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Weimar unter Palmen – Pacific Palisades

Thomas Blubacher
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Die Erfindung Hollywoods und das Erbe des Exils

„Eine ungemein lesenswerte Publikation“ - Neue Züricher Zeitung

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Weimar unter Palmen – Pacific Palisades — Inhalt

Von Glamour und großen Geistern

Wo man ab 1911 im modernsten Filmstudio Amerikas Western drehte und 1922 das größte christliche Zentrum der Welt errichten wollte, versammelten sich nach 1933 emigrierte KünstlerInnen und Intellektuelle wie Thomas Mann, Vicki Baum und Lion Feuchtwanger. Sie machten Pacific Palisades zu einem „Weimar unter Palmen“. Dieses Buch erzählt die dort bis heute lebendige Geschichte des deutschsprachigen Exils, entwirft ein farbenfrohes Sittengemälde Hollywoods und nimmt uns mit auf eine Reise zu diesem besonderen Ort. 

€ 24,00 [D], € 24,70 [A]
Erschienen am 13.10.2022
272 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag
EAN 978-3-492-07207-6
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€ 23,99 [D], € 23,99 [A]
Erschienen am 13.10.2022
272 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60212-9
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„Eine ungemein lesenswerte Publikation“
Neue Züricher Zeitung

Leseprobe zu „Weimar unter Palmen – Pacific Palisades“

Ein wahres Schloss am Meer

Die Luft ist frühlingshafte 22 Grad mild, es riecht nach Bougainvilleen und frisch geschnittenem Gras. Kolibris schwirren durch den blühenden Garten der Villa Aurora. Bei mir zu Hause in Basel zeigt das Thermometer jetzt, im Januar 2002, zehn Grad minus. In New York, wo ich einen Zwischenstopp eingelegt habe, um in der Public Library für mein Projekt zu recherchieren, die erste Biografie der 1935 ins amerikanische Exil gegangenen Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn, war es in den letzten Tagen kaum wärmer. Von [...]

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Ein wahres Schloss am Meer

Die Luft ist frühlingshafte 22 Grad mild, es riecht nach Bougainvilleen und frisch geschnittenem Gras. Kolibris schwirren durch den blühenden Garten der Villa Aurora. Bei mir zu Hause in Basel zeigt das Thermometer jetzt, im Januar 2002, zehn Grad minus. In New York, wo ich einen Zwischenstopp eingelegt habe, um in der Public Library für mein Projekt zu recherchieren, die erste Biografie der 1935 ins amerikanische Exil gegangenen Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn, war es in den letzten Tagen kaum wärmer. Von meinem Fenster blicke ich vorbei an einem schattenspendenden Eukalyptusbaum und zwei hohen, dünnen Palmen, wie sie das bekannte Straßenbild von Los Angeles prägen, auf die Bucht von Santa Monica, deren Lichter nachts funkeln, und auf den spiegelglatten, offenbar wirklich stillen Ozean. Hier, im unmittelbar am Meer gelegenen Stadtteil Pacific Palisades, ist von der berüchtigten dicken Dunstglocke der Stadt der Engel nichts zu sehen.

Die im spanischen Kolonialstil erbaute Villa, in der ich drei Monate lang als writer-in-residence wahrlich residieren darf, wirkt unscheinbar vom Paseo Miramar aus, einer Serpentinenstraße, die sich, kurz bevor der Sunset Boulevard auf die Küste stößt, rechter Hand den steilen, von Büschen bewachsenen Hügel hinaufwindet. Von der schmalen Pforte mit der Hausnummer 520 führt eine Treppe hinab zu einem mit Azulejo-Mosaiken versehenen Patio. Erst drinnen und von der Südseite her eröffnet sich die imposante Dimension: 14 Zimmer mit 622 Quadratmetern Wohnfläche, die sich über drei Etagen erstrecken, auf einem 1765 Quadratmeter großen Grundstück. „Ein wahres Schloss am Meer“,[i] staunte Thomas Mann, und Hermann Kesten bemerkte ironisch: „So sollten Schriftsteller wohnen, […] mit zwanzig Zimmern, mit 11 Tausend Büchern […], einem hügeligen Park mit zwei Acres, einer Sekretärin und einer Frau, die kocht, gärtnert, bäckt, chauffiert und dem großen Dichter aufs Ergebenste dient, was für ein Leben.“[ii] Jetzt wohne also ich dort, zusammen mit einer kasachischen Komponistin und einem österreichischen Filmemacher, ohne Sekretärin und Frau natürlich, aber der Garten wird von Juan gepflegt, die famose Betty hält unsere Zimmer in Ordnung – die beiden sind aus Mexiko und Guatemala immigriert –, und unter der Woche kümmern sich Joachim und Claudia im Büro um sämtliche Wünsche. In der Tat: Was für ein Leben.

