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Goldenes Feuer (Chroniken der Seelenfänger 3)Goldenes Feuer (Chroniken der Seelenfänger 3)

Goldenes Feuer (Chroniken der Seelenfänger 3)

Alexey Pehov
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Chroniken der Seelenfänger 3

„Die ›Chroniken der Seelenfänger‹ werden im dritten Band der Reihe gelungen fortgeführt – die Kombination von einzelnen Abenteuern mit einer verbindenden Hintergrundgeschichte kann erneut fesseln und durch den gut durchdachten Aufbau darf sich der Leser zusammen mit Ludwig auf einige spannende Wendungen sowie erst später deutlich werdende Zusammenhänge freuen.“ - captain-fantastic.de

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Goldenes Feuer (Chroniken der Seelenfänger 3) — Inhalt

Eine neue Form des Bösen ist in die Welt getreten und bedroht die Bruderschaft der Seelenfänger. Ein unbekannter Schmied erschafft schwarze Dolche, deren Klingen dunkle Seelen nicht auslöschen, sondern neu entstehen lassen. Für seine Arbeit benötigt er die berühmten schwarzen Dolche der Seelenfänger – sowie deren Leben. Während immer mehr dunkle Anderswesen die Menschheit in Angst versetzen, begibt sich Ludwig van Normayenn auf die Suche nach dem Schmied und dessen gefährlichen Seraphimdolchen. Doch der dunkle Schmied verfügt über starke Zauberkräfte, und er könnte der mächtigste Gegner sein, dem Ludwig sich je stellen musste ...

€ 10,00 [D], € 10,30 [A]
Erschienen am 04.06.2019
Übersetzt von: Christiane Pöhlmann
544 Seiten, Broschur
EAN 978-3-492-28199-7
Download Cover
€ 9,99 [D], € 9,99 [A]
Erschienen am 03.04.2017
Übersetzt von: Christiane Pöhlmann
544 Seiten, WMePub
EAN 978-3-492-97626-8
Download Cover

Leseprobe zu „Goldenes Feuer (Chroniken der Seelenfänger 3)“

1    Der Gekreuzigte


Der Junge stolperte vorwärts, als wäre Satan selbst hinter ihm her. Immer wieder blickte er zu mir zurück, offenbar um sich zu vergewissern, dass ich es mir ja nicht anders überlegt hatte.
„Ist diesem Bengel eigentlich noch nie ein anständiger Mensch über den Weg gelaufen?“, brummte Apostel. „Glaub mir, er geht davon aus, dass du am Ende feixend abziehst. Oder ihm sogar eins hinter die Löffel gibst, damit er nicht mehr auf jeden dahergelaufenen Tunichtgut reinfällt.“
Ich verkniff mir jede Antwort. Schon allein deshalb, weil der Junge [...]

