Lieferung innerhalb 1-3 Werktage
Bezahlmöglichkeiten
Vorbestellung möglich
Kostenloser Versand*
Venezianische LiebeVenezianische Liebe

Venezianische Liebe - eBook-Ausgabe Venezianische Liebe

Gisa Pauly
Folgen
Nicht mehr folgen

Roman

»Wie ein Kurzurlaub von jeglichen Alltagssorgen. (...) So etwas wie schlechte Laune? Garantiert nicht nach wenigen Sätzen von ›Venezianische Liebe‹. - literaturmarkt.info

Alle Pressestimmen (1)

E-Book (9,99 €) Taschenbuch (10,00 €)
€ 9,99 inkl. MwSt.
sofort per Download lieferbar
In den Warenkorb
Geschenk-Service
Für den Versand als Geschenk können eine gesonderte Lieferadresse eingeben sowie eine Geschenkverpackung und einen Grußtext wählen. Einem Geschenkpaket wird keine Rechnung beigelegt, diese wird gesondert per Post versendet.
Kostenlose Lieferung
Bestellungen ab 9,00 € liefern wir innerhalb von Deutschland versandkostenfrei
€ 10,00 inkl. MwSt.
sofort lieferbar
In den Warenkorb
Geschenk-Service
Für den Versand als Geschenk können eine gesonderte Lieferadresse eingeben sowie eine Geschenkverpackung und einen Grußtext wählen. Einem Geschenkpaket wird keine Rechnung beigelegt, diese wird gesondert per Post versendet.
Kostenlose Lieferung
Bestellungen ab 9,00 € liefern wir innerhalb von Deutschland versandkostenfrei

Venezianische Liebe — Inhalt

Hochzeit in Venedig! Maria ist hingerissen, als ihre Tochter Amelie ihr die Vorbereitungen für das Fest überlassen will. Sie kann ja nicht ahnen, dass sie es nicht nur mit Gästelisten und Tischdekorationen zu tun bekommen wird, sondern vor allem mit ihrer Vergangenheit: Leander, der Mann, mit dem sie ein Geheimnis teilt, steht verkleidet auf dem Markusplatz und geigt! Vor zehn Jahren wurde er für tot erklärt, und jetzt verdient er sich als Straßenmusiker seinen Lebensunterhalt. Maria wirft die High Heels von sich und läuft ihm nach. Dumm nur, dass sie nicht die Einzige ist, die ihn erkannt hat. Schlimmer noch, dass es andere gibt, die ein fettes Hühnchen mit Leander zu rupfen haben … Ein rasantes Verwirrspiel quer durch Venedig beginnt. Ob am Ende noch jemand ans Heiraten denkt?

€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 03.07.2017
320 Seiten
EAN 978-3-492-97833-0
Download Cover
€ 10,00 [D], € 10,30 [A]
Erschienen am 11.01.2019
320 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-31420-6
Download Cover

Leseprobe zu „Venezianische Liebe“

Tischkarten, weiße Schleifen, das blaue Strumpfband, das alte Spitzentaschentuch ihrer Großmutter, der Tischschmuck … wenn sie an ihr Gepäck dachte, wurde ihr schlecht. Ein einziger Koffer allein für die künstlichen Blumen! Hoffentlich fand sie einen Träger, der sie nicht übers Ohr hauen wollte. Als sie vor einem halben Jahr den Palazzo, die Kirche und einen Pfarrer mit starken Nerven ausgesucht und die ersten Vorbereitungen getroffen hatte, war sie an einen Dienstmann geraten, der ihr weismachte, eine zarte Frau wie sie könne unmöglich das leichte [...]

