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Nichtmuttersein

Nadine Pungs
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Von der Entscheidung, ohne Kinder zu leben

„Sie schließt auf unterhaltsame und ehrliche Art und Weise Frieden mit dem kinderlosen Leben zwischen den eigenen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Strukturen.“ - Stern online

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Nichtmuttersein — Inhalt

Ist man nur als Mutter wirklich Frau?

Nadine Pungs möchte keine Mutter sein – eine Tatsache, die viele nicht akzeptieren können. Fremde Menschen nehmen sich das  Recht heraus, sie als egoistisch, narzisstisch oder auch unnatürlich zu bezeichnen. Denn eine Frau, die sich der Mutterschaft verweigert, rebelliert gegen Rollenklischees. Immer noch. Woher kommt diese Vorstellung, dass jede „normale“ Frau den Wunsch nach eigenen Kindern hegen muss? Wieso können wir nicht akzeptieren, dass der Uterus einer Frau niemand anderen etwas  angeht?
Pungs legt den Finger in die Wunde. Sie spricht mit Müttern und Nichtmüttern über Ängste und Hoffnungen, erzählt von ihrem eigenen Kampf um Akzeptanz und argumentiert für weibliche Körperherrschaft. Sie plädiert für das Kinderwunschlosglück und zeigt, was Selbstermächtigung in letzter Konsequenz und aller Radikalität bedeutet. Mal zart, mal zornig macht Pungs klar, wie politisch für Frauen selbst das Intimste ist.

€ 18,00 [D], € 18,50 [A]
Erschienen am 28.07.2022
240 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-06287-9
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€ 17,99 [D], € 17,99 [A]
Erschienen am 28.07.2022
240 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-60214-3
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„Sie schließt auf unterhaltsame und ehrliche Art und Weise Frieden mit dem kinderlosen Leben zwischen den eigenen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Strukturen.“
Stern online

Leseprobe zu „Nichtmuttersein“

1

Du willst keine Kinder? Ach, das sagst du nur, weil du noch keine hast, aber erst Kinder machen das Leben lebenswert, das wirst du schon sehen, du weißt nicht, was du verpasst, warte mal, bis du welche bekommst, das ist nur eine Phase, jede normale Frau wünscht sich ein Baby, wenn der Uterus einmal anspringt und sein Recht einfordert, dann mit der Wucht eines Atomkraftwerks, dagegen bist du machtlos, außerdem wärst du eine so schöne Mutter, Babys würden dir so gut stehen, glaub mir, du hast doch ein gebärfreudiges Becken, mach was draus, und deine [...]

