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Die geilste Lücke im Lebenslauf – Die dunkle Seite

Nick Martin
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Was nicht so geil war in 10 Jahren Weltreisen

„Mit Witz und unerschütterlichem Optimismus richtet er das Spotlight auf die Welt jenseits der Instagram-Fassade.“ - StadtRadio Göttingen „Book's n' Rock's“

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Die geilste Lücke im Lebenslauf – Die dunkle Seite — Inhalt

„Du glaubst nicht, was mir passiert ist …“

Nach über zehn Jahren Weltreisen hat Nick Martin mehr als einmal erlebt, dass Fehltritte und Grenzerfahrungen zum Reisealltag dazugehören. Er wurde von Menschenfängern übers Ohr und von korrupten Cops in die Pfanne gehauen, hat sich auf selbst gebastelten Krücken durchgeschlagen oder wurde bis aufs letzte Hemd ausgeraubt. Es ist eben nicht immer alles Pommes und Disco.

„Ein ehrliches und wichtiges Buch.“ Mittelbayerische Zeitung

Doch was wäre die geilste Lücke im Lebenslauf ohne ihre dunkle Seite? Mit Witz und unerschütterlichem Optimismus richtet Nick Martin das Spotlight auf die Welt jenseits der Instagram-Fassade und fordert aufs Neue die Abenteuerlust seiner Leserinnen und Leser heraus. 

„Nick Martin ist eine Legende in der Backpacker-Szene.“ welt.de

€ 16,00 [D], € 16,50 [A]
Erschienen am 26.01.2023
Mitautor: Anita Vetter
336 Seiten, Klappenbroschur
EAN 978-3-492-40659-8
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Leseprobe zu „Die geilste Lücke im Lebenslauf – Die dunkle Seite“

Intro
Ilha do Guajiru, Brasilien · Dezember 2018
Der totale Fuck-up. Echt. Dabei könnte alles so schön sein. Ich liege auf einer bequemen Hängematte, die mitten im schönsten Sonnenschein auf einer riesigen Dachterrasse gespannt ist. Über mir strahlend blauer Himmel, unter mir die türkisblaue Herrlichkeit einer der schönsten Kite-Lagunen, die ich je gesehen habe. Irgendeiner der winzigen Punkte da unten ist meine Freundin Steffi, die gerade einen Spaziergang macht. Würd ich auch gern. Kann ich aber nicht.
Mein Hängemattennachbar Freddy reicht mir einen [...]

