

Hotel Vier Jahreszeiten – Der Glanz des neuen Morgens (Das Vier Jahreszeiten 2) - eBook-Ausgabe Hotel Vier Jahreszeiten – Der Glanz des neuen Morgens (Das Vier Jahreszeiten 2)
Roman
— Die Fortsetzung der hinreißenden HotelsagaHotel Vier Jahreszeiten – Der Glanz des neuen Morgens (Das Vier Jahreszeiten 2) — Inhalt
Eine verbotene Liebesgeschichte zu Zeiten des Krieges
Hamburg, 1932: Luise hat sich im renommierten „Hotel Vier Jahreszeiten“ von der Wäscherin zur stellvertretenden Hausdame hochgearbeitet. Tatkräftig unterstützt sie Hoteldirektor Karl Haerlin, den die Machthaber zu schwerwiegenden Entscheidungen zwingen. Als alle männlichen Angestellten einberufen werden, hält sie das Hotel am Laufen und scheut kein Risiko, um sich für die jüdischen Angestellten einzusetzen. Doch als sie nach Kriegsende ihr Herz an einen Engländer verliert, steht Luise vor einer schweren Entscheidung …
Der zweite Teil der packenden Saga um das legendäre Grandhotel an der Alster
Leseprobe zu „Hotel Vier Jahreszeiten – Der Glanz des neuen Morgens (Das Vier Jahreszeiten 2)“
Prolog
Hamburg, 1919. Er sagte Nein! Nur dieses eine Wort. Hatte er denn nicht begriffen, dass Graf von Ehrenberg sie gegen ihren Willen mitnehmen wollte? Ein fremder Mann, der behauptete, ihr Vater zu sein.
„Warum hilfst du mir nicht, Hans?“
Er stammelte, sie müsse ihn verstehen. Er sei doch gerade erst aus dem Krieg zurückgekommen, habe kein Geld, ja, nicht einmal eine eigene Unterkunft. Wie solle er eine Familie ernähren? Es wäre ein Fehler, die Dinge zu überstürzen.
„Sei vernünftig, Luise.“
Sie spürte den Riss, der plötzlich durch ihre Freundschaft lief. [...]
Prolog
Hamburg, 1919. Er sagte Nein! Nur dieses eine Wort. Hatte er denn nicht begriffen, dass Graf von Ehrenberg sie gegen ihren Willen mitnehmen wollte? Ein fremder Mann, der behauptete, ihr Vater zu sein.
„Warum hilfst du mir nicht, Hans?“
Er stammelte, sie müsse ihn verstehen. Er sei doch gerade erst aus dem Krieg zurückgekommen, habe kein Geld, ja, nicht einmal eine eigene Unterkunft. Wie solle er eine Familie ernähren? Es wäre ein Fehler, die Dinge zu überstürzen.
„Sei vernünftig, Luise.“
Sie spürte den Riss, der plötzlich durch ihre Freundschaft lief. Knackend bahnte er sich einen Weg durch die Vertrautheit, von der sie geglaubt hatte, sie würde ewig halten.
„Verzeih“, murmelte sie und wankte zurück ins Hotel, aus dem sie kurz zuvor mit wehenden Haaren geflüchtet war.
Die Scham drückte sie zu Boden. Sie hätte nicht fragen dürfen. Ein Mädchen musste warten, bis man es um seine Hand bat. Nicht andersherum. Beschämt schlich Luise zum Direktionszimmer, um sich beim Patron für ihr unbeherrschtes Benehmen und die Flucht zu entschuldigen. Sie war kein Gossenkind mehr.
Kraftlos klopfte sie an die Tür. Zu ihrer Überraschung öffnete statt Friedrich Haerlin sein Sohn Fritz.
„Tritt ein.“
Mit gesenktem Kopf blieb sie vor dem Schreibtisch des Hotelbesitzers stehen, der sie streng ansah, während sich Fritz an die Wand lehnte.
„Du hast den Grafen erzürnt, Kind“, begann der Patron ohne Umschweife.
Sie heftete den Blick auf ihre glänzenden Schuhe. „Es tut mir sehr leid, wirklich.“
„Er reist morgen ab.“ Der Vorwurf hing zwischen ihnen wie Spinnweben. „Allein.“
Hatte sie richtig gehört?
Sichtlich verärgert erhob sich der Hausherr von seinem Stuhl. Fritz eilte herbei, um dem Vater in den Mantel zu helfen.
