Mit der Sonne um die Welt Mit der Sonne um die Welt - eBook-Ausgabe
Der Jahrhundertflug der SolarImpulse
„Der mitreißende Erlebnisbericht eines Jahrhundertprojekts.“ - CHEManager
Mit der Sonne um die Welt — Inhalt
„Bertrand Piccard und André Borschberg schreiben Geschichte ... ein Vorhaben, das eine neue Ära einleitet.“ FAZ
Die Schweizer Pioniere Bertrand Piccard und André Borschberg und ihre visionäre Mission: Als Erste in der Geschichte der Luftfahrt umrundeten sie die Erde ganz ohne Treibstoff, nur mit Sonnenenergie. Mit ihrem eigens konstruierten Flugzeug SolarImpulse gelang ihnen dabei nicht nur der Weltrekord; sie ebneten auch den Weg für einen neuen, ressourcenschonenden Luftverkehr. In „Mit der Sonne um die Welt“ erzählen die beiden die Geschichte ihres spektakulären und viel beachteten Fluges, mit allen Höhen und Tiefen, Startschwierigkeiten und emotionalen Bruchlandungen. Der mitreißende Erlebnisbericht eines Jahrhundertprojekts.
Leseprobe zu „Mit der Sonne um die Welt“
Vorbemerkung
Als sie von ihrem Projekt erzählten, erklärte man die beiden für verrückt, und doch ist ihnen das Unmögliche gelungen. Millionen von Unterstützern auf allen Kontinenten verfolgten Bertrand Piccard und André Borschberg dabei, wie sie sich im Cockpit ihres Solarflugzeugs mit nur einem Sitz abwechselten und 43 000 Kilometer zurücklegten, ohne einen einzigen Tropfen Treibstoff zu verbrauchen. In ihrer Zusammenarbeit über dreizehn Jahre voller Hoffnungen und Zweifel, Erfolge und Rückschläge haben sie niemals aufgehört, an die Kraft ihres [...]
Vorbemerkung
Als sie von ihrem Projekt erzählten, erklärte man die beiden für verrückt, und doch ist ihnen das Unmögliche gelungen. Millionen von Unterstützern auf allen Kontinenten verfolgten Bertrand Piccard und André Borschberg dabei, wie sie sich im Cockpit ihres Solarflugzeugs mit nur einem Sitz abwechselten und 43 000 Kilometer zurücklegten, ohne einen einzigen Tropfen Treibstoff zu verbrauchen. In ihrer Zusammenarbeit über dreizehn Jahre voller Hoffnungen und Zweifel, Erfolge und Rückschläge haben sie niemals aufgehört, an die Kraft ihres gemeinsamen Traumes zu glauben.
Dieses Buch erzählt ihre Geschichte, es ist eine Ode an den Pionier- und Entdeckergeist. Mehr noch als der Bericht über ein Flugabenteuer ist es die Geschichte des Schicksals zweier sehr unterschiedlicher Männer, ihrer Freundschaft und Rivalität; das Leben hat sie vereint, um zu versuchen, was niemand sich auszumalen gewagt hat: die erste Weltumrundung im Solarflugzeug.
Doch im Flugzeug war nur ein einziger Sitz; es gab stets nur Platz für einen der beiden Abenteurer. Ein Flugzeug für zwei Männer, die lernen mussten zu teilen: das Flugzeug, die Etappen, den Ruhm, aber auch die Mühen und die Tränen.
Fliegen mussten sie alleine – dieses Buch jedoch wollten sie gemeinsam schreiben, in zwei Stimmen, um ihre Geschichte jeweils selbst zu erzählen. So begegnen den Lesern zwei verschiedene Weltsichten, die aufeinanderstoßen und einander antworten, in denen die Lösung jedes Problems darin liegt, sich gegenseitig zu ergänzen.
Das Flugzeug wurde von der Kraft der Sonne und sauberer Technologie getragen. Ein Traum, wie Jules Verne ihn hätte träumen können, im Dienste einer einzigen Botschaft: Das Ziel eines Entdeckers heutzutage muss eine bessere Lebensqualität auf unserem Planeten sein.