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Intro
Ilha do Guajiru, Brasilien · Dezember 2018
Der totale Fuck-up. Echt. Dabei könnte alles so schön sein. Ich liege auf einer bequemen Hängematte, die mitten im schönsten Sonnenschein auf einer riesigen Dachterrasse gespannt ist. Über mir strahlend blauer Himmel, unter mir die türkisblaue Herrlichkeit einer der schönsten Kite-Lagunen, die ich je gesehen habe. Irgendeiner der winzigen Punkte da unten ist meine Freundin Steffi, die gerade einen Spaziergang macht. Würd ich auch gern. Kann ich aber nicht.
Mein Hängemattennachbar Freddy reicht mir einen riesengroßen Joint rüber. Ich mache mir nichts aus Marihuana und vertrage es auch nicht. Trotzdem ziehe ich dran. Wir beide sind mit den Köpfen schon längst in den Wolken über uns. Oder wie man hier so schön sagt: „high as a kite“.
„Einmal habe ich mich so dermaßen in den Leinen verheddert. Meinen Kite hat es nach oben gerissen, und ich wurde unter Wasser gedrückt. Da hing ich dann wie ein nasser Sack und wurde durch die Lagune gezerrt.“
Während ich in den Himmel über mir starre, lausche ich Freddys Kitesurf-Geschichten. Davon hat der Typ eine Menge auf Lager, einschließlich einiger Nahtoderfahrungen. Freddy ist ein guter Erzähler. Obwohl meine Laune so was von im Keller ist, bringt er mich zum Lachen. Seine Reisegeschichten erinnern mich an meine eigenen und daran, wie ich sie in den letzten Jahren auf der Bühne zum Besten gegeben habe: Eigentlich krasse Erlebnisse, die teilweise gefährlich und überhaupt nicht zum Lachen waren, werden im Scheinwerferlicht plötzlich zu echten Brüllern. Wie oft habe ich auf der Bühne schon von dem Tag erzählt, als mir eine Harpune in die Brust gejagt wurde. Obwohl das eine der krassesten Situationen in meinem Leben war, bringe ich die Menschen damit zum Schmunzeln. Manchmal ist nicht nur Vorfreude die schönste Freude, sondern auch Schadenfreude.
Wenn wir vom Reisen erzählen, strahlt meist alles in positivem Licht. Wir berichten von Abenteuern, witzigen Erlebnissen und spannenden Menschen, die wir getroffen haben, und prahlen damit, wie viel reicher wir durch die ganzen Erfahrungen geworden sind. Das stimmt ja auch. Für mich ist Reisen die beste Universität des Lebens. Da können sich Harvard und Co. noch ein paar Scheiben abschneiden. Beim Reisen machst du einen großen Satz raus aus deiner Komfortzone, sprengst deine Grenzen und lernst dich selbst von ganz anderen Seiten kennen. Abseits des Alltags, in dem es bisher so bequem war. Plötzlich musst du dich jeden Tag neu definieren, denn ständig steckst du in unbekannten Situationen, triffst auf andere Menschen oder stellst dich neuen Herausforderungen.
Weil genau das mein Leben so bereichert hat, liebe ich es, andere dazu zu inspirieren, ungeahnte Abenteuer zu entdecken. Das mache ich bei meinen Liveshows, in meinem Podcast oder bei Interviews. Aus diesem Grund habe ich auch mein erstes Buch Die geilste Lücke im Lebenslauf veröffentlicht. Doch bei all der Inspiration fehlte mir plötzlich etwas. Und zwar die Kehrseite der Medaille. Ganz ehrlich: Jede Wurst hat zwei Enden. Das ist auch beim Reisen so. Es ist nicht immer alles Pommes und Disco. Das ist übrigens auch der Grund dafür, warum ich mitten im schönsten Kite-Paradies NICHT auf einem Board stehe und mir NICHT den Wind um die Nase wehen lasse. Der Grund, warum ich hier im sonnigen Brasilien plötzlich Marihuana rauche.
Im Unternehmenskontext gibt es die sogenannten Fuck-up-Nights. Das sind Events, auf denen Unternehmer und Selbstständige davon berichten, wie sie gescheitert sind, sich mal so richtig schön auf die Fresse gepackt und ihre Unternehmen oder einzelne Projekte gegen die Wand gezimmert haben. Warum stellen die sich auf eine Bühne und erzählen davon? Und warum hören da so viele zu? Ganz einfach: weil aus dem Scheitern oft die größten Learnings entstehen. Es gab mal einen Erfinder namens Thomas Alva Edison. Genau, der Typ, der die Glühbirne miterfunden hat. Allerdings erst nach langem Herumprobieren. Dazu sagte Edison einmal: „Ich habe nicht versagt. Ich habe nur 10 000 Wege gefunden, die nicht funktionieren.“ Im Grunde ist es das: Man probiert so lange rum, bis man den Weg findet, der einen dahin bringt, wo man hinmöchte. Dass man sich zwischendurch ein paarmal verirrt oder in die verkehrte Richtung rennt, ist Teil des Spiels. Das gilt auch fürs Reisen. Jeder kann barfuß mit einem Mojito in der Hand am Strand tanzen und bescheuert-glücklich lächelnd zum Beat vom Bacardi-Jingle wippen. Aber das sind nicht unbedingt Momente, in denen wir am meisten lernen oder die dazu führen, dass wir die Glühbirne erfinden. In Wahrheit ist es die andere Seite der Medaille, die uns reifen lässt. Die dunkle Seite. Die 10 000 Wege, wie wir eine Glühbirne nicht zum Leuchten bringen.
Genau darum soll es in diesem Buch gehen. Kehren wir mal den ganzen lustig ausgeschmückten, positiven, strahlenden Reiseerfahrungen den Rücken zu und stecken den Kopf in die vermeintliche Dunkelheit, in die uns auch das Reisen in schöner Regelmäßigkeit hineinkatapultiert. Die einzelnen Kapitel sind nicht chronologisch aufgebaut. Du kannst die folgenden Geschichten also zusammenhängend lesen oder kreuz und quer. Anhand eines Bewertungssystems am Anfang eines jeden Kapitels bekommst du schnell einen Überblick, worum es in der Geschichte geht: um Verletzungen, Herzschmerz, Mindfucks oder ab und zu auch mal die subjektive Ausweitung der Grenzen der Legalität. Unbehagliche Storys aus meinen zehn Jahren Weltreisen. Du kannst das Buch einfach als Edutainment nehmen oder Inspiration daraus ziehen. Eines solltest du aber beachten: Wenn du nach dem Lesen dieses Buches immer noch von einer Langzeitreise träumst, dann sieh das als Zeichen, dass du es wirklich durchziehen solltest.
Bist du am Start? Na dann:

Herzlich willkommen zur dunklen Seite des Reisens, zur Fuck-up-Version von Die geilste Lücke im Lebenslauf.

