach nicht so ernst, wie andere Nationen das tun.“ Joan Collins

 

 

 

Und ich sterbe tausend Tode (1. Akt)

– Albtraum-Auftritte –

 

 

„You can’t please all the people all the time.

And last night, all those people were at my show.“

Mitch Hedberg

 

Die beliebteste Frage an einen Komiker lautet: „Was war dein schlimmster Auftritt bisher?“

Mir wird sie mindestens einmal pro Woche gestellt. Ich frage dann meistens zurück: „Was war dein schlimmster Arbeitstag bisher?“

Der Grund, warum nie jemand nach dem besten Auftritt oder der schönsten Erfahrung fragt, ist derselbe, aus dem auch ein Stuntman nie nach seiner gelungensten Aktion gefragt wird. Ein Unfall wird bei der Übertragung eines Formel-1-Rennens zwanzigfach wiederholt, eine schön gefahrene Kurve nur einmal, wenn überhaupt. Scheitern ist lustiger als Gelingen, das weiß jeder Clown. Stolpern erzeugt Lacher, Laufen nicht.

„Du bist immer nur so gut wie dein letzter Gig“, lautet daher eine beliebte Weisheit im Showgeschäft. Und es stimmt: Ein schlechter Auftritt nagt an einem, ein guter wird als selbstverständlich abgehakt. So sind die Leute oft überrascht, dass ich nach einem schlechten Gig nicht dableibe und die Bar leertrinke. Ich flüchte. So machen es meiner Erfahrung nach alle Kollegen. Nach einer guten Show bleibe ich, nach einer schlechten will ich nur noch weg, wie bei der Flucht nach einem Verbrechen. Auf schnellstem Wege raus, am besten durch die Hintertür.

In meinem ersten Jahr in England – ich war noch wahnsinnig unerfahren im Umgang mit besoffenen Meuten – trat ich an einem Freitagabend im südenglischen Bournemouth auf. Wochenend-Gigs sind generell eine wilde, alkoholschwangere Angelegenheit in Großbritannien. Zum Vergleich: In Deutschland riecht es im Comedy-Club direkt nach dem Einlass nach Parfum, in England nach einer intensiven Wodka-Mischung. Gerne aus 1-Liter-Cocktail-Eimern. Die feine englische Art eben.

Freitagsauftritte sind dabei noch schlimmer als die Shows am Samstag. Denn freitags geht es direkt nach der Arbeit in den Pub. Von dort auf eine Tüte Pommes in den Chip-Shop, dann in den Comedy-Club. Bei Spätshows gibt es zwischen Chip-Shop und Comedy-Club noch einen zusätzlichen Programmpunkt: einen weiteren Pub. Oft wird dann schon beim Einlass ein wenig aussortiert, sodass trotz ausverkaufter Veranstaltung gerne mal Plätze im Club frei bleiben. Those people didn’t make it. Generell hat in England jeder Comedy-Club mindestens einen Türsteher, die meisten eher zwei oder drei. Und das aus gutem Grund: rausgeworfen wird immer.

Einmal lief in einem Liverpooler Club ein halbes Dutzend übergewichtiger englischer Hausfrauen in Stöckelschuhen zurück in Richtung ihrer Sitze, sie kamen direkt von der Bar. Die Damen wankten stärker als die Wuppertaler Schwebebahn und hielten jeweils zwei volle Getränke in ihren Händen. In einer Mischung aus Pech und Physik kam nun die erste Dame ins Trudeln, sie stolperte und fiel. Alle anderen stolperten mit und landeten dabei weicher als sie, nämlich auf der Ersten. Ein Spektakel! Die sympathische Gruppe kam nicht mehr richtig hoch und stellte dann vor Freude gackernd und auf dem Boden liegend fest, dass es da unten auch lustig wäre. Die drei Türsteher-Schränke kamen und versuchten die Damen zum Aufstehen zu bringen. Die Show müsse beginnen, und man liege im Weg: „We can’t start the show with a pile of women blocking the fire exit.“

Doch der Aufräumversuch misslang. Es half nicht, dass sie alle Schwarz trugen. Der Frauen-Berg lachte, die Türsteher verzweifelten, wollten sich nicht verheben und beschlossen, Verstärkung aus dem angeschlossenen Night Club zu holen. Schließlich beförderten fünf (!) Türsteher die Damen einzeln nach draußen. Die tumultartige Szene war vorbei, der Notausgang wieder frei, und die Show konnte beginnen. Solch ein Vorprogramm würde jede Show der Welt besser machen.