Vor 60 Jahren war die Villa Aurora einer der wichtigsten Treffpunkte europäischer und amerikanischer Intellektueller. Zu Marta und Lion Feuchtwangers Gästen zählten neben Thomas Mann dessen Bruder Heinrich, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Bruno Frank, Franz Werfel mit Gattin Alma Mahler-Werfel, Arnold Schönberg und Kurt Weill, Ludwig Marcuse und Max Horkheimer, Charles Laughton, Peter Lorre, Ingrid Bergman und Charles Chaplin. Jetzt schlafe ich in Lion Feuchtwangers Bett. Der Schreibtisch, an dem ich arbeite, gehörte einst Franz Werfel. Er saß daran, als sein Herz zu schlagen aufhörte und er von seinem Drehsessel auf den Boden sank. Viele Jahre später wurden Werfels Möbel ebenso in die Villa Aurora gebracht wie ein mäßig bequemes Sofa Hanns Eislers. Auf dem Blüthner-Flügel von Ernst Toch spielt meine Mitstipendiatin, deren künstlerische Kompromisslosigkeit von der Presse gerühmt wird, nun unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nur für uns, leicht konsumierbare Songs von Mariah Carey, aufmerksam beobachtet von Toch, dessen von Gustav Mahlers Tochter Anna geschaffene Büste auf einem Sims steht. Daneben zeigt eine weiße Schrift auf grünem Grund den Weg ins Exil. Heiner Müller, der 1995 als erster Gast die frisch renovierte Künstlerresidenz sozusagen trockenwohnte, machte mithilfe von Tesafilm aus dem „Exit“ des Notausgangzeichens ein „Exil“. Das Exil als Notausgang, der Notausgang ins Exil. Die 34-registrige Unterhaltungsorgel, die erst noch wieder nutzbar gemacht werden wird, stand von Anfang an hier; einst diente ein solches Instrument als Statussymbol wie später ein Swimmingpool. Hanns Eisler intonierte darauf anlässlich von Feuchtwangers Einzug Üb’ immer Treu und Redlichkeit.

Auch 22 000 Bände aus Feuchtwangers letzter Bibliothek sind in der Villa Aurora geblieben, nur die 8000 wertvollsten Bücher, darunter eine Nürnberger Chronik aus dem Jahr 1493, hat man in der University of Southern California untergebracht. In einer Vitrine werden Feuchtwanger-Memorabilien aufbewahrt: ein Medikamentenfläschchen, ein Brieföffner, Papierscheren, ein Tintenfass, ein Tintenlöscher, eine Lackschatulle, ein kleines Metallkästchen und das Große Bundesverdienstkreuz, mit dem Marta Feuchtwanger 1966 geehrt wurde. Auf einem Zettel kann man in Feuchtwangers Handschrift lesen: „Ich bin ein deutscher Schriftsteller, / Mein Herz schlägt jüdisch, / Mein Denken gehört der Welt.“ Doch wie in einem Museum fühlen wir uns in der Villa Aurora keine Sekunde. Nur als wir ein in die Jahre gekommenes Schnapsglas fallen lassen, durchzuckt uns der beschämende Gedanke, dass es mit ziemlicher Sicherheit Marta gehörte und vielleicht schon Einstein oder Brecht daraus getrunken haben.