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1    Der Gekreuzigte


Der Junge stolperte vorwärts, als wäre Satan selbst hinter ihm her. Immer wieder blickte er zu mir zurück, offenbar um sich zu vergewissern, dass ich es mir ja nicht anders überlegt hatte.
„Ist diesem Bengel eigentlich noch nie ein anständiger Mensch über den Weg gelaufen?“, brummte Apostel. „Glaub mir, er geht davon aus, dass du am Ende feixend abziehst. Oder ihm sogar eins hinter die Löffel gibst, damit er nicht mehr auf jeden dahergelaufenen Tunichtgut reinfällt.“
Ich verkniff mir jede Antwort. Schon allein deshalb, weil der Junge bestimmt noch unsicherer würde, wenn ich anfinge, Selbstgespräche zu führen. Vermeintliche Selbstgespräche. Er macht sich eh schon fast vor Angst in die Hose, weil er es mit einem Seelenfänger zu tun hatte.
Denn hier, an der Grenze zwischen Broberger und Tschergien, wo es nichts als ein paar Dörfer, die Kristallberge und finstere Wälder gab, sah man uns nicht gerade gern. Hier ging man davon aus, dass jemand, der mit einer unsichtbaren Gestalt zu reden vermochte, vom Atem des Bösen gestreift worden war. Für die Bruderschaft hieß das: Man hatte sie hier ebenso ins Herz geschlossen wie ein Schafhirte ein Rudel Wölfe.
„Oder aber der Bengel hat es selbst faustdick hinter den Ohren“, fuhr Apostel fort und blieb, von diesem Gedanken völlig erschüttert, sogar stehen. „Genau! Bestimmt hat er dich an der Nase herumgeführt. Recht bedacht, kann es gar nicht anders sein!“
„Von wegen“, erwiderte ich, um sogleich den Jungen, dessen Kopf zu mir herumschoss, anzuknurren: „Von wegen, er liegt nicht weit vom Dorf entfernt! Wir sind ja schon ewig unterwegs!“
„Aber jetzt sind wir wirklich gleich da. Da drüben, da liegt er.“
Er zeigte auf einen mit Hainbuchen bestandenen Berg.
Der Junge, Sohn eines Holzfällers, war vielleicht elf Jahre alt und bestand nur aus Haut und Knochen. Er trug zerlumpte Hosen und ein langes Leinenhemd. Die Sonne hatte sein Gesicht braun gebrannt und sein Haar ausgeblichen, an der sommersprossigen Nase schälte sich die Haut. Seine sonst so lebhaften Augen blickten mich nun ängstlich an.
„Na gut, dann weiter!“, verlangte ich. „Aber wenn du mich angeschwindelt hast, kannst du deinen Groschen abschreiben.“
Erleichtert, dass die Belohnung noch in greifbarer Nähe war, stiefelte er mir auf dem von Kühen getrampelten Pfad abermals voran. Wir überquerten eine gemähte Wiese und gelangten an einen rasch dahinströmenden Bach. Der Junge sprang geschickt über die aus dem Wasser herausragenden Steine. Bei mir dauerte das Ganze etwas länger.
„Vorsicht!“, warnte mich der Junge. „Der fleckige Stein da ist verdammt rutschig.“
„Hach, wie der sich um dich sorgt!“, giftete Apostel, während er die Soutane raffte und durch den Bach pflügte, ohne das Wasser aufzurühren. „Aber wenn du mich fragst, hätte dieser Bengel besser gar nicht erst von dieser hanebüchenen Geschichte angefangen. Dann würdest du längst in der Kutsche sitzen, statt von Neugier geplagt durch die Gegend zu stolpern! Zu allem Überfluss darfst du nun auch noch einen geschlagenen Monat auf die nächste Kutsche warten!“
Mit Letzterem hatte er leider recht. In ein Kaff wie das Dorf des Jungen verirrte sich nicht gerade häufig eine Kutsche. Das bereitete mir jedoch kein Kopfzerbrechen. Sobald ich Licht in die Geschichte dieses Jungen gebracht hatte, würde ich einfach zu Fuß weiterziehen. Durchs Vorgebirge führte eine recht gute Straße nach Gäbeling. Dort würde ich mir dann ein Pferd kaufen.
„Ich kann es kaum noch abwarten, endlich wieder durch Kuhkäffer zu ziehen“, säuselte Apostel, der mal wieder meine Gedanken gelesen hatte. „Ludwig, wirklich, wann lernst du endlich mal die Lektion, die dir das Leben erteilt? In derart öden Gegenden erwartet dich nichts Gutes. Wenn ich dich nur an deine jüngsten Erfahrungen erinnern darf? Da hattest du das Vergnügen mit einem Blickzard, ein paar Gespenstermönchen und mit einer ganzen Herde hungriger Stargas. Wer von all denen am schlimmsten war, vermag selbst ich nicht zu sagen.“
Konnte er mich nicht wenigstens einmal mit seinen Predigten verschonen?! Er wusste schließlich genau, dass wir Seelenfänger nur über die Runden kamen, wenn wir unterwegs waren. Mitunter eben auch in der tiefsten Provinz. Diese Lektion hätte er in all den Jahren, die wir schon gemeinsam durchs Leben gingen, ruhig mal lernen können …
