Madame Mozart. An der Seite eines Genies Madame Mozart. An der Seite eines Genies - eBook-Ausgabe
Historischer Roman
— Historische Romanbiografie um Mozarts große LiebeHistorischer Roman
Madame Mozart. An der Seite eines Genies — Inhalt
Mozarts Ehefrau Constanze, die ihren Mann inspirierte und nach seinem Tod als Sängerin und Nachlassverwalterin seine Musik verbreitete, erzählt ihr Leben. Für alle Leser:innen von biografischen Romanen über starke Frauen aus Kunst, Literatur und Musik
„Sie verspürte plötzlich dasselbe Magenkribbeln wie vorhin im Theater, als die Ouvertüre erklungen war, sich der Vorhang langsam aufgezogen und den Blick auf die magische Szenerie freigegeben hatte, die Schauplatz von Liebe, Lust und Leid wurde. Genauso war Wolferls Leben gewesen. Und ihres an seiner Seite. Eine Zeit voller großer Gefühle.“
Mannheim 1778: Hochkarätige Musiker und Sänger stehen in den Diensten des Kurfürsten, der eines der besten Orchester Europas unterhält. Eines Tages kommt der junge Mozart in die Stadt. Die sechzehnjährige Constanze ist fasziniert von ihm. Er aber verliebt sich in ihre Schwester Aloisia. Die politischen Umstände zwingen sie indes, getrennte Wege zu gehen. Drei Jahre später begegnen sie sich in Wien erneut. Aloisia ist inzwischen verheiratet. Hat Constanze nun eine Chance?
Leseprobe zu „Madame Mozart. An der Seite eines Genies“
Ouvertüre
Salzburg
September 1828
Im Theatersaal summte es wie in einem Bienenstock. Die Musiker im Orchestergraben rückten Stühle und Notenpulte zurecht, spielten sich ein und begrüßten einander mehr oder weniger lautstark.
Constanze verspürte ein nervöses Kribbeln im Magen. Sie war so aufgeregt wie früher, als sie noch Madame Mozart gewesen war. Damals hatte jede Premiere über das Wohl oder Weh ihrer Familie entschieden.
Nun saß sie allein im Zuschauerraum. Sie hatte den jungen Dirigenten gebeten, bei der Generalprobe zuhören zu dürfen. Gern hatte er ihr [...]
Ouvertüre
Salzburg
September 1828
Im Theatersaal summte es wie in einem Bienenstock. Die Musiker im Orchestergraben rückten Stühle und Notenpulte zurecht, spielten sich ein und begrüßten einander mehr oder weniger lautstark.
Constanze verspürte ein nervöses Kribbeln im Magen. Sie war so aufgeregt wie früher, als sie noch Madame Mozart gewesen war. Damals hatte jede Premiere über das Wohl oder Weh ihrer Familie entschieden.
Nun saß sie allein im Zuschauerraum. Sie hatte den jungen Dirigenten gebeten, bei der Generalprobe zuhören zu dürfen. Gern hatte er ihr diesen Wunsch erfüllt. Immerhin hatte er sie in den vergangenen Wochen viele Male aufgesucht, um sie über die Tempi auszufragen, die ihr Mann seinerzeit im Kopf gehabt hatte.
Wie lange ist das her, überlegte Constanze. Die Entführung aus dem Serail war die Oper, die Wolferl in der Zeit ihrer Verlobung komponiert hatte. Fast ein halbes Jahrhundert war seitdem vergangen. Zuletzt hatte sie das Singspiel vor zehn Jahren gemeinsam mit ihrem zweiten Ehemann Georg Nikolaus Nissen in Kopenhagen gesehen. Auch ihn hatte sie überlebt. Verstohlen tupfte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Hoffentlich würde sie nicht anfangen zu weinen, wenn sie gleich die vertraute Musik ihrer Jugend wieder hörte.
Plötzlich erklang das strahlende a der Oboe über dem allgemeinen Stimmen- und Klanggewirr, das schlagartig verstummte. Der Konzertmeister nahm das a ab und gab es an die anderen Musiker weiter, die ihre Instrumente stimmten.
Der Dirigent sprang aufs Podest und begrüßte sein Orchester. „Wir wollen uns in der ersten halben Stunde auf die Ouvertüre konzentrieren“, sagte er. „Ich habe Frau Nissen, die Witwe unseres verehrten Mozart, in vielen Gesprächen über die Spielweise, die ihr Mann vorgesehen hatte, befragt. Ich möchte, dass wir es genauso machen, wie Wolfgang Amadeus Mozart es erdacht hat.“ Er drehte sich zu Constanze um und lächelte. „Wir freuen uns, dass Sie hier sind.“
Die Orchestermusiker applaudierten zaghaft.
Sie nickte freundlich.
Dann hob der junge Dirigent die Arme und gab den Einsatz. Zu den regelmäßigen Achteln der Celli intonierten die Geigen im knisternden Pianissimo das fröhliche, schmissige Thema der Ouvertüre. Nach einigen Takten setzten die anderen Instrumente ein, schließlich das gesamte Schlagwerk, das den Alla-turca-Charakter der Oper hervorragend wiedergab.
Der volle Orchesterklang pulsierte durch Constanzes Adern. Die Musik katapultierte sie in ihre Jugend zurück. Sie sah Wolferl vor sich, wie er emsig die vielen Noten zu Papier brachte. Sie sah ihn am Klavier, wie er ihr die Ouvertüre vorspielte und sie dann bat, die Arien der gleichnamigen Heldin Konstanze zu singen. Sie scherzten und neckten einander, berührten und küssten sich, immer auf der Hut, dass nicht ihre Mutter plötzlich die Tür aufriss und sie in verbotenen Posen überraschte.
Der Dirigent ließ die Ouvertüre am Stück durchspielen. Erst danach bat er die Musiker, einzelne Passagen zu wiederholen.
Das Orchester spielte gut. Sehr gut sogar. Constanze erinnerte sich, dass zur Zeit der Entstehung der Oper die Musiker Wolferls virtuose Läufe längst nicht so gut und schnell hatten spielen können. Damals waren Generalproben stets nervenaufreibend gewesen. Nicht selten hatte sie Wolferl im Anschluss daran trösten und ihm Mut zusprechen müssen.
„Wie finden Sie es?“, riss der Dirigent Constanze aus ihren Gedanken.
Sie zuckte zusammen. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass ein Maestro sie, eine Frau, um ihre Meinung bat. Sie räusperte sich. „Es ist wunderbar, meine Herren, Sie spielen alle hervorragend“, sagte sie. „Mein seliger Mann wäre begeistert.“
Der Dirigent strahlte. „Vielen Dank. Dann machen wir weiter mit dem ersten Akt.“ Er gab den Bühnentechnikern ein Zeichen. Sodann wurde der Vorhang zurückgeschoben.
Constanze schnappte nach Luft. Das Bühnenbild war großartig. Ein orientalischer Palastgarten mit blühenden Sträuchern zierte die Wand, vor der die Sängerinnen und Sänger das Drama zum Besten gaben.
Die Heldin Konstanze wurde von einer ehemaligen Gesangsschülerin ihrer Schwester Aloisia dargestellt. Constanze hatte ihrer Schwester, die in Wien lebte, Geld geschickt, damit sie zur Premiere nach Salzburg kommen konnte. Denn sie wollte unbedingt hören, wie sich die Stimme ihrer Schülerin entwickelt hatte. Aloisia hatte früher als Operndiva immens hohe Summen verdient, war aber jetzt im Alter ziemlich verarmt, sodass Constanze ihr öfter mit Geld aushalf.
Gebannt verfolgte Constanze das Geschehen auf der Bühne. Die junge Sängerin machte ihre Sache gut. Ihre Stimme war klar und rein, äußerst gefühlvoll und flexibel bei den Koloraturen. Aloisia wird hochzufrieden sein, dachte sie. Ebenso Wolferl, wenn er sie hören könnte. Ja, ihr erster Mann hatte ein Faible für außerordentliche Singstimmen gehabt. Wäre Constanze keine Sopranistin gewesen, wäre sie vermutlich niemals seine Frau geworden.