weiterlesen

Tischkarten, weiße Schleifen, das blaue Strumpfband, das alte Spitzentaschentuch ihrer Großmutter, der Tischschmuck … wenn sie an ihr Gepäck dachte, wurde ihr schlecht. Ein einziger Koffer allein für die künstlichen Blumen! Hoffentlich fand sie einen Träger, der sie nicht übers Ohr hauen wollte. Als sie vor einem halben Jahr den Palazzo, die Kirche und einen Pfarrer mit starken Nerven ausgesucht und die ersten Vorbereitungen getroffen hatte, war sie an einen Dienstmann geraten, der ihr weismachte, eine zarte Frau wie sie könne unmöglich das leichte Handgepäck mit eigener Muskelkraft befördern. Er hatte tatsächlich donna tenera gesagt, und prompt war sie auf seinen italienischen Charme reingefallen. Bis zur Tür des Palazzos hatte er dann so viel von seinen mutterlosen Kindern, den Kosten für die Beerdigung seiner geliebten Gattin und der teuren Medizin, die sein Vater benötigte, erzählt, dass Maria sich genötigt gesehen hatte, das vereinbarte Honorar zu verdoppeln. Dass er anschließend beschwingten Schrittes auf die Tür des Devil’s Forest, eines düsteren Pubs in der Calle degli Stagneri, zuging, hatte ihr zu denken gegeben. Und dass er, als sie eine Stunde später wieder daran vorbeilief, noch immer dort an der Theke stand, erst recht. So was sollte ihr nicht noch einmal passieren.

„Wir beginnen mit dem Landeanflug auf Venedig. Bitte schnallen Sie sich an und bringen Sie die Rückenlehne Ihres Sitzes in eine aufrechte Position …“

Eine Wolke zerriss, als wäre sie vom Flügel des Flugzeugs berührt und beschädigt worden. Maria sah den fliegenden Wolkenfetzen nach, wie sie zerfransten und sich auflösten. Hoffentlich war es vernünftig gewesen, dass Amelie sich für den hauchzarten Schleier entschieden hatte, der so empfindlich war, dass Cyrill sich die Nägel manikürt und die Hände eingecremt hatte, ehe er ihn in die Hand nahm. Angeblich konnte man ihn schon mit eingerissener Nagelhaut oder einem nachlässig gefeilten Nagel ruinieren.

Amelies Hochzeit! Ihr Baby heiratete! Das Glück flatterte in Maria, als sie daran dachte, wie überwältigt sie gewesen war, als sie ihr Kind zum ersten Mal im Arm gehalten hatte, als Amelie laufen lernte, als sie ihre ersten Worte sprach, als sie eingeschult wurde. Dann ihr erster Freund, Abitur, Studium … und nun die Hochzeit in Venedig. Die feinen Stiche des Unglücks, die sie mahnten, wischte sie beiseite. In diesen Tagen würde sie sich die Vergangenheit nicht vorhalten. Die Entscheidung, die sie vor vielen Jahren getroffen hatte, warf immer wieder ihre Schatten über die Zukunft, aber in Venedig würde sie nur aufblicken, wenn die Sonne schien. Basta!

Unter ihr lagen die Boote zwischen den Inseln wie bunte Perlen auf blauem Samt, winzig und wie zufällig hingeworfen. Was würde sie tun, wenn die Glasperlen, mit denen die Servietten dekoriert werden sollten, den Flug und die rüde Handhabung der Gepäckstücke am Flughafen nicht unversehrt überstanden? Eigentlich hätte es ja sowieso viel mehr Noblesse gehabt, die Perlen vor Ort, von einem der Glasbläser auf Murano, herstellen zu lassen, aber nun war es für diese Entscheidung zu spät. Solche Spezialisten hatten viel zu tun. Aufträge von heute auf morgen? „Impossibile, Signora!“