In der Regel treten in einem Comedy-Club neben dem Moderator aber keine betrunkenen Hausfrauen auf, sondern drei Komiker, für jeweils 20 Minuten. Nach jedem Comedian gibt es eine Pause. Nachtanken!

Das gilt nicht zuletzt für Auftritte in einer Stadt wie Bournemouth.

Genau wie Blackpool oder Newcastle ist Bournemouth eine Party-Stadt, eine Hochburg für Junggesellenabschiede. In diese Städte fallen jedes Wochenende Tausende feiersüchtige Gruppen ein, die einen unvergesslichen „Stag Do“ (Junggesellenabschied), „Hen Do“ (die weibliche Variante) oder „Birthday Do“ erleben wollen. Je unvergesslicher dieses Wochenende werden soll, umso mehr wird getrunken, und an entsprechend weniger Erlebtes erinnern sich die Teilnehmer später. Aus einem geplant unvergesslichen Wochenende wird ein komplett vergessenes. Das Gute daran ist, dass man sich dann wenigstens an die eigenen Errungenschaften (nur ein ignoranter, nüchterner Beobachter würde sagen: Peinlichkeiten) nicht mehr erinnert. Amnestie durch Amnesie. Und die Peinlichkeiten sind zahlreich: halbnackte Frauengruppen mit großen Aufblaspenissen in der Hand, halbnackte Männergruppen mit ähnlichen Dingen, jedoch in der plastikfreien Natur-Ausführung.

Die Hotels in diesen Städten sind auf solche Gruppen perfekt eingestellt. Die Hotelzimmer gleichen Hochsicherheitsgefängniszellen, in denen selbst die Gallagher-Brüder nichts zum Randalieren fänden. Alles ist festgeschraubt, vergittert und verschweißt. Ich habe auf Tour schon in Dutzenden solcher Hotelzimmer übernachtet, denn bei rechtzeitiger Buchung kosten sie weniger als eine Runde Bier im Pub. Und für unter 30 Pfund bekommt man dann eben keine Suite, sondern ein EZ: eine Einzelzelle.

Das große Saufen fängt für die Wochenendtouristen immer schon auf der Zugfahrt an. Ein Aufenthalt in englischen Regionalzügen an einem Freitagnachmittag gleicht daher eher einer Fahrt mit dem Bier-Bike durch den Düsseldorfer Karneval. Ich war an jenem Freitag also sehr froh, als mir der Moderator der Show anbot, mich aus London mit dem Auto mitzunehmen. Zum einen macht so ein Roadtrip mit einem anderen Komiker fast immer Spaß, zum anderen konnte ich so der wilden Zugfahrt im überfüllten Ballermann-Express entgehen. Außerdem fühlt man sich gemeinsam etwas weniger ausgeliefert bei so einem Gladiatorenkampf, der offiziell als Comedy-Veranstaltung verkauft wird.