Als ich die Riemen des Rucksacks, die sich bereits in meine Schultern gebohrt hatten, zurechtrückte, schoss mir ein stechender Schmerz durch den linken Oberarm. Noch immer machte mir die Stelle zu schaffen, an der mir jener geschickte Zauberer aus dem Zigeunerlager seinen Seraphimdolch ins Fleisch gebohrt hatte. Miriam und ich hatten uns damals nach dem Kampf schnurstracks zu einer Starga begeben. Dieses Anderswesen hatte mit seiner Heilmagie zwar wahre Wunder vollbracht, dennoch plagten mich mitunter Schmerzen im Arm.
„Jetzt verstehe ich, warum die Kirche diese Wesen nicht ausgerottet hat“, hatte Apostel, der diese Blutsaugerinnen nicht ausstehen konnte, nach der Behandlung gemurmelt. „Eine beflissene Vampirin an der Hand zu haben ist gar nicht schlecht. Selbst die Furunkel, die sich jeder anständige Kirchenmann spendiert, heilt sie spielend. Vermutlich würde auch der eine oder andere Fürst sie liebend gern in seinem Gefolge wissen. Er bräuchte ihr bloß einmal im Monat einen Ketzer oder Schurken zum Leertrinken zu überlassen, und schon müsste er sich nie wieder Gedanken über die Progancer Krankheit machen …“
Der Junge kraxelte inzwischen bereits einen unter Laub begrabenen Pfad hoch. Vom Fuß aus hatte der Hang längst nicht so steil ausgesehen, doch anscheinend hielt dieser Berg sich für einen zweiten Monte Rosa – und der war bekanntlich der höchste Gipfel in den Kristallbergen. Obendrein war die fast lotrechte Felswand furchtbar glitschig. Doch obwohl mir das Blut bereits in den Ohren rauschte, blieb mir nichts anderes übrig, als gleichmäßig weiterzuatmen und mich der Herausforderung zu stellen.
Meine gute, alte ruhelose Seele Apostel hätte natürlich fast ein Freudentänzchen aufgeführt, denn dass ich mich derart quälte, geschah mir seiner Ansicht nach nur recht. Hätte ich nämlich seinen unter Tränen vorgebrachten Bitten nachgegeben, säßen wir längst warm und wohlig in einer Kutsche.
Endlich erreichten wir ein Plateau, das auf drei Seiten von Bäumen gesäumt wurde. Von hier aus hatte man eine herrliche Sicht ins Tal, das zweihundert Yard unter uns lag. Der Bach mündete, wie man nun erkennen konnte, in einen großen Teich und endete auf der anderen Seite an einem Damm. Auf diesem standen ein paar Jungen und angelten. Um das Dorf mit seinen grau-gelben Dächern und dem Glockenturm der Kirche herum lagen Wiesen mit Apfelbäumen.
Zu meiner Überraschung erwartete uns hier oben auch Scheuch, der sich seit einer geschlagenen Woche nicht mehr hatte blicken lassen. Mein Animatus blickte mürrisch wie eh und je drein. Auch sonst war alles wie gehabt: der zerschlissene Soldatenrock aus der Zeit Fürst Georgs, der Kopf aus Werg mit dem verschlagenen Grinsen und der schon reichlich zerrupfte Strohhut. Nicht zu vergessen seine Sichel. Wenn ihn jemand sehen könnte, bekäme er vor lauter Angst vermutlich Nierenkoliken. Doch glücklicherweise blieb der Anblick meines Gefährten gewöhnlichen Menschen erspart. Und ich hatte mich längst an ihn gewöhnt.
Scheuch richtete einen durch und durch begehrlichen Blick auf den Jungen und tippte beredt mit dem linken Daumen auf die Spitze seiner Sichel. Sobald er jedoch bemerkte, dass ich ihn beobachtete, tat er so, als würde er sich bloß am Anblick der Natur weiden.
„Ludwig“, rief Apostel, der sich bereits auf der Lichtung umsah, „in einem Punkt hat der Bengel wenigstens nicht gelogen! Da liegt ein Toter!“
„Da drüben, mein Herr“, sagte der Junge und deutete auf einen Punkt neben knotigen, aus der Erde herausragenden Baumwurzeln.
Nun erspähte auch ich das Skelett. Genauer gesagt, einzelne Knochen. So verwittert, wie sie waren, mussten sie schon eine ganze Weile hier liegen. Der Schädel ragte, unter Herbstlaub nahezu begraben, zwischen einzelnen Baumwurzeln hervor, sodass ich nur den gelblichen Rand des Nasenbeins und eine Augenhöhle ausmachte. Die Rippen fehlten zum Teil, zum Teil zeigten sie Nagespuren. Die Waldbewohner dürften ein herrliches Mahl gehabt haben?…?Das Wadenbein steckte wie ein Stock im Boden, während sich der Oberschenkel acht Schritte vom Schädel entfernt fand. Das Schulterblatt war in der Mitte durchgebrochen und wies ebenfalls Abdrücke von Zähnen auf.
„Da bei den Wurzeln“, sagte der Junge vorsichtshalber noch einmal.
„Tote wie die findet man doch häufig, sowohl in Wäldern als auch auf Feldern oder in Straßengräben. Warum also soll das ein Seelenfänger sein?“, brummte Apostel und verzog das Gesicht, als Scheuch über meine Schulter zu den Gebeinen spähte. „Na, dass dieser Anblick was für unseren Herrn Aasgeier ist, überrascht mich nicht!“
Doch Apostels Spott ging bei unserem Animatus wie stets zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus. Stattdessen fuhr er mit der Hand über die braun-gelbe Laubdecke und bohrte dann den Zeigefinger in sie hinein.