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1

Du willst keine Kinder? Ach, das sagst du nur, weil du noch keine hast, aber erst Kinder machen das Leben lebenswert, das wirst du schon sehen, du weißt nicht, was du verpasst, warte mal, bis du welche bekommst, das ist nur eine Phase, jede normale Frau wünscht sich ein Baby, wenn der Uterus einmal anspringt und sein Recht einfordert, dann mit der Wucht eines Atomkraftwerks, dagegen bist du machtlos, außerdem wärst du eine so schöne Mutter, Babys würden dir so gut stehen, glaub mir, du hast doch ein gebärfreudiges Becken, mach was draus, und deine Mutter würde sich bestimmt über Enkel freuen, hab du erst mal Kinder, dann weißt du, was echte Liebe bedeutet, nur dann bist du komplett, wann dürfen wir mit Nachwuchs rechnen, du willst der Gesellschaft doch was zurückgeben, und es ist ja das Natürlichste der Welt, auch du hörst irgendwann
die biologische Uhr ticken, ticktack, vergiss nicht, Kinder sind unsere Zukunft, ohne Kinder sterben wir aus, stell dir vor,
jeder würde so denken wie du, echt traurig, wer soll denn unsere Rente bezahlen, du bist ein demografischer Blindgänger, hab du erst mal Kinder, dann weißt du, was echte Müdigkeit bedeutet, als Kinderlose hast du bestimmt viel Geld, fliegst bestimmt immer in die Karibik, aber hast du denn keine Angst, im Alter allein zu sein, niemand wird dich im Pflegeheim besuchen kommen, absolut niemand, ohne Kinder wirst du später komisch, du bist unreif, bist zu kalt, um zu lieben, ist dir deine Karriere etwa wichtiger, Muttersein ist doch der schönste Job der Welt, wer soll denn unseren Sozialstaat finanzieren, du bist egoistisch, irgendwann wirst du das bitter bereuen, es gibt Frauen, die können keine Kinder bekommen, obwohl sie sich welche wünschen, schäm dich, du liebst deinen Mann wohl nicht, wenn du dir keine Kinder von ihm wünschst, willst du deine Familie nicht erhalten, deine Gene sichern, wirst du dann so eine verrückte Katzenlady, du bist ein Freak, oder magst du etwa keine Kinder, bist du eine Kinderhasserin, du warst doch selbst mal ein Kind, was würdest du sagen, hätten deine Eltern so gedacht, du bist undankbar, mit den eigenen Kindern ist das doch etwas anderes, die wirst du lieben, glaub mir, du musst nur den Richtigen finden, du bist zu wählerisch, du bist nicht wählerisch genug, Kinder schweißen ein Paar total zusammen, du weißt aber schon, wie man Babys macht, Kinder geben einem so viel zurück, man begreift ja erst durch die Kleinen, was wichtig ist und was nicht, aber das kannst du ja nicht wissen, du bist ja noch jung, als ich so jung war wie du, wollte ich auch keinen Nachwuchs, das ändert sich, glaub mir, aber du solltest dich langsam mal beeilen, du bist ja schon alt, und irgendwann klappt es nicht mehr, das geht schneller, als dir lieb ist, und sowieso die Liebe, ach, keine Liebe ist reiner als die Mutterliebe, hab du erst mal Kinder, dann weißt du, was echte Verantwortung bedeutet, bist du denn nicht neugierig, wie es aussähe, du kannst ja gar nicht mitreden, was machst du denn den ganzen Tag, ist dir nicht langweilig, Kinder sind ein Geschenk Gottes, Babys riechen gut, und wer weiß, vielleicht würde dein Kind ja die Welt verbessern, oder bist du etwa lesbisch, man muss einfach machen, es gibt keinen perfekten Zeitpunkt, nicht nachdenken, es wird dir sonst später leidtun, hab du erst mal Kinder, dann weißt du, was echtes Erwachsensein bedeutet, du versäumst doch etwas, oder hast du Angst, dass du dir deine Figur ruinierst, es heißt ja nicht umsonst Gebärmutter, wozu hast du das Organ, es gibt Frauen, die keine Gebärmutter mehr haben, denk doch mal an die, der Körper einer Frau ist dafür gemacht, und die Geburtsschmerzen vergisst man ganz schnell, oder klappt es bei dir etwa nicht, bleib dran, es ist total normal, dass Frauen schwanger werden, das ist der Lauf der Dinge, glaub mir, ansonsten gibt es gute Kliniken dafür, und was willst du denn sonst anstellen mit deinem Leben, wenn du keine Familie gründest, du bist nur eine richtige Frau, wenn du auch ein Kind bekommen hast, diese Erfahrung macht dich vollständig, du wärst so eine tolle Mutter, das weißt du nur noch nicht, du kannst die Biologie nicht einfach so ignorieren, warst du deswegen schon beim Psychologen, hattest du etwa eine schwere Kindheit, echt schade, dass du keine Kinder willst, bist du dir wirklich sicher?


2

Die Mutter aller Fragen lautet: Warum haben Sie keine Kinder?[i] Diese vermeintlich harmlose Erkundigung ist intim, denn sie impliziert, dass naturgemäß ein allgemeines Interesse an meinem Sexualleben und meiner Reproduktion existiert, obwohl das niemanden zu interessieren hat. Mein Körper wird zum öffentlichen Raum erklärt. Ich soll Männer reinlassen und Babys rauslassen.[ii] Das Land liegt mit im Bett. Da die Mehrheit der Frauen im Laufe ihres Lebens Kinder bekommt, scheint die Frage nach meiner unwilligen Gebärmutter berechtigt. Eine Frau ist eine Frau ist eine Mutter. Weiblichkeit und Mütterlichkeit gehören zusammen wie Kastor und Pollux. Immer noch.