Mit diesem Beispiel wollten die beiden Piloten vorangehen. Und deshalb sind Bertrand Piccard und André Borschberg am 26. Juli 2016, als Solar Impulse die Weltumrundung mit der Landung im Flughafen von Abu Dhabi vollendete, zu Legenden geworden.
1
Der innere Kompass
Bertrand
Die Sonne geht gerade unter, der Wind nimmt langsam ab. Der Flugplatz von Lausanne ist menschenleer. Die Zuschauer haben ihre Dosis Lärm und Emotionen bekommen. Für mich ist noch nichts zu Ende. Ich warte noch auf das Spektakulärste, das bei Weitem Wichtigste. Und auch das Unscheinbarste. Am Ende der Piste, im Schatten, mahnen die riesigen Tragflächen zur absoluten Stille. Günter Rochelt hat im winzigen Cockpit seines mit Pedalen betriebenen Ultraleichtflugzeuges Platz genommen, um die achthundert Meter Piste zu überfliegen. Sein Abheben verzögert sich. Ich betrachte die überdimensionale Spannweite der Maschine. Ist dies die Zukunft der Luftfahrt? Eine derartige Konstruktion vor mir zu sehen bringt mich plötzlich zurück zu jenem Traum der Luftfahrtpioniere, die ich in meiner Kindheit am Cape Kennedy kennenlernen durfte. In der aufsteigenden Dunkelheit prägt sich die disproportionale Silhouette in mein Gedächtnis ein. Seit jenem 24. Juni 1984 hat sie mich nicht mehr losgelassen.
Vierzehn Jahre später erwacht sie mit voller Kraft wieder zum Leben durch das Foto einer Solardrohne, die der geniale Wissenschaftler Paul McCready im Auftrag der NASA konstruiert hat. Als ich mir Bilder der Pathfinder ansehe, mit ihren sechs Elektromotoren, die entlang ihrer siebenunddreißig Meter Spannweite angebracht sind, staune ich, dass ihr niemand ein Cockpit und einen Piloten hinzufügen will. Ziel jenes NASA-Programms ist es, fliegende Telekommunikationsplattformen herzustellen, die monatelang in extremer Höhe fliegen können. Die könnte man doch auch für etwas anderes gebrauchen …
Ich komme gerade mit einem Flugzeug von Breitling aus Bristol, wo der Heißluftballon hergestellt wird, mit dem ich die Weltumrundung versuchen werde. Ich flüstere Stefano Albinati neben mir zu: „Hast du die Bilder von der Pathfinder-Drohne gesehen? Sag es noch niemandem, aber mit so etwas würde ich gerne die Weltumrundung versuchen, wenn es mir mit dem Heißluftballon gelingt.“ Ist Solar Impulse an jenem Tag im September 1998 geboren worden, als die Sonne die Kumuluswolken entlang unserer Route in ihr Licht tauchte? Das Hirngespinst, ja. Der Traum noch nicht.
Ich musste den Erfolg des Breitling Orbiter 3 im März 1999 abwarten. 45 000 Kilometer in einem Flug von zwanzig Tagen ohne Unterbrechung, gemeinsam mit Brian Jones. Die erste Weltumrundung im Heißluftballon, erfolgreich absolviert unter Aufbietung all unserer Kräfte. Nach einundzwanzig fehlgeschlagenen Versuchen von einem Dutzend Teams über neunzehn Jahre hinweg. Zwei misslungene Versuche gingen dabei auf mein eigenes Konto. Bei der Landung in der ägyptischen Wüste waren von den 3700 Kilo Propangas, mit denen wir gestartet waren, nur noch 40 übrig: kaum fünf Stunden Autonomie nach 477 Stunden. Und jeden Tag, bei jedem neuen Stoß des Gasbrenners, um den Ballon neu zu beheizen, diese stillschweigende Angst davor, wegen einer Treibstoffpanne abbrechen zu müssen, bevor die Weltumrundung gelungen ist.