„Bist du sicher, dass der Tote ein Seelenfänger war?“, wandte ich mich an den Jungen.
„Ja, Herr. So sagen es jedenfalls die älteren Jungen. Die haben auch den schwarzen Dolch gesehen.“
„Haben sie ihn mitgenommen?“
„Nein, Herr. Wer klaut denn schon den Dolch eines Seelenfängers?! Der ist doch verflucht und bringt Unglück! Die Stiefel haben sie mitgenommen und … und auch noch anderes. Aber nicht den Dolch!“
„Hab ich’s dir nicht gesagt?! In diesem Dorf hausen durch die Bank Leichenfledderer!“, ätzte Apostel. „Aber wenigstens glauben die Burschen all die Gerüchte von den Dolchen. Andernfalls hätten sie die Klinge mit Sicherheit auch noch stibitzt!“
Ich stapfte zu Scheuch, der inzwischen einige Rückenwirbel aus dem Laub geklaubt hatte. Sobald er das Becken freigelegt hatte, sah ich, was ich gesucht hatte: einen Dolch. Er steckte in einer schlichten, mit zwei Nieten versehenen Scheide, die mit einem breiten Kupferbügel am Gürtel befestigt wurde.
Ich brauchte nicht einmal den Dreck abzuwischen, um das Stück zu erkennen.
Diese Scheide hatte ich selbst gekauft, in Liesetzk, als Miriam noch meine Lehrerin war. Es sollte ein Geschenk sein …
Ich setzte mich neben Scheuch auf eine große Baumwurzel. Der Junge tapste von einem Fuß auf den anderen, sodass ich ihm endlich die versprochene Goldmünze zusteckte. Für diese Gegend bedeutete sie geradezu ein Vermögen, weshalb der Kleine seinem Glück immer noch nicht ganz trauen wollte und sich mit einem beherzten Biss auf die Münze davon überzeugte, dass ich ihn nicht übers Ohr gehauen hatte.
„Du bekommst noch einen Groschen, wenn du mir ein paar Fragen beantwortest.“
Damit würde er von heute an mit Sicherheit alle Seelenfänger für verrückt halten.
„Mach ich doch gern, lieber Herr.“
„Wann hast du diese Knochen entdeckt?“
„Das war mein großer Bruder, der sie gefunden hat, nicht ich, ich bin doch noch viel zu klein dafür.“
„Ist der Seelenfänger in eurem Dorf gewesen?“
„Nein. Er ist über die Berge hier runter, also von der anderen Seite.“ Der Junge deutete mit einer ausholenden Handbewegung in die entsprechende Richtung. „Bestimmt hat er den Gorrgratpass benutzt.“
„Was erzählen die Leute denn, wie er gestorben ist?“
„Der Mann liegt schon so lange hier, da weiß niemand mehr, was eigentlich passiert ist. Manche sagen, dass er an dieser Stelle verletzt war?…“ Der Junge tippte sich selbst auf die Brust. „… andere, dass es hier war.“ Nun pikte er sich in den Bauch. Anschließend blies er auf seine Finger, um die dargestellten Wunden in den Wald zu jagen.
„Und warum liegen die Knochen immer noch hier rum? Warum hat niemand den Mann begraben?“
Diese Frage schmeckte dem Jungen nicht, und am liebsten wäre er nicht mit der Sprache herausgerückt. Doch eine Goldmünze hatte nun mal ihren ganz eigenen Reiz …
„Er ist doch ein Seel…“ Er biss sich auf die Zunge. „Also, Vater Grzenek hat es verboten. Er hat gesagt, dass …“
„Sprich ruhig weiter, du brauchst keine Angst vor mir zu haben.“
„Das glaub ich aber nicht“, schniefte der Kleine. „Bestimmt zieht Ihr mir die Ohren lang.“
„Das werde ich nicht. Versprochen.“
„Er hat gesagt“, fasste sich der Junge daraufhin ein Herz, „dass es für so einen Widerling keinen Platz in der geweihten Erde gibt, schon gar nicht neben uns allen. Deshalb sollte der Mann unter freiem Himmel verfaulen, wo die Krähen ihn am Ende schon fressen würden. Vater Grzenek hat auch allen verboten, herzukommen, weil wir uns hier nur einen schlimmen Fluch einfangen würden.“
„Und haben sich alle an dieses Verbot gehalten?“
„Ein paar sind schon hergekommen. Die, die eben vor nichts Angst haben!“
Zu denen er sich ohne Frage auch zählte. Ich gab ihm die zweite Münze, meine vorletzte. Flink wie ein Wiesel flitzte der Junge den Hang hinunter, dabei vor Glück über beide Backen strahlend.
„Ich schäme mich regelrecht“, murmelte Apostel, „dass es Priester mit einer solchen Auffassung gibt.“
„In diesen Breitengraden mochte man uns Seelenfänger noch nie“, erwiderte ich, während ich nach wie vor die Scheide des Toten betrachtete.
„Du kanntest diesen armen Kerl, nicht wahr?“, bohrte Apostel weiter. „Es steht dir ja geradezu auf die Stirn geschrieben, dass es so ist.“
Ich zuckte nur die Achseln und gab ihm auf diese Weise zu verstehen, dass er den Mund halten solle. Sein Geschwätz vertrug ich im Moment wirklich nicht. Ich schielte auf den Rand des Schädels, der unter den Blättern hervorlugte.
„Tja, Hans“, murmelte ich, „habe ich dich doch noch gefunden.“