Der Patron war trotz seines hohen Alters eine beeindruckende Erscheinung. Groß und schlank, mit einem weißen Bart und vollem Haar gesegnet, war er stets perfekt gekleidet, sein Auftreten ohne Makel. Nach all den Jahren in der Stadt galt er als geachteter Mann, dem die hanseatischen Tugenden offenbar mit in die schwäbische Wiege gelegt worden waren.
„Du hast dieses Haus in eine unangenehme Situation gebracht.“ Er setzte seinen Hut auf. „Immerhin ist es ein großzügiges Angebot deines Vaters, dir eine standesmäßige Erziehung zu bieten. Diese Möglichkeit eröffnet sich für ein Mädchen in deiner Situation nicht jeden Tag.“
Luise wünschte sich weit fort. Niemand hatte wissen sollen, dass sie nichts weiter als ein uneheliches Balg war.
Hinter ihr räusperte sich Fritz. Er war etwa in Luises Alter und würde eines Tages das Hotel übernehmen. Hier und heute schien ihm ein guter Tag zu sein, dem Senior ein wenig zu widersprechen.
„Man sollte allerdings in Betracht ziehen, Vater, dass der Herr Graf recht unerwartet in Luises Leben getreten ist. Vielleicht wäre eine gewisse Bedenkzeit …“
Sie fuhr herum.
„Das Allerletzte, was ich will, ist als Schoßhündchen für die Gattin meines Erzeugers zu arbeiten.“ Sie schluckte. „Entschuldigung, das hätte ich nicht … ich bitte um Verzeihung.“ Ihr Herz schlug bis zum Hals. „Patron! Sie und Ihre Frau gaben mir ein Zuhause, als es schlecht um mich stand. Dafür bin ich Ihnen auf ewig dankbar. Sie konnten sich in all der Zeit stets auf mich verlassen. Bitte, schicken Sie mich nicht fort!“
Sie hatte ihn enttäuscht. Das würde sie sich niemals verzeihen. Trotzdem würde sie um die bescheidene Kammer unterm Dach kämpfen, in der sie seit fünf Jahren lebte.
Den Tränen nahe schaute sie Friedrich Haerlin nach, der ohne ein weiteres Wort den Raum verließ.
„Wo soll ich denn hingehen?“, jammerte sie.
Kopfschüttelnd, als wäre er ein Lehrer, dessen Schülerin weit hinter seinen Erwartungen zurückgeblieben war, trat Fritz zum Schreibtisch und schob ihr einen Umschlag zu. „Hier.“
Mit tauben Fingern nahm sie das Kuvert und knickste, um zu gehen.
„Möchtest du nicht gucken, was darin ist?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich denke, Luise, du schätzt uns falsch ein. Lies.“
Während stille Tränen über ihr Gesicht liefen, faltete sie das Papier auf. Die verschwommenen Buchstaben bildeten für einen Moment Worte, bevor sie sich wieder auflösten. Sie blinzelte, las ein weiteres Mal und verstand.
Grinsend ließ sich Fritz auf den Stuhl seines Vaters fallen.
„Wir empfahlen dem Grafen, dich vorzeitig für mündig erklären zu lassen. Laut Paragraf 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs wäre das möglich. Dazu hätte man nur beim zuständigen Amtsgericht einen Antrag stellen müssen.“ Fritz lachte. „Leider wollte dein Vater nichts davon wissen, meinte, Gerichte seien ein unpassender Ort für einen ehrbaren Mann seiner Stellung.“ Er griff nach dem schwarzen Füllfederhalter in der marmornen Schale und wog ihn in der Hand. Das Schreibgerät war ein Geschenk Prinz Heinrichs an den Patron zum zehnten Firmenjubiläum. „Ich glaube, er wollte keine Aufmerksamkeit auf damals lenken, auch wenn der Vorfall Ewigkeiten her ist.“
„Ich bin kein Vorfall“, unterbrach sie ihn heftig. Dass von Ehrenberg unerwartet in ihr Leben getrampelt war und alles zerstörte, war für sich genommen schon unverzeihlich. Dass Fritz ihr gerade jetzt unter die Nase reiben musste, dass sie unehelich war, machte sie wütend. Unehelich, was für ein entsetzliches Wort.
Sie betrachtete die beiden Unterschriften. Mit energischem Schwung stand dort der Name Friedrich Haerlin. Gleich daneben, verschnörkelt und mit Titeln sowie mehreren Vornamen versehen, jener ihres Vaters.