Wenn man von der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen spricht, in unserer heutigen Welt, in der wir an jedem Tag eine Million Tonnen Erdöl pro Stunde verbrauchen, ganz zu schweigen von Erdgas und Kohle, scheint das Ganze reine Theorie zu sein. Aus Gewohnheit verbrauchen wir die natürlichen Ressourcen unseres Planeten. Wie viel schwarzes Gold bleibt uns noch? Kaum noch etwas, sagen die einen, reichlich, sagen die anderen. Tatsächlich wissen wir es nicht. Doch hier, in meiner Gondel, wo die Brenner in regelmäßigen Intervallen ihre Propanflammen ausspucken, ist das kein theoretisches Konzept, sondern die permanente Angst, vom Himmel zu fallen. Einige meiner Konkurrenten mussten bereits wegen einer Treibstoffpanne frühzeitig notlanden, mal auf dem Wasser, mal auf dem Land. Bei jeder der zweiunddreißig Gasflaschen, die nach und nach leer werden, träume ich plötzlich von durchgängigen Flügen ohne Treibstoff, von der Möglichkeit, einfach so lange in der Luft zu bleiben, wie ich will, ohne Grenzen.
Bei der erfolgreichen Landung in der ägyptischen Wüste, mit Blick auf die letzte, von Raureif überzogene Titankapsel, weiß ich, was ich gerne tun würde. Alle Puzzleteile passen plötzlich zusammen: der Umriss des pedalenbetriebenen Flugzeugs, der Prototyp der NASA, mein Hirngespinst von einem ununterbrochenen Flug ohne Treibstoffsorgen, aber auch ein unauslöschlicher Entdeckergeist und die Sorge um die Umwelt, die mir mein Vater vererbt hat.
Alles ist da, doch ich weiß nicht, wie ich das alles in die Tat umsetzen soll. Bis zum September 1999. Die orangefarbene Gondel des Breitling Orbiter 3 thront mittlerweile im Smithsonian-Museum für Luft- und Raumfahrt in Washington, neben jenen Flugzeugen und Raketen meiner Kindheitshelden. Von 1968 bis 1970 verfolgte meine gesamte Familie die Vorbereitungen meines Vaters bei den Vorbereitungen für seine Erforschung des Golfstroms. Er hatte eigens dafür ein U-Boot gebaut, finanziert von der Grumman-Gesellschaft, die bereits die Mondkapsel hergestellt hatte. Wir waren am Puls des amerikanischen Raumfahrtprogramms. An einem Tag las ich in einem Buch von der Eroberung des Weltraums, am nächsten Tag lernte ich die Akteure kennen. Wernher von Braun, der Vater der Apollo-Rakete, war zum Freund der Familie geworden. Er war es, der uns zu den sechs Raketenstarts von Apollo 7 bis 12 einlud und der es mir ermöglichte, die meisten Astronauten der Programme kennenzulernen, von Apollo, Gemini und Mercury, die später im Film Der Stoff, aus dem die Helden sind verewigt wurden. Einige von ihnen kamen sogar, um sich das U-Boot meines Vaters anzusehen, sie kamen zu uns nach Hause und sahen mein mit Flugzeug- und Raumschiffpostern übersätes Kinderzimmer. Auch Charles Lindbergh kam, ich erinnere mich, wie eingeschüchtert ich von seiner riesigen Statur und seinen weißen Haaren war.
Binnen weniger Tage wurde ich Zeuge, wie mein Vater für einen Monat in den Golfstrom abtauchte und wie die Mannschaft Armstrong-Aldrin-Collins abhob, um zum Mond zu fliegen. Es gab zwischen meiner kindlichen Lektüre und den Erfahrungen, die ich machte, keinen Unterschied mehr; keine Grenze zwischen Traum und Realität. Dieser Eindruck, dass alles möglich ist, beeinflusste mein ganzes Leben. Alles, was man liest, träumt und sich vorstellt, kann zum Ziel werden, zu einem Lebensprojekt, zur Realität. Hatte Wernher von Braun uns nicht anvertraut, seine Entscheidung, eine Rakete zum Mond zu schicken, sei nach einem Konferenzvortrag meines Großvaters zu stratosphärischen Aufstiegen von 1931 und 1932 gefallen?