Das letzte Mal hatte ich meinen Freund in Ardenau gesehen. Damals hatte er die Stadt Hals über Kopf verlassen.
„Die Welt ist voller dunkler Seelen, mein Freund“, hatte er sich noch empört, sich ansonsten aber in Schweigen gehüllt. „Grüße Gertrude von mir!“
Dann war er über die staubige Straße davongeritten.
Im nächsten Jahr tauchte er nicht zur Versammlung der Seelenfänger in Ardenau auf. Auch im darauffolgenden Jahr hörten wir nichts von ihm. Da keiner von uns ihm begegnet war, begannen Wilhelm und ich, unermüdlich nach ihm zu forschen. Wir fragten an Dutzenden von Orten nach. Am Ende konnten wir seine Spur in Vierwalden aufnehmen, dort aber schien er vom Erdboden verschluckt worden zu sein.
Gertrude und Cristina, Joseph, Shuco und Rosa – sie alle suchten ihn. Ohne jeden Erfolg.
„Die Welt ist groß. Und gefährlich, Ludwig“, hatte Joseph gemurmelt, als er am sandigen Ufer eines Flusses gesessen hatte, das vom Blut einer eben beendeten Schlacht rot schimmerte. „In ihr verschwinden immer wieder Seelenfänger. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Wie auch, bei unserer Arbeit! Deshalb müssen wir uns wohl mit Hans’ Tod abfinden.“
Doch das tat ich nicht. Bis heute hatte ich auf ein Wunder gehofft. Schließlich hörte man mitunter lange nichts von einem Seelenfänger – und dann stand er eines Tages vor dir, im Gepäck Geschichten aus fernen Ländern und von zahllosen Abenteuern.
Nun war diese Hoffnung geplatzt.
Mein Freund Hans, mit dem ich einst in Ardenau die Schulbank gedrückt hatte, war tot und hatte seine letzte Ruhestätte auf einem Bergplateau gefunden, inmitten alter Bäume, von unbarmherzigen Menschen Wind und Wetter ausgesetzt.