Fangen wir doch gleich mal damit an, warum zur Hölle ich mit angefressener Laune in einer brasilianischen Hängematte liege.


Auf Krücken
Jericoacoara, Brasilien · Dezember 2018
Kennst du dieses Gefühl, wenn du morgens aufwachst und einfach weißt: Das wird ein großartiger Tag! Schon bevor du deine Augen öffnest, passt dein Grinsen fast gar nicht mehr zwischen deine beiden Ohren, so voller Vorfreude brummt es in deinem ganzen Körper. So ungefähr habe ich mich die ganze Zeit gefühlt, seit Steffi, unser Kumpel Björn und ich in Brasilien angekommen und mit einem Mietwagen zu einem Roadtrip gestartet waren. Eines unserer Ziele: Jericoacoara, ein kleines Fischerdorf an der Nordküste und ein absoluter Traum-Spot für alle Kitesurfer. „Jeri“ ist rundum ein besonderes Fleckchen Erde, denn hier drehen sich die Uhren sehr viel langsamer als in den Großstädten dieser Welt. Es gibt keine Straßen, nur Sand, alle laufen barfuß und genießen das Leben ohne künstlichen Stress. Wenn es dort überhaupt so etwas wie feste Termine gibt, dann eigentlich nur einen: Jeden Abend pilgert das halbe Dorf auf eine Sanddüne, um den Sonnenuntergang zu zelebrieren. Man klettert die Düne hoch, setzt sich hin und wartet, bis die Sonne untergeht. Von überall wehen Musik und fröhliche Unterhaltungen herüber – und auf dem Weg kommt man an lauter kleinen Verkaufsständen vorbei, an denen Einheimische Caipirinhas verkaufen.
Caipirinhas in Brasilien, speziell in Jeri, sind eine ganz andere Nummer als das, was wir aus deutschen Bars kennen. Alle möglichen Früchte wie Maracujas, Kiwis, Kirschen, Orangen oder Mangos werden hineingemischt – und zwar so frisch, dass sie quasi vom Baum oder Strauch direkt ins Glas fallen. Manchmal kommen noch Gewürze wie Pfeffer oder Chili dazu. Das Ganze schmeckt so gut, dass du dir die Dinger reinhaust wie Fanta. Und wie das halt so ist: Du bist gerade in Jeri angekommen, dein Grinsen hört überhaupt nicht mehr auf, weil du einen fantastischen Tag hattest. Du warst surfen, kiten, bist durch die Gegend geheizt, und jetzt machst du dich in dieser einmaligen Atmosphäre auf den Weg zur Düne, um den Tag, das Leben und einfach prinzipiell alles zu feiern. So ging es mir, als ich da im Sand saß, Steffi und Björn neben mir. Die Sonne wurde kleiner und kleiner, bis wir nur noch einen winzigen roten Strich sahen, ganz unten am Rand, wo der Himmel auf das Meer trifft. In dem Moment, als auch dieser kleine rote Strich verschwand, standen plötzlich alle Menschen auf und klatschten. Ein riesiger Jubel. Sofort war ich eine einzige Gänsehaut. Ich platzte fast vor Freude und Leichtigkeit. Wie kann das Leben nur so toll sein? Das war einer dieser Momente, in denen mein Nick-Gehirn auf die ganz großartigen Ideen kommt. Natürlich. Ich stand da, jubelte, und plötzlich hörte ich mich rufen: „Los, Leute, wer zuerst im Meer ist!“ Und mit einem lauten „Wohoooo!“ purzelte ich auch schon die relativ steile Düne runter. Eine Sekunde später folgten Steffi, Björn und eine Handvoll der anderen Menschen. Es muss ein Anblick für die Götter gewesen sein, als ein halbes Dutzend caipirinhabeschwipste Leute vor einem in allen Rottönen strahlenden Abendhimmel die Düne runterrannten, sich nach ein paar Schritten die Beine im Sand verknoteten und den Rest der Strecke in Purzelbäumen kreuz und quer durcheinanderrollten.