Dabei hatte alles ganz anders angefangen. Eigentlich wäre Aloisia prädestiniert gewesen, Madame Mozart zu werden. Sie, die eine viel talentiertere Sängerin war als Constanze, hatte zuerst Wolferls Herz erobert.
Während das Singspiel seinen Lauf nahm, schweiften Constanzes Gedanken fünfzig Jahre zurück in die Vergangenheit, als sie Wolferl das erste Mal gesehen hatte.
1. Akt
Mannheim
Dezember 1777
Constanze blies sich eine widerspenstige dunkelbraune Locke aus dem Gesicht. Seit Stunden hackte sie Mandeln und Nüsse klein, die ihre Mutter sodann mit Mehl, Zucker, Butter und Eiern zu einem Plätzchenteig knetete. Ihre älteste Schwester Josepha stach die Plätzchen aus, ihre jüngere Schwester Sophie bepinselte diese mit Eigelb, damit sie beim Backen eine schöne Farbe bekommen würden. Das war ein Ritual, das sie jedes Jahr am dritten Advent wiederholten. Sie arbeiteten im Akkord und hatten bereits eine beachtliche Zahl an Plätzchen produziert. Währenddessen beschallte Aloisia, Constanzes zweitältere Schwester, sie alle mit ihren Gesangsübungen aus dem Nachbarzimmer.
Constanze legte das Messer beiseite und ließ ihre Handgelenke kreisen. Sie schmerzten von der monotonen Bewegung. Zudem glühten ihre Wangen regelrecht, denn sie saß nah am Ofen. „Haben wir nicht bald genug Nüsse und Mandeln?“, fragte sie.
„Mitnichten!“ Ihre Mutter griff nach dem Brett, auf dem Constanze die Nüsse klein gehackt hatte. „Ich brauche Nachschub.“
Constanze seufzte und nahm das Messer wieder zur Hand. „Kann Aloisia nicht auch mal mithelfen?“ Es ärgerte sie, dass diese von sämtlichen hausfraulichen Arbeiten befreit war. Nur weil sie von den vier Weber-Töchtern die begabteste Sängerin war.
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. „Sie muss ihre neue Rolle einstudieren.“
„Auch wir drei müssen heute noch unsere Stimmbildungsübungen machen“, bemerkte Josepha, die wohl, ähnlich wie Constanze, langsam keine Lust mehr auf das Plätzchenbacken hatte. „Schließlich haben wir ebenfalls Gesangsunterricht.“
Mutter Weber klopfte sich das Mehl von den Händen ab. „Aloisia hat, anders als ihr, bereits Engagements am kurfürstlichen Hof und steuert mit ihrer Gage zu unser aller Lebensunterhalt bei. Daher muss sie ihre Stimme in Form halten und sich mit ihrer neuen Rolle vertraut machen.“
„Man kann auch singen, während man Plätzchen aussticht“, sagte Constanze.
„Das finde ich auch!“, warf Sophie ein.
„Ruhe!“ Energisch unterband Mutter Weber jegliche weitere Diskussion. „Aloisias Gesang bringt selbst einen Gletscher zum Schmelzen, wie euer Vater zu sagen pflegt. Wenn wir sie nicht hätten, würden wir am Hungertuch nagen, bloß mit Vaters Lohn.“
Mit zusammengepressten Lippen hackte Constanze auf die Nüsse ein. Es war so ungerecht! Während Aloisia im Wohnzimmer provokativ herumträllerte, mussten sie und ihre anderen Schwestern in der Küche arbeiten.
Zugegebenermaßen sang ihre Schwester wie ein Engel. Rein und klar, doch niemals schrill, hallte ihre hohe Stimme durch das Haus. Mühelos kam sie in die Höhen, ohne Anstrengung vollführte sie artistisch anmutende Koloraturen. Ihr Tonumfang war so groß wie bei keiner anderen Sängerin, die je in Mannheim aufgetreten war.
Plötzlich hörte Constanze die Haustür. „Vater ist zurück!“ Sie sprang auf, um ihm im Flur den Mantel abzunehmen. Er hatte als Bassist am Morgen in einem Konzert am kurfürstlichen Hof mitgewirkt. Bestimmt war er ganz durchgefroren von dem Wind und der Kälte draußen.
„Wir bekommen heute Abend Besuch“, verkündete Vater Weber und verlangte nach einem heißen Tee.
„Wer kommt denn?“, fragte Constanze. Hoffentlich kein alter Herr mit verstaubter Perücke, der damit prahlte, vor Jahrzehnten in irgendeinem hinterwäldlerischen Schloss das Cembalo gespielt zu haben.
„Ich habe nur Brot und Käse für das Abendessen eingeplant“, rief ihre Mutter aus der Küche.
„Bitte zaubere einen Braten als Hauptgang.“ Vater rieb die Handflächen aneinander.
„Einen Braten? Mitten in der Woche? Bist du verrückt?“ Die Stimme der Mutter überschlug sich fast. Mit teigverklebten Händen und roten, vom Backen erhitzten Wangen kam sie in den Flur. „Wir backen gerade Weihnachtsplätzchen. Die Küche ist …“ Sie winkte ab. Das Chaos, das in der Küche herrschte, ließ sich nicht in Worte fassen. Hier noch einen Braten unterzubringen, war organisatorisch nicht möglich. „Außerdem ist dein Lohn nahezu aufgebraucht. Wovon also ein gutes Stück Fleisch kaufen?“
„Dir wird schon etwas einfallen“, sagte Vater Weber und gab seiner Frau einen Kuss.
„Der Kurfürst könnte wenigstens vor Weihnachten mal die Spendierhosen anziehen und dir mehr zahlen. Seit Jahren muss ich mit deinem kargen Lohn haushalten und …“
Ihr Mann legte einen Finger auf den Mund, um ihren Redefluss zu unterbrechen. „Wolfgang Amadeus Mozart weilt seit ein paar Wochen in der Stadt“, sagte er. „Der junge Musiker hat sich beim Kurfürsten um eine Stellung bemüht. Aber da keine Kapellmeisterstellen frei sind, hat er eine Absage erhalten und wird sich vermutlich bald in einer anderen Stadt umsehen. Bevor er abreist, möchte ich, dass er unsere Aloisia singen hört. Daher habe ich ihn für heute Abend eingeladen. Wir sollten nicht knauserig sein. Nimm von dem Notgroschen, den wir im Schlafzimmer versteckt haben.“
Mutter Weber brummte unwillig.
„Wolfgang Amadeus Mozart? Der an allen Höfen Europas vorgespielt hat?“, rief Aloisia aus dem Wohnzimmer. Sie hatte trotz ihres Gesangs offenbar einen Großteil der Unterhaltung mitbekommen. Jetzt posierte sie wie eine Primadonna mit hochgesteckten Haaren und einem ausrangierten Bühnenkostüm – einem eng taillierten, silbernen Seidenkleid mit weit ausladenden Röcken und violett bestickter Schleppe – im Türrahmen.
„Ja, ebendieser“, bestätige ihr Vater und schmunzelte. „Wieso trägst du die Theaterkleidung hier im Haus?“
„Ich mache mich mit meiner Rolle vertraut. Das kann ich am besten, wenn ich buchstäblich in die Person schlüpfe, die ich verkörpere. Außerdem muss ich die Arien unter echten Bedingungen üben, also mit eng geschnürtem Korsett, das mich schon am normalen Atmen hindert.“
Das waren Probleme, von denen Constanze nur träumen konnte.
Aloisia war nun offensichtlich der Ansicht, genug geübt zu haben. Sie setzte sich zu ihrem Vater aufs Sofa. „Ich bin gespannt, wie der Wunderknabe aussieht.“
„Er ist mittlerweile erwachsen“, sagte Constanze trocken und schenkte ihrem Vater eine Tasse Tee ein. Mozart hatte als reisendes Wunderkind jahrelang für Furore gesorgt. Doch jetzt musste er einundzwanzig Jahre alt sein, rechnete sie nach.