Während das Flugzeug sank, trat Venedig aus dem Spielzeugparadies hervor und wurde zu einer Stadt aus Häusern, Plätzen, Türmen und Gassen. In welchem Turm sollten die Hochzeitsglocken läuten? Maria drückte die Nase ans Fenster, konnte aber die Kirche, in der Amelie heiraten würde, nicht ausmachen. Sie musste sich unbedingt vergewissern, dass das Glockengeläut keiner Rationalisierungsmaßnahme zum Opfer gefallen war. Wenn sie San Zaccaria verließen, musste auf jeder Piazza Venedigs und in jeder Gasse zu hören sein, dass eine venezianische Liebe ihr Happy End gefunden hatte. Ein Sohn der Stadt schloss den Bund fürs Leben! Die Zeiten, in denen Venedig seine Kirchen für die Eheschließungen von Amerikanern, Japanern, dirndlgeschmückten Bayern oder reichen Hanseaten zur Verfügung stellte, waren vorbei. Wer in Venedig heiraten wollte, musste heutzutage jemand sein, der in Venedig geboren war, in der Stadt lebte oder zumindest Eltern besaß, die dort einen Wohnsitz hatten. Notfalls auch so viel Geld, dass das Privileg mit Schmiergeldern zu erkaufen war. Sandro war zufällig in Venedig zur Welt gekommen, während eines Besuchs seiner Eltern in der Lagunenstadt, als sie glaubten, mit der Geburt ihres Sohnes sei erst vier Wochen später zu rechnen. Dass ihn sein Pass als waschechten Venezianer auszeichnete, hatte seine Eltern dennoch einige tangenti gekostet. Sandro war stolz darauf, in Venedig geboren zu sein. Hätte der Arzt seine Geburt sorgfältiger berechnet, wäre er in Mailand zur Welt gekommen, wo sein Vater eine Strumpffabrik besaß, die Sandro demnächst übernehmen sollte. Amelie und Sandro hatten sich auf einer Messe in Bologna kennengelernt, wo Sandro seinen Vater unterstützte und Amelie sich mit einem potenziellen Kunden traf, der in Deutschland Fuß fassen wollte und dafür eine deutsche PR-Beraterin brauchte.

Unter der Boeing schwankten ein paar Privatflugzeuge über der Lagune, als wären die Piloten nicht sicher, ob sie wirklich landen sollten, und wenn ja, wo der Flughafen sein mochte. Hoffentlich schafften es Amelie und Sandro, zu ihrer eigenen Hochzeit pünktlich zu sein. Vorsichtshalber würde Maria den Pastor fragen, wie gut gepolstert der Zeitpuffer bis zur nächsten Trauung war. Womöglich konnte ein diskreter und heimlich knisternder Händedruck dafür sorgen, dass der Pfarrer im Notfall dem nächsten Brautpaar erzählte, das Kruzifix sei von der Wand gefallen, was zu einer Verzögerung geführt habe. Leider nicht zu vermeiden, so verzweifelt und untröstlich das Gemeindeoberhaupt auch war.

Nun kam der Markusplatz in Sicht, der Dogenpalast, der Campanile. Die Gondeln waren nun von den schnellen Motorbooten zu unterscheiden. Das Bild gestaltete sich immer farbiger, das Leben zwischen den dunklen Gemäuern wurde bunter, je näher sie herankamen. Hoffentlich gefiel Amelie die weiße Spitzenunterwäsche, die Maria gekauft hatte, nachdem die Garnitur, die die Braut selbst ausgesucht hatte, das Opfer eines blauen Sockens geworden war, der die Weißwäsche attackiert hatte.

Die Aufgabe, die vor ihr lag, kam Maria mit einem Mal vor wie der Gang durch ein Labyrinth. So gut auch alles vorbereitet war, ihre wohldurchdachte Organisation würde sich an italienischer Sorglosigkeit reiben, ihre Pläne würde sie gegen unzählige Einmischungen verteidigen müssen. Jeder der geladenen Gäste, die in Kürze ebenfalls in Venedig eintrafen, würde versuchen, seinen Einfluss geltend zu machen, seinen noch besseren Geschmack und sein noch stärker ausgeprägtes Organisationstalent zu beweisen, seine noch praktischere Seite zum Vorschein zu bringen. Am Ende würde sich womöglich die Braut selbst einmischen.

Maria lehnte sich zurück und schloss die Augen. Das Flugzeug setzte hart auf, und im selben Augenblick fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, die Geschenke für Sandros Eltern einzupacken, ein Buddelschiff für den Vater und für die Mutter den Toaster, der das Hamburgwappen ins Brot toastete. Verdammt!

 

Als sie das letzte Mal in Venedig gewesen war und das Haus ausgesucht hatte, war es November gewesen. Der Tourismus in Venedig bestand im Winter hauptsächlich aus einigen wenigen Kulturinteressierten, die mit einem Reiseführer vor dem Gesicht von einer Sehenswürdigkeit zur anderen gingen. Jetzt jedoch, im Sommer, waren die Gassen in der Nähe der Rialtobrücke voll von Venedigbesuchern, die weniger an den Kunstschätzen der Stadt interessiert waren als am italienischen Dolce Vita und an den Museen und Kirchen nur die Treppen zu schätzen wussten, auf denen sie sich ausruhen konnten. Der Lärm war gewaltig, die Anlegestelle an der Rialtobrücke umbrandet von denen, die hinaufwollten, um den Canale Grande zu fotografieren, und denen, die ein Restaurant suchten, das nicht überfüllt war.