Tatsächlich kapiere ich diese inquisitorische Frage nach meiner Kinderlosigkeit nicht. Denn ich brauche keine Gründe, Mutterschaft zu verweigern. Es ist meine Sache. Vielmehr braucht es Gründe, um Kinder überhaupt in die Welt zu setzen.[iii] Dass mir diese Frage im 21. Jahrhundert überhaupt noch so nonchalant gestellt wird, ist erstaunlich. Aber auch ich erwische mich manchmal dabei, normativ zu denken. „Warum hat die eigentlich keine Kinder?“, überlege ich verstohlen, wenn mir eine kinderlose Frau über vierzig begegnet. Reflexhaft stelle ich mir vor, sie könne bekümmert sein oder einsam. Weshalb kommt mir diese Mutmaßung in den Sinn? Vielleicht ist sie weder bekümmert noch einsam unterwegs, sondern umstandslos glücklich. Ich denke solche Gedanken, weil ich es so gelernt habe. Wie die allermeisten kleinen Mädchen, denen Muttersein als Mutterglück versprochen wurde, habe auch ich derartige Vorstellungen verinnerlicht. Obwohl es sich falsch anfühlte, glaubte auch ich, Mutter werden zu wollen. Weil doch alle wollen. Oder nicht? Maternität wird uns schon früh als Lebenssinn eingepflanzt, bis wir sie schließlich als Essenz unserer Weiblichkeit begreifen. Es gilt: „Frauen muttern!“[iv] Liebe, Wärme, Mutterglück. All das erwartet uns scheinbar, wenn wir nur unserer wahren Bestimmung folgen. Der Duden definiert Mutterglück als das Glücksgefühl, Mutter zu sein. Aber wer hat uns dieses Mutterglück angelobt? Die eigene Mutter? Die Lehrerin? Die Politik? Der Pastor? Die Wirtschaft? Die Gesellschaft? Wir selbst? Und kann es auch das Nichtmutterglück geben? Das Glücksgefühl, keine Mutter zu sein?

Tante Fine hatte drei Söhne großgezogen, und ihr Körper erzählte unergründliche Geschichten von Vereinigung und Schwangerschaft. In meiner Erinnerung besteht sie hauptsächlich aus Brust, Bauch und Hüfte, ähnlich den Venusfigurinen, die in archäologischen Siedlungen gefunden wurden. Sie roch immer nach Flieder und Heißmangel, und wenn sie lachte, zog sich ein Netz aus Falten über ihr Gesicht. Zu meinem dritten Geburtstag schenkte sie mir eine Babypuppe. Sie drückte mir den Plastiksäugling in den Arm und feixte: „Dat is nu dien Blach.“ Ihre Dauerwellenlöckchen wippten zustimmend. Die Babypuppe hatte keine Haare, dafür Speckröllchen aus Vinyl, und sie trug einen rosa Strampler. Sowie man sie auf den Kopf stellte, weinte sie, der Schnuller purzelte ihr aus dem Mund, und sie starrte mich aus ihren großen Glasaugen vorwurfsvoll an. Ich fand sie hässlich, geradezu unverschämt in ihrer Forderung, mich um sie kümmern zu müssen, obwohl ich das nicht wollte. Meine Mutter steckte derweil Trauben auf Käsespieße und bemerkte meine Enttäuschung über das Geschenk genauso wenig wie Tante Fine, die bereits ins Wohnzimmer gestiefelt war.

Ich bin ein Wunschkind. Ich habe die Wangenknochen meiner Mutter und die Lippen meines Vaters. Meine Eltern kannten sich sechs Monate, als sie beschlossen, eine Familie zu gründen. Sie hatten sich in einer Disco kennengelernt, irgendwo in einer niederrheinischen Provinzstadt morgens um halb drei. Meine Mutter verliebte sich in die traurigen Augen meines Vaters, und er mochte ihr blondes Haar.