„Auf jeden Fall möchte ich mit ihm zusammen musizieren.“ Aloisia hielt Constanze ihre Tasse hin.
Konnte sich ihre Schwester den Tee nicht selbst einschenken? Nur weil sie als einzige der vier Schwestern bereits als Sängerin am kurfürstlichen Hof engagiert war, brauchte sie zu Hause keine Allüren an den Tag zu legen. Missmutig goss Constanze ihr eine Tasse Tee ein und kleckerte dabei absichtlich einen Tropfen auf Aloisias Hand.
„Autsch! Kannst du nicht aufpassen?“, schimpfte ihre Schwester.
„Entschuldige“, sagte Constanze ungerührt.
„Das hast du extra gemacht!“ Aloisias brillanter Sopran konnte im häuslichen Gebrauch zu einem regelrechten Keifen ausarten.
Ihr Vater schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Hört auf zu streiten!“
„Sie hat mich fast verbrüht“, echauffierte sich Aloisia.
„Schluss jetzt! Geh zurück ans Klavier und sorg dafür, dass deine Stimme geschmeidig ist, wenn Mozart kommt.“ Vater Weber wandte sich an Constanze. „Und du, sieh nach, ob deine Mutter Hilfe in der Küche braucht.“
„Ich muss heute auch noch meine Gesangsübungen machen“, sagte Constanze. „Aloisia hat den ganzen Tag das Klavier belegt.“
Ihr Vater seufzte. „Ihr Frauenzimmer macht mich manchmal wahnsinnig. Aloisia ist die Begabteste von euch. Sie wird Mozart vorsingen. Daher hat sie heute Vorrang am Klavier. Geh du deiner Mutter zur Hand.“
Beleidigt biss sich Constanze auf die Unterlippe. Alles drehte sich nur um Aloisia. Immer nur Aloisia.
Mutter Weber stellte sich in Windeseile auf die neue Herausforderung ein und übernahm erneut das Kommando in der Küche. „Josepha, stell den vorbereiteten Plätzchenteig kalt, damit wir ihn morgen weiterverarbeiten können, und dann sieh zu, dass der Salon präsentabel ist, bevor das Genie kommt.“ Sie öffnete den Schrank und wies auf eine Reihe von leeren Dosen. „Sophie, leg die fertigen Plätzchen in die Dosen. Schichte sie ordentlich übereinander und pass auf, dass sie nicht zerbrechen. Danach kannst du auf dein Zimmer gehen.“ Sie wandte sich an Constanze: „Und du, wisch die Arbeitsflächen sauber und feg den Boden! Ich gehe derweil zum Schlachter. Wenn ich wiederkomme, will ich eine blitzblank gescheuerte Küche vorfinden, damit ich sofort das Abendessen zubereiten kann.“ Sie schlüpfte in den Mantel. „Ich hoffe, ich bekomme um diese Uhrzeit überhaupt noch ein gutes Stück Fleisch“, murmelte sie.
Constanze verdrehte die Augen. War das eine Aufregung! Hoffentlich ist es der junge Mann wert, dachte sie verdrossen, während sie die Küche putzte.
Am frühen Abend waren Constanze und ihre Mutter vom Kochen ganz erhitzt. Tatsächlich hatte es ihre Frau Mama geschafft, beim Schlachter ein hervorragendes Stück Fleisch zu ergattern. Dieses schmorte jetzt zusammen mit klein geschnittenen Möhren, Kartoffeln und Zwiebeln im Ofen. Zunächst würden sie jedoch die Käseplatte kredenzen und dem Braten noch etwas Zeit zum Garen verschaffen.
„Zieh dich um und hol Sophie, damit sie den Tisch deckt“, wies ihre Mutter sie an.
Constanze nickte und lief in ihre Schlafkammer, die sie sich mit ihrer jüngeren Schwester teilte. Sophie lag auf dem Bett und las.
„Aufstehen und umkleiden, Schwesterherz!“, rief Constanze. „Der Wunderknabe ist im Anmarsch.“ Sie löste die Haarnadeln aus ihrer Frisur und begann, sich ihr lockiges dunkelbraunes Haar zu kämmen.
Sophie brummte und legte ihre Lektüre weg. „Ist der Braten fertig?“
„Noch nicht.“ Constanze steckte ihre Haare zu einem eleganten Dutt hoch. Nur an den Schläfen ließ sie ein paar Löckchen herauslugen, die ihr Gesicht umrahmten.
„Ich weiß gar nicht, warum so ein Aufhebens um den Kerl gemacht wird“, maulte Sophie, während sie sich umzog.
„Immerhin beschert er uns mitten in der Woche einen Sonntagsbraten.“ Constanze kicherte. „Mama ist ganz nervös und unleidlich.“ Sie ging zur Waschschüssel und wusch sich ihr Gesicht. Keinesfalls wollte sie dem jungen Musikus hochrot und verschwitzt gegenübertreten. Kritisch musterte sie sich im Spiegel und zupfte an ihren Augenbrauen. Sie hatte von ihren Schwestern den dunkelsten Teint. Nicht nur die Haut, auch die Haare ihrer Schwestern waren heller als ihre. Zumindest ist mein Gesicht ovaler als das von Sophie, tröstete sie sich. Sie nahm ein taubenblaues Kleid aus dem Schrank und begann, sich umzuziehen. „Hilfst du mir bitte?“, bat sie ihre Schwester.
„Klar.“ Sophie hakte Constanzes Kleid zu. „Willst du Mozart imponieren?“
„Ich?“ Constanze errötete. „Nein. Außerdem ist wohl erst einmal Aloisia dran … wenn sie ihn will.“
„Wie immer.“ Sophie seufzte. „Heute geht sie mir richtig auf die Nerven. Aber weißt du was? Eines Tages macht jede von uns beiden eine bessere Partie. Wollen wir wetten?“
Constanze drehte sich zu ihrer Schwester um. „Das machen wir! Aber jetzt beeil dich, deine Haare sind in grauenhafter Unordnung.“
„Gut, dann hilf mir.“ Sophie hielt Constanze den Kamm hin.
Constanze flocht Sophies hellbraune Haare zu langen Zöpfen, die sie schneckenartig um ihren Hinterkopf legte und feststeckte. Im Gegensatz zu ihren eigenen Haaren waren Sophies Haare dünn, und es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sie sie festgesteckt hatte.
„Bist du bald so weit?“, fragte Sophie.
„Noch nicht“, murmelte Constanze undeutlich. Sie hatte gerade eine Haarnadel im Mund.
„Ich möchte so gut aussehen wie du“, plapperte Sophie weiter. „Nicht, dass du mich extra zu brav frisierst, damit du im Vorteil bist.“
Constanze nahm die Haarnadel aus dem Mund und befestigte damit eine Feder in Sophies Haaren. „Voilà. Du bist wunderschön.“
Kritisch musterte sich Sophie im Spiegel. „Nicht schlecht.“
„Los, komm! Ich glaube, ich habe gerade den Türklopfer gehört. Wahrscheinlich ist unser erlauchter Gast eingetrudelt.“
Kichernd liefen sie die schmale Holztreppe nach unten. Aus der Wohnstube vernahmen sie Aloisias glockenreines Lachen, das sie immer erklingen ließ, wenn Gäste da waren.
Constanze seufzte innerlich. Heute war ihre begabte Schwester wirklich kaum zu ertragen. Während Sophie in der Küche Teller und Besteck holte, schlüpfte Constanze unbeobachtet in die gute Stube. Ihre Eltern standen mit Aloisia und Josepha sowie einem jungen Mann beisammen und unterhielten sich angeregt.
Das war er also. Klein, blass und pockenvernarbt. Constanze war enttäuscht. Sie hatte sich das einstige Wunderkind anders vorgestellt. Größer. Kräftiger. Strahlender. Mozarts Kleidung war zwar elegant, seine Manieren gepflegt, doch es umgab ihn nicht die Aura eines großen Musikus.