Die Trattoria Luce della Laguna auf dem Campo della Fava lag zum Glück trotz ihrer Nähe zur Rialtobrücke so versteckt, dass es einen freien Tisch gab und der Wirt es sich versagte, die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen, weil drei Stühle an diesem Tisch nicht besetzt sein würden. Maria war froh, dass sie dem Rat des Gepäckträgers gefolgt und hier eingekehrt war.

Er hatte sie am Flughafen gleich als Opfer ausersehen und war erstaunt gewesen, dass Maria sich auf sein Angebot einließ, denn die meisten Gepäckträger boten ihre Dienste vergeblich an. In diesem Fall jedoch war sein Auftrag noch größer geworden, als er erhofft hatte. Marias Gepäck war derart umfangreich, dass sie nicht nur jemanden brauchte, der es ihr zum Wassertaxi beförderte, sondern seine Dienste in Anspruch nehmen wollte, bis die Koffer in ihrem Apartment standen. Solche Aufträge waren selten, und der Gepäckträger, der sich als Jacopo vorstellte, war entsprechend begeistert; erst recht, als sich herausstellte, dass das Haus einen Aufzug besaß und er seine Kräfte schonen konnte.

Eigentlich hätte Maria die Koffer sofort auspacken, ihre Wohnung in Besitz nehmen und dafür sorgen müssen, dass der Kühlschrank gefüllt wurde. Aber sie hatte nur die Koffer mit den Brautaccessoires in Cyrills Apartment im Erdgeschoss gestellt, damit er sie bis zur endgültigen Verwendung beaufsichtigte, alles andere musste warten. Sie wusste, dass diese Stunden nach ihrer Ankunft vermutlich die letzten sein würden, die sie ungestört verbringen konnte. Wenn die anderen erst eingetroffen waren, würde es mit der Ruhe vorbei sein.

Sie öffnete ihren Koffer, wühlte so lange darin herum, bis sie ihr weißes Leinenkleid gefunden hatte, und zog sich um. Das Reisekostüm ließ sie einfach auf den Fußboden fallen, Bluse und Unterwäsche ebenfalls, und ging ins Badezimmer. Es schloss sich dem Schlafzimmer an, mit weiß gekachelten Wänden und einem Fußboden mit Schachbrettmuster, altmodischen Objekten und einer Dusche, die weder durch eine Glaswand noch durch einen Vorhang vom übrigen Bad abgetrennt wurde. Maria musste dafür sorgen, dass sie nicht herumspritzte, beließ es bei einer kurzen Erfrischung und trocknete sich schnell ab. Sie verzichtete sogar auf die Bodylotion und schlüpfte in frische Wäsche, obwohl ihre Haut noch feucht war. Dabei fiel ihr Blick dummerweise auf den großen Spiegel, den ein frauenfeindlicher Inneneinrichter ausgerechnet dort angebracht hatte, wo der Lichteinfall denkbar ungünstig war. Der Abschied von der Konfektionsgröße 40 war ihr leider nicht gelungen. Dabei hatte es jede Menge Motivation gegeben. Für die 38er-Ständer in ihrer Boutique hatte sie einige hinreißende Modelle bestellt, von denen sie eigentlich mindestens drei, besser vier im Gepäck haben wollte. Ihre beiden Verkäuferinnen hatten sich sogar solidarisch erklärt und, um ihrer Chefin zu helfen, in der Kaffeepause auf süße Teilchen und Kuchen verzichtet. Und mit welchem Ergebnis? Die beiden trugen nun Größe 34 und sie selbst immer noch 40, mit der deutlichen Tendenz zu 42.