„Der Patron hatte den Grafen schnell davon überzeugen können, dass deine Ausbildung bei uns längst nicht beendet ist.“
Sie fuhr über die Zeilen. „Achtzig Mark?“
„Ja, das zahlt er bis zu deiner Volljährigkeit pro Monat an den Ausbildungsherrn. Also an uns.“ Fritz beugte sich vor. „Luise, in diesem Haus hat bisher kein Mädchen eine Ausbildung erhalten. Du bist die Erste. Ich weiß nicht, wie mein Vater das bewerkstelligen will. Weder wirst du als Kellner oder als Empfangschef noch als Koch eingesetzt werden können. Und als Hausdame bedarf es keiner Lehrzeit. Das könnt ihr Frauen aus dem Effeff.“
Stirnrunzelnd sah sie auf. „Und was bin ich dann?“
Er zuckte mit den Schultern.
1
Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel, 1923. Endlich war Hans mit den letzten Picknickkörben angekommen. Energisch winkte Luise ihn herbei, damit er den Mercedes Knight nicht zu weit entfernt abstellte. Sie wollte die schweren Körbe nicht bis zu dem Platz schleppen müssen, wo sie und die Kellner zuvor alles für das Eintreffen von Franklin D. Osborne vorbereitet hatten.
Elegant rollte das schwarz-silberfarbene Automobil über die Wiese.
„Du bist spät!“, rief sie ihrem Verlobten zu und griff nach einem der Tragekörbe, die auf der Rückbank standen.
Wortlos stieg er aus und nahm die Kiste mit dem gekühlten Champagner vom Rücksitz. Hinter ihm holperte der Militärlaster zurück zum Holzgatter, das den Flugplatz von der Straße trennte. Dort würde der Fahrer warten, bis der Empfang für den Millionärssohn vorüber war. Danach würden sie alles zurück in den Neuen Jungfernstieg bringen. Es würde Tage dauern, bis die Teppiche, die jetzt auf dem nassen Gras lagen, wieder gereinigt und trocken waren. Zum Glück ist niemand auf den Gedanken verfallen, die Perserbrücken aus dem Magazin mitzunehmen, dachte Luise.
Ihr Blick wanderte zum schiefergrauen Himmel hinauf, wo man die DH-16 aus Bremen erwartete. Der Sprössling eines US-Stahlmagnaten verspätete sich. Seinetwegen hatten sich an diesem kalten Herbsttag Bürgermeister Diestel sowie Werftbesitzer Hermann Blohm und sein Sohn Rudolf hierher begeben. Man hoffte wohl auf gute Geschäfte mit den Amerikanern.
Stadt und Unternehmen benötigten unbedingt Kredite aus Übersee, da wegen des unseligen Versailler Vertrags die Wirtschaft im ganzen Land nicht recht in Gang kam. Die Hoffnung aller ruhte auf den Schultern eines jungen Mannes, den keiner kannte. Man gedachte, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Darum hatte Albert Ballin, der Chef der Hapag-Reederei, seinen Freund Friedrich Haerlin gebeten, sich um eine angemessene Begrüßung von Franklin D. Osborne zu kümmern, der anschließend im Vier Jahreszeiten residieren würde.
Dass man den Gast mit Champagner und Horsd’œuvre empfing, konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Flughafen selbst alles andere als imposant war. Er war kaum mehr als ein Acker. Wenigstens hatte man den Schutt der im letzten Jahr gesprengten Zeppelinhalle fortschaffen lassen. Auch sie war ein Opfer des Versailler Vertrags geworden. Leider hatte man jetzt nicht einmal mehr den Anblick des eindrucksvollen Baus zu bieten, der durch seine schiere Größe für kurze Zeit so manches Ah und Oh hervorgerufen hatte.
Ein Stück entfernt warteten Bürgermeister Diestel und Hermann Blohm mit auf den Rücken gelegten Händen und in den Nacken gelegten Köpfen ungeduldig auf den Gast.
Der Doppeldecker gehörte der KLM, einer neuen Fluggesellschaft aus den Niederlanden, die mit ihrem Europa-Nordwestflug die erste internationale Fluglinie auf dem Kontinent von Rotterdam über Bremen und Hamburg bis nach Kopenhagen betrieb. Luise hatte gehört, dass es sogar Flüge nach London gegeben haben sollte. Sie konnte nicht verstehen, warum sich jemand ein solches Abenteuer in den Lüften antat. Sie blieb lieber mit beiden Füßen auf dem Boden.