In diesem Moment entdeckte ihr Vater sie. „Darf ich Ihnen auch Constanze, unsere dritte Tochter, vorstellen, Monsieur Mozart?“
Zaghaft machte Constanze zwei Schritte auf den jungen Mann zu und neigte ihr Haupt zum Gruß.
„Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mademoiselle Constanze.“ Mozarts Stimme war leise und sanft.
Ihr Herz klopfte. Sie verstand nicht, warum. „Die Freude ist ganz meinerseits.“ Sie räusperte sich und suchte verzweifelt nach einem Gesprächsthema.
Aloisia kam hinzu, hakte sich bei Mozart unter und führte ihn zum Klavier. „Ich brenne darauf, Sie spielen zu hören, Monsieur. Würden Sie uns die Ehre erweisen, vor dem Essen etwas von Ihrer Kunst preiszugeben?“
Constanze biss sich auf die Unterlippe. Warum hatte sie nicht schneller ein Gesprächsthema gefunden? Jetzt hatte Aloisia den jungen Mann von ihr weggelotst, und sie hätte so gern weiter mit ihm geplaudert. Denn seine Stimme war überaus angenehm. So wie der Klang einer Viola.
Sophie gesellte sich zu ihr. „Nett, oder?“
„Hm.“ Constanze spürte, wie das Blut in ihre Wangen schoss.
„Du magst ihn!“ Ihre kleine Schwester knuffte sie in die Seite.
Constanze öffnete den Mund, um es abzustreiten.
Doch in diesem Moment vernahmen sie zauberhafte Klavierklänge. Mozart spielte gefühlvoll, energisch, virtuos.
Gebannt starrte Constanze auf seine Hände, die schmal und zart waren wie Frauenhände. Er spielte so brillant wie kein anderer Pianist, den sie jemals gehört hatte. Sie rührte sich nicht von der Stelle. Als er geendet hatte, applaudierten ihre Eltern und Schwestern. Aloisia beugte sich vertraulich zu ihm hinunter. „Sie sind wahrlich wunderbar“, säuselte sie.
Mozart errötete. „Versuchen Sie sich einmal an meiner jüngsten Klaviersonate.“ Er zog ein paar beschriebene Blätter aus seinem Wams. „Ich habe sie kürzlich hier in Mannheim geschrieben, für Rose Cannabich, die Tochter des Kapellmeisters, der ich Unterricht geben durfte.“ Er überließ ihr den Klavierschemel.
„Ach, das Röslein.“ Aloisia setzte sich und drapierte ihre weit ausladenden Röcke sorgfältig um ihre Beine. „Ja, die Kleine spielt ganz erbaulich. Da werde ich mal sehen, ob ich mithalten kann.“ Sie begann zu spielen. Langsam und konzentriert arbeitete sie sich durch die Sonate. Fehlerfrei, soweit Constanze es beurteilen konnte, kein einziger Misston fiel ihr auf.
Der junge Mozart war begeistert. „Sie spielen hervorragend. Möchten Sie mit dem zweiten Satz weitermachen?“
Aloisia gab ihr glockenreines Lachen erneut zum Besten. „Ich möchte lieber singen, das kann ich viel besser als Klavierspielen.“
„Noch besser?“ Er tat erstaunt. „Haben wir Zeit für eine Kostprobe?“
Aloisia wandte sich fragend an ihre Mutter.
„Selbstverständlich!“, säuselte Mutter Weber, und Constanze wusste, dass ihre Mama innerlich aufatmete, weil der Braten somit noch ein wenig weiterschmoren konnte.
Aloisia begann eine Arie aus ihrem Repertoire zu singen. Mozart begleitete sie aus dem Stegreif auf dem Klavier. Wunderbar harmonierte ihr Gesang mit seinem Klavierspiel.
Sie geben ein gutes Paar ab, musste sich Constanze eingestehen. Es war dumm gewesen, sich vorhin sorgfältig zu frisieren. Solange Aloisia im Haus war, würde sich niemals auch nur ein Mann für sie oder ihre anderen Schwestern interessieren; dafür war Aloisia zu raumeinnehmend.
„Kannten Sie die Arie?“, fragte Aloisia, als sie geendet hatten.
Er nickte. „Ja, ich habe sie als Kind auf meiner Grand Tour in Großbritannien einmal gehört.“
„Das ist sicher schon einige Jahre her. Haben Sie sich die Melodie seither gemerkt oder haben Sie eine Abschrift erhalten?“
Mozart lächelte. „Ich habe keine Abschrift davon. Aber ich kann mir Musik … ganz gut merken.“
Constanze konnte es kaum fassen. Wie kann man sich ein Stück, das man ein einziges Mal im Leben gehört hat, jahrelang merken, wenn man die Noten dazu nicht hat?
Abrupt wechselte Mozart das Thema. „Wissen Sie, ich bin begeistert von der Brillanz der hiesigen Sänger und dem großartigen Klang des Mannheimer Orchesters. Dies ist in ganz Europa einzigartig. Sogar Klarinettisten beschäftigt der Kurfürst.“
„Ja, unser Kurfürst lässt sich die Musik etwas kosten“, warf Vater Weber zufrieden ein. „Das ist unser Glück.“
Aber nicht das unseres Gastes, dachte Constanze. Denn der Kurfürst hatte dem jungen Virtuosen keine Stelle angeboten, obwohl er sonst immer darauf bedacht war, die besten Musiker und Künstler zu engagieren.
„Darf ich zu Tisch bitten?“, rief Mutter Weber in dem Moment und überspielte somit den Fauxpas ihres Mannes. Sie wies Mozart den Platz neben Aloisia zu. Es war eindeutig, dass ihre Eltern eine Freundschaft zwischen dem Gast und Aloisia befürworteten.
Constanze saß zwischen Sophie und Josepha und aß schweigend, während Aloisia und ihre Eltern mit Mozart über dessen Konzerte an allen erdenklichen europäischen Fürstenhöfen sprachen.
„Wie unterscheidet sich die italienische von der deutschen Oper?“, wollte Aloisia wissen. Und Mozart legte ihr detailliert seine Ansicht über die unterschiedlichen Operntraditionen beider Länden dar.
„Ist es wahr, dass Sie sogar der Habsburger Monarchin Maria Theresia vorgespielt haben?“, wollte Vater Weber wissen.
Mozart tupfte sich den Mund mit der Serviette ab. „Ja, als kleiner Bub.“ Er schmunzelte. „Ich fürchte, ich habe sie verärgert, weil ich auf ihren Schoß gesprungen und dann mit ihrer Tochter Marie-Antoinette durch die Säle getobt bin.“
„Wirklich?“, entfuhr es Constanze. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie man so etwas wagen konnte.
Mozart sah sie an und lächelte. „Ich musste erst lernen, gute Manieren an den Tag zu legen.“
Sie errötete und suchte krampfhaft nach einer Antwort.
„Könnten Sie mir den Sottovoce-Gesang beibringen“, fragte Aloisia und lenkte Mozarts Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Diese Technik ist in Italien weit verbreitet, aber ich kenne hier keinen einzigen Sänger, der sie beherrscht.“
„Sehr gern!“ Constanze entging nicht, wie Mozarts Augen vor Begeisterung aufflackerten. „Sie werden dadurch ihrer Stimme noch mehr … Seele verleihen“, sagte er an Aloisia gewandt.
Constanze hielt die Luft an. Die leiseste Andeutung, dass Aloisias Gesang nicht schon jetzt absolut perfekt war, war gefährlich. Ihre Schwester konnte mit Kritik nicht gut umgehen.
Doch zu ihrer Überraschung nahm ihre Schwester ihm dies keineswegs übel. „Fangen wir an, bevor der Nachtisch aufgetragen wird.“
Mozart stand auf und reichte ihr galant die Hand. Während die beiden zum Klavier spazierten, scheuchte Mutter Weber Constanze, Josepha und Sophie in die Küche, um Pudding und Gebäck vorzubereiten.
Constanze schluckte ihren Unmut hinunter. Auch zu Hause war Aloisia die Primadonna und durfte mit dem legendären Musikus am Klavier herumpoussieren, während sie und ihre Schwestern den Küchendienst verrichten mussten.