Ihren gleichaltrigen Kundinnen sagte sie oft: „So ist das eben in unserem Alter, völlig normal!“ Und manchmal auch: „Die Hose fällt kleiner aus, eigentlich ist das eine 40, keine 42.“

Aber sich selbst konnte sie nichts vormachen. In ihrer Boutique gab es zu viele Spiegel, wenn sie auch dafür gesorgt hatte, dass sie allesamt von einem günstigeren Licht angestrahlt wurden als der Badezimmerspiegel hier in Venedig. Nur gut, dass sie nach wie vor gerne und äußerst gekonnt High Heels trug. Sie machten sie zu einer Frau, der gutes Aussehen nach wie vor wichtiger war als Gemütlichkeit. Niemand konnte ihr vorwerfen, sie tendiere zu einer Mode, die vor allem bequem war, die in der Taille nicht kniff, beim Sitzen nicht einengte und es gestattete, sich für einen praktischen statt für einen reizvollen BH zu entscheiden. Wer von einer derartigen Idee angefallen wurde, brauchte nur einen Blick auf ihre Schuhe zu werfen, um zu wissen, dass er sich irrte.

Maria fühlte sich müde einerseits und angeregt andererseits. Eine kurze Ruhepause wäre vermutlich richtig gewesen, aber dass sie keine Ruhe finden würde, war ihr genauso klar. Der Gepäckträger hatte recht gehabt. Wer in Venedig Ruhe suchte, war eindeutig am falschen Ort.

Jacopo war ein blonder Italiener mit heller Haut und grünen Augen, der sich als Erstes für sein Aussehen entschuldigte. Er sei dennoch ein echter Italiener, das hatte er bei jeder Gelegenheit betont, wenn es auch nicht den Anschein habe. Bei der Handhabung des Gepäcks war jeder Zweifel an seinen Vorfahren verflogen, und bei der Handhabung seines Mundwerks erst recht. Jeden Handschlag, den er tat, hatte er kommentiert, und bei allem, was er anpackte, laut über sämtliche Alternativen nachgedacht. Er hatte mit sich selbst, mit den Gepäckstücken und mit seinen Ahnen geredet, die angeblich schuld daran waren, dass er sich als venezianischer Gepäckträger durchschlagen musste, über die Köpfe aller Anwesenden hinweg – und nur gelegentlich auch mit Maria. Erst als sie nebeneinander an der Reling des Wassertaxis standen, die Koffer zu ihren Füßen, hatte er dann endlich ausschließlich mit ihr geredet. Bei dieser Gelegenheit hatte Maria von seinem Bruder erfahren, der eine Trattoria an dem Platz besaß, auf den die Fenster ihres Apartments gingen, und ihr dringend ans Herz gelegt, nie woanders als bei Giovanni zu essen. „Seine Spaghetti carbonara – grande!“ Er hatte Daumen und Zeigefinger an die Lippen geführt und genüsslich geschnalzt, wie es nur ein Italiener konnte. „Und sein Pinot Grigio …“ Wenn man seinem Bruder glaubte, war Giovanni der raffinierteste Koch und erfahrenste Weinkenner Venedigs und seine Trattoria Luce della Laguna eine Perle der Gastronomie.

Als Maria durch die Calle degli Stagneri ging, merkte sie mit einem Mal, wie hungrig sie war. Und als sie auf die Brücke trat, die den Canale della Fava überquerte, fiel ihr Blick auf das Schild Luce della Laguna. Prompt kamen ihr die Spaghetti carbonara in den Sinn. Sie stieg die Brücke auf der anderen Seite hinab und überquerte den Campo. In ihrem Innern focht die Hochachtung vor den Schätzen Venedigs einen Kampf gegen ihren leeren Magen, dann entschied sie, dass die Huldigung der Sehenswürdigkeiten für ein Stündchen hintenanstehen durfte. Die Piazza San Marco, dieser Platz aller Plätze, lockte zwar, aber sie wusste eigentlich schon jetzt, dass sie enttäuscht sein würde, wenn sie ihn nach Jahren wiedersah. Der Besuch im November zählte nicht, sie war in Eile gewesen, hatte in sehr kurzer Zeit alles Notwendige erledigt, dem Markusplatz nicht mehr als einen flüchtigen Blick gegönnt. Wenn sie an ein Wiedersehen mit Venedig dachte, dann meinte sie die Reise mit Adrian an ihrem ersten Hochzeitstag, als sie Zeit gehabt hatte, die Stadt zu genießen. Zu dieser Tageszeit würde er voller Touristen sein, während sich in ihrer Erinnerung die Schatten über den Platz legten, die Dämmerung ihn zudeckte und die Lichter ihn zu dem machten, was er war, wenn die Touristenströme versiegten, wenn zumindest die Tagestouristen Venedig verlassen hatten. Dann, wenn die Kellner aufatmeten und die Oberkellner wieder Zeit hatten, die Gäste mit einer Verbeugung und ein paar Floskeln zu begrüßen, wenn die Zurückgebliebenen die Ruhe zu schätzen wussten, die sich dann über die Lagunenstadt legte. Keine Stille, nein. Aber auch kein Aufruhr mehr, der von Reiseleitern mit hoch in die Luft gereckten bunten Schirmen in Ankunfts-, Öffnungs- und Ablegezeiten zerhackt wurde.