Als der Moderator die Show in Bournemouth eröffnete, glich der Saal, der eigentlich ein großer Nachtclub ist, tatsächlich einer Mischung aus einer Arena im alten Rom, einem Fußballstadion und dem Fight Club: Es wurde gegrölt, es wurden Dinge geworfen, die Meute war nach Geschlechtern getrennt, und man verstand sein eigenes Wort nicht. Gut, dass mein Beitrag ausschließlich aus Worten bestehen würde. Ich beobachtete den Moderator, der diesen Gig schon mehrmals absolviert hatte. Er tat genau das Richtige: Er kletterte auf die Sitze der ersten Reihe und fing an, alle Gruppen im Publikum einzeln zu beleidigen. Der Saal tobte. Und ich lernte mal wieder neue englische Schimpfwörter. Es wurde Zeit für den ersten Comedian, einen Australier names John, mit dem ich schon mehrmals aufgetreten war. John ist ein guter Komiker, der schwierige Räume eigentlich immer in den Griff bekommt. Aber das hier war irgendwie anders. John kam auf die „Bühne“, das heißt, er trat in den Bereich, auf den alle Menschen im Saal blickten und der eigentlich eine Tanzfläche war. John sollte, wie wir alle, ein zwanzig Minuten langes Set spielen. Die ersten anderthalb Minuten liefen ganz gut. Dann kippte die Stimmung, und es wurde zu einem Debakel. Nach kurzer Zeit kamen „Off! Off! Off!“-Rufe aus dem Publikum, und ich hatte das Gefühl, einer Massenkarambolage in Zeitlupe zuzusehen. Es war schlimm, aber gleichzeitig unmöglich wegzusehen. John zog durch und spielte fast zwanzig Minuten lang. Dann: Pause. Ich war gewarnt und befürchtete das Schlimmste. Und wie sich herausstellte, sollten selbst meine kühnsten Horror-Erwartungen noch übertroffen werden. Nach der Pause nahm sich der Moderator wieder das Publikum vor und feuerte ein Arsenal an Beschimpfungen ab. Er hatte sicher mal als Raubtier-Dompteur im Zirkus gearbeitet oder das Drehbuch zu Full Metal Jacket auswendig gelernt. Wahrscheinlich beides. Er bekam die Masse zwar nicht in den Griff, amüsierte sie aber immerhin durch Beleidigungen: man schaukelte sich noch weiter hoch. Klasse, und jetzt kam ich.

Für gefühlte 45 Sekunden lief bei meinem Auftritt alles fantastisch, die Hälfte des Publikums hörte sogar zu. Dann ging es steil bergab: Plötzlich stand ich nackt vor der Schulklasse, ohne Hausaufgaben, mit Live-Übertragung in der ARD, zur besten Sendezeit direkt nach der Tagesschau. Ein Albtraum.

Ich erinnere mich, dass einer aus dem Publikum aufstand und den Saal verließ, was mich neidisch werden ließ: Ich wollte auch.

Ich schwitzte und bekam einen trockenen Mund, außerdem fing ich an, schneller zu werden und lauter zu sprechen. Alles typische Fehler, die man als Komiker macht, wenn es nicht läuft. Ich habe knapp 17 Minuten durchgezogen und bin dann geschlagen von der Bühne geschlichen. Das war’s, nie wieder Stand-up, nie wieder Comedy.

Der Veranstalter sagte mir auf dem Weg nach draußen noch: „Keine Sorge. Den meisten Comedians ergeht es hier noch viel schlimmer.“ Was für ein Trost. Irgendjemandem geht es ja immer noch schlechter: „Sie haben nur noch drei Monate zu leben. Aber kein Grund zur Traurigkeit, andere sterben schon morgen.“

Ich verschwand durch die Hintertür und verabschiedete mich von niemandem, außer von meinen Träumen.

Kurz danach verpasste ich meinen Zug und saß schließlich in jenem besagten Wartesaal am Bahnhof, neben mir der Fruit-Machine-Spieler.

Ich hatte realisiert, dass manche Schlachten einfach nicht zu gewinnen sind. Cut your losses, sagt der Engländer. Manchmal muss man also einfach damit leben, dass nicht viel zu holen ist. Wenn die äußeren Umstände nicht stimmen, ist ein Unterfangen nun mal in vielen Fällen zum Scheitern verurteilt. Und eine Comedy-Show ist da ähnlich empfindlich und von den äußeren Bedingungen abhängig wie Segeln, Skispringen oder ein Picknick. Das Licht muss stimmen (Comedian hell, Publikum dunkel), der Ton (laut genug, aber nicht zu laut), der Raum (niedrige Decke, niedrige Bühne) und der Alkoholpegel im Publikum sowieso (nicht zu nüchtern, aber auch nicht zu voll, im Idealfall genau 0,62 Promille). Es gibt so viele Faktoren, die einem als Komiker das Leben schwer machen können. So ist es zum Beispiel immer problematisch, wenn einige Zuschauer nicht freiwillig da sind, was oft bei Firmenauftritten oder Weihnachtsfeiern der Fall ist. Diese Gäste wollen dann reden, trinken und die Kollegin oder den Kollegen abschleppen. Da störe ich auf der Bühne einfach, man fasst sich dann besser kurz.