Ihre Geister lassen uns in Frieden. Die großen Namen, die uns begegnen, sind andere. Pacific Palisades, das mit seinen 27 000 Seelen wie eine beschauliche Kleinstadt wirkt, mit drei Supermärkten, sieben Tankstellen, keinem Kino, aber immerhin einer bis spätabends geöffneten Buchhandlung im überschaubaren, bezeichnenderweise „The Village“ genannten Zentrum, ist der Wohnort der Reichen und Berühmten. Michael Douglas, Nicole Kidman und Arnold Schwarzenegger sollen hier leben, höre ich, Anthony Hopkins, Sylvester Stallone und Whoopi Goldberg. Tatsächlich sitzt Tom Hanks im Starbucks-Café, wo ich einen Americano trinke, und an der Kasse von Gelson’s wartet Steven Spielberg. Aufgrund seiner abgeschiedenen Lage bietet Pacific Palisades ausreichend Privatsphäre. Anders als in Beverly Hills fahren durch die Straßen keine Busse auf stargazing tour, mit Neugierigen, die die Palazzi der Prominenz ablichten wollen und aufgeregt in jedem Gärtner eine Celebrity vermuten, auch Paparazzi lauern nur selten auf Beute. Wer hier wohnt, hat ohnehin regelmäßig mit Menschen, die die meisten nur von der Leinwand kennen, zu tun, sei es beruflich, sei es beim Elternabend in der Schule.

In einem Nachbarhaus der Villa, in das wir Stipendiaten eingeladen werden, um dort beim unbezahlbaren Blick über das Lichtermeer von L. A. den von einem mexikanischen Dienstmädchen servierten Kaviar in für uns gleichfalls unbezahlbaren Mengen zu löffeln – ein beinahe surreales Erlebnis –, bemühe ich mich um den sozial erforderlichen Small Talk mit einer jungen Frau, die neben mir auf der Couch lümmelt. Ich lobe die bis hin zum passenden Coffee Table Book konsequent balinesische Einrichtung. Meine Gesprächspartnerin bedankt sich, als hätte ich ihr ein Kompliment gemacht, und tatsächlich zeichnet Constance für das interior design verantwortlich. Das alles sei noch ganz neu, viele Häuser würden alle paar Monate anders möbliert und umdekoriert, zurzeit kümmere sie sich um das Anwesen von Sharon Stone. Als ein anderes Mal die Rede auf Tom Cruise kommt, fragt mich Doug, ein arrivierter junger Dramatiker, der gerade an einem Stück über den einst mit Francesco von Mendelssohn befreundeten Pianisten Vladimir Horowitz arbeitet und bei dem ich einige der interessantesten Künstler von L. A. kennenlerne – die meisten links, jüdisch und schwul –, ganz lapidar, ob ich den Megastar treffen möchte: „Shall I call him?“ Viel wichtiger ist mir, dass ich Mickey Rooney kennenlernen darf, der vor fast einem Menschenleben, vor 67 Jahren, in Max Reinhardts A Midsummer Night’s Dream den Puck spielte.

Schon lange vor meiner Ankunft habe ich gelesen, dass Alfred Döblin einst über die „furchtbare Gartenstadt“[iii] jammerte und Vicki Baum monierte, man könne nicht zu Fuß unterwegs sein, ohne sich verdächtig zu machen – was Thomas Mann indes nicht vom täglichen Spaziergang durch die Palisades abhielt. Also miete ich einen tomatenroten Mitsubishi, und schon bald habe ich mich nicht nur an den anfangs für mich beängstigenden Verkehr auf den vielspurigen Highways gewöhnt, sondern auch daran, fast täglich Strecken zurückzulegen wie sonst nicht in Wochen. Autofahren ist in Los Angeles eine Lebensform. Den linken Arm aus dem auf Knopfdruck heruntergefahrenen Fenster gelehnt – zu Hause muss ich natürlich noch kurbeln –, im Radio 94.7 The Wave eingestellt, sause ich zu Smooth Jazz den Paseo Miramar hinab und kaufe im Supermarkt Vons an der Ecke von Sunset Boulevard und Pacific Coast Highway rasch ein paar Bagels, Shrimps oder eine Flasche Cabernet Sauvignon, fahre nach Santa Monica, wo ich das Thai-Restaurant mit dem besten Panang Nua der ganzen weiten Welt ausfindig gemacht habe, oder kutschiere gemächlich auf dem mäandernden Sunset Boulevard durch Beverly Hills in Richtung Hollywood und Downtown, um eine Bibliothek aufzusuchen oder ins Theater zu gehen. Gleich in der ersten Woche stolpere ich eher zufällig in eine meine Vorurteile über kommerzielle amerikanische Spielpläne widerlegende Aufführung von Mephisto nach Klaus Manns Exilroman, im kleinen Actors’ Gang Theater inszeniert vom Hollywoodstar Tim Robbins. Mit Bill Cusack, dem jüngeren Bruder von John und Joan, der die Rolle des Sebastian Bruckner spielt, also quasi Klaus Mann, komme ich in ein langes Gespräch über Deutschland und die Emigration.