Als ich unten ankam, war ich von oben bis unten so sehr mit Sand paniert, dass jedes Wiener Schnitzel vor Neid erblasst wäre. Lachend sprang ich auf die Füße und rannte die letzten Meter ins immer noch angenehm warme Wasser. Mit großen Sprüngen kämpfte ich mich jauchzend durch die heranrollenden Wellen, bis mich plötzlich ein „Plop“ innehalten ließ. Ich weiß noch, dass ich eine Sekunde Zeit hatte, so etwas wie „häh?“ zu denken. Dann explodierte mein Bein. Es fühlte sich an, als hätte mir ein Profi-Pitcher aus der Major League Baseball eine Kokosnuss aus einem Meter Entfernung direkt auf die Wade gefeuert. Ich ließ mich sofort ins Wasser fallen und schrie vor Schmerz. Meine erster Gedanke: „Krass, irgendein Tier hat mich gebissen! Ein Fisch. O Gott, ein Hai?!“ Wie von der Tarantel gestochen sprang ich wieder auf die Füße, nur um zu merken, dass mich mein rechtes Bein nicht mehr trug. Also wirklich gar nicht. Noch nie im Leben hatte ich solch einen Schmerz gefühlt. Belastete ich mein Bein auch nur ein kleines bisschen, jagte es mir wie mit einem Dolch durch die Wade, und der Schmerz brandete durch meinen ganzen Körper bis in den Kopf. Ich sah nur noch Sterne – und zwar nicht die über mir.
Um mich herum stürzten mehr und mehr mit Sand panierte Menschen fröhlich jubelnd ins Wasser. Von überallher hörte ich „yeah“ und „wohoo“ und sonstige Schreie. Dass ich genauso schrie, nur aus einem ganz anderen Grund, fiel überhaupt niemandem auf. Ich lag zusammengekrümmt im knietiefen Wasser und wusste genau: „Nick, das ist nicht irgendein Schmerz, der wieder abflaut. Da ist etwas nicht in Ordnung.“ Während ich halb saß, halb lag und mir die Schmerzenstränen in die Augen schossen, schaute ich auf meine Wade, konnte aber nichts erkennen.
Ein paar Sekunden später kamen Björn und Steffi angesprungen, wollten sich in meine Arme schmeißen und das Leben zelebrieren – genau wie ich noch Sekunden zuvor. Ich schrie irre laut: „Fuck! Es tut so weh, es tut so weh! Da ist was kaputt!“ Erschrocken wollten die beiden wissen, was passiert war. Ich quetschte die Worte zwischen meinen zusammengebissenen Zähnen hervor: „Keine Ahnung, etwas hat mich in die Wade gebissen!“ Am Strand sahen wir, dass mit meiner Wade definitiv etwas nicht in Ordnung war. Allerdings war keine Wunde zu sehen, kein Blut, keine Kratzer. Reingebissen hatte ganz sicher niemand. Dafür schwoll sie zunehmend an, und mein Wadenmuskel war tiefergelegt.
Mittlerweile hatte die Dämmerung so richtig eingesetzt, und die Menschen liefen in Gruppen zurück zum Dorf. Auch mir kam es am vernünftigsten vor, erst einmal wieder heimzugehen und mich aufs Bett zu legen. Leichter gesagt als getan. Hatten wir für den Hinweg gerade mal zwanzig Minuten gebraucht, dauerte es jetzt geschlagene eineinhalb Stunden, bis ich endlich auf meiner Matratze zum Liegen kam. Mittlerweile war meine Wade auf das Doppelte ihrer tatsächlichen Größe angeschwollen. Mir war sofort klar: Ich brauchte einen Arzt. Das will schon was heißen, denn das sage ich nicht sehr oft. Das Problem war: Wir befanden uns in Jeri. In Sandstraßen-Caipirinha-Jeri. Ein richtiges Krankenhaus suchst du hier eine Weile.