Und so träumte auch ich von Entdeckungsreisen, von wissenschaftlichen Abenteuern und Umweltschutz. Nichts anderes zählte mehr für mich. Als Jugendlicher ist es nicht leicht, mit dem öffentlichen Erwartungsdruck zu leben, wenn einem zwei Entdeckergenerationen vorausgegangen sind. Ich spürte eine enorme innere Energie, die drauf und dran war zu explodieren, doch ich wusste nicht, was ich mit ihr anfangen sollte. Alles schien bereits erreicht, es gab nichts mehr zu entdecken. Ich musste erst verstehen lernen, dass eine Entdeckungsreise keine Handlung ist, sondern eine Lebenseinstellung. Sie ist die Nadel unseres inneren Kompasses, die systematisch aufs Unbekannte zeigt, auf das, was noch nie zuvor getan worden ist, was als unmöglich angesehen wird. Sie ist in allen Bereichen – nicht nur im Spektakulären, sondern vor allem auch im „Außergewöhnlichen“ – das, was uns aus unserer Komfortzone herauszieht. Der Mensch ist auf dem Mond umhergelaufen und hat den Sinn seiner irdischen Existenz noch immer nicht begriffen. Sowohl in der Psychologie als auch in der Spiritualität gilt es noch immer viele geheimnisvolle Dimensionen zu entdecken. Um die Innenwelt und das menschliche Verhalten besser zu verstehen, bin ich also Psychiater geworden und habe mich in der Hypnose und ihren Geheimnissen ausbilden lassen.
Im Alter von sechzehn Jahren begeisterten mich auch das Deltafliegen und der Umgang mit Ultraleichtflugzeugen, die zu dieser Zeit in Europa zunehmend beliebter wurden. Noch bevor ich Autofahren durfte, absolvierte ich Sprünge ins Leere, nur von einem Stoffdreieck gehalten. Mich faszinierte die zunehmende Erkenntnis darüber, wie sehr mir die Konfrontation mit dem Unbekannten dabei half, mein eigener Herr zu werden. Auf meine Art konnte ich so ein wenig vom Pioniergeist kosten; lernen, mit Risiken umzugehen und zu versuchen, was fast noch niemand vor mir gewagt hatte: Deltaflüge von einem Heißluftballon aus, gefolgt von Loopings und anderen akrobatischen Figuren; Expeditionen zu fernen Inseln im Ultraleichtflugzeug mit Kufen; die erste Atlantiküberquerung im Heißluftballon mit dem Belgier Wim Verstraeten, ein Schlüsselerfolg.
Nun war ich bereit für meinen persönlichen Traum, die erste Nonstop-Erdumrundung im Heißluftballon, die mir im dritten Versuch gelang. Und heute steht die Gondel ebenjenes Ballons neben der Mercury-Rakete von John Glenn, neben der Apollo 11, deren Start ich miterlebt hatte, neben der Spirit of St. Louis von Lindbergh, der X1, mit der Chuck Yeager die Schallmauer durchbrochen hatte, ganz zu schweigen von den Flugzeugen der Brüder Wright.
Ein erster Kreis hatte sich geschlossen. Dies hätte die Erfüllung meines Lebenstraumes bleiben können. Auch ich hatte nun ein historisches erstes Mal erreicht, wie andere Entdecker, wie die Piloten und Astronauten, die mich in meiner Kindheit so sehr inspiriert hatten. Doch ganz im Gegenteil war ich motivierter denn je. Was nützt der Erfolg, wenn man sich auf ihm ausruht? An diesem Punkt kristallisierte sich der neue Traum: in dieses Museum, dieses Heiligtum der Entdeckungsreisen, ein Solarflugzeug zu bringen, mit dem die erste Weltumrundung ohne Treibstoff gelungen wäre. Ein Traum, aus dem sehr schnell eine Obsession wurde, ohne dass ich mich traute, meinem Umfeld davon zu erzählen. Ich fürchtete, meine Idee könnte den Appetit der Rekordjäger anregen, dabei handelte es sich bei mir um das mächtigste aller Zeichen: zeigen, dass die erneuerbaren Energien, die 1999 noch in den Kinderschuhen steckten, das Unmögliche möglich machen könnten. Einen durchgängigen Flug, bei dem tagsüber genug Sonnenenergie gespeichert würde, um die Nacht im Flugzeug zu verbringen, bis zum nächsten Morgen. Grenzenlos. Und somit zu zeigen, dass Entdeckungen noch immer die Welt verändern können … zum Besseren.