Überhaupt erstaunt mich, wie eng verquickt mir die beiden Grundthemen meines Aufenthalts, Hollywood und das Exil, ständig begegnen. Nicht nur als im Garten, auf der großen Terrasse und im Salon der Villa, den wir mittlerweile als unser Wohnzimmer empfinden, die Film- und Kulturszene zusammenkommt, um am Vorabend der Academy-Awards-Vergabe die deutschen Hoffnungen zu feiern. Auf der Steinbank, auf der, wie ein bekanntes Foto dokumentiert, einst Feuchtwanger und Brecht diskutierten, sitzen jetzt Udo Kier und die 68er-Ikone Uschi Obermaier, auf Martas Sofa Jürgen Prochnow und der Muskelberg Ralf Moeller. Apropos Berge: Dass die Lebensgefährtin eines Hollywoodstars, als ich erzähle, ich komme aus der Schweiz, ihre Brüste entblößt, sich rücklings auf dem Teppich rekelt und „Here are the mountains!“ ruft, hätte Lion vermutlich amüsiert – seit ich in seinem Bett schlafe, wage ich, ihn zu duzen.

Als Bühnenregisseur brenne ich darauf, mehr über die in Amerika entwickelten Schauspieltechniken zu erfahren, und als Stipendiat der Villa Aurora öffnen sich mir, auch dank der Hilfe von Claudia und Joachim, sonst verschlossene Türen. Der Schauspieler Ron Gilbert, geboren als Ronald Goldstein und, wie könnte es anders sein, Sohn eines jüdischen Emigranten, verschafft mir Zugang zum legendären Actors Studio. Es ist keine Schauspielschule, sondern eine gemeinnützige Organisation, deren Mitglieder, allesamt arrivierte Profis, ihre Fähigkeiten in einer experimentellen Umgebung verfeinern möchten. Vielleicht dreißig, vierzig von ihnen kommen zweimal pro Woche zusammen, um sich Spielszenen ihrer Kolleginnen und Kollegen anzusehen, von denen manche bereits das Greisenalter erreicht, aber ganz offenbar das Bedürfnis, immer besser zu werden, nicht verloren haben, und um die Arbeit im Anschluss zu kommentieren. Typisch amerikanisch sorgt Ron mit Charme und Chuzpe dafür, dass alle mich beachten. Frances Fisher kenne ich aus dem Blockbuster Titanic als Mutter von Rose, Bruno Kirby aus Filmen wie Birdy, When Harry Met Sally oder City Slickers und natürlich als Vito Corleones Freund Peter Clemenza in The Godfather Part II. Wo meine Kenntnisse erschöpft sind, hilft Ron mir diskret auf die Sprünge, bei Terry Moore etwa, die schon als junges Mädchen nicht nur mit Shirley Temple und Judy Garland drehte, sondern auch mit Emigranten wie Albert Bassermann, später Filmpartnerin von Burt Lancaster und Fred Astaire war und – nach eigenen Angaben – von 1949 an die geheime Ehefrau von Howard Hughes, was Ron selbstverständlich erwähnt und ihr damit ein Lächeln entlockt.

So fahre ich nun immer mittwochs und freitags in die knapp 30 Kilometer entfernte De Longpre Avenue 8341 zum einstigen Haus des Westernhelden William S. Hart, von dessen großer Bedeutung für die Historie von Pacific Palisades ich freilich noch nichts ahne. Als foreign observer darf ich an allen sessions teilnehmen, mich aber nicht zu Wort melden. Später werde ich in New York erleben, wie streng das dort von den moderators Ellen Burstyn, Lee Grant und Estelle Parsons gehandhabt wird. Hier an der Westküste geht alles deutlich entspannter zu, bei Kaffee und Cookies vor Beginn und in den Pausen ohnehin. Wieder bin ich verblüfft ob des unerwartet großen Interesses an deutscher Kultur, erstaunt vor allem darüber, dass man mich ausgerechnet hier, im Mekka des Method Acting, das den typisch amerikanischen Schauspielrealismus, wie er das Hollywoodkino bis heute prägt, zur Vollendung gebracht hat, auf Bertolt Brecht anspricht und dessen Verfremdungseffekt diskutieren will.