Aus der Wohnstube erklangen Aloisias gefühlvoller Sopran und Mozarts ansprechender, warmer Tenor, immer wieder unterbrochen von heiterem Gelächter.
„Er ist zu gut für Aloisia“, raunte ihr Sophie zu, als sie in der Küche die Kekse auf einen Teller legte.
Constanze zuckte mit den Schultern. „Ist doch egal. Er hat trotzdem nur Augen für sie.“
„Sie trägt mit ihren Engagements am kurfürstlichen Hof auch für euren Unterhalt Sorge“, schimpfte ihre Mutter, die sich lautlos hinzugesellt hatte. „Also lasst eure Schwester den jungen Musiker bezirzen. Wer weiß, wo er einmal wirken und ihr und uns den Weg ebnen wird.“
Januar 1778
Constanze stand verdrossen am Fenster und sah hinaus auf den Schlossgarten, der menschenleer war. Kein Wunder! Seit Stunden tobte ein regelrechtes Schneegestöber über die akkurat angelegten Flanierwege und Rasenflächen hinweg, die im Frühling von bunt blühenden Tulpen- und Hyazinthenbeeten gesäumt wurden. Traurig ließen die Ulmen und Eiben ihre Äste hängen. Das imposante Barockschloss, das sich am Ende der Gartenfläche befand, konnte sie durch die Abertausenden von feinen Schneeflocken lediglich erahnen.
Warum muss das Wetter an meinem Geburtstag immer so scheußlich sein, fragte sie sich. Während ihre Schwestern ihre Geburtstage im Frühling und Sommer meist bei schönster Sonne und milden Temperaturen feiern konnten, jagte man an ihrem Geburtstag keinen Hund vor die Tür. Niemand kam vorbei, um ihr zu gratulieren und auf ihr neues Lebensjahr anzustoßen.
Dieser Tage war allerdings ohnehin niemandem zum Feiern zumute. Irgendetwas lag in der Luft. Der Kurfürst war nach München aufgebrochen, trotzdem fanden in seiner Residenz ständig wichtige Zusammenkünfte statt. Aloisia war vorhin zum Schloss gerufen worden, weil sie bei einem Empfang im prächtigen Rittersaal die Gesandten durch ihren Gesang unterhalten sollte. Ihr Vater war mitgegangen, ihre Mutter lag mit Kopfweh im Bett.
Könnte ich doch auch so gut singen wie Aloisia, dachte Constanze. Dann würde sie hautnah erleben können, was in den Gemächern der Reichen passierte. Sie würde ein elegantes Kleid tragen, und viele würden bewundernd auf sie blicken. Stattdessen fristete sie ein trauriges Dasein als Mauerblümchen. Der Höhepunkt des Tages würde darin bestehen, dass Aloisia gleich laut lamentierend zurückkommen und nach einem heißen Bad verlangen würde, um sich wieder aufzuwärmen. Vielleicht erzählte ihre Schwester dabei etwas aus der glitzernden Welt der Adligen.
Ich will auch so gut werden wie Aloisia. Wild entschlossen setzte sich Constanze ans Klavier und schlug einen C-Dur-Akkord an. Dann sang sie den auf- und absteigenden Dreiklang auf die Silbe „la“: c, e, g – g, e, c. Danach dasselbe mit dem Cis-Dur-Akkord. Halbton für Halbton arbeitete sie sich in die Höhe. Aber so sehr sie sich anstrengte, sie kam einfach nicht so hoch wie ihre ältere Schwester.
Frustriert klappte sie den Klavierdeckel zu. Es wird auch Männer geben, die nicht diejenige mit dem größten Tonumfang haben wollen, dachte sie resigniert.
Plötzlich fiel ein Schatten auf ihre Hände. Abrupt drehte sie sich um. Mozart stand vor ihr, trotz Wind und Wetter wie aus dem Ei gepellt, elegant gekleidet, mit tadelloser Perücke und strahlend blauen Augen. Wie war er bloß hereingekommen? Sie hatte kein Klopfen an der Haustür vernommen.
„Stehen Sie schon lange hier?“, fuhr ihn Constanze an. Ihr war der Gedanke unangenehm, dass er sie bereits mehrere Minuten lang beobachtet haben könnte.
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Sophie hat mich gerade hereingelassen. Ich will Sie nicht stören. Ich bin auf der Suche nach Ihrer Schwester Aloisia.“
„Sie singt bei einem Empfang im Schloss“, antwortete Constanze unwirsch. Aloisia. Immer wieder Aloisia. Sie stand als Sängerin in der Gunst des Kurfürsten, wurde vom Publikum bejubelt und von diesem Musikus aus Salzburg begehrt. Seit dem denkwürdigen Abendessen vor drei Wochen, zu dem ihn Vater Weber eingeladen hatte, suchte Mozart sie beinahe täglich auf, begleitete sie am Pianoforte und schmeichelte ihr. Constanze hatte es satt, die Turtelei der beiden mitansehen zu müssen. Sie mochte den jungen Mann. Aber sie mochte es nicht, dass er nur Augen für Aloisia hatte; schon gar nicht an ihrem sechzehnten Geburtstag, an dem ihr schmerzlich bewusst wurde, dass ihre Jugend endlich war und sie eines nicht mehr ganz so fernen Tages unbedingt einen Ehemann brauchte, um ihren Eltern nicht weiter zur Last zu fallen.
„Wissen Sie, ich habe Ihrer wunderbaren Schwester eine Arie gewidmet.“ Mozart zog ein paar beschriebene Blätter aus dem Wams.
„Schön.“ Was erwartete er von ihr? Dass sie vor Freude in die Hände klatschte?
„Vielleicht möchten Sie sie mit mir ausprobieren, während Aloisia unterwegs ist?“, fragte er. „Sie singen doch auch.“
„Ich?“ Constanze war so perplex, dass sie nicht wusste, was sie noch sagen sollte.
Er zwinkerte. „Ja. Sie. Sie haben sich doch gerade eingesungen.“
„Ähm, ja, warum nicht.“ Sie stand auf und griff nach den Notenblättern. Sogleich kamen ihr Zweifel. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Aloisia würde schäumen vor Wut, und sie würde die Arie vermutlich überhaupt nicht vom Blatt singen können.
Aber Mozart hatte bereits auf dem Klavierhocker Platz genommen und begonnen, ihr die Melodie vorzuspielen. „Fangen Sie einfach an“, ermunterte er sie.
Ah, lo previdi – Ah, t’invola agl’occhi miei, sang Constanze. Was für eine unglaubliche Musik! Voller Dramatik und Leidenschaft! Sie badete förmlich in den Klängen und fühlte sich getragen von Mozarts Klavier-Accompagnement.
Es war eine lange Arie. Sie musizierten sie ohne Unterbrechung zu Ende, obwohl Constanze an der ein oder anderen Stelle ein Wort falsch aussprach oder einen Notenwert nicht korrekt erfasste. Doch er fing ihre Fehler durch seine Klavierbegleitung ab.
„Das haben Sie ganz wunderbar gemacht!“ Mozart lächelte. „Sie haben ein reizendes Timbre.“
„Danke.“ Constanze errötete. Seine blauen Augen und seine leise, warme Stimme verunsicherten sie plötzlich. Der äußerlich unscheinbare Mann hatte sie mit seiner Musik und seinem Wesen regelrecht verzaubert. Sie wusste nicht, was mit ihr los war. Sie fühlte, wie sie innerlich brannte und ihn am liebsten umarmt hätte.
Da flog die Tür auf. Constanze zuckte zusammen.
Aloisia stand im Türrahmen. Düster und grimmig sah sie sie an.
Mozart war sofort auf den Beinen und begrüßte sie mit einer tiefen Verbeugung. „Meine Liebe, darf ich Ihnen eine selbst komponierte Arie überreichen? Ich habe sie mit Ihrer jüngeren Schwester gerade ausprobiert und finde, sie ist Ihnen wie auf den Leib geschnitten.“ Er nahm Constanze die Notenblätter ab und reichte sie Aloisia.