Vater servierte Asti Spumante, sobald sich Tante Fine auf das Sofa plumpsen ließ. Ich kletterte zu ihr hinauf, presste mich an ihren schweren Busen, um mein schlechtes Gewissen ob meines Unmuts zu beruhigen, und sog ihren Fliederheißmangelgeruch ein. Die Babypuppe blieb auf dem Boden sitzen und schaute anklagend in die Runde. „Isch habbet Reißen inne Glieder, isch glaub, et jibt ander Wetter“, behauptete Tante Fine, trank ihr Sektglas zur Hälfte und zwinkerte mir zu. Vater verstand die versteckte Botschaft und holte unverzüglich den Fernet-Branca aus dem Einbauschrank. Als Tante Fine zwei Stunden, vier Likörchen und sieben Käsespieße später ging, legte ich das Baby in meine Spielzeugkiste und schloss den Deckel.

„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ Diesen tausendfach zitierten Satz schrieb die Philosophin Simone de Beauvoir in ihrem berühmten Buch Le Deuxième Sexe. 1949 erschien ihr Manifest, das bis heute den Feminismus maßgeblich beeinflusst. Mit kühler Beobachtung dekonstruiert Beauvoir darin vermeintliche weibliche Eigenschaften und führt sie stattdessen auf soziale und kulturhistorische Prägungen zurück. Die Biologie der Frau werde dazu benutzt, sie auf die vorgeblich natürliche Mutterrolle festzulegen. Beauvoirs Buch löste einen Skandal aus, wurde von Kritikern verrissen und vom Vatikan auf den Index gesetzt. All das ist über siebzig Jahre her. Die Welt hat sich seitdem verändert. Wir klonen Schafe, haben das Internet erfunden, die Desoxyribonukleinsäure entschlüsselt und handeln mit Kohlenstoffdioxid-Zertifikaten, es gibt Eiscreme mit Aalgeschmack und Katzenvideos. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Und wir gehören zu jener Generation, die den höchsten Freiheits- und Lebensstandard der Menschheitsgeschichte erleben darf. Viele Türen, die jahrhundertelang verschlossen waren, stehen nun sperrangelweit offen. Doch eben weil sich die Gesellschaft so rasant verändert und klassische Rollenmuster hinterfragt werden, flackert ein fast überwunden geglaubtes Bedürfnis nach eindeutigen Geschlechterverhältnissen wieder auf. Etliche Menschen fühlen sich überfordert von Globalisierung, Digitalisierung, Feminismus und Klimaaktivismus. Manche suchen eine Lösung im Konservatismus. Oder im Nationalismus. Oder im Faschismus. Vielleicht sind das die üblichen Rückzugsgefechte, die mit Wachstumsschmerzen einhergehen. „Die Reizbarkeit des Verlierers nimmt mit jeder Verbesserung zu, die er bei anderen bemerkt“, sagte der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger.[v]

Fürwahr, wir müssen damit leben, dass zu einer offenen Gesellschaft auch Unflätigkeit, Rüpelei und Bösartigkeit gehören.[vi] Fest steht aber ebenso: Mit dem Rechtsruck der letzten Jahre gingen altbekannte antifeministische Diskurse und Aktivitäten einher. „Vergesst nicht“, hatte bereits Beauvoir nahezu prophetisch vorausgesagt, „es genügt eine politische, ökonomische oder religiöse Krise – und schon werden die Rechte der Frauen wieder infrage gestellt. Diese Rechte sind niemals gesichert.“

Als die Türkei 2021 aus der Istanbul-Konvention austrat, die Gewalt an Frauen verhindern und bekämpfen soll, gab Staatspräsident Erdoğan als Begründung an: „Die Frau ist vor allem Mutter. Und sie ist für die Kinder da.“ In Polen regiert die christlich-fundamentalistische PiS-Partei, die ein striktes Abtreibungsverbot durchgesetzt hat und Personen mit Uterus wie Menschen zweiter Klasse behandelt. In Afghanistan haben die radikal-islamistischen Taliban wieder die Herrschaftsgewalt übernommen, und Frauen dürfen nur noch mit Begleiter zur Arbeit. In Ungarn wurde eine Gebärprämie eingeführt, um der angeblich drohenden Islamisierung zu begegnen. Überall in Europa protestieren Abtreibungsgegner (weibliche wie männliche) mit Plastikföten und Kreuzen vor Arztpraxen und beschimpfen Patientinnen. In den USA steht die konservative Mehrheit des Supreme Court offenbar kurz davor, das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche zu kippen.