Das galt auch, als ich gebucht war für einen Auftritt in einem Pub, der sein 100-jähriges Bestehen feierte. Was ich nicht wusste: Der Wirt hatte sich die Comedy-Show als Überraschung für seine Gäste ausgedacht, die alle nichts davon wussten, sondern lediglich gekommen waren, um sich zu unterhalten und Bier zu trinken. Und diese Gäste sollte ich nun 40 Minuten lang zum Lachen bringen, ohne dass sie es gewollt hätten. Ein klassischer Fall von Nötigung. Mein Platz war in einer Ecke, neben dem Tresen, direkt unter einem großen Flachbildfernseher. Darin lief Fußball, darunter stand ich. Der Wirt drehte unter lautem Protest den Fußball-Ton ab und kündigte mich voller Enthusiasmus an. Außer ihm lächelte keiner – ich lediglich ein wenig aus Angst. Ich musste also nun einen Pub voller angetrunkener Fußballfans davon überzeugen, dass ich ein besseres Unterhaltungsprogramm darstellte als das Spiel Arsenal gegen West Ham United. Und dort waren schon vier Tore gefallen. Der Wirt bemerkte schnell die ansteigende Aggression und realisierte, dass seine Idee nicht Friedensnobelpreis-verdächtig war. Doch noch flogen keine Gläser, und nach und nach fingen sogar einige der Fußballfans an, über meine Gags zu lachen. Vor allem die Tatsache, dass ich meine missliche Lage zum Thema machte, kam gut an. In England lacht man gerne über den Loser, vor allem wenn er über sich selbst lacht. Mein Glück war, dass ich die Verlierer-Rolle exklusiv hatte, denn beim Fußballspiel stand es 2–2. Immer mehr Fans fingen an, mir zuzuhören, und die Zeit beschleunigte sich wieder – denn nichts fühlt sich so sehr nach Zeitlupe an, wie wenn man beim Auftritt den Künstlertod stirbt. Wenn es gut läuft, verfliegen die Minuten hingegen in rasender Geschwindigkeit. Daher tragen die meisten Stand-up-Comedians eine Armbanduhr, um die Verbindung zur Echtzeit nicht zu verlieren. Subjektive und objektive Zeit waren schon für Einstein nicht identisch. Das haben Physiker und Komiker wohl gemein.

Der Auftritt vor den Fußballfans lief nun also besser und besser, außerdem war gleich Halbzeit beim Spiel. Ich zog durch und hatte am Ende fast die Hälfte der Kneipenbesucher auf meiner Seite, immerhin. Es war kein Spaziergang, aber ich hatte überlebt. I had cut my losses.

„Wahnsinn ist, wenn man wiederholt das Gleiche tut, aber andere Resultate erwartet“, hat der eben erwähnte Albert Einstein mal gesagt. Man darf sich nicht mehrfach in die gleiche dumme Situation bringen. Ich wusste also, dass ich ab sofort immer vorab fragen würde: Wissen die Leute, dass da eine Comedy-Show stattfinden wird? Diese Vorab-Frage an den Veranstalter hat mich danach vor mancher Krisensituation bewahrt. Aber eben nicht vor allen.

Unvergesslich bleibt ein Auftritt bei einem Tontaubenschieß-Event vor zwanzig Lords in den englischen Midlands. Der ärmste Zuschauer im Saal hatte immer noch genug Grundbesitz, um die nächsten Olympischen Spiele im Alleingang auszutragen. Old Money, wie der Engländer sagt. Menschen, die sich gerne abgrenzen von Neureichen: „Ein abscheulicher Kerl. Jemand, der seine Möbel selbst gekauft hat.“ Und das sollte nun mein Publikum sein. Vielleicht hatte ich ja eine Chance, weil ich zumindest nicht New Money war. Wie sie wohl auf No Money reagieren würden?