Diese zog die Augenbrauen hoch. „Nun, dann wollen wir mal.“
Er setzte sich mit Schwung ans Klavier, und sodann begannen sie miteinander zu musizieren. Constanze war für die beiden unsichtbar geworden. Wie ein ausgewechseltes Rad stand sie nutzlos daneben und realisierte, wie großartig ihre Schwester die Arie interpretierte. Mozart hatte recht gehabt, als er sagte, die Arie sei ihr auf den Leib geschnitten.
Doch für Constanze war es so, als ob ihr Aloisia mit jedem Ton eine Pfeilspitze in die Brust rammte. Sie war so begabt und sang spontan, ohne Vorbereitung so gefühlvoll wie leidenschaftlich die Arie fehlerfrei vom Blatt.
Mühsam unterdrückte Constanze die Tränen und zog sich in ihre Schlafstube zurück.
Dort erwartete sie Sophie. „Na, Schwesterherz, dachtest du, du wärest etwas anderes als eine Lückenbüßerin?“
„Sei still!“ Sie warf ein Kissen nach ihrer jüngeren Schwester.
„Meine Güte, jetzt sei nicht gleich eingeschnappt! Warum hast du die Arie überhaupt gesungen? Er hat dir doch gesagt, dass sie für Aloisia ist.“
„Du hast gelauscht?“
Sophie verdrehte die Augen. „Natürlich. Das mache ich immer. Außerdem wollte ich wissen, was passiert, wenn du mit ihm allein bist. Deswegen habe ich ihn doch zu dir ins Wohnzimmer geschickt.“
Constanze seufzte. Konnte man in diesem Haus nicht einmal ein bisschen Privatsphäre haben? Dauernd stand jemand hinter ihr oder überhäufte sie mit dämlichen Kommentaren, die sie nicht hören wollte. Sie schlüpfte in ihren Mantel.
„Willst du etwa hinaus?“, fragte Sophie.
„Ja, das will ich. Ich habe das akute Bedürfnis, mich dem Schneegestöber auszusetzen.“ Und allein zu sein, schob sie in Gedanken hinterher.
Ihre jüngere Schwester schüttelte den Kopf. „Dann werde bloß nicht krank. Ich pflege dich nicht.“
Constanze rannte die Treppe hinunter und verließ das Haus. Sie überquerte die Straße und betrat den Schlossgarten. Niemand außer ihr war dort. Die eisige Luft brannte auf ihren Wangen. Aber sie fühlte sich frei. An einem zugefrorenen Springbrunnen blieb sie stehen und atmete die kalte Luft in vollen Zügen ein. Millionen von Schneeflocken tanzten um sie herum. Sie breitete die Arme aus, als ob sie den herabfallenden Schnee willkommen heißen wolle. Glück und Liebe mögen auf mich schneien, dachte sie, schloss die Augen und spürte, wie die Schneeflocken auf ihrem warmen Gesicht schmolzen.
Am nächsten Tag war Constanze dabei, den Tisch für das Abendessen zu decken, als Aloisia atemlos ins Wohnzimmer stürzte. „Der Kurfürst verlegt den Hof nach München“, rief sie.
„Wie bitte?“ Constanze ließ eine Gabel fallen.
„Was hast du gesagt?“ Ihre Mutter kam aus der Küche, gefolgt von Josepha und Sophie, die ihr beim Kochen halfen.
„Ich habe es gerade in der Probe erfahren.“ Aloisia stolzierte gewichtig im Zimmer auf und ab. „Kurfürst Karl Theodor tritt die Nachfolge des kinderlos verstorbenen bayrischen Kurfürsten an. Deswegen ist er nach München gereist. Eben hörte ich, dass er seine Residenz dorthin verlegen wird. Mannheim wird bedeutungslos.“
Constanze schnappte nach Luft. Vater würde seine Arbeit verlieren und …
„Was wird aus… uns?“ Mutter Weber sprach das aus, was alle dachten.
Lachend ließ sich Aloisia in einen Sessel fallen. „Karl Theodor nimmt uns bestimmt mit. Er hat bereits seine politischen Berater angewiesen, ihm nach Bayern zu folgen. Ich nehme an, dass er das ganze Orchester und auch uns Sänger in seiner neuen Residenz haben möchte. Zumindest die Besten.“
Constanze war immer noch wie gelähmt. Sie sollten Mannheim verlassen, um in einer fremden Stadt neu anzufangen? Zwar hatte sie nicht immer in Mannheim gelebt, sie und ihre Schwestern waren im Südschwarzwald zur Welt gekommen. Doch sie war noch sehr klein gewesen, als sie nach Mannheim, in die Geburtsstadt ihrer Mutter, gezogen waren, wo ihr Vater eine Stelle als Bassist bekommen hatte. Würde der Kurfürst ihn für gut genug erachten und nach München mitnehmen? Und wenn nicht? Wo würde ihr Vater in Mannheim eine neue Arbeit finden? Ein zweites Ensemble gab es nicht. Und Aloisia? Sie war offiziell noch nicht die Mannheimer Primadonna, obwohl sie sich so gab.
„Dann wird Mozart nun endgültig weiterziehen müssen“, sagte Josepha in die Stille hinein.
Constanze zuckte zusammen. Wahrscheinlich hatte sie recht. Sie hatte bei seinen zahlreichen Besuchen der letzten Wochen aufgeschnappt, dass sein Vater unbedingt wollte, dass er nach Paris ging und sich dort um eine Stelle bemühte. Dass er nicht schon längst weg war, lag mit ziemlicher Sicherheit an Aloisia, in die er hoffnungslos verliebt war. Jeder sah, wie er sie anhimmelte und ihr den Hof machte. Allein die Tatsache, dass sie mehr Geld verdiente als er, hatte den jungen Musikus vermutlich bislang zurückgehalten, vor ihr auf die Knie zu fallen und sie um ihre Hand zu bitten.
„Er wird tatsächlich weiterziehen“, erwiderte Aloisia vergnügt. „Ich habe ihn vorhin im Schlossgarten getroffen. Er will mit mir eine Konzertreise zur Prinzessin von Nassau-Weilburg unternehmen.“
„Wie bitte?“ Mutter Weber stand der Mund offen.
„Mozart kennt sie noch aus seiner Zeit als Wunderknabe. Damals war sie Prinzessin von Oranien und hat sich liebevoll um ihn und seine Schwester gekümmert, als sie in Den Haag krank gewesen waren“, plapperte Aloisia weiter. „Jetzt lebt sie nur eine Tagesreise entfernt von Mannheim. Wir werden auf dem Weg dorthin jede Gelegenheit wahrnehmen aufzutreten. Wenn alles gut läuft und wir uns nicht in die Haare kriegen, wollen wir danach zusammen nach Italien gehen. Mozart will dort aus mir eine Primadonna machen.“ Sie sprang auf und tänzelte um den Tisch herum. „Könnt ihr euch das vorstellen? Ich auf den Bühnen von Mailand, Verona und Venedig? Das wäre ein Traum!“
Fassungslos sah Constanze zu ihrer Mutter. Aloisia plante, mit Mozart allein auf Tournee zu gehen? Nach Italien?
„Ich dachte, wir gehen nach München?“, sagte sie hilflos.
Aloisia lachte. „Aber erst, wenn wir uns amüsiert haben. Und wer weiß, vielleicht bekomme ich in Italien tatsächlich ein Engagement als Primadonna an einer renommierten Bühne. Das wäre viel lukrativer als weiterhin im Ensemble von Karl Theodor zu sein.“
„Dein Vater wird dich auf der Fahrt zur Prinzessin von Nassau-Weilburg begleiten, ebenso Josepha“, beschied Mutter Weber und überging die Italien-Pläne ihrer hochbegabten Tochter geflissentlich.
„Wieso?“ Aloisia hob die Arme wie bei einem Rezitativ in der Oper. „Hast du Angst um meinen guten Ruf?“
„Allerdings.“ Ihre Mutter schnaubte. „Vater wird aufpassen, dass ihr euch anständig benehmt, und Josepha wird euch den Haushalt führen.“
Josepha zog einen Schmollmund.