Die Silberplatten mit den Amuse-Bouche, bestehend aus Wachteleiern mit Sardellenröllchen, Aalhäppchen und Rotweinbirne auf Roquefort sowie Champagnergelee mit frischen Waldbeeren, stellte sie neben das üppige Blumenbouquet aus Lilien. Als Nächstes mahnte sie einen der Kellner, die Kelche zu füllen, sobald die Maschine gelandet war. Sie prüfte, ob ausreichend Servietten vorrätig waren und auf jedem Stuhl ein Kissen lag. Inniglich hoffte sie, der Pilot möge geistesgegenwärtig genug sein, die Flugmaschine nah an dem Ort zum Halten zu bringen, wo sie und die anderen alles vorbereitet hatten. Der kalte Wind zerrte an den Tischtüchern. Immer wieder schubste er die Kissen zu Boden.
In der Nähe der Herren Blohm und Diestel lungerte ein Reporter der Hamburger Nachrichten herum. Um seinen Hals hing eine Kamera. Eben hatte er versucht, Luise zu bezirzen, damit sie ihm verriet, in welcher Suite des Vier Jahreszeiten der amerikanische Gast absteigen würde. Mit einem freundlichen Lächeln hatte sie ihn abgewimmelt. Nun trieb er sich in Hörweite bei den Herren herum, die von Minute zu Minute ungeduldiger wurden, während sich über ihnen die grauen Wolken in trotziger Einigkeit gen Westen schoben.
Luise fröstelte, obwohl sie einen Mantel trug. Sie würde ihn zur Ankunft des Gastes ablegen müssen, um ihn in ihrem dunkelblauen Kleid mit dem gestickten 4J-Emblem zu begrüßen. Sie hatte den Patron davon überzeugen können, dass die weiblichen Angestellten ebenfalls die Ehre haben sollten, das Wappen zu tragen, sofern sie Kontakt zu den Gästen hatten. Dieses Privileg hatte die Direktion bisher ausschließlich dem männlichen Personal gegönnt.
Hans polierte mit einem Lappen in der Hand den Mercedes Knight, was der Wagen nach seiner Fahrt über die feuchtnasse Wiese auch nötig hatte. Luise ging zu ihm. Gerade beugte er sich zum Kühler hinunter, dessen Luftschlitze er akribisch putzte.
„Verzeih, falls ich eben zu grob war, Hans.“
„Du hattest recht, ich war spät dran. Glaube mir, es war nicht meine Schuld. In der Küche gab es ein Malheur.“ Er schaute nicht auf. „Sie mussten die Körbe ein weiteres Mal packen.“
Luise begutachtete das Automobil. „Es ist hübsch.“
Er lugte zu ihr hoch. „Hübsch?“
„Ähm, ja.“ Kraftfahrzeuge mit vielen Pferdestärken waren seine Leidenschaft. Hatte sie etwas Falsches gesagt?
Offenbar, denn er seufzte schwer.
„Der Mercedes Knight mag nicht sonderlich schnell sein, aber sein neuer Verbrennungsmotor ist leise wie ein schnurrendes Kätzchen“, dozierte er.
Luise hob eine Braue. „Das muss eine ziemlich große Katze sein, von der du da sprichst.“
Er schnaufte. „Technisch betrachtet, ist der Wagen eine Neuheit, weil der Ladungswechsel durch einen Hülsenschieber veranlasst wird statt von Ventilen.“
„Ach.“ Luise verstand kein Wort.
Er widmete sich erneut dem Chrom.
Sie war mit ihm verlobt, ohne wirklich verlobt zu sein. Entsprungen aus dem Moment des Abschieds, hatte sie ihm vor Jahren einen provisorischen Ring aufgedrängt, weil der Kaiser ihn in die Schützengräben hatte schicken wollen. Die Verlobung sollte ihm Hoffnung geben, dass das Leben größer war als ein Tod für das Vaterland. Sie waren Kinder gewesen, mehr nicht.
Als er vier Kriegsjahre später unversehrt zurückkehrte, waren sie sich fremd geworden. Und dieses Gefühl wollte auch nach drei Sommern Frieden nicht gehen. Sie fragte sich, ob es ihm ebenso ging.