Natürlich wird es immer Menschen geben, die Ihnen erzählen, eine neue Idee sei nicht umsetzbar, und dies nur mit der Ausrede begründen, so etwas hätte es noch nie gegeben. Hören Sie nicht auf sie. Eben weil es etwas noch nie gegeben hat, muss man es versuchen. Wenn Sie sich jedoch selbst vorbeten, etwas sei unmöglich – nun, dann bleibt es das in jedem Fall!
André
Ich hatte Lust gehabt, an Höhe zu gewinnen, mit der Nase nicht mehr so tief in der frenetischen Welt der Start-ups zu hängen, und genau das habe ich getan. Ich habe mich aus meinen beruflichen Aktivitäten zurückgezogen, ohne irgendetwas Konkretes zu erwarten. Ohne wirklich daran zu glauben, erhoffte ich mir eine Perspektive, die über mich selbst hinausgeht, die meine Vorsätze übertrifft. Ich habe bereits viele Projekte durchgeführt, doch jedes davon hat sich als nicht ausreichend herausgestellt, hat mehr Frust als Befriedigung hervorgerufen. Mit der Zeit hat sich das Bedürfnis, mich mit einer Sache zu identifizieren, mich ihr voll und ganz zu widmen, immer tiefer in mich hineingefressen. Es ist immer weiter angewachsen, nach und nach, ohne dass ich mir dessen wirklich bewusst war, und eines Tages hatte ich nur noch eines im Kopf: etwas zu finden, für das es sich lohnt, morgens aufzustehen und dafür zu kämpfen. Insofern erschien es mir als die natürlichste Entscheidung der Welt, meine Geschäfte zu unterbrechen, eine neue Herausforderung anzunehmen, doch diesmal auf einem Gebiet, in dem ich mich kaum auskannte, im Sozialen, meine Fähigkeiten zu bündeln und mich nützlich zu machen.
Zuvor hatte ich die Weltumrundung im Heißluftballon verfolgt. Ich erinnere mich, dass ich mir selbst gesagt hatte, dass ich gerne eines Tages mit Bertrand zusammenarbeiten würde. Doch wie sollte ich das angehen? Und was sollte ich ihm vorschlagen? Sein Abenteuer hatte mich nachhaltig bewegt. Dieses Gefühl erinnerte mich an meine Kindheit. Die Bücher, die ich in jungen Jahren las, haben in mir den Gedanken verankert, mich intellektuell zu engagieren, mein Leben für andere zu riskieren und mit Limits zu flirten. Es ist beinah amüsant, dass der kindliche Wunsch, ein Held zu sein, der ja in jenem Alter recht normal ist, mich nie so ganz verlassen hat.
Aufgewachsen bin ich in einem kleinen schweizerischen Dorf neben Lausanne. Mit zwölf sprang ich mit Freunden aus Spaß auf Skiern von den Dächern der Alpenhütten. Mit der Zeit wurde diese Mutprobe als einfach angesehen, also versuchte ich den Sprung auf nur einem Ski und mit einer kompletten Drehung in der Luft. Als ich stürzte, löste sich die Sicherheitsbindung meines Skis nicht, und durch die schnelle Drehung brach ich mir das Bein. Und zwar schwer. Ich litt furchtbar. Ich erinnere mich an die Abfahrt auf dem Schlitten bis zum Fuß der Piste. Ich sah, wie die Landschaft vorüberglitt, lag unter den Decken und erlebte aufgeregt ein einmaliges Abenteuer, das durch außergewöhnlichen Wagemut entstanden war. Die Nacht verbrachte ich in der Notambulanz. Ich sah Menschen mit noch schlimmeren Verletzungen als meiner eigenen. Ich war allein, denn Eltern war es zu jener Zeit untersagt zu bleiben. Mitten in der Nacht, als ich döste, um den Schmerz zu vergessen, gab es einen großen Aufruhr. Ein Mann wurde eingeliefert, dem ein Zug ein Bein abgerissen hatte. Ich sah etwas, das nur wenige Kinder in meinem Alter sahen.