In Deutschland macht die AfD antifeministische und rassistische Politik für den weißen Schlichtmichel. Wie die alten Nazis verteidigen auch die neuen Nazis die Heimat an der Gebärfront und verlangen mit völkischer Inbrunst, dass sich die Geburtenrate unter „deutschstämmigen Frauen“ erhöhen solle. Vögeln fürs Vaterland! Desgleichen wabert auf den Querdenker-Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen der Antifeminismus durch die Reihen, etwa wenn Menschen aus der Esoterikerszene (darunter viele Heilpraktikerinnen und Schamaninnen, die von „weiblicher Intuition“ salbadern) binäre Geschlechterbilder – weiblich oder männlich – vertreten und einer archaischen Fruchtbarkeitsidealisierung von Frauen nachhängen. „Diese Festschreibung auf Mutterschaft ist eine Gemeinsamkeit mit der extremen Rechten“, sagt die Soziologin Rebekka Blum.[vii] Antifeministen eint die Forderung nach der traditionellen Kleinfamilie mit der klar definierten Rolle von Frauen als sorgende Mütter. Sexualaufklärung, Abtreibung und Sterilisation werden rigoros abgelehnt, denn sie vertragen sich nicht mit dem „nationalen Interesse“ eines deutschen Bevölkerungswachstums. Das Wort „Volkskörper“ hatte ich zuletzt im Geschichtsunterricht gehört, jetzt ist es wieder da.

Mir macht das Sorgen. Ja, die Neuen Rechten repräsentieren eine Minderheit in der Bevölkerung. Aber mir ist diese Minderheit zu groß. Zwar verspricht die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag von 2021, mehr Feminismus zu wagen, indem sie die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen schließen, Paragraf 219a des Strafgesetzbuches (StGB) abschaffen und Beratungsstellen gegen Diskriminierung ausbauen will. Gleichwohl glauben immer noch Teile der Bevölkerung (auch aus der Mitte), dass der Uterus nicht der Frau, sondern der Gesellschaft gehört und dass es mit der Frauenemanzipation langsam mal gut sein müsse. Für diese Überzeugung braucht man nicht rechts sein. Der Leipziger Autoritarismusstudie der Heinrich-Böll-Stiftung aus dem Jahr 2020 zufolge haben jeder vierte Mann und jede zehnte Frau in Deutschland ein geschlossen antifeministisches Weltbild.[viii] Und die Ewiggestrigen lassen sich ihre altherkömmlichen Geschlechterrollen nur ungern nehmen. Männer als Ernährer, Frauen als Mütter. Da gelten Reproduktionsrechte schnell als Gefährdung der „natürlichen Ordnung“.

Die Schriftstellerin Sheila Heti schreibt: „Eine nicht mit Kindern beschäftigte Frau hat etwas Bedrohliches. Man hat das Gefühl, sie sei irgendwie unfertig. Was wird sie stattdessen machen? Was für einen Ärger?“[ix]

Bin ich unfertig? Nur weil keine neuen Menschlein meinem Schoß entspringen? Lese ich deutsche Medien, könnte ich das zuweilen annehmen. Ein Kind gehört offenbar zum Leben wie die Schwerkraft. So fordert die FAZ im Jahr 2014: „Ruhe, ihr Jammer-Frauen!“[x] Angesprochen sind jene Frauen, die sich aufgrund sozialer oder politischer Motive gegen Kinder entscheiden und diese Entscheidung thematisieren. Der stern erklärt uns 2019, „Warum wir aufs Kinderkriegen nicht verzichten sollten“, denn immerhin lösen Kinder ja „ein unbeschreibliches Glücksgefühl“ aus, das niemand verpassen darf.[xi] Und jede Frauenzeitschrift titelt gefühlt mindestens einmal die Woche vom „Babyglück“, dem keine Frau entkommen kann (oder soll). Die Presselandschaft ist erfreulicherweise vielfältig, und nicht wenige Artikel zeigen ebenso leidenschaftlich die Gegenseite auf. So schreibt ZEIT ONLINE 2014: „Dass Kinderlose heute gesellschaftlich mehr geächtet werden als noch vor dreißig Jahren, ist beschämend für eine angeblich offene, tolerante Gesellschaft.“[xii]