Im Dorf des Jungen wussten anscheinend bereits alle, dass ich bei dem toten Seelenfänger gewesen war. Die Frauen machten kehrt, kaum dass sie mich sahen, und verkrochen sich in ihre Häuser, die Männer behielten mich mit geballten Fäusten scharf im Blick. Niemand stellte mir irgendeine Frage, niemand versperrte mir den Weg.
„Na wunderbar!“, knurrte Apostel. „Vor dieser Meute retten dich nicht mal deine beiden Pistolen!“
„Ach was, ehe sie sich ein Herz gefasst haben, bin ich schon wieder weg.“
Das Haus des Ältesten fand ich ohne Mühe, denn es war das größte und prachtvollste. Davor wartete ein rotgesichtiger Mann um die fünfzig mit seinen beiden Söhnen auf mich. Seine Nachkommen schlugen ganz nach ihm, waren ebenso breitschultrig und misstrauisch. Im Blick des jüngeren der beiden spiegelte sich allerdings nackte Angst wider. Trotzdem gab er sich tapfer und würde mir bestimmt an den Kragen gehen, sollte ich seinen Vater irgendwie beleidigen.
„Du bist der Dorfälteste, oder?“
„Mhm. Weshalb?“
„Ich brauche einen Spaten.“
Als Scheuch, der selbstverständlich auf eine handfeste Rauferei gehofft hatte, diese Worte hörte, verpasste er einem vorbeitapsenden Schwein voll wütender Enttäuschung einen Tritt. Mit einem markerschütternden Quieken ergriff das Tier die Flucht.
„Hol ihm das Ding“, verlangte der Dorfälteste von seinem jüngsten Sohn. „Es steht im Schuppen. Und mach hinne!“
Die nächsten Minuten brachte niemand ein Wort heraus. Dann kam endlich der Junge mit der Schaufel zurück. Er drückte sie mir in die Hand, mied dabei aber meinen Blick und ging sofort wieder auf Abstand.
„Sag mal, Mann“, wandte ich mich erneut an seinen Vater, „du willst ja wohl nicht, dass ich noch mal wiederkomme, oder?“
„Wir haben hier keine dunklen Seelen“, erklärte er mir. „Für dich gibt’s bei uns also nichts zu tun.“
„Trotzdem wäre ich sofort wieder da! Dafür bräuchte nur irgendjemand das Grab anzurühren. Und beim nächsten Mal, das darfst du mir glauben, kämt ihr nicht ungeschoren davon!“
Ohne seine Antwort abzuwarten, stapfte ich davon.
In meinem Rücken spürte ich zwar die Blicke aller Männer des Dorfs, aber keiner von ihnen nahm die Verfolgung auf. In Schwierigkeiten geriet ich erst, als ich mich der Kirche näherte. Da stürzte nämlich der Priester, ein Mann mit Zauselbart und weit aufgerissenen Augen, auf mich zu.
„In die Hölle mit dir, du Ausgeburt des Dunkels!“, geiferte er mich an und fuchtelte wild mit dem Kruzifix in seiner Hand herum.
Er wollte mich auf keinen Fall zurück zu Hans lassen. Menschen wie er waren mir ein Gräuel. Ihre Beschränktheit, durch religiösen Eifer noch verstärkt, ließ bei einer Begegnung mit einem Seelenfänger Angst in ihnen aufkeimen. Mit dieser steckten sie auch noch alle um sich herum an, sodass sie letztlich nicht besser waren als all die Flöhe, die die Pest übertrugen.
„Geh mir aus dem Weg!“, zischte ich ihn wütend an.
„Wag es ja nicht, dich an einem Diener Gottes zu vergreifen!“, erwiderte er und holte mit seinem Kreuz aus.
Ich konnte den Angriff gerade noch mit dem Spatenstiel abfangen. Als der Priester mit voller Wucht gegen das Holz schlug, verlor er das Gleichgewicht und ging zu Boden. Ich setzte meinen Weg fort, während der Gottesmann den Dörflern ausmalte, welche Höllenstrafen sie treffen würden, weil sie sich mir nicht entgegengestellt hatten.
Der Rückweg zum Berg kam mir wesentlich länger vor. Als ich dort am Waldesrand bereits eine knietiefe Grube geschaufelt hatte, gesellte sich Apostel wieder zu mir.