Die Ergebnisse meiner Röntgenaufnahmen zeigten, dass sich mein Fuß um dreißig Grad nach innen gedreht hatte. Der Arzt, der sich um mich kümmerte, behauptete, die Knochen würden sich schon von allein wieder richten. Das taten sie am Ende auch, doch die Verdrehung blieb. Ein Jahr später musste ich mir den Fuß erneut brechen lassen und verbrachte zwei weitere Jahre zwischen Krankenhaus und meinem Bett. Zweifelsohne haben die Frustration und die Einsamkeit dieser Zeit aus meiner Traumwelt und Fantasie einen Rückzugsort gemacht, der für mich wichtiger war als für andere Jugendliche. Ich ging dem Sinn von alldem auf den Grund, was ich gesehen und erlebt hatte, und entwickelte jene kindliche Logik, nach der das Risiko etwas Außergewöhnliches hervorbringt. Gleichzeitig sind auch die merkwürdigen nächtlichen Ereignisse im Krankenhaus hängen geblieben, die drei Jahre eingeschränkter Mobilität im Alter von zwölf bis fünfzehn Jahren, die mich dazu gezwungen haben, niemals die triviale Realität hinter gewissen Grenzen zu vergessen.
In meiner Freizeit verschlang ich Bücher über die Pioniere der Luftfahrt aus dem 20. Jahrhundert. Die große Arena von Clostermann faszinierte mich. Gierig las ich alles, was meinen Hunger auf Heldentum und Abenteuer nähren konnte. Ich baute Modellflugzeuge. Ich ließ sie von meinem Bett aus fliegen. Ich stellte mir vor, Pilot zu sein. Im Cockpit würde ich zur Eroberung des Himmels starten und das fantastische Leben der großen Entdecker leben. Im Erwachsenenalter löste sich dieser Traum nicht in Luft auf – im Gegenteil, er entwickelte sich weiter. In meiner Fantasie baute ich mir eine Welt auf.
Diese Aspirationen haben mich nie verlassen. Als mich meine zwei Beine wieder trugen, machte ich eine Pilotenausbildung. Ich biss mich durch und bewarb mich zur Kampfpilotenausbildung beim Militär. Aus tausend Bewerbern wurden sechs angenommen. Ich gehörte zu jenen sechs Auserwählten und wurde Jagdflieger der Schweizer Armee; der außergewöhnlichsten Disziplin der Luftfahrt.
Die Kraft jener Maschinen zu kontrollieren, die Intensität der Formationsflüge zu spüren, den Geist der Kameradschaft zu leben, da jeder weiß, dass in der Luft das eigene Leben von den anderen abhängt – all das hat mich geprägt. Ich hatte gekämpft, um an jenen Punkt zu gelangen, und ich habe jeden einzelnen Moment genossen. Ich hatte als militärischer Pilot die Möglichkeit, diese Jagdmaschinen zu fliegen. Zwei Monate eines jeden Jahres, die jener fantastischen Aufgabe gewidmet waren. Doch mein Ziel war es nicht, daraus meinen Beruf zu machen. Pilot bei einer Fluglinie – keine Motivation. Eintönig, monoton. Mit meinem Bedürfnis zu handeln geht eine gewisse Risikobereitschaft einher, bis ans Limit zu gehen, um auszutesten, ob es möglich ist, noch weiter zu gehen. Testpilot zu werden, hätte mich gereizt. Dabei gab es wenigstens keine Routine. Zumindest nicht in den Vereinigten Staaten, die ja an der aeronautischen Entwicklung arbeiten – im Gegensatz zur Schweiz.
Parallel zu meiner militärischen Ausbildung studierte ich Maschinenbau mit Schwerpunkt Aeronautik. Ich wollte wissen, wie Flugzeuge fliegen, um vielleicht eines Tages eines bauen zu können. Ich studierte auch BWL, da man um die Finanzwelt nicht herumkam. Nach einigen Jahren in der Recherche habe ich mich in Richtung Consulting orientiert, bis hin zur Finanzierung und schließlich zum Aufbau einer Firma. Doch nichts konnte das ausradieren, was sich in meinen drei Jahren der Bettlägerigkeit in mir festgesetzt hatte. Je weiter ich vorankam, im Business, dessen einziges Ziel es war, noch mehr Business zu generieren, desto sinnloser kam mir das alles vor. Auf eine Art habe ich meine Karriere von hinten nach vorn gelebt. Und es wäre nicht eben falsch zu behaupten, dass mein Traum sich 1999 wieder zu regen begann, als ich Zeuge der Landung des ersten Heißluftballons wurde, der die Welt umrundet hatte.
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