„Vielleicht braucht ihr ja für ein Duett einmal eine zweite Singstimme“, schob die Mutter nach. „Da wäre Josepha genau die Richtige.“
Zum Glück hat sie nicht mich auserkoren, Aloisia und ihrem liebestollen Schoßhündchen den Haushalt zu führen, dachte Constanze. Das hätte sie nicht ertragen. Hoffentlich bekam Aloisia keinen Posten als Primadonna in Italien. Sonst wären sie und ihre anderen Schwestern verdammt, dorthin zu ziehen. Dann müssten sie für sie kochen und putzen und ihr auf Knien danken, dass sie sie alle ernährte.
„Ich glaube, ich höre die Hochzeitsglocken läuten“, feixte Sophie.
Constanze spürte einen Stachel der Eifersucht. Sollte sie auf ewig im Schatten ihrer begabten Schwester dahinvegetieren?
Da bemerkte sie, wie sich eine steile Furche auf der Stirn ihrer Mutter bildete. Sagte ihr etwa eine Verbindung zwischen Mozart und Aloisia nicht zu?
Die Haustür quietschte, und Vater Weber kam hinzu.
„Kennst du Aloisias Pläne?“, frage ihn seine Frau ganz direkt, als sie ihm den verschneiten Mantel abnahm. „Konzerttourneen zur Prinzessin von Nassau-Weilburg und nach Italien?“
Er schien nicht im Bilde zu sein, zumindest verriet dies sein erstaunter Blick.
„Wir müssen miteinander reden.“ Mutter Weber legte ihre Schürze ab und zog ihren ahnungslosen Gatten ins Schlafgemach.
Sophie zwinkerte Constanze zu. „Komm mit, wir lauschen“, flüsterte sie und zog sie mit sich.
„Bevor Aloisia und Mozart heiraten“, hörte Constanze die Stimme ihrer Mutter, nachdem sie mit ihrer jüngeren Schwester vor dem elterlichen Schlafzimmer ihre Lauschposition bezogen hatte, „muss er eine anständige Stelle bekleiden. Momentan verdient er nichts, und wenn ihn seine Mutter nicht auf seinen Reisen begleiten würde, würde er vermutlich hilflos wie ein Kind sein. Und du weißt sehr genau, mein Lieber, dass Aloisia niemanden bemuttern wird. Sie ist es, die im Rampenlicht stehen will. Er will es aber auch, ist es von Kindesbeinen an gewohnt. Das schreit nach Drama. Nach wirklichem Drama, nicht nach so einem gespielten Firlefanz, wie ihr es tagtäglich in der Oper darstellt. Also, was machen wir? Ich gehe jede Wette ein, dass Mozart ihr einen Antrag macht.“
Constanze schmunzelte. Armer Vater! Jetzt musste er in Windeseile eine Lösung aus dem Hut zaubern, zumal er derjenige war, der Mozart vor ein paar Wochen in ihr Zuhause gebracht und für diese verzwickte Situation gesorgt hatte.
Offensichtlich fiel ihm nichts ein, denn Mutter Weber wetterte weiter. „Auf die Reise zur Prinzessin von Nassau-Weilburg kannst du die beiden begleiten, ebenso Josepha; dann ist die Zweisamkeit der beiden Turteltäubchen nicht ganz so auffällig. Aber eine Italien-Tournee ist ausgeschlossen. Das Reisen, die Übernachtungen in Pensionen sind teuer, du verdienst währenddessen nichts, ich und unsere anderen Töchter, die wir alle mitnehmen müssten, auch nicht. Das geht nicht!“
„Du hast recht, liebste Cäcilie“, hörte Constanze die zerknirschte Stimme ihres Vaters. „Es tut mir leid, dass ich Mozart seinerzeit mit Aloisia bekannt gemacht habe.“
„Das meine ich nicht“, unterbrach ihn seine Frau. „Diese Bekanntschaft ist höchst erfreulich, was Aloisias gesangliche Fortschritte anbelangt. Doch jetzt müssen wir auf der Hut sein, sonst ist das unser Ruin.“
„Mach dir keine Sorgen“, sagte Vater Weber. „Ich begleite die beiden auf ihrer Tournee zur Prinzessin von Nassau-Weilburg. Sollten nach dieser Reise die Italien-Pläne immer noch nicht vom Tisch sein, wird mir schon etwas einfallen.“
„Hoffentlich!“
Sophie gab Constanze ein Zeichen. Sie mussten schleunigst verschwinden, denn die Unterredung ihrer Eltern neigte sich dem Ende zu, und sie wollten sich nicht beim Lauschen erwischen lassen.
Constanzes Nerven lagen blank. Seit zwei Stunden rannte Aloisia treppauf, treppab, verstreute ihre Kleider im ganzen Haus und kommandierte ihre Schwestern herum, ihr dieses und jenes zu bringen. An Josephas Stelle hätte Constanze eine Krankheit vorgetäuscht, um nicht mitfahren zu müssen. Denn Aloisia eine Woche im Primadonna-Gehabe ertragen zu müssen, wäre zu viel für sie. Sie setzte sich trotz der Kälte auf die Bank vor dem Haus und kraulte der Katze, die sich zu ihr gesellte, das Fell.
„Hast du deinen Haarschmuck?“ Sophie beugte sich aus einem Fenster des oberen Stockwerks und wedelte mit einer von Aloisias Haarfedern hin und her.
Hektisch durchwühlte Aloisia ihre kleinste Tasche. Ihre Haarbürste fiel aufs Kopfsteinpflaster, ein paar Taschentücher ebenfalls.
Josepha, die griesgrämig neben ihr stand, verdrehte die Augen.
„Können wir endlich abfahren?“, rief Vater Weber ärgerlich. „Es wird schnell dunkel, und ich möchte vor Anbruch der Dämmerung Quartier beziehen.“
Sophie war in der Zwischenzeit mit der Haarfeder nach unten gelaufen und händigte sie Aloisia aus. Diese stopfte ihr anderes Hab und Gut wieder zurück ins Gepäck.
„Habt ihr die Dose mit Brot und Obst griffbereit?“, fragte Mutter Weber.
„Ja doch!“, brummte ihr Mann.
Mozart stand in tadellosem Gehrock neben der Kutsche und summte und pfiff abwechselnd vor sich hin. Die hektische Reisevorbereitung schien ihn nicht zu tangieren.
Constanze beobachtete ihn fasziniert. Er ist die Ruhe selbst, dachte sie. Kein Wunder, wenn er als Kind schon durch alle Herren Länder gereist war.
„Es geht los!“, rief ihr Vater jetzt.
Aloisia und Josepha stiegen in die Kutsche. Nachdem sie ihre weiten Röcke sortiert hatten, sprang Mozart behände hinterher. „Auf Wiedersehen!“ Er winkte den zu Hause bleibenden Weber-Damen vergnügt zu.
„Ade!“, riefen die wie aus einem Mund. Hoffentlich sind sie bald weg, fügte Constanze in Gedanken hinzu.
Nun bestieg auch ihr Vater die Kutsche, nachdem er sich von seiner Frau mit einem herzlichen Kuss verabschiedet hatte. Constanze, Sophie und Mutter Weber winkten der Reisegruppe nach, bis die Kutsche außer Sicht war.
„Uff, das wäre geschafft!“ Sophie ließ sich neben Constanze auf der Bank nieder. „Sie sind weg.“
„Ja, nun haben wir Muße, unseren Umzug nach München vorzubereiten“, sagte Mutter Weber.
Constanze zog eine Grimasse. Gönnte ihnen ihre Mutter keine Verschnaufpause?
„Wir können froh sein, dass euer Vater offiziell gebeten worden ist, sich mit Aloisia in die neue Residenz des Kurfürsten zu begeben“, fuhr ihre Mutter fort. „Somit sind ihre beiden Stellen und unser Lebensunterhalt gesichert.“
„Wann müssen wir denn umziehen?“, fragte Constanze.
Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. „Das steht noch nicht fest. Aber ich möchte, dass wir alles vorbereiten, um notfalls sofort aufbrechen zu können, sobald Vater mit Aloisia und Josepha zurück ist. Die politische Lage ist … unsicher.“ Sie drehte sich um und ging ins Haus. Sophie folgte ihr.
Constanze blieb indes noch einen Augenblick sitzen. Tatsächlich lag eine gewisse Unruhe in der Luft. Um Mannheim herum wurden Truppen zusammengezogen. Die deutschen Staaten erkannten den Erbvertrag nicht an. Es drohte Krieg. Sie schüttelte den Kopf. Und in dieser Situation unternahm Aloisia in aller Seelenruhe eine Konzertreise, oder besser gesagt Vergnügungsfahrt, und nötigte auch ihren Vater und Josepha, daran teilzunehmen. Hoffentlich kommen wir alle zusammen wohlbehalten in München an, dachte sie.
Mutter Weber wies ihre Töchter an, in den Schlafkammern persönliche Gegenstände und Kleider, die momentan nicht gebraucht wurden, zu sichten und gegebenenfalls auszusortieren. „Du übernimmst Aloisias Schlafkammer“, sagte sie zu Constanze. „Sophie und ich kümmern uns um die anderen.“
Constanze seufzte. Da hatte sie mal wieder den Schwarzen Peter gezogen. Aloisia hatte ihre Schlafkammer in einem hoffnungslos chaotischen Zustand zurückgelassen. Das Bett war nicht gemacht, und überall lagen Wäsche, Haarspangen und Schuhe herum. Konnte ihre Schwester nicht Ordnung halten wie sie auch? Entnervt öffnete sie den Schrank. Er quoll über vor Kleidern, und drei Hüte flogen ihr entgegen. Oft durfte Aloisia ausrangierte Roben, die an der Oper nicht mehr benötigt wurden, zur privaten Verwendung mit nach Hause nehmen. Auch Constanze hatte auf diese Weise zwei Kleider von ihrer älteren Schwester erhalten, die sie sich für Abende in feiner Gesellschaft hatte umarbeiten lassen. „Ich werde mich auch jetzt an deiner Garderobe bedienen“, sagte Constanze in Gedanken zu Aloisia. „Das ist nur gerecht, wenn ich dein Zimmer aufräume.“ Sie wusste, dass ihre Mutter ihr dies zugestehen würde, da konnte Aloisia noch so sehr schimpfen.
Sie zog ein Kleid nach dem anderen aus dem Schrank. Plötzlich lächelte sie. Aloisia war bisweilen zwar anstrengend, doch sie musste zugeben, dass sie durch sie in den Genuss von Privilegien kam, von denen Mädchen ohne eine talentierte Schwester nicht einmal zu träumen wagten. Sie würde auf das dunkelgrüne Seidenkleid einen schwarzen Samtkragen nähen. Dann hätte sie ein apartes Kleid, mit dem sie vielleicht auch einmal in feiner Gesellschaft vorsingen könnte.
Draußen dämmerte es. Ob Mozart ihrer Schwester wohl gerade einen Heiratsantrag machte? Constanze setzte sich aufs Bett. Obwohl sie die Turtelei ihrer Schwester mit ihm unerträglich fand, so mochte sie den jungen Mann und seine Musik. Sollte er ihre Familie nicht mehr aufsuchen, würde das eine große Lücke reißen – auch in ihrem Leben. Aber er musste sich beeilen. Bald würden ihre Eltern dem Kurfürsten nach München nachreisen und, wenn er Aloisia bis dahin nicht gefragt hatte, würde er aus ihrer aller Leben verschwinden. Denn welchen Grund sollte Mozart haben, sich ebenfalls in München niederzulassen? Außerdem wollte sein Vater, dass er in Frankreich eine Stellung bekam.
Constanze erinnerte sich an ihr Gespräch mit Mozart vom Vorabend. Er hatte so bedrückt gewirkt, dass sie sich Sorgen gemacht und ihn gefragt hatte, ob ihm etwas auf der Seele läge.
Er hatte traurig gelächelt und gesagt: „Ich habe gerade eine unselige Korrespondenz mit meinem Vater … Er will, dass ich nach Paris gehe und Aloisia und euch vergesse.“
Sie hatte geschluckt. Das war dermaßen unhöflich von Vater Mozart, dass sie wie vor den Kopf geschlagen war.
„Aber wenn ich eine Stelle gefunden habe, lasse ich euch nachkommen“, hatte er gerufen. „Dann werde ich für euch alle sorgen!“
Wie lieb er ist, dachte Constanze, während sie alte Unterröcke zusammenlegte und sich an das Gespräch erinnerte.
Wenig später war es so dunkel, dass sie in den Schränken nichts mehr richtig erkennen konnte. Daher ging sie hinunter in die gute Stube und setzte sich ans Klavier. Nun hatte sie Zeit zum Üben und musste nicht befürchten, dass Aloisia sie vertreiben würde.
Auf dem Notenpult stand Mozarts Sonate in C-Dur. Sie zündete die beiden Kerzen auf dem Klavier an und nahm vorsichtig die Blätter in die Hand, um die Musik zu studieren. Schließlich begann sie, sich durch die Sonate zu fingern. Es war das Werk, das er für Rose Cannabich komponiert hatte. Constanze kannte Rose gut. Sie war zwei Jahre jünger als sie, sehr artig und ruhig und eine ausgezeichnete Pianistin. Ganz anders als Aloisia. Sie lächelte. Also widmete Mozart auch anderen weiblichen Wesen seine Musik. Sie erinnerte sich gut an seine Darbietung dieses Stücks an seinem ersten Abend im Hause Weber. Energisch und kraftvoll waren die Akkorde, ungewöhnlich empfindsam die Melodien, extrem virtuos die Läufe. Sie hatte das Gefühl gehabt, ein ganzes Orchester zu hören.
Constanze spielte und spielte. Sie konnte kaum genug bekommen von der prachtvollen Klangvielfalt. Es war ihr einerlei, dass Mozart die Sonate für ein anderes junges Mädchen geschrieben hatte. Es war ihr einerlei, dass er gerade mit ihrer Schwester auf Tournee war. Er hatte seine Musik dagelassen. Sie konnte die Emotionen, Gefühle und Stimmungen, die er in dieser Sonate verarbeitet hatte, aufnehmen und zum Klingen bringen. Er hatte seine Musik auch ihr und jedem anderen Menschen geschenkt, der sie einmal hören oder spielen würde.
1778: Constanze verliebt sich in den jungen Mozart, doch der macht ihrer Schwester Aloisia einen Antrag. Doch diese gibt dem Musiker einen Korb. Constanze sieht Mozart drei Jahre nicht, bis sich ihre Wege wieder kreuzen. Er zieht als Untermieter bei ihrer Mutter ein und nun verlieben sich Constanze und Mozart ineinander. Doch ihre Mutter ist gegen diese Verbindung, hat der junge Mozart doch kein geregeltes Einkommen. Hat ihre Liebe dennoch eine Chance? Verena Maatman erzählt mit viel Gefühl das Leben von Constanze und Wolfgang Mozart, der von ihr immer nur Wolferl genannt wird. Wir erleben in diesem Roman nicht nur den Glanz, sondern auch die Schattenseiten der damaligen Zeit. Wie schwer es junge Frauen und auch Musiker hatten. Die finanzielle Lage zwingt die beiden zu unschönen Entscheidungen. Und Constanze wird mehrmals vom Schicksal schwer getroffen. Der Roman ist sehr gut recherchiert und gibt im Nachwort noch ein paar Erläuterungen zu dem historischen Hintergrund von Mozart und Constanze. Die Autorin hat einen leichten angenehmen Schreibstil und haucht auf wunderbare Weise den historischen Personen Leben ein. Eine schöne Lektüre für alle, die gern Romanbiografien lesen und sich für das Leben von Mozart interessieren. Eine absolute Leseempfehlung!
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