Auch der Oscargewinner Martin Landau interessiert sich dafür. Der Sohn eines aus Österreich eingewanderten Juden, welcher darum kämpfte, seine Verwandten vor der Shoah zu retten, besuchte als junger Schauspieler das Actors Studio in New York gemeinsam mit James Dean und Steve McQueen, jetzt teilt er sich die Leitung des Studios West mit Mark Rydell, dem Regisseur von Filmen wie On Golden Pond mit Katharine Hepburn und Henry Fonda oder For the Boys mit Bette Midler. Wie Marty stammt auch Mark von jüdischen Immigranten ab, seine Großväter Abraham Rubinstein und Michael Cohen kamen in den 1880er-Jahren aus Russland nach New York. Vor allem von ihm werde ich in den nächsten Wochen viel lernen.

So allgegenwärtig und groß mir das Thema Emigration in L. A. zu sein scheint, ich schreibe an der Lebensgeschichte zweier Berliner, die in den 1930er-Jahren hierherkamen, und interessiere mich vor allem für die Zeit, in der Pacific Palisades zum „Weimar unter Palmen“ wurde, und das im doppelten Sinne: Zwischen den Bergen und der Bucht von Santa Monica versammelten sich einige der wichtigsten Exponenten des Kulturlebens der Weimarer Republik auf ähnlich kleinem Raum wie einst die bedeutenden Geistesgrößen im Weimar der Goethezeit. Mit Marta Feuchtwanger sei 1987 die letzte Repräsentantin des deutschen Exils in Los Angeles gestorben, heißt es gewöhnlich, und sie war tatsächlich die Letzte aus dem engeren erlauchten Kreis ebenjenes sonnenbeschienenen, palmenbeschatteten Weimars. Noch aber scheint dessen Erbe lebendig, und einige Menschen, die Zeugnis von jener Zeit ablegen können und die ich nun kennenlernen darf, sind trotz ihres Alters höchst agil.

Wenige Meter bergauf von meinem temporären Zuhause lebt im Paseo Miramar 540 der fast 90-jährige Konrad Kellen, der einstige Privatsekretär Thomas Manns. Zwei Jahre nur war er für den „Zauberer“ tätig, vor nunmehr sechs Jahrzehnten, doch nichts scheint präsenter in seinem Leben als der hochverehrte Autor. „Er schrieb damals jeden Tag von neun bis zwölf am vierten Band des Joseph, alles mit der Hand, und gab mir das zur Abschrift“,[iv] erinnert sich Kellen und zeigt in seiner Bibliothek stolz eine gerahmte Fotografie des Dichters, gewidmet „Konrad Katzenellenbogen – dankbar für seine Hilfe“.

Als Konrad Moritz Adolf Katzenellenbogen kam er 1913 in Berlin zur Welt. Seine Familie gehörte zum deutsch-jüdischen Großbürgertum; der Vater Ludwig hatte ein Firmenimperium aufgebaut und war unter anderem Generaldirektor der Brauerei Schultheiß-Patzenhofer. In der Stadtvilla und auf dem stattlichen Rittergut in der Nähe von Oranienburg mit dem schönen Namen Freienhagen verkehrte die beste Gesellschaft, Albert Einstein gehörte zur Verwandtschaft. Kunst und Kultur waren selbstverständlicher Bestandteil des Familienalltags. Die Mutter nannte eine bedeutende Sammlung französischer Impressionisten ihr Eigen, der Vater finanzierte das linkspolitische Theater des avantgardistischen Regisseurs Erwin Piscator und heiratete 1930 in zweiter Ehe die Schauspielerin Tilla Durieux, die meistporträtierte Frau ihrer Zeit, die unter anderem von Corinth, Kokoschka, Liebermann, Renoir, Slevogt und Stuck gemalt worden war.

Auf Wunsch des Vaters, der sich erhoffte, dass sein Sohn die Nachfolge in der Firmenleitung antreten werde, begann Konrad in Heidelberg das Studium der Rechte, nach einem Semester wechselte er an die Universität München. Dort hielt der Rektor bei einer Gedenkfeier „eine zündende Rede über die herrliche Schlacht von Langemarck“, die im Herbst 1914 in der deutschen Propaganda zum Mythos jugendlicher Kriegsbegeisterung verklärt wurde. Noch heute merkt man Kellen die Erregung an: „Kaum war er damit fertig, ging zu meiner Überraschung und zu meinem Entsetzen ein ungeheurer Jubel der Studentenschaft los. Und ich sagte mir: Um Gottes willen, hier kann man doch nicht leben, besonders nicht als Rechtsstudent. Hier muss ich weg.“ Er übersiedelte nach Paris, hielt sich in Holland und Jugoslawien auf, plante die Auswanderung nach Indonesien – und emigrierte schließlich nach New York. „Da ich es aber weder zu Geld noch zu Ruhm gebracht habe in New York, bin ich nach Los Angeles gekommen, um mein Glück zu versuchen.“