Der Auftritt verlief schon kurios, bevor er überhaupt angefangen hatte. Ich wurde mit einem Bentley von dem Comedy-Club abgeholt, in dem ich am frühen Abend aufgetreten war. In der Luxus-Limousine ging es dann über Landstraßen, durch kleine Dörfer, hinein in eine sehr dunkle Gegend, menschenleer und stockfinster. Wie ich es mir gedacht hatte: Die Lords wollten unter sich sein. Der einzige externe Gast war ich, der Hofnarr. Plötzlich erschien ein heller Punkt in der Dunkelheit, wir näherten uns dem Ziel. Das Anwesen war beeindruckend, mit einer Vielzahl klassischer Luxusautos in der gigantischen Kiesauffahrt, eingerahmt von perfekt frisiertem Buchsbaum. Ich fühlte mich ein bisschen wie James Bond, nur dass ich statt schießender Manschettenknöpfe Gags im Gepäck hatte. Auf jeden Fall war ich gespannt. Ich wurde ins Foyer geführt, wo mich der Präsident der antik-noblen Tontaubengruppe empfing. Er war gekleidet wie Prince Charles bei der Jagd im schottischen Hochland und sprach ein beinahe zur Parodie verkommenes Oxford-English: „Sir, you must be the German gentleman who we’ve hired for our entertainment.“

Ich gab ihm recht und er mir im Gegenzug einen Umschlag voller Geld. Herzlichen Glückwunsch, genau das hatte bisher gefehlt, damit ich mich vollends als Nutte oder Tanzbär fühlte.

Mir kam eine Idee: Jetzt habe ich das Geld ja schon, könnte ich nicht flüchten? Dann erinnerte ich mich aber daran, dass das hier ja gar keine Entführung war. Und selbst wenn ich gewollt hätte, so wäre ich niemals von dort weggekommen. Wir waren schließlich mitten in den nächtlichen Midlands, und man hatte mich schlauerweise vom eigenen Fahrdienst abhängig gemacht. Also doch eine Entführung? Auf jeden Fall fühlte ich mich ausgeliefert, klein und entmündigt – und der Auftritt hatte noch nicht einmal angefangen. Doch es sollte noch schlimmer werden. Mir wurde zunächst vom Personal ein Getränk angeboten: „Wein, Whisky oder Champagner?“ Ich nahm ein Bier und wurde seltsam beäugt. Der Präsident sagte: „Ich kündige Sie den Mitgliedern an, Sie machen 30 Minuten Comedy-Programm, und im Anschluss spielt ein Jazz-Trio. Auf das Jazz-Trio freuen sich schon alle.“

„Na dann. Stehen die Instrumente etwa schon auf der Bühne?“

„Natürlich, junger Freund.“

„Wissen die Leute, dass auch Comedy auf dem Programm steht?“

„Nein, das ist eine Überraschung.“

Da war es wieder, das Ü-Wort. Ich seufzte innerlich laut auf und begrub jede Hoffnung. Ich sagte, dass ich noch auf mein Bier warte und wir dann anfangen können. Der Präsident hatte nicht zugehört, ging nach nebenan und moderierte mich an. Noch eine Überraschung!

Ich lief also eiligen Schrittes in den Saal, der Applaus reichte aber nicht. Ich erreichte das Mikrofon und die ausgestellten Instrumente des Jazz-Trios in absoluter Stille. Erst jetzt sah ich das ganze Ausmaß der Katastrophe: Vor mir standen fünf große Dinner-Tafeln mit weißen Tischdecken, Kristallgläsern, Champagner-Kühlern und Zigarrenkisten. Um die Tische herum saß ein Dutzend älterer Herren, in feinster Tweed-Garderobe, einige mit Dame, einige ohne. Drei der Herren schliefen mit dem Kopf auf dem Tisch: Völlerei, die höchstklassige aller Todsünden.

Es sah aus wie ein Gemälde von Rubens, ich nannte es „Das Gelage im Club der Tontaube“, trotz der vielen Menschen darin war es ein Stillleben. Besser gesagt: ein Still-Leben. Und diese unerträgliche Stille musste weg, irgendeiner musste etwas sagen. Und da ich als Einziger dafür bezahlt wurde, ergriff ich Mikrofon, Mut und Wort und begann meinen Auftritt mit ein paar Standard-Gags, die eigentlich immer funktionieren. Doch dieses Mal: nichts. In der Regel beginnt und beendet jeder Komiker seinen Auftritt mit dem stärksten Material. Daher weiß man, wenn die ersten Gags nicht zünden, schon sehr schnell: Das wird mein Untergang. Und dieses Mal war es schlimmer denn je. Ich fühlte mich wie der Zirkusdirektor, kurz nachdem der Artist vom Trapez abgestürzt ist. Der sagt in dem Falle: Schickt die Clowns rein!