Während sie die Spaghetti carbonara aß, die tatsächlich ausgesprochen köstlich waren, beobachtete sie Giovanni, der seine Gäste mit viel Herzlichkeit begrüßte und bediente, betrachtete seinen großen Mund, dessen Winkel sich niemals senkten, seine sprühenden Augen und seine großen Gesten. Heimlich ahmte sie sein Lächeln nach, öffnete die Augen so weit wie er, schenkte dem Madonnenbild an der gegenüberliegenden Wand ihre ganze Freundlichkeit … und merkte, wie sie damit die Welt um sich herum zurechtrückte. Sie spürte, dass die Umgebung freundlicher wurde, wenn man ihr so freundlich begegnete wie Giovanni. Und dass man ganz automatisch so positiv gestimmt war, wenn man sich derart präsentierte. Giovanni schien ein durch und durch lebensbejahender Mensch zu sein. Während Maria mit seinem Lächeln und seinem sprechenden Blick dasaß, entspannten sich ihre Gesichtszüge unter den wunderbaren Gefühlen von Sympathie und Herzlichkeit. Giovanni musste ein glücklicher Mensch sein. Sie konnte sein Glück auf ihrem eigenen Gesicht spüren.

 

Etwa eine Stunde später präsentierte sich der Markusplatz dann tatsächlich so, wie sie erwartet und befürchtet hatte: überfüllt und laut, beflattert, behüpft, besprungen, betanzt oder nur bestanden und bestaunt, von Musik überweht, an vielen Ecken von Melodien übermannt, die herabprasselten und übereinander herfielen, als ginge es jeder darum, sich gegen die anderen durchzusetzen. Tauben kreisten über den Köpfen der Touristen, flatterten auf sie herab, ließen sich zwischen den Tischen nieder, flogen wieder auf, schwebten über dem Platz, ließen sich in den Himmel über der Lagune ziehen.

Maria zögerte, ehe sie den kühlen Schatten der Arkaden verließ. Vielleicht sollte sie besser am Abend wiederkommen, wenn es ruhiger geworden war? Wenn es die vielen hochgereckten Smartphones nicht mehr gab, die unzähligen Fotoapparate, die auf stramm posierende Touristen zielten, kreischende Kinder, die Tauben vor sich her scheuchten, von Vätern mit Videokameras verfolgt, Reisegruppen, die sich rücksichtslos durchdrängten, um den Anschluss nicht zu verlieren, und Reiseleitern, die absurde Erkennungszeichen durch die Luft schwangen. Maria sah eine riesige Sonnenblume über den Köpfen schweben, der eine Schar von Japanern folgte.

Dass sie dann doch nicht kehrtmachte und den Platz betrat, lag an der Melodie. Sie kam vom Caffè Florian, diesem dreihundert Jahre alten Nobeletablissement, das sich an den Campanile lehnte, gegenüber von den beiden anderen berühmten Cafés, dem Quadri und dem Lavena, die etwas weniger exklusiv, etwas weniger teuer waren. Hier wie dort hatte man die gerafften hellen Markisen in den Arkadenböden heraufgezogen, nur über der winzigen Bühne auf jeder Seite des Platzes, auf der normalerweise ein paar Musiker, meist im Trio oder Quartett, das Cafépublikum unterhielten, war eine herabgelassen worden. Doch heute waren die Bühnen leer. Der Geiger, auf dessen Melodie Maria aufmerksam geworden war, stand vor der ersten Tischreihe, den Cafébesuchern zugewandt. Das Lied seiner Geige setzte sich zunächst mühsam durch, schaffte es dann aber, den tosenden Lärm zu übertönen.