Damals traute sie sich nicht, die Verbindung zu lösen. Schon gar nicht, nachdem Fritz und die anderen auf eine ordentliche Verlobung mit allem Drum und Dran bestanden hatten. Deshalb kam es ja auch zu diesem peinlichen Moment vor dem Hotel, als er Nein sagte. Er hatte ihren Heiratsantrag abgelehnt, obwohl sie seine Hilfe so dringend gebraucht hätte. Sie war über diesen Verrat zutiefst unglücklich und wollte ihm den Ring zurückgeben. Die Patronin hatte ihr eindringlich davon abgeraten. Hans sei möglicherweise ihre einzige Chance, irgendwann eine ehrbare Frau zu werden. Mit ihm könne sie die schmutzige Hülle, ein unehelicher Balg zu sein, ablegen.
„Der Wagen sieht aus wie neu“, lobte Luise, während Hans die Lampen aus Chrom polierte. „Treffen wir uns heute Abend?“
„Der Garagenmeister braucht mich für einen Ölwechsel am Bugatti von Generalkonsul Montgomery“, erwiderte er nur.
Mit einem Mal hörten sie ein dumpfes Knattern über ihren Köpfen. Erst leise, wurde es immer lauter und brachte die Luft zum Vibrieren. Ihre Augen suchten den Himmel ab. Da stieß ein Doppeldecker aus der Wolkendecke.
„Es geht los!“, rief sie den Kellnern zu, die sogleich ihre warmen Mäntel auszogen, die Hüte ablegten und alles unter dem Büfetttisch verstauten.
Luise spürte eine prickelnde Aufregung in den Adern. Sie war für den reibungslosen Ablauf des kleinen Empfangs verantwortlich. Fritz Haerlin zählte darauf, dass Franklin D. Osborne bester Stimmung im Hotel eintreffen würde.
Mit der Chauffeursmütze unter dem Arm reihte sich Hans in die Phalanx aus Kellnern ein. Sie stellte sich vor die Männer, um den Gast im Namen des Vier Jahreszeiten zu begrüßen.
„Wird schon gut gehen“, hörte sie Hans hinter sich raunen.
Holpernd kam die DH-16 zum Stehen, natürlich viel zu weit entfernt.
Der erste Fluggast, der ausstieg, war ein schlanker Mann um die dreißig, gekleidet in Knickerbocker aus Tweed, darunter karierte Strümpfe. Die Schiebermütze saß ein wenig schief auf seinem vollen Haar, was ihn wie einen Lausebengel wirken ließ. Er lachte, als er aus dem hochgeklappten Fensterausstieg auf den Flügel kletterte. Mit einem Sprung erreichte er den Hamburger Boden.
Zu Luises Erstaunen begleitete ihn eine bildschöne junge Frau. Auch sie trug Hosen! Galant half Franklin D. Osborne der Amazone aus dem Aeroplan.
Die herbeigeeilten Honoratioren der Stadt schüttelten dem Ankömmling die Hand, bevor er seinen Handschuh ausziehen konnte. Der Reporter bat die Anwesenden um Aufstellung vor dem Flugzeug, was Hermann Blohm mit einem mürrischen Nicken quittierte. Kurz darauf begab man sich auf den Weg zu Luises improvisiertem Empfang.
Sogar aus der Nähe betrachtet, war Franklin D. Osborne äußerst attraktiv. Aus seinen Gesten sprach eine gewisse weltgewandte Leichtigkeit.
„Good afternoon, Mr Osborne. Did you have a pleasant journey?“, begrüßte Luise ihn.
„Enchanté, my dear.“ Er strahlte sie an, nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf.
Erschrocken hielt Luise die Luft an, während Osborne sie unter seinen seidigen Wimpern, die jede Frau hätten neidisch werden lassen, anlächelte. Zu lange.
Sprachlos knickste sie, was sie nicht mehr getan hatte, seit sie Herrn Kretschmer, dem Geschäftsführer für Festivitäten und Einkauf, unterstellt war.
„How sweet she is!“ Osbornes Begleitung kicherte und nahm eines der gefüllten Champagnergläser, die der Kellner den Gästen reichte. Sie stürzte den Inhalt herunter, als handelte es sich um Wasser.
Luise fragte sich, wer diese Schönheit sein mochte, die kaum älter war als sie selbst. Niemand hatte sie vorgestellt.