„Niemand ist dir nachgekommen“, teilte er mir mit. „Anscheinend wollen sie sich doch nicht mit dir anlegen.“
„Umso besser“, murmelte ich, ohne meine Arbeit zu unterbrechen.
„Aber Scheuch …“
„Was ist mit ihm?“
„Er schleicht um die Kirche herum. Mit seiner Sichel.“
„Als ob er sich je von der trennen würde.“
„Ludwig! Du weißt genau, was ich meine!“
„Stell dir vor, ich weiß sogar, was du von mir erwartest!“
„Soll das etwa heißen, dass du ihn nicht aufhalten willst?!“
Ich maß Apostel mit einem langen Blick.
„Selbst ein Mensch wie dieser Geistliche verdient den Tod nicht!“
„Jeder Mensch verdient den Tod.“
„Aber was, wenn Scheuch ihn tatsächlich umbringt?“
„Von irgendwas muss er schließlich leben.“
„Ludwig! Spiel hier nicht den abgebrühten Draufgänger!“, fuhr Apostel mich an. „Du bist wütend, weil der Priester den Dörflern verboten hat, deinen Freund zu begraben. Aber so sind die Menschen nun einmal. Sie begehen Fehler und handeln nicht immer gottgefällig. Das heißt aber noch lange nicht, dass du dich zu etwas hinreißen lassen solltest, das du später bereust!“
Er hatte ja recht. Fluchend ließ ich den Spaten fallen und machte mich an den Abstieg. Kurz darauf stieß ich jedoch bereits auf Scheuch. Mein Animatus beobachtete hingebungsvoll, wie sich die gelben Blätter von den Zweigen lösten. Seine Sichel funkelte, an ihr glitzerte jedoch nicht ein einziger Tropfen Blut.
„Falscher Alarm“, teilte ich Apostel mit, sobald ich mit Scheuch im Schlepptau wieder zur Lichtung kam.
Scheuch musterte uns beide, als wollte er sagen: Als ob ich auch nur einer Fliege etwas zuleide tun könnte …
„Geschadet hat es ja wohl nicht, dass du dich mit eigenen Augen davon überzeugt hast“, hielt mein alter Sturkopf Apostel dagegen. Aber wenigstens verstummte er, als er meinen wütenden Blick auffing.
Erst gegen Mittag hatte ich das Grab ausgehoben, Baumwurzeln machten mir die Arbeit nämlich ziemlich schwer.
Scheuch half mir dann, das gesamte Skelett einzusammeln. Selbst den kleinsten, tief unter Laub verborgenen Knochen entdeckte er ohne jede Mühe. Als Hans’ Gebeine endlich vollständig in der Grube lagen, schaufelte ich diese zu. Anschließend fällte ich mit meinem Dolch einen sehr jungen Baum und fertigte aus zwei Ästen ein behelfsmäßiges Kreuz.
„Er war ein guter Mensch und ein guter Seelenfänger“, bemerkte Apostel feierlich.
„Woher willst du das denn wissen?“, polterte ich. „Du kanntest ihn doch gar nicht!“
„Über Tote spricht man schließlich nicht schlecht“, hielt er leicht verlegen dagegen. „Aber gut, dann stimme ich halt das Totengebet an.“
Wie oft er das in letzter Zeit hat tun müssen, schoss es mir durch den Kopf.
Nachdem Apostel geendet hatte, blieb ich noch ein Weilchen am Grab sitzen und überließ mich meinen Erinnerungen. Daran, wie Hans und ich während des Liesetzker Aufstands dunkle Seelen gejagt hatten. Oder wie mein Freund sich mit Shuco noch während unserer Ausbildung um Rosa geprügelt hatte. Wie wir auf einem Friedhof unsere letzte Prüfung abgelegt und dann die schwarzen Dolche erhalten hatten.
Ich wickelte Hans’ Klinge in einen Lappen und verstaute sie in den Tiefen meines Rucksacks. Sobald ich zivilisiertere Gegenden erreicht hätte, würde ich den Dolch der Bruderschaft zukommen lassen, damit sie die Waffe ordnungsgemäß zerstörte.
Apostel hüstelte, um mich aus meinen Gedanken zu reißen.
„Wir sollten endlich weiter“, sagte er. „Bis nach Gäbeling haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Und je eher wir aufbrechen, desto schneller sitzen wir wieder in einer Kutsche.“