Aber was tun, wenn es umgekehrt läuft? Wenn es beim Clown schiefgeht? Wen schickt man dann rein? Ich musste umdenken, Plan B musste her. Aus Erfahrung wusste ich, dass bei geschlossenen Veranstaltungen der Gast-Redner zuerst seine Anwesenheit rechtfertigen und begründen muss, um dem Publikum klarzumachen, warum sie ausgerechnet ihm, einem Externen, ihre Aufmerksamkeit schenken sollen. Diese könnten die Herrschaften schließlich stattdessen auch dem Champagner, der Tischdame und der Zigarre widmen. Wichtig ist daher, in dem Falle die Gäste einzubeziehen, ihnen zu zeigen, dass es eigentlich um sie geht. Das stimmte natürlich nicht, aber ich musste es so aussehen lassen.

Ich begann also mein altreiches Publikum anzusprechen, zu befragen und aufzuziehen. Ich fragte nach dem Ärmsten im Saal, nach dem Reichsten, dem Ältesten und dem Besoffensten. Nach dem schlechtesten und nach dem besten Tontaubenschützen. Zu jedem ließ ich mir einen Gag einfallen und führte die jeweilige Person in einem kurzen Gespräch vor. Mir kam ein Grundprinzip der Comedy zupass. Der Komiker darf demnach generell nur nach oben schlagen, nicht nach unten. Ein Witz über einen Promi oder über einen Banker ist okay, ein Gag über ein Flüchtlingskind eher nicht. Ich komme also in der Regel nur mit einem Gag davon, wenn er eine Person angreift, die einen höheren Status inne hat als ich selbst. Da ich hier im Saal den mit Abstand geringsten Status verkörperte, war ich auf der sicheren Seite, ich konnte austeilen. Was im Übrigen auch meiner momentanen Grundstimmung entsprach. Der Ärger über meine Zusage für diese Veranstaltung ließ sich daher wunderbar in Angriffsenergie umwandeln. So teilte ich aus und begann die Lords zu attackieren, und in drei Fällen auch zu wecken. Es fing an mir Spaß zu machen, und den meisten Anwesenden nach und nach auch. Abgesehen von demjenigen, den ich mir gerade vornahm. Es war kurios, ich hatte die ersten zwei Minuten vergeblich damit verbracht, geschriebenes Material vorzutragen. Die folgenden 28 nutzte ich, um zu improvisieren, indem ich die Lords verbal grillte. Kein einziger geschriebener Gag mehr, nicht einer! Man war amüsiert, und ich moderierte schließlich das Jazz-Trio an und mich selber ab. Der Saal johlte und klatschte – ob es mir galt oder dem freudig erwarteten Jazz-Trio? Wahrscheinlich: a little bit of both.

Direkt nach dem Auftritt war ich stolz und überrascht zugleich, es hatte funktioniert.

Beim anschließenden Bier in der Lobby kam der Präsident erneut auf mich zu: „Im Prinzip haben Sie sich ja eine halbe Stunde lang nur über uns lustig gemacht – aber wir fanden es großartig!“ Ich nahm dieses seltsame Lob gerne an. Er hielt mir erneut einen Umschlag hin und fragte: „Haben wir Sie eigentlich schon bezahlt?“

Ich überlegte, ob ich zu meinem Old Money auch noch ein bisschen New Money annehmen sollte. Dann antwortete ich aber gönnerhaft: „Behalten Sie das Geld! Ich hab’s umsonst gemacht. Geben Sie es dem Jazz-Trio!“ So fühlte ich mich doch noch als Gewinner des Abends und ging heimlich triumphierend zum bereitstehenden Bentley.

Christian  Schulte-Loh

Über Christian Schulte-Loh

Biografie

Christian Schulte-Loh wurde zwar 1979 am Rande des Ruhrgebiets geboren, sieht aber aus wie ein Engländer. Auf der Insel ist er nun seit acht Jahren als Komiker erfolgreich, tritt im legendären Londoner Comedy Store auf und immer wieder als Gast bei der BBC. Das britische Publikum feiert den...

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Ruhr Nachrichten

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Bremer Nachrichten

„Herrlich grotesk klingen die ausgesprochen skurrilen Erlebnisse aus dem neuen Buch.“

Dülmener Zeitung

„Christian Schulte-Loh hat einen wunderbaren deutschen Humor, den auch die Engländer inzwischen anerkennen.“

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