Da verkündete Werftbesitzer Blohm, man habe viel zu tun, und das tue man besser im Warmen. Niemand bediente sich an den Häppchen oder am Champagner, außer der jungen Dame, die sich schnell ein zweites Glas gönnte.
Man begab sich zu den Wagen. Der Amerikaner hielt an Hans’ Seite auf den Knight zu, ohne auf die Herren zu warten.
„Sehr amerikanisch, sich so ausgiebig mit einem Chauffeur zu unterhalten“, grummelte der Werftbesitzer, woraufhin Diestel zu bedenken gab, dass der Millionärssohn ein großes technisches Interesse an dem Mercedes zu haben scheine.
„Trotzdem vergisst man nicht seine gute Kinderstube“, widersprach Blohm und setzte nach: „Falls er diese überhaupt genießen durfte.“
Diestel, der nie über Klein Flottbek hinausgekommen war, mutmaßte, dass in Amerika wohl weniger starre Gesellschaftsschranken existierten als in Europa.
„Wie bedauerlich“, kommentierte Blohm.
Einen Schritt hinter der leicht beschwipsten Amazone gehend, folgte Luise. Sie beneidete die junge Frau um ihren unbekümmerten Mut, Hosen zu tragen. Amerikanische Extravaganzen dieser Art waren in Deutschland selten.
Am Automobil reichte sie den Gästen wärmende Decken für die Fahrt ins Hotel. Sie winkte dem Knight hinterher, bis der Wagen die Straße erreicht hatte.
Als sie zurückging, strichen ihre Finger über den Rücken ihrer rechten Hand, die Osborne eben geküsst hatte. Sie musste grinsen. So etwas hatte bisher keiner bei ihr getan.
Bald darauf beluden sie den Lastwagen und fuhren in den Neuen Jungfernstieg. Dort schaffte man die Requisiten in die Magazine oder zur Reinigung in den Hof, während Luise die unangetasteten Häppchen in die Küche brachte. Vielleicht würde man die Leckereien später dem Personal zum Abendbrot reichen. Wahrscheinlicher war, dass alles in der Dranktonne landete, um als Schweinefutter zu enden.
Sie war dankbar dafür, seit fast neun Jahren hier arbeiten zu dürfen. Natürlich ahnte sie, dass der Patron ihre Ausbildung nicht aus reiner Gnade gewährt hatte oder gar zu ihrem Schutz, damit sie nicht mit dem Grafen fortgehen musste. Nein, der Grund waren all die im Krieg gefallenen Männer und die als Krüppel Heimgekehrten. Der Patron hatte die Positionen im Hotel nur schwer neu besetzen können. Da waren Frauen besser als nichts. Friedrich Haerlin war ein gütiger Mann, doch in erster Linie war er ein scharfer Rechner.
In diesen Tagen erledigte Luise allerdings selten Arbeit in den Etagen. Meistens übernahm sie kleine Aufgaben bei Empfängen. Demnächst würde sie lernen, wie man eine Schreibmaschine bediente, da der Kriegsversehrte in der Buchhaltung bald entlassen werden sollte. Immer öfter zitterten seine Hände, und er murmelte wirr vor sich hin. Es war traurig, den ehemaligen Offizier so sehen zu müssen. Der Krieg mochte für das Reich zu Ende sein, nicht aber in den Köpfen und Herzen der Menschen.
Vom Hotel erhielt Luise ein bescheidenes Salär mit dem Hinweis, dass es sich um eine Art Grundgehalt handele. Die Perfektion ihrer Dienste lasse sich am Trinkgeld erkennen, das man ihr gebe. Sie solle sich nur ordentlich anstrengen.
Schnell hatte sie gemerkt, dass es die männlichen Angestellten waren, die mit einem Tipp belohnt wurden. Sie selbst musste sich damit trösten, dass man ihr Lob schenkte und ihren künftigen Gatten schon jetzt zu einem glücklichen Mann erklärte, fleißig und aufmerksam, wie sie war. Zum Glück hatte sie kaum Kosten, da sie weiterhin in ihrer Kammer unterm Dach lebte und selten ausging. Gelegentlich besuchte sie Hans in seinem Zimmer, das er zur Untermiete bei einer Kriegswitwe in St. Pauli bewohnte.
Ihr einziger Luxus waren die Bücher und ein Abonnement für jenes Stadttheater, in dem ihre Mutter früher als Sopranistin gesungen hatte. Sobald sich dort der Vorhang hob, fühlte sich Luise ihr nah.
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