„Ich gehe nicht nach Gäbeling.“
„Wie bitte?“, stieß Apostel fassungslos aus. „Aber das ist doch die nächste Stadt. O nein! Diesen Blick kenne ich! Was hast du jetzt schon wieder ausgeheckt?!“
„Mein Freund ist ermordet worden, Apostel. Da will ich herausfinden, warum.“
Scheuch legte mal wieder den Zeigefinger an die Schläfe und drehte ihn hin und her, eine Geste, die er sich in den letzten Monaten angewöhnt hatte.
„Zuweilen kann ich unserem Herrn Vogelschreck nur zustimmen“, tönte Apostel. „Hans ist vor vielen Jahren gestorben. Du bringst nichts mehr über seinen Tod in Erfahrung, denn seine Knochen verraten nichts mehr!“
„Wenn ich der Sache nicht auf den Grund gehe, werde ich mir nur ständig den Kopf darüber zerbrechen. Am Ende kehre ich dann doch in diese Gegend zurück. Also kann ich mich auch gleich darum kümmern.“
„Und wohin willst du deswegen gehen?“
„Der Junge hat behauptet, Hans sei über die Berge gekommen.“
„Und mein Vater hat immer gesagt“, entgegnete Apostel und gab ein Geräusch von sich, als ließe er einen Wind fahren, „dass die Engel das Bier geschaffen haben. Aber das heißt nicht, dass ich ihm diese Geschichte abkaufe. Schon gar nicht, wenn er zu viel von diesem Engelsgebräu intus hatte.“
„Bisher hast du eigentlich immer recht respektvoll von deinem Vater gesprochen.“
„Hör mal, Ludwig, dieser Bauernlümmel lügt doch, wenn er den Mund aufmacht! Was, wenn dein Hans in diesem Dorf ermordet wurde?“
„In dem Fall hätte man seine Leiche ganz bestimmt vergraben. Außerdem wüsste dann nicht jedes Kind von diesen Knochen, geschweige denn, dass es sie einem Mann auf der Durchreise gegenüber erwähnen würde.“
Scheuch nickte bedeutungsvoll zur Bestätigung meiner Worte.
„Wenigstens einmal könntest du dich ja auch auf meine Seite stellen!“, knurrte Apostel ihn an. Er wollte halt partout nicht weiter durch die Berge kraxeln, sondern diese Ödnis so schnell wie möglich hinter sich lassen. Deshalb wandte er sich wieder an mich. „Du wirst dir das Genick brechen, mehr nicht. Aber bitte, mach doch, was du willst! Auf mich musst du dann allerdings verzichten! Ich habe die Schnauze gestrichen voll davon, ständig an deinem Rockzipfel zu hängen!“
Mit diesen Worten stapfte er davon.
„Der kommt schon wieder“, sagte ich zu Scheuch, der sich eigens auf Zehenspitzen stellte, um den Abzug Apostels zu verfolgen. „So was hat er schon öfter gemacht. Was ist mit dir? Begleitest du mich rauf in die Berge?“
Daraufhin schlug Scheuch wortlos den Pfad ein, der in den Wald hinaufführte. Ich schnappte mir meinen Rucksack und folgte ihm.


Alexey Pehov

Über Alexey Pehov

Biografie

Alexey Pehov, geboren 1978 in Moskau, studierte Medizin. Seine wahre Leidenschaft gilt jedoch dem Schreiben von Fantasy- und Science-Fiction-Romanen. Er ist neben Sergej Lukianenko der erfolgreichste phantastische Schriftsteller Russlands. „Die Chroniken von Siala“ wurden zu millionenfach...

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„Die ›Chroniken der Seelenfänger‹ werden im dritten Band der Reihe gelungen fortgeführt – die Kombination von einzelnen Abenteuern mit einer verbindenden Hintergrundgeschichte kann erneut fesseln und durch den gut durchdachten Aufbau darf sich der Leser zusammen mit Ludwig auf einige spannende Wendungen sowie erst später deutlich werdende Zusammenhänge freuen.“

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