Alles, was wir bei unserer Internetrecherche finden konnten, war ein kleines Medical Center ein Stück außerhalb der Ortschaft. Doch wie dahin kommen? Es war Nacht geworden, also stockfinster. Steffi versuchte, einen Fahrer zu organisieren, blieb aber erfolglos. Autos gibt es in Jeri nicht, dafür aber Quads. Und Kühe. Eine Menge Kühe. Ich war schon kurz davor, wirklich den Ritt auf einer Kuh in Kauf zu nehmen, verwarf das aber schnell wieder. Ich konnte nicht einmal ordentlich stehen, wie im Himmel sollte ich auf eine Kuh klettern? Ich war noch nie auf einer Kuh geritten, wie sollte das überhaupt funktionieren? Während ich mit den Schmerzen kämpfte und weiteren wirren Gedanken nachhing, kam Steffi zurück an mein Bett: „Nick, es hilft nichts, ich finde keinen Fahrer. Wir müssen da jetzt zu Fuß hin.“
Ich sag es, wie es ist: Es war die Hölle. Irgendwann stolperten Steffi und ich in dieser Nacht tatsächlich durch die Türen des Medical Center. Erst nachdem ich im Schneckentempo Zentimeter für Zentimeter zur Anmeldung gehumpelt war und wir berichtet hatten, was los war, kam eine Schwester auf die Idee, dass ein Rollstuhl helfen könnte. Nach der ganzen Lauferei war meine Wade jetzt nicht mehr nur doppelt so dick, sie hatte locker das Dreifache ihres normalen Umfangs erreicht. Es sah aus, als hätte ich einen zweiten Oberschenkel an meinem Schienbein hängen. „Oh, oh!“, dachte ich nur, und mir drehte sich bei dem Anblick fast der Magen um.
Als die Ärztin gekommen war und mein Bein begutachtet hatte, sagte sie: „Das ist kaputt, das braucht sehr viel Zeit.“ Obwohl ich nicht wirklich gut Portugiesisch verstand, wusste ich sofort, was sie dann erklärte: Ich musste warten, bis die Schwellung zurückging. Erst dann konnte man überhaupt sehen, was genau passiert war. Ich hatte da ein paar düstere Alternativen zur Auswahl: eine krasse Verstauchung, einen Bruch, einen Muskelbündelriss oder einen Muskelfaserriss. Egal welche Option: Es war eigentlich alles so richtig suboptimal. Wir waren gerade erst in Brasilien angekommen und hatten noch so viel vor!
Doch es half nichts, und schließlich machten wir uns wieder auf den Weg nach Hause. Als ich mit dem Rollstuhl aus dem Medical Center rollen wollte, kam ich plötzlich nicht mehr weiter. Ich drehte mich um und bemerkte einen Krankenpfleger, der die Haltegriffe gepackt hatte.
„Ähm, kann ich weiterrollen?“, fragte ich den Typen.
„Nee, sorry, den Rollstuhl brauchen wir hier für den nächsten Patienten.“
Okay, das sah ich ein. Mit einem Rollstuhl im Sand zwischen Kühen rumzurollen machte sowieso keinen Sinn. Ich stand auf, stützte mich auf Steffi und blickte wieder zurück zum Krankenpfleger. „Kann ich vielleicht Krücken bekommen?“
Der Krankenpfleger schüttelte den Kopf: „Wir haben nur Krücken für Patienten, die sich im Medical Center aufhalten.“
Es gibt Momente, die nur mit ironischem Lachen auszuhalten sind. Also lachte ich einmal laut. Danach humpelte ich mit Steffis Hilfe den ganzen Weg zurück zu unserer Unterkunft. Ich verzichte auf die Beschreibung der Schmerzen, die mir dabei fast die Schädeldecke vom Kopf sprengten. Zu Hause angekommen, kratzten wir das Eis von den Innenwänden unseres Kühlschranks, um der Schwellung etwas entgegenzusetzen. Dann ging Steffi noch mal los, um den Caipirinha-Verkäufern ein paar ihrer Eiswürfel abzuschwatzen. Björn, der neugierig in unserer Unterkunft gewartet hatte, reichte mir Naturheilmittel in Form einer selbst gedrehten THC-Kräuterzigarette.