Maria spürte, wie alle anderen Geräusche in den Hintergrund gedrängt wurden, hörte nur noch die Melodie, sah nichts als den Musiker, ließ sich stoßen und schieben, schaffte es lediglich, die Richtung zu verteidigen, die zu diesem Lied führte. Sie kannte es, hatte es unzählige Male gehört. Es war schwärmend, wehmütig, traurig – und löste in Maria eine Welle der Erinnerungen aus. Auch andere Passanten wurden auf den Geiger aufmerksam und blieben stehen. Aber was an ihre Ohren drang, war nicht das, was Maria hörte. Oh nein! Sie war sicher, dass es außer ihr niemanden gab, der begriff, was diese Klänge bedeuteten. Etwas, was nicht sein konnte. Etwas ganz und gar Unglaubliches …

 

Adrian Welhorn verstaute die Seidenschals in seinem Koffer, schob die Flasche mit dem Eau de Toilette an den Rand und legte den Leinenpullover zuoberst. Vorsichtig strich er ihn glatt, ehe er seinen Koffer schloss.

Gundula kam herein, betrachtete erst ihn und dann sein umfangreiches Gepäck. Ihr Blick drückte aus, was sie diesmal nicht in Worte fasste, und Adrian war ihr dankbar dafür, dass sie ihm nicht ein weiteres Mal vorhielt, er übertreibe. Alles fand Gundula übertrieben: seinen Job, das Exzessive, mit dem er ihm Bedeutung verlieh, seine Körperpflege, die Kleidung und das Verhältnis zu der Familie, die nicht mehr seine war. Gundulas Angehörige waren genauso wenig Adrians Familie, aber in diesem Fall hätte sie die Sache gern anders gesehen. Als sie seufzte, war ihm klar, dass sie sich wieder einmal fragte, warum sie sich auf einen Veranstalter von Abenteuerreisen eingelassen hatte, ohne auf die Idee zu kommen, dass er sich mit seiner Berufung und jeder ausgefallenen Reiseidee auch selbst einen Traum erfüllte. Adrian kannte diesen Blick, kannte auch ihren Wunsch nach dem kleinen, einfachen Glück. Nicht gerade mit Schrebergarten, aber auch nicht mit Bungeejumping und Fallschirmabsprung. Mit jedem Anzeichen von Alterung, nach jeder Erkrankung wuchs ihre Hoffnung, dass Adrian endlich zu dem Mann wurde, den sie sich wünschte.

Sie hielt ihm eine Schachtel hin. „Hättest du etwa beinahe dein Medikament vergessen?“

„Natürlich nicht“, brummte Adrian. „Ich wollte es gerade holen.“

Gundula warf einen kritischen Blick auf den bereits geschlossenen Koffer. „Du hast eine schwere Krankheit hinter dir. Versuch nicht immer wieder, das zu vergessen. So wie deine Tabletten.“

„Ich bin geheilt. Die Leukämie ist besiegt.“

„Aber die Tabletten brauchst du trotzdem noch.“

Sie öffnete den Koffer und legte die Schachtel hinein. Er beobachtete sie, nahm ihre schlanke Figur zur Kenntnis, die schmalen Finger, die braunen glänzenden Haare, den Flaum in ihrem Nacken. Er hätte ihr gern einen Klaps auf die Kehrseite gegeben, dann über ihre gespielte Entrüstung gelacht und sie geküsst. Aber er tat nichts davon. Seine Sorge, dass sie spürten könnte, wie gern er aufbrach, war zu groß.

„Pass auf dein Knie auf. Du solltest es nicht überbelasten.“

„Ja, ja.“ Er fuhr sich ein letztes Mal durch die Haare, sorgte dafür, dass sie aussahen, als hätte er keine Zeit gehabt, sich zu frisieren, dann sagte er: „Schade, dass du nicht mitkommst.“

Adrian wusste, dass Gundula diese Lüge durchschaute. Dennoch antwortete er auf ihr „Ist besser so. Ich würde ja nur stören“ mit einem empörten: „Unsinn!“

Was er ebenfalls wusste, war, dass Gundula genauso log wie er selbst. „Genieß die Zeit in Venedig. Und grüß Maria von mir. Amelie natürlich auch.“

Er kontrollierte ein letztes Mal den Sitz seines grauen Anzugs, zu dem er ein weißes T-Shirt trug, und griff nach seinem Koffer.