Durch Erika Mann erfuhr er, dass deren Vater einen Sekretär suchte, und bewarb sich. „Wie viele deutsche Knaben und deutsche Mädchen war ich ein Bewunderer seiner Werke, besonders des Felix Krull.“ Thomas Mann fand Gefallen an „Konny“, und so kam dieser ab 1941 täglich zu ihm, tippte jeweils zwei bis drei neue Manuskriptseiten ab und half ihm bei seiner umfangreichen Korrespondenz. Natürlich lernte Konrad auch andere Exilanten wie Bruno Frank, Lion Feuchtwanger oder den Dirigenten Bruno Walter kennen, doch blieb der Kontakt flüchtig: „Die Emigranten waren alles gesetzte Herren, die sich groß über die Zukunft der Welt unterhalten haben, aber ich war in den Zwanzigern und war ein junger Mann.“ Die Faszination, die Thomas Mann auf Kellen ausübte, ist noch heute ungebrochen. „Er war eher ein Hörer als ein Erzähler. Das war den Leuten nie klar, die sich mit ihm über die Welt unterhalten wollten. Er hat zwar gerne zugehört, aber er hat selbst keine großen Aussprüche getan. Das hat die Leute immer frustriert, die glaubten, wenn sie mit dem großen Mann sprechen, dann muss er vor Weisheit nur so träufeln in ihre Köpfe. Wenn ihm jemand von einer Reifenpanne erzählt hat, dann hat das Thomas Mann mehr interessiert, als wenn er ihm seine Meinung über Goethe gesagt hat.“


[i]Ein wahres Schloss am Meer

                       Mann, Thomas: Autobiographisches. Frankfurt am Main 1968, S. 402.

[ii]                     Hermann Kesten an Franz Schoenberner. – In: Kesten, Hermann (Hg.): Deutsche Literatur im Exil. Briefe europäischer Autoren. Wien 1964, S. 295 f.

[iii]                    Alfred Döblin an Hermann Kesten, 10. 1. 1943. – In: Kesten, Hermann: Deutsche Literatur im Exil, S. 228.

[iv]                    Gespräch mit Konrad Kellen am 12. 2. 2002 in Pacific Palisades, ebenso sämtliche folgenden Zitate Kellens.

Thomas  Blubacher

Über Thomas Blubacher

Biografie

Thomas Blubacher, 1967 in Basel geboren und promovierter Theaterwissenschaftler, ist als freier Autor und Bühnenregisseur in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA tätig. Er publizierte mehrere Bücher, u.a. Biografien über die Geschwister Eleonora und Francesco von Mendelssohn, Gustaf...

Pressestimmen
Neue Züricher Zeitung

„Eine ungemein lesenswerte Publikation“

Hamburger Lokalradio „Schwarz auf weiß“

„Die Deutschen hinterließen einige Spuren, denen man in Thomas Blubachers lesenswertem Sachbuch nachgehen kann.“

culturmag.de

„Beeindruckend und berührend, wie Thomas Blubacher die Darstellung starker Kontraste meistert und neben locker-amüsanten Episoden auch das tragische Ende des prominenten, zum überdrehten gigantischen Bühnenspektakel neigenden Max Reinhardt (1873-1943) berücksichtigt.“

Bücher magazin

„Ein erstaunliches Panorama der unterschiedlichen Kunstrichtungen des 20.Jahrhundert und ihrer gegenseitigen Beeinflussungen.“

Die Presse am Sonntag

„Es sind wunderbare Anekdoten, die Blubacher hier erzählt.“

alliteratus.com

„So bietet das Buch insgesamt ein lesenswertes Panorama über diesen Ort und über die Menschen, die hier einige Zeit leben (mussten).“

Börsenblatt

„Thomas Blubacher (…) beschreibt das ›Weimar unter Palmen‹ und die Lebensläufe in der Exilzeit sehr anschaulich.“

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