In den nächsten Tagen schaffte ich es, über Facebook eine Physiotherapeutin in Jeri ausfindig zu machen und einen Termin zu vereinbaren. Bis dahin war ich damit beschäftigt, mobil zu werden. Ich war ein Häufchen Elend und gar nicht mehr der lustige, frohe Nick, den alle am ersten Tag kennengelernt hatten. In einem kleinen brasilianischen Hardware-Store – eigentlich mehr einer Hütte, in der alles Mögliche durcheinanderlag – organisierte ich die Holzstiele eines Spatens und ließ Plastikrohre auf eine bestimmte Länge zuschneiden. So bastelte ich mir behelfsmäßig eine Art Krücken. MacGyver wäre stolz auf mich gewesen. Mit den Rohren verlängerte ich die Holzstiele und setzte unten noch kleine Plastikstöpsel drauf, damit kein Sand reinkommen konnte. Weil das Holz unter den Achseln sehr wehtat, polsterte ich die Enden mit Schaumstoffschläuchen aus. So kam ich wenigstens ein bisschen voran.
Die Physiotherapeutin musste mich noch ein paar Tage vertrösten, da das Bein noch zu stark angeschwollen war. Die Wartezeit bis zur Behandlung verbrachte ich fast ausschließlich in der Hängematte und ohne Bewegung.
Als mein Bein mit den zwei Oberschenkeln endlich wieder ein wenig Form bekam, wurde ich dazu genötigt, es komplett zu rasieren. Ich begab mich in einen kleinen Wettbewerb mit Steffi: Wer von uns beiden bekam die glatteren Beine hin? Es wurde ein Unentschieden. Anschließend machte die Physiotherapeutin einen Ultraschall, der eine meiner düsteren Vorahnungen Realität werden ließ: Muskelfaserriss. Herzlichen Glückwunsch. Für mich bedeutete das: Der Brasilien-Roadtrip war gelaufen. Das war noch ein viel größerer Schmerz als der physische, den ich permanent aushalten musste. Ich war mit so vielen Plänen und so viel Vorfreude nach Brasilien gekommen: das Land erkunden, eine gute Zeit mit Steffi und Björn haben, Silvester in Rio feiern und so weiter. Das Einzige, was mein Muskelfaserriss nun dazu zu sagen hatte, war: „Nö.“
Gleichzeitig war mir auch klar, dass mein Roadtrip-Ende nicht das Roadtrip-Ende für Steffi und Björn bedeuten musste. Ich kann es sowieso nicht leiden, wenn mich jemand den ganzen Tag bemuttert, weil ich krank bin. Im Gegenteil: Ich bin dann lieber alleine. Also sagte ich den beiden, dass sie einfach weitermachen sollten wie geplant. Shit happens.
Doch erst mal genossen Steffi und Björn die weiteren Tage in Jeri, während ich deprimiert herumlag. Es ist wirklich Mist, wenn du die Abenteuer vor der Nase hast, aber physisch zu nichts in der Lage bist. Das ist auch der Grund, warum ich immer sage: „Setz deine Träume jetzt in die Realität um! Warte nicht auf morgen oder auf die Rente. Geld kannst du immer irgendwie verdienen, aber die Zeit, in der es dir gut geht, bekommst du nie wieder zurück.“ Ich jedenfalls hatte wieder einmal bemerkt, wie schnell Freiheiten weg sein können, wenn die Gesundheit nicht mitspielt.
Am Ende war ich insgesamt sechs Wochen in Brasilien. Oder besser: Ich lag sechs Wochen in Brasilien herum. Unter anderem auch in besagter Hängematte auf der Ilha do Guajiru, wo mir Freddy Gesellschaft leistete. Steffi und ich waren gemeinsam dorthin übergesiedelt und hatten noch zusammen Weihnachten verbracht. Danach reiste sie nach Rio, um Silvester mit Freunden zu feiern. Björn war zuvor schon allein weitergegondelt.
Nachdem Steffi weg war, tauschte ich humpelnd die Hängematte auf der Ilha do Guajiru gegen eine Hängematte in Pipa. Als ich dort lag und nichts anderes zu tun hatte, schnappte ich mir mein Smartphone und begann, die Geschichten für mein erstes Buch einzusprechen. Man kann also sagen: Mein erstes Buch verdanke ich dieser Zeit, in der ich zu endloser Ruhe gezwungen wurde. Oder um es anders auszudrücken: „Shit happens“ ist immer auch das, was du draus machst.

Nick Martin

Über Nick Martin

Biografie

Nick Martin, 1986 in Würzburg geboren, hängte 2010 seinen Vertriebsjob an den Nagel und startete seine Weltreise mit einem One-Way-Ticket nach Mexiko. Seitdem ist die Welt sein Zuhause. Bis heute hat er über 85 Länder bereist und in sieben davon gewohnt – unter anderem auf den Fidschis, in Ecuador...

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