„Komm nicht auf die Idee, von Urlaub zu reden, wenn du jemandem erzählst, dass ich in Venedig bin. Alles geschäftlich! Du weißt ja, ich kümmere mich auch um dieses neue Event. Drachenflug über den Canale Grande.“ Er grinste und wunderte sich, dass Gundula diesmal nicht darauf reagierte, wo er sie doch sonst immer mit seinem Lächeln erweichen konnte, Verständnis für ihn aufzubringen. „Das wird uns reich machen, Baby.“

Gundula schüttelte nur den Kopf. Das tat sie sonst auch, aber diesmal ohne das lautlose Lachen, das ihm zeigte, wie viel Verständnis sie trotz allem für ihn hatte.

„Wenn was ist, meldest du dich?“

Gundula murmelte etwas, doch er verstand es nicht. Sein Kuss war flüchtig, er blickte sich nicht um, während er ins Auto stieg. Ein Jeep natürlich. Einmal durch den Schlamm gefahren und dann niemals gewaschen. So musste es aussehen, wenn ein Abenteurer ins Leben stach.

 

Venezianische Liebe! Ein Lied, das noch auf die Gesichter der nächsten Generation ein Lächeln zaubern, das in Jahrzehnten noch die Menschen aufhorchen lassen würde, wie Time to say good bye oder Griechischer Wein. Ein Schlager, ein Gassenhauer, ein Evergreen, eine Melodie, die schön, berührend und eingängig genug war, um bewahrt zu werden. In den vergangenen Jahren hatte Maria die verschiedensten Interpretationen dieses Lieds gehört, und oft hatte sie über das Bemühen des Musikers nachsichtig gelächelt oder verächtlich die Mundwinkel herabgezogen. Denn die nachgespielte Version konnte es nie mit dem Original aufnehmen.

Diesmal jedoch war es anders. Ganz anders! Angestrengt lauschte sie, lenkte ihre Schritte im Rhythmus des Liedes, wäre gern stehen geblieben, um noch besser hören zu können, brachte es aber nicht fertig zu zögern. Venezianische Liebe hörte sich diesmal an wie die Ursprache seiner Schöpfung. So hatte das Lied geklungen, als Maria es zum ersten Mal vernahm, so weich und doch kraftvoll, so zart, aber auch eindringlich. So hatte Leander es gespielt. Genau so! Nur er hatte es fertiggebracht, die Melodie seufzen und zögern, lachen und weinen zu lassen.

Schritt für Schritt tastete sie sich dem Klang der Geige entgegen, spürte Angst in sich aufsteigen, merkte, dass sie den Atem anhielt, ahnte etwas, ohne sich vorstellen zu können was.

Gisa Pauly

Über Gisa Pauly

Biografie

Gisa Pauly hängte nach zwanzig Jahren den Lehrerberuf an den Nagel und veröffentlichte 1994 das Buch „Mir langt’s – eine Lehrerin steigt aus“. Seitdem lebt sie als freie Schriftstellerin, Journalistin und Drehbuchautorin in Münster, ihre Ferien verbringt sie am liebsten auf Sylt oder in Italien....

Pressestimmen
literaturmarkt.info

»Wie ein Kurzurlaub von jeglichen Alltagssorgen. (...) So etwas wie schlechte Laune? Garantiert nicht nach wenigen Sätzen von ›Venezianische Liebe‹.

Kommentare zum Buch
Kommentieren Sie diesen Beitrag:
(* Pflichtfeld)

Gisa Pauly - NEWS

Erhalten Sie Updates zu Neuerscheinungen und individuelle Empfehlungen.

Beim Absenden ist ein Fehler aufgetreten!

Gisa Pauly - NEWS

Sind Sie sicher, dass Sie Gisa Pauly nicht mehr folgen möchten?

Beim Absenden ist ein Fehler aufgetreten!

Abbrechen