Höre ich Unionspolitikern zu, lese Kommentarspalten unter Artikeln oder scrolle durch Facebook, fallen mir vor lauter Fremdscham die Augen aus dem Schädel über die zur Schau gestellte Rückständigkeit, die in etlichen Köpfen herumgeistert wie ein uraltes Schlossgespenst. Der Unmut der Kleinbürger richtet sich dabei fast ausnahmslos gegen Frauen. Sie sind es, die angeblich lieber arbeiten und sich selbstverwirklichen wollen. Sie sind es, die zur Reproduktion ermutigt werden müssen. Sie sind es, die die nächste Generation an Beitragszahlern großziehen sollen. Und deshalb sorgt eine willentlich unbekinderte Frau noch heute bei einigen Zeitgenossen für rote Flecken im Gesicht. Irgendetwas in ihr scheint kaputt zu sein. Wenn schon nicht schwanger, dann wenigstens unheilschwanger.

„Kinderkriegen wird als so elementar wahrgenommen, dass an allen Ecken und Enden nach Gründen gesucht werden muss, wenn es nicht stattfindet“, schreibt die Publizistin Sarah Diehl in ihrem lesenswerten Buch Die Uhr, die nicht tickt.[xiii] Tatsächlich dominiert im Land der Dichter und Denker (gemeint sind die männlichen) immer noch ein seltsam antimodernistisches Mutterbild. Und das, obwohl in Deutschland jede fünfte Frau über 49 kinderlos ist (gewollt oder ungewollt). Im Westen mehr als im Osten, in der Stadt häufiger als auf dem Land. Auf eine Frau kommen im Schnitt bloß eineinhalb Kinder, auch wenn die Geburtenrate nach einem Einbruch in den 1990er-Jahren wieder leicht angestiegen ist. Die Kinderlosigkeit bei Akademikerinnen ist im internationalen Vergleich besonders hoch. Hier sind 26 Prozent der Mittvierzigerinnen ohne Nachwuchs.[xiv] Deutschland gehört neben der Schweiz, Italien und Finnland zu den Ländern mit der höchsten Kinderlosigkeit in Europa. Es sterben mehr Menschen, als geboren werden. Allein dadurch kommen in der Bundesrepublik – selbst bei steigenden Geburtenraten – absolut betrachtet weniger Kinder zur Welt, da es weniger Frauen im gebärfähigen Alter gibt.[xv] Zuletzt wurde 1887 ein Überschuss an Neugeborenen verzeichnet. Dieser Trend ist weltweit zu beobachten. Laut einer Studie des Institute for Health Metrics and Evaluation der University of Washington wird im Jahr 2100 die allgemeine Fertilitätsrate auf 1,66 Kinder pro Kopf gepurzelt sein; 1990 betrug der Wert noch 3,12.[xvi] Ein wichtiger Grund dafür ist der bessere Zugang zu Verhütungsmitteln.

„Die Reproduktion einer Bevölkerung ist gewährleistet, wenn die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Frau im Laufe ihres Lebens bekommt, bei 2,1 liegt“, sagt die Bundeszentrale für politische Bildung.[xvii] Trotz der weitverbreiteten Gebärunwilligkeit gebärdet sich unser Gesetzgeber erstaunlich altväterisch. „Die Paragrafen 218 und 219 des Strafgesetzbuchs machen Deutschland zum Entwicklungsland.“[xviii] Dazu später mehr.

Gewiss, es könnte uns schlechter gehen. Auch dafür gibt es Beispiele in der Welt. Doch alte Röcke sehen nicht wieder wie neu aus, nur weil man noch ältere danebenlegt. Ich stelle fest: Die Reproduktionsungerechtigkeit bleibt das Kernproblem weiblicher Selbstbestimmung. Die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern endet nämlich spätestens beim Thema Kinder. Die individuelle Entscheidung gegen die generative Fortpflanzung ist daher bis heute ein feministisches Thema mit hohem politischen Konfliktpotenzial. Zwar brauchen wir keine Suffragetten mehr, die dafür streiten, dass Frauen an die Wahlurne dürfen, aber wir brauchen jede Menge Mut, um uns von tradierten Erwartungen zu emanzipieren. Mut, uns zu verweigern. Mut, uns herauszuboxen aus Rollenklischees. Mut, unsere eigenen Erzählungen zu erschaffen. Dieses Buch ist deshalb ein Versuch, mein Nichtmuttersein als vollends gleichrangig neben dem Muttersein aufzustellen und das Bewusstsein für diese Form der Selbstermächtigung im sozialen Diskurs zu etablieren. Und ja, meine Methoden sind radikal. Denn Nichtmutterschaft ist politisch.

Nadine Pungs

Über Nadine Pungs

Biografie

Nadine Pungs, 1981 im Rheinland geboren, studierte Literaturwissenschaft und Geschichte. Davor, währenddessen und danach tingelte sie jahrelang als Kleinkünstlerin durch die Dörfer und spielte am Theater. Auf der Suche nach Intensität und Schönheit zieht es sie immer wieder in die Welt. Bei Malik...

Pressestimmen
Stern online

„Sie schließt auf unterhaltsame und ehrliche Art und Weise Frieden mit dem kinderlosen Leben zwischen den eigenen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Strukturen.“

Der Evangelische Buchberater

„Der Autorin gelingt unter Hinzunahme verschiedenster Stimmen eine ausgewogene, gut lesbare Mischung aus persönlichem Essay und fundiertem Sachbuch.“

Magdeburger Volksstimme

„Dieses Sachbuch liest sich so flüssig wie ein Roman. Ein sehr persönliches Buch, aber ebenso eine gesellschaftskritische und feministische Betrachtung zur wohl größten Lebensentscheidung.“

Tageblatt

„Ein Buch wie eine frische Brise.“

hpd.de

„Sie stellt dem Leser das titelgebende Nichtmuttersein als bewusst so entschiedenen Lebensweg vor, nicht als die verbitternde Sackgasse, als die es sonst fast ausschließlich präsentiert wird.“

elena_liest

„Eine feministische und gesellschaftskritische Betrachtung von Elternschaft, ein Plädoyer für einen bewussten und reflektierten Umgang mit der Frage, ob man Kinder möchte und vor allem ein Buch über Selbstermächtigung. Sehr lesenswert!“

mitkaffeeundkafka

„Ich habe das Buch geliebt und hätte jeden Satz highlighten können. Ganz große Empfehlung. Wir brauchen mehr Bücher wie diese!“

buchstabenbaer

„In dem ca. 230 Seiten fassendem Werk geht es nicht darum das Muttersein zu verteufeln oder Menschen zu bekehren, es ist schlichtweg ein Plädoyer für die uneingeschränkte Gleichberechtigung von Müttern und gewollt kinderfrei lebenden Menschen. Pungs vereint hier sehr gelungen Sachbuch (mit vielen wissenschaftlichen Quellen, Beispielen und Studienergebnissen) und ihre subjektiven Erfahrungen. Dabei schreibt sie verständlich, flüssig und für mich absolut nachvollziehbar. (...) Ein wichtiges, bereicherndes, lesenswertes Buch, das ich jedem, ob mit oder ohne Kinderwunsch, ans Herz legen kann.“

mitvergnuegen.com

„Ein Plädoyer dafür, dass man auch ohne Kinder wunschlos glücklich sein kann – ein wichtiges Buch, das, gerade mit Blick auf die neuesten und ziemlich rückständigen Entwicklungen in den USA, auch 2022 sehr relevant ist.“

klarastrube

„Mein Herz ist voll - voll von Dankbarkeit für dieses Buch. (...) Dabei ist ›Nichtmuttersein? keinesfalls nur ein Buch für Frauen, die sich gegen Kinder entscheiden. Es ist vor allem auch eine gesellschaftskritische und feministische Betrachtung des Mutterseins in der Gegenwart, aller Vor- und eben auch Nachteile, die mit dem Kinderkriegen einhergehen und ein Plädoyer dafür, die Entscheidung für oder gegen ein Kind bewusster, nachhaltiger und eben besser zu treffen.“

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